COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Zeitreisen Ausweitung der Schmerzgrenze ATMO Wohnung Lüßenhop, Tür, Stimmengewirr, Lachen 1 O-Ton Schüler: Klischee. Ist mein erstes Wort. 2 O-Ton Schüler: Klischee im Sinne von Schwarz, Rot und Lack und Leder und Gummi, Masken und Peitschen und herrische Menschen und unterwürfige Menschen. Halt so dieses Klischee, ja, mit diesem Begriff und ich finde, ja, das isses gar nicht. ATMO Anna kommt Treppe hoch... Alexandra: Ja hasten Schlüssel nicht bei was? A: Jetzt hätten wir sie fast nicht reingelassen Anna: Also irgendwie, (Nase putzen), hab ich gut gestört? Gelächter Sprecherin Alexandra Schüler ist gerade bei einer Freundin in Berlin angekommen. Sie will mit ihr zu einem Wochenendseminar. Thema: Sadomasochismus. Es findet statt bei Schwelle 7, einem Veranstaltungsraum in Berlin, Experimentierfeld zwischen Performance, Tanz und SM. Alexandra Schüler, 38, ist zweifache Mutter und arbeitet bei einem öffentlichen Träger als Kunsttherapeutin. Sie steht zu ihren masochistischen Neigungen. Aber die medialen Klischees von Sadomasochismus schrecken sie ebenso ab, wie die stereotype Selbstdarstellung der SM-Szene: 3 O-Ton Schüler: Wenn ich da manche so sehe (...), so ein 20igjähriger hat sich da als Dom registriert bei der Sklavenzentrale, also das war Klischee pur, also schon seine Pose war zum Davonrennen (lacht). (...) und nachher eine ellenlange Auflistung, was er alles schon macht und aktiv macht...Während ich mir das durchgelesen habe, ist mein Computer abgestürzt (lacht), das ist wirklich Klischee pur, damit kann ich gar nichts anfangen, das macht einfach keine Lust, sondern das stößt ab. Mich stößt das ab. Total. Sprecher: Sadomasochismus, kurz SM, steht seit der Zeit des Marquis De Sade für eine lange Liste von Tabus, Vorurteilen, Krankheitsbildern und Klischees. Dem viktorianisch und psychoanalytisch geprägten Blick auf sexuelle Vorlieben ist es zu verdanken, dass Sadomasochismus bis in die 1980er Jahre ein Schattendasein in der gesellschaftlichen Schmuddelecke führte. Sprecherin: Mittlerweile hat SM Einzug gehalten in Mode, Popkultur, Film. Die Entwicklung zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz gipfelt in der Romantrilogie "Fifty Shades of Grey". Der englischen Autorin E.L.James gelingt es, nahezu alle sadomasochistischen Stereotypen wieder zu beleben - positive wie negative. SM wird zu einer gesellschaftlichen Projektionsfläche: der milde Grusel der Peversion wird gemixt mit dem Versprechen von Echtheit, Nicht- Kommerzialisierbarkeit von Sexualität und wahrem Gefühl. Damit hat Roman einen Nerv getroffen: "Fifty Shades of Grey" wurde 75 Millionen mal verkauft und hat auch die internationalen Feuilletons in Erregung versetzt. Ist SM also in der Mitte der Gesellschaft angekommen? 4 O-Ton Passig: Nee, das sagt ja das Buch gerade, Sprecher: Kritisiert die Autorin Kathrin Passig, die lange im Vorstand der Bundesvereinigung Sadomasochismus tätig war: 5 O-Ton Passig: Da steht ja wieder viel von dem Quatsch drin, wo ich jetzt dachte, dass sei jetzt schon ausgestorben. Auch in "Shades of Grey" ist es ja so, dass das Ganze auf ein Kindheits- oder Jugendtrauma zurückgeht bei - wie heißt er gleich? - Christian Grey, und verschiedene andere Dinge, wie zum Beispiel, dass die Beziehungsdynamik total verkorkst ist und dass es nicht möglich ist, eine nicht dysfunktionale Beziehung zu haben in dem Kontext. Solche Sachen stehen da ja nach wie vor drin, aber trotzdem bin ich ganz zuversichtlich, dass da eine Diskussion dadurch angestoßen wird, dass das Thema normaler wird. Sprecher: Sonja Eismann ist Mitherausgeberin des Missy-Magazin und setzt sich mit feministischen und popkulturellen Strömungen auseinander. Sie glaubt, dass die Entwicklung der SM-Subkultur ganz typisch ist für die Entstehung und Verbreitung einer Gegenkultur in der Gesellschaft ist: 6 O-Ton Eismann: Es ist eben erst ein gegenkulturelles Phänomen, das sich auch gegen die Werte der Mainstreamgesellschaft richtet. Dann wird es natürlich auf irgendeine Art und Weise eingespeist - es gibt Symbole, Kleidungsstücke, was auch immer - zu kaufen, es wird durch die Medien stärker verbreitet und dann gibt es natürlich immer diesen Ausverkaufs-Vorwurf. Andererseits gib es aber auch immer wieder Leute, die sagen, es hat die Gesellschaft an sich verändert. Und ich glaube, so ist es auch mit SM. Natürlich ist diese Form von SM, die da praktiziert wird, meilenweit entfernt von den real praktizierenden SM-Communities, würde ich mal meinen. Aber vielleicht beschäftigen sich jetzt auch Leute damit, die noch nie davon gehört hatten, oder die vielleicht ein gewisses Bedürfnis danach hatte, aber dachten: Oh Gott, ich bin pervers - dass die jetzt nicht mehr denken, dass sie pervers sind. Von daher kann das durchaus ein Beitrag zu einem fortschrittlicheren Denken sein, wenn man das so sieht. Das ist halt nur kein besonders radikales Manifest. Sprecherin: Radikale Manifeste - lange bestand SM aus nichts Anderem. Über Jahrhunderte tritt Sadomasochismus in erster Linie als literarisches Phänomen an die Öffentlichkeit. Sadistische Praktiken wie Flagellation, Fesselspiele oder das Zufügen von Bisswunden werden vereinzelt seit der Antike erwähnt. Der Sadismus, ein gesteigertes Lustgefühl, das durch die Beherrschung eines anderen entsteht, geht namentlich zurück auf den Schriftsteller Marquis De Sade. Ein ausschweifendes Sexualleben, Nötigung und Gotteslästerung brachten ihn kurz vor Beginn der Französischen Revolution in die Bastille. Sprecher: Die dort entstandenen "120 Tage von Sodom" lesen sich wie eine enzyklopädische Tour de Force durch alle vorstellbaren Sexualpraktiken und Gewaltexzesse. In einer schier endlosen Abfolge von gewaltätigem Stellungsgerangel demontiert De Sade den Rousseauschen Aufklärungsbegriff, das Konzept vom "edlen Wilden" und von der "angeborenen Liebe zum Guten". Das Ideal der Eigenliebe sieht De Sade mit der Unterwerfung und Zerstörung des Anderen zur Vollendung gebracht. Sprecherin: Erwin Häberle, der Doyen der deutschen Sexualwissenschaft, klärt auf: Mit dem Sadismus, wie er heute verstanden werde, habe De Sade wenig gemein. Ihm ging es um eine rein ideologische und philosophische Abrechnung mit Kirche, Staat und den Ideen der Aufklärung. 7 O-Ton Häberle: Und das waren natürlich Masturbationsfantasien. Aber der Impuls war, gegen diese Aufklärung zu schreiben. Der Mensch ist nicht gut und der wird auch nicht besser und Rousseau ist alles falsch und so weiter und er wollte einen Gegenentwurf schreiben. Und das ist der Impuls bei De Sade. Aber bei dem Sadismus heute spielt das ja keine Rolle mehr. Sondern das ist ja das gesteigerte Lustgefühl, das entsteht durch Unterwerfung oder Beherrschung eines Anderen. Sprecher: Der Masochismus, Gegenpol zum Sadismus, ist dagegen eine recht neue Erscheinung. Die Lust am Leiden und an der Unterwerfung, taucht erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf, in den Schriften des Leopold von Sacher- Masoch. 1958, 60 Jahre nach seinem Tod, wurde sein bekanntestes Werk "Venus im Pelz" auf den Index verbannt. Nicht wegen seiner Freizügigkeit - bei Sacher-Masoch sieht man allenfalls eine entblößte Schulter - sondern wegen der Beschreibung des intensiven Lustgewinns durch Unterwerfung und Schmerz. Prägender für das Selbstverständnis der SM-Szene heute ist jedoch "Die Geschichte der 'O'", geschrieben 1954 als Gegenentwurf zu De Sade von der Autorin Anne Desclos unter dem Pseudonym Pauline Reage. Der sogenannte "Ring der "O" ist heute eines der wichtigsten Erkennungszeichen der SM- Community. Sprecherin: Nicht um die profane Erregung von Lust beim Leser gehe es bei "Der Geschichte der O", schreibt die amerikanische Essayistin Susan Sontag 1967. Es gehe um Transzendenz. Die namenlose Protagonistin werde in ein Mysterium eingeweiht: die Selbstauslöschung der Persönlichkeit durch Schmerz und Erniedrigung. Den Bogen von diesen historischen und theoretischen Ansätzen zum heute gelebten SM und dessen lebensnahen und teilweise sehr pragmatischen Anforderungen zu schlagen, bereitete Autorin Kathrin Passig anfänglich Probleme 8 O-Ton Passig: Als ich schließlich entdeckt hatte, ... dass es eine SM-Subkultur gibt und dass es nette Menschen gibt, die sich auch dafür interessieren, da hatte ich doch extreme Schwierigkeit, meine von De Sade und anderen extrem unrealistischen Dingen geprägten Vorstellungen damit in Einklang zu bringen - und was man tatsächlich machen kann und was nicht so. Ich weiß auch nicht, ob das einfacher gewesen wäre, wenn das nicht so völlig getrennte Welten gewesen wären. Sprecherin: Über Jahrhunderte haben sie den öffentlichen Blick geprägt auf alles, was mit Sadomasochismus zu tun hat: SM gilt noch immer als die dunkle Seite der Sexualität. Der ideologisch und romantisch aufgeladene Mythos einer Sexualität, die im Grenzbereich des gesellschaftlich Akzeptablen stattfindet, wird vom harten Kern der SM-Szene gerne mit einem Augenzwinkern gepflegt. Trotzdem, glaubt Kathrin Passig, würden sich viele dagegen verwehren 9 O-Ton Passig: Dass SM in der Öffentlichkeit diese Kuschelfassade bekommen hat und dass es tatsächlich um die Auseinandersetzung mit den hässlicheren Seiten der menschlichen Natur geht und auch mit Unerfreulichem und tatsächlich auch mit Gewalt, der Tatsache, dass man sterben muss, etc, also dass es auch zu kurz greift zu sagen: wir haben uns doch alle lieb und wir tun doch nur so als ob. 10 O-Ton Grimme: Es gibt ein Buch von Ulrike Heider, das heißt "Sadomasochisten, Keusche und Romantiker", in dem der Satz fällt: Sadomasochisten sind die letzten Romantiker. Sprecher: Sagt Matthias Grimme. Der 61jährige Hamburger wurde von Spiegel-Online zum Papst des SM-Szene und Bondage-Gott erklärt. Er selbst bezeichnet sich lieber als "romantischen Sadisten". 11 O-Ton Grimme: Aber die Romantik war auch nicht hell ausgeleuchtet. Die Romantik war auch schon immer mit irgendwelchen dunklen Unterströmungen versehen, mit irgendwelchen Sachen, von denen man nicht genau wußte, was passiert. Und das denke ich mir ist das, was SM so anders macht. Die meisten Leute haben ja in ihren Köpfen dunkle Ecken und diese dunklen Ecken, die möchte man nicht so gerne sehen, die möchte man auch nicht so gerne wahrhaben. 12 O-Ton Grimme ATMO (Boutique Bizarre, Musik) Grimme: Jut. Hallo Kai, möchtest du auch noch einen Kommentar abgeben? Frey: Hallo erstmal, Andrea, Deutschlandradio Kai: Ich hab jetzt erst mal den Elektriker.. Grimme: Ja mach mal den Elektriker, ist auch wichtig. ... Kai ist hier der Geschäftsführer. Sprecherin: Mit Matthias Grimme unterwegs in St. Pauli. Das Büro seines Charon-Verlags liegt zwischen Kindertagesstätte und Hospiz auf einem weitläufigen Hinterhof. Neben SM-Handbüchern und Literatur vertreibt Grimme hier das Szene- Organ "Schlagzeilen". Ein kurzer Spaziergang führt von Verlags-Büro auf die Reeperbahn zu Grimmes zweiter Wirkungsstätte, der Boutique Bizarre, wo er in Bondage-Workshops in die Kunst des Fesselns einführt. 13 O-Ton Grimme: Das tollste an dieser Veranstaltung war, ein paar Freunde von uns waren da, und nach der dritten Show hab ich dann so gesagt: "Jetzt ist mal einer aus dem Publikum dran!" ... Ich hatte aber schon jemand ganz bestimmtes im Auge, die ich auch schon gefesselt hatte, die im Rollstuhl sitzt: Und ich hab gesagt: "Los Anne, her mit Dir!" "Was? Soll ich aus dem Rollstuhl raus?" "Nein. Komm her, wir wollen Dich mit Deinem Rollstuhl." ... Anne hat sich gefreut wie'ne Schneekönigin und es war'ne sehr anrührende Situation. Und ich hab später ein Bild publiziert und hab ganz viel Rückmeldung gekriegt von Leuten, die selbst körperbehindert sind und sagten: Na endlich mal einer, der kapiert hat, das wir nicht mit Samthandschuhen angefasst werden müssen und wir nicht aus Zucker sind und ganz normal angefasst werden können. 14 ATMO/ O-Ton Grimme: Lass uns doch mal runter in die Bizarr-Abteilung gehen. 15 O-Ton Grimme (Atmo): (...) Man sagt ja jetzt moderner BDSM, da ist ja dann alles drin: Bondage und Disziplin, Dominanz und Unterwerfung, also Submission und SM, Sadomasochismus. Und da gibt es dann die Leute, die sagen: Ja aber wir sehen uns da trotzdem nicht so gemeint, weil wir sind ja ne D/s-Gruppe, und dann gibt es die Leute aus dem Bondage-Bereich, die sagen: Naja, also dass mit dem Hauen und der Unterwerfung, das sagt mir gar nichts, wir stehen nur auf Fesseln. Es gibt so eine immer größere Diversifizierung innerhalb der Szene und die Idee, dass man in irgendeiner Form etwas zusammen macht, verschwindet mehr und mehr. Unseren ersten Parties waren noch so, dass sowohl Hetero-SM-Leute, als auch schwule SM-Leute, als auch lesbische SM-Leute da waren und das war völlig in Ordnung. Aber mittlerweile haben die Schwulen ihre eigenen Sachen und die Lesben ihre eigenen Sachen und die Heteros kriegen schon komische Augen, wenn ein schwules Pärchen auf einer normalen SM-Party rumknutscht. Sprecherin: Die Spielarten von BDSM, die Vorlieben und Neigungen sind so vielfältig wie die Menschen, die daran beteiligt sind. Manchen geht es eher um eine körperliche Lust- und Schmerzerfahrung, andere bekommen ihren Kick aus der psychologischen Variante, die aus einem Spiel mit Dominanz und Unterwerfung besteht. Andere beziehen einen Lustgewinn aus einem Fetisch wie Leder oder Latex, oder aus teilweise recht exklusiven erotischen Praktiken wir Spanking, also Schläge auf bestimmte Körperpartien, oder Bondage - mehr oder weniger kunstvolle Fesselspiele. Viele kombinieren diese Elemente, andere ersetzen gar jegliche sexuelle Handlung durch die sadomasochistische Praxis oder den Fetisch. 16 ATMO/O-Ton Lüßenhop: A: Aua! L: Unerfüllte Strafbedürfnisse? Jeder hat so sein Sprüchlein... Aua, tut's gut? ... Sprecher: In der Berliner Praxis von Anna Lüßenhop. Sie ist Therapeutin und hat sich auf Fragen rund um BDSM spezialisiert. 17 O-Ton Lüßenhop: Oft ... ist es ja so, dass sonst kein Gefühl entsteht, also wenn nicht das und das benutzt wird, entsteht kein Gefühl, nur so lässt sich das erzeugen, also Lust, Hingabe, Orgasmus, ein tiefes Gefühl. Und wenn das da fehlt, oder eine Dominanz vom Partner, der Partnerin, und wenn das fehlt, passiert da nichts. (...) Da fehlt der Kick, da fehlt die Stimulans. Das kann ja auch ein Fetisch sein. Manche brauchen ein Ganzkörperkondom, sozusagen, um überhaupt Lust zu empfinden. Also die brauchen einen Abstand zwischen Körper und Körper oder die Verhüllung. (...) ...oder aber ein ganz besonderes Gefühl auf der Haut. Wenn der ganze Körper in Gummi eingehüllt ist, das ist - also ich kenne es nicht - aber es muss ein ganz anderes Gefühl sein. Eingeschlossen sein, da ist was Anschmiegsames, Warmes, vielleicht Feuchtes, was manche Menschen scheinbar benötigen, um sich überhaupt zu fühlen, oder um sich intensiver zu fühlen. 18 O-Ton Lüßenhop: Und dazu kann man halt irgendwelche Mittel benutzen. Manchmal ist es Schlagen, manchmal ist es Fesseln, manchmal ist es Pinkeln, mal ist es ein Schmerz, den sie dazu brauchen. Aber ich glaube, der wirkliche SMler oder die wirkliche SMlerin braucht das, ohne das kann sie nicht wirklich glücklich werden. Alles andere sind Spielereien. Sprecher: Vieles deutet darauf hin: Sadomasochismus ist eine recht weit verbreitete Vorliebe. Die Erkenntnisse von Sexualwissenschaftlern sind immer noch erschreckend spärlich. Umfragen aber ergeben, dass zwischen 3 und 10 Prozent der Bevölkerung in irgendeiner Form ihre sadomasochistischen Fantasien ausleben. 19 O-Ton Grimme: Vor ein paar Jahren lief ja die "Hochnotpeinliche Befragung" und da ging es unter anderem um die Frage: Gibt es eigentlich einen grundsätzlichen Unterschied zwischen sadomasochistisch lebenden Menschen und Menschen, die eher auf Blümchensex stehen? Und unterm Strich kam dabei raus: Es gibt keine wirklich echte Signifikanz. Es gibt einen leichten Ausriss bei der Empathiefähigkeit, der aber so leicht ist, das man nicht sagen kann, obwohl es ein Sample von 20.000 Personen ist, dass man nichts sagen kann, dass man definitiv behaupten könnte, dass Sadomasochisten emphatischer sind als Normalsterbliche. Also es ist halt schlicht und ergreifend Querschnitt durch die Bevölkerung, quer durch den Garten und (atmet tief durch).. Sprecher: Der Anteil, den SM am Leben hat, kann ganz unterschiedlich sein. Allen Spielarten ist gemeinsam: Es wird für vorübergehend ein Machtgefälle zwischen den Partnern erzeugt. Der passive Part, der Sub, Sklave oder Bottom genannt wird, gibt für die festgelegte Zeit des Spiels seine Autonomie auf und überträgt die Macht seinem dominanten Counterpart, dem Top, Dom, der Herrin oder dem Herren. Sprecherin Sexologe Erwin Häberle glaubt: Der eigentliche Reiz des Machtaustausches bestehe darin, sich aus freien Stücken dem Willen eines anderen zu unterwerfen und trotzdem nicht die Kontrolle abzugeben. 20 O-Ton Häberle: Also es handelt sich hier um eine Paradox. Auch ein psychologisches Paradox. Es oszilliert ja auch. Uund das ist vielleicht auch das Wichtige bei so sadomasochistischen Beziehungen - dass derjenige, der sich unterwirft, erlebt, dass er eine Kontrolle über den Anderen hat. Über den, der ihn beherrscht. Der Sacher-Masoch selber, der stand ja auf Leder und Pelz und der hatte ja auch den Vertrag mit dieser einen Dame. Aber letztlich war das ja SEIN Vertrag, SEINE Bedingungen, er hat's ja diktiert. Ja, also das ist das Reizvolle und das Interessante. Also für den Außenstehenden. Auch für die Betroffenen. 21 O-Ton Schüler 027: ... Das ist ganz spannend. Und da ist es irgendwo ein Machtgefälle, was so auftaucht, für mich. Ich muss einfach was haben, damit ich mich in diesen Zustand hineinbegeben kann. ... Dann geht es aber auch sehr schnell, dann bin ich voll drin. Voll drin und ganz ganz offen und dann ist es halt auch schön, das Gegenüber auch zu spüren, eben auch: Wie wird denn da mit dieser übertragenen Macht umgegangen? (...) Wird denn das immer ausgenutzt? Oder grade nicht? (...) Also wenn ich merke, dass ich eben dominiere, also devot dominiere sozusagen, sozusagen versuche, meine Lust halt zu befriedigen und der andere reagiert dann halt mal nicht so, das ist dann auch das das Spannende. 22 O-Ton Grimme: Natürlich gibt es Situationen, wo ich vordergründig die Macht zu haben scheine; meine Erfahrung ist aber auch, dass in dem Moment, wo jemand vordergründig diese Macht abgibt, mich trotzdem noch ganz gut kontrolliert. Und das ist letzten Endes, vielleicht das was du mit dem Paradox meintest: Auf der einen Eben siehst du den Dom, der was mit seiner Sklavin macht, aber der macht nur das mit seiner Sklavin, was sie ihm irgendwie gestattet hat und wenn der das falsch macht, dann hat er nämlich Probleme mit ihr. Aber er muss natürlich darauf beharren, dass er das richtig macht, weil er das will, damit sie das Gefühl hat, dass sie das auch kickt... Weil wenn sie das Gefühl hat, er macht das nur ihr zuliebe, so... Sprecher: Alexandra Schüler braucht dieses Machtgefälle, um im Kontakt mit dem Partner zur Ruhe zu kommen. Ihre Vorliebe ist ein Gefesseltsein. 23 O-Ton Schüler: Weil es mich auch ganz klar wieder in den Zustand rein bringt: Ich bin jetzt hier, ich kann nicht weg. Meine angetriebene emanzipierte Frau, sag ich immer, ja, die so im Alltag sich auch durchboxt und durchkämpft, die hat dann mal Pause, die kann mal abschalten. Und dann kommt meine devote Seite hervor und die kann ganz still sein, die kann ganz ruhig sein, die ist einfach da. Die ist bereit und die ist offen. Die öffnet sich, ja. Eben für den Partner. Und das ist eine tolle Erkenntnis, immer wieder. Und wenn es zwischendurch mal wieder einen Reiz braucht, dass ich in diesen Zustand tiefer rein kann, dann brauchst vielleicht Werkzeuge. Möglich, muss aber nicht. Sprecher: Diese Inszenierung, das "Spiel" oder die "Session" können Stunden oder Tage dauern. Dabei gelten klare Regeln. Die drei Grundpfeiler lauten: safe, sane und consensual, übersetzt: sicher, mit gesundem Menschenverstand und einvernehmlich. Von Drogen- und Alkoholkonsum wird abgeraten und vorher vereinbarte Warnhinweise und Codewörter sollen verhindern, dass es unbemerkt zu Verletzungen oder psychischen Abstürzen kommt. 24 O-Ton Grimme: Die Situation sieht an für sich für jeden, der das betrachtet, aus wie Folter, Quälerei, wie jemanden zu einem Nichts machen. Und wenn die Situation gut war, dann liegen sich beide gerührt, manchmal auch vor Rührung weinend in den Armen und kuscheln aneinander und du denkst: Huch, was ist denn nun passiert? 25 O-Ton Schüler: Ja genau, und das finde ich auch immer so wichtig zu betonen, dass es nach außen hin vielleicht ganz anders aussehen mag, vielleicht sehr gewalttätig aussehen mag, aber von mir ausgesehen, in mir innen drin, passiert ganz viel, der Körper reagiert ganz extrem drauf. Und dann tut das nicht weh, das ist zwar ein Schmerz, aber es intensiviert die Gefühle, die in mir ablaufen. Dann ist das nicht der gefühlte Schmerz, wie wenn ich irgendwo vom Baum runterfalle, so, sondern es ist eben wie Magie, wie Magie nehme ich das wahr. Sprecherin: Viele, die sich heute selbstbewusst als Sadomasochisten bezeichnen, haben einen langen Weg der Selbstfindung hinter sich. Bei den meisten taucht das Bedürfnis nach einer anders gearteten Sexualität spätestens im frühen Erwachsenenalter auf. Das Durchschnittsalter beim Coming-Out liegt bei 22 Jahren. Viele empfinden den Prozess als befreiend. Andere haben Probleme damit, den Wunsch nach Erniedrigung, Schmerz oder der Inszenierung von Gewalt als Teil ihrer Persönlichkeit anzuerkennen. Und tatsächlich ist es zunächst nicht einfach zu verstehen und zu vermitteln, warum die Erfahrung von scheinbar negativen Gefühlen stimulierend oder gar positiv erlebt werden sollte. 26 O-Ton Schüler: Auslöser war der Film "Eine gefährliche Methode", ja, das war für mich der Auslöser. Ich habe eigentlich immer versucht, das Ganze zu verdrängen, nicht haben zu wollen. Ich hab meine Neigung gehasst, obwohl ich weiß, dass ich sexuell da sehr intensive Sachen erleben kann, und weil da auch immer eine Sehnsucht war. Für mich war es sehr sensibel, weil ich da sehr verletzbar bin. Wenn da von außen etwas reinkommt im Sinne von: Du bist nicht ok. Sprecher Noch bis 1994 war Sadomasochismus als psychische Krankheit eingestuft, die es zu therapieren galt. Bis heute gilt Sadomasochismus im DSM4 und ICD 10, den US-amerikanischen und europäischen Diagnoseleitfaden für Psychische Erkrankungen, als behandlungsbedürftig, wenn Leidensdruck bei den Betroffenen bestehe. Im Gegensatz zu anderen europäischen und außereuropäischen Ländern ist der deutsche Blick auf einvernehmliche sadomasochistische Handlungen juristisch sehr liberal. Hierzulande müssen Sadomasochisten nicht fürchten, strafrechtlich verfolgt zu werden. Auch das Sorgerecht für das gemeinsame Kind oder der Arbeitsplatz sind nur selten in Gefahr. 27 O-Ton Grimme: Ausnahmen sind natürlich alles, was mit Kindern zu tun hat, Kindergärtnerinnen, Kindergärtner, Leute die in kirchlichen Betrieben arbeiten, so Tendenzbetriebs-mäßig, da gelten natürlich andere Spielregeln. Aber ich kenne Polizisten, die sich völlig selbstverständlich mit ihrem Dienstmotorrad vor der SM-Kneipe stehen, reinkommen, einen Kaffee trinken und dann weiter auf Streife fahren. Oder andere Leute, die auch eine gewisse Prominenz haben, die auch keinerlei Probleme damit haben. Aber natürlich haben die Sadomasochisten nicht die bislang günstige Situation, wie sie die Schwulen haben, das irgendeiner sich hinstellt, der wirklich im Medienrampenlicht steht und sagt: Ich bin Sadomasochist und ich bin stolz darauf. Das haben wir leider nicht gehabt. Und es gibt natürlich prominente Leute, die das nicht unterm Deckel halten, dass sie SMer sind, es aber auch nicht an die große Glocke hängen wollen, weil sie sagen: (...) ich möchte weiterhin der bayrische Kabarettist sein und nicht der perverse Kabarettist. Sprecher Je nach Zeitströmung wird das Phänomen Sadomasochismus in die Hölle verbannt, kriminalisiert, therapiert oder idealisiert. Dabei sagen die Erklärungsmodelle und Fremdzuschreibungen von Sexual- und Kulturwissenschaftlern oft mehr über die Ängste und Wünsche der jeweiligen Gesellschaft aus, als über den Sadomasochisten, der in ihr lebt. Sprecherin Das Sexuelle sei vielleicht die einzige Kraft neben der Religion, die die Macht habe, den menschlichen Geist zu sprengen, sagt Susan Sontag in ihrem Essay über "Die Geschichte der O". Und der Schmerz, sollte man vielleicht hinzufügen. Durch die Verbindung von Lust und Schmerz, von positiven und negativen Gefühlen birgt der Sadomasochismus mehr als alle anderen Spielarten des Sexuellen das Potential, die Grenzen des menschlichen Bewusstseins zu auszuloten. Das ist die große Linie, die sich von De Sade über die "Geschichte der O" bis zu dem heutigen Verständnis von Sadomasochismus zieht. Sprecher Die gelebte Realität sei aber, sagt Therapeutin Lüßenhop, und das dürfe man nicht vergessen, 28 O-Ton Lüßenhop: ... das vieles schiefgeht, dass es Abstürze gibt. Dass es heute ein Ja zu: ich möchte devot sein, ich möchte mich hingeben und morgen Abscheu ist. Es ist alles viel komplizierter als: SM ist schön und leicht und intensiv. Das sind die Highlights. Es ist schwierig. 29 O-Ton Schüler: . ... Und ich hätte mir da auch mehr Unterstützung gewünscht, auch mehr Offenheit und nicht nur Klischee und Gewalt und Missbrauch. Dass da ein offener Umgang stattfindet,... dass das auch in der Gesellschaft anerkannt ist, dass ich mich nicht verstecken muss. Sprecher: Die Autorin Kathrin Passig glaubt im Hinblick auf den Erfolg von "Fifty Shades of Grey": 30 O-Ton Passig: dass das auch für E.L.James so PR-technisch gar nicht die schlechteste Strategie ist, zu sagen, das hat mit SM gar nix zu tun, das ist "a love story with a kink", weil das einfach viel leichter vermittelbar ist. Weil so viel historischer Ballast an dieser SM-Diskussion dran hängt, dass man das einfach leichter hat, wenn man sagt, man fängt einfach noch mal von vorne an. Dass man sagt, das hier sieht zwar genauso aus, ist aber was ganz anderes. Sprecherin Und Sexualwissenschaftler Häberle, der in seinem Leben schon die ein oder andere sexuelle Revolution miterlebte, hält Einteilungen ohnehin für kulturelle Konstrukte: 31 O-Ton Häberle: DEN Sadomasochisten gibt es nicht und ab wann man welches Etikett auf sich selber klebt, ... das ist ja dann keine Wissenschaft mehr, das ist Sozialpsychologie oder Kulturgeschichte oder etwas anderes. O-Ton Häberle: Aber man wird da nie sich wirklich hineinleben können, wenn man nicht selbst ein entsprechendes ... Talent (lacht) will ich es mal nennen, (lacht) hat. Das hat nicht jeder. Ist ja auch nicht jeder musikalisch. 2