Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) DeutschlandRadio Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 10.12.2012, 19.30 Uhr Retten, was zu retten ist Ein Tag mit der Bankerin Gabriele Müller von Dani Parthum Intro Mission Impossible Theme/ Schritte Sprecher Retten, was zu retten ist Ein Tag mit der Bankerin Gabriele Müller Ein Feature von Dani Parthum Atmo 1 Flughafen Sprecherin Gabriele Müller ist früh dran an diesem Dienstagmorgen im November. Beim Gehen weht ihr offener, schwarzer Mantel zur Seite. Die 48-Jährige ist leitende Managerin bei der Ersten Abwicklungsanstalt. O-Ton 1 Müller Es ist kurz vor halb sieben, in Düsseldorf am Flughafen. Und ich werde heute nach London fliegen, in 'ner guten halben Stunde. Sprecherin Trotz der frühen Uhrzeit strahlen Gabriele Müllers braune Augen wach und fröhlich. Sie ist zierlich, eher klein, brünett, hat halbkurz geschnittene Haare, ein mädchenhaftes Lächeln, zarter Lippenstift. Sie trägt ein schwarzes Etui-Kleid mit einem honiggelben Halstuch aus Seide. Dazu flache Schuhe. Sie reist mit kleinem Handgepäck: Rollkoffer, schwarze Handtasche. Atmo 2 "Ausweise bitte" ... "Guten Morgen" ... "Danke" Sprecherin Auf dem Weg zum Abfluggate nimmt sie sich Zeitungen mit, zwei Wirtschaftsblätter, eine überregionale Tageszeitung. O-Ton 2 Müller Ich fliege im Monat meist ein bis zweimal, davon in der Regel alle acht Wochen nach London und ab und zu auch international zu anderen Standorten, könnte New York sein, ich bin regelmäßig in Irland, ich bin dort in einem Aufsichtsrat. Fliegen macht mir nichts aus. Aber ich bin froh, dass ich nicht jede Woche im Flugzeug bin, ich bin früher teilweise öfters gereist. Sprecherin Mit "früher" meint Gabriele Müller die Zeit vor 2010, als sie unter anderem für die Investmentbank Merrill Lynch Geld an den Kapitalmärkten eingesammelt und für die Europäische Zentralbank Risiken abgeschätzt hat. Seit zweieinhalb Jahren aber ist sie keine gewöhnliche leitende Bankerin mehr, die Umsatzziele überbietet und Boni erhält. Müller hat jetzt ein anderes Ziel. Sie will den Milliardenschaden klein halten, den die Westdeutsche Landesbank durch Größenwahn und Selbstbedienung verursacht hat. Müllers Job gehört zu den herausforderndsten der Republik und zu den heikelsten. Und sie muss dafür regelmäßig auch nach London - um zum Beispiel mit Analysten, also Marktexperten, zu sprechen; Banker nennen sie Researcher. O-Ton 3 Müller Ich treffe mich dort mit Kollegen, die in London mit uns arbeiten und für uns unser Portfolio betreuen, ich treffe auch Geschäftspartner, eine Investmentbank, und außerdem noch einen Kollegen aus einem Researchbereich aus einem anderen Haus, mit dem ich und mein Kollege über die Märkte sprechen wollen. Sprecherin Die so oft zitierten "Märkte" sind für Müller der Dreh- und Angelpunkt ihrer Arbeit. Sie muss diese "Märkte" beobachten, verstehen, Stimmungen deuten, um im richtigen Moment eine Entscheidung zu treffen - wie eine Pokerspielerin im Casino. Dafür sammelt sie alle Informationen, die sie bekommen kann. Atmo 3 Durchsagen, fertig zum Starten, Flugzeug startet Sprecherin Mit Verspätung hebt das Flugzeug Richtung Heathrow ab. Musik Lab Test Sprecherin Gabriele Müller arbeitet für die Erste Abwicklungsanstalt, die EAA. Das Land Nordrhein- Westfalen, die ortsansässigen Sparkassen und der Bund haben dieses Institut Ende 2009 gegründet. Sie wollten damit die Westdeutsche Landesbank, die WestLB, retten. Die Anstalt nahm der Landesbank Kredite und Wertpapiere in Höhe von knapp 80 Milliarden Euro ab, viele höchst ausfallgefährdet. Es lässt sich auch sagen: Die EAA kaufte sie ihr ab; in Vorleistung sind die Steuerzahler getreten. Im Juli übernahmen die Abwickler dann noch ein 100 Milliarden-Paket. Denn die EU-Kommission bestand darauf, die WestLB ganz zu schließen. Musikakzent Lab Test Sprecherin Mit welchen teils aberwitzigen Geschäften sich die WestLB ruiniert hat, weiß die charismatische Müller sehr genau. Es ist ihr Job, das zu wissen. Sie leitet in der Abwicklungsanstalt das so genannte Portfolio-Management, das heißt, sie ist verantwortlich für die übertragenen Kredite und Anlagepapiere. Sie hat mit ihrem Team das schwere und umfangreiche Erbe der WestLB sortiert und kategorisiert. Schicht für Schicht. Jetzt versucht sie zu retten, was zu retten ist und die Milliarden wieder hereinzuholen - im Auftrag der Steuerzahler. Musik Ende Tusch Atmo 4 Flugzeuginnenraum Sprecherin Im Flieger bestellt Müller Tee, liest Zeitung, keine Akten. Sie stimmt sich auf den Tag ein, denkt noch mal über ihre Fragen und Argumente für ihr Gespräch mit der Investmentbank nach. O-Ton 4 Müller Ich habe heute Nachmittag noch einen Termin mit einer Bank, die eine interne Abwicklungseinheit selbst hat und mit der wir Erfahrungen austauschen wollen, wie sie mit bestimmten Portfolios selbst umgegangen ist, wie sie Abbau erfolgreich erreichen konnte. Was die Faktoren waren, das ist ein wichtiger Teil dieser Reise heute. Sprecherin Taktisch gehe sie dabei nicht vor, sagt sie, wie selten bei Treffen mit potentiellen Abnehmern der Kredite und Anlagepapiere der WestLB: O-Ton 5 Müller Ich verhandle mit Investoren nicht. d.h. wir führen keine Verkaufsgespräche. Sondern wir führen Informationsgespräche über unser Portfolio, wir sprechen öfters mit Investoren und die interessieren sich dafür, was ist unser Portfolio, was haben wir vor, was sind unsere Pläne. Insofern geht es weniger um Taktik, sondern mehr um Transparenz zu schaffen, um Informationen zu geben. Sprecherin Gabriele Müller ist für solche Gespräche gern persönlich vor Ort, wegen der Atmosphäre. O-Ton 6 Müller Da kommt der Faktor Vertrauen ins Spiel. Dass man sich gegenseitig auch andere Informationen bereitstellen kann, die man oft am Telefon nicht gleichartig austauschen würde. Manchmal weiß man ja nicht, was will der Gesprächspartner, dann ist es wichtig - zuzuhören und dann zu verstehen, was sind die gewünschten Informationen, die zu vermitteln oder sich auch weitere Informationen selbst zu holen. Das ist auch Technik, wie bekomme ich die Informationen, die ich gerne möchte. Sprecherin Während sie das sagt, lächelt sie leicht. Und man nimmt ihr sofort ab, dass sie die Informationen und Einschätzungen bekommt, die sie möchte. Müllers Art ist verbindlich, zugewandt, selbstbewusst. Das erzeugt Vertrauen. Mit einer halben Stunde Verspätung landet die Maschine. Atmo 5 Heathrow, Tube Sprecherin Durch das Menschengewimmel des Großflughafens Heathrow eilt Müller mit eleganter Slalomtechnik, runter zum Heathrow Express, einem Regionalzug, der sie rasch in die City bringt, und hinein in die überfüllte Tube, die Londoner U-Bahn. Atmo 6 lautes Hupen, Schritte, Stimmen, Moped, ... Koffer rollt über lautes Pflaster Sprecherin Nach einer Stunde erreicht die Managerin ihr Ziel. Ein acht Stockwerke hoher Büroturm. Noch kürzlich residierte hier die WestLB. Am Eingang steht jetzt Portigon. Hinter dem nichtssagenden Kunstnamen steckt der Teil der zerschlagenen WestLB, der als Dienstleister für Banken und Finanzinstitute weiter arbeitet und sich mitten in der Umstrukturierung befindet. Hauptkundin und damit Haupteinnahmequelle ist die Erste Abwicklungsanstalt, insbesondere Müllers Abteilung Portfoliomanagement. Atmo 7 ... reingehen in Tür, Vorhalle von Portigon, jemand begrüßt Müller, "wenn du was brauchst, melde Dich" "Mach ich" ... Atmo 8 Fahrstuhl Sprecherin Ein Kollege aus ihrem Team in Düsseldorf und einer der Portigon warten bereits auf sie. Die drei begrüßen sich vertraut, duzen sich. Etwa 350 Mitarbeiter beschäftigt die Portigon allein in London. O-Ton 7 Müller Die Leute von der Portigon sind unserer Schnittschnelle und unser Kontrahent im Markt. Und ohne die geht es nicht. Sprecherin Sagt Müller. Denn die Abwicklungsanstalt hat zurzeit nur 100 Angestellte, inklusive der beiden Vorstände. Die Portigon arbeitet ihr zu. Allein wäre der Abbau der Unternehmenskredite, Staats- und Unternehmensanleihen und höchst komplexen Anlagepapiere der WestLB, die einmal rund 180 Milliarden Wert waren, nicht zu schaffen. Was die Papiere heute wert sind, das ist die große Frage. Wert im Sinne: Wer würde welchen Preis bezahlen? Um das herauszufinden, analysieren Müller und ihr Team weltweit Daten wie Währungskurse, Zinssätze und Wachstumsprognosen, analysieren politische Stimmungen und hören sich bei Investoren um, welche Papiere oder Kredite sie interessieren würden. Die Portigon hilft bei diesem Sondieren, führt Buch über die jetzt noch 150 Milliarden Euro und organisiert den Abverkauf z.B. der Firmenkredite. O-Ton 8 Müller Die haben auch die Vollmacht für uns Verträge mit Dritten einzugehen. Bei uns werden keine Verkaufsentscheidungen getroffen und die Kollegen und die Teams von der Portigon führen für uns z.B. eine Auktion durch, in der sie sicherstellen, dass dieser Kredit zum bestmöglichen Preis im Markt verkauft wird. Dabei wird sichergestellt, dass zumindest drei verschiedene Investoren auch ihre Preise abgegeben haben, aber wir kennen nicht den Investor für die einzelne Transaktion. Das ist für nicht wesentlich für uns. Wesentlich ist, den besten Preis zu erzielen und vorher einzuschätzen, gibt es genug Nachfrager für einen bestimmten Kredit oder ein Wertpapier. Sprecherin Die Unternehmenskredite, Staats-, Kommunal- und Firmenanleihen aus aller Herren Länder werden also ganz ähnlich wie bei Ebay oder Christie's versteigert. Interesse ist vorhanden! Von den anfangs 180 Milliarden hat die Anstalt schon mehr als 30 Milliarden losgeschlagen. Atmo 9 Auktion Sprecherin Der beste Preis ist dabei der Betrag, mit dem zum Beispiel ein Kredit oder eine Kommunalanleihe bei den Abwicklern in den Büchern steht, zuzüglich der Zinsen, die sie bis Laufzeit-Ende eingebracht hätten. Die Abwickler verkaufen aber nicht zu jedem Preis, schon gar nicht, wenn er unter dem Buchwert liegt, das würde einen Verlust bedeuten. O-Ton 9 Müller Wenn wir aber wissen, wir bekommen in einer überschaubaren Zeit das Geld zurück, dann werden wir diesen Kredit nicht mit Verlust verkaufen, sondern wir halten ihn so lange, bis wir die Rückzahlung bekommen und ja auch die Zinszahlungen. Sprecherin Überhaupt sind die Zinsen, die Kredite und Staatsanleihen abwerfen, wichtig. Mit ihnen decken die Abwickler ihre Kosten und bilden Reserven für Verluste. Über konkrete Geschäfte, also den Inhalt des Portfolios, spricht Gabriele Müller nur ungern. Namen nennen Abwickler ohnehin nie. Müller betont lieber: O-Ton 10 Müller Das Konzept funktioniert. Und es ist darauf angelegt, durch Abwarten aber auch durch gute Refinanzierungskosten Kredite halten zu können, wenn sie gut sind, aber auch die schlechteren Kredite zuerst zu verkaufen und nicht sozusagen das Tafelsilber. Also, es lässt sich nach wie vor gut verkaufen der Kreditbereich, schon seit wir angefangen haben, gibt es eine große Nachfrage nach Krediten. Sprecherin Und davon hat die Abwicklungsanstalt Tausende von der WestLB erhalten. Die Landesbank hatte großzügig Geld für Hotels, Häfen, Bürotürme und Golfplätze ausgereicht, vor allem in den USA. Was zurzeit nicht gut laufe seien europäische Staatsanleihen, sagt Müller. Die Portfoliomanagerin entscheidet aber nicht selbst, was zu welchem Zeitpunkt verkauft wird. Das ist Sache der Eigentümer, des Landes NRW und der Sparkassen. Müller gibt ihren Vorgesetzten, den Vorständen Matthias Wargers und Markus Bolder, eine Empfehlung, und die reichen sie in der Gremienhierarchie weiter. Um den passenden Verkaufszeitpunkt zu finden, befragt Müller auch Fachleute. Und deshalb hat sie heute Philip Gisdakis von der Großbank Unicredit nach London zur Portigon eingeladen, er reist aus München an. Ihr zweiter Termin an diesem Tag. Atmo 10 Treffen mit Gisdakis (anklopfen) Hallo Geht es gut? Ja, danke dass Sie sich Zeit für uns nehmen ... " ich glaube Sie haben schon meine Kollegen kennen gelernt ... servus, guten Morgen! Dann legen wir gerne mal los ... Sprecherin Gabriele Müller und Philip Gisdakis kennen sich gut, telefonieren und treffen sich regelmäßig. Der studierte Chemiker ist in der Branche bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Die Gastgeberin achtet noch darauf, dass jeder etwas zu trinken hat, und dann gibt sie das Wort an den Analysten. O-Ton 11 Mitschnitt Gisdakis 57'' Ja ähm, wir haben einen eher konstruktiven view auf die Eurozone, auf die Märkte, auf dieses Jahr schon gehabt, und auch auf nächstes ... ich habe da eine Analyse auf Seite 4 meiner Präsentationen zusammen gefasst ... also was erwartet der Markt an Wachstum... Sprecherin Kreditspreads, tail-risks, cost cuttings - Müller und ihre beiden Kollegen hören dem Analysten aufmerksam zu, Tee und Kaffee kühlen aus. Der Laie denkt: Finanzkauderwelsch! Gisdakis spricht auch über Zinsen italienischer Staatsanleihen, den spanischen Arbeitsmarkt und über Wachstumserwartungen in Europa - und beantwortet Fragen. O-Ton 12 Mitschnitt Gisdakis/Müller Aber wer kauft dann, wer kauft dann die Banktitel? Gisdakis: Ich glaub, die Umsätze auf den Sekundärmärkten werden klein bleiben. Die Investoren, die um jeden Preis rausgehen mussten oder wollten, die sind schon draußen ... Sprecherin Nach einer dreiviertel Stunde Erkenntnisgewinns erklärt Gabriele Müller freundlich aber bestimmt, dass sie sich jetzt zurückziehen, um vertraulich noch ein paar Dinge zu bereden. Also ab hier ohne Journalistin. Musik Lab Test Sprecherin Die Erste Abwicklungsanstalt in Düsseldorf, die erste so genannte "Bad Bank" Deutschlands, hat den Anspruch, transparent zu sein und der Öffentlichkeit Einblicke in ihre Aufräumarbeiten des WestLB-Desasters zu geben. Sie tut das kontrolliert und dosiert. Um die Leiterin des Portfoliomanagements begleiten zu dürfen, stellte die Anstalt eine Bedingung: Sie will Müllers Aussagen vorab sehen und zurückziehen dürfen. Sie hat keine zurückgezogen. Musik Lab Test, Endtusch Sprecherin Als Philip Gisdakis mit seiner Präsentation fertig ist, nimmt er sich noch etwas Zeit. Die Abwicklungsanstalt sei für seinen Arbeitgeber Unicredit eine spezielle Kundin, erklärt er, weil dahinter das Land Nordrhein-Westfalen steht. O-Ton 13 Gisdakis Bei der EAA ist es im Wesentlichen so, dass es ein Prestigekunde ist. Meine Person, meine Arbeit ist eine Dienstleistung, die die Bank dem Kunden zur Verfügung stellt, allgemein, und hofft dann, dass man mit Transaktionen Geld verdient. Was auch wichtig ist, ist das die Bezahlung in Anführungszeichen auch dadurch kommen kann, dass man weiß, was im Moment gerade passiert, dass ein zentraler Kapitalmarktspieler weiß, wer macht denn jetzt was. Und in dem Sinne ist eine Organisation wie die EAA ein nicht unwichtiger Kunden, weil man wissen muss, was denken die eigentlich, was tun die gerade und was passiert gerade am Markt. Sprecherin Besser informiert zu sein als andere ist eine harte Währung unter Finanzakteuren. Wer mehr weiß, sieht Gewinnchancen früher. Und wer aus messbaren Daten wie Risikoaufschlägen die besseren Schlüsse zieht, ist anderen voraus. Deshalb holt Portfoliomanagerin Müller auch die Meinung des Kreditspezialisten ein - und Gisdakis kommt gern von München nach London. Ein Gewinn für beide. O-Ton 14 Gisdakis Die Kunden stellen Nachfragen und wenn sie nicht meiner Meinung sind, bohren sie nach und wollen im Prinzip sehen, wie reagiere ich darauf. Eigentlich ist es nicht so sehr meine Meinung, die zählt, sondern meine Argumente, die mich zu meiner Meinung bringen. Die meisten Investoren laden sich verschiedene Researcher aus verschiedenen Häusern ein, am besten mit unterschiedlichen Meinungen, um herauszufinden, wo steht man mit seinen Überzeugungen und seinen Analysen. Sprecherin Dass die Argumente, die Philip Gisdakis vertritt, seine eigenen sind, darauf legt er Wert. Denn die Unicredit ist selbst potentielle Kundin der Abwicklungsanstalt. O-Ton 15 Gisdakis Das ist meine eigene Meinung. Ich erzähle auch eine Meinung, die gegebenenfalls nicht die Meinung ist, nach der mein Arbeitgeber investieren würde. Ich darf nicht wissen, welche Geschäfte genau unsere Bank mit welchen Kunden macht. Auch die Kunden möchten das vermutlich nicht, ich soll möglichst unabhängig meine Analysen machen und meine Ideen vorstellen. Sprecherin Müller jedenfalls scheint zufrieden mit Gisdakis Gedankenanstößen zu sein. Sie verabschiedet ihn herzlich und schlägt gut gelaunt vor, Essen zu gehen. Atmo 11 Straße ... gehen zum Essen ... Sprecherin Die gebürtige Österreicherin geht zum Lunch am liebsten in eine Sandwichkette ums Eck, wie die meisten Londoner, und nicht in eines der teuren Restaurants. Müller hat acht Jahre in der City gelebt; das prägt. Sie nimmt Salat. Während sie isst, erzählt sie offen und unverstellt von sich: dass sie auf Pausen achtet, um Energie zu tanken und den Kopf frei zu bekommen, sie mit ihrem Mann in der Nähe Münchens wohnt und nach Düsseldorf pendelt, ins Fitnessstudio geht und Actionfilme mag. Atmo 12 Restaurant Sprecherin Ihre Bankkarriere hat die Volkswirtin 1988 ausgerechnet bei der WestLB begonnen. Müllers Aufstieg beeindruckt: mit 32 Jahren leitet sie bei der Depfa-Bank das Kapitalmarktgeschäft, kümmert sich darum, dass die Bank immer Geld hat; später Wechsel in leitende Positionen zu HypoVereinsbank und Merryl Lynch. Stets verantwortet sie Milliarden. 2004 heuert sie als Risikomanagerin bei einer Londoner Versicherung an. Die verheddert sich aber in der Finanzkrise. Mit 44 ist Müller arbeitslos. O-Ton 17 Müller Ich habe einmal meinen Job verloren in der Finanzkrise. Dass ich geraten bin in den Mittelpunkt einer Krise und aus nächster Nähe auch gesehen habe, wie sich das anfühlt, auch für einen selber und für mein Umfeld, wenn sich Dinge schlecht entwickeln, das war sehr lehrreich. Und daraus war auch meine Schlussfolgerung, das was ich gelernt habe, über viele Jahre hinweg, das würde ich gerne einbringen, und ein Teil der Lösung für die Probleme sein. Sprecherin Gabriele Müller ist allerdings zu sehr Profi und sich wohl ihrer Position bewusst, um sich auf ein Gespräch über den Zustand des Finanzsystem einzulassen und über persönliche Lehren aus der Finanzkrise. Was sie antreibt? Intellektuelle Neugier und der Wille, Verantwortung zu übernehmen. Und bei ihrer jetzigen Aufgabe auch die Dimension. O-Ton 18 Müller Das Portfolio ist sehr, sehr groß, die Aufgabe war völlig neu, die EAA war das erste Institut dieser Art und das passt in meinen Lebenslauf zu sagen, ich möchte etwas Neues tun, und kann dann auch mitgestalten, und das hat mich besonders gereizt an der Aufgabe. Sprecherin Nach einer Stunde Mittagspause bricht Müller auf. Ihr letzter Termin für den Tag steht an - der Erfahrungsaustausch mit einer britischen Investmentbank, die auch ein potentieller Investor ist. Das Gespräch soll vertraulich bleiben, also ohne journalistische Begleitung. Atmo 12 Restaurant weiter Sprecherin Wer aber sind die Investoren, die am Erbe der WestLB interessiert sind, an den Firmen- und Immobilienkrediten, Staats- und Unternehmensanleihen und wahnwitzigen Anlagekonstrukten und warum kaufen sie die? Musik Lab Test Sprecherin Interessenten sind etwa zehn Investmentbanken darunter Goldman Sachs, JP Morgan, die Deutsche Bank, außerdem Zentralbanken und Versicherungen. Sie haben Unmengen an Geld anzulegen, suchen Rendite. Sie interessieren sich deshalb für die Staats-, Kommunal- und Unternehmensanleihen. Hedgefonds dagegen fragen gezielt Unternehmens- und Immobilienkredite nach, Hedgefonds wie Blackstone, Cerberus und Lone Star, alles US-Schattenbanken, die nicht der Bankenaufsicht unterliegen und so größere Risiken eingehen können. Ihre Geldgeber sind vor allem Pensionskassen beispielsweise der US-Bundesstaaten und sogar der Vereinten Nationen. Interviewanfragen weisen Hedgefonds lapidar über PR-Agenturen ab und Banken reden ohnehin nicht öffentlich darüber, welche Kontakte sie zu den Abwicklern unterhalten. Musik Lab Test, Endtusch Atmo 13 Börse Sprecherin Christoph Schalast aber kennt die potentiellen Investoren, auch die deutschen. Schalast ist Anwalt, Professor an der Frankfurt School of Finance and Management und sitzt im Beirat des deutschen Lobbyverbandes der Kreditankäufer und Servicer, BKS. Christoph Schalast ist Spezialist für so genannte faule Kredite, von denen die Abwickler zur Genüge haben. Was aber macht ein Investor damit? O-Ton 19 Schalast Die Strategie dahinter ist einfach: Sie kaufen diesen Kredit mit einem gewissem Abschlag, wir können das fiktiv ja durchspielen. Sie kaufen den Kredit mit einem ursprünglichen Kreditwert von 10 Mio., da kommen dann noch mal 3 Mio. Zinsen drauf, sind 13 Mio. Sie kaufen den für 50 Prozent rein fiktiv und dann versuchen sie mit dem Unternehmen zu einer Vereinbarung bekommen, das sie in möglichst kurzer Zeit mehr aus diesem Kredit erlösen können als diese 50 Prozent. Und wenn es ihnen gelingt, mit dem Unternehmen eine Vereinbarung zu schließen, in dem das Unternehmen bereit ist, ihnen 60 Prozent zurückzuzahlen, dann haben sie 10 Prozent auf 13 Millionen - dann haben sie ein gutes Geschäft gemacht. Sprecherin Billig einkaufen und auf Wertsteigerung setzen und herausschlagen, was ein Schuldner noch zu zahlen vermag oder eine Immobilie abwirft. Und es gibt noch eine weitere Spielart, so Anwalt Schalast, weshalb Investoren Kredite von Industriekonzernen oder Mittelständlern haben wollen. O-Ton 20 Schalast Sie können natürlich auch Unternehmensfinanzierungen kaufen, um das Unternehmen zu übernehmen. Das ist das stressed-debt-investing. Das machen aber nur hochspezialisierte Fonds, i.d.R. Hedgefonds, die in diesem Bereich stark engagiert sind. Sprecherin Hedgefonds wie der US-Marktführer Lone Star. Er hat in Deutschland die spektakulär gefallene IKB übernommen - neben zwei weiteren deutschen Kredithäusern. Für Hedgefonds sind faule Firmenkredite billige Türöffner. Zahlt eine Firma ihre Raten nicht mehr, und der Hedgefonds hat den Kredit gekauft, kann er verlangen, den Kredit in eine Firmen-Beteiligung umzuwandeln. Und schon sitzt er mit am Tisch, wie Lone Star 2006 beim Modelleisenbahn-Hersteller Märklin. Oft folgt dann die Zerschlagung der Firma. Tausenden europäischen Firmenkrediten haftet zurzeit das Etikett "faul" an - auch in Deutschland. Fachleute wie Anwalt Christoph Schalast nennen sie "Non-Performing- Lones", kurz: NPLs. O-Ton 21 Schalast Ich habe jede Woche einen Investor aus den USA, der anruft und fragt, ob es nicht irgend ne Chance gibt hier in Deutschland in NPLs zu investieren. Wir haben zurzeit einen klaren Verkäufermarkt. Die Abwicklungsanstalt hat eine sag ich mal Traumkonstellation. Und wenn sie jetzt beginnt, sie ist ja zum zweiten Mal befüllt worden, dann wird sie jetzt ein gutes Marktumfeld finden. Soweit sie verkauft! Sprecherin Denn sie muss nicht verkaufen. Noch nicht. Die Abwickler haben bis zum Jahr 2027 Zeit. Dann soll Müllers Job erledigt sein. Dann sollen die Altlasten von zurzeit noch rund 150 Milliarden Euro für das Land Nordrhein-Westfalen Geschichte sein, dann lässt sich bilanzieren, wie kostspielig das Erbe der WestLB war. Sind dann aber auch alle Risiken für die Steuerzahler weg? Atmo 13 Börse Frankfurt Atmo 14 London, Straße, Atmo Hoteltür auf Sprecherin Kurz vor 18 Uhr trifft Gabriele Müller in ihrem kleinen, einfachen Hotel im Stadtteil Notting Hill ein. Sie ist vom Tag geschafft. O-Ton 22 Müller Aufgestanden um viertel vor fünf, und um kurz nach sechs am Flughafen getroffen, und jetzt ist es Londoner Zeit 18 Uhr 15, also es ist schon ein längerer Tag, aber auch ganz normaler Tag eigentlich. Das Netzwerken und die Kontakte und Informationen darüber, was andere tun oder was andere im Moment auch denken, wie bereiten sich Investoren auf das nächste Jahr vor, welche Arten von Krediten oder Wertpapieren werden gesucht - das sind Informationen, die ich heute bekommen habe und insofern bin ich zufrieden. Sprecherin Morgen hat Gabriele Müller weitere Termine in der Londoner City. Zurück in Düsseldorf wird sie ihr Team über die Gespräche unterrichten und die nächsten Verkaufsstrategien beraten. - Die Portfoliomanagerin zweifelt nicht daran, dass an dem Tag, an dem alles verkauft ist, auch die finanziellen Risiken für die Steuerzahler ausgestanden sind. O-Ton 23 Müller Zunächst aus Sicht der EAA ist das Risiko erst einmal weg, denn es ist nicht mehr bei uns und insofern ist das Risiko für den Steuerzahler auch abgebaut, aus unserer Sicht. Wir prüfen nicht, an wen dieses Wertpapier verkauft wird. Wir sagen nicht, es darf innerhalb Deutschlands nicht an einen Investoren, Bank oder Versicherung oder Partner verkauft werden, das ist nicht unsere Aufgabe. Die Frage ist, wo findet sich das Wertpapier letzten Endes in unserem System und im Finanzsystem wirklich wieder. Wenn es in den Kreislauf wieder eintritt, und es kommt später nochmal zu einem Problem, könnte es sein, das an anderer Stelle Belastungen und sei es auch nur indirekt durch höhere Prämien einer Versicherung, auch wieder beim Steuerzahler ankommt. Sprecherin Denn natürlich sind auch die Abwickler ein Rädchen im überhitzten Weltfinanzsystem. Knirscht es dort, werden nicht nur die Milliardenschäden des WestLB-Desasters in ihrer Abwicklungsanstalt sichtbar, sondern auch in der Volkswirtschaft, bei den Steuerzahlern und Sparern. Solche Szenarien findet Müller spekulativ. Musik Lab Test Sprecherin 5 Milliarden Euro sind als Verlust der WestLB-Pleite ohnehin gesetzt, Land und Sparkassen tragen sie zur Hälfte und damit die Bürger. Dieser Verlust steht außen vor. Aber auch sonst baut sich ein Minus auf. Nach zweieinhalb Jahren Abbauarbeit liegt der Verlust bei 2,4 Milliarden Euro. Über den gesamten Zeitraum bis 2027 aber sind nur 3 Milliarden eingeplant. Ist das Scheitern also absehbar, geht die Wette auf die Zukunft, den Schaden klein zu halten, doch nicht auf? Nach einem 12-Stunden Arbeitstag zögert die patente Müller erstmals lange mit einer Antwort. O-Ton 24 Müller T10 3:30 Ein Scheitern wäre möglich. Aber wenn wir nicht sagen würden, wir trauen uns das zu und wir gehen das mutig aber auch auf Basis von Analysen und Prognosen optimistisch an, dann würde keiner von uns den Job auch machen wollen. Musik Sprecher vom Dienst: Retten, was zu retten ist Ein Tag mit der Bankerin Gabriele Müller Ein Feature von Dani Parthum Es sprach: Viola Sauer Ton: Ralf Perz Regie: Karena Lütge Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 1