DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hhörspiel Redaktion: Sabine Küchler Feature "Von meinen Augen aus" Leben und Werk der Bühnenbildnerin Gunilla Palmstierna-Weiss Von Karl Bruckmaier Produktion: BR/DLF/WDR 2010 Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 24. Dezember 2010, 20.05 - 21.00 Uhr O-Ton Sonntag B 05 Gemurmel 6?05 (Blende in) Musik Mop M. ab ca. 0?12 ?Sea Song? bis 0?23 (darüber) SPRECHERIN: Von meinen Augen aus Musik ab 0?23 bis 0?31 SPRECHERIN: Leben und Werk der Bühnenbildnerin Gunilla Palmstierna-Weiss Musik ab 0?31 bis 0?38 SPRECHERIN: Lebenslauf, Fassung Eins SPRECHER: Gunilla Palmstierna, geboren 1928 in Lausanne als zweites Kind des Arztes Edward Erik Kule Palmstierna und seiner Frau Vera Harriete Maria, geb. Herzog, ebenfalls Ärztin. Die Herzogs sind eine deutsch-jüdische Buchdruckerfamilie, Großbürgertum. Die Palmstiernas sind schwedischer Uradel. Gunillas Eltern studieren Medizin, die Mutter ab Mitte der 30er Jahre Psychoanalyse in Wien bei Sigmund Freud. Trennung. Scheidung. Wiederverheiratung. Der neue Stiefvater heißt René de Monchy, holländischer Analytiker. Kriegswirren in Rotterdam und Berlin, Heimkehr nach Stockholm, Selbstmord der Mutter, Heirat mit dem Grafiker Mark Sylwan. Sohn Mikael kommt zur Welt. Nach der Geburt: Scheidung von Sylwan. 1952 Beziehung zum Schriftsteller Peter Weiss, Reisen, Krisen, Trennungen. 1964 dann: Heirat. 1972 kommt die gemeinsame Tochter Nadja zur Welt. Intensive Zusammenarbeit mit ihrem Mann, der 1982 verstirbt. Kümmert sich seither um seinen Nachlass. Musik ab 0?40 bis 0?49 SPRECHER: Zwischenspiel, von Frau zu Frau O-TON Sonntag A 1 ab 3?15 bis 3?46 Musik ab 0?50 bis 0?58 SPRECHER: ?also gut, Lebenslauf, Fassung Zwei SPRECHERIN: Gunilla Palmstierna, geboren 1928 in Lausanne. Aufgewachsen in Wien, Kitzbühel, Stockholm, Rotterdam und Amsterdam. In Holland Beginn der Ausbildung zur Keramikerin und erste Arbeiten im Bereich Bühnenbild. Fortsetzung der Ausbildung nach 1945 in Stockholm und Paris, danach Brotjobs als Töpferin in einem Freilichtmuseum bei Stockholm. Während der 50er Jahre ca. zwanzig große Wandreliefs für öffentliche Bauten in Schweden. Bühnenbildnerische Studien in Paris und den USA. Ausstellungsdesign. Als Schauspielerin und Ausstatterin tätig bei den Experimentalfilmen ihres Lebensgefährten Peter Weiss. Zu Beginn der 60er Jahre verstärkt tätig an schwedischen Bühnen als Szenographin, also zuständig für Kostüme, Beleuchtung und Bühnenbild. Geht in dieser Funktion mit Peter Weiss nach dessen Wandlung zum Theaterautor an die großen Bühnen Ost- und Westeuropas, dazu bühnenbildnerische Arbeit für die Regisseure Fritz Kortner, Peter Brook, Götz Friedrich und schließlich Ingmar Bergman, SPRECHERIN cont.: mit dem Gunilla Palmstierna 25 Jahre lang in halb Europa zusammenarbeitet. Zahlreiche Theaterintendanzen werden ihr angetragen; 1994 wird ihr der Professorentitel verliehen; 1997 zeigt eine große Ausstellung in Bochum ihrer Zeit am Theater. Sie arbeitet wesentlich mit an der Erschließung des Nachlasses von Peter Weiss und wird 1997 für ihre Verdienste um die deutsch-schwedischen Beziehungen mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Zurzeit lebt sie in Stockholm und schreibt an ihrer Autobiographie. Musik ab 0?59 ? 1?16 SPRECHERIN: Familie Palmstierna O-Ton Samstag A 1 ab (leicht umstellen) ?Das ist eine alte adlige Familie, die nie viel Geld hat gehabt und immer im Protest gewesen ist? SPRECHER: Der Großvater Erik - Pietist, Herrenhuter, Swedenborgianer ? wird vom überzeugten Liberalen zum Sozialdemokraten? O-Ton Samstag A 1 5?08 ? 5?15 SPRECHER: ?und 1917 Außenminister im Kabinett der ersten Links-Regierung unter Kanzler Hjalmar Branting. Danach fast zwei Jahrzehnte Schwedens Botschafter in London. O-Ton Samstag A 1 7?38 ? 7?46 7?55 ? 8?27 SPRECHER: Aber die Liberalität und Exzentrik des Großvaters, die frauenrechtlerischen Ambitionen der Großmutter wirken nur nach außen. Nach innen wird an den Standestraditionen festgehalten. Zum Teil bis heute? O-Ton Samstag A 4 0?42 ? 0?57 Samstag A 3 3?13 ? 3?33 SPRECHER: Bereits Gunilla Palmstiernas Eltern - er adliger Ministersohn, sie jüdische Großbürgerstochter - versuchen möglichst großen Abstand zu gewinnen zu den rigiden Verhältnissen in Schweden. O-Ton Samstag A 10 4?10 ? 4?19 5?51 ? 5?55 SPRECHER: So kommt Gunilla Palmstierna zwei Jahre nach Bruder Hans in Lausanne zur Welt. O-Ton Samstag A 11 3?33 ? 3?37 Musik ab 1?17 ? 1?31 SPRECHER: Auf der Couch SPRECHERIN: Von der Schweiz geht es nach Frankreich, von Frankreich nach Wien zu Sigmund Freud. Psychoanalyse ist in den Jahren zwischen den Kriegen der letzte Schrei - Ich, Es und Über-Ich der Cyberspace unserer Großeltern. Wer auf sich hält, legt sich auf die Couch. Kinder stören. O-Ton Samstag A 9 4?08 ? 4?30 SPRECHERIN: So werden Hänsel und Gretel für fast zwei Jahre mal in einem Heim, mal bei einer Metzgersfamilie in Kitzbühel untergebracht? O-Ton Samstag A 9 5?51 ? 6?02 5?23 ? 5?37 Samstag A 8 4?22 ? 4?54 SPRECHERIN: In der Wiener Psycho-Szene lernt Vera Palmstierna den holländischen Analytiker René de Monchy kennen. Sie lässt sich von Kule scheiden und heiratet 1937 de Monchy. Die Kinder kommen mit nach Rotterdam. Musik ab 1?31 ? 1?38 SPRECHERIN: Holland oder ?Pas avant les enfants? O-Ton Samstag A 8 0?13 ? 0?22 1?41 ? 1?48 SPRECHER: Pan-Europa in Rotterdam ? in welcher Sprache verkehrte man schließlich? 1?28 ? 1?35 O-Ton Samstag A 11 4?16 ? 4?36 SPRECHER: Gunilla mochte den neuen Stiefvater, musste erst noch lernen, dass er sie und die Mutter genauso würde fallen lassen wie seine Frauen und Kinder zuvor. Trotzdem: O-Ton Samstag A 8 0?24 ? 0?32 (Übergang: ?aber?seine engste Freunde?) 0?43 ? 0?55 SPRECHER: Kultur wird zur Parallelerfahrung während der Wirren im 2. Weltkrieg. Ästhetik wird zum Widerstand. Der Widerstand entwickelt eine eigene Ästhetik. O-Ton Samstag A 7 4?13 ? 5?12 SPRECHER: Aus dieser Erfahrung speisen sich später Diskussionen mit Peter Weiss, aus denen sich direkt der Titel seines monumentalen Romans ?Ästhetik des Widerstands? ableiten lässt. Und der Krieg ist ganz nah: (über Musik) SPRECHERIN: Ich sehe noch den Rauch, die brennende Stadt, selbst die Hafenanlagen brannten. Eine graue Menschenmenge schob sich aus dem Stadtinneren hervor, Alte und Junge, Kinder, auch Hunde. (?) Ein Aschenregen fiel auf die brennende Stadt und färbte alles grau. Stille, kein Vogel sang, im Luftdruck waren alle umgekommen. (?) Ich selbst stand in einer Fensternische, in den Armen meinen kleinen einjährigen Bruder (Alan) und war vermutlich so grau wie die Menge, die sich schweigend draußen vorbeischleppte. (Musik Ende) SPRECHER: So beschreibt Gunilla Palmstierna den Angriff Nazi-Deutschlands auf Rotterdam am 14. Mai 1940. Peter Weiss, der den Krieg nur aus der Ferne erlebt, wird ihr später diese Erfahrungen geradezu neiden und manche davon in kaum veränderter Form in seine Schriften aufnehmen: O-Ton Samstag B 1 3?36 ? 4?20 SPRECHER: Nach dem Einmarsch der Hitler-Truppen wird der Mutter die Erlaubnis entzogen, als Ärztin zu praktizieren. De Monchy, obwohl im Widerstand gegen die Nazis aktiv und selbst zeitweise im Gefängnis, hatte sie als ?Jüdin? gemeldet. Doch Vera und die Kinder schützt der schwedische Pass vor Deportation. O-Ton Samstag A 11 5?23 ? Schluss SPRECHER: 1945 gelingt es Vera de Monchy-Herzog mit Hans, Gunilla und dem kleinen Allan ein Flugzeug nach Berlin zu besteigen, von wo aus sie weiter nach Schweden reisen sollen. Was Vera nicht weiß: René de Monchy hat Spionagematerial in ihren Mantel genäht und die Reise ist eigentlich eine Geheimdienstaktion. O-Ton Samstag A 13 0?28 ? 0?42 1?49 ? 2?07 Musik ab Anfang SPRECHER: Knoten und Lösungen SPRECHERIN: Gunilla Palmstierna ist inzwischen 18 und versucht sich nach dem Krieg in Amsterdam ein eigenes Leben aufzubauen. O-Ton Samstag A 7 0?23 ? 1?07 2?01 ? 2?10 SPRECHERIN: Mutter und Stiefvater nehmen in Stockholm ihre Tätigkeit als Psychoanalytiker wieder auf ? doch: Arzt, heile dich selbst: 1947 begeht Vera de Monchy-Herzog Selbstmord. O-Ton Samstag A 8 4?56 ? 5?17 SPRECHERIN: Ein Jahr später ? hier schlägt das Schicksal wilde Kapriolen - wird der junge Peter Weiss um eine Psychoanalyse bei de Monchy nachsuchen, also beim ungeliebten Stiefvater seiner späteren Frau, aber da Weiss nicht über Geld verfügt, weist dieser ihn ab. Musik SPRECHERIN: Exkurs Peter Weiss 1 (Musik) SPRECHER: Der während des 1. Weltkriegs in Neubabelsberg geborene Peter Weiss folgte seinen Eltern Ende der 30er Jahre über die Tschechoslowakei und Großbritannien nach Schweden, wo sein Vater in einer Provinzstadt eine Textilfabrik leitete. Weiss versucht sich von der bürgerlichen Existenz der Eltern frei zu machen und beginnt ein Bohème-Leben als Maler und Schriftsteller. Doch Weiss ist staatenlos, ein Emigrant. Im tendenziell fremdenfeindlichen Schweden jener Jahre stößt er mit seinen Aufführungen, Buchveröffentlichungen und Ausstellungen fast nur auf Ablehnung. Er lernt perfekt Schwedisch, auch um sich zu assimilieren und geht diverse Ehen ein, aus denen zwei Kinder stammen. Immer wieder psychoanalytische Behandlungen. 1949 treffen sich Gunilla Palmstierna und Peter Weiss erstmals bei einem Auftritt des indischen Tänzers Ram Gopal. Weiss zu Palmstierna: O-Ton Samstag A 3 2?28 ? 2?37 SPRECHERIN: Gunilla Palmstierna nimmt nach dem Krieg ihre kunsthandwerkliche Ausbildung wieder auf: Textiles Gestalten in Stockholm, Keramik, Bühnenbild in Amsterdam ? und verdient sich ihren Lebensunterhalt durch Modellstehen. Am dortigen Filmmuseum jedoch wird das junge Mädchen ohne Mittel und Titel abgewiesen. O-Ton Samstag A 7 2?47 ? 3?09 SPRECHERIN: 1948 heiratet die Zwanzigjährige sehr zur Freude der Familie den erfolgreichen Grafiker Mark Sylwan, ein Jahr später kommt der gemeinsame Sohn Mikael zur Welt. Doch ganz schnell folgen Trennung und Scheidung. O-Ton Samstag B 5 3?31 - Schluss O-Ton Sonntag A 2 1?13 ? 1?17 SPRECHER: Beide haben ein Kind aus einer unglücklichen Beziehung an der Hand. O-Ton Sonntag A 2 1?20 ? 3?00 (Musik) SPRECHER: Politik und Bohème O-Ton Samstag A 4 3?05 ? 3?12 3?17 ? 3?42 4?36 ? 4?54 5?06 ? 5?16 SPRECHERIN: Und wenn sich die Gelegenheit bietet, dann reist man nach Paris? O-Ton Samstag A 5 0?31 ? 0?45 SPRECHERIN: Man hört Alban Berg und Gerry Mulligan, indische Musik und Stockhausen? O-Ton Samstag A 5 1?17 -1?21 1?25 ? 2?02 2?56 ? 3?05 (über Stockhausen Musik) SPRECHER: ?Heute Nachmittag Zyklus für einen Schlagzeuger (?) von Stockhausen. Wieder dieser Zustand des Aufnehmens, des Entgegennehmens (?). Dieses sind die Augenblicke, in denen ich mein Dasein am intensivsten empfinde. (?) (Diese Musik) bedeutet für mich eine Verdeutlichung meiner eigenen Absichten?? SPRECHERIN: Peter Weiss in ?Das Kopenhagener Journal? (Musik Ende) SPRECHERIN: Kunst am Bau O-Ton Sonntag A 3 7?03 ? 8?23 8?31 ? 9?12 9?22 ? 10?30 SPRECHER: Bis Anfang der 60er Jahre entstehen ca. 20 großformatige Wandreliefs an Krankenhäusern, Verwaltungsbauten, Wohngebäuden in ganz Schweden. Außerdem gründet Gunilla Palmstierna eine Freie Kunstschule? O-Ton Sonntag A 3 4?20 ? 4?57 (Musik) SPRECHER: Exkurs Peter Weiss 2 (Musik) SPRECHERIN: Seit 1952 also sind Gunilla Palmstierna und Peter Weiss ein Paar. Weiss entfernt sich während der 50er Jahre immer mehr von der Malerei, wendet sich dem Film zu. Bis 1960 entstehen zahlreiche Experimental-, Dokumentar- und Spielfilme. Weiss unterricht wie Gunilla Palmstierna an der Stockholmer Volkshochschule, schreibt, illustriert, übersetzt. 1959 erscheint sein erstes Buch bei Suhrkamp: ?Der Schatten des Körpers des Kutschers?. Ein neues Leben, eine neue Karriere? darüber: O-Ton Samstag B 6 5?25 ? 6?34 (Musik) SPRECHER: Der schwierige Mann O-Ton Samstag A 6 0?16 ? 0?23 A 5 5?05 ? 5?07 A6 0?23 ? 0?26 SPRECHERIN: Nach den diversen gescheiterten Ehen versucht das junge Paar, die ?große Freiheit? zu leben: Weiss? Ruf als Schürzenjäger ist Teil der deutschen Literaturfolklore und kann bis ins schmerzhafteste Detail in den mit Unterstützung von Gunilla Palmstierna editierten Büchern ?Kopenhagener Journal? und den ?Pariser Manuskripten? nachgelesen werden. (über Musik) SPRECHER: ?Es ist so, naturgemäß sehe ich die Frauen als Freiwild an, naturgemäß spüre ich vor jeder Frau, die mich anspricht, den Wunsch, sie auch körperlich zu berühren, vor allem (?), wenn ich durch meine Filmarbeiten oft auf Wochen oder Monate von Gunilla getrennt bin.? Aus ?Das Kopenhagener Journal? (Musik Ende) O-Ton Samstag A 6 1?17 ? 1?29 SPRECHERIN: Doch 1959 ist das Maß des Tolerablen für Gunilla Palmstierna erreicht. O-Ton Samstag B 8 0?22 ? 0?26 1?37 ? 3?26 (über Musik) SPRECHER: ?Gunilla ist das Feste und Bleibende in meinem Leben - (?) Hier liegt ein Kompromiss, möglicherweise ein Selbstbetrug (?) und die sexuelle Unbefriedigtheit lässt auch eine wirkliche Konsequenz nicht zu.? (Musik Ende) SPRECHERIN: 1964 heiraten Gunilla Palmstierna und Peter Weiss auf Drängen ihres Anwalts. Er flehte sie angesichts des ewigen Papierkriegs geradezu an: O-Ton Samstag B 6 4?34 -4?49 (Musik) SPRECHERIN: Nie wieder Deutsch oder: Gruppe 47 SPRECHER: Als Gunilla Palmstierna dem zerbombten Berlin entfliegt, schwört sie sich, nie wieder ein deutsches Wort in den Mund zu nehmen. Auch nicht gegenüber Peter Weiss. O-Ton Samstag A 13 4?31 ? 4?34 4?45 ? 4?56 5?29 ? 6?01 6?06 ? 6?16 Sonntag A 3 1?23 ? 2?13 SPRECHER: Trotz aller Neugier und wiedergewonnener Offenheit irritiert Gunilla Palmstierna der vom Schriftsteller Hans Werner Richter einberufene Dichter-Zirkel Gruppe 47, der bis 1967 in Deutschland das literarische Maß der Dinge bleibt? O-Ton Sonntag A 2 4?41 ? 4?53 5?04 ? 5?08 5?10 ? 5?27 SPRECHER: Themen, die ihr am Herzen liegen, etwa die Gleichstellung der Frau oder der Umgang mit den zahlreichen Kindern, finden nicht statt. Sie macht ihre eigenen Beobachtungen ? ?von ihren Augen aus?? O-Ton Sonntag A 3 2?37 ? 3?03 (Musik) SPRECHER: Der Durchbruch oder: Marat/Sade SPRECHERIN: Peter Weiss? Veröffentlichungen bei Suhrkamp und seine Einladung zur Gruppe 47 verändern auch das Leben von Gunilla Palmstierna. Weiss findet endlich ein Publikum, findet Kritik und Anerkennung, findet ein Auskommen. Und Gunilla Palmstierna muss sich entscheiden zwischen Keramik und Szenographie. O-Ton Sonntag A 4 2?52 ? 2?55 Sonntag A 5 1?27 ? 1?35 SPRECHERIN: Das Stück. Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade. Drama in 2 Akten von Peter Weiss. Premiere am 29. April 1964 am Schillertheater in Berlin. Weltweit mehr als hundert Adaptionen während der ersten zehn Jahre. In Stockholm, London und am Broadway gespielt. Verfilmt. Weltweit Inspiration für die protestierende Jugend. Wenn Gunilla Palmstierna nicht in Pariser Archiven wühlt, arbeitet das Paar Tür an Tür auf die Premiere in Berlin hin. O-Ton Sonntag A 5 1?39 ? 1?56 2?34 ? 2?52 (über Musik) SPRECHERIN: ?Während der Zeit, in der wir lasen und änderten, saß ich (zusätzlich) an den Skizzen und baute ein Bühnenmodell. In meinem Tagebuch ist aber auch viel von Haushalt, Kochen und Kindern die Rede, vom Service für die Herren und von Abendkursen, durch die das Geld für den täglichen Unterhalt hereinkam. Honorare gab es erst später.? (Musik Ende) O-Ton Sonntag A 5 2?53 ? 3?29 SPRECHER: Dies zieht sich wie ein roter Faden durch die Karriere von Gunilla Palmstierna: außerhalb Schwedens wird sie oft nur als Frau des Groß-Schriftstellers Peter Weiss wahrgenommen. Die Verfilmung von ?Marat/Sade? wird ihren Namen ebenfalls nicht nennen und der Tony Award, Amerikas höchste Bühnenauszeichnung, geht nicht nur an Weiss und Brook für das ?Beste Stück?, sondern auch an Gunilla Palmstierna für die Kostüme, was anfangs kaum Erwähnung findet. Und wenn sie mit Peter Weiss Ende der 60er Jahre Nordvietnam bereist und die beiden einen Text mit dem Titel ?Bericht über die Angriffe der US-Luftwaffe und ?Marine gegen die demokratische Republik Viet Nam? verfassen, dann nennt der deutsche Verlag zuerst auch nur den Namen von Peter Weiss. Dabei lag dieser die meiste Zeit in einem Krankenhaus in Hanoi. O-Ton Sonntag B 9 2?29 ? 2?37 2?49 ? 3?10 Sonntag B 10 0?20 ? 0?47 1?03 ? 1?33 SPRECHERIN: Zu solcher Radikalität mag man sich nicht einmal zu Zeiten der Studentenrevolte versteigen. Jedenfalls: Marat/Sade wird ein Triumph. Der Autor steht im geliehenen Konfirmationsanzug auf der Bühne und nimmt die lang vermissten Ovationen entgegen. Hinter der Bühne wartet bereits ein junger englischer Regisseur? O-Ton Sonntag B 1 6?51 ? 7?15 5?36 ? 5?51 SPRECHERIN: Nicht ganz so toll ist, dass man offenbar erwartet, Gunilla Palmstierna werde ohne Honorar arbeiten. Doch die junge Frau setzt sich in London in Sachen Geld durch und wirbelt auch ansonsten Staub auf? O-Ton Sonntag B 2 2?22 ? 3?37 SPRECHERIN: Besonders gut kommen Kostüme und Hass zur Geltung in der Schlusssequenz des Peter Brook-Films, als die vom Regisseur mit Alkohol versorgten Schauspieler betrunken auf das Filmteam losgehen wollen und nur durch einen Gitter-Vorhang gebändigt werden können. O-Ton Sonntag B 2 5?38 ? 5?48 (Musik) SPRECHERIN: Szenographie oder: Arbeit für die Bühne (Musik) O-Ton A 7 Sonntag 1?32 ? 2?07 SPRECHER: Der Erfolg von ?Marat/Sade? lässt dem nicht mehr ganz jungen Paar kaum Zeit zum Atmen. Weiss schreibt, als wisse er um seine arg begrenzte Lebenszeit: Die Ermittlung, den Gesang vom Lusitanischen Popanz, Stücke zu Hölderlin, Kafka, Trotzki sowie den Roman ?Ästhetik des Widerstands?. Gunilla Palmstierna betreut nun szenographisch alle Premieren neuer Weiss-Stücke ? kurz vor seinem Tod im Jahr 1982 wagt das Paar sogar eine gemeinsame Regie ? ein folgerichtiges, aber zum Scheitern verurteiltes Experiment. O-Ton Sonntag A 9 5?17 ? 5?19 5?24 ? 6?03 6?22 ? 6?42 SPRECHER: 1966 beginnt die jahrzehntelange Zusammenarbeit als Bühnen- und Kostümbildnerin mit Ingmar Bergmann in Stockholm, München und Salzburg. Dazwischen: Reisen. Politisches wie auch künstlerisches Engagement. Etwa 1967 in Kuba. Eingeladen vom Salon de Mai, einer antifaschistischen Künstlergruppe aus Paris, reisen Palmstierna und Weiss nach der Teilnahme am Russel-Tribunal gegen den Vietnam-Krieg nach Havanna, das Gunilla Palmstierna auch mit den Augen der Künstlerin betrachtet? O-Ton Sonntag B 6 3?10 ? 3?52 4?54 ? 5?13 5?19 ? 5?33 SPRECHER: ?wo sie Macbeth mit Fritz Kortner realisiert hat. Doch wichtiger als große Namen ist Gunilla Palmstierna seit eh ein demokratischer Arbeitsprozess ? ihr eigentliches Markenzeichen. O-Ton Sonntag A 6 3?45 ? 3?58 4?25 ? 5?12 SPRECHER: Demokratie heißt aber nicht Anarchie? O-Ton Sonntag A 7 4?24 ? 5?03 5?19 ? 5?31 6?07 ? 6?18 Sonntag A 8 0?30 ? 1?32 (Musik) SPRECHER: Ihr Leben nach seinem Leben (Musik) SPRECHERIN: 1982 stirbt Peter Weiss. Künstlerwitwen gelten schnell als böse Hexen, die einen sinnvollen Umgang mit dem Erbe des verstorbenen Gatten unmöglich machen. Doch Gunilla Palmstierna hält kurz nach dem Tod von Peter Weiss eine viel beachtete Rede bei der postumen Büchner-Preis-Verleihung und auch wenn sie zwei Jahrzehnte streitbar die Rechte ihres Mannes vertreten, seinen Nachlass betreuen, schließlich eine große Peter-Weiss-Ausstellung kuratieren wird: Sie sieht sich vor allem als Ermöglicherin. O-Ton Sonntag C 1 0?48 ? 0?53 SPRECHERIN: Frau Professor Palmstierna, Mitglied der schwedischen Theaterakademie, werden in den Jahren nach 1982 insgesamt vier Theaterintendanzen angetragen, doch sie bleibt lieber der praktischen Bühnenarbeit verbunden ? fast zwei Dutzend Aufführungen von Kopenhagen bis Moskau tragen seither noch ihre Handschrift und die ihres Sohnes Mykael, mit dem sie im Lauf der Jahre immer enger zusammen arbeitet. O-Ton Sonntag C 7 0?51 ? 1?02 SPRECHERIN: Im Herbst 2010 reist Gunilla Palmstierna nach Potsdam. Eine Straße wird nach Peter Weiss benannt. Sie will bei der Ehrung anwesend sein und gleichzeitig ihre Tochter Nadja treffen, die zurzeit in Berlin als Schauspielerin arbeitet. Auf junge Menschen wie ihre Tochter oder ihre Enkel setzt Gunilla Palmstierna all ihre Hoffnung. Sie hat zeitlebens nicht an schnelle Erfolge und endgültige Lösungen geglaubt ? sondern eben an die Kraft des demokratischen Prozesses, den Literatur-Nobelpreisträger Vargas-Llosa ?die Negation der Utopie? nennt, an die stetige, aber langsame Entwicklung der Dinge zum Besseren: auf der Bühne wie im Leben. O-Ton Samstag B 3 1?53 ? 2?37 3?11 ? 3?19 (Musik) SPRECHER: Von meinen Augen aus - Leben und Werk der Bühnenbildnerin Gunilla Palmstierna-Weiss SPRECHERIN: Eine Sendung von Karl Bruckmaier mit Kathrin von Steinburg und Nico Holonics SPRECHER: Mitarbeit: Isabella Bruckmaier Technik: Susanne Herzig Redaktion: Dieter Hess Produktion: Bayerischer Rundfunk 2010 mit dem Westdeutschen Rundfunk und dem Deutschlandfunk Produktionsangaben: Sprecher: Kathrin von Steinburg, Nico Holonics, je 10 min Text Literatur: Weiss, Peter ?Das Kopenhagener Journal? (Wallstein Verlag Göttingen 2007), ca. 1 min Palmstierna, Gunilla ?Szenographie? (Museum Bochum, Bochum 1997), ca. 1 min Musik: Karlheinz Stockhausen ?Zyklus für einen Schlagzeuger? Ausführender: Mircea Ardeleanu (Koch Schwann CD 310 020 H1) ca. 1 min Olivier Messiaen ?Oraison? Ausführende: Ensemble d?Ondes Mertentot de Montréal (Sub Rosa SR 250) ca. 1 min Robert Wyatt ?Sea Song? Ausführende: Mop Meuchiine (Le Chant du Monde 163) ca. 4 min O-Ton: Gespräche mit G.P. am 12. und 13. Juni 2010 ca. 32 min 1