Deutschlandradio Kultur. Forschung und Gesellschaft Bioplastik statt Jutebeutel? Das Versprechen der Ökokunststoffe Autorin: Anja Krieger Redaktion: Jana Wuttke Regie: Klaus-Michael Klingsporn Ton: Ralph Perz Sprecherin: Katharina Burowa Sprecher: Thomas Holländer Atmo 1 Berlin, Schönhauser Allee Musik unter O-Ton Collage (1) O-Ton Passanten Vom Plastik erwart' ich nicht bio. Ist auch Chemie, 'ne, oder nicht? (2) O-Ton Passantin Was isch Bioplastik? Aha, ja, Plastikbecher, wo Bio draufsteht, oder? Man gibt das den Kindern und man glaubt, das sei etwas Wunderbares! (3) O-Ton Passant Ich find' Bioplastik schlecht. Das find' ich gelogen. Also zum Beispiel im Bioladen, die ganzen Tüten, die sind alle aus Bioplastik. Aber ich find' Papier viel besser. Find ich viel ökologischer. Also, Bioplastik kommt mir vor wie 'ne Lüge. (4) O-Ton Passantin Vielleicht ist er ja besser abbaubar. Keine Ahnung. Vielleicht ist es auch einfach nur ein Zusatzname, um Menschen zu locken, mit gutem Gewissen dann diese neue Plastikart zu kaufen. Keine Ahnung, das kann ja auch sein, 'ne? Musikakzent (5) O-Ton Andrea Siebert-Raths Es gibt biologisch abbaubare Werkstoffe, es gibt kompostierbare Werkstoffe, es gibt biobasierte Werkstoffe... (6) O-Ton Johannes Ganster Biobasiert, bioabbaubar. Biobasiert, nicht bioabbaubar. Petrobasiert, bioabbaubar, und petrobasiert, nicht bioabbaubar. Musikakzent Sprecherin Kürzlich las ich vom Plastik im Meer. Weit draußen entstehen Wirbel aus Kunststoff, in denen sich Plastik und Plankton, Müll und Lebewesen, Natur und Chemie vermischen. Ich schaute mir den Film "Plastic Planet" im Kino an. Der Film entlarvt Kunststoff als eine gefährliche Sucht der menschlichen Zivilisation, ein Material voller Giftstoffe und Gefahren, das nie verschwindet und auch den letzten Winkel der Erde auf Jahrhunderte verschmutzt. Musikakzent Sprecherin Ob wir unsere schönen, praktischen Sachen aus Plastik, die Verpackungen, Computer, Kleider und Spielsachen, jemals wieder ohne schlechtes Gewissen benutzen können? Musikakzent Sprecherin Zuerst gab es die neuen Tüten im Biomarkt, in der Ecke mit Obst und Gemüse. Sie sahen etwas anders aus als normale Plastiktüten, milchig, farblos. Und sie fühlten sich anders an, weicher irgendwie, fast wie Seide. Wie Natur. Biokunststoff. Musikakzent Sprecher Noch fallen weniger als ein Prozent aller weltweit produzierten Kunststoffe unter den Begriff Biokunststoff. Laut European Bioplastics, dem europäischen Verband für Hersteller, wächst das Marktvolumen um 20 Prozent pro Jahr. Wissenschaftler der Fachhochschule Hannover schätzen die Produktionskapazität für Biopolymere im Jahr 2011 weltweit auf etwa 1,2 Millionen Tonnen. Im selben Jahr wurden etwa 280 Millionen Tonnen konventioneller Kunststoffe hergestellt, so PlasticsEurope. Die wichtigsten Biokunststoff-Produkte sind derzeit Verpackungen und Einkaufstüten. Musikakzent Sprecherin Jetzt gibt es Biotüten auch bei Billig-Supermärkten und Discountern. Eine neue Generation von Kunststoff ist das, nicht mehr milchig und blass, sondern genauso bunt, glänzend und fest wie normale Tüten. "100 Prozent kompostierbar" steht da drauf, oder "Zeig der Umwelt ein Lächeln". Aber was macht diese Tüten, die aussehen wie normales Plastik, besser, umweltfreundlicher, als andere? Der Transportweg könnte der erste Faktor sein. Viele Tüten kommen nämlich nicht aus Asien, sondern aus Neuruppin in Brandenburg. Musikakzent / Szenenwechsel Atmo 2 Draußen mit Vogel-Gezwitscher Sprecher Neuruppin liegt nordwestlich von Berlin, zwischen Wiesen und Feldern, an einem langgestreckten See. Im Süden mündet die Stadt in ein kleines Gewerbegebiet. Dass hier Monat für Monat mehrere Millionen Tüten aus Biokunststoff produziert werden, sieht man dem kleinen Werk nicht an. Die Ruppiner Papier- und Folienwerke beliefern große Supermärkte in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz. Sprecherin Innen platzt die Fabrik aus allen Nähten. Maschinen und Lager für Tüten, Servietten, Alufolie, stapeln sich bis an die Decke. Im Hof liegen dicke Plastikbündel wie Heuballen herum. Atmo 3 Extruderlärm langsam hoch Dahinter, in einer eigenen Halle, steht der Extruder. Das ist eine riesige Maschine, die Tag und Nacht unentwegt Bahnen von Plastikfolie ausspuckt. Mal mit Biokunststoff, mal mit Polyethylen. Fertigungsleiter Ronny Oelke kümmert sich um die Produktion. (7) O-Ton Ronny Oelke Wie gesagt, Dreischichtextruder, das sieht man hinten an diesen drei Dosierstationen. Dort ist eigentlich das Geheimnis, was wir haben. Denn jede der drei Schichten der Folie setzt sich aus verschiedenen Granulaten zusammen. Das ist das, wo wir sagen, das ist unsere Rezeptur, wovon mache ich wieviel in welche Schicht der Folie rein, mit welcher Temperatur wird das gefahren, wieviel Luft geht in den Luftschlauch hinein, und so weiter. Das sind alles diese Sachen, die natürlich nicht öffentlich sind. Ja? Also, unser Know- how möchten wir da ja nicht verraten. Sprecher Der Extruder funktioniert wie eine große Plastik-Knetmaschine. Aus den Einfüllbehältern läuft Granulat in die heißen Schnecken und kommt als weißer Schlauch aus Plastik aus einer ringförmigen Öffnung oben wieder heraus. Der Kunststoff fährt mehrere Meter hoch bis in den zweiten Stock, wird dabei getrocknet, dreht unter der Decke ab und kehrt in komplizierten Bahnen zurück zum Boden, wo er auf große Rollen gespult wird. (8) O-Ton Ronny Oelke Das ist hier jetzt diese Bio...hier sehen Sie, der greift sich, der hat eine ganz andere Haptik schon. Der greift sich schon ganz anders an, hat ne weichere Haptik. Und man riecht es auch, dass hier Natur drinne steckt. Das ist jetzt keine Chemie mehr. Man riecht hier wirklich, dass hier die Natur im Granulat enthalten ist. Komplett anders wie PE, ne? Und wenn das Material in der Maschine ist, riecht man das eigentlich auch ein ganz kleines bisschen in der Produktionshalle. So'n bisschen wie Pommes riecht's dann. Also, man kriegt ständig Hunger, wenn man hier reingeht. Atmo Extruderlärm im Sprechertext runter und weg Sprecherin Die feinen, weißen Tröpfchen aus Granulat riechen tatsächlich speziell, ein bisschen wie trockenes Heu. Natürlich. Vom Hof aus geht es in die nächste Halle. Dort rattert die riesige Druckmaschine. Atmo 4 Druckmaschine (9) O-Ton Ronny Oelke ...denn wenn wir 'ne biologisch abbaubare Tüte anbieten, dann muss natürlich auch die Farbe, die auf der Tüte ist, biologisch abbaubar sein. In dem Sinne halt für uns das A und O wasserbasierend, lösemittelfrei, abbaubar. Und schwermetallfrei. Das ist auch noch ganz wichtig, dass eventuelle Schwermetalle nicht zurück in den Kreislauf, in den Boden gelangen könnten. Sprecherin Das Granulat selbst kaufen die Tütenwerke fertig ein. Das ist ein Kunststoff, der teilweise aus fossilen, teilweise aus pflanzlichen Rohstoffen hergestellt wird. Atmo Druckmaschine runter Verwendet wird dazu die Polymilchsäure, abgekürzt PLA, die man aus Maisstärke gewinnt, erklärt Jens Boggel, der sich um den Vertrieb der Tüten kümmert. (10) O-Ton Jens Boggel Ich nehme die Pflanze, gewinne daraus die Stärke, die Stärke wird fermentiert, und über den Fermentierungsprozess erzeuge ich ein Polymer. Das Polymer selber ist in dem Moment biologisch abbaubar, das heißt es hat 'ne andere Molekülkette, die eben auf 'ner pflanzlichen Basis ist, auch wenn's in dem Moment, wo's ein Polymer geworden ist, ganz normal verarbeitet werden kann, wie ein Polyester. Und durch die Verkettung, die ich habe, aus fossilen und nicht-fossilen Rohstoffen, habe ich dann meinen Prozess soweit, dass das Gesamte dann ganz normal biologisch abbaubar und kompostierbar wird. Sprecher Das biobasierte PLA aus Maisstärke stellt allerdings nur einen Teil der Mischung, aus dem das Plastik-Granulat ist. Der andere ist Kunststoff aus fossilen Ressourcen, also auf Basis von Öl. Trotzdem ist er nach DIN-Norm kompostierbar. Hergestellt wird diese Kunststoff-Mischung rund 500 Kilometer entfernt von Neuruppin in Rheinland-Pfalz, bei einem der größten Chemiekonzerne der Welt. Musikakzent Sprecherin Wussten Sie, dass es Kunststoffe aus Öl gibt, die biologisch abbaubar sind...? Musikakzent / Szenenwechsel Atmo 5 Straße, Autos, Fahrradklingeln Sprecher Links vom Rhein, direkt gegenüber von Mannheim, liegt Ludwigshafen. Es ist trist hier, Neubauten und graue Fassaden. Nördlich der Rheinbrücke breitet sich das Gelände des Chemieriesen BASF aus, groß wie ein eigener Stadtteil. Ein gigantisches Gewirr aus bunten und silbernen Rohren, rauchenden Schornsteinen, Fabriken, Lagern und Containern streckt sich über sieben Kilometer den Fluss entlang. Auf roten Fahrrädern kreuzen die Mitarbeiter zwischen den Lieferwagen über das Werk. Die Luft riecht sauer. Atmo 6 Labor (11) O-Ton Labor Carsten Sinkel: Karl-Heinz, wieviel Grad hat der jetzt ungefähr? Karl-Heinz Jochen: Zweihundertnoch...ich hab', ehm, is' bischsche zurück gegange, wir fahren normalerweise die Reaktion bei 220 Grad. Sprecher Carsten Sinkel gehört zur Forschungsgruppe Biopolymere. Das Labor, in dem der junge Wissenschaftler arbeitet, ist durch mehrere Kontrollschranken abgesichert. Hier arbeiten die Biologen und Chemiker des BASF-Konzerns an den neuesten Innovationen in Sachen Kunststoffe. Was in den fünf Etagen des weiß verkleideten Gebäudes passiert, unterliegt höchster Geheimhaltung. (12) O-Ton Carsten Sinkel In diesem Kolben waren ursprünglich die Monomere Adipinsäure, Terephthalsäure und Butandiol enthalten. Da kommt noch ein Katalysator dazu, um die Polymerisation zu beschleunigen. Bei dieser sogenannten Polykondensation verbinden sich diese Monomere, bilden lange Ketten und Wasser wird frei. Und jetzt sieht man schon, dass da 'ne gewisse Viskosität da ist und das zeigt eben an, dass die Reaktion stattgefunden hat, dass wir jetzt eben ein Polymer haben. Sprecherin Der Labormitarbeiter gießt eine zähflüssige, blassrote Masse aus dem heißen Glaskolben auf die Arbeitsplatte. In wenigen Sekunden ist das bioabbaubare Plastik getrocknet. Was Carsten Sinkel und seine Kollegen in der kleinen Ecke des Labors vorführen, passiert auch in der Produktion. Gerade sind die Anlagen in Reparatur, erklärt die Pressesprecherin. Die Maschinen zu besichtigen ist leider nicht möglich. Atmo Labor weg Sprecher Die Fabrik liegt auf Block F 603, zwischen der Blankit- und der Benzolstraße. Rote, gelbe und mit Aluminium umwickelte Rohre schlingen sich um den etwa 30 Meter hohen Komplex ohne Außenwand. Schon seit Ende der 90er Jahre produziert die BASF hier ein fossil basiertes Polyester, das biologisch abbaubar ist. "Ecoflex" heißt die Marke. Die nötigen Chemikalien kommen vom riesigen Steam Cracker, der Dampfspaltanlage in der Mitte des Werks. Hier wird das Öl- Folgeprodukt Naphtha mit Hilfe von Dampf in seine Fragmente gespalten. O-Ton Werksrundfahrt Jens Hamprecht: ...und dann geschieht genau der Prozess, den man im Labormaßstab auch beobachten kann, dass die Verbindung der drei Rohstoffe bei hoher Temperatur das Ecoflex erzeugt. Autorin: Mmmh. Darf ich da 'n Foto machen, von der...von dem Gebäudekomplex? Jens Hamprecht: Da bitt' ich um Verständnis, dass das nicht geht, nee. Weil da ist eben tatsächlich viel Know-how, das eben den genauen Produktionsprozess ermöglicht. Sprecher Vor kurzem hat die BASF die Anlage aufgerüstet. Seitdem kann sie bis zu 74 Tausend Tonnen des Biokunststoffes pro Jahr herstellen. Wie viel tatsächlich produziert wird, fällt unter das Betriebsgeheimnis, genauso wie der Umsatz durch die neuen Kunststoffe. 2006 baute die BASF eine zweite Fabrik gleich nebenan. Der fossilbasierte Biokunststoff wird hier mit Polymilchsäure verschmolzen. Den Hybridkunststoff hat die BASF "Ecovio" getauft. Hier entsteht auch das Granulat für die Neuruppiner Tütenwerke. Atmo 7 Kompostlabor Sprecherin Wir stehen im Kompostlabor, einem kleinen Raum mit drei surrenden, weißen Trockenschränken. Die Anzeige an den Türen zeigt 58 Grad. (13) O-Ton Carsten Sinkel Das ist für eine industrielle Kompostierung eine typische Temperatur, teilweise sogar noch höher. Ja, und wenn man jetzt das Ganze mal aufmacht, sieht man, dass da eben sowas ähnliches wie Tupperboxen, also sehr unspektakulär eigentlich, drinsteht, dann dass man 'ne definierte Feuchtigkeit eingestellt hat. Und was in den Boxen drin ist, ist im Endeffekt Kompost, der hier aus der Umgebung, Frankental in der Regel, abgeholt wurde, also ein reifer Kompost, den auch der Hausbesitzer oder Gartenbesitzer in seinem Garten verwendet... Sprecherin ...wo es selten 58 Grad warm ist. Sprecher Im Kompostlabor untersuchen die Forscher, wieviel das Plastik an Gewicht verliert. Eine externe Zertifizierungsstelle testet, ob das Material tatsächlich abgebaut wird, wie es die europäische DIN-Norm 13432 verlangt. Unter Bedingungen, wie sie in einer industriellen Kompostieranlage herrschen, muss sich der Kunststoff innerhalb von zwölf Wochen in Wasser, Kohlendioxid und Biomasse verwandeln, zu mindestens 90 Prozent. Dann bekommt er das Keimlings-Siegel. Sprecherin Wenn Sie die DIN-Norm 13432 einmal selbst nachlesen möchten: Beim Beuth- Verlag bekommen Sie die schon für nur 77 Euro. Sprecher An der Luft oder im Meer wird das Material nicht so einfach abgebaut. In der Natur herrschen andere Bedingungen als in einem Kompostwerk. Biokunststoff, der auch in der Umwelt zerfällt, könnte mehr schaden als nutzen, befürchtet der BASF-Chemiker Carsten Sinkel. (14) O-Ton Carsten Sinkel Bio-Kunststoffe beziehungsweise biologisch abbaubare Kunststoffe sind keine Lösung für das Vermüllungsproblem. Das ist eine Frage von Erziehung, Aufklärung, dass eben Kunststoffe nicht einfach in der Umwelt entsorgt werden. Ja? Und beispielsweise, wenn man an das Meer denkt: Das, was wir im Kompost wollen, eben eine Desintegration, eine Auflösung zu kleinen Partikeln, und irgendwann weg, ist im Meer gar nicht so erwünscht, weil dann die kleinen Mikroben und kleinen Tierchen im Meer diese Partikel fressen können und das stellt da ein Problem dar. Sprecher Der BASF-Kunststoff eignet sich besonders gut für das Sammeln von Küchenabfällen, sagt Jens Hamprecht. Er ist bei der BASF zuständig für die Markterschließung der Kunststoffe. Dank der besonderen Eigenschaften des Materials könne Biogut hygienischer gesammelt werden. Zwei Pilotversuche haben ergeben, dass mit Tüten aus Ecovio mehr Kompostgut getrennt wird, und das ist gut für die Umwelt. Die BASF-Forschungsgruppe will deshalb weiter daran arbeiten, dass sich das Material im industriellen Kompost noch besser und schneller zersetzt. Atmo 8 Müllabfuhr Sprecherin Neulich hat die Berliner Stadtreinigung einen Versuch mit Biotüten gemacht. Wir bekamen Biotüten zugeschickt und sollten unsere Küchenabfälle darin sammeln. Seitdem ist unsere Biotonne voller Plastik. (15) O-Ton Sabine Philipp Wenn man über Kunststoffe und Ressourcenschonung nachdenkt und spricht, sollte man immer bedenken, dass Kunststoff eine Art schnittfestes Erdöl ist. Und das heißt, in dem Kunststoff steckt mehr oder weniger genau so viel Energie wie in dem Erdöl, aus dem es hergestellt wurde. Das heißt, es ist sehr sinnvoll sich zu überlegen, wie ich diesen Kunststoff nach seiner Gebrauchsphase nutzen kann. Den kann ich zum Beispiel, wenn er sortenrein vorliegt, recyceln, in andere Kunststoffprodukte verwandeln, oder ich kann den Wärmeinhalt, der ja auch im Öl steckt, in einer Müllverbrennungsanlage nutzen, in dem ich diese Wärme, diese Energie wieder zurückgewinne. Sprecher Sabine Philipp leitet bei der BASF die Pressestelle für den Bereich Kunststoffe. Als promovierte Chemikerin ist sie vom Fach. (16) O-Ton Sabine Philipp Sich einen Kunststoff vorzustellen, den ich einfach in die Ecke werfe und mir wünsche, dass sich dieser Kunststoff einfach auflöst, widerspricht eigentlich der Philosophie Ressourcen zu schonen und wiederzuverwenden. Sprecher Nachhaltigkeit, das bedeutet für die BASF-Entwickler auch weg vom Erdöl. Dafür ersetzen sie einzelne Monomere in der Polymerstruktur durch pflanzenbasierte Bauteile. Sprecherin Wie hoch der pflanzliche Anteil im Plastik der Tüten ist, verraten mir die Mitarbeiter nicht. Ich müsse verstehen, die Konkurrenz. Nur soviel kriege ich heraus: Über die Hälfte ist immer noch aus Öl. Musikakzent / Szenenwechsel Sprecher "Verbrauchertäuschung" nennt Jürgen Resch die Slogans, mit denen auf den Biotüten geworben wird. Der 52-jährige ist Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe und Biokunststoffen schon seit Jahren auf der Spur. Vom Berliner Büro des Vereins am Hackeschen Markt aus nehmen Resch und seine Mitarbeiter ein Bioplastik-Produkt nach dem anderen unter die Lupe. Erst waren es die PLA-Becher von Danone, jetzt sind es die Biotüten aus den Discountern. Als Beleg für seine Kritik dient Resch eine Umfrage bei den Betreibern von Kompostanlagen. (17) O-Ton Jürgen Resch Praktisch alle haben uns mitgeteilt, sie haben Riesenprobleme mit den Tüten, weil sie einfach nicht verrotten. Die Tüte braucht zwölf Wochen, bei hoher Temperatur und hoher Feuchtigkeit. Die normalen Rottezeiträume sind ein bis sechs Wochen, und eben durch die mehrmalige Durchwälzung geraten Tüten an die Oberfläche, werden nicht richtig heiß, nicht richtig feucht, das heißt, sie bleiben auch so bestehen. Und damit haben wir praktisch keine Kompostierung von solchen Plastiktüten. Sprecherin Die meisten Entsorger sortieren die Biotüten wieder aus, berichtet Resch. Der Grund: Wenn die Tüten in der Erde landen, bekommen die Kompostierer ihr Gütesiegel nicht. Für sehr problematisch hält Jürgen Resch auch die Rohstoffe. Laut seinen Informationen ist nur etwa ein Drittel des Materials aus Maisstärke. (18) O-Ton Jürgen Resch Wir haben bereits im letzten Jahr recherchiert, dass die gesamte Maisstärke, die zu PLA verarbeitet wird, ganz überwiegend aus gentechnologisch modifiziertem Mais besteht, das ist auch der Standardmais der USA. Es gibt überhaupt keine Möglichkeit, gentech-freies PLA zu kaufen. Das heißt, jeder der eine entsprechende Tüte kauft und vielleicht dann Bioäpfel drin transportiert, hat beim Bioapfel drauf geachtet, nicht gentech-modifiziert, aber die Tüte, mit der er dann herumläuft, hat ausgerechnet Gentech-Mais an Bord. Sprecherin Die Umwelthilfe geht deshalb mit einer großen Kampagne gegen die Billig- Supermärkte vor. Die Bio-Unternehmen, bei denen es ähnliche Tüten gibt, werden erst einmal geschont. Musikakzent / Szenenwechsel Sprecher Berlin-Grunewald. In den alten leeren Gängen des Umweltbundesamts ist nicht viel los. Der Großteil der Mitarbeiter ist in die neue Hauptvertretung umgezogen, nach Dessau. Einer der wenigen, die geblieben sind, ist Wolfgang Beier. Als Kunststoff-Experte berät Beier Entscheidungsträger in der Politik. Musikakzent Sprecherin Biologisch abbaubare Mulchfolien, die Bauern auf dem Feld gleich unterpflügen können, damit kann sich Wolfgang Beier gerade noch so anfreunden. Den Nutzen der Einkaufstüten im Biokompost sieht er kritisch. (19) O-Ton Wolfgang Beier Biokunststoffe bringen im Biokompost keinen Nutzen. Also, es entsteht bei der Zersetzung ausschließlich Wasser und CO2, davon haben wir im Überfluss, das brauchen wir nicht weiter. Aber Nährstoffe oder Mineralien, das, was im Kompost entstehen soll, bringen diese Stoffe nicht ein. Sprecher Biokunststoffe müssen in ihrer gesamten Umweltbilanz betrachtet werden, erklärt Wolfgang Beier. Dabei spielt es nicht nur eine Rolle, ob sie bioabbaubar oder pflanzlicher Herkunft sind. Von der Herstellung über Transport, Gebrauch und Entsorgung, der ganze Lebenszyklus bestimmt, welche ökologischen Auswirkungen ein Produkt hat. Bei einer solchen Ökobilanz schneiden die Biokunststoffe bisher nicht gut ab, sagt Wolfgang Beier. Zwar können pflanzliche Rohstoffe fossile Ressourcen und CO2 einsparen. Doch in anderen Bereichen kommt es zur Belastung, etwa durch Überdüngung und Feinstaub aus dem Anbau der Rohstoffe. Wer außerdem ein Material herstelle, dass gleich wieder zerfalle und nicht wieder verwertet wird, verschwendet wertvolle Energie, so der Umweltexperte. Kompostierung ist für ihn die schlechteste Lösung. (20) O-Ton Wolfgang Beier Günstig wäre aus unserer Sicht, wenn die Rohstoffe aus nachhaltiger landwirtschaftlicher Produktion stammen würden, wenn vermehrt Reststoffe der landwirtschaftlichen Produktion eingesetzt werden würden und wenn die Produkte am Ende ihres Lebensweges hochwertig verwertet werden. Das heißt in aller Regel, 'ne werkstoffliche Verwertung, so, wie wir das bei vielen konventionellen Kunststoffen auch haben. Sprecherin Wäre es also besser, die Supermarkt-Tüten in die Recycling-Tonne als in den Biomüll zu werfen? Wolfgang Beier schüttelt den Kopf. (21) O-Ton Wolfgang Beier Ich kann Kunststoffe, die eine einheitliche chemische Struktur haben, sehr gut werkstofflich wiederverwerten, indem ich sie einfach aufschmelze und ihnen eine neue Form gebe. Das ist sehr leicht möglich. Bei diesen sogenannten Mischungen, bei diesen Blends, ist das nicht möglich. Ich kann einen Werkstoff, der aus PLA besteht und aus einem fossil basierten Polyester nicht wieder werkstofflich verwerten. Szenenwechsel (22) O-Ton Hasso von Pogrell Da fühle ich unsere Branche durchaus ungerecht behandelt. Wir sind ein zartes Pflänzchen, und man sollte dieses Pflänzchen nicht gleich niedertreten, mit überzogenen Erwartungen, was die Ökobilanzen angeht. Denn von vornherein da gleich den Deckel drauf hau'n, weil wir noch nicht besser sind, in einzelnen Bereichen, als konventionelle Kunststoffe, das wär' das Kind mit dem Bade auszuschütten. Sprecherin Hasso von Pogrell ist der Geschäftsführer des Branchenverbands European Bioplastics. Die Geschäftsstelle sitzt in Berlin-Mitte, im gleichen Gebäude wie Greenpeace. Hier geht es um Lobbyarbeit. Keine leichte Aufgabe. Auch der Branchenverband definiert den Begriff Bioplastik nur unscharf. Von Pogrells Aufgabe ist, die vielen Materialien und Produkte unter einen Hut zu kriegen, ob biobasiert, bioabbaubar oder beides. Bei Medien und Verbrauchern herrschten oft falsche Erwartungen, sagt von Pogrell. (23) O-Ton Hasso von Pogrell Die Vorstellung, dass Biokunststoffe automatisch heißt, sie sind zu hundert Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen, und sie sind hundert Prozent kompostierbar, beziehungsweise am besten, Sie können's einfach in die Landschaft schmeißen, das verrottet dann ohne Probleme, das sind natürlich Vorstellungen, die nicht zutreffen. Sprecherin Wenn man die neuen Kunststoffe mit den alten vergleicht, hätten sie jedoch durchaus Potenziale für eine bessere Zukunft, findet von Pogrell. (24) O-Ton Hasso von Pogrell Also ich denke das Problem ist natürlich folgendes, dass man gerne diesen neuartigen Kunststoffen irgendwelche Auflagen aufbrummt, die die konventionellen Kunststoffe bisher nie erfüllen mussten. Es wurde bislang nie nach irgendeiner Ökobilanz eines konventionellen Kunststoffs gefragt. Ich red' jetzt von Sachen wie damals im Golfstrom, wo dann eine Ölplattform versinkt und das Meer verseucht wird, das sind alles Geschichten, die man theoretisch den erdölbasierten Kunststoffen auch mit zurechnen müsste. Sprecherin Werden Biokunststoffe wirklich die Nachteile konventioneller Plastiksorten ausgleichen? Oder nur wieder neue Probleme bringen? Sprecher Seit der Verpackungsverordnung von 2005 fallen für biologisch abbaubare Verpackungen keine Gebühren für das Duale System Deutschland an. Das soll Produkthersteller motivieren, auf Bio umzusteigen. Bis Ende 2012 soll entschieden werden, ob diese Sonderregelung in Zukunft weiter gilt. Szenenwechsel (25) O-Ton Andrea Siebert-Raths Das hat natürlich auch Image-Gründe. Niemand macht das, weil er so besonders grün ist. Die Konzerne möchten damit Geld verdienen. Das heißt, wie verkaufe ich mein Produkt am besten? Wir machen unsere Autos ja immer besser, so von der Motorentechnik. Das heißt, wir brauchen weniger Benzin beispielsweise, wir haben Leichtbauweisen, aber man kann natürlich auch was mit Kunststoffen machen. Sprecher Andrea Siebert-Raths gehört zu den Nachwuchstalenten in Deutschland, wenn es um Biokunststoffe geht. Die Bioverfahrenstechnikerin forscht am Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe der Fachhochschule Hannover an neuen Kunststoffen. Auch eine Biopolymerdatenbank hat die 33-jährige mitentwickelt. Das Wissen über Biokunststoffe wird dort öffentlich im Internet gesammelt. Mittlerweile sind Hunderte von Produkten am Markt. (26) O-Ton Andrea Siebert-Raths Biokunststoffe sind ja nichts Neues. Bio-Kunststoffe waren die ersten Kunststoffe die es überhaupt generell gab. Das heißt, wir haben angefangen mit Zelluloseblends. Zelluloid war das erste, was man an der Stelle kannte. Sprecher Die jüngere Entwicklung der Biokunststoffe lässt sich in drei Phasen einordnen. Die erste beginnt in den 90er Jahren. Biokunststoffe werden entwickelt und erforscht, können aber am Markt nicht Fuß fassen. Ihre Eigenschaften sind noch zu schlecht. Mit Beginn der zweiten Phase schaffen es die Biokunststoffe in die Bereiche Verpackung, Medizin und Landwirtschaft. Die Bioabbaubarkeit steht im Vordergrund. Jetzt, sagt Siebert-Raths, hat die dritte Phase begonnen. Biokunststoffe sollen jetzt auch für technische, langlebige Produkte, etwa im Automobilbereich, Verwendung finden. (27) O-Ton Andrea Siebert-Raths Also, von den Materialeigenschaften ist es so, dass ein riesiger Trend momentan ist, dass man weg geht von der Kompostierbarkeit und hin zur Langzeitbeständigkeit. Das heißt, man hat erkannt, dass die Kompostierbarkeit keinen Sinn ergibt. Also, wenn Sie ein Material kompostieren, dann entsteht trotzdem CO2, aber Sie haben keinen weiteren Nutzen davon. Wenn Sie aber in die Richtung Langzeitstabilität tendieren, dann können Sie wirklich Kunststoffe substituieren und fossile Rohstoffe an der Stelle tatsächlich auch sparen. Sprecher Die Zukunft der Biokunststoffe liegt für Andrea Siebert-Raths in den sogenannten Drop-In-Lösungen. Sie sind chemische Klone fossil basierter Kunststoffe, die auf pflanzlicher Basis hergestellt werden. (28) O-Ton Andrea Siebert-Raths Dass man versucht, nachwachsende Rohstoffe herzunehmen, aber die gleichen Synthesewege sozusagen nutzt. Das Polylactid ist ein neuer Kunststoff, das Polyhydroxyalkanoat ist auch ein komplett neuer Kunststoff. Aber das Biopolyethylen und das Biopolypropylen, das sind genau die gleichen Kunststoffe. Also, wenn Sie das "Bio" wegstreichen, dann haben Sie genau den gleichen Kunststoff. Wirklich nur der Unterschied, dass Sie die Quellen austauschen. Das ist der einzige Unterschied, den man an der Stelle hat. Sprecherin Bio-Polyethylen oder Bio-PE gibt es schon. Eine Firma in Brasilien gewinnt dafür Bio-Ethanol aus Zucker. Mit solchen Stoffen müssen Industrie und Entsorger ihre Abläufe nicht umstellen, keine neuen Stoffe extra sortieren, keine neuen Maschinen anschaffen. Ein Biokunststoff also, der nicht unangenehm auffällt und keine Extras braucht. Jetzt warten alle auf das Bio- Polypropylen, oder Bio-PP, sagt Andrea Siebert Raths. Sie ist sicher, dass diese Drop-in-Lösungen bald zu den wichtigsten Biokunststoffen gehören werden. (29) O-Ton Andrea Siebert-Raths Von der chemischen Struktur sind sie exakt gleich, das heißt auch ihre Eigenschaften sind exakt gleich, und das ist natürlich was, wo die Kunststoffindustrie momentan sehr heiß drauf ist. Weil sie brauchen nichts umstellen, aber sie können sich trotzdem auf die Fahne schreiben, dass sie besonders nachhaltig sind. Sprecher Zwei Drittel aller Biokunststoffe, schätzen die Forscher aus Hannover, sind derzeit bioabbaubar. 2015 wird sich dieses Verhältnis umkehren, ist ihre Prognose. Dann sind biobasierte, nicht bioabbaubare Kunststoffsorten die häufigsten Materialien. Die Produktionskapazität wird nach den Kalkulationen der Forscher dann auf etwa 2,2 Millionen Tonnen pro Jahr angestiegen sein. Musikakzent Sprecherin 1 Bioplastik ist nicht nur ein Material. Es ist ein Zukunftsmarkt. Sind die neuen Kunststoffe gut, sind sie die grüne Zukunft, oder ein Schwindel mit schönen Etiketten? Das sollten wir die Hersteller, Händler und Experten auch weiterhin fragen. Die Tütenmacher, Chemiekonzerne, Wissenschaftler und Umweltexperten werden es nicht leicht dabei haben. Die einfache Antwort, auf die wir warten, gibt es nämlich nicht. (30) O-Ton Passant Kunststoff, den man aus irgendeinem Bio, Naturstoff macht. Jaaa, was weiß Gott das, aus Pflanzen, pflanzlichen Stoffen. Aber dann ist es keine Kunst, dann ist es kein Kunststoff mehr. Wenn's aus einem natürlichen Material gemacht ist, ist es doch kein Kunststoff mehr! 22 21