DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hhörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Tel. (0221) 345 1503 Walde Huth - die Dichterin mit der Kamera von Simone Hamm URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio Regie: Klicken einer Hasselblad Kamera 01 O ? Ton Walde Das Licht ist gut, alles ist gut ? jetzt muss nur ein Wind kommen - Lieber Wind, komm. Und der Wind kommt. Das kommt nie wieder, Man muss ganz schnell sein. Kein Augenblick kommt wieder. Selbst wenn man mit Kunstlicht arbeitet. Man kann nicht wiederholen, wenn es ein Bild ist, wo man in höchster Erregung ist. So geht es mit dem Fotografieren. Man muss teils sehr schnell sein. Man muss auch warten können. Das kann ich auch. Autorin: Der Nachruf im Kölner Stadtanzeiger ist kurz. Am 11. November 2011 ist die Fotografin Walde Huth in ihrer Souterrainwohnung bei einem Brand ums Leben gekommen. Ansage: Walde Huth - die Dichterin mit der Kamera Ein Feature von Simone Hamm Regie: Zimmeratmosphäre Radio im Hintergrund, Tassen ect.) Autorin: Marienburg. In einer besseren Gegend kann man in Köln nicht wohnen. Erinnerungen an den ersten Besuch bei Walde Huth. Sommer 2008. Die zierliche alte Dame hängte ihre rote Weste über den Stuhl, warf sich einen hauchzarten Schal über die Schulter. Resolut strich sie die kurzen grauen Haare aus der Stirn. Ihre Hände, immer in Bewegung, unterstrichen jeden ihrer Sätze. Sie sprühte vor Energie. 02a Ich liebe halt eher Improvisiertes und nicht so Perfektes, Steriles. So glatte Galerien, wo die Fotografien so gehängt werden, das mag ich gar nicht. So kann ein Bild nicht wirken. Es muss zünden, wie bei der Liebe. Kann man nicht wollen. Jetzt mal so schön heftig lieben. Wenn?s nicht da ist, dann zündet es nicht mit noch so viel Glühfäden oder von der Vernunft her. A1 Regie: Atmo Köln, Öffnen von Schubladen Autorin: In Walde Huths kleinen Zimmern im Souterrain stapelten sich Bücher, Papiere, Briefe. Auch solche, die sie lange ungeöffnet liegen ließ, die von Ämtern und Behörden. Es hätten Rechnungen sein können oder Mahnungen. Und überall Fotos: ein gut aussehender großer Mann, ein weißer Schäferhund. Lachende Menschen auf der Terrasse eines Ferienhauses. Das warme Licht des Südens. Erinnerungen an ein bewegtes Leben. 03.O ? Ton Walde Huth Abendkleid vor der Oper. Wie es sich gehört. Ein Cocktailkleid vor der Bar. Und ich hab? das nicht nötig gehabt. Diese Rückbezüge von der Örtlichkeit. Ich hab?s linear gesehen. Von der Form her. Von der Gestaltung der Robe. Autorin: Walde Huth war DIE deutsche Modefotografin der fünfziger Jahre. Sie fotografierte bei den großen Schauen in Paris und brachte Pariser Flair in die deutschen Wohnzimmer. In den sechziger Jahren waren sie und ihr Mann Hugo Schmölz das gefeierte Paar der Werbefotografie. Nach dessen Tod wollte sie nur noch rein künstlerisch arbeiten. An ihre großen Erfolge konnte sie damit nicht anknüpfen. Die einstige Millionärin starb völlig verarmt und vereinsamt. In einem Haus, das ihr lange schon nicht mehr gehörte. Sie hat dort in ihrer ehemaligen Dunkelkammer gelebt, in zwei düsteren Souterrainräumen. Sprecher: Das Mannequin am Ufer der Seine trägt ein eng anliegendes, bodenlanges Kleid. Pechschwarz. Die dunklen Haare sind streng zurückgekämmt. Ein kühler Blick unter starken Brauen. Die dunklen Steine des Brückenbogens lassen ihr gepudertes Gesicht noch heller leuchten. Es wirkt noch ferner und fremder. Den Oberkörper beugt sie ganz leicht nach hinten: Patrizia, das Starmodell der Pariser Couturiers, elegant und selbstbewusst zugleich. 05 O ? Ton Walde Huth Ich fand die Brücken von Paris, das fand ich so ästhetisch, das hat mich so kolossal berührt. Da hab? ich ihr gesagt, sie sollte einfach das Pendant bilden mit ihrem Körper. So. Autorin: Walde Huth holt die Starmannequins auf die Straße, fotografiert sie vor dem Eiffelturm, an den Seineufern, zwischen Straßenkehrern und Flaneuren. 04 O ? Ton Walde Huth: .. dieses berühmte Foto von Avedon. Diese lange schwarze Seidenrobe mit dem Schal zwischen zwei Elefantenrüsseln. Und ich hab? mir befohlen: ich brauche keine Elefanten. 06 O ? Ton Pariser Wochenschau: Wir bringen Ihnen das Interessanteste und Aktuellste aus allen Ländern der Erde. In Bild und Ton. Vox tönende Wochenschau: Seit einer halben Stunde läuft die Modenschau bei Jaques Fatht. Neun Mannequins führen in pausenloser Folge die Kollektion Frühjahr und Sommer 1952 vor. Autorin: Der Krieg ist gerade ein paar Jahre vorbei. Jahrelang haben die Menschen sparen müssen. An allem. Auch an Stoffen. Die Pariser Modeschöpfer gehen verschwenderisch damit um. Alles fließt. Alles wird üppiger, prächtiger, weiter. Für ein einziges Kleid verwenden sie Dutzende von Metern Musselin. Oder Samt. Oder Seide. Oder Organza. Sie geizen weder mit Spitzen noch mit Schleifen. Sie machen vergessen, dass die Welt gerade eben noch in Schutt und Asche gelegen hat. Dass die Trümmer gerade erst weggeräumt worden sind. Christian Dior und Jacques Fath sind die einflussreichsten Modeschöpfer der Nachkriegszeit. Sie machen die Frauen wieder schön, verwandeln sie in Prinzessinnen. Mit Oberteilen, die eng anliegen und die Büste betonen. Mit schwingenden Tellerröcken, engen Bleistiftröcken. Mit raffiniert betonten Taillen und zierlichen Schuhen - spitz und hochhackig. Mit hauchzarten Strümpfen. Und Walde Huth setzt diese Mode perfekt in Szene: Patricia vor der Brücke im Jacques- Fath- Kleid: 08 O ? Ton Walde Huth Die anderen waren auch sehr schön. Jede hatte ihren Stil. Heute ist das alles so kosmetisch gekonnt. Die sind zum Verwechseln oft. Da wird nur ein Typus dargestellt, aber nicht eine Persönlichkeit. Und das waren damals eben doch Persönlichkeiten. Autorin: 1947 hat Christian Dior den New Look kreiert. It?s quiet a revolution this new look. Amerikanische Modejournalistinnen bezeichnen diesen New Look als revolutionär und versuchen alles, um in die Shows der großen Designer zu kommen, bei denen Models wie Patrizia laufen. Kritik, sein Frauenbild sei restaurativ, keine Frau könne sich in seinen Kleidern bewegen, kontert Dior mit den Worten, der Pariser Chic sei eben nicht bequem. Eine Frau, unnahbar wie eine Königin und zugleich unglaublich verführerisch. Wiedergefundene Weiblichkeit. In diesem Sinne ist der New Look nicht revolutionär. Er ist konterrevolutionär. Aber schön. Auf eine Art und Weise, die den Frauen gefällt. Den Männern sowieso. Den Fotografen. Und den wenigen Fotografinnen. Und niemand inszeniert diesen New Look so gut wie Walde Huth, sagt Horst Gläser, der ihren Nachlass verwaltet: 10 O ? Ton Horst Gläser Was mich an den Bildern begeistert hat, war die Einfachheit der Bilder auch, hervorgerufen durch Schwarz weiß. Und die Schwünge und die ganze Form der Mode. Diese ganze Weiblichkeit, die da auch drinsteckt hat mir gefallen. 11 O ? Ton 50er Fashion- Clip, kommentiert von Karl Lagerfeld:*1) Jacques Fath war ein Modeschöpfer, den ich besonders gerne mochte. Autorin: Karl Lagerfeld 11f Als Schuljunge hielt ich seine Kreationen für unerreichbar. Sie bedeuteten für mich Paris, Licht, Fröhlichkeit, Leichtlebigkeit. Dior bestimmte die Trends. Balenciaga war chic, aber Jacques Fath verkörperte das lebensfrohe Paris. Autorin: Jacques Fath kleidet Ava Gardener ein, Greta Garbo, Rita Hayworth. Er kreiert Röcke, die wie Blumenkelche aussehen, Röcke, in denen Frauen Fahrrad fahren können, weil das Benzin rationiert ist. 12. O ? Ton F.C. Gundlach Eine jede Mode braucht Öffentlichkeit - und die schaffen eben nur die Bilder. Autorin: FC Gundlach, Doyen der deutschen Modefotografie. Autorin: Walde Huths Fotografien sind mehr als Werbebotschaften. Ihre Fotos bringen den französischen Chic in deutsche Modejournale. Den Rhythmus der Zeit. Träume und Sehnsüchte. Und die Mädchen mit den abgewetzten Mänteln und den gestopften Strümpfen tauchen ein in die glamouröse Welt, die sie in den Wochenschauen und in den Zeitschriften gesehen haben. Schöne Frauen, die ganz leichtfüßig auf hohen Pfennigabsätzen über das Kopfsteinpflaster von Paris schreiten. Sprecher: Zitat: Walter Benjamin: Das brennendste Interesse der Mode liegt für den Philosophen in ihren außerordentlichen Antizipationen. Es ist ja bekannt, dass die Kunst vielfach, ?. der wahrnehmbaren Wirklichkeit um Jahre voraus greift. Man hat Straßen oder Säle sehen können, die in allen farbigen Feuern strahlten - lange ehe die Technik ?.sie unter ein solches Licht setzte. Auch geht die Empfindlichkeit des einzelnen Künstlers für das Kommende bestimmt weit über die der großen Dame hinaus. Und dennoch ist die Mode in weit konstanterem, weit präzisem Kontakt mit den kommenden Dingen - kraft der unvergleichlichen Witterung, die das weibliche Kollektiv für das hat, was in der Zukunft bereitliegt. Autorin: Aus Walter Benjamin, "Das Passagenwerk". *3) Sprecher: Zitat Walter Benjamin: Jede Saison bringt in ihren neuesten Kreationen irgendwelche geheimen Flaggensignale der kommenden Dinge. Wer sie zu lesen verstünde, der wüsste im Voraus nicht nur um neue Strömungen der Kunst, sondern um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen. - Zweifellos liegt hierin der größte Reiz der Mode, aber auch die Schwierigkeit, ihn fruchtbar zu machen. Sprecher (2): Walde Huth ist eine Dichterin mit der Kamera. Autorin: Helmut Gernsheim, Fotograf, Fotografiehistoriker und Sammler. 13. O ? Ton Walde Huth Es war in dem Kind so viel drin. Man sagte manchmal, man hätte sechs Kinder aus mir machen können. Ich hatte verschiedenen Eigennamen in der Klasse, in der Schule bekommen, Walde, auch die Mimose. Autorin: Ihre braunen Augen leuchteten, wenn sie von Stuttgart erzählte, wo sie 1923 geboren wurde, von Esslingen, wo sie aufwuchs. Von ihrem Vater, dem Ingenieur und begeistertem Hobbyfotografen, von ihrem Namen Waldberta, den sie nie mochte und bald in Walde abkürzte. 14. O ? Ton Walde Huth Ich war schon eigenartig und schwierig. Auf verschiedenen Ebenen hatte ich ja die Begabung. Die Musiklehrerein sagte, ja die muss Musik studieren. Die Deutschlehrerin, ja Germanistik natürlich. Aber ich wollte ja keine Lehrerin werden, in die Wissenschaft wollte ich auch nicht. Ich wollte ins Leben. Also Schauspielerin. Schauspielerin, das war mein ganz dringender Wunsch. Etwas darzustellen. Aber natürlich große Rollen. Autorin: Wie sie da stand in ihrem Atelier ? fast ein bisschen kokett. Legte den Kopf schräg, stützte ihn in ihre Hand. Lächelte. Sie wusste um ihre Wirkung: Ein markantes Gesicht, Augen und Nase groß, wohlgeformte Ohren. Die geschwungenen Augenbrauen tiefschwarz getönt, die grauen Haare modisch kurz geschnitten, die Lippen zartrot geschminkt. Gekleidet nicht in mattes Beige, sondern in leuchtendes Dunkelrot. Exzentrisch auch noch im hohen Alter. Man konnte sich sehr gut vorstellen, wie sie als junge Schauspielerin einen ganzen Raum hätte füllen, einen ganzen Saal hätte in ihren Bann ziehen können. 14a . O ? Ton Walde Huth Jetzt wurde ich aber nicht länger. Mein Wuchs war nicht bühnenreif, nein. Der Kopf ist ja groß genug, aber das andere. Autorin: Auch mit weit über 80 Jahren war Walde Huth noch mädchenhaft schlank. Sie war sehr klein, kaum anderthalb Meter. 15. O-Ton Walde Huth: Ich hatte eine sehr, sehr, schicke Mutti mit wunderbaren Beinen, mindestens gleichrangig wie Marlene Dietrich. Und ich fand mich so doof, so wie ich aussah, so kurze Beine und so einen großen Kopf und so einen kleinen Körper. Ich wollte doch eine große, lange Person werden. Autorin: Statt auf eine Schauspielschule geht Walde Huth 1940 nach Weimar an die Staatliche Schule für Angewandte Kunst. 16. O - Ton Walde Huth: Mit Augen lebt man eben ein doppeltes Leben, das war mir klar geworden. Autorin: Ihr Vater ist alles andere als begeistert von der Idee seiner einzigen Tochter, Künstlerin zu werden. Und Walde Huth hat sich das Leben an einer Kunstschule auch anders vorgestellt: 17. O - Ton Walde Huth: Und so hab ich ein Vierteljahr nur geheult , jede Kamera hätte ich an die Wand schmeißen können im ersten Semester in Weimer. Ja ich hasste das, das Technische. Autorin: Stattdessen streift Walde Huth durch die Stadt, den Park und beobachtet. Nimmt alles auf, was sie sieht. Gespannt. Neugierig. (Musik hoch) 18. O - Ton Walde Huth: Da war ich im ersten Semester, also noch keine 18 Jahre alt und es war graues, trübes regnerisches Wetter. Was in Weimar, im Park zu Belvedere natürlich gereizt hat zum Spazierengehen. Da waren noch Tiere da, Eichhörnchen sprangen 'rum und die sonntägliche Weimarer Bürgerschaft. Hmh. Aber es war ja auch Sauckel da und Drittes Reich. Ich hatte ein Zimmer bekommen bei der Gräfin Kayserlingk, da fuhren ja noch die Kutschen vor. Es war eigentlich ein Zwitterleben, es war Krieg. Das Dritte Reich. Sauckel, der Gauleiter. Weimar war ja eine Station. Hotel Elefant. Da trafen sich doch die Bonzen. Im Hotel Elefant. Die Bürgerschaft auch. Der alte Adel. Autorin: Und Adolf Hitler. Der kommt eigens zur Einweihung des neuen Hotels Elefant in die thüringische Gauhauptstadt gereist. Tausende von Menschen bejubeln ihn. Und lockten ihn auf den Balkon des Hotels: ?Lieber Führer komm heraus aus dem Elefantenhaus?. 19. O ? Ton Walde Huth: Ich war nie begeistert fürs Dritte Reich mit diesen Kundgebungen. Andererseits herrschten in Esslingen, die Kommunisten unglaublich vor. Man war ja froh als Schulkind - mit so acht, neun Jahren - da war mein Schulweg über den ganzen Marktplatz ?hin - man war ja froh, wenn man nicht gehauen wurde. Also diese ganzen Schlägertypen mit Zigarette im Mundwinkel und so Schlägermützen, beinahe wie sie heute wieder Mode sind. So wieder war auf einmal Sauberkeit. Frauen konnten in Ruhe spazieren gehen, wo auch immer, im Wald, man fühlte sich von niemandem mehr bedroht. Zu Anfang hieß es ja, dem Volk wird geholfen. Mütter konnten mit ihren Kindern Ferien machen. Oder die ganze Familie. Das gab es zuvor einfach nicht. So war das für mich ganz positiv und da ich ohne Geschwister aufgewachsen bin, da war ich doch mit Gleichaltrigen und Älteren zusammen. Man hat dann Lagerfeuer gemacht und Ausflüge, wo ich sonst nie hingekommen wäre. Autorin: Walde Huth denkt zeitlebens nicht viel nach über die Nazis. Sie ist niemals in der Partei aktiv - aber sie hat sich auch niemals aufgelehnt. Nicht als vom Ruhm träumendes Schulmädchen und schon gar nicht Weimar. Sie sollte profitieren vom nationalsozialistischen Regime. Autorin: Drei Jahre lang studiert sie Fotografie bei Walter Hege. Er stellt seinen Studenten die Aufgabe, den Herbst zu fotografieren. Walde Huths Kommilitonen schwelgen in Nebelschwaden. Grau in Grau. Man fotografiert noch nicht farbig. Die Belichtung wird geschätzt, nicht gemessen. Und man muss sparsam umgehen mit dem Material, darf nur ein einziges Foto machen. Walde Huth entscheidet sich - für ein Blatt. 20. O-Ton Walde Huth: Ich neige zum Symbolhaften. Eine Darstellung von etwas was steht für anderes. Eine Aussage zu kriegen das steht dann für etwas. 21. O- Ton Walde Huth Das ist doch Herbst. Dieses Blatt sag? doch, warum liegst Du denn da unten. Das ist Herbst. Ich schnell zurück das Stativ holen. Das war ein schweres Stativ. Schweres Einheitsstativ. Und das war so ein Erlebnis. Die Mattscheibe ist ja blind. Man sieht ja zunächst nichts, nur Leere. Ah, und dann kam auf einmal auf diese Mattscheine dieses Blatt, war genau im Format richtig drin. Grauer Himmel. Samstagnachmittag. Autorin: Es ist dieser Moment an einem Herbsttag in Weimar mitten im Krieg, in dem Walde Huth erkennt, dass sie genau das Richtige lernt. Dass sie ihren Beruf, ihre Berufung gefunden hat: 22. O- Ton Walde Huth: Ich sagte mir, das ist ja wie ein leeres Blatt. Und es liegt an Dir, was Du da drauf zaubern kannst, machen kannst - also, das war ein Urerlebnis für mich. So hab? ich entwickelt und siehe da ein gutes Negativ und ganz scharf - dieses Geäder. Und ich habe von allen Semestern den ersten Preis damit gemacht. Und das wusste ich dann von da ab auch: Wenn man gesiegt hat, dann ist es `was anderes. (lacht) Und ab da war ich eine besessene Fotografin. Ja. Autorin: 1943 legt Walde Huth bei der Handwerkskammer in Weimar ihre Prüfung ab. Und findet sofort eine Anstellung bei der Firma AGFA in Wolfen. 23. O ? Ton Walde Huth: Die Agfa wollte für ihre Geheimversuchsabteilung mal eine Fotografin haben, also nicht nur Chemiker, Physiker. Das war die Geheimabteilung. Autorin: Die Geheimabteilung in einem besonderen Unternehmen: Der später in Nürnberg verurteilte Direktor der IG Farben, Otto Ambros, hat sich 1942 persönlich bei AGFA dafür bedankt, Sprecher ? dass die Firma sich liebenswürdigerweise bereit erklärt hat, Aufnahmen von der Baustelle Auschwitz auf AGFA-COLOR-Negativfilmen zu entwickeln.? Autorin: Bis heute schweigt sich die Firmenleitung darüber aus. Walde Huth filtert derweil Münchhausen, einen der ersten Farbfilme, der mit dem neuen AGFA-Material produziert wurde. Joseph Goebbels persönlich hat "Münchhausen" in Auftrag gegeben. Regie führte Josef von Baky, Hans Albers spielte den Münchhausen. Erich Kästner, der von den Nazis mit Schreibverbot belegt worden ist, hat das Drehbuch unter Pseudonym geschrieben. Deshalb wird der Film wurde nicht zu dem Propagandaerfolg, den Goebbels sich erhofft hat. Autorin: Adolf Hitler gibt Walter Hege den Auftrag, alle Decken- und Wandmalereien in Gebäuden, die durch Luftangriffe der Alliierten zerstört werden könnten, mit der neuen Agfa Technik zu dokumentieren. Walde Huth fährt mit ihrem Professor zur Wartburg, fotografiert Fresken von Moritz von Schwind. 24. O ? Ton Walde Huth: Ich bekam vom Luftfahrtministerium z.B. oder anderen Instanzen ? auch direkt aus dem Führerhauptquartier besondere Aufnahmen. Das bekam ich in meine Hände. Ich war die Vertrauensperson. Mein Urteil war eigentlich jeweils überall sehr gefragt. Autorin: Walde Huth wird zwei Filme von und für Adolf Hitler entwickeln, sehr private Aufnahmen. Eine Dame im Badeanzug, Eva Braun, und dazu ein paar hübsche, gut gebaute Jünglinge Autorin: Nach Kriegsende geht Walde Huth zurück in ihre Heimatstadt, fotografiert im Auftrag der Alliierten die Einwohner Esslingens für die so genannte Kennkartenaktion. Sie macht Werbeaufnahmen für die Technische Hochschule in Stuttgart, fotografiert immer wieder Menschen - Prominente wie Ernst Jünger und Theodor Heuss, Menschen bei der Arbeit. 24a O - Ton Walde Huth Und die waren eben so, wie ich die Menschen in der Fabrik sah. Nicht wie die Werbung im 3. Reich war: diese strahlenden, gesunden, germanischen Typen, die Arbeiterinnen und Arbeiter. Nein, sondern wie sie da saßen an den Maschinen. Autorin: Dann eröffnet sie ein Fotostudio. Bald hat sie acht Angestellte. Sie lichtet Wäsche ab, Stoffe für kleine Modefirmen aus dem Schwarzwald. Autorin: In den fünfziger Jahren sind die französischen Modeschöpfer wieder zurück. Jeder, der an Mode interessiert ist, blickt nach Paris. Walde Huth erhält von der FAZ ein Angebot, dort zu arbeiten. Sie schwärmte noch in der Kölner Souterrainwohnung von der Pariser Zeit. Von Hans Peter, dem Kunststudenten, der ihr zu Füßen liegt. 25. Walde Huth O ? Ton: Hans Peter war mein Chauffeur. Er war ein großer, langer drahtiger Mensch. Im Winter verdiente er als Skilehrer, im Sommer Kajakfahren, Bergklettern. Er war immer neben mir und sah, was ich sehe oder brauchte. Die Starmannequins wollte ich nehmen, ich hatte ja keine Fotomodelle nehmen wollen. Weil ich spürte bei den Präsentationen, wenn es so knistert und hatte auch die Gabe, dass ich dafür ein Auge hatte, worauf es ankam. Und dann bekam ich Kleider, die andere nicht raus bekamen. Die bekam ich. Er wusste die Plätze. Wenn ich sagte, ich hätte gerne Säulen. Er wusste wo, dann gingen wir dahin. Er fuhr natürlich, wie ein echter Pariser fährt. Da kriegte man auch immer einen Platz für meinen kleinen Opel. Und die Starmannequins haben das tatsächlich für mich gemacht in großen Abendroben ? Sprecher : Eine schöne Frau flirtet aus dunklen Augen direkt mit der Kamera. Schwarztöne bestimmen das Bild. Nur ihr Gesicht ist hell geschminkt. Ein schwarzer Hut sitzt wie ein Helm auf dem Kopf. Sie trägt ein rabenschwarzes Cocktailkleid, hauteng, knielang, trägerlos. Mit einem tiefen U ? Bootausschnitt. Die Schultern liegen frei. Um Dekolleté, Schultern und Rücken zieht sich ein breites Band aus pechschwarzen üppigen Rüschen. Ein glitzerndes Kollier betont Hals und Busen. Im Hintergrund, vor einer Treppe, flanieren junge Männer. Paris am Nachmittag. 26. O ? Ton Walde Huth: Dann waren da auch Fußgänger. Da hab? ich gesagt. Restez, restez, Monsieur. Restez comme ca. Vous restez. Und da kann ich ganz schön bestimmen. Autorin: Mit einer Mischung aus Bestimmtheit und Charme gelingt es Walde Huth, Menschen für sich einzunehmen. Passanten posieren für sie im Hintergrund. Models zwängen sich in ein kleines Auto und lassen sich durch halb Paris kutschieren, während die Fotografenkollegen am Laufsteg warten. Modeschöpfer geben Walde Huth die kostbarsten Roben. Das pechschwarze Kleid hatte Christian Dior 1955 kreiert, auf dem Höhepunkt seiner Karriere. 27. O ? Ton Walde Huth: War ein sehr berühmtes Kleid. Ich hatte das ausgesucht, weil ich das so paradox fand. So? n Riesendekolleté. Die Rüsche eben. So eine monumentale Rüsche, dass man denkt, man wäre in einem anderen Jahrhundert. Autorin: Lucie Daouphars heißt die selbstbewusste junge Dame im Kleid von Dior, Lucie, genannt Lucky Modelle wie sie verkörpern ein neues Frauenbild. Ihre Grazie ist wohl kalkuliert. Sie sind Verführerinnen - und klug. Lucky ist ?la reine des mannequins". Sie gründet die erste Berufsgenossenschaft für Mannequins. Mit 41 Jahren stirbt sie an Krebs. 28. O ? Ton Walde Huth: Die Lucky, die gestaltete ihre Show. Nie gab es irgendwo irgendwann ein Starmannequin, welches so präsentieren konnte wie die Lucky. Da hielt das Publikum ? auch die reichsten Amerikanerinnen - den Atem an. So brachte sie die Robe und zeigte durch ihre Figur, durch ihre Wendungen, worauf es ankam bei diesem Schöpfungsakt, den sie ja immer von Grund auf miterlebt hatte. Autorin: Lucky im Kleid von Dior ist eines der berühmtesten Fotos von Walde Huth. 2008 warb das Plakat der Dior-Ausstellung im Kölner Museum für Angewandte Kunst mit diesem Motiv. Der Altmeister der deutschen Modefotografie, F.C. Gundlach, zollt espekt. 29. O ? Ton F.C. Gundlach: Wenn ein Modefoto außerhalb seines Entstehungskontextes noch wirkt, noch einen beeindruckt nach Jahren, dann ist es ein gutes Bild. Autorin: Wie ist es Walde Huth gelungen, Luckys spöttische Eleganz auf Zelluloid zu bannen? Woran liegt es, dass dieses Foto über 50 Jahre nach seiner Entstehung immer noch fasziniert? 30. O ? Ton Walde Huth: Und so habe ich ihr gesagt, ihre Arme stören mich - und das mit meinem Schulfranzösisch! ... So gehen die Stufen? Wie machen wir das? Das Dekolleté muss ja schön ausgebügelt sein, weg geblitzt. In dem Sinn, das Falten, Fältchen alles weggedrückt wird durchs Licht. Kriegen wir es hin? Also die langen schwarzen Wildlederhandschuhe noch mal schön glatt gestrichen. Die Arme mussten halt weg. Und da hab? ich gesagt: Wissen Sie. Sie haben gar keine Arme mehr. (Lacht) Lucky, verstecken sie die doch einfach. Einfach weg. So so so. Autorin: Noch fünf Dekaden später flogen die Hände von Walde Huth, wenn sie beschrieb, wie das Foto entstand. 31. O ? Ton Walde Huth: Ich habe es ihr vorgemacht: so oder so oder so. Tatsächlich hat sie es hingekriegt, ohne dass es verkrampft gewirkt hat. Da hab? ich ihr eben als Beispiel gesagt. Jetzt wusste ich ja nur den Begriff poisson, also Fisch. Aber Meeresjungfrau. Dann hab? ich ihr vorgemacht Wasser. Dans l?eau. Jetzt sind Sie im Wasser. Jedenfalls: sie hat das hingekriegt und vor allem der Ausdruck. Ein kapriziöser. Und Sie präsentieren sich. Das ist so originell. Niemand trägt so ein Kleid. Und Sie tragen es. Regie: Pariser Atmosphäre der Fünfzigerjahre Autorin: Paris in den 50er Jahren ? das ist Walde Huths große Zeit: 31 a O ? Ton Walde Huth Ich bin was anderes als die anderen Modefotografen. Und Vogue hat es ja auch gemerkt und die wollten mich engagieren. ?Ja nun, wir können Sie nur bezahlen, gut bezahlen für die Modewochen eben.? ?Nein. nein. Ich hab doch acht Mitarbeiterinnen in Stuttgart. und ein Atelier, was hab` ich da reingesteckt!? Autorin: Walde Huths schwäbischer Pragmatismus siegt - sie verzichtet auf Paris. Autorin: 1956 lernt sie ihren Mann kennen, den Architekturfotografen Karl Hugo Schmölz. Sie ist begeistert von seinem Aussehen, seiner Energie, seinen guten Manieren. Noch im selben Jahr heiraten sie. Die beiden gehen nach Köln und eröffnen das Fotostudio ?Schmölz und Huth?. 32. O - Ton Horst Gläser: Wie sie immer erzählt (hat), hat sie zu ihrem Mann gesagt, ich ziehe nur direkt an einen Park, damit ich die Vöglein hören kann. Autorin: In Marienburg lässt sich das Paar Haus bauen. Ein schlichtes Haus aus Backstein, ein roter Würfel im Bauhausstil. Ein Gebäude, das die vornehmen Marienburger erzürnt. In den sechziger Jahren gibt es Nachbarn, die das Haus am liebsten wieder abgerissen hätten. Hier leben und arbeiten Karl-Hugo Schmölz und Walde Huth. Autorin: Und in der Eifel haben die beiden ein kleines Haus für die Wochenenden gemietet, machen lange Spaziergänge mit dem Hund. 33. a O - Ton Walde Huth: Ich war ja ein Naturkind. Später sagte man mal mein Mann zu Willi Moegle, mit dem er befreundet war: ?Die Walde ist halt ein Naturkind.? ?Was?? sagte Moegle ? Die Walde, die ist ein Naturereignis!?. So hatte er mich kennengelernt bei Ausstellungsbesuchen, wie ich so bin, ein bisschen burschikos, ein bisschen vorwitzig ? aber vorlaut eigentlich nicht.? Autorin: Walde Huth bleibt bei der Mode, fotografiert Markenartikel wie Einhorn- Hemden oder Strümpfe der Firma Götz, arbeitet für die firmeneigenen Kataloge. Marlies Imhoff , ein junges Mädchen aus dem Taunus, wird ihre Assistentin. 34. O - Ton Marlies Imhoff: Wir haben z.B. Strümpfe fotografiert und dann mussten alle Mitarbeiter kommen und dann hat sie die Beine inspiziert und dann haben wir eine Komposition gemacht, diese Komposition ist Jahre noch durch alle Ausstellungen gewandert, eine traumhaft schöne Aufnahme aus den Sechzigern mit diesen Netzstrümpfen und mit diesen typischen Farben der damaligen Zeit. Autorin: Karl Hugo Schmölz fotografiert Industriedesign. Autos, Waschmittel, Bücher. Für Daimler Benz, Borgward, Audi, Wipp und Henkel. Für DuMont und Bertelsmann. Hugo Schmölz und Walde Huth ergänzen sich perfekt. Ein aufregendes, vermögendes, glamouröses Paar. Bald zählt ihr Studio zu den ersten der Republik. Marlies Imhoff lernt hier die große Welt kennen. 35. O ? Ton Marlies Imhoff: Ich kam aus dem Taunus, ich kam vom Land und kam in ein Haus, wo man so die Kunst schon gespürt hat ? das bedeutet, in dem großen Raum vor dem Studio, da kam man rein, da war der Holzboden weiß gelackt. Da gab es eine rote Ledergarnitur, da war Play Bach im Raum, was ich vorher nie so gehört hatte, das hat mich alles tief beeindruckt. ihre immer extravagante Kleidung, ihr sehr, sehr lebendiges Wesen, ihre absolute bestimmende Art und ja sie hat eigentlich auch immer unendlich viele Ratschläge für alle gehabt. Du musst jeden Morgen Joghurt in Dein Gesicht machen. Autorin: Die Models aus Paris kommen ins Studio am Südpark. Man arbeitet bis spät in die Nacht. Sucht nach Gegenentwürfen zum Mief der Adenauer Republik. 36. O ? Ton Marlies Imhoff : Bei Walde war es so, dass bei den Aufnahmen, das muss man sich vorstellen, dass auch immer irgendwo ihre Tiere mit dabei waren. Sie hatte immer einen wunderschönen Schäferhund... Und dann gab es noch eine Katze und bei diesen Aufnahmen von Charmour oder irgendwelcher Wäsche, dann strichen dann die Katzen um die Models und dann war irgendwann das non plus ultra auf dem Dia, weil die Katze im richtigen Moment an der richtigen Stelle entlang gestrichen ist. Autorin: Walde Huth komponiert ihre Bilder, inszeniert sie. Spielt mit den Möglichkeiten. Überlässt nichts dem Zufall. 37. O - Ton Marlies Imhoff: Was mich für das Leben geprägt hat: ich war für das Studio zuständig, und ich hatte dafür zu sorgen, dass alles, aber auch alles fotografisch richtig liegt. Es gab Fensterbänke, die waren bestückt mit Muscheln und mit irgendwelchen feinen Accessoirs und die hatte ich abzustauben und wenn dann Frau Schmölz in den Raum kam, dann hat sie nur ganz kurz geguckt und gesagt: ?Sehen Sie nicht, dass die Muscheln nicht fotografisch richtig da liegen?? Also dass hat mich mein ganzes Leben lang verfolgt und bei mir in meiner Wohnung ist es einfach so, dass auch diese Dinge einfach fotografisch richtig da liegen. 38. O ? Ton Walde Huth: Wenn man es hinkriegt, dann hat?s einen Ausdruck. Autorin: In dieser Zeit entsteht ein anderes, berühmt gewordenes Foto von Walde Huth. Sprecher : Das Mädchen hat eine Zigarette lässig zwischen die Zähne geklemmt. Der Mund mit den hellen Lippen ist halb geöffnet, das Haar im Nacken zusammengebunden. Ihre Augen sind stark geschminkt, dunkler Lidstrich, viel Wimperntusche. Frech. Fordernd. So steht sie da im weißen Trenchcoat mit hochgeschlagenem Kragen. Vor einem Plakat, das den kühlen Beton der Kölner Oper zeigt, die von Wilhelm Riphahn gebaut worden war. 39. O ? Ton Horst Gläser: Ja, das ist das Bild von dem Mädchen mit der Zigarette. Das hat einfach eine Zeitlosigkeit. Da ist überhaupt nichts drin, was mir sagen würde, dass das aus Ende der sechziger Jahre stammt. Das könnte so, wie es da ist, auch heute geschossen worden sein. Autorin: Aus erster Ehe hat Hugo Schmölz drei Kinder, die Walde Huth mit großzieht. Sie wünscht sich ein eigenes Kind, wird schwanger und verliert das Baby, eine Wunde, die nicht verheilt. Ihre Kinder, so sagte sie leise und nicht ins Mikrofon, seien ihre Fotografien. Ein Leben ohne Kamera konnte sie sich nicht vorstellen. 1986 stirbt Hugo Schmölz. 30 Jahre lang waren sie verheiratet. 30 Jahre lang haben sie gemeinsam gearbeitet. 40. O ? Ton Walde Huth: Da sagte er ein paar Wochen vor seinem Tod: Walde, es war nicht eine Minute langweilig mit Dir. Regie: akust. (Zäsur) Autorin: Nach Hugo Schmölz` Tod will sie nur noch rein künstlerisch arbeiten. Für viel Geld finanziert sie Ausstellungen mit Bildern, die nicht in Hochglanzmagazine passen. Es wird still um Walde Huth. 43. O ? Ton Walde Huth: Um Gottes Willen. Was ist das denn? Das ist doch ein Elefantenkopf. Nicht wahr, ein Rüssel. So ein Kopp. Und ist doch die Haut. Und wenn ich dazu geschrieben habe, Elefant, dann wurde das bestätigt. Ja, das ist ein Elefant. Auf jeden Fall berührt es. Durch eine Linie. Das ist es eben: die Ästhetik einer Linie. Und so eben kann ich ja auch mit der entsprechenden Brennweite einen Punkt betonen und in ein Umfeld bringen und kann ein Umfeld entkörperlichen. Autorin: Schaumumspülte Gläser im Spülbecken, angesprungene Emailletöpfe - herausgelöst aus ihrer Umgebung sind die Alltagsdinge nicht mehr zu erkennen. Walde Huth ändert Proportionen, Perspektiven, Schärfen. 45. O ? Ton Walde Huth: Ei ist eine unglaubliche Urform?Dieser Eidotter enthält alles. Man weiß aber jetzt nicht ist es ein Möwenei oder ein Straußenei und so kann ich als Fotografin Größenverhältnisse täuschen. Und wenn ich etwas dazu tue wie dies? hier, das war ein abgeblühter Tulpenstil und den fand ich so unglaublich in der Form?Ich hatte dies als eine Idealkurve empfunden mit diesem Stempel noch dran. Dann war ein Idealei da. Dann habe ich das kombiniert. Das ist das Ei 2000. Autorin: Walde Huth fährt auch nach dem Tode ihres Mannes noch oft in das kleine Häuschen in der Eifel. Sie liebt die langen Spaziergänge mit dem Hund. Sommers wie winters. Kein Schneesturm kann sie davon abhalten. Sie verlässt das Haus nicht ohne Kamera. Der weiße Schäferhund im Wald wird zum gespenstischen Schatten. Einmal entdeckt sie ein Gebilde, das fast vollständig von einer dicken Schneeschicht bedeckt ist. Sie ist sofort fasziniert: 46. O ? Ton Walde Huth Ich denke, das muss ich fotografiere, das ist ja wie eine Skulptur und hat einen Ausdruck und gucke, was es überhaupt ist. Das ist ein Motorrad! (lacht). 47. O ? Ton Horst Gläser: Sie hat immer ihre Phasen gemacht, da gab?s die Federphase und die Schotenphase, und die Erbenphase und die Eierphase und dann Kombinationen davon. Autorin: Horst Gläser sieht das Außergewöhnliche dieser Fotos sofort: 47f Das sind alles Farbfotos, die sie gemacht hat in der Zeit von 88 bis spät in die neunziger hinein und das sind alles relativ surreale Fotos. Später hat sie dann die Dinge auf Zeitungstitelseiten gelegt, also die FAZ war ein ganz beliebter Untergrund. Wo dann irgendwie eine Hühnerpfote drauf lag. Die sind etwas ganz Spezielles, aber es dauert, bis das jemand erkennt. Ich kann das Potential erkennen, kann das aber keinem erklären, weil das im Moment niemand hören möchte. 48. O - Ton Walde Huth: Eine Kartoffel gleicht nicht der nächsten ? auch wenn sie an derselben Pflanze hängen. Das sind ja Knollen, Eine Knolle kann ja wie ein Gesicht sein, hat von den Sprießen her, den Keimen her, den Augen. Und so war das mal eine Kartoffel, die ich da hingehangen habe so auf Vorrat. Da war es kühl. War wahrscheinlich Winter. Und es hing so da. Und ich seh' das und denke: das ist ja ein Bild. Und es wurde ein Bild. Und es wurde als derart erotisch empfunden. Nicht sinnlich, sondern absolut erotisch. Und das war auch bei mir in der Empfindung drin. Und es war wie diese Herz Jesu Herzen in den katholischen Kirchen. So nach oben, Das Herz Jesu und dann flammt es oben so? raus bei so Klassikern, bei Heiligenbildchen. Also ich sehe da so ein Herz. Und seh' auch noch was anderes. Also wirklich Erotik drin. Und bei dieser Ausstellung in Esslingen hing das auch an einer besonderen Stelle ? schön markiert von so einem Kopfstrahler - und tatsächlich, junge Frauen, Beamtinnen von der Stadt Esslingen, die sahen das : ha ja, desch isch wirklich erotisch. Auf so richtig breitem schwäbisch. Ich war sprachlos. Ich hab? gedacht, mein Gott, wie kann das denn sein. Ich hab? denen doch gar keine Erklärung gegeben. Autorin: Die schwäbischen Beamtinnen sind begeistert, Käuferinnen sind sie nicht. Walde Huth lässt sich nicht beirren. Sie ist und bleibt die Meisterin des Augenblicks. Sprecher : 100 ungelesene Briefe: Seborga, Italien. Ein Fenster im Ferienhaus. Hundert mal dasselbe Fenster, zu verschiedenen Zeiten, in unterschiedlichem Licht. Ein einfaches Holzfenster in braugrauen Tönen. Ein Fensterladen, wie ihn der Süden kennt. Schattenspiele. Licht. Eine Gardine, die auf jedem Foto neue Falten wirft. 49. O ? Ton Walde Huth: Es ist so ein Klang ? und Fotografie besteht ja aus Tonstufen, Klangstufen. Graustufen. Farbstufen. Autorin: Aber die hungrigen Besucher der Vernissagen wollen andere Fotos sehen. Keine Holzfenster, keine Erbsenschoten, keine schneebedeckten, unkenntlichen Motorräder, keine Kartoffeln, keine Gläser im Schaumbad. 50. O-Ton Horst Gläser: Mit wem immer ich auch spreche, ob ich mit den Leuten vom Lempertz spreche oder van Ham, die sagen, das interessiert uns nicht. Autorin: Walde Huth pfeift auf das Urteil der Auktionshäuser, ignoriert die Gesetzte des Marktes: sie will als Künstlerin anerkannt werden, geht keine Kompromisse ein. 51. O ? Ton Horst Gläser. Ich glaube auch, diese Sensibilität, die sie in den Fotos zeigt, die sie in den fünfziger Jahren gemacht hat, dass das auch das ist, was übrig bleiben wird von ihr. 52. O - Ton Walde Huth: Was ein anderer überhaupt nicht empfindet, was es überhaupt ist, worum es sich handelt, optische Delikatessen, fotografische Leckerbissen. Die Schärfenverteilung oder Beleuchtung oder Belichtung oder oder. Das kann man ja alles entscheiden und nicht uniform und routinemäßig knips knips knips wie es heute durchs durchs digitale Knipsen so verführerisch ist. Regie: Musik/ Atmo 53. O ? Ton Horst Gläser: Ich bin ihr begegnet in einem vietnamesischen Imbiss, wo sie mit dem Imbissbesitzer einen Streit darüber hatte, ob es ästhetisch richtig sei, Weihnachten so elektronische Flimmerkerzen an der Wand zu haben und sie wollte ihn überreden, richtige Kerzen zu nehmen. Und ich hab? auf meine Suppe gewartet und so sind wir ins Gespräch gekommen. (lacht) Das war 2004. Das war im Dezember. Am 29. Januar hatte sie Geburtstag und da hat sie dann nur Leute eingeladen, die sie zufällig kennen gelernt hat. Also in Bussen, in Bahnen, an Wartestellen oder eben im vietnamesischen Imbiss. Autorin: Der Mann aus dem Imbiss ist sofort begeistert von den Fotos der Walde Huth. Spontan bietet Horst Gläser ihr an, ein Archiv aufzubauen und zu verwalten: das Walde - Huth - Archiv. Er sortiert ihre Bilder, katalogisiert 40.000 Fotos. 54. O ? Ton Horst Gläser: Für ihren Meter fünfzig hat sie schon eine enorme Präsenz gehabt. Man konnte schon davor stehen und wirklich begeistert sein von einer über 80jährigen Frau, die die Energie eines Kindes mit auf den Weg bringt. Es hat etwas gehabt mit ihr zu sprechen und zu wissen, dass ein Mensch in dem Alter, mit der Energie so studentisch leben kann: zwanzig Jahre ohne Krankenversicherung, ewige Zeiten ohne jegliches Konto, trotzdem so gut gelaunt, jeden in der Straßenbahn ansprechend, das war für mich ein Riesenvorbild und ich wünsche mir, sollte mir mal irgendwann - Gott bewahre - so etwas passieren, dann werde ich mich an Frau Huth erinnern. Autorin: Als Horst Gläser Walde Huth kennenlernt, gehört ihr das Haus am Südpark schon lange nicht mehr. Doch sie hat sich ein Bleiberecht ausbedungen im Marienburger Haus: in ihrer ehemaligen Dunkelkammer, zwei düsteren Souterrainräumen. 41. O ? Ton Horst Gläser: Verzweifeln tun große Damen nicht. Das hat sie einfach nicht zugelassen. Ein ganz entscheidender Moment, wo ich ihr auch manchmal gesagt habe, mein Gott, ziehen sie doch aus dem Keller aus. Für das Geld, das Ihnen der Vermieter da abnimmt, kriegen Sie doch auch etwas Schöneres, irgendwo in der ersten Etage, wo Sie ein bisschen Licht haben. Dann hat sie mir gesagt, nein, das ginge nicht, weil ihr wäre es ganz wichtig, Sie wäre in den letzten 35 Jahren aus dieser Türe in Marienburg gegangen und sie würde auch die letzten Jahre aus dieser Türe in Marienburg rauskommen. Das heißt für das Umfeld, was das nicht wusste, kam sie immer noch aus demselben Haus und das war für sie wichtig. Autorin: Auch das Haus in Italien hat sie verkaufen müssen. Es gab Steuerforderungen. Nachzahlungen. Und schließlich muss sie ihr Atelier in Köln-Raderberg aufgeben. Allzu lange war sie mit der Miete im Rückstand. Bis zu ihrem Tod versucht Horst Gläser, ihre Arbeiten zu verkaufen, Kontakte herzustellen, Interviews mit Journalisten zu arrangieren. Schwierige Unterfangen. Auch mit weit über achtzig bleibt Walde Huth kapriziös, ist im Stande, festvereinbarte Interviewtermine platzen zu lassen. 56. O ? Ton Horst Gläser: Ich sage: Frau Huth. Aber Frau Huth, wir können das jetzt nicht rückgängig machen. Wenn sie das jetzt einfach so rückgängig machen ohne eine Begründung zu sagen, dann steige ich aus dem Ding aus. Dann stand sie auf, ohne ein Wort zu sagen, drehte sich 'rum, suchte die Türe und ging die Straße runter ohne sich noch einmal umzudrehen. Autorin: Das Atelierhaus von Schmölz und Huth gehört heute einer international renommierten Fotografin, die 1963 bei Walde Huth und ihrem Mann volontierte: Candida Höfer- berühmt für menschenleere Interieurs, in denen die Stille zu greifen ist wie einst die knisternde unterkühlte Erotik in den Modefotografien der Walde Huth. 57. O ? Ton Walde Huth: Ich sah mich nie als Bildjournalistin, als Pressefotografin. Diesen Weg könnte ich mir gar nicht vorstellen. Ich wollte Menschen, Länder schildern mit meinen Augen. Das war das einzige, was sich lohnen würde. Sich einzusetzen. 59. O ? Ton Horst Gläser: Sie hat natürlich gezehrt von den Erlebnissen ihres Lebens, der Zeit in Paris, wo sie immer sagte, dass Karl Lagerfeld ja noch Assistent gewesen sei. Oder auch, wenn sie erzählte, wie Kunden verlangten, dass sie die Fotos machte und nicht ihr Mann. Das waren so Zeiten, wie sie absolut ins Erzählen kam und dann vom Hölzchen aufs Stöckchen und dann brauchten sie auch zwei Stunden nichts zu sagen, weil sie wären gar nicht dazwischen gekommen. Autorin: Sommer 2008, in ihrem Souterrain: Walde Huth hatte begonnen, ihre Fotos zu ordnen, tausende von Diakästen, Hunderte von Schubladen, voll von Papierabzügen. Sie schrieb und sie fotografierte. Nimmermüde. Immer optimistisch. 58. O ? Ton Walde Huth: Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott hab? ich mir immer gesagt. Und den schönen Spruch von Hölderlin: Wo aber Gefahr ist, wo aber Gefahr ist, nicht droht, ist, wächst das Rettende auch. Autorin: Auf dem mit Zetteln, Briefen, Fotos und Zeitungsausschnitten überhäuften Schreibtisch stand ein Foto ihres Mannes. Wenn sie es anschauen wollte, musste sie die Schreibtischlampe einschalten. In die ehemalige Dunkelkammer fiel auch am Tag nur wenig Licht. Und im Winter war es kalt. Nur auszuhalten mit dicken Decken und heißem Grog. Am 11. November 2011 starb Walde Huth bei einem Brand in ihrer Souterrainwohnung in Marienburg. 01/ 60. O ? Ton Walde Huth: Wenn man auf den richtigen Windhauch wartet. Das Licht ist gut, alles ist gut ? jetzt muss nur ein Wind kommen - Lieber Wind, komm. Und der Wind kommt. Das kommt nie wieder, Man muss ganz schnell sein. Kein Augenblick kommt wieder. Selbst wenn man mit Kunstlicht arbeitet? Man kann nicht wiederholen, wenn es ein Bild ist, wenn man in höchster Erregung ist. So geht es mit dem Fotografieren. Man muss teils sehr schnell sein. Man muss auch warten können. Das kann ich auch. Absage Walde Huth - die Dichterin mit der Kamera Sie hörten ein Feature von Simone Hamm Es sprachen: Ton und Technik: Regie: Burkhardt Reinartz Redaktion: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2014 4