In den tiefen Süden der USA Eine Lange Nacht über den Highway 61 Autor: Tom Noga Regie: Sabine Fringes Redaktion: Dr. Monika Künzel SprecherInnen: Daniel Berger als Erzähler Thomas Martin Balou als VO 2 Martin Bross als VO 3 Claudia Mischke als VO 7 und VO 8 Thomas Krause als VO 1 und 4 Sendetermine: 1. Juli 2017 Deutschlandfunk Kultur 1./2. Juli 2017 Deutschlandfunk __________________________________________________________________________ Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - unkorrigiertes Exemplar - insofern zutreffend. Gliederung I. North Country: von Hibbing nach Ferguson 1. Highway 61: Einführung 2. Eine Mine und viele Erinnerungen: Monte Edwardson und Leroy Hoikela 3. Hibbing, MN: Dylan und die Rabauken 4. Hannibal, MO I: von Tom und Becky 5. Hannibal, MO II: Auf der Suche nach Nigger Jim 6. Ferguson, MO I: tödliche Schüsse II. Mid-West: von Ferguson nach Memphis 1. Prolog: Ich bin schwarz 2. Ferguson, MO II: Kevin Massey und die Polizei 3. Ferguson, MO III: Tel Poe und Hands Up United 4. Cairo, IL I: Clarence Dossie und die Rassenunruhen 5. Cairo, IL II: Harry und Deena Williams 6. Memphis, TN: John Gary Williams und die Invaders III. Deep South: von Memphis nach New Orleans 7. Prolog: Elaine Turner und das Reiterstandbild 8. Clarksdale, MS I: Riverside & Crossroads 9. Clarksdale, MS II: The making of bluesman 10. Money, MS II: Der Mord an Emmett Till 11. Angola, LA II: Der Bischof und das Rodeo 12. New Orleans, LA: Personen / O-Töne Erzähler VO-1 (Keith Hughes, Zitator, Mann in Ferguson, Jesse Jackson. Marin Luther King) VO-2 (Leroy Hoikela, Barack Obama, Tef Poe, Harry Williams, John Gary Williams, Sydney de Loach) VO-3 (Monte Edwardson, Kevin Massey, Clarence Dossie, Big T, Calvin Johnson) VO-4 ( Rick Cannata, James Knowles, Roger Stolle, JFK) VO-5 (Tom Sawyer, Junge in Cairo) VO-6 (Becky Thatcher) VO-7 (Faye Dant, Gabby, Zitatorin, Deena Williams, Elaine Turner, Zee Ratliff, Minnie Watson) VO 8 (Joyce Ratliff) 1. Stunde I. North Country: von Hibbing nach Ferguson Regie Musik 1 („Highway 61 Revisited/The man come around“ von Johnny Cash). Cash rezitiert die ersten Zeilen des Songs. „Oh God said to Abraham… God says, “Out on Highway 61” Voice-Over 1 Zitator “Gott sagte zu Abraham: „Opfere mir einen Sohn.“ Abe sagt: „Mann, Du willst mich auf den Arm nehmen.“ Gott sagt: „Nein.“ Gott sagt: „Mach, was Du willst, Abe, aber sieh zu, dass Du Land gewinnst, wenn ich wiederkomme.“ „Okay“, sagt Abe: „Wo soll ich ihn opfern?“ Gott sagt: „Draußen auf Highway 61.“ Regie Musik 1 („Thank you for talking me back to Africa“ von Sly & the Family Stone). Nur das instrumentale Intro bis 1:58 verwenden. Erzähler Highway 61beginnt Mitten im Nichts. Weit oben im Norden der USA, wo der Pigeon River in den Lake Superior mündet. An der Grenze zu Kanada. Von dort führt er Richtung Süden, über 2.500 Kilometer zumeist entlang des Mississippi River bis nach New Orleans am Golf von Mexiko. Regie Musik 1 als Trenner kurz hoch ziehen. Erzähler Highway 61verbindet den Norden mit dem Süden, das weiße mit dem schwarzen Amerika. Zwei Welten, die sich lange fremd waren und es bis heute sind. Er verbindet Städte, die bedeutend waren in der Bürgerrechtsbewegung, und solche, die berüchtigt sind für Rassenunruhen und Lynch-Morde. Blues-Sänger zogen auf dieser Straße von Auftritt zu Auftritt, Nobelpreisträger Bob Dylan erwies ihr mit seinem epochalen Album „Highway 61 Revisited“ aus dem Jahr 1965 seine Reverenz. Und als schwarze Landarbeiter im 20. Jahrhundert massenhaft aus dem Süden in die industriellen Zentren des Nordens zogen, geschah dies auf Highway 61. Historiker bezeichnen diesen Exodus als Great Migration. O-Ton 1 Keith Hughes (0’27) „The Great Migrations.… …of these African Americans.“ Voice-Over 1 Keith Hughes “Im Grunde muss man von den Great Migrations sprechen - im Plural. Denn es waren zwei Wellen, eine nach dem 1., die andere nach dem 2. Weltkrieg, in denen 6 Millionen Afroamerikaner den Süden verließen und nach Norden zogen. Diese beiden Wellen sind die größte, nicht von Hunger oder Krieg ausgelöste Völkerwanderung in der Geschichte der Menschheit. Die Leute sind freiwillig und konzentiert in den Norden gezogen.“ Erzähler Der Historiker Keith Hughes. Vor den Great Migration lebten 9 von 10 Afroamerikanern in den Südstaaten, dort wo bis zum Amerikanischen Bürgerkrieg Sklaverei herrschte und danach Rassentrennung. Heute ist es immerhin noch mehr als jeder zweite. Immer noch sind die Südstaaten das Herz des schwarzen Amerikas. Und Highway 61 führt mitten hinein. Regie Musik 3 („Highway 61 Revisited“ von Bob Dylan)Atmo 1 (Mine). Soll kurz frei stehen. Aus der Ferne hören wir das Piepsen eine zurücksetzenden LKW. Erzähler Die beiden Männer könnten unterschiedlicher nicht sein. Monte Edwardson ist groß und dick, mit weißen Haaren und weißem Vollbart, Leroy Hoikela klein und schmächtig, mit Hornbrille und schütterem schwarzen Haar. Sie stehen am Hull-Rust Mahooning Mine View, einem Aussichtspunkt mit Blick auf eine Mine. Besser gesagt: auf DIE Mine. Denn Hull-Rust Mahooning, unweit der Kleinstadt Hibbing in Minnesota ist die größte Eisenerzmine der Welt. Regie Atmo 1 als Trenner kurz hoch ziehen. Dann Blende zu Musik 4 („Thursday Afternoon“ von Eno). Soll unter folgendem Text und den O-Tönen 24 liegen. Erzähler Der Krater erstreckt sich bis zum Horizont. Eine bizarre Landschaft aus Schluchten, Hügeln und Baggerseen, erschlossen durch ein Gewirr aus Transportwegen und Förderbändern. Unten rangieren LKWs - von oben wirken sie winzig, wie Spielzeug. O-Ton 2 Leroy Hoikekela (0’20) „We had the big one…… …the satellite industries of the mines.“ Voice-Over 2 Leroy Hoikkela “Diese große Mine gibt’s schon ewig. Früher gab’s auch kleinere. Sie gehörten keiner Kapitalgesellschaft sondern waren in Privatbesitz. Die Leute hier hatten Arbeit, aber nur im Sommer, Saison-Arbeit halt. Nicht nur in den Minen, auch in den Satellitenbranchen des Bergbaus.“ O-Ton 3 Monte Edwardson (0’38) „Yeah, you’re right…… …there wasn’t a lot of money.“ Voice-Over 3 Monte Edwardson “Genau, die Minen waren nur im Sommer im Betrieb, im Winter liegt hier zu viel Schnee. Unsere Eltern mussten im Sommer Geld zurücklegen, um über den Winter zu kommen. Wenn das nicht gereicht hat, mussten wir den Gürtel enger schnallen. Später haben die Gewerkschaften eine Art Lohnvorschuss durchgesetzt, so dass auch im Winter zumindest etwas Geld reinkam. Das war nie eine wohlhabende Gegend. In den Minen wurde gut gezahlt, aber eben nur für ein halbes Jahr. Aufs ganze Jahr gerechnet, bleibt nicht viel mehr als der Mindestlohn - alles andere als gutes Geld.“ O-Ton 4 Leroy Hoikekela (0’20) „It was open-pit mines… …where they just dig it up.“ Voice-Over 2 Leroy Hoikkela “Damals war das noch klassischer Tagebau. Heute gibt es hier nur noch Takonit. Weil dieses Gestein wenig Eisen enthält, wird rund um die Uhr gearbeitet. Gesteinsschichten werden abgesprengt, über Förderbänder zu den Brechanlagen transportiert und dort maschinell zerkleinert. Das ist kein richtiger Bergbau mehr.“ Erzähler Iron Range wurde dieser Teil Minnesotas einst genannt, der Eisengürtel. Zu Boomzeiten in den 40ern und 50er des 20. Jahrhunderts wurde hier mehr als ein Drittel der weltweiten Eisenproduktion abgebaut. Allein Hull-Rust Mahooning hat damals 5.000 Arbeiter beschäftigt. Heute sind es nur noch ein paar hundert. Regie Blende zu Atmo 2 (Hibbing). Soll kurz frei stehen Erzähler An Hibbing ist der Verlust der Arbeitsplätze nicht spurlos vorübergegangen. Die Straßen in der Innenstadt sind von Schlaglöchern übersät, die meisten Geschäfte geschlossen. Regie Musik 5 („North Country Blues“ von Bob Dylan). Intro schon unter vorherigem Text. 1. Strophe (0:40 - 1:07) soll frei stehen. „Come gather 'round friends And I'll tell you a tale Of when the red iron ore pits ran plenty. But the cardboard filled windows And old men on the benches Tell you now that the whole town is empty.“ Erzähler Auch Zimmy’s existiert nicht mehr. Das Restaurant war DIE Attraktion in Hibbing, benannt nach dem Spitznamen, den Bob Dylan als Jugendlicher trug. Dylan, der eigentlich Robert Zimmerman heißt, wurde in Duluth am Lake Superior geboren, aber aufgewachsen ist er in Hibbing. Leroy Hoikela und Monte Edwardson haben mit ihm in einer Highschool-Band gespielt, den Gold Chords. O-Ton 5 Monte Edwardson (0’50) „More of the term hellraisers…… …but I guess we did.“ Voice-Over 3 Monte Edwardson “Wir waren richtige Rabauken. Wir hatten die Filme mit James Dean und das ganze andere Zeug im Kino gesehen. Klar, dass wir unsere Hemdkragen hoch gestellt und die Haare zurückgekämmt haben. Wir wollten aussehen wie Elvis und sein wie James Dean: egal, was ihr sagt, ich mache, was ich will. Hier oben, das war damals eine extrem konservative Gegend, 20 Jahre hinter dem Rest des Landes zurück. Unsere Großeltern waren Einwanderer, meist aus Skandinavien. Sie und unsere Eltern haben uns ständig gesagt, dass wir froh sein müssten hier zu sein, dass es ein Privileg sei, in diesem Land zu leben. Alles sehr einengend, man durfte nicht zu sehr über die Stränge schlagen. Aber wir haben es trotzdem getan.“ Regie Musik 6 („Subterranean Homesick Blues“ von Bob Dylan). Läuft komplett. Dann Atmo 3 (Sportman’s Café) Erzähler Das Sportsmanns Café in Hibbing, Minnesota. An der Theke sitzen vierschrötige Männer in Jeans und Flanell-Hemden- Alle sind weiß. Alle haben vor sich Unmengen an Fleisch und Pommes. An den Wänden Fotos. Eines zeigt einen Mann mit Flinte, den rechten Fuß auf der Flanke einen monumentalen Hirsches, ein anderes eine Anglerin mit einen Katzenwels, der fast so groß ist wie sie selbst. Sport, das ist im ländlichen Amerika in erster Linie Jagen und Fischen. Regie Atmo 3 als Trenner kurz hoch ziehen. Erzähler Leroy Hoikela und Monte Edwardson sitzen in einer Tischnische am Fenster, mit Blick auf Zimmy’s. Seit über drei Jahren ist das Restaurant geschlossen. Davor war es eine Dekade lang ein Anlaufpunkt für Dylan-Fans aus aller Welt. Und Schauplatz der Dylan Days, eines Festivals um den Geburtstag des Sängers Ende Mai. Jahr für Jahr haben die Macher gehofft, dass Bob Dylan sich mal auf einer Veranstaltung blicken lässt - vergebens. Leroy Hoikela erstaunt das nicht O-Ton 6 Leroy Hoikkela (0’54) “Bob was different… … as if he knew the song perfectly.” Voice-Over 2 Leroy Hoikkela “Bob war anders, er passt nicht hier her. Nachts hing er immer am Radio und hat mit seinem Kassettenrekorder Musik aufgenommen, von einem Sender aus Shreveport in Louisiana.„No name jive“ hieß das Programm, sie spielten Rhythm ’n’ Blues und Folk, Musik von Farbigen, wie wir damals sagten. Bob hörte die Songs, veränderte sie und kam dann mit ihnen an, wenn wir in seiner Garage probten... nein, wir probten nicht, wir spielten – so jedenfalls sah Bob es. Ich kannte kein einziges dieser Lieder, aber als Schlagzeuger war das kein Problem. Und Monte war ein genialer Gitarrist, ihm fiel zu allem, was Bob anschleppte, etwas ein, als ob er die Songs in und auswendig kannte.“ Regie Musik 7 („Highway 61“ von Mississippi Fred McDowell). Soll bis ca. 0:30 (Wiederholung der 1.Strophe) frei stehen. Dann Blende zu Atmo 3 O-Ton 7 Monte Edwardson (0’37) „There was rock’n’ roll … …everybody played accordions.“ Voice-Over 3 Monte Edwardson “Rock ’n’ Roll kannten die Leute in Hibbing damals schon, aus den Filmen mit Bill Haley oder aus den Songs von Elvis Presley. Aber Blues hat hier niemand gehört - außer Bob. Für die Leute muss Blues fremd und seltsam geklungen haben. Die meisten Bands hier oben spielten Polka und sonst allenfalls Jazz oder Country. Und wenn ich mich recht erinnere, hatten alle ein Akkordeon dabei, das Instrument Nummer 1, alle spielten es.“ Erzähler Hibbing war damals weiß und ist es bis heute: Laut Zensus aus dem Jahr 2010 sind gerade mal 0,6 Prozent der Einwohner Afroamerikaner. In ganz Minnesota sind 5,2 Prozent, in den gesamten USA 12,7. In Hibbing ist die Great Migration, die Völkerwanderung schwarzer Amerikaner Richtung Norden, nie angekommen. Warum das so ist? Leroy Hoikela und Monte Edwardson schütteln Kopf. Vielleicht, weil die Jobs hier oben nicht attraktiv genug waren, vielleicht ist das Klima zu harsch, auch gesellschaftlich. Deshalb jedenfalls sind sie weg gezogen, gleich nach der Schule. Leroy und Bob und Monte. O-Ton 8 Monte Edwardson (0’14) “October 1960 was it when I left… and then off to some place else.” Voice-Over 3 Monte Edwardson “Im Oktober 1960 war das. Ich bin nie mehr zurück gekommen, außer zu Besuch. Die meisten jungen Leute gehen, nach Minneapolis, St.Paul oder Duluth. Aufs College und dann nichts wie weg.“ Regie Atmo 3 kurz hoch. Erzähler Ein schlaksiger Mann mit eisgrauen Haaren hat am Nebentisch Platz genommen: Rick Cannata, der Bürgermeister von Hibbing. Er bestellt einen doppelten Burger mit Pommes. Dass Hibbing eine sterbende Stadt ist, macht ihm Sorgen. Aber er hat ein Programm zur Wiederbelebung. O-Ton 9 Rick Cannata (0’34) “I’d like to see…… what we have to offer up here.“ Voice-Over 2 Rick Cannata “Wir müssen es hinkriegen, dass Hibbing wieder wächst, dass wir wieder Geschäfte ansiedeln, vom Einzelhandel bis zu Herstellern. Und wir müssen die jungen Leute zurückholen. Nach der Uni kommen sie nicht mehr nach Hause. Wir müssen unsere Bürger aktivieren. Jeder hat Freunde und Familienangehörige, die weggegangen sind. Diese Verbindungen müssen wir nutzen, um Geschäftsleuten zu zeigen, wie viel wir hier zu bieten haben.“ Regie Musik 8 („On the road again“ von Bob Dylan). Läuft komplett. Dann Blende zu Atmo 4 (Autofahrt). Erzähler In Iowa, gute sieben Autostunden südlich von Hibbing durchschneidet Highway 61 schier endlose Kornfelder, deren Ähren sich im Wind wiegen. Er passiert schmucke Orte wie Dubuque und Davenport und folgt dem Lauf des Mississippi, des Ol’e Man River, der früher die Lebensader der USA war und heute noch ein wichtiger Transportweg ist. Kähne tuckern flussabwärts, vier, fünf, sechs Container im Schlepptau. Ein Bilderbuchamerika: prosperierend, vor Kraft strotzend - und weiß. Regie Blende zu Musik 2. Wieder nur das Intro verwenden. Erzähler In St. Francisville beginnt der Süden. Nicht geografisch, denn der kleine Ort am Ufer des Des Moines River liegt annähernd auf demselben Breitengrad wie New York. Aber politisch: Der Des Moines River trennt Iowa von Missouri. Und Missouri war Teil der Konföderierten Staaten von Amerika, die sich im Jahr 1860, nach der Wahl von Abraham Lincoln zum Präsidenten von den USA abgespaltet hatten. Wobei man präziseren muss, dass nur der damalige Gouverneur den Beitritt Missouris zur Konföderation erklärt hatte - gegen den Willen des Staatsparlaments Regie Musik 2 als Trenner kurz hoch. Erzähler Mit der Sezession begann der Amerikanische Bürgerkrieg, der fünf Jahre später mit der Kapitulation der Konföderierten endete und den Zusammenbruch ihrer auf Sklaverei basierenden Ökonomie zu Folge hatte. Alle Südstaaten erließen danach Gesetze, die eine Trennung der Rassen vorschrieben. In Missouri gingen Schwarze und Weiße bis in die 50er Jahren des 20. Jahrhunderts auf getrennte Schulen. Gemischtrassige Ehen waren verboten. Regie Blende zu Atmo 5 (Pier) Evlt. zusätzlich Anlegen eines Dampfers aus Archiv. Erzähler Hannibal, Missouri. Am Pier legt ein Ausflugsdampfer an. Er ist dreistöckig, mit umlaufender Balustrade, geschmückt mit Girlanden in den Nationalfarben rot, blau und weiß. Die Passagiere steigen aus - alle sind weiß. Sie werden erwartet von einem Jungen und einem Mädchen. Er mit Strohhut auf Kopf, in einem verschlissenen weißen Hemd und viel zu kurzer Hose aus grober Baumwolle. Sie in knöchellangem Kleid, die Harare unter eine Haube verborgen. Regie Atmo 5 (Pier) als Trenner kurz hoch. Erzähler Die beiden stellen Tom Sawyer und Becky Thatcher dar, die Hauptfiguren aus Mark Twains Roman „Die Abenteuer des Tom Sawyer“. Seit über 60 Jahren wählt ein Bürgerkomitee einen Tom und eine Becky aus, die Hannibal jeweils 12 Monate repräsentieren. In der Stadt, aber auch außerhalb. O-Ton 10 Tom Sawyer (0’09) “Well, the least couple of weeks… … having a real good time.“ Voice-Over 5 Tom Sawyer “In den letzten Wochen hatten wir Fotoaufnahmen bei einem Spiel der St. Louis Cardinals und jede Menge sonstige Auftritte. Das macht echt Spaß.“ O-Ton 11 Becky Thatcher (0’13) “I’d like y’all to know… … while he was here.“ Voice-Over 6 Becky Thatcher “Wir wollen den Leuten zeigen, dass Hannibal eine freundliche, lebendige Stadt ist. Wir wollen, dass noch mehr Leute kommen. Hier gibt es so viel zu entdecken, über Mark Twain und seine Zeit in Hannibal.“ Erzähler Hannibal ist Mark Twains Heimatstadt. Unweit von hier wurde der Schriftsteller geboren, als Samuel Langhorne Clemens, in einem Kaff namens Florida. Seine Kindheit und Jugend hat er in Hannibal verbracht. Regie Blende zu Atmo 6 (Hannibal) Erzähler Tom und Becky führen die Besucher einen Hügel hinauf - in ein Museumsdorf. Es ist dem fiktiven St. Petersburg nachempfunden, in dem „Die Abenteuer des Tom Sawyer“ spielen. Das Haus der Familie Thatcher ist beigefarben mit grünen Fensterläden, das von Tante Polly, bei der Tom Sawyer lebt, ein Souvenirladen. Ein kleines weißen Haus firmiert als Mark Twains Boyhood Home. Daneben der Zaun, den Tom Sawyer streichen soll - eine Arbeit, die er bauernschlau an seine Freunde delegiert und sich dafür auch noch entlohnen lässt. Voice-Over 1 Zitator “Am Abend war Tom reich. Er besaß einen Drachen, zwölf Murmeln, eine blaue Glasscherbe, einen Revolver, einen Schlüssel, ein Stück Kreide, einen Zinnsoldaten, zwei Kaulquappen, sechs Knallfrösche, ein einäugiges Kätzchen, einen Türgriff, ein Hundehalsband, vier Stück Apfelsinenschale und einen alten Fensterrahmen. Den ganzen Tag hatte Tom gefaulenzt und den Jungen bei der Arbeit zugesehen. Der Zaun war jetzt dreimal gestrichen.“ Regie Atmo 6 soll kurz frei stehen. O-Ton 12 Tom Sawyer (0’07) “Well, Mark Twain and how creative. … …try to check that out.“ Voice-Over 5 Tom Sawyer “Mark Twain war so ein kreativer Schreiber. In seinen Büchern steckt so viel. Sollten Sie sich mal reinziehen.“ Regie Blende zu Atmo 7 (Veranda) Erzähler Die Einschätzung des Schriftstellers teilt Faye Dant, auch wenn sie andere Worte wählen würde und ihr das inszenierte St. Petersburg schon aus Prinzip nicht gefällt. Faye Dant ist Afroamerikanerin. Die ehemalige Lehrerin sitzt auf der Terrasse in den Hügeln oberhalb von Hannibal, mit Blick auf das Museumsdorf. O-Ton 13 Faye Dant (0’23) “Very early on… … this is not Twain’s story if you will.“ O-Ton 14 Faye Dant (0’29) “I see Tom Sawyer’s story…… … This will tell you the difference.“ Voice-Over 7 Faye Dann “Hannibal hat von Anfang an nur diese Richtung eingeschlagen, vielleicht weil alles andere nicht seicht genug ist. Die Stadt reduziert Mark Twain auf diese beiden Kinder, wie sie mit Murmeln spielen und Streiche aushecken - eine Art Märchen. Aber das wird Mark Twain nicht gerecht. Klar, Tom Sawyer kann man als Kinderbuch lesen. Aber Mark Twain hat auch eine Art Fortsetzung geschrieben, „Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten“, mit Toms Freund als Hauptfigur. Und dieses Buch hat viel mehr Tiefe. Huck Finn wird bei uns im elften Schuljahr durchgenommen, Tom Sawyer im vierten. Das sagt doch alles.“ Regie Musik 9a („Change is gonna come“ von Otis Redding). Läuft komplett. Falls Zeit gewonnen werden muss, stattdessen Musik 9b („Everything gonna be alright“ von Big Mama Thornton) Folgende Zitate sind aus „Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten“. Evtl. inszenieren, z. B. mit Fluss-Atmo unterlegen Voice-Over 1 Zitator “Wir sprachen über Cairo, unser nächstes Ziel, und meinten, ob wir es wohl erkennen würden, wenn wir dran vorbei kämen. Ich sagte nein, vielleicht nicht, denn ich hatte gehört, es seien überhaupt nur ein Dutzend Häuser da, und wenn sie die nicht ganz extra hell erleuchteten, wie sollten wir wissen, daß es eine Stadt war. Jim meinte, er sehe sie ganz sicher, denn im Augenblick, wo er sie sehe, sei er ein freier Mann, ein freier Nigger! Vorbeifahren hieße wieder in die Sklaverei gehen, nur über den Ohio könne er zur Freiheit gelangen, sonst sei's aus und vorbei.“ Erzähler In „Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten“ schildert Mark Twain Huck Finns Flucht aus der kleinbürgerlichen Enge von St. Petersburg. Mit dem entlaufenen Sklaven Jim trudeln er auf einem Floß den Mississippi hinab - nach Cairo. Der Ort liegt zwar weiter südlich als das fiktive St. Petersburg, aber in Illinois, das an der Mündung des Ohio River in den Mississippi wie ein ausgestreckter Finger in die Südstaaten hinein ragt. Illinois ist Nordstaat, die Sklaverei ist dort lange vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg abgeschafft worden. O-Ton 15 Faye Dant (0’28) “Twain made him a man… …in those times.“ Voice-Over 7 Faye Dant “In diesem Buch macht Mark Twain ihn zu einem Mann, klug und geistreich. Huck lernt, wie man in jenen schrecklichen Zeiten überlebt. Mark Twain schildert das mit viel Witz und Ironie. Das ist sein Trick, um überhaupt gelesen zu werden. Sonst wäre das Buch für die Menschen damals völlig ungenießbar gewesen.“ Voice-Over 1 Zitator “Zum allerersten Mal in der ganzen langen Zeit, die ich mit Jim zusammen gewesen war, wurde mir so recht klar, was ich eigentlich tat. Mir wurde siedend heiß bei dem Gedanken. Ich suchte mich bei mir selbst zu entschuldigen, ich war ja eigentlich gar nicht zu tadeln, ich hatte ja Jim nicht davonlaufen heißen von seiner rechtmäßigen Besitzerin! Das half mir aber nichts. Allemal regte sich wieder das Gewissen und sagte: Aber du hast ihm geholfen auf der Flucht und hättest doch nur ans Ufer zu rudern und jemandem davon zu sagen brauchen. Wahrhaftig, so war's – da half keine Ausrede“. Regie Atmo 8 (Hannibal Faye) Erzähler Faye Dant führt durch das andere Hannibal - das afroamerikanische. Zur Missionary Baptist Church, der ersten schwarzen Kirche. Durch Wohnsiedlungen mit kleinen, eng stehenden Häusern. Dieser Teil Hannibals ist schon auf den ersten Blick ärmer als die weißen Viertel. Regie Atmo 8 als Trenner kurz hoch Erzähler Im Buch liefert Huck Finn den entlaufenen Sklaven Jim nicht aus. Die beiden werden Freunde, später stößt auch Tom Sawyer wieder hinzu. Literaturwissenschaftler gehen davon aus, dass Tom Sawyer dem jungen Mark Twain nachempfunden ist. Und dass Huck Finn die Metamorphose des Schriftstellers darstellt: vom Sohn eines Sklavenhalters, der die herrschende Ordnung als gegeben akzeptiert und sich nach Ausbruch des Bürgerkriegs - einer allerdings kurzlebigen - Miliz anschließt zum entschiedenen Gegner von Sklaverei und Rassismus. O-Ton 16 Faye Dant (0’25) “Twain had identified… …his given name was Daniel.“ Voice-Over 7 Faye Dann “Mark Twain selbst hat einen Mann namens Daniel Quarels als Prototypen für Jim benannt. Er basiert also auf einem Menschen, der wirklich hier gelebt hat. Mark Twains Onkel hieß Sam Quarels, er hatte Daniel als Sklaven in Kentucky gekauft. Daniel hat den Nachnamen seines „Besitzers“ übernommen - einen Sklavennamen, wie damals üblich. Aber soweit ich weiß, hieß er mit Vornamen tatsächlich Daniel.“ Regie Blende zu Atmo 6 (Hannibal) Erzähler Im Museumsdorf kommt Huck Finn nur am Rande vor, mit einer Bronzestatue, die ihn mit Tom Sawyer zeigt und einer Hütte, die sein Wohnhaus darstellen soll. Daniel Quarels wird nirgends erwähnt. O-Ton 17 Faye Dant (0’35) “This what makes me so mad… …than we do.“ Voice-Over 7 Faye Dann “Das macht mich echt sauer. Die Gründer von Hannibal waren alle Sklavenhalter. Moses Bates, der erste Siedler: Er wird verehrt, aber niemand spricht von den vier Sklaven, die seine Sachen geschleppt haben. Hannibal fällt es schwer anzuerkennen, was Afroamerikaner für die Stadt getan haben. Ich sage es offen: Weiße können unsere Geschichte nicht erzählen, wir müssen es selbst tun. Sie zeichnen die Geschichte nicht unbedingt weich, aber sie neigen dazu, das Verhalten ihrer Vorfahren zu beschönigen.“ Erzähler Deshalb hat Faye Dent Jim’s Journey gegründet - ein Museum, das Jims Geschichte erzählt und die der Afroamerikaner in Hannibal. Vom schwarzen Geschäftsviertel, von Kirchen als den einzigen Orten, an denen es ihnen während der Rassentrennung gestattet war, sich zu versammeln. Von einzelnen Menschen, ihren Lebensläufen und Leistungen. Jim’s Journey befindet sich einen Straßenblock vom Museumsdorf entfernt in einem verwitterten Blockhaus. Besucher kommen kaum. Und wenn, dann sind es meist Afroamerikaner. O-Ton 18 Faye Dant (0’31) “I though this would connect… …I had to go with that.“ Voice-Over 7 Faye Dant “Ich dachte, die Leute könnten etwas damit anfangen, vor allem die Touristen. Wer an Mark Twain interessiert ist und sich Huck Finns Haus ansieht, würde doch auch wissen wollen, wo und wie Jim gelebt hat. Das habe ich jedenfalls gedacht. Und ich wollte mehr erzählen als nur Jims Geschichte. Deshalb der Name: „Jim’s Journey“. Seine Nachkommen wären in eine Schule für Schwarze gegangen, sie hätten in einem schwarzen Viertel gewohnt. So wäre ihr Leben verlaufen. Davon möchte ich erzählen.“ Regie Musik 10 („Change the world“ von Tel Poe). Läuft komplett. Blende zu Auto 9 (Shooting1) O-Ton 19 Unbekannter (0’04) “Hey Buck… … for no reason.“ Voice-Over 1 Unbekannter “Hi Buck, sie haben ihn ohne Grund erschossen.“ Erzähler Es ist ein verstörendes Video, aufgenommen per Handy. Ein junger Afroamerikaner in weißem T-Shirt und schwarzer Hose liegt mitten auf einer Straße. Unter seinem Kopf eine Blutlache. Die Fahrbahn ist mit Klebeband abgesperrt. Dahinter ein paar Hundert Menschen - alle sind schwarz. Innerhalb der Absperrung rennen Polizisten umher - alles Weiße. Regie Auto 10 (Shooting2). Soll kurz frei stehen Erzähler Eine Frau taucht unter dem Absperrung durch. Sie läuft auf den Körper des jungen Mannes zu und beugt sich über ihn. Drei Polizisten stürmen herbei und führen sie ab. Passanten mischen sich ein. Die Stimmung ist explosiv. Regie Auto 10 bei 0:24 hoch. Stimme: „That’s her son, man“. Soll noch ein bisschen stehen bleiben, damit sich die Verzweiflung der Leute vermittelt. O-Ton 20 Kevin Massey (0’29) “When then mom was trying…… … see if it is her child.“ Voice-Over 3 Kevin Massey “Als die Mutter sehen wollte, ob es ihr Kind ist, haben sie ihr gesagt, dass sie verdammt noch mal abhauen soll. Ich habe das Absperrband gehoben und dem Typen gesagt, "Hau du ab und lass' sie ihr Kind sehen.” Dann wurde es handgreiflich. Ein Polizist raunte mir zu: "Warte nur ab, bis wir mit dir reden. Ich sagte: „Mensch, lass sie doch gucken, ob es ihr Sohn ist.“ Regie Blende zu Atmo 11 (Canfield Drive) Erzähler Kevin Massey trägt ein weißes Unterhemd zur blauen Jogginghose, dazu Turnschuhe. Er ist knapp 1,90 groß, glatzköpfig und fast zahnlos. So geht er über den Canfield Drive in Ferguson, einer Stadt im Großraum St.Louis, zwei Autostunden südlich von Hannibal. Regie Atmo 11 als Trenner kurz hoch ziehen. Erzähler Auf dem Canfield Drive wurde im August 2014 der schwarze Teenager Michael Brown erschossen - von einem weißen Polizisten. Und Kevin Massey war einer der ersten, die von den Schüssen aufgeschreckt zum Tatort eilten. Der Fall Michael Brown war nur einer von vielen in den letzten Jahren: Aber dieser ging um die Welt: als Symbol für das, was viele Schwarze in den USA als Polizeiwillkür empfinden. O-Ton 21 Barack Obama (0’11) “We have seen tragedies… by these shootings.“ Voice-Over 2 Barack Obama “Wir haben zu viele Tragödien wie diese gesehen. Wir alle als Amerikaner sollten uns wegen diesen Schießereien Sorgen machen.“ Erzähler Der damalige US-Präsident Barack Obama in einer Rede. O-Ton 22 Barack Obama (0’52) “I just want to give… … of the incarcerated population.“ Voice-Over 2 Barack Obama “Ich möchte Sie auf ein paar Statistiken hinweisen. Nach zahlreichen Studien, die in den letzten Jahren erhoben wurden, werden Afroamerikaner zu 30 Prozent häufiger von der Polizei angehalten als Weiße. Nachdem sie angehalten wurden, werden Afroamerikaner und Latinos dreimal häufiger durchsucht als Weiße. Letztes Jahr wurden Afroamerikaner zweimal so oft von der Polizei erschossen wie Weiße. Sie werden zweimal so oft angeklagt. Die Strafen, zu denen sie verurteilt werden sind zehn Prozent höher als bei Weißen, die für ähnliche Verbrechen vor Gericht stehen. Das führt dazu, das Afroamerikaner und Latinos nur 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen, aber 50 Prozent der Gefängnisinsassen.“ Erzähler Dabei war Michael Brown kein Unschuldslamm. Nach allem, was man weiß, hat er kurz vor den tödlichen Schüssen Zigaretten in einem Lebensmittelladen gestohlen. Deshalb hat der Polizist ihn angehalten. Über das, was dann geschah, gibt es unterschiedliche Aussagen. Fest steht, dass der Polizist zwölf Kugeln abgefeuert hat. Sechs haben Michael Brown getroffen, zwei in den Kopf, die letzte tödlich. Michael Brown war unbewaffnet. Regie Blende zu Atmo 12/13(Riots 1/2). Beide sehr kurz. Erzähler Nach den Schüssen gehen tausende auf die Straße. Die Demonstration eskaliert. Es kommt zu Plünderungen, der Lebensmittelladen, in dem Michael Brown Zigaretten gestohlen hat, wird niedergebrannt. Regie Atmo 12/13 kurz hoch. Wir hören, wie die Menschen „Hands up, don’t shoot“ skandieren. Erzähler Ein halbes Jahr später beschließt ein Geschworenengericht, keine Anklage gegen den Polizisten zu erheben. Wieder demonstrieren Tausende. Doch nun stehen sie hochgerüsteten Polizeieinheiten gegenüber. Regie Blende zu Atmo 14 (Riots 3). Steht kurz frei. dann Blende zu Atmo 11 Erzähler Canfield Drive ist keine schöne Gegend. Eine Sackgasse, gesäumt von ein- bis dreistöckigen Wohnblöcken, die aussehen wie Motels. Es sind Sozialwohnungen, in den USA Projects genannt. Auf dem Canfield Drive wohnen nur Schwarze. Einkaufsmöglichkeiten gibt es nicht, auch nicht draußen auf dem Highway, nur Nagelstudios, Schnapsläden und Pfandleihen. Regie Atmo 14 als Trenner kurz hoch ziehen Erzähler Wo Michael Brown erschossen wurde, ist ein Gedenkstein in den Boden eingelassen. Bezahlt nicht etwa von der Stadt Ferguson, sondern von einer Wohnungsbaugesellschaft. Ihr gehören die Häuser auf dem Canfield Drive. Eine junge Frau verharrt vor der Gedenktafel. Sie heißt Gabby und war eine der Demonstrantinnen. O-Ton 23 Gabby (0’23) “We were upset… …it was all love.“ O-Ton 24 Gabby (0’25) “I was thinking that… …it was all love.“ Voice-Over 7 Gabby “Wir waren sauer, weil alles negativ dargestellt wurde. Als das mit Michael Brown passiert ist, haben wir zum ersten Mal so etwas wie Gemeinschaft erlebt. Leute aus ganz St. Louis sind zusammengekommen, haben sich gegenseitig kennengelernt. Alles war voller Liebe, aber davon hast du nichts in den Nachrichten gesehen. Wie eine Blockparty mit Grillen und so: pure Liebe. In den Nachrichten hieß es, wir hätten randaliert, dann erst hätte die Polizei Tränengas eingesetzt. Aber es war genau umgekehrt: Erst hat die Polizei uns mit Tränengas beschossen, dann haben wir randaliert. Aus dem weißen Amerika hieß es dann: Warum macht ihr alles kaputt, das ist doch euer Viertel? Scheiß drauf! Brennt alles nieder! Wir leben in Sozialwohnungen, wir kriegen Wohngeld. Nichts davon gehört uns.“ Regie Musik 11 („Like a Rolling Stone“ von Bob Dylan). Läuft bis Ende der Stunde 2. Stunde II. Mid-West: von Ferguson nach Memphis O-Ton 25 Gabby (0’19) “If you ask any person on the street.. …that’s totally different“ O-Ton 26 Gabby (0’13) “If something happened to me… …don’t even know 911.“ Voice-Over 7 Gabby “Ich habe mal in Sozialkunde Leute auf der Straße gefragt: „Was seid ihr?“ Die Schwarzen haben geantwortet: "Ich bin schwarz." Die Weißen: "Ich bin Amerikaner." Verstehst du: Wir definieren uns als Schwarze. Das beinhaltet keine Rechte, Amerikaner zu sein schon. Ein Riesenunterschied. Ich würde zum Beispiel nie die Polizei rufen, wenn mir was passiert. Weil ich nie erlebt habe, dass die Polizei mich beschützt. Als schwarze Frau ist mir das total fremd, so bin ich aufgewachsen. Und das gebe ich an meine Tochter weiter: Sie kennt nicht mal die Notrufnummer.“ Regie Musik 12 („Highway 61 Revisited“ von PJ Harvey) Danach Atmo 11 O-Ton 27 Kevin Massey (0’29) “Two weeks before.. … no respect for black people.“ Voice-Over 3 Kevin Massey „Zwei Wochen vor Michael Brown hat mich die Polizei genau an der Stelle angehalten. Ich habe meine Hunde ausgeführt, zwei Pit Bulls. Der Polizist hat seine Waffe auf mich gerichtet und mich angeschrien: „Schaff die verdammten Hunde hier weg!“ Wieso redet er so mit mir? Diese Typen haben keinen Respekt vor uns Schwarzen.“ Erzähler Kevin Massey. Mit einer Tüte mit Einkäufen in der Hand geht er über den Canfield Drive, die Straße, in der Michael Brown erschossen wurde. Vorbei an beigefarbenen Apartmentblöcken. Sie sind dreistöckig, mit kleinen Holzbalkonen. Zwischen den Blöcken Wiesen - Überbleibsel eines Golfplatzes. Die Apartments wurden ursprünglich für Besserverdiener gebaut. Heute leben hier nur Afroamerikaner. Kevin Masseys Wohnung liegt im hinteren Teil des Canfield Drive. Dort ist es trostlos. Die Gebäude sehen aus wie billige Motels, die Apartments sind winzig. O-Ton 28 Kevin Massey (0’17) “I try to stay off the streets… … make sure everything is right.“ O-Ton 29 Kevin Massey (0’18) “My stepson, he got a ticket… …He’s fighting that right now.“ Voice-Over 3 Kevin Massey „Ich lasse mich so wenig wie möglich auf der Straße blicken. Weil… ich sehe ja, was die Polizei mit den Jungs hier macht. Ich halte mich aus allem raus. Und wenn ich wo hin muss, sehe ich zu, dass ich nichts bei mir habe und alles in Ordnung ist. Mein Stiefsohn ist kürzlich in eine Verkehrskontrolle geraten. Einen Strafzettel hat die Polizei ihm nicht gegeben, aber seinen Ausweis einbehalten. Dann wurde er vor Gericht geladen. Aber wie sollte er da erscheinen, ohne Ausweis und ohne Strafzettel? Er geht jetzt dagegen vor.“ Erzähler Die Verkehrskontrolle fand in Florissant statt, Fergusons Nachbarstadt. Im Großraum St. Louis leben knapp drei Millionen Menschen, verteilt auf mehr als 100, teils sehr kleine Städte und auf 16 Landkreise. Die meisten Städte haben eine eigene Polizei, jeder Landkreis einen eigenen Sheriff. Das Behördenwirrwarr hat System: Sowohl Städte als auch Kreise finanzieren sich zu einem Drittel und mehr über Strafzettel. Werden bei Verkehrskontrollen Drogen gefunden, erlaubt das amerikanische Recht zudem die Beschlagnahmung des Autos, in dem sie entdeckt wurden - eine weitere Einnahmequelle für Städte und Kreise. Diese Praktiken hat eine Kommission bemängelt, die Präsident Barack Obama nach den tödlichen Schüssen auf Michael Brown eingesetzt hatte. Regie Atmo 11 als Trenner kurz hoch Erzähler Nachfragen bei James Knowles, dem Bürgermeister von Ferguson. Zwei von drei Einwohnern der Stadt sind schwarz, er ist weiß. Seine demokratische Legitimation ist dünn. Die erste Wahl hat er nur mit relativer Mehrheit gewonnen, bei der zweiten betrug die Wahlbeteiligung gerade mal 12 Prozent. Er blättert im Bericht der Kommission. Regie Atmo 11 endet. Keine Atmo für Knowles. Evtl halligen Raum. O-Ton 30 James Knowles (0’48) “They felt that there was a pattern of practice…… in certain cases.“ Voice-Over 4 James Knowles „Hier wird außerdem beklagt, dass es in der Praxis der Polizeibehörden gewisse Muster gegeben habe, die gegen Verfassungszusätze verstießen. Gegen den 1. Verfassungszusatz, also gegen die Meinungsfreiheit, gemeint sind angebliche Übergriffe der Polizei während der Demonstrationen hier in Ferguson. Und gegen den 4., den Schutz vor willkürlicher Durchsuchung, Festnahme und Beschlagnahme: wie Festnahmen durchgeführt wurden und dass bei Verkehrskontrollen angeblich unverhältnismäßig oft afroamerikanische Fahrer angehalten wurden. Letzteres wurde als größtes Problem bezeichnet. In einigen Fällen wird, glaube ich, auch Gewaltanwendung durch die Polizei kritisiert.“ Erzähler James Knowles schwitzt. Am liebsten würde er nicht mehr über die Vergangenheit reden sondern nur noch über Gegenwart und Zukunft. O-Ton 31 James Knowles (0’20) “I put together a task force …… hopefully improve policing and safety in our community.“ Voice-Over 4 James Knowles „Ich habe eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Pläne für ein ziviles Gremium entwickelt hat, das die Aufsicht über die Polizei innehat. Mit Begeisterung sehen wir, welche positiven Auswirkungen diese Mechanismen auf das Verhältnis zwischen Bürgern und Polizei haben, aber auch auf die Polizeiarbeit und drauf, wie wir hoffentlich die Polizeiarbeit und die Sicherheit in unserer Stadt verbessern werden.“ Regie Atmo 12 (Canfield Drive2). Wenn zu kurz im weiteren Verlauf Atom 13 (Canfield Drive3) verwenden. Erzähler Auf dem Canfield Drive ist von einem besseren Verhältnis zwischen Bürgern und Polizisten nichts zu spüren, jedenfalls, wenn man Kevin Massey glaubt. O-Ton 32 Kevin Massey (0’44) “Nothing has changed t… so it’s his.“ Voice-Over 3 Kevin Massey „Hier hat sich nichts geändert, es ist wie immer. Wir kennen es nicht anders. Als Schwarze sind wir es gewohnt, dass die Polizei mit schmutzigen Tricks arbeitet und uns grundlos filzt. Sie halten dich an. Dann heißt es: Guck mal, wir haben Crack in deiner Tasche gefunden. „Aber das gehört mir nicht.“ „Ach komm, erzähl doch nichts….“ Dann stehst du vor Gericht, vor einer Jury. Der Prozess findet in einem Bezirk statt, in dem es nur weiße Geschworene gibt. Und die sagen dann: Du bist schuldig, denn du bist schwarz und Schwarze verkaufen Crack. Das war's dann. Der Polizist sagt, es war deins, also war es deins.“ Erzähler Dass Schwarze kriminell sind, ist ein gängiges Vorurteil. Auf den ersten Blick wird es durch Zahlen gestützt: Mehr als 7 Millionen Amerikaner sind in Haft, auf Bewährung oder in Haftaussetzung. Nach neusten Zahlen ist knapp die Hälfte von Ihnen schwarz. Damit sind 6,5 Prozent aller Schwarzen im Strafsystem, aber nur etwas mehr als 1 Prozent aller Weißen. Die Juristin und Hochschulprofessorin Michelle Alexander hat die Gründe für diese Diskrepanz untersucht. In ihrem Bestseller „The New Jim Crow“ vertritt sie eine provozierende These: Die Masseninhaftierung sei ein Instrument, um Schwarze systematisch zu unterdrücken. So wie vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg die Sklaverei und danach die Rassentrennung: Voice over 7 Zitatorin „Auch wenn dieses neue System vorgibt, farbenblind zu sein, schafft und erhält es doch eine Rassenhierarchie. Wie die Rassentrennung und davor die Sklaverei basiert es auf einem engmaschigen Netz aus Gesetzen, Methoden, Gewohnheiten und Institutionen, deren Zusammenwirken die Unterdrückung einer durch ihre Hautfarbe definierten Bevölkerungsgruppe bewirkt. Heute ist es legal, Kriminelle so zu diskriminieren, wie früher Afro-Amerikaner. Einem Straftäter können Bürgerrechte verweigert werden: das Recht auf Arbeit, auf Bildung, auf öffentliche Zuwendungen, sogar das Recht zu wählen.“ Erzähler Auch Kevin Massey hat gesessen. 18 Jahre wegen 250 Gramm Crack. Als Ersttäter. Während seiner Haftzeit durfte er nicht wählen, später war er als Drogentäter von Wohngeld und Sozialhilfe ausgeschlossen. Bis heute ist er nicht mehr richtig auf die Beine gekommen. O-Ton 33 Kevin Massey (0’06) “America is a racist…… you ain’t right.“ Voice-Over 3 Kevin Massey „Amerika ist ein rassistisches Land. Wenn du nicht weiß bist, dann gehörst du nicht dazu.“ Regie Musik 13 (Get involved“ von George Soule). Läuft komplett durch. Dann Atmo 14 (BB1) Erzähler Gravois Park in St. Louis ist ein alternatives Viertel, mit Bioläden und vielen kleinen Restaurants und Kneipen. Im Blank Space, einer dieser Kneipen, haben sich 20, 30 Menschen zum „Books & Breakfast“ versammelt, einem Büchertausch mit gemeinsamem Frühstück. Die Bücher sind auf Tischen ausgestellt. Darunter eine Biografie von Rosa Parks - ihre Weigerung, einen Sitzplatz in einem Bus in Montgomery, Alabama für einen Weißen zu räumen, gilt als Auftakt für den organisierten Kampf gegen die Rassentrennung im Süden der USA. Eine andere über Malcolm X, den radikalen Bürgerrechtler. Regie Atmo 14 Erzähler „Books & Breakfast“ wird jeweils am letzten Samstag eines Monats von Hands Up United veranstaltet. Die Organisation ist aus den Demonstrationen in Ferguson hervorgegangen, „Hands up, don’t shoot“, war dort ein Schlachtruf: „Hände hoch, nicht schießen“. Regie Blende zu Atmo 15 (BB2) Erzähler Mittendrin ein großer Mann, ganz in schwarz, mit Babyflaum ums Kinn und Baseballkappe auf dem Kopf, natürlich verkehrt herum aufgesetzt. Er nennt sich Tef Poe, ist ein HipHopper und einer der Gründer von Hands Up United. O-Ton 34 Tef Poe (0’43) “My name originally ist just a rap alias… … So it’s Tef Poe.“ Voice-Over 2 Tef Poe „Ursprünglich war Tef Poe nur mein Künstlername als Rapper. Aber als mein Bewusstsein gewachsen ist, habe ich angefangen, mich mit den Folgen der Sklaverei auseinandersetzen, unter anderem damit, wie uns Schwarzen unsere heutigen Namen gegeben wurden. Ich finde, dass es auf dem Weg zu Befreiung ein wichtiger Schritt ist, entweder deinen ursprünglichen Familiennamen wieder anzunehmen - was schwierig für uns in den USA ist, weil wir ihn nicht kennen. Oder du gibst dir einen Namen, der für dich eine Bedeutung hat. Mein Name bedeutet „geistige Nahrung“. Tef ist ein äthiopisches Getreide und Poe ist die Kurzform für Poesie.“ Erzähler Eine junge Frau hat das Mikrofon ergriffen. Bei „Books & Breakfast“ wird immer auch über ein Thema referiert. Dieses Mal über Plessy versus Ferguson, eine Entscheidung des Obersten Gerichts aus dem Jahr 1896. Darin wird die gesetzliche Rassentrennung in Louisiana für verfassungsmäßig erklärt. Diese Rechtsauffassung hatte bis ins Jahr 1954 Bestand. Bis das Oberste Gericht im Fall Brown versus the Board of Education entschied, dass die Rassentrennung an Schulen einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung darstellt. Regie Atmo 16 kurz hoch. Dann Blende zu Atmo 17 (BB4) Erzähler Das Ziel von Hands Up United ist der Aufbau einer schwarzen Widerstandsbewegung - von unten, vom Volk aus. Die Organisation bietet Computerkurse und Rechtsberatungen an. Und sie unterhält ein aus Spenden finanziertes Essenprogramm für Bedürftige. Erste Ideen sind schon bei Gesprächen während der Demonstrationen in Ferguson entstanden. Wie die anderen Gründer von Hands Up United war auch Tef Poe damals in vorderster Front dabei. O-Ton 35 Tef Poe (0’41) “It was pretty frightening … … what that moment represents.“ Voice-Over 2 Tef Poe „Es war beängstigend. Die meisten von uns dachten, dass wir diese Sache nicht überleben. Da auf der Straße, das waren keine Polizisten, wie man sie sich gewöhnlich vorstellt. Wir standen einer Militärmacht gegenüber, die Polizei war ausgerüstet wie eine kleine Armee. Gegen Bürger, gegen unbewaffnete Bürger. Ich habe schon damals gespürt, dass etwas Besonders passierte, dass wir knietief in etwas steckten, dass wir nicht verstanden. Ich glaube, wir haben bis heute noch nicht begriffen, was diese Momente bedeuten.“ Regie Musik 14 (Malcolm X“ von Tef Poe). Beginn mit einer Rede von Malcolm X zu Musik, von Tef Poe. Soll kurz freistehen. Erzähler Antworten versucht Tef Poe in dem Song „Malcolm X“ zu geben. In der Bürgerrechtsbewegung war Malcolm Little, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, der Gegenspieler von Nobelpreisträger Martin Luther King. Auch er wurde ermordet - unter nie restlos aufgeklärten Umständen. Regie Musik 14 bei ca 0:50 hoch ziehen. Wir hören das Ende der Rede und den Beginn des eigentlichen Songs. Erzähler Malcolm X vertrat einen radikalen Ansatz: Statt Integration zu fordern, sollten die Schwarzen sich zunächst neu definieren, das überwinden, was er als „kollektiven Gedächtnisverlust des schwarzen Amerika“ brandmarkte. Um dem weißen Amerika dann aus einer Position der Stärke zu begegnen. Im Video zum Song sind Bilder aus Ferguson zu sehen, in die immer wieder Tef Poe hineingeschnitten ist, ein Megafon in der Hand. Die Bilder feiern die Gemeinschaft, die während der Demonstrationen entstanden ist, angesichts der Bedrohung durch hochgerüstete, amorphe Polizeieinheiten. Regie Musik 14 bei ca 1:55 hoch ziehen. Wir hören die Textzeile „I ride through my city like a Malcolm X“. Kann bis Ende des eigentlichen Songs/Beginn des Epilogs frei stehen. O-Ton 36 Tef Poe (0’29) “They value of our identity… … been treated like I’m not.“ O-Ton 37 Tef Poe (0’13) “And I really believe… … reanalyze what’s going on.“ Voice-Over 2 Tef Poe „Was ist unser Wert in diesem Land? Das wissen wir nicht. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich mich als schwarz definiere. Jedenfalls nicht als amerikanisch. Habe ich nie, Mann. Wir sind keine Amerikaner. Wir haben nicht dieselben Rechte. Und ich empfinde auch keinen Stolz auf dieses Land. Weil… mein ganzes Leben bin ich behandelt worden, als wäre ich kein Amerikaner. Und ich finde, in Amerika brauchen wir mehr als Wahlen. Wir brauchen einen totalen Bruch mit dem, was ist. Wir müssen die "Pause"-Taste drücken und erstmal analysieren, was läuft.“ Regie Musik 15 („Let my people go“ von Darondo.) Kann komplett durchlaufen oder ab 2:20 geblendet werden. Mit Atmo 4 und evtl. jetzt oder etwas später Musik 2 in die neue Szene. Erzähler Von St. Louis führt Highway 61 schnurgerade Richtung Süden, gesäumt von Kornfeldern und kaum befahren. Der Fernverkehr benutzt längst eine Autobahn, die Interstate 55. Sie verläuft parallel zu Highway 61. Regie Atmo 4/Musik 2als Trenner kurz hoch ziehen. Erzähler In einem Kaff names Sikeston, das nicht viel mehr ist als die Kreuzung zweier Highways, ein Schild: Cairo 35 Meilen. Cairo ist das Ziel von Huckleberry Finn und dem entlaufenen Sklaven Jim in Mark Twains Buch: geografisch eine Stadt im Süden, politisch in einem Nordstaat, in Illinois. Für Jim bedeutet Cairo die Freiheit. Regie Blende Atmo 17 (Cairo Streets) Erzähler Heute ist Cairo eine Geisterstadt. Nach Hochrechnungen auf Basis der letzten Volkszählung leben hier weniger als 2.000 Menschen. Dass größer geplant wurde, erkennt man an der Hauptstraße, der Washington Avenue. Sie ist breit und vierspurig. Aber auf ihr verkehren kaum Autos. Zu beiden Seiten eingestürzte Häuser, von Unkraut überwuchert. Die Fenster sind vernagelt, Dachsparren quietschen im Wind. Regie Atmo 17 bei 4:00 kurz hoch ziehen. Wir hören das Quietschen Erzähler Dazwischen freie Flächen. Hier hat der Abrissbagger schon gewirkt Regie Musik 16 („Cissy Strut“, von den Meters). Soll unter Rückblende liegen) Erzähler Cairo war einmal ein blühendes Handelszentrum mit 20.000 Einwohnern und einer verkehrsgünstigen Lage: between two rivers, an der Mündung des Ohio River in den Mississippi. Die beiden Flüsse sind heute noch die bedeutendsten Wasserwege der USA. Doch als die weiße Elite zur Minderheit in ihrer Stadt wurde, wuchsen die Probleme. Regie Blende zu Atmo 18 (Riots). Achtung: schlechter Sound. Muss u.U. bearbeitet werden. Erzähler Treffen mit Clarence Dossie, einem Bürgerrechts-Aktivisten aus den 60er und 70er Jahren. Er lebt in den Projects, in einer Sozialwohnung: winziges Wohnzimmer, winziges Schlafzimmer. Küchenzeile - insgesamt kaum mehr als 30 Quadratmeter, dunkel und modrig. Regie Blende zu Atmo 19 (Clarence Door). Wir hören, wie eine Tür geöffnet wird. Fürs Interview drinnen gibt es keine Atmo. Erzähler Drinnen an allen Wänden Fotos: Barack Obama, Martin Luther King, Malcolm X. O-Ton 38 Clarence Dossie (0’08) “Thats’s me on the right… I’ll be buried in my grave.“ Voice-Over 3 Clarence Dossie „Das ist in Cairo. Rechts, das bin ich. Mit dem Plakat: Bevor sie mich versklaven, lass ich mich begraben.“ Erzähler Der Spruch ist ein Zitat aus „Oh Freedom“, einer Hymne der Bürgerrechtsbewegung. Regie Blende zu Atmo 17 („Oh Freedom“, Golden Gospel Singers). Soll bis Ende Ref rain bei 0:37min frei stehen. O-Ton 39 Clarence Dossie (0’13) “This is one of the marches… …see right there?“ Voice-Over 3 Clarence Dossie „Das war einer der Märsche in Cairo. So sah es damals hier aus. Und das da ist ein gepanzerter Wagen. Mit dem haben sie versucht, die Unruhen einzudämmen“ Erzähler Die Bilder erinnern an Ferguson: Schwarze demonstrieren für ihre Rechte. Auslöser hier wie dort: ein Todesfall. In Cairo war es ein Mann namens Robert Hunt, ein Soldat auf Heimaturlaub, O-Ton 40 Clarence Dossie (0’44) “He was arrested…… …back then, you understand.“ Voice-Over 3 Clarence Dossie „Er wurde verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Am nächsten Tag hieß es, er habe sich erhängt. Im Gefängnis! Wir sind zum Gerichtsgebäude marschiert und wollten herausfinden, warum sie ihn gehängt hatten. Und damit fing alles an. Bei uns hatte sich schon lange Unzufriedenheit angestaut. Alle Geschäfte waren in weißer Hand, wir Schwarzen hatte nichts. Überall begegnete einem Rassismus. Auf der Straße zum Beispiel: Man musste vom Bürgersteig runter um die Weißen passieren zu lassen.“ Erzähler In Cairo herrscht de facto Rassentrennung. Und die Washington Avenue war die Demarkationslinie. Westlich lebten die Weißen, auf der Eastside die Schwarzen. Es gab sogar ein öffentliches Schwimmbad - wobei öffentlich bedeutete: whites only. Im Kern aber ging es um Jobs. Die Geschäftsleute stellten nur Weiße ein, Schwarze waren allenfalls als Kunden willkommen. Clarence Dossie und andere Bürgerrechtler riefen zum Boykott auf. Vier Jahre hielten sie durch. O-Ton 41 Clarence Dossie (0’08min) „We used to have marches… Jesse Jackson had come.“ Voice-Over 3 Clarence Dossie „Jeden Samstag sind wir durch Cairo marschiert. Berühmte Bürgerrechtler sind gekommen, Abernathy, Jesse Jackson.“ O-Ton 42 Rede Jesse Jackson (0’34min) „Cairo just looks like a war zone.. … Soul Power.“ Voice-Over 1 Jesse Jackson „Cairo sieht aus wie ein Kriegsgebiet. Es gibt immer noch zu viel Rassentrennung. Es gibt immer noch zu viel Selbstsucht. Sprecht mir nach: Ich bin ... ein Mensch. Ich bin ... ein Mensch. Ich war vielleicht im Knast - aber ich bin ... ein Mensch. Ich bin Schwarz - ich bin Schwarz, Ich bin schön - ich bin schön, Ich bin Gottes Kind - Ich bin Gottes Kind Soul Power - Soul Power Soul Power - Soul Power.“ O-Ton 43 Clarence Dossie (0’42min) „Not all the white people were racists… … knowing who’s who and all that stuff.” Voice-Over 3 Clarence Dossie „Nicht alle Weißen waren Rassisten, einige standen sogar auf unserer Seite. Aber das Sagen hatten Leute mit vernebeltem Sinn, die nicht akzeptieren wollten, dass wir gleiche Rechte forderten. Sie haben uns angespuckt. Auf dem Bild dort, das ist der Bürgermeister, wie er auf einen Demonstranten einschlägt. Sie sind mit dem Panzerwagen rumgefahren, aus den Löchern an den Seiten haben sie geschossen. Heute setzt die Polizei in den meisten großen Städten auf Militärequipment, statt rauszugehen und zu lernen, die Leute zu verstehen, wer wer ist und so.” Erzähler Clarence Dossie schüttelt den Kopf: wie einfach der Konflikt zu lösen gewesen wäre. Stattdessen ist die Auseinandersetzung eskaliert. Die Weißen haben eine Bürgerwehr gegründet, die so genannten White Hats. Der rassistische Geheimbund Ku Klux Klan ist in Kapuzen und Gewändern durch die Straßen patrouilliert, ebenso die American Nazi Party. Oft hallten Schüsse durch die Nacht, immer wieder gerieten Gebäude in Brand. Weil die Schwarzen Molotowcocktails warfen, sagen die einen, angezündet von den weißen Hausbesitzern, um die Versicherungssumme zu kassieren, sagen die anderen. Schließlich gaben die Ladenbesitzer auf. Aber nicht nach: Statt Schwarze einzustellen, sind sie weggezogen. O-Ton 44 Clarence Dossie (0’09min) „We won the battle… … They left a dying city.“ Voice-Over 3 Clarence Dossie „Wir haben diese Schlacht gewonnen, aber den Krieg verloren, jedenfalls wirtschaftlich. Wir hatten nichts, um die Läden zu ersetzen. Sie haben uns eine sterbende Stadt hinterlassen.“ Regie Musik 18 („Cairo Blues“ von Lil’ Son Jackson). Läuft komplett durch. dann Atmo 21 (Park) Erzähler Die Westside von Cairo, Illinois ist auch heute noch halbwegs intakt. Die Straßen sind von Eichen gesäumt, die Häuser gleichen Villen. Und sie sind bewohnt, die meisten jedenfalls. Mittelpunkt des Viertels ist der St. Mary’s Park, der einmal ein Kleinstadtidyll gewesen sein muss, mit Schaukeln und Rutschen für Kinder, mit Tennisplätzen und einem Baseball-Stadion, in dem in den 60ern eine örtliche Auswahl mal gegen die St. Louis Cardinal angetreten ist, eines der großen Traditionsteams in den USA. Hier hat die weiße Elite ihren amerikanischen Traum gelebt. Regie Atmo 21 als Trenner kurz hoch Erzähler Harry Lee und Deena Williams empfangen in ihrem Wohnzimmer. Es sieht aus wie aus einem Katalog für schönes Wohnen: alles in Rotbraun, Ton in Ton und penibel aufgeräumt. Harry ist drahtig, er hat alle möglichen Sportarten ausgeübt und die Base- und Basketballmannschaften der örtlichen High School trainiert - so lange dort noch genügend Schüler angemeldet waren. Er ist schwarz, sie weiß. Zusammen gekommen sind sie während der Rassenunruhen als erstes und bis heute einziges gemischt-rassiges Paar in Cairo. Regie Für die Passage bei den Williams gibt es keine Atmo. O-Ton 45 Harry Lee Williams (0:08min) „No, there was another couple… probably the first who stayed in town.” O-Ton 46 Harry Lee & Deena Williams (0:57min) „My parents were not…… the most wonderful man I ever met.“ Voice-Over 2 Harry Lee Williams „Genau genommen gab’s vor uns schon ein Paar, aber sie haben die Stadt verlassen. Wir waren die ersten, die geblieben sind. Obwohl meine Eltern…“ Voice-Over 7 Deena Williams „Seine Familie war schrecklich. Sie mochten mich überhaupt nicht.“ Voice-Over 2 Harry Lee Williams „So stimmt das auch nicht. Eltern versuchen immer, dich zu beschützen. Sie versuchen, dir klar zu machen, worauf du dich einlässt, weil sie schon viel erlebt haben. Besonders hier, mit all den Vorurteilen. Die ganze Gegend war in Aufruhr wegen den Auseinandersetzungen zwischen Schwarz und Weiß. Als meine Mutter herausfand, dass wir ein Paar waren, sagte sie: “Ihr könnt nicht hier bleiben." Aber sie wusste auch, dass ich in einem Alter war, in dem ich sowieso machen würde, was ich wollte.” Voice-Over 7 Deena Williams „Meine Eltern dagegen waren großartig.“ Voice-Over 2 Harry Lee Williams „Sie hatte tolle Eltern. Sie haben uns akzeptiert. Erst hatte ich Angst, als sie mich ihrem Vater vorgestellt hat. Aber er war der großartigste Mensch, den ich je kennen gelernt habe.“ Erzähler An der Wand hängen Fotos von zwei jungen Frauen, Deenas Töchter aus erster Ehe. Mit Harry hat sie die beiden Mädchen groß gezogen. Es war ein weiter Weg, räsoniert Deena. Jugendfreunde haben sich von ihnen abgewandt, von beiden. Und als sie sich in dieses Haus auf der Westseite verliebt hatten, wollte der Vorbesitzer nicht verkaufen. Sie passten nicht ins Viertel, sagte er zur Begründung. Erst als er keinen anderen Käufer fand, gab er Harry und Deena den Zuschlag. Ein paar Wochen später stand ein Makler vor der Tür. Die Nachbarn hatten zusammengelegt und wollten ihnen das Haus wieder abkaufen - 20 Prozent über dem ursprünglichen Kaufpreis. Harry und Deena haben abgelehnt. Nun leben sie seit 35 Jahren hier. Und sehen ihrer Stadt beim Sterben zu. O-Ton 47 Deena Williams (0:13min) „Right now in Cairo… … Do you see any?“ Voice-Over 7 Deena Williams „Wenigstens gibt es keine Spannungen mehr zwischen den Rassen, oder? Wir haben tolle Freunde, hier leben wunderbare Menschen, Schwarze und Weiße. Rassismus begegnet einem hier kaum noch. Oder wie siehst Du das?” O-Ton 48 Harry Lee Williams (0:18min) „That part of it has minimized……that has lived that for years.” O-Ton 49 Harry Lee Williams (0:43min) „Unfortunately we still have that stigma…… … to bring that city back anytime soon.” Voice-Over 2 Harry Lee Williams „Das ist tatsächlich zurückgegangen, so weit, das kaum noch etwas vorkommt. Wenn überhaupt sind es ein paar wenige ältere Leute, die schon immer so gedacht haben. Aber leider haben wir immer noch dieses Stigma, diese dunkle Wolke, die über uns schwebt. Wir wollen in die Zukunft schauen, wir wollen unsere Stadt wieder nach vorn bringen. Aber die Probleme aus den 60ern überstrahlen alles. Und die Geschichte wiederholt sich. Die Aufstände in Ferguson, die ausgebrannten Häuser - genau wie damals in Cairo. Was die Leute in Ferguson noch nicht wissen: Wie wir werden sie lange, lange mit den Folgen zu kämpfen haben. Niemand will da hin ziehen oder dort bauen, niemand will oder kann ihnen helfen, die Stadt in naher Zukunft wieder nach vorn zu bringe” Regie Musik 19 („A Dream“ von Step Three feat. James B. More. Kann komplett durchlaufen, aber auch in den langen Instrumentalpassagen geblendet werden. Dann Blende zu Atmo 21 (Streets Memphis) Erzähler Memphis in Tennessee: die Musikmetropole. In den Sun Studios ist der Rock’n’Roll entstanden, als Hybrid aus weißer Country-Musik und schwarzem Blues. Johnny Cash hat hier aufgenommen, Carl Perkins und Jerry Lee Lewis. Und nicht zuletzt Elvis Presley. Regie Musik 20 („A little less conversation“ von Elvis Presley). Soll nur kurz frei stehen Erzähler Elvis hat bis zu seinem Tod in Memphis gelebt. Auf einem Anwesen namens Graceland, das heute unter Denkmalschutz steht und im Jahr von 650.000 Menschen besucht wird. Nur das Weiße Haus in Washington D.C. zieht mehr Menschen an. Zweiter Besuchermagnet in Memphis ist das National Civil Rights Museum, das Bürgerrechts-Museum. Es befindet sich auf der Southside, in einem der Wohnviertel, die während der Rassentrennung den Schwarzen vorbehalten waren. Erbaut wurde es um das Lorraine Motel herum. Auf dem Balkon des Lorraine, vor Zimmer 307, wurde Martin Luther King am 4.April 1968 erschossen. Auch die Hintergründe dieser Tat wurden nie restlos aufgeklärt. O-Ton 50 Gerd Ruge, ARD-Korrespondent (0:37min) „Aus dieser Tür trat gestern Abend Dr. Martin Luther King. Hier ging er diese wenigen Schritte zum Geländer, und dann fiel ein Schuss von drüben aus einem halb verfallenen Gebäude. Dr. Martin Luther King taumelte vornüber. Dann fiel er zurück und dann wurde er ins Krankenhaus gebracht und dann war er tot. Der größte Schock, den die Bürgerrechtsbewegung bisher erlebt hat. Der größte Schock, nur noch vergleichbar mit der Ermordung Präsident Kennedys in der jüngsten Geschichte der USA.“ Regie Blende zu Atmo 4 (Autofahrt) Erzähler Es scheint, als trüge Memphis schwer an der Geschichte. Über dieser Stadt liegt Melancholie. Im trostlosen Zentrum. Und erst recht in den projects, den herunter gekommenen Sozialsiedlungen, die sich in einem Gürtel um die Innenstadt spannen. Sie gelten als die gefährlichsten im ganzen Land. O-Ton 51 John Gary Williams (0:32min) „That’s another story… … 2 weeks ago across the street from his house.“ Voice-Over 2 John Gary Williams „Das ist eine andere Geschichte: die Idioten, die sich in diesen Vierteln breit machen. Wenn du da durch fährst, kannst du nirgends Taschentücher kaufen, aber an jeder Ecke Junk Food. Das Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, heißt Riverside“. Die Kriminalität dort ist absurd hoch. Der Enkel einer meiner Freunde wurde vor zwei Wochen umgebracht, auf der Straße vor seinem Haus.“ Erzähler John Gary Williams. Er sitzt im Souterrain seines Haues, in einem Raum, der Musikstudio, Büro und Schlafzimmer in einem ist. In den 60ern hatte John Gary Williams ein paar Hits. Mit den „Mad Lads“, den verrückten Typen. Regie Musik 21 („I want a girl“ von den Mad Lad). sA little less conversation“ von Elvis Presley). Soll bis 0:25min frei stehen, so dass wir die Textteile „I want a girl, just like the one that married my dad“ hören. Erzähler Die Mad Lads waren beim legendären Soul-Label Stax unter Vertrag. Bei Stax haben Schwarze und Weiße zusammengearbeitet - außergewöhnlich im damals gespaltenen Memphis. John Gary Williams hat seine Karriere beendet, um sich den „Invaders“ anzuschließen, einer schwarzen Bürgerwehr. O-Ton 52 John Gray Williams (0:42min) „It was a conscious decision… … and everything up here.“ Voice-Over 2 John Gary Williams „Das war eine bewusste Entscheidung, für mich gab es keine andere Wahl. Die Mad Lads, waren sauer: "Mann, du und deine Black-Power-Typen“. Ich habe ihnen gesagt: "Ich bin zuerst Mensch, und dann erst Sänger.“ Ich wusste, dass ich einen Preis dafür zahlen musste. Aber es war richtig, eine moralische Entscheidung. Ich zeige dir was: Diese Plakette mit der stilisierten Lederjacke und der Inschrift „Invaders“, hat mir die Universität in Memphis verliehen. Jedem der Sieben von uns, die noch leben. Sie bedeutet mir mehr als meine goldenen Schallplatten und alles sonst hier.“ Erzähler Als John Gary Williams sich den Invaders anschließt, ist Martin Luther Kings Traum längst in Erfüllung gegangen. In der Theorie jedenfalls. Den Traum hatte er im Jahr 1963 beim Marsch auf Washington skizziert. O-Ton 53 Martin Luther King (0:26min) „I have a dream… … I have a dream today.“ Voice-Over 1 Martin Luther King „Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einem Land leben, in dem man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt. Ich habe heute einen Traum! Endlich frei! Endlich frei! Dank sei Gott dem Allmächtigen, endlich frei!“ Erzähler Ein Jahr nach dieser berühmten Rede hat Präsident Lyndon B. Johnson den Civil Rights Act unterschrieben. Damit ist die gesetzliche Rassentrennung in den Südstaaten abgeschafft. Die Armut vieler Schwarzer aber ist geblieben. Ihrer Bekämpfung wendet Martin Luther King sich nun zu. Er plant einen neuen Marsch nach Washington. Im März 1968 kommt er nach Memphis, um einen Streik der überwiegend schwarzen Müllarbeiter zu unterstützen. Polizei und Nationalgarde knüppeln die Streikenden nieder. Memphis gleicht einem Pulverfass. Regie Es gibt keine Atmo für die folgenden OTs. Evtl. mit Spannung aufbauender Musik arbeiten O-Ton 54 John Gray Williams (0:25min) „You know, when he first came… …he had to come back he felt.“ Voice-Over 2 John Gary Williams „Als er das erste Mal in Memphis war, beim ersten Protestmarsch, das war das totale Chaos. Er wollte wiederkommen. Wir sagten ihm: “Dr. King, besser nicht. Diese weißen Typen in Memphis werden Sie umbringen." Aber er sagte: Wie soll ich zu einem neuen Marsch nach Washington aufrufen, wenn ich nicht mal einen in Memphis hinkriege. Er musste zurückkommen, fand er.“ O-Ton 55 John Gray Williams (0:29min) „We are security at Dr. King’s……when he walked on stage.“ Voice-Over 2 John Gary Williams „In der Nacht, bevor er erschossen wurde, hatten sie uns zu seinem Schutz angeheuert. Jeder im Clayborn Temple hat es gespürt. Eigentlich war er gar nicht für eine Rede vorgesehen. Aber die Leute haben skandiert. „Wir wollen King, wir wollen King!“ 20 Minuten später kam er. Seine Leute stützten ihn, eigentlich trugen sie ihn mehr auf die Bühne.“ O-Ton 56 Martin Luther King (0:31min) „I just want to do God’s will… …will get to thew promised land.“ Voice-Over 1 Martin Luther King „Ich bin hier, um Gottes Willen zu erfüllen. Er hat mich auf den Berg geführt. Ich habe hinüber geguckt. Und ich habe das gelobte Land gesehen. Ich werde euch vielleicht nicht dorthin führen können. Aber ich möchte euch heute Abend sagen, dass wir als Volk ins gelobte Land gelangen werden.“ O-Ton 57 John Gray Williams (0:07min) „And then he went into that speech … … just knew it.“ Voice-Over 2 John Gary Williams „Und dann diese Rede: „Ich fürchte niemanden …“ Jeder im Saal wusste, was das bedeutete.“ O-Ton 58 Martin Luther King (0:14min) „So I’m happy tonight.. … the glory of the coming of the Lord.“ Voice-Over 1 Martin Luther King „Deshalb bin ich glücklich heute Abend. Ich mache mir keine Sorgen und ich fürchte niemanden. Meine Augen haben die Herrlichkeit Gottes gesehen.“ O-Ton 59 John Gray Williams (0:05min) „And the next day… … part of that history.“ Voice-Over 2 John Gary Williams „Und am nächsten Tag war er tot. Und ich bin Teil dieser Geschichte.“ Regie Musik 22 („Cryin’ in the street“ von George Perkins & The Silver Stars). Über der zweiten Wiederholung von „I see somebody marching, marching in the street“ soll OT 58 laufen. Musik läuft bis Ende der Stunde. O-Ton 60 John Gray Williams (0:17min) „It’s too general… … simple. peace and love.“ Voice-Over 2 John Gary Williams „Dieser Traum… er ist zu allgemein. Ich glaube nicht, dass er jemals wahr wird. So lange ich lebe, wird es Rassismus geben, Hass, Mord und Waffen. Aber ich hoffe trotzdem, auf Frieden und Liebe. Ganz einfach: Frieden und Liebe.“ Musik 3. Stunde III. Deep South: von Memphis nach New Orleans Regie Musik Erzähler Elaine Turner in Memphis, Tennessee. Auch sie hat in den 60er Jahren an der Seite von Martin Luther King gekämpft. Sie hat an den Märschen teilgenommen und sich in Restaurants demonstrativ in jenen Bereich gesetzt, der Weißen vorbehalten war. Dafür ist sie verhaftet worden - mehr als ein Dutzend Mal. Heute leitet sie Slave Haven, ein Museum das die Geschichte der Sklaverei erzählt. Und der so genannten Underground Railroad. Dieses Netzwerks aus sicheren Häusern und Unterstützern half entlaufenden Sklaven auf der Flucht in den Norden. Die Arbeit im Slave Haven ist für Elaine Turner auch eine Hommage an ihre Familie. O-Ton 61 Elaine Turner (0:43min) „My great grandfather… … that he was lynched.“ Voice-Over 7 Elaine Turner „Mein Urgroßvater war versklavt. Es gab Streit mit dem Sklavenhalter. Der ist mit ein paar Leuten aufs Baumwollfeld, aber mein Urgroßvater hat sie zurückgeschlagen. Deshalb musste er fliehen, Richtung Norden. Bei Cairo wollte er durch den Ohio River schwimmen, in die Freiheit. Aber sie haben ihn geschnappt und gelyncht. Das ist die Geschichte meines Urgroßvaters, wie sie in meiner Familie erzählt wird. Dass er gelyncht wurde.“ Erzähler Lynchjustiz, also die eigenmächtige, illegale Exekution tatsächlicher oder vermeintlicher Verbrecher ohne richterliches Verfahren, war gängige Praxis während der Sklaverei. Aber auch danach. Bürgerrechts-Organisationen haben zwischen 1865 und 1968 knapp 4.000 Fälle dokumentiert. Wie hoch die Dunkelziffer ist, lässt sich nicht seriös einschätzen. In ihrem bedrückenden Song „Strange Fruits“ aus dem Jahr 1939 singt die Jazzsängerin Billy Holiday von den „sonderbaren Früchten, die an den Bäumen im Süden hängen“ - gemeint sind aufgeknüpfte Afroamerikaner. Regie Musik 23 („Strange Fruit“ von Billy Holiday). Die 12. Strophe (bis 0:40min) soll frei stehen, bei Ziuetnoit nur die ersten beiden Textzeilen „Southern trees bear a strange fruit, Blood on the leaves and blood at the root, Black bodies swinging in the southern breeze, Strange fruit hanging from the poplar trees.…“ Erzähler Gemordet wurde vor allem im Namen des Ku Klux Klan. Dieser rassistische Geheimbund hatte in Hochzeiten mehr als 500.000 Mitglieder. Gegründet wurde er 1867, zwei Jahre nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Regie Atmo 22 kurz hoch ziehen Erzähler Im Health Science Park bleibt Elaine Turner vor einem Reiterstandbild stehen. O-Ton 62 Elaine Turner (0:45min) „This its a statue… … it’s a symbol of white supremacy.“ Voice-Over 7 Elaine Turner „Diese Statue stellt Nathan Bedford Forrest dar, ursprünglich war auch dieser Park nach ihm benannt. Nathan Bedford Forrest war ein Sklavenhalter und nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg einer der Gründer des Ku Klux Klan. Nach seinem Tod wurde er als Held der Südstaaten glorifiziert. Es gibt mehr Monumente und Gedenktafeln für ihn als für irgendeine andere historische Person, außer für George Washington, der ja Präsident der USA war. Darin drückt sich die weiße Vormachtstellung im Süden bis heute aus.“ Regie Musik 24 („Desolation Row“ von Bob Dylan). Der Song besteht aus Strophen, die jeweils ca 1min lang sind, kann also bei 3:00min, 4:00min etc geblendet werden. dann Atmo 4/Musik 2. Erzähler Schnurgerade führt Highway 61 aus Memphis hinaus und hinein nach Mississippi, in den tiefen Süden. Er durchschneidet Felder, auf denen Baumwolle angebaut wird. Jetzt im Spätsommer schimmern die Blüten im Licht der gleißenden Sonne. Das so genannte „weiße Gold“ hat den Plantagenbesitzern in Mississippi unfassbare Reichtümer beschert. Regie Atmo 4 (Autofahrt). Unter folgendem Text Blende zu Musik 24 („Crossroads Blues“ von Robert Johnson) Erzähler Bei Tunica strecken sich Hochhäuser in den Himmel. Bis in die 90er Jahre belegte Tunica in der Liste der ärmsten Orte in den USA Spitzenplätze. Dann hat die Casino-Industrie das winzige Kaff entdeckt. Zwar ist Glücksspiel in Mississippi wie in den meisten US-Staaten verboten, aber nur an Land. Die Casinos wurden im Überschwemmungsgebiet des Mississippi River errichtet, dem so genannten Delta – de jure also auf dem Wasser. Regie Musik 24 mit Einsetzen des Gesangs bei 0:25min hoch ziehen. Erste Strophe soll frei stehen „I went to the crossroads, fell down on my knees I went to the crossroads, fell down on my knees Asked the Lord above, have mercy now Save poor Bob if you please…“ Erzähler Das Delta des Mississippi ist die Heimat des Blues. Und Clarksdale, eine Stadt mit 17.000 Einwohnern, gilt als Wiege dieser Musik. Hier soll der schwarze Bandleader WC Handy Ende 1904 zum ersten Mal den rohen, ungeschliffenen Sound der Plantagenarbeiter gehört haben. Kurz darauf begeisterte er sein Publikum auf der Beale Street, der schwarzen Vergnügungsmeile in Memphis, Tennessee, mit der damals neuen Musik. Robert Johnson, der legendärste aller Blues-Sänger, wurde hier geboren. An der Kreuzung von Highway 61 und 49 soll er jenen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben, den er in seinem „Crossroads Blues“ besang: seine Seele gegen die Gabe, den Blues wie kein zweiter singen zu können. Regie Musik 24 noch einmal kurz hoch. Dann Blende Atmo 23 (Riverside rein). Außentür wird geöffnet, dann Klopfen an Innentür. Von drinnen: „Come on in.“ dann Blende zu Atom 24 (Riverside drin). Achtung: Atmo wurde später aufgenommen, ist also nicht dieselbe TV-Sendung wie unter den OTs von Zee. O-Ton 63 Zee Ratliff (0:02min) „You are welcome to the Riverside, baby.“ O-Ton 64 Zee Ratliff (0:09min) „Please sign in…. you are going in room 11, okay?“ Voice-Over 7 Zee Ratliff „Hallo Baby, willkommen im Riverside Inn. Trag dich bitte hier ein, danach führe ich dich durchs Hotel. Du hast Zimmer 11, okay?“ Erzähler Das Riverside Inn ist das älteste Hotel in Clarksdale, ein windschiefer Holzbau am Ufer des Sunflower River. Geleitet wird es von Zee Ratliff, einer kräftigen schwarzen Frau mit großem Herz, die jeden zur Begrüßung innig umarmt. Ursprünglich beherbergte das Gebäude ein Krankenhaus, während der Rassentrennung das einzige weit und breit, das Schwarze aufnahm. Bessie Smith, die „Kaiserin des Blues“ ist hier nach einem Verkehrsunfall gestorben. O-Ton 65 Zee Ratliff (0:08min) „Now I give you a tour…. … let me show you.“ O-Ton 66 Zee Ratliff (0:28min) „I always tell people… … called the John John room.“ Voice-Over 7 Zee Ratliff „Ich sage immer: Hier haben Leute gelebt oder übernachtet oder sie sind vorbei gekommen. Das Bild hier: John F Kennedys Sohn John John. Er war auf der Durchreise. Auf diesem Stuhl hat er gesessen und sich mit meiner Großmutter unterhalten. Bis 4 Uhr nachts. Dann hat sie gesagt: „Komm Junge, geh ins Bett, du kannst hier schlafen.“ Seitdem vermieten wir den Raum als John-John-Zimmer.“ Erzähler Ein anderes Zimmer ist Bessie Smith gewidmet - der Raum, in dem sie verstorben ist. An den Wänden im Flur Bilder von Musikern, die hier übernachtet haben: Muddy Waters, John Lee Hooker. Und Ike Turner, dessen„Rocket 88“ aus dem Jahr 1951 als erster Rock ‚n‘ Roll-Song überhaupt gilt. Regie Musik 26 („Rocket 88“ von Ike Turner) kurz anspielen. Evtl. Intro schon unter vorherigem Text, rein Beginn des Gesangs. Die erste Strophe kann dann frei stehen. Dann Blende zu Atmo 25 (Riverside Porch) O-Ton 67 Joyce Ratliff (0:07min) „Ike Turner, Sam Cooke,… … litte things going on….“ Voice-Over 8 Joyce Ratliff „Ike Turner, Sam Cooke oder Bobby „Blue“ Bland - alle haben hier gelebt. Aber sie hatten andere Dinge am Laufen und sind weg. Erzähler Zee Ratliffs Mutter Joyce sitzt auf der Veranda des Riverside Inn, direkt an der Straße. Sie blickt auf verfallene Häuser, manche bewohnt, die meisten verrammelt und vernagelt. Zu Zeiten der Rassentrennung war dies ein Viertel der schwarzen Mittelschicht. O-Ton 68 Joyce Ratliff (0:08min) „It used to be alright… … nothing like home, right“ O-Ton 69 Joyce Ratliff (0:05min) „You had so many things… … so many things against you.“ O-Ton 70 Joyce Ratliff (0:19min) „This place here… …They had factories.“ Voice-Over 8 Joyce Ratliff „Früher war es okay hier. Aber heute fühlt es sich nicht mehr wie Zuhause an. Wir hatten so viel Hoffnung für die Zukunft. Aber es gab so viel, was gegen uns stand. Und jetzt ist das nicht mehr die Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Wir hatten alles, mehrere Autohändler und so. Nichts davon ist mehr da. Hier gab’s sogar Fabriken.“ Erzähler Ganz Clarksdale hat schon bessere Zeiten erlebt. Aber besonders schlimm hat es die schwarze Downtown erwischt. Als die Rassentrennung endete, sind viele weggezogen. Und die Geschäfte nach und nach eingegangen. Nicht nur in Clarksdale: So ist es in vielen Städten in Mississippi gewesen. O-Ton 71 Joyce Ratliff (0:29min) „We knew blacks where over here… …separate but equal.“ O-Ton 72 Joyce Ratliff (0:10min) „When it all started… … when it was disappearing.“ Voice-Over 8 Joyce Ratliff „Früher waren wir Schwarzen hier und die Weißen dort. So war das damals, auch noch als ich auf die High School ging: "Separate but equal” Wir hatten unsere eigene Gemeinschaft mit Schulen nur für uns. Als unsere Schulen integriert wurden, wollten wir sie nicht verlieren. Wir waren nicht gegen eine Trennung, was wir wollten waren gleiche Rechte und Chancen. Als unsere Gemeinschaft verschwand, war ich noch in der Schule. Ich hab’ das anfangs gar nicht mitbekommen.“ Regie Musik 27 („Down in Mississippi“ von Mavis Staples). Läuft komplett durch. dann Atmo 26 (vor Cathead) O-Ton 73 Roger Stolle (0:28min) „What’s amazing… …it’s out of the human experience.” Voice-Over 4 Roger Stolle „Es ist faszinierend, dass es in der heutigen Zeit eine Region wie das Delta gibt, die wie unter einer Glocke existiert. Viele Blues-Männer hier, es sind fast nur Männer, haben einen einzigartigen Stil, sie sind so gut wie unberührt von Einflüssen aus dem Rest der Welt. Ihr Sound reflektiert die Landschaft, ihre Umgebung, die Musik, die sie in ihrer Jugend gehört haben. Hier ist der Blues Teil des Lebens.“ Erzähler Das ehemalige weiße Downtown von Clarksdale: ein paar Restaurants, ein hipper Coffee Shop, das Ground Tero, ein Blues-Club, der dem Schauspieler Morgan Freeman gehört. Und der Cat-Head-Plattenladen. Der Inhaber heißt Roger Stolle. Vor 15 Jahren ist er von Chicago nach Clarksdale gezogen. Das Cat Head ist DIE Anlaufstelle für Bluesfans im Delta. Regie Atmo 27 (Big A live) Erzähler Vor dem Eingang zwei Boxen. Davor stimmt ein Musiker seine Gitarre. Wie meist am Samstag findet hier ein spontanes Straßenkonzert statt. O-Ton 74 Roger Stolle (0:15min) „Anthony Big A Sherrod… …he’s the future of Clarksdale blues.“ Voice-Over 4 Roger Stolle „Das ist Anthony Sherrod, genannt Big A. Er tritt regelmäßig in den Juke Joints hier auf, den Blues-Kneipen. Im Sommer auch auf Festivals. Hier geboren und aufgewachsen. Er hat von den alten Blues-Männern gelernt und nachdem sie von uns gegangen sind, ihre Nachfolge angetreten. Er ist die Zukunft des Blues in Clarksdale.“ Regie Atmo 27 wieder er hoch ziehen Erzähler Anthony Sherrod trägt Bürstenschnitt, er hat einen Brilli im Ohr und ein paar Zahnlücken im Mund. Sein Spitzname „Big A“, kann nur Ironie sein: big, also dick, ist er nicht, eher schmächtig. Big A singt übers Herumtreiben und wie er dabei immer wieder ins Straucheln kommt: „Rumbln’ Tumblin’“. Eine andere Metapher für Crossroads, sagt Roger Stolle. O-Ton 75 Roger Stolle (0:26min) „The crossroads of course… that struggle with that constantly.“ Voice-Over 4 Roger Stolle „Bilder wie die Straßenkreuzung, an der man einen Deal mit dem Teufel macht, sind typisch für den Blues. In anderen Songs wird der Konflikt zwischen dem Prediger auf der rechten Schulter und dem Blues-Mann auf der linken beschrieben. Der eine Weg ist der richtige, aber der andere verspricht mehr Spaß. Dieser Kampf zwischen Gut und Böse tobt bis heute in den Herzen und Gedanken vieler Blues-Musiker. Die meisten haben ständig damit zu kämpfen.“ Erzähler Das Publikum von Roger Stolles Plattenladen ist weiß - zumeist Besucher, die übers Wochenende authentisches Blues-Flair schnuppern möchten. Mit Ausnahme eines, diesmal wirklich: großen dicken Mannes. Roger stellt ihn als Big T vor. Auch er ein Bluessänger. Regie OT 76 kann über Atom 27 laufen, muss aber nicht. Sonst bitte Atmo 26 verwenden O-Ton 76 Big T (0:41min) „Your mom telling you…… .. it’s the blues either way.“ Voice-Over 3 Big T „Deine Mutter verbietet dir, diese Musik zu hören: Das ist Teufelszeug. Später findest du heraus, das sie sonntags gleich nach der Kirche in die Jucke Joints gehen und zu Blues herumhüpfen. Das hat mich verwirrt, ich wusste nicht, was richtig und falsch war. Später habe ich verstanden: Die Leute singen Gospel, damit Gott ihre Seele rettet. Und sie singen Blues, damit er ihr Weinen hört. Über die geliebte Frau, die sie verloren haben oder die Saat, die nicht aufgeht - so oder so haben sie den Blues.“ Regie Musik 28 („Cotton“ von Lightnin’ Hopkins). Freisteller entweder von Anfang bis ca 0:50min (… little girl don’t know nothing). Oder von 0:40min („You know I gotta oil cotton“ bis 1:157(„105n too much load for me to pull“). Kann bei Zeitmangel entfallen. Blende zu Atom 28 (Dockery) Erzähler Auf der Dockery Plantation lässt sich erahnen, wie das Leben als Baumwollpflücker einst gewesen sein muss. Sie liegt weit außerhalb von Clarksdale, mitten im Nichts. „Established in 1895“ steht auf einem verblichenen Holzschild. Dahinter, von Gestrüpp und Efeu überwuchert das einstige Herrenhaus. Drumherum gruppierten sich die so genannten „shotgun houses“ der Plantagenarbeiter, schmale, längliche Zwei-Raum-Baracken für die oft mehr als zehnköpfigen Familien. Über 2.000 Menschen haben hier einst gearbeitet - als so genannte Sharecropper. Einen Teil der Ernte durften sie behalten, ausgezahlt wurde er am Jahresende. Im Grunde war dieses System die Fortführung der Sklaverei mit anderen Mitteln, sagt Roger Stolle. O-Ton 77 Roger Stolle (0:47min) „Basically you were working… … trappend into sharecropper system.“ Voice-Over 4 Roger Stolle „Die Arbeiter waren durch eine Art von Kredit auf ihr Jahreseinkommen an die Plantagen gebunden. Auf jeder Plantage gab es einen Lebensmittelladen, in dem sie alles für den täglichen Bedarf kaufen mussten, was sie nicht selbst anbauen konnten. Dort ließen sie anschreiben. Am Ende des Jahres wurde abgerechnet. Hatten sie mehr eingekauft, als die Baumwolle, die sie gepflückt hatten, wert war, mussten sie einen Kredit aufs nächste Jahr aufnehmen. Damit gerieten sie noch tiefer in die roten Zahlen. Wenn sie sich ungerecht behandelt fühlten, schlecht bezahlt wurden oder sonst wie unglücklich auf ihrer Plantage waren, konnten sie nicht weg und sich woanders Arbeit suchen. Sie waren Gefangene des „Sharecropper“-Systems.“ Regie Musik 29 („The Death of Emmett Till“ von Bob Dylan). Läuft komplett durch. dann Atmo 4/Musik 2. Erzähler Auch hinter Clarksdale führt Highway 61 durch endlose Baumwollfelder. Die Orte wirken entvölkert. Während der Great Migration in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts sind sechs Millionen Menschen aus Mississippi in den Norden gezogen. Geflohen vor den harschen Arbeitsbedingungen auf den Plantagen, später, nachdem Erntemaschinen die Baumwollpflücker ersetzt hatten, vor der Arbeitslosigkeit. Und vor einem Leben ohne Rechte. Regie Blende zu Atmo 29 (Money, MS) Erzähler Money, Mississippi: eine Straßenkreuzung mit einer stillgelegten Tankstelle, eine verfallene Baumwollspinnerei, ein Dutzend Häuser, verstreut in den Wäldern. Im Jahr 1955 hat Money durch den Mord an Emmett Till traurige Berühmtheit erlangt. Die Bürgerrechtlerin Minnie Watson erzählt: Regie Für den Rest dieses Takes ist keine Atmo vorhanden. Hier können Musik 30 („Murder in Mississippi I=) und 31 („Murder in Mississippi II“) verwendet werden. O-Ton 78 Minnie Watson (0:44min) „Well, Emmett Till was. … and threw him in a river.“ Voice-Over 7 Minnie Watson „Emmett Till war ein 14-jähriger Junge aus Chicago. Seine Mutter hatte ihn nach Mississippi geschickt, zu Besuch bei seinen Cousins und seinem Onkel. Emmett und ein Cousin haben in einem Laden Süßigkeiten gekauft. Hinter dem Tresen Carolyn Bryant, natürlich eine Weiße. Manche sagen, Emmett Till habe nach ihr gepfiffen oder im Laden “Bye, baby” gerufen. Aber sein Cousin hat ausgesagt, dass er nur „bye“ gesagt habe. Carolyn Bryant hat ihrem Mann Roy Bryant davon erzählt. Zusammen mit seinem Halbbruder John William Milam hat er den Jungen ermordet. Sie haben ihn mitten in der Nacht aus dem Haus seines Onkels gezerrt, ihn verprügelt, gelyncht und die Leiche in einen Fluss geworfen.“ Erzähler Der Mord an Emmett Till war einer von vielen in jenen Jahren in Mississippi - nichts, was außerhalb Aufmerksamkeit erregt hätte, erst recht nicht außerhalb des Staates. Aber Emmetts Mutter beschloss, den Sarg bei der Beerdigung offen zu lassen. Die Trauergäste sahen dass von Schlägen einstellte Gesicht des Jungen, Fernsehsender übertrugen die Bilder im ganzen Land. O-Ton 79 Minnie Watson (0:17min) „Most people couldn’t believe… … and threw him in a river.“ Voice-Over 7 Minnie Watson „Die meisten Menschen im Norden konnten nicht glauben, was die Leute aus Mississippi erzählten. Aber ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte. Die Bilder des toten Emmett Till gingen um die Welt, alle sahen, was diese Mörder dem Jungen angetan hatten. Und die Leute sagten sich: Es stimmt also doch, was wir von dort unten hören.“ Erzähler Unter dem Druck der Öffentlichkeit werden die Bryants und John William Milam wegen Mordes angeklagt. Die Jury besteht ausschließlich aus weißen Männern. Alle Fernsehsender berichteten über den Prozess. Der Kongress entsendet den Abgeordneten Charles Diggs als Beobachter - einen Afroamerikaner. Die Menschen in Mississippi sind überrascht: Dass es schwarze Parlamentarier gibt, übersteigt ihre Vorstellungskraft. Eine wichtige Rolle im Prozess spielt Medgar Evers, ein junger Bürgerrechtler. Er ist der erste Generalsekretär der National Association for the Advancement of Colored People, kurz: NAACP. Die Organisation wurde 1905 in New York gegründet und hat 50 Jahre später in Mississippi immer noch nicht richtig Fuß gefasst. O-Ton 80 Minnie Watson (0:33min) „Medgar Every symbolized change… … and thereby in his country.“ Voice-Over 7 Minnie Watson „Medgar Evers symbolisierte den Wandel. Er hatte im 2. Weltkrieg für Amerika gekämpft. Aber zurück zu Hause haben sie ihm das Wahlrecht verweigert. Das hat er als Ohrfeige empfunden: Ich darf für mein Land kämpfen, aber ich werde nicht als Bürger erster Klasse akzeptiert. Deshalb hat er angefangen, für Veränderungen zu kämpfen, in Mississippi und damit auch im ganze Land.“ Erzähler In Mississippi durften Schwarze zwar wählen. Der Eintrag ins Wahlregister aber, in den USA Voraussetzung für die Ausübung dieses Rechts, ist an sogenannte Intelligenztests gekoppelt. Gefragt wird dabei, wie viele Murmeln in einem bestimmten Glas sind. Oder noch absurder: wie viele Seifenbläschen sich mit einem Stück Seife produzieren lassen. Auch der Prozess gegen die Mörder von Emmett Till ist ein Beispiel für tief sitzenden Rassismus. Die weißen Angeklagten werden frei gesprochen - nachdem sie sich auf der Anklagebank wie auf einem Familienausflug verhalten hatten. Vier Monate später schildern Bryant und Milam in der Illustrierten „Look“, wie sie Emmett Till getötet haben - und kassieren dafür ein Honorar von 4.000 Dollar. Strafverfolgung müssen sie nicht mehr fürchten, weil sie nicht zweimal wegen desselben Verbrechens angeklagt werden können. Elf Jahre später, im Juni 1963 wird Medgar Evers vor seinem Haus in Mississippis Hauptstadt Jackson von einem Heckenschützen erschossen. Auch sein Mörder kommt zunächst ungestraft davon. Es sollte 31 Jahren dauern, bis er in einer Wiederaufnahme, im Januar 1994 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. O-Ton 81 Minnie Watson (0:19min) „So, you did get involved… … and thereby in his country.“ Voice-Over 7 Minnie Watson „Uns allen war damals klar, dass wir uns engagieren mussten. Aber wir mussten vorsichtig sein, uns genau überlegen, wann wir woran teilnahmen. Aber irgendwann haben wir uns gesagt: Was habe ich zu verlieren außer meinem Leben? Ich bin bereit, es zu geben, damit es die nächste Generation besser hat.“ Regie Musik 32 („Hard Times“ von Mavis Staples). Läuft komplett durch. dann Atmo 30 (Angola Prison1). Wir hören, wie eine Gefängnistür isn Schloss fällt, dann Stimmen über walkie Talkie. O-Ton 82 Sydney de Loach (0:25min) „I’m here first and foremost… … 29 flats years“ Voice-Over 2 Sydney de Loach „Ich bin hier, weil ich ungehorsam war. Ich war auf einer Party, ich trank, und rauchte und füllte mich ab - Hauptsache high sein. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, wurden mir Handschellen angelegt. Ich wurde wegen Vergewaltigung angeklagt und bekam lebenslänglich. Als Ersttäter. Seit 29 Jahren sitze ich hinter Gittern. Seit 29 Jahren.“ Erzähler Rückblende: Herbst 2007, Louisianas State Penitentiary, das Staatsgefängnis des Bundesstaats Louisiana. Es liegt auf einer Landzunge am Mississippi, auf dem Gelände einer ehemaligen Plantage names Angola. Ein Gespräch mit Sydney de Loach, dem Bischof von Angola. Er wird so genannt, weil er im Knast zu Gott gefunden und eine Glaubensgemeinschaft um sich versammelt hat. O-Ton 83 Sydney de Loach (0:23min) „I went to the pardon board twice… … born and raised here.“ Voice-Over 2 Sydney de Loach „Ich war zweimal vor dem Begnadigungsausschuss. Das erste mal 1985. Meine Strafe wurde auf 40 Jahre verkürzt, aber der Gouverneur hat die Begnadigung nicht unterschrieben. Fünf Jahre später der zweite Antrag, unter einem neuen Gouverneur. Meine Strafe wurde auf 60 Jahre verkürzt, wieder hat der Gouverneur nicht unterschrieben. Danach habe ich’s nicht mehr versucht. Ich verstehe Louisiana nicht, obwohl ich hier geboren und aufgewachsen bin.“ Regie Atmo 31 (Handicraft) Erzähler 2017, zehn Jahre später: Auf dem Festplatz in Angola verkauft Sydney de Loach selbst gemachten Gumbo, einen scharfen Reiseintopf aus Tomaten, Okra und Shrimps. O-Ton 84 Sydney de Loach (0:17min) „My mom was a fantastic cook… … gumbo would be the first.“ Voice-Over 2 Sydney de Loach „Meine Mutter war eine fantastische Köchin, echt fantastisch. Und als ich hiermit anfing, habe ich mir gesagt: Ich mache ihren Gumbo.“ Erzähler Sechsmal im Jahr findet der Jahrmarkt statt, an einem Wochenende im April und jeden Sonntag im Oktober. Die Häftlinge können einen ganzen Tag mit ihren Familien verbringen. Sie verkaufen Essen und Getränke. Oder Kunsthandwerk, das sie in den Werkstätten in Angola gefertigt haben - zu Schnäppchen-Preisen. Nur sogenannte „Trustees“ dürfen am Jahrmarkt teilnehmen, insgesamt 1.200 Häftlinge. Ein Viertel von ihnen ist für die Gefängnisverwaltung besonders vertrauenswürdig. Diese „Class A Trustees“ können sich auf dem Gelände frei bewegen, die anderen nur in einem vergitterten Bereich. Regie Atmo 31 endet. Der nächste entweder trocken oder Atmo 32 (Angola Prison2) drunter. Erzähler Den Rest des Jahres ist Angola das größte Hochsicherheitsgefängnis der USA. 6.300 Häftlinge sitzen hier ein, die meisten lebenslänglich. Vier von fünf Insassen sind schwarz. Es sind nicht nur Gewalttäter. In Louisiana gilt: „three strikes and you’re out“ - drei Verbrechen, egal welcher Art, und man sitzt lebenslänglich. Angola erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 120 Millionen Dollar - durch die Arbeit der Häftlinge. Sie stellen Matratzen her und Nummernschilder. Andere arbeiten in der Landwirtschaft. Sie bauen Kohle und Mais an, Okra und Soja. Und sie pflücken Baumwolle - wie früher die Sklaven. Regie Atmo 31 Erzähler Höhepunkt des Jahrmarkts ist ein Rodeo - mit den Insassen als Cowboys. Das Preisgeld beträgt 500 Dollar, ein Vermögen für die Häftlinge. Auf der Plantage oder in den Werkstätten arbeiten sie für einen Stundenlohn von 30 Cent. Überall auf Highway 61 wird das Rodeo angekündigt: als „Wildest Show in the South“ Regie Blende zu Atmo 33 (Star spangled) Erzähler Das Rodeo beginnt mit der Nationalhymne - intoniert von einem Insassen und unterstützt von zwei weiteren in Gebärdensprache. Die Ode an das Land der Freien, gesungen von einem Häftling - die Ironie fällt scheinbar niemandem auf. Regie Blende zu Atmo 34 (Rodeo Bareback) Erzähler Beim Rodeo treten die Häftlinge in den klassischen Disziplinen gegeneinander an: beim Fesseln eines Kalbes, beim Reiten auf einem wilden Pferd oder Bullen. Und in Disziplinen, die es nur in Angola gibt. Wie Pinball - Flippern. Die Insassen stehen in Hula-Reifen. Dann wird ein Bulle in die Arena gelassen. Rodeo-Clowns locken ihn zu den Häftlingen. Wer als letzter in seinem Reifen steht, hat gewonnen. Oder Convict Poker… Regie Blende zu Atmo 35 (Convict Poker) Erzähler Dabei sitzen die Häftlinge um einen Plastiktisch. Ein Bulle schießt in die Arena - und direkt auf den Tisch zu. Drei Insassen springen zur Seite, den vierten nimmt der Bulle auf die Hörner. Ein unwürdiges Spektakel, bei dem die Unmenschlichkeit des amerikanischen Strafsystems erschreckend anschaulich wird. Sydney de Loach sieht das anders. Regie Atmo 35 kann weiter laufen, aber so, als hörten wie sie von außerhalb des Stadions. O-Ton 85 Sydney de Loach (0:12min) „The rodeo means a lot… … doesn’t mean I want to stay here.“ Voice-Over 2 Sydney de Loach „Das Rodeo bedeute mir viel, allen hier im Gefängnis. Wir haben nur einander. Beim Rodeo zeigen wir uns als Familie. Früher war dieser Knast blutig, jetzt nicht mehr. Wir sind eine große Familie. Das heißt aber nicht, dass ich hier sein möchte.“ Erzähler 39 Jahre hat Sydney de Loach in Angola gesessen. Sein Führungszeugnis ist makellos, womöglich kommt er bald frei. Entlassen würde er in eine Welt, die er nicht kennt. Ohne Freunde, mit nur noch wenigen familiären Bindungen. Zudem sind Gefängnisses im ganzen Land dazu übergegangen, ehemalige Häftlinge für die Zeit im Knast zur Kasse zu bitten. Hinzu kommen oft noch die Kosten für Beschwerdeverfahren. Nicht selten summieren sich die Beträge auf mehr als 100.000 Dollar. O-Ton 86 Sydney de Loach (0:21min) „I have great expectations… … that’s how close it is. Yeah.“ Voice-Over 2 Sydney de Loach „Ich bin voller Hoffnung… voller Hoffnung. Vielleicht noch dieses Jahr… So nah bin ich dran, echt.“ Regie Musik 34 („Goin down to New Orleans“ von Bob Dylan). Läuft komplett durch. Dann Atmo 4/Musik 2 Erzähler Weiter den Mississippi hinunter zum Ziel dieser Reise: New Orleans, „the big easy“. Eine Musik-Metropole, wie Memphis: Hier wurde Jazz erfunden. Und ein Mythos: In New Orleans scheint alles erlaubt. Regie Blende zu Atmo 36 (Bourbon Street) Erzähler Vor allem auf der Bourbon Street, der Ausgehmeile im French Quarter. Betrunkene torkeln über die verkehrsberuhigte Straße, an jeder Ecke Gaukler, Trommler, Wahrsager. Und aus jeder Kneipe dröhnt Jazzmusik Das ist das New Orleans für Touristen. Regie Atmo 36 evtl. noch einmal an passender Stelle hoch ziehen. Erzähler Das andere New Orleans ist von Wasser umgeben, weite Teile liegen unter dem Meeresspiegel. Dämme sollen sie vor Überflutungen schützen. Doch im Spätsommer 2005 fegt Hurrikan Katrina über den Golf von Mexiko. Regie Blende zu Atmo 37 (Katrina 1) Erzähler Um New Orleans brechen die Dämme. Mindestens 700 Menschen verlieren ihr Leben in den Fluten, 80 Prozent des Stadtgebiets werden überschwemmt. Regie Blende zu Atmo 38 (Katrina 2) Erzähler Besonders schlimm wütet Katrina im Lower 9th Ward, einem ehemaligen Sumpfgebiet. Hier lebten hauptsächlich Afroamerikaner. Bis heute ist das Lower 9th Ward ein Arme-Leute-Viertel. Weiße findet man hier kaum. Regie Blende zu Atmo 39 (Wind Chimes)m darunter Atmo 40 Musician’s Village) Erzähler Das „Musican’s Village“: eine Ansammlung kleiner Häuser, bewohnt von Musikern. Die Gegend wurde nach Katrina mit Stiftungsgeldern wieder aufgebaut. Calvin Johnson hat hier ein neues Zuhause gefunden. Er ist Anfang 30 und Jazzmusiker in dritter Generation. Nach Katrina hat er zwei Jahre in billigen Motels anderswo im Land gelebt. Erst dann konnte er nach New Orleans zurück. Regie Blende zu Atmo 41 (Calvin’s Porch) O-Ton 87 Calvin Johnson (0:53min) „New Orleans was up until Katrina…. … who have no overtaken the city.“ Voice-Over 2 Calvin Johnson „Vor Katrina war New Orleans eine afroamerikanische Stadt. Zwei Drittel der Menschen waren schwarz, fast drei Viertel. Gleichzeitig sind wir hier im tiefen Süden Amerikas. Hier ist Klasse gleich Rasse. Die Menschen am unteren Ende der Leiter, die Armen, die nicht gerettet wurden, sind schwarz. Man kann die Leiter nur hochsteigen, wenn man weiß ist. Vor Katrina hatte New Orleans 500, 550.000 Einwohner, heute nur noch 350.000. Viele Afroamerikaner, die vor Katrina hier gelebt hatten, sind nicht zurückgekommen. Stattdessen machen sich Gentrifizierer breit. Sie haben die Stadt übernommen.“ Erzähler Katrina hat vieles offenbart, worüber in den USA sonst nicht gesprochen wird: Wer zu arm war, um die Stadt zu verlassen, landete im Stadion, im Superdome. Zeitweise an die 40.000 Menschen, fast nur Schwarze. Sie lebten unter unmenschlichen Bedingungen: Das Dach leckte, die sanitären Anlagen fielen aus. Und die Versorgung mit Nahrungsmitteln funktionierte nicht. Was damals wie unter einem Brennglas sichtbar wurde, ist für Calvin Johnson Alltag. O-Ton 88 Calvin Johnson (0:18min) „If you live in a white neighborhood… … next two the school.“ Voice-Over 2 Calvin Johnson „Ein weißes Viertel zum Beispiel: Da gibt es Lebensmittelläden, du kriegst frische Produkte. Du hast einen Park und gute Nachbarschaft. In schwarzen Vierteln gibt es nichts davon. Sieh dich hier um. Zwei Straßenblöcke weiter ist ein Schnapsladen - neben der Schule.“ Erzähler Neulich wurde Calvin Johnson von der Polizei angehalten, angeblich hatte er ein Stoppschild missachtet. Erst hat der Streifenpolizist Calvins Wagen provozierend lange mit seiner Taschenlampe ausgeleuchtet und sich dann geschlagene 45 Minuten fürs Ausstellen des Strafzettels Zeit gelassen. Calvin musste die ganze Zeit in seinem Wagen sitzen. Natürlich hätte er aussteigen können, aber was, wenn der Polizist darin eine Aggression gesehen hätte.Das schwarze Amerika kennt für Ereignisse wie dieses einen - ironischen - Straftatbestand: driving while black - als Schwarzer Autofahren. O-Ton 89 Calvin Johnson (0:37min) „You know, the face of racisms… … into a few different faces.“ O-Ton 90 Calvin Johnson (0:17min) „Thats’s what being black.…. … 8 by 10 cell somewhere.“ Voice-Over 2 Calvin Johnson „Früher war Rassismus der Ku Klux Klan. Oder dass meine Mutter noch hinten im Bus sitzen musste. Oder von weißen Kindern mit Steinen beworfen wurde, wenn sie auf dem Weg nach Hause die Abkürzung durch einen Park nahm. Das waren die 60er, teils auch noch die 70er. Seitdem haben sich nur die Formen verändert, in denen sich Rassismus ausdrückt. Das ist das Los eines Schwarzen in Amerika. Als Schwarzer in Amerika musst du ihr Spiel spielen. Und du musst die Spielregeln kennen. Wenn nicht, landest du schnell unter der Erde. Oder in einer Zelle.“ Regie Musik 35 („Take my hand, precious Lord“ von Mahalia Jackson). Alternativ, wenn es rauer sein soll: Musik 36 („Highway 61 Blues“ von Sampson Pittman). Oder noch einmal „Highway 61 Revisited“ von Bob Dylan Musikliste 1. Stunde Titel: Highway 61 Revisited/The man comes around Länge: 00:42 Interpret: Johnny Cash Komponist: Bob Dylan Label: American Recordings Best.-Nr: 063 339-2 Plattentitel: Soundtrack zum Film The Hunter Titel: Thank you for talkin' to me, Africa Länge: 03:40 Interpret: Sly & The Family Stone Komponist: Sylvester Stewart Label: Epic Best.-Nr: 82876759112 Plattentitel: There's a riot goin' on Titel: Highway 61 revisited Länge: 03:30 Interpret und Komponist: Bob Dylan Label: COLUMBIA Best.-Nr: 5123512 Plattentitel: Highway '61 revisited Titel: Thursday afternoon Länge: 02:04 Interpret und Komponist: Brian Eno Label: E.G.Records Best.-Nr: 827 494-2 Plattentitel: Thursday afternoon Titel: North Country Blues Länge: 00:35 Interpret und Komponist: Bob Dylan Label: COLUMBIA Best.-Nr: 519892-2 Plattentitel: The times they are a-changin' Titel: Subterranean Homesick Blues Länge: 02:20 Interpret und Komponist: Bob Dylan Label: COLUMBIA Best.-Nr: 88697109542 Plattentitel: Dylan Titel: 61 Highway Länge: 00:56 Interpret: Charlie Musselwhite Komponist: Unbekannt Label: Telarc Best.-Nr: 83536 Plattentitel: Preachin' the Blues - The Music of Mississippi Fred McDowell Titel: On the road again Länge: 02:37 Interpret und Komponist: Bob Dylan Label: COLUMBIA Best.-Nr: 512353-2 Plattentitel: Bringing it all back home Titel: A change is gonna come Länge: 04:17 Interpret: Otis Redding Komponist: Sam Cooke Label: Atlantic Best.-Nr: 781762-2 Plattentitel: The Otis Redding Story Titel: Change the world Länge: 03:30 Interpret: Tel Poe Komponist: Tee Poe Label und Best.-Nr: keine Titel: Like a rolling stone Länge: 06:13 Interpret und Komponist: Bob Dylan Label: COLUMBIA Best.-Nr: 5123512 Plattentitel: Highway '61 revisited 2. Stunde Titel: Highway 61 revisited Länge: 03:30 Interpret: PJ Harvey Komponist: Bob Dylan Label: Island Records Best.-Nr: ILPS 8002 Titel: Get involved Länge: 03:22 Interpret: George Soule (voc) Komponist: Jackson, Williams, Moore Label: Unsere Stimme-Trikont Best.-Nr: 0302-2 Plattentitel: Black & proud - The Soul of the Black Panther era, Vol. 1 Titel: Malcom X Länge: 02:58 Interpret: Tel Poe Komponist: Tee Poe Label und Best.-Nr: keine Titel: Let my people go Länge: 03:51 Interpret: Darondo Komponist: W.D. Pulliam Label: Unsere Stimme-Trikont Best.-Nr: US-0302 Titel: Oh freedom! Länge: 00:37 Interpret: Bob Singleton Komponist: Unbekannt Label: BLUE FLAME Records Best.-Nr: 39850882 Plattentitel: A cappella praise Titel: Cairo Blues Länge: 02:39 Interpret und Komponist: Lil'Son Jackson Label: Arhoolie Best.-Nr: 409 Titel: A dream Länge: 05:31 Interpret: Step Three feat. James B. More Komponist: Georg Brasch Label: Direct Effect Best.-Nr: 084-10362 Plattentitel: The Prophet speaks Titel: A little less conversation Länge: 00:52 Interpret: Elvis Presley Komponist: William Everett "Billy" Strange, Mac Scott Davis Label: BMG STRATEGIC MARKETING GROUP Best.-Nr: 711805-2 Plattentitel: Elvis the King Titel: I want girls Länge: 00:38 Interpret: Mad Lads Komponist: John Gary Williams Label: Stax Best.-Nr: Volt 45-137 Plattentitel: Hinweis: B-Seite Titel: Cryin´ in the street Länge: 03:18 Interpret: George Perkins & The Silver Stars Komponist: Simon Rhodes, G. Alexander Label: Unsere Stimme-Trikont Best.-Nr: US-0243 3. Stunde Titel: Strange fruit Länge: 00:47 Interpret: Billie Holiday Komponist: Lewis Allan Label: edel records Best.-Nr: 0181242ERE Plattentitel: Billie's Blues Titel: Desolation row Länge: 02:26 Interpret und Komponist: Bob Dylan Label: COLUMBIA Best.-Nr: 460953-2 Plattentitel: Highway 61 revisited Titel: Crossroad Blues Länge: 02:26 Interpret und Komponist: Robert Johnson Label: INDIGO-Records Best.-Nr: IGOCD2017 Titel: Rocket 88 (Rocket eighty-eight) Länge: 00:58 Interpret: Ike Turner & The Kings of Rhythm Komponist: Jackie Brenston Label: Continental Song City Best.-Nr: 0682005 Plattentitel: Here and now Titel: Down in Mississippi Länge: 01:58 Interpret: Mavis Staples Komponist: J. B. Lenoir Label: Epitaph Best.-Nr: 6830-2 Titel: Cotton Länge: 01:04 Interpret: Lightnin' Hopkins Komponist: Sam "Lightnin'" Hopkins Label: INDIGO-Records Best.-Nr: IIND 9611 Titel: The death of Emmett Till Länge: 04:32 Interpret und Komponist: Bob Dylan Label: COLUMBIA Best.-Nr: 7761792 Plattentitel: The Bootleg Series The Witmark Demos: 1962-1964 Titel: Death in Mississippi I Länge: 01:45 Interpret und Komponist: Trevor Jones Label: Spectrum Best.-Nr: Island 551 100-2 Titel: Hard Times Länge: 04:17 Interpret: Mavis Staples Komponist: J. B. Lenoir Label: Epitaph Best.-Nr: 6830-2 Titel: Goin´ Down to New Orleans Länge: 00:50 Interpret und Komponist: Bob Dylan Label: OK Records Titel: Highway 61 Blues Länge: 03:30 Interpret: Sampson Pittman Komponist: Sampson Pittman Label: Emi Best.-Nr: LCD 7002