COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwer- tet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Zeitfragen-Feature 10. März 2016, 19:30 Uhr Der Welt-Computer Wie das Internet transparent, sicher und autonom werden soll Von Thomas Reintjes SPRECHER: (setzt sich hin, richtet das Mikro ein, raschelt mit Papier, spricht et- was distanziert vom Mikrofon, seufzt) Okay, Sendung. Gut, dann müssen wir das jetzt wohl machen. Auch wenn ich es noch nicht ganz verstanden habe. Blockchain... Bitcoin-Technologie. Ethereum. [Englisch: iTHírijum] Blockchain... Jeder redet darüber, jeden Tag le- se ich einen neuen Artikel darüber, was die Blockchain alles verän- dert wird. Den Kapitalismus, den Journalismus, das Internet, die Ge- sellschaft. Aber weiß überhaupt jemand wirklich, was die Blockchain ist? Ich meine, wie sie wirklich funktioniert und warum sie die Macht hat, alles zu verändern? Also, ich weiß es immer noch nicht, nach all den Artikeln und all den Interviews. REGISSEURIN: (über Lautsprecher) So wir sind fast startklar. Noch eine kurze Sprechprobe bitte. SPRECHER: Ich glaube, das Problem ist, dass jeder eine andere Erklärung dafür hat, was die Blockchain ist und was sie kann. REGISSEURIN: Wir können dann jetzt aufzeichnen. Alles klar? SPRECHER: (in Gedanken) Nein... Ähm, ja. Ja, alles klar. REGISSEURIN: OK, Aufnahme läuft. SPRECHER: (jetzt formeller) Im Jahr 2008 wurde Blockchain-Technik zum ersten Mal beschrieben. In dem Konzeptpapier zu Bitcoin, einer rein digita- len Währung. Die Blockchain ist das Herzstück von Bitcoin. Sie ist eine Art digitales Kassenbuch. Noch besser passt wohl der Begriff Daten-Bank. Immer, wenn jemand mit Bitcoin bezahlt, wird das in der Datenbank vermerkt. So ist jederzeit klar, wer welchen Bitcoin be- sitzt. Aber Bitcoins sind digital. Anders als Geldscheine und Münzen könn- te ich meine Bitcoins also einfach ohne Qualitätsverlust kopieren und vervielfältigen - wie alles Digitale. Deshalb wacht die Datenbank über alle Einnahmen und Ausgaben. Deshalb kann ich jeden meiner Bit- coins nur einmal ausgeben. SPRECHERIN: Alle Transaktionen werden in der Blockchain dauerhaft gespeichert, und zwar blockweise. Ein Datenblock nach dem anderen, wie an einer Kette aufgereiht - daher der Name Blockchain. Alle zehn Minu- ten wird ein neuer Block mit den aktuellen Transaktionen generiert, wird eine neue Seite zu dem Kassenbuch hinzugefügt. Wichtig dabei: Niemand hat die alleinige Kontrolle über diese ewige Datenbank. Jeder kann unter einem beliebigen Pseudonym am Bit- coin-Netzwerk teilnehmen. Es ist ein Netzwerk ohne Zentrale. Und jeder, der teilnimmt, bekommt eine aktuelle Kopie der Blockchain und ständige Updates. Die Software wacht darüber, dass die Datenbank konsistent ist. Manipulationen sind unmöglich. SPRECHER: Bitcoin funktioniert: Man kann damit in Burgerläden bezahlen oder bei Dell einen Computer bestellen. Greenpeace nimmt Spenden in Bitcoin entgegen. Ein weiteres Beispiel hat mir Don Tapscott erzählt, der zusammen mit seinem Sohn Alex ein Buch über Blockchain- Technik geschrieben hat. DON TAPSCOTT: O-TON 5 We tell the story of Anneli Domingo, a housekeeper and nanny in To- ronto Wir erzählen die Geschichte von Anneli Domingo, einem Kindermäd- chen aus Toronto. Einmal im Monat ist sie mehrere Stunden unter- wegs, um zu einer Western-Union-Filiale zu fahren und ein paar Hundert Dollar an ihre Mutter auf den Philippinen zu schicken. Das kostet rund zehn Prozent Gebühren und dauert drei bis sieben Tage, bis das Geld ankommt. Jetzt überweist Anneli das Geld in einer tau- sendstel Sekunde und es kostet ein viertel Prozent. Und das alles mit ein paar Tastendrücken auf ihrem Mobilgerät. Das ist nur eines von Dutzenden Beispielen wie diese Technik an traditionellen Institutio- nen rüttelt. ...shake the windows and rattle the walls of some traditional institu- tions. SPRECHER: Zahlungen von Familienmitgliedern in Industrieländern an die Familie zuhause in Entwicklungsländern seien der größte Geldstrom, der in diese Länder fließe, sagt Don Tapscott. Es geht also allein in diesem Beispiel um bedeutende Summen. Bedeutende Summen an Gebüh- ren, die Mittelsmännern verloren gehen können. DON TAPSCOTT: O-TON 6 You can't exchange money on the Internet without... Man kann im Internet kein Geld transferieren, ohne mächtige Mit- telsmänner: Banken, Kreditkartenunternehmen, Paypal oder auch eine Regierung, die einem eine Identität gibt. Dadurch ist das Inter- net heute in der Gewalt sehr starker Mächte: Konzerne, Technikfir- men, Banken und zu einem gewissen Grad Regierungen. Der Traum des Peer-to-peer-Internets ist dabei zum Erliegen gekommen. ...has been stalled. SPRECHER: Dieser Traum... REGISSEURIN: (unterbricht) Sorry, Peer to peer versteht kein Mensch, kannst du das noch kurz erklären? SPRECHER: (unverbindlich) Ja, gut, ich setze da nochmal an. (räuspert sich) (formeller) Peer-to-peer-Netz, wörtlich etwa ein Netz gleichrangiger Teilnehmer, ein Netz ohne zentrale Instanzen, in dem jeder sich frei mit jedem austauschen kann. Dieser Traum eines freien Internets ist in weiten Teilen ein Traum geblieben. Blockchain-Technik soll ihn nun doch noch Wirklichkeit werden lassen. Bitcoins haben in den vergangenen Jahren bewiesen, dass die Mittelsmänner nicht mehr gebraucht werden. Auch ohne Banken und Kreditkarten ist sicherer Zahlungsverkehr möglich. Deshalb soll die Blockchain-Technik jetzt auch auf andere Anwendungen ausgedehnt werden. SPRECHER: Man könnte in Blockchains in Zukunft viel mehr speichern als nur wer welches Geld besitzt. DON TAPSCOTT: O-TON 8 It could be a record of just about anything... Es könnte eine Datenbank für so ziemlich alles werden. Wer hat wen geheiratet? Wer hat wen gewählt? Wer hat wen bezahlt? Wer hat die Rechte an diesem geistigen Eigentum? Wer hat sein Medizinstudium abgeschlossen? Wer hat Waffen gekauft? Wer hat diese Nike- Schuhe hergestellt, dieses Apple-Gerät, diese Baby-Nahrung? Wo kommt dieser Hamburger her, woher diese Diamanten? Where did these diamonds come from? You name it. SPRECHER: Für die vielen verschiedenen Anwendungen sprießen gerade Star- tup-Unternehmen nur so aus dem Boden. Everledger beispielsweise ist ein Unternehmen aus London, das eine Blockchain für Diamanten aufbaut. In einem BBC-Interview (mit David Grossman) hat Gründe- rin Leanne Kemp erklärt, wie sie Blockchain-Technik nutzt. LEANNE KEMP: O-TON 9 It gives us a global ledger... Sie ermöglicht uns ein weltweites Verzeichnis aufzubauen. Wir be- kommen Transparenz über die gesamte Handelskette hinweg. Wo kommt der Diamant her? Ist es ein Blut-Diamant? Aus welcher Mine kommt er? Momentan wird das von verschiedenen Behörden über- wacht, die zwischen verschiedenen Systemen sitzen. Aber jetzt kön- nen wir ein weltweites Verzeichnis haben, das dauerhaft ist und sich nicht verändern lässt. Ich kann die Einträge nicht ändern. Deshalb ist es vertrauenswürdig und es ist sichergestellt, dass die Einträge stimmen. We now that those records are indeed correct. SPRECHER: Jedes Mal wenn ein Diamant den Besitzer wechselt, wird ein Eintrag in der Blockchain vorgenommen. So lässt sich jederzeit genau nach- vollziehen, durch welche Hände er gegangen ist. Das gleiche Prinzip ließe sich zur Rückverfolgung von Lebensmitteln einsetzen oder zur Echtheitsprüfung von Markenartikeln. Blockchain-Technik wird also kein Nerd-Thema bleiben, das sich rein in der digitalen Welt abspielt. Blockchain-Technik wird mit der Kohlenstoff-Welt verknüpft werden. REGISSEURIN: ...wenn es nach den Nerds geht. SPRECHER: Ja. REGISSEURIN: Es ist ein Nerd-Thema. SPRECHER: (lacht) Es ist definitiv ein Nerd-Thema. REGISSEURIN: Aber was jetzt noch nicht ganz klar geworden ist: Lebensmittel zum Beispiel kann ich doch schon zurückverfolgen. Auf manchen Fleisch- und Fischverpackungen sind Codes drauf, die ich im Internet einge- ben kann. Wofür brauche ich da die Blockchain? SPRECHER: Ah, ok, ja, kann ich noch was zu sagen. REGISSEURIN: Ja, gut, dann bitte. Aufnahme läuft noch. SPRECHER: (atmet ein, hält kurz inne, dann:) Eine Besonderheit der Blockchain im Gegensatz zu gewöhnlichen Datenbanken: Was einmal in der Blockchain drin steht, lässt sich nicht mehr ändern. Man kann nur In- formationen hinzufügen, keine verändern. SPRECHER: Wirklich zu verstehen, wie Blockchain-Technik funktioniert, ist eine Herausforderung. Der Blockchain-Programmierer Gavin Wood hat mir erzählt, er habe es selbst erst richtig verstanden, während er da- ran programmiert hat. Und zwar an der nach Bitcoin wohl bekanntes- ten Blockchain: Ethereum. GAVIN WOOD: O-TON 10 It was an interesting time. There was a lot of excitement... Das waren interessante Zeiten, voller Enthusiasmus und gleichzeitig wusste niemand so richtig, was es eigentlich war. Meine Art mit die- ser Ungewissheit umzugehen war, es zu implementieren. Wenn man etwas implementiert, dann wird es viel greifbarer. ...better handle on what it is. SPRECHER: Wer nicht selbst an Ethereum programmieren kann, der muss also wohl mit einem gewissen Grad an Unsicherheit leben. Aber während Gavin Wood Ethereum programmiert hat, hat er einen ganz anschau- lichen Weg gefunden zu erklären, was Ethereum eigentlich macht. GAVIN WOOD: O-TON 11 Ethereum can be viewed as a computer... Man kann sich Ethereum als einen Computer vorstellen. Auf diesem Computer laufen Programme, die zum Beispiel Gehaltszahlungen abwickeln können oder Informationen über Identität oder Besitz spei- chern können. Aber der Unterschied ist, dass dieser Computer nie- mandem gehört. Normalerweise gehört ein Computer einer Person oder einer Firma. Zum Beispiel Google, die viele Computer betrei- ben. Aber Ethereum ist ein einzelner Computer, der allen gehört und von allen betrieben wird. Er existiert nicht an einem bestimmten Ort, sondern er existiert auf jedem Computer, der Teil des Netzwerks ist. ...exists on everybody's Computer, that is part of the network. SPRECHER: Er nennt Ethereum deshalb auch den Welt-Computer. SPRECHERIN: Ethereum verbindet die Programmierbarkeit von Computern mit der Datenbank-Eigenschaft der Blockchain. Damit lässt sich eine digitale Währung wie Bitcoin realisieren, aber man kann damit auch alle möglichen anderen Dienste programmieren, die sich die Eigenschaf- ten der Blockchain zunutze machen können. [[[ kürzbar: Eine Crowdfunding-Kampagne ohne Mittelsmänner in Ethereum durchzuführen oder Unternehmensanteile über das Netzwerk zu ver- kaufen statt an der Börse, sind zwei denkbare Anwendungen. SPRECHER: So haben es auch die Erfinder und Entwickler von Ethereum, Gavin Wood, Vitalik Buterin und ihre Kollegen getan. Damit haben sie die Arbeit an Ethereum finanziert: per Crowdfunding und Verkauf ihrer eigenen digitalen Währung namens Ether. Mehr als 18 Millionen Dol- lar sind dabei zusammen gekommen. Das war 2014. Im Juli 2015 dann folgte der offizielle Start von Ethereum als das derzeit vielver- sprechendste Blockchain-Projekt. Und schon etwa ein halbes Jahr später erreichten die bis dahin im Umlauf befindlichen Ether- Einheiten einen Spitzenwert von fast einer halbe Milliarde Dollar. ]]] Mitten im Hype tritt Gavin Wood aber etwas auf die Bremse: GAVIN WOOD: O-TON 12 Now, this technology isn't here, yet... Die Technik ist noch nicht ausgereift und ich glaube man darf nicht vergessen, dass die Blockchain-Technik noch in den Kinderschuhen steckt. Auch wenn diese Zeit vielleicht einmal als die Goldene Ära betrachtet werden wird. Erst in fünf oder zehn Jahren werden wir eine gute Vorstellung davon haben, was die weitere Entwicklung in dieser Richtung wirklich bringen kann und inwiefern sich traditionelle Systeme verändern müssen. ...traditional systems will need to change. SPRECHER: Ein System, das sich durch die Blockchain verändern muss, das könnte einerseits etwas so übergreifendes sein wie die weltweite Fi- nanzindustrie. Andererseits etwas eher Überschaubares wie einzelne Unternehmen oder Dienstleistungen. Letzteres hat längst begonnen. SPRECHERIN: Weil Ethereum Programme ausführen kann, entwickeln Startups Apps für Ethereum. Auch genannt DApps, mit vorangestelltem D wie dezentral. Denn Blockchain-Apps werden Teil der Blockchain. Sie laufen nicht auf einem zentralen Server, den ein Unternehmen kon- trolliert. Stattdessen haben Ethereum-Nutzer in ihrer lokalen Kopie der Blockchain auch eine Kopie dieser DApps und können sie aus- führen. SPRECHER: DApps haben den Vorteil, dass Nutzer nicht mehr zentralen Servern wie denen von Facebook, Google oder Apple vertrauen müssen, dass sie erwartungsgemäß funktionieren. REGISSEURIN: Stop, stop, stop. Nur weil ein Programm auf meinem Rechner läuft und nicht auf irgendeinem Server, ist es ja nicht automatisch vertrau- enswürdiger. SPRECHER: Das nicht. Aber du könntest dir theoretisch genau angucken, was das Programm macht. Auch wenn du das nicht selbst kannst, kannst du hoffen, dass jemand anders überprüft, dass alles mit rechten Din- gen zugeht. Wie bei Open-Source-Software. Zum Teil nimmt die Et- hereum-Software einem diese Kontroll-Arbeit aber auch ab: GAVIN WOOD: O-TON 13 When you join the Ethereum network... Wenn man dem Ethereum-Netzwerk beitritt, trägt man automatisch dazu bei, es zu kontrollieren. Man kontrolliert, dass alle anderen sich benehmen. Und wenn jemand das nicht tut, dann kann man deren Informationen praktisch ignorieren. Weil alle vereinbaren, nach den- selben Regeln zu spielen, wird es nahezu unmöglich, nicht vertrau- enswürdige Programme in das Netzwerk einzubringen. Im Grunde ist es als wären wir in der Lage, alle Computersysteme, mit denen wir täglich zu tun haben, zu überprüfen. ...counter that sort of trust, that you've placed in it. SPRECHER: Das klingt sehr abstrakt, aber Gavin Wood hat ein Beispiel parat: GAVIN WOOD: O-TON 14 It's like being able to audit Ebay... Es ist als könnte man Ebay einem Audit unterziehen und sagen: Ich will sichergehen, dass das nicht ein Ebay-Mitarbeiter war, der mich da im letzten Moment überboten hat, der das in der Datenbank auf dem Ebay-Server eingetragen hat. Aber das geht nicht, weil wir kei- nen Zugriff auf den Computer von Ebay haben. Aber gäbe es den gleichen Service auf dem Ethereum-Computer, könnten wir prüfen, dass die Auktion regelgerecht abgelaufen ist. ...according to the rules. SPRECHER: Wer die Auktion gewonnen hat, bestimmt das Ethereum-Netzwerk. Alle Teilnehmer einigen sich automatisch auf einen regelkonformen, gültigen Ausgang der Auktion. Genauso einigen sie sich permanent über den aktuellen Status sämtlicher Programme, die in Ethereum laufen - ganz ähnlich wie das Bitcoin-Netzwerk jederzeit eindeutig weiß, wer welchen Bitcoin besitzt. Das Netzwerk gelangt zu einem Konsens über seinen aktuellen Zustand. Das ist eine weitere Rolle von Mittelsmännern, die durch die Blockchain ersetzt wird. Das Fin- den einer Einigung zwischen den Beteiligten. GAVIN WOOD: O-TON 15 Unless we reduce society all the way down to sort of the village lev- el... In einem kleinen Dorf kennt noch jeder jeden, aber darüber hinaus sind wir immer auf Mittelsmänner oder Verhandler angewiesen. In der modernen Gesellschaft sind die Mittelsmänner institutionalisiert: in Regierungen, Banken, Versicherungen und so weiter. Die können Vereinbarungen auf nationaler oder internationaler Ebene treffen. Mit Ethereum und seinem Konsens-Algorithmus können Menschen di- rekt Vereinbarungen miteinander treffen, ohne dabei auf eine Autori- tät angewiesen zu sein, die darauf achtet, dass wir uns an die Abma- chung halten. ...keep us to our agreement. SPRECHER: Man kann eine Vereinbarung als Programm in Ethereum formulieren. "Wenn/dann", ganz einfach. REGISSEURIN: Wie, ganz einfach? Kannst du das etwa? SPRECHER: Programmieren? REGISSEURIN: Ja, in Ethereum. SPRECHER: Nein. Aber es heißt ja nicht, dass ich das selbst machen muss. Wie gesagt, es gibt Apps - oder DApps - in Ethereum. Jemand könnte al- so eine DApp schreiben, die wir beide nutzen, um eine Vereinbarung zu schließen. Eine Auktions-DApp zum Beispiel, in der wir vereinba- ren, dass ich dir zwei Bitcoin für deine Couch zahle, falls niemand mehr bietet. REGISSEURIN: Ah, alles klar. Weiter im Text... SPRECHER: Abmachungen können einfache Finanztransaktionen sein: Wenn du mir heute 1000 Euro gibst, gebe ich dir in einem Jahr 1100 Euro zu- rück. Die damit verbundenen Transaktionen würden automatisch vom Netzwerk ausgeführt. Die Vereinbarungen können aber auch komplexer werden und könnten auch Gegenstände einbeziehen, die an das Netzwerk angeschlossen sind oder deren Besitzverhältnisse in Ethereum festgehalten sind. Dann würde der rechtmäßige Besitzer eines Diamanten sich automatisch ändern, sobald die Kaufsumme überwiesen wurde. Das geleaste Auto würde sich nicht mehr starten lassen, wenn eine Rate nicht bezahlt wurde. Regie: Musik: Imogen Heap, Tiny Humans SPRECHERIN Wer einen Song in der Ethereum-Version von Spotify abspielt, würde automatisch einen kleinen Betrag dafür bezahlen. Und es ließe sich nachvollziehen, welcher Anteil an die Sängerin geht und welcher an den Schlagzeuger. Regie: (Musik steht frei) SPRECHERIN Die Musikerin Imogen Heap experimentiert gerade mit neuen Finan- zierungsmodellen. Ein Experiment ist die Seite Ujomusic.com. Dort kann man ihren Song Tiny Human für 60 Cent herunterladen und mit der Ethereum-Währung Ether bezahlen. Den Song zu streamen kos- tet 6 Cent. Andere Lizenzen sind ebenfalls verfügbar, zum Beispiel zum Remixen. Dabei fließen jeweils unterschiedliche Anteile an die verschiedenen Beteiligten - alles ist transparent. Regie (Musik steht frei) SPRECHER Ob das die Musikindustrie retten kann - unklar. Nach der ganz gro- ßen Revolution klingt das alles noch nicht. Eher nach einem langsa- men Wandel mit noch recht ungewissen Vor- und Nachteilen. Aber sollte die Blockchain nicht Wirtschaft und Gesellschaft auf den Kopf stellen? Statt change, wandeln, benutzt man im Silicon Valley in Kali- fornien gerne das Wort disrupt: stören oder zerreißen. Und das wird als etwas Positives betrachtet. Disruptive Technik, glauben viele der Startup-Gründer hier, kann die Welt zu einem besseren Ort machen. Sie versuchen, fundamentale Probleme mit Code zu lösen. Ein sol- cher Programmierer ist Siraj Ravel, der ein Buch über Dezentralisier- te Apps geschrieben hat. Er glaubt, dass DApps die Menschheit er- nähren können, wenn Roboter fast alle Jobs übernommen haben. SIRAJ RAVAL: O-TON 16 Within ten to fifteen years all those jobs... In zehn, fünfzehn Jahren werden fast alle Jobs durch Automations- technik vernichtet sein, zumindest in den Industrienationen. Men- schen werden ein Auffangnetz brauchen. Es gibt ja Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen, aber ich glaube realistischer ist ein neues System, in dem die Menschen für den einzigen Wert be- zahlt werden, den sie in dieser neuen Wirtschaftsordnung haben werden. Und das sind Daten. ...the only value that you have in this new economy is data. SPRECHER: Früher mussten wir für den Transport unserer Daten bezahlen. Heute geben wir unsere Daten umsonst her, beziehungsweise im Aus- tausch für kostenlose Dienste wie Facebook, Youtube oder Google Mail. In Zukunft sollten wir uns für unsere Daten bezahlen lassen, sagt Ravel. SIRAJ RAVAL: O-TON 17 Your five senses, your unique perception of the world... Deine fünf Sinne und wie du die Welt damit wahrnimmst und wie sich das dann in Tweets und Fotos niederschlägt, das kann dir kein Ro- boter nehmen. Wir brauchen einen Weg, Menschen dafür zu bezah- len. Und mit Dezentralisierten Apps ist es möglich, Menschen für ihre Daten zu bezahlen. In einem Peer-to-peer-System, in dem Men- schen sich gegenseitig für ihre Daten bezahlen. ...paying each other for data. SPRECHER: Das ist im Prinzip die Idee des Blockchain-Spotify weitergedacht. Statt nur Künstler für das Abspielen ihrer Musik zu bezahlen, könnte ein Blockchain-Facebook dafür sorgen, dass ich bezahlt werde, wenn sich jemand meine Fotos ansieht oder dieses grandiose Kat- zenvideo. Aber ich bin skeptisch, was diesen Zukunftsentwurf an- geht, in dem Daten der einzige Wert sind, den ich zur Gesellschaft beitragen kann. Damit Geld zu verdienen würde ja auch nur funktio- nieren, wenn ich überhaupt bereit bin, meine Daten zu teilen, richtig? SIRAJ RAVAL: O-TON 18 That, that is, that is... Yes. Yes. REGISSEURIN: Hahaha, herrlich: Silicon-Valley-Traum trifft auf deutsche Skepsis. SPRECHER: Ja... Aber lass mich mal weiter machen. Er hat nämlich auch Durch- dachteres zu sagen. Dezentralisierte Apps kommen wie gesagt ohne zentralen Server aus und das schützt sie vor Manipulationen und Angriffen. Aber sie stel- len auch sicher, dass Informationen nicht verloren gehen. Wie oft klickt man heutzutage im Internet auf einen toten Link, einen Link, der ins Nichts führt? Das gäbe es in einem dezentralisierten Internet so nicht mehr. Denn Informationen lassen sich darin nicht löschen. Das macht Zensur unmöglich und garantiert den Zugriff auf Wissen. SIRAJ RAVAL: O-TON 19 Wikipedia could be a donation based, decentralized app. Wikipedia könnte eine dezentralisierte App sein, die niemals jemand aus dem Netz nehmen kann. Wikipedia muss dringendst dezentrali- siert werden. Wenn jemand Wikipedia angreifen würde, könnten wir Wissen verlieren, das nur schwer wiederherzustellen ist. Wenn wir das Netz dezentralisieren, wäre es ein permanentes Web. Daten sind unser wichtigstes Gut und Dezentralisierung schützt es. ...by decentralizing it. SPRECHER: Die erste große dezentralisierte App wird nicht mehr lange auf sich warten lassen, prognostiziert Raval. Er erwartet sie allerspätestens 2018. Viele sind schon in der Entwicklung, etwa LaZooz [sprich: La Suhs], eine Art dezentralisierte Mitfahrzentrale, oder um es hipper auszudrücken: ein Blockchain-Uber. VIDEO: O-TON 20 We're creating a community-owned real time ridesharing service, powered by revolutionary Block Chain technology. SPRECHER: Auch bei LaZooz werden Krypto-Coins ausgetauscht, wie Bitcoins oder Ether. Und das bringt mich zum Nachdenken. Gibt es im dezen- tralisierten Blockchain-Netz alles nur noch gegen Bares? Es gehört zu den Grundprinzipien der Blockchain, dass neue Daten für eine Gegenleistung in den nächsten Block aufgenommen werden. Wer al- so zum Netzwerk beitragen will, muss zahlen. Ist das das Ende der so genannten Kostenlos-Kultur? Wird das dezentralisierte Netz ein kapitalistischer Albtraum? (Zäsur) Oder ist es genau das Gegenteil, ein Albtraum für den Kapitalismus? Wird das dezentralisierte Netz noch anarchischer als es das Internet jemals war? Ohne zentrale Instanzen und nicht abschaltbar, manipu- lierbar oder zensierbar. Schließlich werden ja all die Mittelsmänner ausgeschaltet. Bankern dürfte es doch zum Beispiel gar nicht gefal- len, wenn Finanztransaktionen ohne sie ablaufen. CHARLEY COOPER: O-TON 21 We believe, this technology has the potential to revolutionize finan- cial services in the same way that the Internet revolutionized media and entertainment. SPRECHERIN: Blockchain-Technik könnte die Finanzwelt so revolutionieren, wie das Internet die Medien- und Entertainmentwelt revolutioniert hat, sagt Charley Cooper vom Blockchain-Startup R3 [sprich: ar THri:]. Gemeint sind allerdings nicht die bedrohten Geschäftsmodelle oder Probleme mit Piraterie. Gemeint sind die guten Seiten der digitalen Revolution: schnelle On-Demand-Services, neue Verbreitungswege et cetera. Vergleichbare Chancen vielmehr als vergleichbare Risiken sieht Charley Cooper jetzt durch die Blockchain auf Banken zukom- men. Seine Firma R3 arbeitet weltweit mit 42 Banken zusammen, um sie per Blockchain zu vernetzen. CHARLEY COOPER: O-TON 22 We believe it's inevitable... Wir glauben, dass diese Technik, wenn sie sich weiter verbreitet, unweigerlich fundamentale Auswirkungen auf die Finanzwirtschaft haben wird. Und wir glauben, dass das eine gute Sache ist. Ich mei- ne, wenn diese Technik funktioniert wie sie soll, dann macht sie die Dinge effizienter, sicherer, überprüfbarer und billiger und bietet auch noch Datenschutz. Insgesamt werden Finanzdienstleister davon pro- fitieren, auch wenn einzelne weniger glücklich damit sein werden. ...players, that are more or less happy about it. [[[ kürzbar: SPRECHER: Die Finanzindustrie spiele eine zu wichtige Rolle in der Weltwirt- schaft, als dass sie einfach verschwinden könne, sagt Cooper. Dienstleistungen von Bankern und Brokern würden nach wie vor ge- braucht. Aber Banken müssten besser zusammenarbeiten und schneller werden. Tausende verschiedener Software-Systeme und veraltete Mainframe-Großcomputer in Bank-Rechenzentren könnten durch moderne Blockchain-Technik ersetzt werden. Einen ersten Versuch, über eine interne Ethereum-Blockchain Finanztransaktio- nen durchzuführen, hat R3 mit einigen Banken Anfang 2016 unter- nommen, nur wenige Monate nach der Veröffentlichung der ersten Version von Ethereum. ]]] REGISSEURIN: Wir müssen jetzt langsam zum Ende kommen. SPRECHER: Ja, kein Problem, ich sag noch was zum Status quo und dann haben wir's glaube ich. REGISSEURIN: Na dann... SPRECHER: Blockchain-Technik ist noch jung und hat noch nicht bewiesen, dass sie halten kann, was sie verspricht. Aus den verschiedenen Blickwin- keln auf die Technik ergeben sich unterschiedliche Herausforderun- gen, die noch zu meistern sind. Für Charley Cooper gilt es beispiels- weise auch Aufsichtsbehörden von der Blockchain zu überzeugen. CHARLEY COOPER: O-TON 23 The difficulty with that, there's Die Schwierigkeit ist - es gibt viele Schwierigkeiten, aber eine Schwierigkeit dabei ist, dass wir nicht auch nur annähernd so weit sind, dass Finanz-Regulierer es anonymen Teilnehmern irgendwo da draußen in der Cloud überlassen würden, festzulegen was eine gülti- ge Transaktion ist und was nicht. ...is or is not a valid financial transaction. SPRECHER: Aus Sicht von Siraj Ravel, der dezentralisierte Software propagiert, liegt das Problem darin, dass es auch dezentralisierte Schadsoftware geben könnte. SIRAJ RAVAL: O-TON 24 What if you made a decentralized app... Man kann eine dezentralisierte App per Definition niemals abschal- ten. Was, wenn man eine DApp programmieren würde, und sie macht etwas Unmoralisches? Das sind Dinge, über die wir uns im Vorfeld Gedanken machen müssen. Da müssen wir Sicherheitsme- chanismen einbauen. Das Thema Sicherheit ist noch ungelöst. ...security has definitely not been solved yet. SPRECHER: Gavin Wood, der Ethereum mit entwickelt, hält Skalierbarkeit für das größte Problem. Denn während andere Netzwerke um so effizienter arbeiten, je mehr Teilnehmer sich damit verbinden, gilt für Block- chains leider das Gegenteil. GAVIN WOOD: O-TON 25 At present, the way that blockchains work... So wie Blockchains heute funktionieren, sind sie wahnsinnig redun- dant. Jeder Netzwerkknoten ist ein exaktes Duplikat von allen ande- ren. Das heißt, wir verschwenden eine riesige Menge Speicherplatz, Prozessorleistung und Bandbreite. ...and of bandwidth. SPRECHER: Außerdem ist fraglich, ob Blockchain-Technik mit den Geschwindig- keiten mithalten kann, die wir heute im Internet gewohnt sind. Im Bit- coin-Netzwerk wird bisher nur alle zehn Minuten ein neuer Block er- zeugt. Bis die Informationen darin sich im ganzen Netzwerk verbrei- tet haben und als gesichert angesehen werden können, dauert es noch länger. Auch die Energiebilanz von Blockchains ist miserabel. Don Tapscott, der mit seinem Sohn Alex das Buch "Die Blockchain- Revolution" geschrieben hat, sieht außerdem ein Datenschutz- Problem. Wenn die Anonymität der Blockchain aufgehoben werden könnte, würde sie überaus detaillierte Daten preisgeben. DON TAPSCOTT: O-TON 26 There is an argument to be made that governments... Es gibt die Sorge, dass Regierungen in der Lage sein könnten, die Technik irgendwie zu übernehmen, so dass sie uns ausspionieren können, auf eine sehr detaillierte, molekulare Weise. All das sind aber keine Gründe, es nicht zu tun. Es sind Fragen der Umsetzung, die handhabbar sind. ...they are manageable. SPRECHER: Eine Befürchtung ist allerdings, dass bei der Umsetzung Kompromis- se gemacht werden müssen und eine zukünftige, massentaugliche Blockchain nicht an die heutige Idealvorstellung herankommt. Es ist noch keine ausgemachte Sache, dass die Blockchain wirklich zu einer Revolution führen wird. Der Blick in die Zukunft ist schwierig. Vor weniger als zehn Jahren wurde die Technik für Bitcoins konzi- piert. Wer hätte zehn Jahre nach Erfindung des Arpanets, also etwa 1980, absehen können, wie sehr dessen Nachfolger, das Internet einmal die Welt umkrempeln wird? Dass deswegen Plattenläden in der Fußgängerzone dicht machen? Was werden die Plattenläden des Blockchainzeitalters sein? GAVIN WOOD: O-TON 27 I don't know what these are gonna be for Ethereum and the Block- chain in general, but I'm sure there will be effects. Ich weiß es nicht, aber ich bin mir sicher, dass es Auswirkungen ge- ben wird. SPRECHER: Gavin Wood gehört zu den wenigen Programmierern, die die Technik wirklich verstanden haben. Ich kann das von mir immer noch nicht behaupten. Das könnte letztlich die größte Herausforderung für die Blockchain-Technik werden: Zu wenige Menschen verstehen sie und zu viele reden über sie. Zeitfragen: Der Welt-Computer - 1/17 -