COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Notwendige Nacharbeit - Die Münchner Polizei arbeitet ihre NS-Vergangenheit auf - Autor Susanne Lettenbauer Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 06.04.2011 - 13.07 Uhr Länge 18.290 Minuten Moderation Jeder hat seine Geschichte. Auch Institutionen haben eine Vergangenheit. Also auch die Münchner Polizei. Sprechen alte Münchner heutzutage von der "Ettstrasse", läuft ihnen ein Schauer über den Rücken. 1933 - aus dem Gefängnis der "Ettstrasse" wurden die Inhaftierten nach Dachau deportiert. Ins KZ. Wer in die "Ettstrasse" abgeholt wurde, der kam oft nicht wieder. Die Geschichte des Münchner Polizeigebäudes ist eng verbunden mit Nazi-Gräuel, Hitler-Putsch und Gestapo-Gründung. Und: Polizisten aus München nahmen am Willkürterror in Osteuropa teil. Ein unangenehmes Thema für München. Generationen von Historikern haben sich die Zähne ausgebissen an der Geschichte der Münchner Polizei. Seit November 2010 nun sitzen Polizisten in den Archiven des Freistaates und der Stadt, um ihre Geschichte aufzuarbeiten. Ein großes Vorhaben, ein notwendiges Vorhaben. 56 Jahre nach dem Untergang des Faschismus. Susanne Lettenbauer nahm sich der notwendigen Nacharbeit journalistisch an. folgt Script Beitrag Script Beitrag E 01 (O-Ton / N. N., 09.03.1933) Verkündet, daß H. Himmler das Polizeipräsidium München kommissarisch übernommen hat. /Einspielungen von Original-Tondokumenten aus den 1930er Jahren ab 18'19 Archivnummer: W6000155/ AUT München 9. März 1933. An dem hellbraunen Schreibtisch in der Ettstraße 2 nimmt Heinrich Himmler Platz. Ein nationalkonservativer Diplomlandwirt und Hühnerzüchter. Der Reichsführer der Schutzstaffel SS wird Polizeipräsident von München. Seine erste Amtshandlung: Die Errichtung des Konzentrationslagers Dachau. G 01 Atmo Ettstrasse AUT 78 Jahre später. 2011. Nebel hängt an diesem kühlen Morgen in Münchens Einkaufszone. Neben dem Liebfrauendom rattert der Abrissbagger. Nachkriegsbauten weichen Glasfassaden. Gegenüber trotzt ein mächtiger geschwungener Bau den Neuerungen in Münchens Altstadt. Ettstraße 2. Vor den hellgrünen Mauern stehen Polizeibusse. Dahinter fünf Stockwerke, die Fenster vergittert. Ein Trutzbau, erbaut 1912 auf den Mauern eines Augustinerklosters. Vor 70 Jahren die gefürchtete Durchlaufstation für Münchner Juden, Sinti und Roma, Kommunisten und Sozialisten Richtung Vernichtungslager. Und Ausgangspunkt für Hunderte von Polizeibeamten, die in Osteuropa ihren Dienst für das Nazi-Regime taten. Das Münchner Polizeipräsidium. G 02 Atmo Eingang Polizeipräsidium AUT Der Eingang ist klobig. Links prangt ein rundes Überwachungsauge. Der Türöffner schnarrt. Kriminalhauptkommissar Fabian Frese wartet hinter der Tür. G 03 Atmo Begrüssung AUT Gemeinsam mit einem Kollegen geht er die Treppen hoch und bittet in ein Büro. Geschirr klappert. Der Arbeitskreis Die Münchner Polizei im NS-Staat sitzt an einem langen Tisch. Es gibt Plätzchen und Kaffee. E 02 (Sven Müller) Also mein Name ist Sven Müller. Ich bin jetzt im Arbeitskreis seit einem guten Jahr. Das war eher zufällig. Ich wurde von Herrn Frese angesprochen, wir kannten uns vorher schon etwas. Er wusste, dass ich grundsätzlich jemand bin, der geschichtlich und politisch interessiert ist. Er hat mich gefragt, ob ich Interesse habe? Und da habe ich eben Interesse gehabt und auch große Freude, da mitzuwirken. AUT Sven Müller, Polizeihauptmeister, arbeitete vor einem Jahr noch in der Polizeiinspektion 11. Lief Streife rund um die Münchner Altstadt. Wurde eingesetzt, wenn Demonstrationen und Veranstaltungen auf dem Marienplatz Polizeischutz erforderten. Jetzt betreut er die Öffentlichkeitsarbeit, sitzt im Archiv über Akten aus der Zeit des Nationalsozialismus. E 03 (Sven Müller) Mir war vorher gar nicht so richtig bewusst, wie der Stand der Geschichtsaufarbeitung der Behörde, wo ich ja nun arbeite, eigentlich ist. Das ist so ein bißchen untergegangen. Dass es so große Defizite gab, war mir auch nicht klar. Umso begeisterter sind wir jetzt losgegangen. AUT Rückblick. Otto Herb, geb. 1883, in der NS-Zeit Abteilungsleiter in der Münchner Kriminalpolizei,.Abteilung Vorbeugende Verbrechensbekämpfung. Zitat1954: ZIT Zitat Herb: Sämtliche Dienststellen hatten die Anweisung, nur die Akten der schwersten Verbrecher, die vom Gericht eingeholt wurden, an mein Referat weiterzuleiten. Die Leute, bei denen das Gericht Sicherheitsverwahrung ausgesprochen hatte, wurden auf Entscheidung meines Chefs in ein KZ eingewiesen. Der jeweilige Fall wurde nach Berlin berichtet und erst wenn Berlin mitteilte, dass alles richtig sei, wurde die Einweisung vorgenommen. Das KZ bestimmte auch Berlin. Die Akten kamen von Berlin nicht mehr zurück. Unsere hiesigen Handakten wurden alle 2 Jahre ca. überprüft und das RSHA entschied dann, ob derjenige aus dem KZ wieder herauskam. [...] Wir haben nur Unverbesserliche ins KZ eingeliefert. E 04 (Walter Nickmann) Mein Name ist Walter Nickmann. Ich verrichte meinen Dienst auf der Polizeiinspektion 21, Nähe Mariahilfplatz, und habe dort die Funktion eines Kontaktbereichsbeamten. Ähnlich wie mein Kollege kam ich eher zufällig zur Arbeitsgruppe durch unsere Leiterin, der Frau Dr. Pankiewicz. AUT Dann beginnt Walter Nickmann zu erzählen: Wie der liberale Polizeipräsident Karl Mantel 1923 beim Hitlerputsch im Bürgerkeller festgesetzt und hinterher von den Hitler-Gefolgsleuten als Geisel genommen wurde. Wie dessen Vorgänger im Amt, Ernst Pöhner, gemeinsam mit Wilhelm Frick, dem Leiter der politischen Abteilung und der Kriminalpolizei, bereits 1919 eine unheilige Allianz für Hitler eingegangen sei. Ihr Kollege, der Polizeibeamte Heinrich Müller, seit 1919 für die Verfolgung der Kommunisten eingesetzt, machte ebenfalls Karriere: 1939 wurde er Chef der Gestapo in Berlin sowie des Amtes IV im "Reichssicherheitshauptamt", das die Deportation und Vernichtung der Juden organisierte. Auch Reinhardt Heydrich, der Organisator des Holocaust, begann seine steile Karriere in München - als stellvertretender Chef der Bayerischen Polizei. Allein im März 1933 seien rund 5.000 Menschen festgenommen worden, ermittelte der Arbeitskreis Die Münchner Polizei im NS-Staat. Ein Gefangener erinnert sich in den Münchner Memory Loops. E 05 (Memory Loops) Als ich in das Polizeipräsidium in der Ettstrasse kam, war noch Nacht. Wie ich da so hineinkomme in die Zelle, war kein Platz, ich habe über Leute drübersteigen müssen. Also ein jeder da drinn war zugerichtet, das man es nicht hat glauben können. Der eine hat nicht auf dem Rücken, der andere nicht auf dem Bauch liegen können. Jeder hat was gehabt, denn da war der berühmt berüchtigte weisse Saal. AUT Die überfüllten Gefängnisse und die Schreie der Gefolterten waren Anlass für Himmlers Ankündigung am 20. März 1933, außerhalb der Stadt ein Konzentrationslager zu errichten. Die Häftlinge in Dachau wurden zunächst von Münchner Polizisten bewacht, die auch noch vor der SS die ersten Morde begingen. Für die Leiterin des Arbeitskreises, die Juristin Karen Pankiewicz, keine Überraschung. E 06 (Karen Pankiewicz) Also man kann jetzt nicht sagen, dass man davor dachte, die Münchner Polizei hatte keine besondere Rolle in dieser Zeit. Das ist jetzt nicht überraschend. Ich finde schon, in Einzelbereichen, so geht es mir, bin ich schon immer wieder über die Bedeutung und Intensität und Wichtigkeit, das hätte ich so nicht gedacht. G 04 Atmo Flur und Schritte AUT Eine Treppe höher, an unzähligen geschlossenen Türen vorbei, mit Blick auf einen der Innenhöfe und hinüber zum berüchtigten Zellentrakt, liegt der Archivraum der NS-Arbeitsgruppe der Münchner Polizei. Auf den Steinböden der langen Flure hallen die Schritte nach. Früher, als hier die Uniformierten mit beschlagenen Stiefeln entlang marschierten, muss das furchteinflössend geklungen haben, sagt ein Mitglied des Geschichtskreises. Hinter der letzten Durchgangstür, gegenüber von einem der unzähligen Treppenflure der Ettstraße, geht es eine knarzende Stieg hoch. Ein Hinterzimmer in einer dunklen Ecke. G 05 Atmo Besprechungsraum Atmo Eingang AUT Der Schlüssel scheppert, die Holzdielen knarren. Die Tür öffnet sich zu einem unerwartet hellen Raum. Ein neutrales Besprechungszimmer mit weissen Tischen, einem Dutzend Stühlen. Rechts unterhalb des Fensters stapeln sich reihenweise dunkelbraune Bücher. Restbestände, die nach dem Krieg und der Neuorganisation der Münchner Polizei 1974 in der Ettstrasse verblieben. E 07 (Sven Müller) Also im Detail weiss ich das noch gar nicht. Das sind die Akten von den Nürnberger Prozessen, alles archiviert, da unten.. AUT Die meisten Unterlagen zur NS-Zeit liegen heute ausserhalb des Gebäudes, im Hauptstaatsarchiv, im Stadtarchiv, im Bundesarchiv. Oder sind in Büchern zu finden. Wie in jenem, das die erschütternde Lebensgeschichte des Hugo Höllenreiner nacherzählt, der während des Nationalsozialismus in einer Zelle in der Ettstraße einsaß. Der Titel: "Denk nicht, wir bleiben hier". E 09 (Walter Nickmann) Dann hier in der zweiten Reihe - das ist für mich sehr interessant - da sehen wir Bücher, die noch im Original erhalten geblieben sind über die Weimarer Zeit. Zum Beispiel hier die Zeitschrift "Die Polizei". Jahreszahl 1925. Das sind eben sehr alte Bücher, die wir in unsere Bücherei überliefert bekommen haben. Da können wir im Original authentisch nachlesen, wie es eben - wie hier exemplarisch - ein Bericht über den Polizeihund, wie es damals tatsächlich so war, welche Ereignisse so stattgefunden haben. Das spiegelt schon sehr authentisch den Ton jener Zeit wider. AUT Zwei bis dreimal pro Woche trifft sich der Arbeitskreis im Besprechungszimmer, neue Ergebisse werden vorgelegt, diskutiert, neue Forschungsaufgaben definiert. Hauptstaatsarchiv, Stadtarchiv und Staatsarchiv, Archiv der Arbeiterbewegung in Bayern, Archiv des Hauses der bayerischen Geschichte - wann immer die Zeit es den 12 Mitgliedern des Arbeitskreises erlaubt, gehen sie raus, recherchieren. Polizeihauptmeister Müller fiel so der Nachlass eines Arbeiters in die Hände, der in den 1930er Jahren im Widerstand aktiv war. E 10 (Sven Müller) Also ich dachte, naja, da geht man in ein Archiv rein, da gibt es drei Ordner, die wissen dann auch oft Bescheid die Archivare, das und das könnte für sie interessant sein. Das geht dann aber Seite für Seite, hunderte Seiten. Dann denkt man, na, den Ordner, den mache ich heute nachmittag in zwei Stunden. Dann werden es aber vier mal zwei Stunden. AUT Zwei Jahre stehen dem Arbeitskreis zur Aufarbeitung der NS-Geschichte der Münchner Polizei zur Verfügung. Zwei Jahre, die nicht reichen werden, das wissen alle in diesem Besprechungszimmer. Denn Münchner Polizei, das hiesse nicht nur die Vorgänge innerhalb der politischen Polizei, der späteren Gestapo zu erforschen, sondern auch die der Kriminalpolizei, der Verkehrspolizei, der Fahndungspolizei und der Polizeiinspektionen. Von München aus begann auch die reichsweite Erfassung und Verfolgung der Sinti und Roma, berichtet Kriminalhauptkommissar Fabian Frese. E 11 (Fabian Frese) Wir haben wirklich am Anfang lange diskutiert, weil wir das Problem, daß wir uns überfordern könnten, und zwar insbesondere als Nichthistoriker, aber natürlich auch zeitlich, finanziell etc., dass wir uns einen zu großen Rahmen setzen. Da haben wir lange diskutiert: Sollen wir zum Beispiel die Gestapo unter den Überbegriff Münchner Polizei subsumieren? Wir haben uns dafür entschieden, weil die Gestapo aus der ehemaligen politischen Abteilung der Münchner Polizei hervorgegangen ist und weil die Münchner Gestapo einfach für das nationalsozialistische Regime eine ganz zentrale Rolle in München und für Bayern gespielt hat. AUT Die thematische Gliederung, für die sich der Arbeitskreis letztlich entschied, unterteilt sich in mehrere Bereiche: So bearbeitet Polizeihauptkommissar Walter Nickmann von der Polizeiinspektion 21 die Zeit der Weimarer Republik, genauer die Zeit ab dem 8. November 1918 bis zum 30. Januar 1933, der Machtergreifung Adolf Hitlers. Der 60jährige bietet seit Jahren Stadtführungen zur NS-Geschichte Münchens an, erzählt Jugendlichen und Erwachsenen, wo welche Nazigrössen wohnten, wo und wie ihre Opfer lebten, so lange sie lebten. E 12 (Walter Nickmann) Ja, das ist meine Freizeit, am Wochenende eben. Und in der Arbeitsgruppe muss man eben auch schon bereit sein, Freizeit zu opfern, denn die optimale Arbeit ist eben, wenn sie im Rahmen eines Dienstausgleiches Überstunden abbauen, und Überstunden gibt es hier bei uns eben reichlich, dass sie eben den Vormittag und ein bischen vom Nachmittag noch haben für die Archivarbeit. G 06 Atmo Blättern in den Unterlagen AUT An der Seite im Besprechungsraum steht ein Eisenschrank. Von ganz unten holt Fabian Frese vergilbte Aktenordner hervor, ein halbes Dutzend. E 13 (Fabian Frese) Das sind so genannte Kommando-Tagesbefehle aus den Kriegsjahren. Diese Kommandotagesbefehle sind weniger das, was der Name zunächst zu sein schein, Ausführungsbestimmungen, sondern stellen ziemlich detailliert dar, welche Beamten wann und wo eingesetzt wurden insbesondere im Ausland. AUT Rückblick: Vom Gericht 1924 befragt, warum die Münchner Polizei den nationalsozialistischen Umtrieben nicht Einhalt geboten hatte, antwortete Wilhelm Frick, Leiter der politischen Abteilung unter Polizeipräsident Ernst Pöhner und designierter Polizeipräsident im Falle eines erfolgreichen Putsches, nach 1933 Reichsinnenminister. Zitat: ZIT Zitat Frick: "Wir taten das bewußt nicht, weil wir in ihr den Keim einer Erneuerung Deutschlands sahen, weil wir von Anfang an die Überzeugung hatten, daß diese Bewegung geeignet wäre, in der marxistisch verseuchten Arbeiterschaft festen Fuß zu fassen und sie ins nationale Lager zurückzuführen. Deshalb hielten wir unsere schützende Hand über die nationalsozialistische Arbeiterpartei und Herrn Hitler." E 14 (Sven Müller) Man hat ja eine gewisse Motivation, wenn man zur Polizei geht und diesen Beruf ergreift. Bei mir war das so Teil meiner Überzeugung: Wir schützen hier ja unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und die muss auch vor Extremismus geschützt werden. Gerade die Jahre 1933, aber auch davor und danach, ist es ja im Gegensatz gelaufen. Die Polizei hat sich instrumentalisieren lassen, extremistische Tendenzen gab es auch innerhalb der Polizei. Das ist natürlich eine gewisse Mahnung auch für uns und speziell für mich als Polizeibeamter, dass man daraus auch Lehren zieht, dass so was nicht wieder passieren darf. AUT Sagt Sven Müller und klappt die Akten zu. E 15 (Fabian Frese) Mein persönlicher Ansatz ist ganz stark ein pädagogischer, oder wenn man es moderner ausdrücken will, ein Ansatz der internen Öffentlichkeitsarbeit. Einfach den Polizeibeamtinnen und -beamten des Polizeipräsidiums München die Geschichte und die Verantwortung vor der Geschichte des Polizeipräsidiums nahe zu bringen. AUT Kurz bevor das Gespräch zu Ende ist, noch eine Frage: Ob sich die Polizeibeamten in die Arbeit ihrer Kollegen vor mehr als 80 Jahren hineinversetzen könnten? Walter Nickmann: E 16 (Walter Nickmann) Ja, natürlich, weil der Polizeibeamte immer auch ein Vollzugsbeamter ist und die Polizei auch im institutionellen Sinne ist auch immer von den politischen Rahmenbedingungen abhängig. Und der Einzelne ist immer auch seinem Gewissen verpflichtet, aber letztlich ist es ganz entscheidend, wie läuft es im Organisationsverband in der Gesamtbetrachtung. Und Sie sehen in der Fertigkeit auch während der Weimarer Zeit oder der nationalsozialistischen Diktatur war es eben so, dass auch - in Anführungszeichen - normale polizeiliche Aufgaben darunter waren. Es fanden ja trotzdem Verkehrsunfälle statt. Es gab häusliche Gewalt. Dieser ganz normale Polizeidienst war ja auch zu leisten. AUT Am Münchner Odeonsplatz braust der Verkehr vorbei. Wo zur NS-Zeit die Ehrentafel für die Gefallenen des Hitler-Putsches hing, sind heute nur noch schwache Umrisse zu erkennen. Im nahen Hofgarten zieht die berittene Münchner Polizei die Aufmerksamkeit der Touristen auf sich. Eine Polizistin und ein Polizist in Uniform hoch zu Roß. Hier zog die Ehrengarde 1935 vorbei Richtung Königsplatz, um die Blutzeugen des November-Putsches in die Ehrentempel zu überführen. An ihrer Seite: Die SS-Uniformierten. Längst war die Münchner Polizei gleichgeschaltet, waren Polizeipräsidenten hohe SS-Führer, war die föderale Republik Vergangenheit. Der Unterschied zwischen SS, Gestapo und kommunaler Polizei verlief fliessend. E 17 O-Ton Archivnummer: W0126405 Marsch am 9. November 1935 (Teil 1) / Überführung der Blutzeugen Rundfunkübertragung der Überführung der 16 Toten ("Blutzeugen") des November-Putsches 1923 von der Feldherrnhalle in die Ehrentempel am Münchner Königsplatz: Aufnahmedatum: 09.11.1935 / AUT Joachim Schröder schaut von der Feldherrnhalle auf den Odeonsplatz. Der Historiker vom Münchner NS- Dokumentationszentrum kooperiert mit dem Polizeipräsidium bei der Aufarbeitung der NS-Geschichte. E 18 (Joachim Schröder) Ich finde das erstmal ganz hervorragend, dass sich im Polizeipräsidium junge Beamte, aber nicht nur junge, die sich für die Geschichte ihrer Behörde interessieren, gerade was die NS-Zeit betrifft, und die bereit sind ihre Freizeit dafür zu opfern. Da gibt es auch nicht viele Beispiele in Deutschland, die man nennen könnte, wo so was ähnliches passiert. AUT Klar ist, so Schröder, dass der Arbeitskreis innerhalb von zwei Jahren nicht die Geschichte der Münchner Polizei komplett aufarbeiten kann, weil das ein weites Feld ist. In den nächsten Jahren müsste weitergeforscht werden. Der Arbeit der Bürger in Polizeiuniform dort im Archiv sei ein Anstoß, um sich kritisch mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Und idealerweise ein Anstoss, um weitere Forschungen zu initiieren. G 07 Atmo Begrüssung Polizeipräsident AUT Der Mann, der 78 Jahre später hinter dem hellbraunen Schreibtisch von Heinrich Himmler sitzt, gab den Anstoss für die historischen Ermittlungen. Werner Schmidbauer, seit 2003 Polizeipräsident von München. E 19 (Werner Schmidbauer) Als ich vor acht Jahren Polizeipräsident von München wurde, hat mich eigentlich von Anfang an nachdenklich gemacht, dass einer meiner Vorgänger im Jahr 1923 den Hitlerputsch mit Waffengewalt niederschlagen hat lassen und keine zehn Jahre später saß eben an diesem Schreibtisch, an dem ich heute sitze, Himmler und war Polizeipräsident in München. Ich denke, dies muss für uns Anlass sein, sich auch diese Vorgänge genau anzusehen. G 08 Atmo Ausgang Polizeipräsidium AUT Vor dem grossen schmiedeeisernen Tor der Ettstrasse parkt ein Streifenwagen. Zwei Uniformierte hieven einen sichtlich alkoholisierten Mann vom Rücksitz. Den bringen sie in die Haftanstalt, sagt Polizeihauptkommissar Walter Nickmann ackselzuckend und schlägt den Mantelkragen hoch. Auf dem Promenadenplatz verabschiedet er sich. Läuft weiter Richtung Hauptstaatsarchiv. Es gibt noch viel zu tun. 78 Jahre danach. -ENDE Script Beitrag-