Manuskript Kultur und Gesellschaft Kostenträger : P 62100 Organisationseinheit: 46 Reihe : Zeitreisen Titel : Unsichtbare Politik Wie Geheimverträge zwischen Staat und Wirtschaft die Demokratie unterwandern Autor : Tarik Ahmia Redakteur/in : Jana Wuttke Sendung : 19.01.2011 Regie : Klaus-Michael Klingsporn Besetzung : Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 1 O-TON Margaret Thatcher, Privatization is on the Move, 1982, 28'' MIT VOICE OVER PAUSE "This government has rolled back the frontiers of the state and will roll them back still further... Privatization is on the move. So popular is our policy that it's being taken up all over the world... ... Millions have already become shareholders and soon there will be opportunities for millions more in British Gas, British Airways , British Airports and Rolls Royce... SPRECHERIN / VOICEOVER-EINSATZ Diese Regierung hat die Grenzen des Staates zurückgedrängt und sie wird sie noch weiter zurückdrängen. Privatisierung ist im Kommen. Unsere Politik ist so beliebt, dass sie auf der ganzen Welt kopiert wird. Millionen wurden bereits zu Aktienbesitzern. Millionen mehr können es durch die Privatisierung von British Gas, British Airways, britischen Flughäfen und Rolls Royce werden... AUTOR Der Verkauf von staatlichem Eigentum an private Investoren - für die britische Premierministerin Margaret Thatcher war dies nicht nur ein politisches Programm, es war "ihr Kreuzzug", eine "konservative Jahrhundertreform" um Millionen Briten zu - wie sie es nannte - "Volkskapitalisten" zu machen. Mit dem Verkauf einst staatlicher Konzerne, der Eisenbahn, des Energiesektors, von Wasserbetrieben, Werften und Flughäfen löste die Eiserne Lady eine Privatisierungswelle aus, die weltweit Nachahmer fand. Der "Thatcherismus" wurde von einem unbedingten Glauben an den Markt getragen, der den Staat, - wo es nur ging -, ersetzen sollte, sagt der Wissenschaftler und Privatisierungsexperte Ernst Ulrich von Weizsäcker. 2 O-TON Ernst Ulrich von Weizsäcker, Zeitgeist der Privatisierung EDIT - , 44'' "Das war zweifellos eines der ganz großen Motive der ersten großen Privatisiererin Europas nämlich Maggie Thatcher. Die wollte ständig Steuern senken und brauchte dafür Geld und dafür musste sie Kasse machen und musste furchtbar viel privatisieren und sie wurde getragen von einem Zeitgeist der behauptete, Privatwirtschaft und Märkte seien per Definition effizienter als öffentliche Anstalten. Das war einfach Zeitgeist und wenn man in diesem Zeitgeist lebt, dann sieht es so aus, als hätte man eine doppelte Legitimation: erstens Effizienz und zweitens Kasse machen für den Haushalt." AUTOR Seit Anfang der 90er Jahre wird auch in Deutschland im großen Stil privatisiert. Was genau der Staat dabei mit den Privaten vereinbart bleibt allerdings geheim. Sofern solche Verträge vereinzelt bekannt wurden, dokumentieren sie, dass die öffentliche Hand dabei meist kein gutes Geschäft macht: Immer wieder werden die Interessen der Bevölkerung dem Streben der Privaten nach sicheren Gewinnen geopfert. Nicht selten bleibt bei der Privatisierung die demokratische Kontrolle auf der Strecke, weil selbst Parlamentariern der Einblick in Verträge verwehrt wird. In Deutschland begann die erste große Privatisierungswelle nach dem Zusammenbruch der DDR. Damals wurde die Treuhandanstalt beauftragt, DDR-Vermögen und Betriebe zu privatisieren, erklärt der Journalist und Buchautor Werner Rügemer. 3 O-TON Werner Rügemer, Auslöser für Privatisierungen EDIT , 42'' "Das passierte von 1990-1994. Und das war auch für den Westen Deutschlands der Anstoß, um über die Privatisierung von Stadtwerken, von Wasserwerken und von allen möglichen öffentlichen Unternehmen nachzudenken " AUTOR Die größte Teilprivatisierung innerhalb der Europäischen Union fand 1999 in Berlin statt. Auch in der großen Koalition des Berliner Senats herrschte damals die Überzeugung, dass private Unternehmen effizienter, moderner und günstiger seien als die vermeintlich trägen Berliner Wasserbetriebe, erinnert sich Harald Wolf von der Linken, der - damals noch in der Opposition - die Teilprivatisierung bekämpfte: 4 O-TON SENATOR HARALD WOLF, Ausgangslage für Privatisierung 1999, 42'' "Die damalige CDU-SPD Koalition hatte in Ihrem Haushalt ein riesiges Milliardenloch und das war die wesentliche Triebfeder für die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe. Vor dem Hintergrund, dass in den neunziger Jahren alles, was unter dem Stichwort Privatisierung lief als modern galt und jeder der politisch die kommunale Verantwortung für die Daseinsvorsorge und für öffentliche Unternehmen plädiert hatte als rückwärtsgewandt, antiquiert und jemand der die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat. Und vor diesem Hintergrund haben CDU und SPD diese Teilprivatisierung durchgesetzt." AUTOR Im Oktober 1999 verkaufte Berlin knapp die Hälfte der Wasserbetriebe für rund 1,7 Milliarden ? an die privaten Versorger RWE und den französischen Wasser-Konzern Veolia, der damals noch Vivendi hieß. Die sozialdemokratische Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing feierte das Vorhaben damals als Modellprojekt für ganz Deutschland: 5 O-TON Annette Fugmann-Heesing, Private dürfen in Monopole investieren, 21'' Das Verfahren dieser Gesetzgebung und dieser Privatisierung hat Pilotcharakter in der Bundesrepublik. Fest steht nun, private Investoren dürfen in öffentlichen Unternehmen, und zwar auch in solche der Daseinsvorsorge einsteigen, selbst wenn es sich bei diesen Unternehmen um solche mit Monopolstellung handelt. AUTOR Der Teilverkauf des Wassermonopols sollte zu einem Paradebeispiel dafür werden, wie sich die Erfüllung staatlicher Aufgaben mit Hilfe der Privatwirtschaft besser und billiger erledigen lässt. Zudem hatte der Senat mit der Partnerschaft Großes vor: Berlin sollte in Zukunft gemeinsam mit RWE und Vivendi im internationalen Wassergeschäft mitmischen. Die Stadt könne von diesem weltweit boomenden Zunkunftsmarkt profitieren, versprach der damalige CDU-Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner. 6 O-TON Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner, Wettbewerb in neuer Qualität, 20'' "Mit dem Konsortium von RWE und Vivendi, haben wir zugleich zwei Partner, die bei den internationalen Wettbewerben wichtig sind. 600 Milliarden DM ist das Privatisierungsvolumen international. Wir können uns als Konsortium BWB, RWE und Vivendi versuchen, ein Stück davon abzuschneiden." AUTOR Branoner versicherte, dass der Verkauf des Tafelsilbers nicht nur den hochverschuldeten Haushalt entlaste, sondern auch den Grundstein für Berlins wirtschaftliche Zukunft legen werde. 7 O-TON Wirtschafssenator Wolfgang Branoner, 31'' Mit der Senatsentscheidung ist nicht nur ein wesentlicher Konsolidierungsbeitrag für den Berliner Haushalt gelungen. Wegweisend ist die Umsetzung des Prinzips Gestalten statt Besitzen, mit dem hier aus altem Tafelsilber neues Vermögen entsteht, mit dem sich Berlin für das neue Jahrhundert profiliert. Damit wird zugleich auch schlüssig die Frage beantwortet, was Berlin nach dem Verkauf seines Tafelsilbers zur Konsolidierung auch seiner Finanzen und zur Dynamisierung seiner Wirtschaftsentwicklung tun kann. AUTOR Die Berliner Wasserbetriebe als internationaler Konzern - mehr als elf Jahre danach ist das ist ein Wunschtraum geblieben. Ganz im Gegensatz zur fortschreitenden Privatisierung, bei der einst staatliche Dienstleistungen von privaten Konzernen umgesetzt werden. Mehr als 200 dieser Öffentlich-Privaten Partnerschaften gibt es heute auf bundes-, landes- und kommunaler Ebene. Private Unternehmen bauen und betreiben für den Staat Schulen, Sporthallen, Kindergärten, Autobahnen, Bürogebäude aber auch Gefängnisse als so genannte "Public Private Partnerships", oder auch kurz "P-P-P". 8 O-TON Werner Rügemer, Privatisierungsexperte -Rundum Sorglos Paket 34'' "Public Private Partnership ist ja ein rundum- Sorglos-Paket. Der private Investor übernimmt ja nicht nur wie traditionell den Bau oder das Sanieren von Schulen, sondern er bietet über einen langen Zeitraum, und zwar in der Regel über 30 Jahre, auch den vollständigen Betrieb, also mit Hausmeistern, Techniken, Energieversorgung und so weiter. Und er bietet noch die Finanzierung. Das heißt, dieses rundum Sorglos Paket, wo der Investor alle bisher öffentlichen Aufgaben übernimmt, lässt sich der Investor teuer bezahlen. " AUTOR Wie teuer so ein "Rundum sorglos Paket" die Bürger zu stehen kommt, das bleibt fast immer geheim. Denn die exakten Vereinbarungen über Gewinnmargen und die Risikoverteilung zwischen Staat und Privat werden in oft Tausende Seiten dicken Vertragswerken festgehalten. Sämtliche dieser Public-Private-Partnership-Verträge unterliegen der Geheimhaltung - selbst, wenn bei so einer Kooperation Milliardenschäden für die öffentliche Hand entstehen, wie etwa beim Autobahn-Mautsystem Toll Collect. Weil die Mauttechnik zum vereinbarten Starttermin nicht funktionierte, sind dem Bund fünf Milliarden Euro Gebühreneinnahmen entgangen. Das Geld haben die beteiligten Firmen Telekom, Daimler und Cofiroute bis heute nicht erstattet. Zwar hat der Bund eine Schadensersatzklage angestrengt, aber bei PPP-Projekten gibt es die Vereinbarung, nicht vor ein öffentliches Gericht zu treten. 9 O-TON Werner Rügemer, - Toll Collect EDIT 2, 19'' "Toll Collect ist das erste PPP Projekt in Deutschland, das von der Regierung Schröder, der das Jahr aus England übernommen hatte durchgeführt wurde. Da zeigte sich auch schon das Problem der Geheimhaltung, denn diese 17.000 Seiten des Vertrages hat auch kein Bundestagsabgeordneter bisher sehen dürfen. " AUTOR Wieso das so ist, erklärt der Berliner Rechtswissenschaftler Hans-Peter Schwintowski. 10 O-TON Prof. Hans Peter Schwintowski, HU Berlin, 2, 30'' "Diese Verträge sind deshalb zunächst einmal geheim, weil die Gesetze, die wir haben, diese Vertraulichkeit ausdrücklich vorschreiben. Alles das, was in einem Unternehmen als vertrauliches Material herumliegt, das darf von denen, die in dem Unternehmen Einblick haben und Verantwortung tragen, nicht in die Öffentlichkeit gebracht werden. So steht es im Gesetz, weil damit ja alle Wettbewerber die vertraulichen Informationen des Unternehmens wüssten, d.h., man wäre im Wettbewerb einfach nicht mehr handlungsfähig." AUTOR Obwohl bei öffentlichen Unternehmen wie der Wasserversorgung Bürgerinteressen empfindlich berührt sind, gibt es keine Ausnahmen von dieser Regel. Ein Betrieb, der im öffentlichen Besitz gegenüber der Bevölkerung noch rechenschaftspflichtig ist, muss sich schlagartig verschwiegen geben, sobald er in eine private Rechtsform oder eine Public Private Partnership überführt wird. 11 O-TON Prof. Hans Peter Schwintowski, HU Berlin, 55'' "In dem Augenblick greifen die Schutzvorschriften des Privatrechts nun zu Gunsten des Unternehmens. Der Bürger hat keinen Einblick mehr. Die Bürger haben tatsächlich überhaupt keine Möglichkeit herauszufinden, ob da vielleicht langfristige Klauseln in den Verträgen stehen, die nachteilig für die Bürger, für die Gemeinde sind. Selbst die Parlamentarier sollen keinen Einblick mehr haben. D.h. die wichtigen Sachen, über die man eigentlich öffentlich reden muss, die müssen vertraulich bleiben." AUTOR Die Geheimniskrämerei sorgt in der Bevölkerung für Empörung. Beispiel Autobahnbau: Hier lässt sich beobachten, wie mit PPP-Verträgen privaten Investoren über Jahrzehnte Renditen garantiert werden. ATMO / MUSIK (evtl. Kraftwerk - Autobahn, bleibt 7'' stehen und unter Sprecher liegen) AUTOR Zur Zeit werden vier stark befahrene Autobahnabschnitte im Rahmen von Public Private Partnerships durch internationale Großkonzerne in Deutschland ausgebaut. Als Entlohnung erhalten die Baufirmen einen Anteil der dort anfallenden Mautgebühren. Wie viel genau, das ist geheim. Allerdings kennt der Bundesrechnungshof diese Verträge und kommt in einem Gutachten zu einem vernichtenden Urteil. Aus Sicht der öffentlichen Hand sei der private Fernstraßenausbau nicht schneller und zudem unrentabel, kritisieren die Rechnungsprüfer. Gewinn machten allein die Bieterkonsortien da sich, SPRECHERIN "für den Bund bei den bisherigen Projekten ein erheblicher wirtschaftlicher Nachteil ergibt, sollten sich die Prognosen der Bieter verwirklichen." AUTOR Nachteilig seien die Verträge deshalb, weil darin der staatliche Anteil an den Mauteinnahmen für die nächsten 30 Jahre auf heutigem Niveau gedeckelt bleibe. Auf der anderen Seite soll der LKW-Verkehr - und damit die Mauteinnahmen - in den nächsten Jahren rapide zunehmen. Für die Konzerne fließen dann Milliarden. Dennoch gilt auch hier, dass die Verträge zwischen dem Bund und dem privaten Konsortium geheim bleiben. Werner Rügemer zum privaten Ausbau der A1 zwischen Bremen und Hamburg: 12 O-TON Werner Rügemer, Privatisierungsexperte 41'' "Der Vertrag hat etwa 36.000 Seiten und der Bundestag hat zwar diesem Vertrag im Prinzip zugestimmt, aber kein Abgeordneter hat je diesen Vertrag gesehen. Es hat sich auch gezeigt, dass auch auf Verlangen von Bundestagsabgeordneten die Hürden um diesen Vertrag überhaupt sehen zu dürfen für Abgeordnete sehr, sehr hoch sind und ich denke das zeigt doch auch auf der Bundesebene, dass die Geheimhaltung dazu führt, dass die parlamentarische Kontrolle ausgehebelt wird." ATMO WASSERBLUBBERN AUTOR In Berlin halten die Geheimverträge des Public Private Partnership bei den Wasserbetrieben bis heute Parlament, Gerichte und die Bevölkerung in Atem. Schon vor der Unterzeichnung hatte die Fraktion von Bündnis 90 die Grünen und die Linke gegen eine Gewinngarantie geklagt, mit der der Senat private Investoren anlocken wollte. Sie sollte den Anteilseignern des Monopolbetriebes über Jahrzehnte hohe Renditen garantieren. Eine weltweit durchaus übliche Praxis, sagt Ernst Ulrich von Weizsäcker. 13 O-TON Ernst Ulrich von Weizsäcker, 24'' "International haben wir immer wieder festgestellt, dass wenn der Staat dringend auf Einkünfte aus Privatisierungen angewiesen war, und die Privatwirtschaft nicht so recht anbeißen wollte, dann hat man bestimmte Renditeversprechungen gemacht. Das durfte man aber um Gottes willen nicht öffentlich machen, dann hätte es eine öffentliche Rebellion gegeben. Also hat man es geheim gemacht." AUTOR Für die Gewinngarantie ersannen der Berliner Senat, RWE und Vivendi bei der Teilprivatisierung einen Trick. Sie stellen den Wasserkunden Finanzierungskosten in Rechnung, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt, erklärt der Journalist Sebastian Heiser von der taz: 13a Sebastian Heiser, taz Redakteur, Garantierter Gewinn, 27'' "Das Land Berlin hat den privaten Miteigentümern zugesichert, dass die auf die Kunden fiktive Kosten von denen bekommen können, die in Wirklichkeit gar nicht in dieser Höhe anfallen. Das heißt, die Kunden müssen mit ihrer Wasserrechnung auch Zinsen bezahlen und für die Abschreibung bezahlen, obwohl es die Kosten in dieser Höhe gar nicht gibt und das heißt es muss ein Gewinn am Ende erstehen. Und wenn man an anderer Stelle nicht einen unerwarteten Verlust macht, dann kommt da am Ende immer ein Gewinn raus." Die damals politisch maßgeblich verantwortlichen Senatoren Wolfgang Branoner und Annette Fugmann-Heesing wollen sich zu der umstittenen Gewinngarantie und der Teilprivatisierung insgesamt öffentlich nicht äußern. Auch RWE zog eine Zusage für ein Interview kurzfristig zurück. Veolia war hingegen zu einem Gespräch bereit. Deren Konzernsprecher Matthias Kolbeck weist den Begriff der Gewinngarantie zurück. 14 O-Ton Matthias Kolbeck, Veolia Wasser, Gewinn macht Sinn, 23'' "Wir haben keinen Gewinn in einer bestimmten Höhe garantiert. Keine 100 Millionen Euro im Jahr, keine 130, keine 80, sondern es gibt diese Regelung über die Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals, die natürlich dazu beiträgt, dass die Berliner Wasserbetriebe in einem normalen Geschäftsjahr, wenn keine größeren Unfälle geschehen, Gewinn abwerfen. Das ist auch Sinn der ganzen Veranstaltung." AUTOR Allerdings kassierte der Berliner Verfassungsgerichtshof die ursprünglich vom Senat versprochene Zinsgarantie schon im Oktober 1999. Die Tarife eines öffentlich-rechtlichen Unternehmens müssten sich an realen Kosten orientieren. ATMO "Richterhammer" AUTOR Doch nicht einmal die Verfassungsrichter wussten zu diesem Zeitpunkt, dass sich die privaten Partner in dem Geheimvertrag mit einer besonderen Klausel sogar gegen ihr Urteil abgesichert hatten. Dort war vereinbart worden, dass das Land Berlin in jedem Fall den wirtschaftlichen Schaden im vollen Umfang auszugleichen habe, sollte der vereinbarte Garantiezins für verfassungswidrig erklärt werden. Thomas Rudek ist Sprecher der Bürgerinitiative "Berliner Wassertisch". Sie hat sich jahrelang für die vollständige Offenlegung der Geheimverträge eingesetzt, die den Passus enthält. 15 O-TON Berliner Wassertisch - Thomas Rudek, 26'' "Da steht drin: Egal, was der Gesetzgeber beschließt. Egal, was Gerichte entscheiden. Die geheimvertraglich gesicherten Gewinngarantien für die Konzerne RWE und Veolia bleiben unangetastet - ganz egal, was rechtsstaatlich passiert. Und das Schlimme ist: sie müssen notfalls aus dem verschuldeten Haushalt Berlins bezahlt werden. Man muss sich einmal die Bedeutung einer solchen Formulierung vergegenwärtigen. " AUTOR Nachdem die große Koalition in Berlin zerbrochen war, fiel dem Rot-Roten Senat eine heikle Aufgabe zu: Finanzsenator Thilo Sarrazin und Wirtschaftssenator Harald Wolf mussten nun mit RWE und Veolia eine konkrete Alternativ-Regelung zur ursprünglich vereinbarten Verzinsung aushandeln. In einer ebenfalls geheimen Änderungsvereinbarung einigte man sich schließlich auf eine neue Berechnungsmethode, die auf mittlere Sicht der ursprünglich zugesagten Verzinsung gleichkam. Der Wortlaut der Änderungsvereinbarung blieb gegenüber der Öffentlichkeit unter Verschluss. GERÄUSCH Quietschende Tür fällt ins Schloss Wirschaftssenator Harald Wolf: 16 O-TON SENATOR HARALD WOLF, 25'' "Gegenüber dem Parlament war der Wortlaut dieser Vereinbarungen offen gelegt, ansonsten ist das Problem, dass alle Privatisierungsverträge oder auch alle Verträge über Verkäufe vertrauliche Verträge sind, weil man sie mit Privaten schließt. Da der Konsortialvertrag über die Teilprivatisierung 1999 als vertraulicher Vertrag geschlossen war, waren damit auch die Folgeverträge vertraulich." AUTOR Allerdings bestanden nicht nur die privaten Konzerne, sondern auch der Senat auf Geheimhaltung, sagt Veolia-Sprecher Matthias Kolbeck. 17 O-TON MATTHIAS KOLBECK, VEOLIA, 10'' "Der Senat von Berlin hat auch über lange Jahre einer Veröffentlichung der Verträge nicht zugestimmt und das auch schriftlich begründet. Es war eine jüngere Entwicklung, dass der Berliner Senat seine Haltung dazu verändert hat." AUTOR Zwei Jahre nach dem erneuten Deal mit den privaten Partnern lehnte der Rot-Rote Senat einen Antrag auf Akteneinsicht ab. Begründung: Aus Sicht des Landes stellten die Wasserverträge in ihrer Gesamtheit ein schützenswertes Geschäftsgeheimnis dar. Sollten die Verträge bekannt werden, drohe den Beteiligten ein "nicht nur unwesentlicher wirtschaftlicher Schaden". Welcher Art dieser "wirtschaftliche Schaden" bei dem Monopolbetrieb sein soll bleibt rätselhaft. 2007 stellte die Grünen-Abgeordnete Heidi Kosche erneut einen Antrag auf Einsicht in die 180 Ordner zum Teilverkauf der Wasserbetriebe. Doch der Senat mauerte weiter. Ihr "parlamentarisches Kontrollrecht" müsse hinter den "Geheimhaltungsbelangen der Unternehmen zurücktreten", teilte der Senat der Abgeordneten mit. 2010 klagte Kosche schließlich gegen diese Entscheidung vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof. 18 O-TON HEIDI KOSCHE, ABGEORDNETE, DIE GRÜNEN, Verfassungsklage EDIT, 18'' "Das Gericht hat dann entschieden, dass mit dem Teilprivatisierungsgestz und dem Verkauf der Berliner Wasserbetriebe, dass bis zu diesem Zeitpunkt die Akten Regierungsakten sind, dass aber der Verkaufsvertrag selber, dass der schon zu dem Verwaltungshandeln gehört und offen zu legen ist. AUTOR Doch trotz des klaren Urteils der Berliner Verfassungsrichter im Juli 2010 bleiben die Akten weiter unter Verschluss. Der öffentliche Druck nahm jedoch zu: Mehr als 320.000 gültige Unterschriften hatte der Berliner Wassertisch für ein Volksbegehren gesammelt - fast doppelt so viele, wie nötig gewesen wären. Abgestimmt wird am 13. Februar 2011. Dann müssen mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten dafür stimmen, damit ein Gesetz zur Offenlegung nicht nur aller Verträge, sondern auch aller Beschlüsse und Nebenabreden verabschiedet wird. Thomas Rudek: 19 O-TON Berliner Wassertisch - Thomas Rudek - 19'' "Diese Beschlüsse und Nebenabreden sind ganz wichtig. Als wir damals den Gesetzestext über mehrere Verteiler zur Diskussion gestellt haben, hat uns ein Ministerialbeamter - also ein Jurist aus der Verwaltung selbst gesagt: "Herr Rudek, fordern Sie nicht nur die gesetzliche Offenlegung von Verträgen, sondern nehmen Sie auch Beschlüsse und Nebenabreden mit rein - Glauben Sie mir: ich weiß wovon ich spreche!" AUTOR Am 30. Oktober 2010 enthüllte schließlich die Berliner Tageszeitung "taz" einen großen Teil der Wasserverträge. Zehn Tage später zog der Senat nach, legte die Verträge offen und erklärte, weitere Nebenabreden gebe es nicht. Nun war schwarz-auf-weiß nachzulesen, was vorher nur vermutet wurde. Für die privaten Anteilseigner ist das Engagement in Berlin sehr lukrativ. Taz-Redakteur Sebastian Heiser: 20 O-TON Sebastian Heiser, taz Redakteur, Gewinn ohne Risiko, 25'' Sie haben jetzt bald das Geld, das sie damals bezahlt haben schon als Gewinn raus bekommen. Nach nur 10 Jahren - der Vertrag läuft noch weitere 18 Jahre - und bis dahin wird sich das mehrfach gerechnet haben für die Privaten. Sie werden das Geld, so wie es derzeit aussieht, was sie damals rein gesteckt haben, mehrfach wieder zurückbekommen haben. Ein glänzendes Geschäft und vor allem ohne wirtschaftliches Risiko. AUTOR Obwohl den Konzernen die Berliner Wasserbetriebe nur knapp zur Hälfte gehören, haben sie auf Grundlage der Geheimverträge bislang 65 Prozent der erwirtschafteten Gewinne erhalten. Ob das fair ist möchte der deutsche Veolia Chef Michel Cunnac nicht entscheiden. 21 O-TON MICHEL CUNNAC, VEOLIA WASSER, Ist Gewinnaufteilung fair?, 17 '' "Ich habe nicht zu beurteilen, ob das fair ist oder nicht. Ich glaube dieses Unternehmen bringt für Berlin und in Berlin am meisten Geld. Die Frage ist nicht ob es fair ist oder nicht, sondern was das Ziel des Landes Berlin ist." AUTOR Nach Offenlegung der Verträge könnten den Partnern allerdings nun rechtliche Probleme ins Haus stehen, vermutet der Jurist Hans-Peter Schwintowski. Er hält insbesondere die Gewinngarantie für rechtswidrig. 22 O-TON Prof. Hans Peter Schwintowski, HU Berlin 25'' "Nach meiner Meinung ist eine solche Garantie ohne die Zustimmung der Brüsseler Kommission nicht möglich, weil es sich dabei um eine Beihilfe handelt, die man in Brüssel hätte anmelden müssen und da man das nicht getan hat, ist das gesamte Gefüge nach meinem Eindruck im Augenblick rechtswidrig." AUTOR Der Berliner Senat weist diese Kritik zurück, da der gesamte Vertrag der Europäischen Kommission vorgelegt und von ihr nicht beanstandet wurde. Doch angesichts der anhaltenden Protestwelle in der Bevölkerung, der zu einer Volksabstimmung während eines Wahljahres geführt hat, will der Berliner Senat für mehr Transparenz bei der Zusammenarbeit mit Privaten sorgen. Dazu hat er das Berliner Informationsfreiheitsgesetz novelliert, in dem die Auskunftsrechte der Bevölkerung geregelt sind. Senator Harald Wolf: 23 O-TON SENATOR HARALD WOLF, In Zukunft Offenlegung durch IFG Novelle, 22'' "Für die Zukunft gibt es in diesem Gesetz die klare Verpflichtung, dass derartige Verträge als öffentliche Verträge abgeschlossen werden. Das Land Berlin wird ja diese Abwägung vornehmen und nach dieser Abwägung entscheidet es und veröffentlicht. " AUTOR Thomas Rudek vom Berliner Wassertisch hält die Novelle für einen zahnlosen Tiger. Denn wie zuvor gibt es keine neutrale Instanz, die über die Veröffentlichung der Verträge entscheidet. 24 O-TON Berliner Wassertisch - Thomas Rudek - Informationsfreiheitsgesetz, 34'' "Und das ganz entscheidende ist: wer übernimmt diese Abwägung? Wer wägt ab? Was ist wichtiger: das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis oder ist wichtiger, das öffentliche Informationsinteresse der Bevölkerung? Und diese Abwägung übernimmt keine unabhängige Stelle, wie wir das gefordert haben. Diese Abwägung übernimmt die Behörde, die den Vertrag abgeschlossen hat. Nun kann man sagen: man kann ja dann dagegen klagen auf Akteneinsicht. Das Problem ist nur: wir wissen ja gar nicht, wo geheime Dokumente liegen. Außerdem: es gibt keine Rechtsfolgen. Das bedeutet, wenn Verträge nicht offen gelegt werden dann gelten die weiter. Es gibt keine Rechtsfolgen. Unser Gesetz ist da viel weit gehender. Wir sagen: Verträge, die innerhalb eines Jahres nicht offen gelegt worden sind, sind unwirksam." AUTOR Auch Dieter Hüsgen von Transparency International erwartet, dass das neue Gesetz einige Fallstricke bereithalten dürfte. 25 O-TON DIETER HÜSGEN, TRANSPARENCY, IFG Novelle unglücklich , 30'' "Das ist eine sehr unglückliche Regelung, die überhaupt in der Praxis noch nicht ausprobiert worden ist. Wenn hier die beiden Privatisierer nicht mitspielen, wenn die Landesregierung eigentlich nicht möchte, dass zum Beispiel noch Nebenvereinbarungen bekannt werden, die vielleicht dann doch noch da sind, die können ja auch mündlich oder mit kleinen Papierchen nebenbei, also gar nicht mit offiziell "Vertrag" überschrieben, durchaus geregelt sein. Und das ist schwierig, da jetzt ran zu kommen." AUTOR Der politische Schaden, den Geheimverträge mit Privaten verursachen, hält Ernst Ulrich von Weizsäcker für gravierend. 26 O-TON Ernst Ulrich von Weizsäcker, 26'' "Wenn man Misstrauen sät durch Geheimhaltung, dann wird ein ganz wesentlicher Teil unseres bürgerlichen Zusammenhalts geschädigt. Wir wollen doch ein gemeinsames Volk sein mit einem gemeinsamen Anliegen. Und wenn da überall Misstrauen vorherrscht, weil geheim gehalten worden ist, dann ist das mit Sicherheit schlecht für unsere Gemeinschaft." AUTOR Die Abgeordnete Heidi Kosche beobachtet durch die Heimlichtuerei einen Vertrauensverlust. 27 O-TON HEIDI KOSCHE, ABGEORDNETE, DIE GRÜNEN, 19'' "Es gibt viele Anzeichen dafür, dass sich da so eine Klasse gebildet hat, die eigentlich denkt, ihnen gehört das alles, sie können machen was sie wollen und sie haben nicht einen Hauch von Rechenschaftspflicht. Und das ist fatal, besonders auch für das Verhältnis Politik, Wählerinnen, Wähler, weil das basiert auf ganz dünnem Vertrauen zur Zeit. Das Vertrauen ist das wichtigste Gut was wir haben miteinander. Wenn wir uns nicht vertrauen, dann funktioniert das nicht und das ist schädlich für die Demokratie." Politiker können an der Intransparenz durchaus Interesse haben, meint der Jurist Hans-Peter Schwintowski, denn Geheimverträge machen das Regieren erstmal leichter. 29 O-TON Prof. Hans Peter Schwintowski, HU Berlin, 29'' "Je mehr der Staat ins Privatrecht flüchtet, desto größer wird das Demokratiedefizit das wir haben. Einige Politiker finden das auch gut. Wenn Sie Bürgermeister in einer Gemeinde sind und die schwierigen Fragen in ein privates Unternehmen auslagern können, dann können Sie die gesamte öffentliche Diskussion um diesen Fragenkreis einfach dadurch beenden, indem Sie das auf das private Unternehmen überführen und nun auf den Geheimnis- und Vertraulichkeitsschutz verweisen." AUTOR Auch Ulrich Müller von der Transparenzinitiative "Lobbycontrol" hält die unsichtbare Politik, die mit Geheimverträgen betrieben wird für gefährlich. Prominentes Beispiel ist für ihn die am 9. September 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Einige Tage später kamen Geheimabsprachen ans Licht, in denen die Bundesregierung den Energiekonzernen weitreichende Kostendeckelung garantierte, sollten in Zukunft neue Atomsteuern erhoben oder Sicherheitssysteme nachgerüstet werden. 30 O-TON ULRICH MÜLLER, LOBBY CONTROL, 41'' "Das interessante ist tatsächlich, dass es in der Politik einen Verrechtlichungsprozess gibt und dass es generell ein enormes Problem ist, wenn politische Entscheidungen über Verträge geregelt werden. Der Atomdeal geht genau darum. Es gab den Atomausstieg unter rot-grün, aber die Industrie hat das nicht akzeptiert, die vier großen Energiekonzerne wollen deswegen das so regeln, dass es zumindest die Politik die sehr viel kostet aus dem Vertrag wieder rauszugehen. Auch bei Stuttgart 21 ist das genauso mit der Rahmenvereinbarung. Sie findet lange vor der eigentlichen Bürgerbeteiligung, also vor der Kernbürgerbeteiligung und dem Planfeststellungsverfahren statt, dient aber immer als Referenz, um zu sagen: Hier, das ist aber schon unterschrieben worden." AUTOR Für ihn gäbe es eine ebenso simple wie wirkungsvolle Maßnahme, die Ursache des Vertrauensverlustes zu beenden. 31 O-TON ULRICH MÜLLER, LOBBY CONTROL, Pflicht zur Offenlegung EDIT, 6'' "Die Politik könnte auch einfach sagen, wir schließen keine Verträge mit Unternehmen, die nicht bereit sind dass der vollständige Vertrag offen gelegt wird." AUTOR Dieter Hüsgen von Transparency International geht davon aus, dass sich strikte Geheimhaltung immer schwieriger sicherstellen läßt. 32 O-TON DIETER HÜSGEN, TRANSPARENCY 13'' "Also mit Sicherheit haben die Informationsfreiheitsgesetze und was Wikileaks jetzt machte einen Wechsel von der Geheimhaltung (bewirkt). Die Verwaltung, die Politik weiß, dass sie heute kaum noch Chancen hat, Dinge wirklich vollständig geheim zu halten." AUTOR Enthüllungen nach dem Zufallsprinzip durch Wikileaks und Co sind für den Journalisten Werner Rügemer allerdings kein geeignetes Mittel, um demokratische Prozesse nachhaltig zu stärken. 33 O-TON Werner Rügemer, Wikileaks kein Ersatz - , 42'' "Solche Aktionen wie von Wikileaks , die können kurzfristig das Problem erhellen, aber diese Art auf den anonymen Informanten zu warten, das ist illusionär und ohne Perspektive, meine ich. Es kommt ja darauf an, Prozeduren zu entwickeln und auf Dauer zu stellen, die demokratischen Prinzipien entsprechen und da müssen eben sehr viele Menschen sich engagieren. Wenn die Akteure nicht da sind, die etwas langfristig durchstehen können, wie eben die Akteure etwa in Stuttgart, dann werden wir durch solche Methoden wie von Wikileaks keine Veränderungen bewirken." AUTOR Hans-Peter Schwintowski hält daher Transparenzregeln für sinnvoll, die für alle Unternehmen gelten, in denen der Staat mit privaten Partnern zusammenarbeitet. 34 O-TON Prof. Hans Peter Schwintowski, HU Berlin, Kodex im Internet, 31'' "Meine Hauptpräventivmaßnahme wäre, für öffentliche Unternehmen einen Kodex zu verlangen und zu schreiben. In diesem Kodex legen wir fest, welche Informationen aus dem Unternehmen veröffentlicht werden. Ein privates Unternehmen, das sich in Zukunft an einem öffentlichen Unternehmen beteiligt, weiß dann, dass es bestimmten Transparenzpflichten unterliegt, die es als rein privates Unternehmen nicht hätte. Es muss also überlegen, ob die Beteiligung an einem öffentlichen Unternehmen ihm das wert ist." AUTOR Keine Geheimnisse mehr? Alle Karten auf den Tisch? Solange die neuen Regeln für alle gelten, hat Veolia-Deutschland-Chef Michel Cunnac darauf eine klare Antwort. 35 O-TON MICHEL CUNNAC, VEOLIA WASSER, Kodex für Alle?'' "Wenn das der Wille der Auftraggeber ist. Warum nicht?" ******** ENDE ******** 1