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Um dem Wild durchs Unterholz folgen zu können, band er sein Pferd an einem Baum an und aus lauter Langeweile scharrte dieses Pferd nun mit den Hufen und legte mir nichts dir nichts, wie es heißt, eine Silberader frei. Musik hoch O-Ton 3 Roland: Richtig gut zu gebrauchen war man in dem Alter von 25 bis 36 und dann war man bergfertig. Das heißt, man konnte diese schwere Arbeit nicht machen. Sie waren nicht immer gleich tot, aber sie konnten diese schwere Arbeit nicht mehr machen. Musik hoch O-Ton 4 Hoffmann Das Bergwerk ist weg. Nachdem 92 bekannt war, das wird auf- genommen als Weltkulturerbe das ganze Werk. Da habe ich ge- sagt, wenn das so ist, dann besteht also die Hoffnung, dass das auch überleben kann. Musik hoch SpvD: Weltkulturerbe Rammelsberg Faszination unter und über Tage Eine Deutschlandrundfahrt mit Susanne Arlt. Atmo 1 Halle O-Ton 5 Bergmann Hans Valtinke: Hier sind die Selbstretter. Gegen Kohlenmonoxyd im Bergbau. Um Kohlenmonoxyd in Dioxyd umzuoxidieren, damit die Berg- leute ca. eine Stunde Zeit haben, um sich noch über Tage zu ret- ten. Autorin 1: Hans Valtinke hält mir ein ovales metallenes Kästchen unter die Na- se, ungefähr so groß wie eine Konservenbüchse. Darin steckt der Fil- ter, der giftiges Kohlenmonoxid in lebenswichtigen Sauerstoff um- wandelt. Bei einem Brand unter Tage sollten sich die Bergmänner den Lebensretter sofort über Mund und Nase stülpen. Hitze frisst Sauerstoff. Musste ich zum Glück nie benutzen, sagt Hans Valtinke. Er schaut mich mit seinen stahlblauen Augen freundlich an, setzt sich dann einen gelben Kunststoffhelm auf den Kopf. Mit dem Fingerknö- chel klopft er dreimal dagegen. Auch wenn Hans Valtinke den Selbst- retter nie brauchte, die Arbeit im Berg hat trotzdem ihre Spuren bei dem 72-jährigen hinterlassen. Atmo 1 Autorin 2: 1959 habe er einen Unfall gehabt. Damals sind die Männer noch oh- ne Selbstretter und mit Lederhelmen eingefahren. Beim Abbau im Erz brachen plötzlich zwei Brocken von der Decke. Einer fiel ihm ins Ge- nick, der andere auf den Fuß. Er sei damals fast verblutet, erzählt Valtinke und reicht auch mir einen Helm. Der Rammelsberg liegt zwar längst still. Doch nach unten fahren darf ich trotzdem nur in komplet- ter Bergmannsmontur. Atmo 3 Anziehen Autorin 3: Dazu gehören eine graue Leinenhose und Jacke, Gummistiefel und ein Regenmantel, das Geleucht binde ich mir mit einem Lederriemen um die Hüfte. Im Harz ließen die Bergleute eine Metallmarke in der Lampenstube zurück. Damit man über Tage sofort wusste, wer sich unten in der Grube befand. O-Ton 6 Richard Rudolf: So jetzt nehmen wir mal so einen Seiteneinstieg ... laufen Autorin 4: Richard Rudolf und Hans Valtinke führen seit vielen Jahren Touristen in den Rammelsberg. Rudolf bildet die Vorhut, Valtinke die Nachhut, und ich in der Mitte. Auch wenn wir uns jetzt in das Abenteuer Mittel- alter begeben, die Fahrt sei sicher, beschwichtigt er. O-Ton 7 Richard Rudolf: Und kommen schon gleich mal zu einem Kernstück der Röder- schen Anlage. ... laufen ... Autorin 5: In seinem ersten Leben diente Richard Rudolf als Bundeswehrsoldat, in seinem zweiten beschäftigt sich der 61-jährige mit der Geschichte der Stadt Goslar und ihrem Schicksalsberg. Der älteste Hinweis, dass aus dem Rammelsberg Erz gefördert wurde, stammt aus dem Jahr 968. Ganz so alt, sei der Röderstollen nicht, sagt Rudolf. Aber er zeigt die unterirdischen Meisterwerke der Technik. O-Ton 8 Richard Rudolf: Dieser Oberbergmeister Röder hat hier gearbeitet bis 1810, ins- gesamt 47 Jahre, also mit 81 Jahren ist er in Pension gegangen. Und wenn man das gesamt betrachtet, der hat eine tolle früh- technische Leistung hier hinterlassen. Er hat nichts Neues er- funden, hat aber die Dinge, die es gab entsprechend geschickt eingesetzt. Autorin 6: Im 18. Jahrhundert gab es keine Motoren oder elektrischen Strom. Je tiefer man in den Berg kam, desto größer wurde das Problem mit dem Wasser. Es floss von allen Seiten, die Stollen verwässerten, das Erz konnte nicht mehr abgebaut werden. Der Bergbau-Pionier Johannes Christoph Röder ließ darum vier riesige Wasserräder in den Ram- melsberg bauen. Atmo 4 Wasser tropft vom Wasserrad Autorin 7: Aus einem Teich floss über einen Stollen frisches Wasser in den Berg und füllte nach und nach die 80 Wassertaschen. Langsam fing das 20-Tonnen schwere Wasserrad an, sich zu drehen. O-Ton 9 Richard Rudolf: Da am Achsende, da sehen Sie eine Erfindung des Bergbaus. Dies würden wir als Pleuelstange bezeichnen, das ist in jedem Motor drin ist. Die Bergleute sagten dazu krummer Zapfen. Je- weils zwei Gestänge sind da dran und die führen jetzt senkrecht siebzehn Meter hoch. Und da oben finden sie wieder so einen krummen Zapfen und der ist verbunden mit einer Seiltrommel. Und dann ist da eine Strecke, die nahezu hundert Meter lang ist. Und über eine Umlenkrolle wird dann aus der Tiefe die Erztonne nach oben gezogen. Autorin 8: War die Tonne oben angekommen, betätigte der Bergmann eine Bremse und kippte die Felsbrocken heraus. In Weidenkörben trugen die Bergmänner das Erz hinaus. Die beiden anderen Wasserräder funktionierten auf dieselbe Weise, beförderten aber über ein Pump- system viele Meter tiefer unten das Grundwasser über Stollen aus den Gruben heraus. O-Ton 10 Richard Rudolf: Das ist so das Prinzip gewesen, haltet die Wasser, die Bergleute sprechen von die Wasser. Dies ist das Ort, wenn wir hier arbei- ten würden. Und was wir atmen ist keine Luft, sondern die Wet- ter. Halt Bergmannsprache, ne andere Welt, ne andere Sprache. Atmo 5 Gummistiefel schmatzen auf dem Boden ... Autorin 9: Richard Rudolf läuft tiefer in den Berg hinein. Im Gänsemarsch folge ich ihm durch Gänge, die immer schmaler werden. An manchen Stel- len sind sie so niedrig, dass ich nur gebeugt voran komme. Es ist kühl und feucht, unablässig tropft Wasser auf meine Helmspitze und dann in mein Gesicht. Es schmeckt salzig, aber frisch. O-Ton 11 Richard Rudolf: Das ist nicht unbedingt was für Leute, die Klaustrophobie haben. So bitte den Kopf ein bisschen tiefer nehmen, hier ist es enger. Autorin 10: Dann taucht plötzlich ein hoher Raum vor uns auf. Es ist eine alte Radstube, hier stand einst ein Wasserrad. Ungefähr 80 Meter dicke Bergschichten türmen sich über unseren Köpfen auf. Es ist der tiefste Punkt des Röder-Stollens im Goslarer Rammelsberg. Die schwarzen Wände verschlucken die Lichtkegel unserer Akkulampen. Kein Ver- gleich zum Licht der alten Zeit, sagt Richard Rudolf und lächelt mich verschwörerisch an. O-Ton 12 Richard Rudolf: Und wir wollen jetzt mal in eine Zeit eintauchen, in der es noch keine Elektrotechnik gab. ...Schlüssel im Schloss ... So jetzt ha- ben wir hier einen so genannten Frosch. Hier am Bügel erfas- sen, dieses Herzchen nehmen Sie als Blendschutz, dass Sie nicht in die Flamme hineinblicken. Das andere Geleucht machen wir mal aus. So und damit fahren wir jetzt ein. Fahren ist ja jede Form von Bewegung für Bergleute unter Tage. Autorin 11: Bis ins 20. Jahrhundert war diese Funzel, ein besserer Begriff fällt mir in diesem Moment nicht dafür ein, die einzige Lichtquelle für die Bergmänner unter Tage. Oft genügte schon ein Tropfen Wasser, und davon gibt es hier reichlich, oder ein kräftiger Windzug und ihr spärli- cher Schein erstarb. O-Ton 13 Richard Rudolf: Ich puste mal mein Licht aus, und jetzt haben wir eine absolute Finsternis, ein lichtloses Dunkel. Und Sie drehen sich dreimal, dann fehlt Ihnen jede Form der Orientierung. Autorin 12: Schweigend überlässt er mich der Finsternis. Es ist ein beklemmen- des Gefühl, in diesem schwarzen Nichts zu stehen. Orientierungslos. Allein. Den Weg zurück würde ich nicht finden, mich sicherlich in ei- nem dieser endlosen Gänge verlaufen. Die Luft ist kühl. Was ich in diesem Moment als schaurig-schöne Inszenierung erlebe, war für die Bergleute Alltag. Spätestens jetzt frage ich mich, was trieb bloß diese Männer ihr halbes Leben lang in diesen Rammelsberg hinein? MUSIK I Titel: Gold Interpret: Spandau Ballett Komponist: Gary Kemp Verlag: Polystar, LC-Nr. 04324 Autorin 13: Am Anfang war der Rammelsberg. Mit dem Abbau seines Erzes kam die Industrie nach Goslar. Was sie aus dem Berg, aus der Stadt, aus den Menschen gemacht hat, davon erzählen die vier Museen. 1992 wurden das stillgelegte Bergwerk, seine umgebende Kulturlandschaft und die Altstadt Goslar Weltkulturerbe. Es sei eines der eindrucks- vollsten historischen Montanreviere der Menschheit, urteilte damals die UNESCO. Denn das eine bedingte das andere. Das Prinzip der vier Museen: Alt bleibt Alt. Nichts wurde nach der Stilllegung vor 21 Jahren lackiert oder aufgehübscht. Die unterschiedlichen Arbeitswel- ten werden dem Besucher deutlich. Die museale Welt liegt eingebet- tet in einer Arbeitswelt. Hans-Georg Dettmer, wissenschaftlicher Mit- arbeiter, hat daran mitgewirkt. O-Ton 14 Hans-Georg Dettmer Es hat damit zu tun, dass wir deutlich machen müssen, dass die Gebäude unterschiedliche Nutzungen erfahren haben. Dass na- türlich auch ein Nutzungswandel eingetreten ist, dadurch dass die Erzförderung 1988 eingestellt wurde. Das hier die Arbeit zwar weiterging und weitergeht, dass dies aber eine völlig neue Arbeit ist. Also nicht mehr die harte bergmännische Arbeit wird hier durchgeführt, sondern eine künstlerisch-museale Arbeit. Atmo 6 Musik "Heat" von Eicca Toppinen kurz frei stehen, dann unterlegen Autorin 14: Darum ist auch die Propaganda der Nazis geblieben. In den 30er Jah- ren entdeckten sie das Erz für ihre kriegerischen Absichten. Der erste Gang auf den Rammelsberg führt jeden Besucher in die ehemalige Lohnhalle, heute Foyer der Welterbestätte. Der Blick fällt sofort auf ein überlebensgroßes Wandgemälde. Bergleute, die ein- und ausfah- ren. In ihrer Mitte ein Steiger in Frontpose. Seinen Oberkörper hat er entblößt, die Hände reckt er ekstatisch zum Sieg. Atmo Musik kurz hochziehen, mischen mit Atmo 7 Museum Autorin 15: In der ehemaligen Aufbereitungshalle kann man dem Weg des Erzes folgen. Bevor aus dem Rammelsberger Erz Metalle erschmolzen wurden, musste es zerkleinert und entwässert werden. Der Besucher läuft vorbei an furchterregenden Backenbrechern. Der monströse Stahlschlund knackte die fußballgroßen Gesteinsbrocken mühelos entzwei. Anschließend zerkleinerte die imposante Kugelmühle das Erz zu Mehl. In den 30er Jahren wurden mit einem neuen Verfahren die Mineralbestandteile in riesigen Stahlbottichen voneinander ge- trennt. Kupferkies, Bleiglanz und Zinkblende entstanden auf diese Art wesentlich schneller und kostengünstiger. Atmo 8 Pulsschlag Autorin 16: Gegenüber der Aufbereitungshalle steht das ehemalige Magazin. Das kulturhistorische Museum zum Thema Arbeit im Bergbau ist eine Kammer des Wissens. Am Eingang empfängt der industrielle Puls- schlag den Besucher. Eine gelochte Stahltafel zeigt Szenen aus den letzten Betriebstagen. Am 30. Juni 1988 wurde das Bergwerk stillge- legt. Schon in den 60er Jahren war dem Grubenbetreiber, der Preus- sag AG klar, die beiden Erzlager sind endlich. Zu Protesten wie im Ruhrgebiet kam es in Goslar jedoch nicht. O-Ton 15 Hans-Georg Dettmer: Regelrechte Auseinandersetzungen per Streik sind am Ram- melsberg sehr selten gewesen. Man merkt auch im Verhalten, im Auftreten der Bergleute am Rammelsberg und beispielsweise im Ruhrgebiet, dass die Herkunft, dass die Entwicklung eine ganz andere gewesen ist. Eine proletarische Tradition wie beispiels- weise bei den Bergleuten im Ruhrgebiet hat sich am Rammels- berg nie entwickelt. Atmo 9 Gang in untere Museumsebene Autorin 17: Eine Erklärung dafür findet der Besucher im Untergeschoss. Eine lange schmale Treppe führt hinab. Im Keller des ehemaligen Maga- zins steht der Nachguss des Goslarschen Kaiserthrons. Heinrich der Zweite ließ Anfang des 11. Jahrhunderts am Fuße des Rammels- bergs eine kaiserliche Pfalz errichten. Wohl auch, weil er aus dem Erz Münzen prägen lassen konnte. 23 Reichstage fanden hier statt, der letzte unter Friedrich Barbarossa. Ab dem 13. Jahrhundert herrschte der Rat der Stadt über den Rammelsberg. Ein Viertel Jahrtausend lang hatten die Stadtväter Vorkaufsrecht auf die Produkte aus dem Bergwerk. Die Anteile an Blei und Zink waren damals am höchsten. Immerhin, in einer Tonne Roherz steckten etwa 120 Gramm Silber und vielleicht ein Gramm Gold. Der Betrieb brachte den Goslarern Geld und verlieh der Stadt ihre Pracht. O-Ton 16 Hans-Georg Dettmer: Im Jahre 1552 gelangte die Oberhoheit über die Gruben Ram- melsberg an die welfischen Herzöge, an Herzog Heinrich den Jüngeren in Wolfenbüttel. Da der Besitz dieser Oberhoheit am Rammelsberg nur als Pfandbesitz in den Händen des Rates lag. Und Mitte des 16. Jahrhunderts waren die Welfenkönige in der Lage dieses Pfand wieder einzulösen. Autorin 18: Was der Stadt Goslar gar nicht behagte. Im hohen Mittelalter hätte sie niemals ohne das Erz diese Blütezeit erreicht. Das Rathaus und die 47 Kirchen zeugen heute noch davon. Da die Herzöge auch gleich das Vorkaufsrecht mit einkassierten, ging es für die Stadt Goslar da- nach bergab. Bis ins 19. Jahrhundert hinein blieb der Rammelsberg aber in staatlicher Hand. Man war es hier also über Jahrhunderte ge- wohnt, dass man ein herrschaftlicher Bergmann war, erklärt Hans- Georg Dettmer. O-Ton 17 Hans-Georg Dettmer: Das heißt also, wenn man auf Verbesserungen hinarbeitete, dann forderte man nicht, man versuchte nicht durch Streik diese Maß- nahmen durchzusetzen, sondern man appellierte, man erbat sich Verbesserungen. Und das macht natürlich ein ganz anderes Ver- hältnis zwischen der Obrigkeit und den Bergleuten selbst. Autorin19: Historiker können diese Wechselbeziehung ein ganzes Jahrtausend lang belegen. Erstmalig berichtete der Mönch Widukind, der Kaiser Otto den Ersten auf seinen Feldzügen begleitete, von dem Abbau. In der Chronik des Corveyer Mönches aus dem Jahr 968 ist von venas argenti die Rede. Also von Silberadern, die hier ausgebeutet wurden. Doch wahrscheinlich kratzten die Menschen bereits vor über 3.000 Jahren das harte Erzgestein vom Rammelsberg. Das älteste Zeugnis steht heute in einer Glasvitrine im kunsthistorischen Museum. Es sind zwei dünne Bronzescheiben, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Hans-Georg Dettmer. O-Ton 18 Hans-Georg Dettmer: Bronzene Schmuckscheiben, die in den 60er Jahren während ei- ner archäologischen Grabung im Landkreis Hannover gefunden wurden. Und in den vergangenen Jahren konnten aufgrund neu- erer technischer Möglichkeiten nachgewiesen werden, dass das Kupfer zur Herstellung dieser Bronze, dass das sehr wahrschein- lich aus Rammelsberger Erz gewonnen worden ist. Autorin 20: Archäologen konnten nachweisen, dass die Schmuckscheiben in ei- ner Schicht gefunden wurden, die über 3.000 Jahre alt ist. Der Ram- melsberg - ein Exponat seiner selbst. MUSIK II: Titel: Break it down again Interpret: Tears for Fears Komponist/Texter: Roland Orzabal, Curt Smith Verlag: Mercury, LC-Nr.: 00268 Atmo 10 Kisten schieben O-Ton 19 Otto Hoffmann: Schauen wir einfach mal, ne. ... Das sind also die Betriebsrats- sitzungen von November 51 bis Dezember 56. Das sind also Sa- chen, die man normalerweise nicht aus den Händen gibt. Autorin 21: Otto Hoffman gräbt in der Vergangenheit. Das macht der ehemalige Betriebsratsvorsitzende seit fast 20 Jahren. Kurz nach der Stilllegung des Erzbergwerkes Rammelsberg fing er damit an. Stundenlang saß er im Archiv, las in alten Protokollen, Verträgen, Schriftstücken, die bis ins 18. Jahrhundert datieren. Ihn interessierten vor allem die Per- sonal- und Sozialakten. Atmo 11 Blättern Autorin 22: Was bleibt, fragte sich der 80-jährige als am 30. Juni 1988 das Erz- bergwerk seinen Grubenbetrieb einstellte. Am Anfang war der Berg. Er gebar die Stadt Goslar, er brachten den Menschen Arbeit und Wohlstand. Was also bleibt nach über 1.000 Jahren Erzabbau. Schließlich schrieb Otto Hoffmann ein Buch über seine Leben als Bergmann auf dem Rammelsberg, auch um seine Erinnerungen zu verarbeiten. Atmo 12 in Kiste gucken, Akte aufblättern O-Ton 20 Otto Hoffmann: Normalerweise müssten die ja vernichtet werden, hier sind die ganzen Tarifverträge und Verhandlungen dann hier drin. Mantel- tarifvertrag und und und. Ich habe also alles gesammelt. Weil ich neugierig bin und alles wissen wollte. Und immer noch wissen will. Und auch jetzt wissen will was damit geschieht. Autorin 23: Vor ein paar Wochen durchforstete er zu Hause seine eigenen Unter- lagen aus vierzig Jahren Bergmannsleben, packte sie in fünf Um- zugskisten und übergab sie dem Museum. Damit etwas bleibt, sagt er. Heute stöbert er noch einmal darin. Otto Hoffmann schlägt das Protokoll einer Sitzung auf, überschlägt kurz den Text, schüttelt dann den Kopf. Noch immer kann er sich über manch Entscheidung seiner Vorgänger wundern. O-Ton 21 Otto Hoffmann: Man hat also gesehen was die falsch die falsch gemacht haben. Die wollten, dass man also mehr gegen die Werksleitung kämp- fen musste, und dann mehr radikaler sein musste. Das war also ein Lehrgang aus der Vergangenheit. Autorin 24: Otto Hoffmann war siebzehn Jahre alt als er nach dem zweiten Welt- krieg aus Schlesien vertrieben wurde und nach Goslar flüchtete. Ei- gentlich wollte er bei der Post anfangen. Die knappe Rationalisierung auf den Lebensmittelkarten ließ den jungen Mann jeden Abend hung- rig zu Bett gehen. Bergmänner waren Schwerstarbeiter, die bekamen größere Rationen zu Essen. O-Ton 22 Otto Hoffmann: Der Grund war der Hunger, der ewig nagende Hunger. Ich bin hier in Goslar von einer Gaststätte zur anderen gelaufen, die also so ein bisschen Krautsuppe ohne Marken verkauft haben, aber ich bin dann immer zu spät gekommen. Der Hunger hat also mich so bereit gemacht, dass ich in den Bergbau ging. Autorin 25: Der Berg, sagt Otto Hoffmann, habe ihn sofort gefangen genommen. Und die Menschen, die darin Tag für Tag schufteten. Wer in den Rammelsberg einfahren wollte, der brauchte einen Fürsprecher. Man konnte sich zwar bewerben, aber ohne Fürsprecher, sagt Otto, hattest du so gut wie keine Chance, Arbeit im Berg zu finden. O-Ton 23 Otto Hoffmann: Ich habe also eine gehabt, das war ein Schwager von meinem Bruder. Der hatte also da in die Familie eingeheiratet und der war da oben also der starke Mann. Wenn Karl Holzbach kam und was machte, ja dann der Karl macht das schon. Autorin 26: War man Teil der Rammelsberger Familie, dann hatte man über Ge- nerationen hinaus ausgesorgt. Trotz der Schwerstarbeit hatten wir immer das Gefühl, privilegiert zu sein, sagt Otto Hoffmann. O-Ton 24 Otto Hoffmann: Die erste Grubenfahrt schon. Dass ich also ich will nicht sagen empfangen worden bin, dass mich der alte Mann, so hieß der, weil er schon auf die Rente zuging, mich erst mal unter die Fitti- che genommen hat und hat mir erst einmal alles gezeigt. Da ist der Abbau, und da ist die Sturzrolle und das und da und dort und da haben wir also erst mal angefangen, erst einmal vierzehn Ta- ge den Berg kennenzulernen. Autorin 27: Die Bergleute am Rammlesberg fühlten sich als etwas Besseres, weil sie einem erlesenen Zirkel angehörten. Dabei war das Gehalt schlecht. Anfang des 20. Jahrhunderts verdienten beispielsweise die Steiger im Ruhrkohlebergbau das Doppelte. Otto Hoffmann hat das aber nie gestört. O-Ton 25 Otto Hoffmann: Ich bin dabei geblieben, weil ich satt geworden bin, weil ich Kol- legen gefunden habe, das war also auch schon da eine Kame- radschaft. Hat mir also behakt, bist also nicht allein, sondern hast also Mitmenschen, die mit dir gemeinsam diese Arbeit ma- chen. Autorin28: Otto Hoffman ist Zeit seines Lebens Hauer geblieben. Allerdings mehr auf dem Papier als im wahren Arbeitsleben. Denn im Jahr 1963 ha- ben ihn seine Kollegen zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt. Er bil- dete sich fort, vor allem soziale Themen lagen ihm am Herzen. Der Rammelsberg gab uns zwar Arbeit zum Leben, manchmal nahm er es uns aber auch, sagt Otto Hoffmann. Das Thema Sicherheit setzte er darum nach seiner Wahl zum Betriebratsvorsitzenden mit auf die Pri- oritätenliste. Fortan kontrollierten zwei Sicherheitsingenieure tagein tagaus, ob sich die Bergmänner auch an die Sicherheitsvorschriften hielten. Aus eigener Erfahrung wusste Otto Hoffmann, dass man das unter Tage nicht immer so genau nahm. Aber eine fehlgeleitete Sprengung, in Fachsprache das Schießen, konnte tödliche Folgen haben. O-Ton 26 Otto Hoffmann: Wir haben also oben diese Riesenkammern gehabt, wo immer drauf geschossen worden ist und dann die Rollen wo das Erz un- ten abgezogen worden ist. Und wenn dann also größere Brocken sich verklemmt haben, und dann einfach nicht kommen wollten, selbst wenn man versucht hat, das locker zu machen und das nicht kam. Da haben wir also auch den Witz begangen und das hätte tödlich sein können. Leiter rein, und dann zwischen die Brocken diese Ladung hingebracht. Und dann runter, schnell runter und dann gezündet. Wumms, dann kam´s. Es war verbo- ten, wir haben es trotzdem gemacht. Autorin 29: Nach über 1.000 Jahren Erzabbau im Rammelsberg war den Betrei- bern in den 60er Jahren dann klar, dass die Reserven bald zu Ende gehen würden. Schon damals stellte die Preussag AG keine neuen Lehrlinge mehr an. Es war ein Sterben auf Raten. Otto Hoffmann be- mühte sich schon in den 70er darum, das nahende Ende zumindest finanziell erträglich zu machen. O-Ton 27 Otto Hoffmann: Wir haben also ein gutes Ergebnis erreicht. Selbst die Welt der Arbeit damals, die Zeitung des deutschen Gewerkschaftsbundes, war auf einmal ein Riesenartikel drin, die sagten, dass kann doch gar nicht wahr sein, dass hier schon ein Betriebsrat zehn Jahre vorher eine Vereinbarung abschließt zur Stilllegung was die Leu- te dann kriegen. Autorin 30: Darum gab es im Zuge der Stilllegung auch keine Proteste. Manch Bergmann bekam damals eine Abfindung in Höhe von 60.000 D- Mark. Das war viel Geld für einen Steiger, sagt Otto Hoffmann. Wer nicht auf Anhieb einen neuen Job fand, dem halfen Gewerkschaft, Knappschaft und das Arbeitsamt Goslar. Der ehemalige Betriebsrast- vorsitzende kann sich an keinen Kollegen erinnern, der nach der Schließung des Erzbergwerkes lange Zeit arbeitslos gewesen war. Was aber sollte aus dem 1000-jährigen Erbe werden? O-Ton 28 Otto Hoffmann: Ich habe gesagt allein ein Museum kann sich nicht halten. Nur ein Bergwerksmuseum. Nachdem aber dann 92 bekannt war, das wird aufgenommen werden als Weltkulturerbe das ganze Werk. Da habe ich gesagt, wenn das so ist, dann besteht also Hoff- nung. Das Bergwerk ist weg. Und je mehr aus dieser Zeit fest- gehalten wird, desto größeren Wert hat es. Dass es so bleibt, was bleibt. MUSIK III Titel: Hinterm Horizont geht´s weiter Interpret: Udo Lindenberg Komponist/Texter: Udo Lindenberg Verlag: Polystar, LC-Nr. 04324 Atmo 13 Vögel zwitschern am Rammelsberg O-Ton 29 Hans-Georg Dettmer: Herzlich Willkommen zu unserer Kulturlandschaftstour. Wir be- finden uns hier am eigentlichen Werkshof der Übertageanlagen des ehemaligen Erzbergwerkes Rammelsberg. Autorin 31: Die Anlage war einst der Kupferberg Europas, das Silberlager der deutschen Kaiser, Zink- und Bleilieferant für die Industrie. Da rechnet man mit vergifteten Böden, kahlen Hängen. Stattdessen wölbt sich der Rammelsberg wie ein grüner Bauch über der Stadt Goslar. Das war aber nicht immer so. Zeichnungen aus dem 16. Jahrhundert zei- gen einen abgenagten Berg. Auch auf den umliegenden Bergen wuchsen damals keine Fichten mehr. Holz war schon immer eine begehrte Ware im Harz. Man brauchte die Stämme im Berg, um die Stollen abzustützen, um das gewonnene Erz in den Hütten abzu- schmelzen und natürlich für den Häuserbau. Wer die Rammelsberger Straße hinauf zum Berg fährt, der sieht rechts und links wunderschö- ne, dunkel gebeizte Holzhäuser. Oben angekommen scheint die An- lage für die Erzaufbereitung das Ganze noch übertrumpfen zu wollen. Hinter den schmucken Fensterrahmen könnte man auch ein Sanato- rium vermuten. Es ist aber reine Industriearchitektur, sagt Hans- Georg Dettmer. O-Ton 30 Hans-Georg Dettmer: Es ist kein Zufall. Es ist tatsächlich so, dass Mitte der 1930er Jahre wurde fast in einem Zuge der wunderschöne Bau errichtet von den Industriebaumeistern Fritz Schupp und Martin Kremmer. Die Gebäude scheinen sich den Berg hinaufbewegen, könnte man meinen. Autorin 32: Nach dem Willen der Architekten sollte die dunkel gebeizte Holzfas- sade die industriellen Ansprüche in eine höhere Ordnung zwingen. Funktionalität und Natur stehen sozusagen versöhnt im Harz neben- einander. Nur der Förderturm macht dem Ganzen dann einen Strich durch die Rechnung. O-Ton 31 Hans-Georg Dettmer: Was wir hier noch sehr schön sehen können, weil der Blick eini- germaßen frei ist, die Blockschutthalden des Kommunionstein- bruchs. Ursprünglich ist dieser Kommunionsteinbruch im 18. Jahrhundert eingerichtet worden, um von dort Versatzmaterial, also Verfüllmaterial für die untertägigen Hohlräume zu bekom- men. Autorin 33: Bis dorthin wird die vierstündige Reise gehen. Wer die Unterwelt durchstreift, der sollte unbedingt auch die Oberwelt des Rammels- bergs erkunden. Hans-Georg Dettmer läuft an dem alten Verwal- tungsgebäude vorbei, über einen Parkplatz, hält dann auf einer grü- nen Wiese inne. Früher standen hier fünf Baracken, sagt er. Die Nati- onalsozialisten ließen sie 1942 errichten. Zwangsarbeiter aus der Uk- raine und Russland mussten vor allem im Berg beim Abbau mithelfen. Kein schönes Kapitel in der Vergangenheit des Rammelbergs. Mehre- re hundert Menschen waren hier interniert. Zu Essen gab es wenig, obwohl die Arbeit unter Tage Schwerstarbeit war. Die Nazis entdeck- ten nach ihrer Machtübernahme sehr schnell den Berg für sich und ih- re kriegerischen Absichten, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter. O-Ton 32 Hans-Georg Dettmer: Man wollte unabhängig sein von ausländischen Rohstoffen. Man hat diejenigen Anlagen, die der Rohstoffgewinnung im eigenen Land dienten finanziell bevorteilt, unter anderem auch den Rammelsberg. Und hat auf diese Weise versucht, in den Besitz von Rohstoffen zu kommen, für die man sonst Devisen hätte ausgeben müssen. Autorin 34: Wenige Jahre zuvor wollte man die Erzförderung am Rammelsberg eigentlich einstellen. Zu aufwendig und kostspielig war die Aufberei- tung des zähen Metalls. Eine neue Erfindung, die Methode der Schaumflotation, spielte den Nazis in die Hände. Mit ihr konnten die Bergleute die einzelnen Mineralpartikel besser voneinander trennen. Die Ausbeute aus den Konzentraten war in den Hütten dementspre- chend höher. 1935 wurde darum mit dem Bau der modernen Aufbe- reitungsanlage begonnen. Drei Jahre später holten die Bergleute mit Hilfe des neuen Förderturms das Erz aus fast 500 Meter Tiefe, tau- sende Tonnen Material für die Kriegswaffen der Nazis. Atmo 14 Laufen durch den Wald, Wasser plätschert Autorin 35: Die Tour durch die Kulturlandschaft Rammelsberg geht weiter. Vorbei an Eichen und Fichten. Ein schmaler Bach mündet im Herzberger Teich, Kraftzentrale des Bergwerks. Mit diesem Wasser wurden im 18. und 19. Jahrhundert die rhöderschen Wasserräder angetrieben, die das Erz aus dem Rammelsberg bugsierten. Atmo 15 laufen Autorin 36: Dann geht es 80 Meter bergauf. Vielleicht an den Ort, wo einst vor 1.000 Jahren alles begann. Hans-Georg Dettmer erzählt uns auf dem Weg nach oben die Geschichte von der Entdeckung des Erzes auf dem Rammelsberg. O-Ton 33 Hans-Georg Dettmer; Zur Zeit des Kaisers Otto, also um das Jahrtausend herum, ein Ritter mit dem Namen Ramm hier am Berg dem Wild nachgestellt ist. Um ihm ins Unterholz folgen zu können, hat er sein Pferd ir- gendwo an einen Baum gebunden. Und wie es so die Art von festgebundenen Pferden ist, wenn die Langeweile haben, sie scharren mit den Hufen und legen Silberadern frei. Wie es zu- mindest in der Sage heißt. Es ist ne schöne Geschichte, die so aber nicht stattgefunden hat. Autorin 37: Der Ritter soll die Erzscholle nämlich zu einer Zeit ins Tal gebracht haben, als es noch gar keine Pfalz gab. Nicht Kaiser Otto, sondern Heinrich der Zweite ließ erst Anfang des 11. Jahrhunderts den Sitz in Goslar errichten. O-Ton 34 Hans-Georg Dettmer; Die neueren Erkenntnisse gehen dahin, dass es sich einfach sprachlich entwickelt hat aus einem indogermanischen Begriff, der Begriff Rame. Heißt soviel wie Metall oder Kupfer. Und mög- licherweise ist das der eigentliche Ursprung des Namens Ram- melsberg. Es gibt Rammelsberge, Ramsberge auch an anderen Stellen in Deutschland und das sind meist Stellen, wo auch Bergbau betrieben wurde. Autorin 38: Eines aber könnte an der Geschichte stimmen. Teile des alten Lagers lagen auf dieser Höhe an der Erdoberfläche. In Fachkreisen nennt man dies, dass Erz biss nach über Tage aus. Auch wuchsen in der Umgebung nur Sträucher, selbst heute gedeihen nur dürre Birken auf dem Rammelsberg. Die Wanderung geht weiter. Vorbei an Halden, die von der Existenz früherer Schächte zeugen. Zuerst holten die Männer das Erz über Tage wie aus einem Trichter aus dem Berg her- aus. Um die Jahrtausendwende mussten sie in größere Teufen vor- dringen. Dettmer schätzt, dass über die Jahrhunderte etwa 100 Schächte von den Bergleuten senkrecht in den Berg getrieben wur- den. 50, 70, 80 Meter tief. Zähes, hartes Gestein. Die Stollen sind längst wieder verfüllt. Nur noch große, runde Grasmulden erinnern an den Bergbaubetrieb von damals. O-Ton 25 Hans-Georg Dettmer; So war das hier das eigentlich quirlige Betriebsgelände über Jahrhunderte hinweg. Bis im Grunde zu Beginn des 19. Jahr- hunderts als unter dem Oberbergmeister Johann Christoph Rö- der der Bergbaubetrieb auf das Niveau unserer heutigen Werk- straße gezogen wurde, etwa 60 bis 80 Meter tiefer unterhalb die- ser Stelle wo wir uns jetzt befinden. Autorin 39: Schicksalsberg - seinem Namen wurde der Rammelsberg immer wie- der gerecht. Als die Männer im Jahr 1739 versuchten, den Berg von der Seite aus anzubohren, war das Gestein für die damaligen techni- schen Möglichkeiten einfach zu zäh. Entnervt gaben sie auf. Dabei wären sie nach nur 20 Metern auf ein zweites Erzlager im Rammels- berg gestoßen. O-Ton 36 Hans-Georg Dettmer: Also wäre man 1739 vom Schürfer Suchort weiter in diese Rich- tung vorgedrungen, dann hätte man schon früher dieses neue Lager gefunden. Der Bergbau am Rammelsberg hätte sich gänz- lich anders gestaltet. So ist man auf das neue Lager erst im Jah- re 1859 gestoßen und es hat sich dann herausgestellt, dass das neue Lager noch wesentlich größer war als das alte Lager. Autorin 40: Auch die Technik war monströser geworden. Obwohl das neue Lager weitaus mehr Erz besaß als das alte, hat der Mensch diesmal nur 130 Jahre gebraucht, um den Rammelsberg vollständig auszubeuten. MUSIK IV Titel: What A Wonderful World Interpret: Louis Armstrong Komponist/Texter: George David Weiss, Bob Thiele Verlag: Universal, LC-Nr.: 01846 Atmo 16 Gang runter gehen Autorin 41: Zurück in den Bauch des Rammelsbergs. Richard Rudolf, Hans Val- tinke und ich befinden uns inzwischen in 80 Meter Tiefe. Die alte Radstube haben wir hinter uns gelassen. Inzwischen weiß ich, dass nicht nur das Grubenwasser den Bergleuten zu schaffen machte. Erz ist ein sehr zähes Material, hart mit dem Stein verwachsen. Im Mittel- alter schlugen sich hier unten die Bergleute mit Schlegel und Eisen, also mit Hammer und Meißel, die Seele aus dem Leib. An einem acht Stundentag grub sich ein Bergmann höchstens einen Zoll tief hinein in den Rammelsberg. 30 bis 40 Eisen waren dann stumpf geschlagen. Eine sehr uneffiziente Methode. Darum behalfen sich die Bergleute ab dem 13. Jahrhundert mit einer Technik aus der Steinzeit, dem Feuersetzen. Womöglich hat sich hier im Jahr 1777 der Weimarer Bergwerkskommissar Goethe für seinen zweiten Faust inspirieren lassen. O-Ton 37 Richard Rudolf: Goethe hat sich hier ein Feuersetzen mal angeschaut und er hat das dann so beschrieben in Stichworten: schwarze Höhle, er- leuchtete Kammern, Flammengeprassel, Rauch, Zug, Glut, Knall, Funken sprühen, dumpfes Getöse der sprengenden Felsen, zu- sammenstürzende Flammen, Getös, Hitze. Atmo 17 Feuersetzen Autorin 42: Am Ende des langgestreckten Stollens sehe ich plötzlich etwas Auf- flackern. Ein paar Stufen führen hinab, das Getöse wird immer lauter. Eine Simulation führt den Besucher hinab ins Mittelalter. Beim Feuer- setzen wurde das Erz durch lokale Brände so stark erhitzt, dass sich im Berg Spannungsrisse bildeten und das Erzgestein abplatze. Diese Männer hier unten nannte man Feuerknechte, erklärt Grubenführer Richard Rudolf. O-Ton 38 Richard Rudolf: Die waren nahezu nackt bis auf einen Lendenschurz. Konnten kaum atmen, so heiß war das. Und dann hatten sie ein Brett, das so geformt war wie ein Messer, und damit hat man sich den schwarzen Schweiß vom rußgeschwärzten Körper abgeschabt. Das müssen fürchterlichste Arbeitsbedingungen gewesen sein. Und das hat man meistens an einem Samstag gemacht. Damit der Berg sich beruhigen konnte am Sonntag und wenn die Berg- leute am Montag wieder rein gefahren sind, dann war es immer noch sehr heiß, man konnte kaum auf einer Stelle stehen. Autorin 43: Wenn sie ihrer Arbeit nachgingen, war aus dem Berg ein leises Knis- tern zu hören. Noch Tage später klagten die Männer über den bestia- lischen Gestank. Der dänische Märchendichter Hans-Christian An- dersen beschrieb ihn mit dem Duft, mit dem sich der Teufel einparfü- miert, wenn er einen Ort verlässt. Mit Brechstangen lösten die Berg- männer das poröse Erzgestein vom First. Eine extrem gefährliche Ar- beit, sagt Rudolf. Wie viele Männer dabei starben ist nicht bekannt. O-Ton 39 Richard Rudolf: Also wir wissen eins, dass er hier keine spektakulären Unfälle gegeben hat. Der Einzelunfall war da. Allein durch die Gefähr- lichkeit der Arbeit, da muss man wirklich in Kirchenbüchern blät- tern. Die Aussage in einer Predigt: Herr, ein Bergmann ist eine Person die täglich ihren Sterbekittel am Leibe trägt, sagt schon einiges. Autorin 44: Erst im Jahr 1879 ließen die Bergmänner von dieser Methode ab. Alf- red Nobel hatte kurz zuvor das Dynamit erfunden. Atmo 18 Gang in den Rathstiefsten Stollen mit viel Wasser, das plätschert Autorin 45: Es geht noch weiter hinab. In einen Stollen aus dem 12. Jahrhundert, der den ungewöhnlichen Namen Rathstieftser trägt. Es brauchte vier Generationen Bergmänner, um den Stollen anzulegen. Er diente als Lösungsstollen, leitete das Wasser hinaus aus dem Berg, das zuvor die rhöderschen Wasserräder für den Antrieb gebraucht hatten. Heute ist der Rathstiefsten Stollen der älteste begehbare Abschnitt im Berg- werk. Die Ebenen darunter sind längst abgesoffen. Über einen Kilo- meter lang schlängelt sich der Stollen durch den Berg bis er kurz vor den Toren der Altstadt mündet. Das Tropfen ist inzwischen in ein Prasseln übergegangen. Atmo 19 Wasser Autorin 46: Der Bergmann, erklärt mir Rudolf, kam damals schneller voran, wenn er Hammer und Meißel in den so genannten Störungszonen ins Erz trieb. Dort war das Gestein poröser. Schließlich bleibt der 61-jährige vor einer rostigen Tür stehen. Dahinter ist ein Suchort, erklärt er mir. Sozusagen eine Teststrecke, damit die Bergleute die Ausmaße des Erzlagers besser einschätzen konnten. Um das Ergebnis vorweg zu nehmen, dieser Suchort war ein Flop. O-Ton 40 Richard Rudolf: Und jetzt wollen wir hier beide man rein. Und da gehen nur wir beide, einer muss aus Sicherheitsgründen immer hier draußen bleiben. Wir wollen ja jetzt in eine so genannten Alten Mann hin- ein. ... Wohin? ... In einen Alten Mann, wieder ein bergmänni- scher Begriff. Ein aufgegebener, nicht mehr gesicherter Berg- bau. ... Alte Frauen gibt es hier nicht? ... Frauen unter Tage, es gibt nur die heilige Barbara, aber sonst hatte man mit Frauen hier nichts im Sinn. Atmo 20 So erst mal Entengang ist angesagt ... Alter Mann Atmo 21 Gang durch den Stollen Autorin 47: Ich ducke mich, quetsche meinen Körper vorbei an glitschig-kalten Wänden. Mit meinem gelben Regenmantel schrappe ich am Gestein entlang. Und mit meinem Helm stoße ich regelmäßig gegen den First. Mein Rücken schmerzt nach wenigen Minuten, unter mir schmatzt der Bretter-Boden, als wolle er mich gleich verschlingen. In dieser düste- ren Finsternis verstehe ich noch immer nicht, warum die Bergleute ih- ren Beruf liebten. Autorin 48: Im 19. Jahrhundert fuhren die einfachen Bergleute montags in den Rammelsberg hinein und erst freitags wieder heraus. Zu teuer waren Seife und Brennholz, um sich täglich zu waschen und sich so der Familie halbwegs nahbar zeigen zu können. Die Direktion untersagte schließlich diese traurige Art der Sparsamkeit und zahlte fortan mehr Lohn. Atmo 23 Anhalten Autorin 49: Plötzlich öffnet sich der schmale Gang, wir treten in einen 12 Meter hohen Raum. Auf dem Boden liegt ein riesiger rechteckiger Gesteins- brocken. Sargdeckel, nannten ihn die Bergleute. Wer unter ihm be- graben wurde, wurde regelrecht zermalmt. O-Ton 41 Richard Rudolf: Früher hat man so große Weitungen gehabt, und erst der Ober- bergmeister Röder hat angefangen hier zu verfüllen. Den so ge- nanten Bergversatz, also Material von draußen hier reingeschaf- fen. Autorin 50: Über 30 Millionen Tonnen Erz haben die Menschen in den vergange- ne drei Jahrtausenden aus dem Rammelsberg herausgeholt. Lange Zeit nur von Hand mit Schlegel und Eisen. Ein Knochenjob. Im Mittel- alter schufteten hier unten 160 Männer, ihre Lebenserwartung war nicht die höchste. O-Ton 42 Richard Rudolf: Richtig gut zu gebrauchen war man in dem Alter von 25 bis 36 und dann war man bergfertig. Das heißt, man konnte diese schwere Arbeit nicht machen. Sie waren nicht immer gleich tot, aber sie konnten diese schwere Arbeit nicht mehr machen. Autorin 51: Laut Direktionsprinzip durften Bergleute erst ab einem bestimmten Alter heiraten. Alte Männer wurden dann mit einfacheren Arbeiten über und unter Tage betraut. Atmo Autorin 52: Das Unheimliche birgt aber auch die größte Schönheit. Im Schein meiner Grubenlampe leuchten die Wände wundersam. Wassertrop- fen, Sauerstoff und Bakterien haben die Erze mit farbintensiven Vitrio- len überzogen. Der junge Goethe schwärmte damals von den geöff- neten Schmuckkästlein der Geisterkönigin. Die glasähnlichen Ablage- rungen schillern wie Stalaktiten in den Farben türkisblau, giftgelb, blutrot oder kalkweiß. Ich möchte diese glänzenden Überkrustungen, die wie umgedrehte Näpfchen aussehen, berühren. Richard Rudolf aber hält mich zurück. Ich würde das Werk von vielen Jahrhunderten zerstören. O-Ton 43 Richard Rudolf: Ja was wäre der Mensch, wenn er nicht versucht, daraus Geld zu machen. Es gab die Vitriolsiedereien. Und da gab es die ver- schiedensten Formen. Dieses Feuersetzen hat das Ganze auch noch begünstigt. Dann trocknete das Wasser raus und dann hat man so genannten Kupferrauch gewonnen. Und das hat man dann ausgelaugt in großen Pfannen, einem Siedeprozess unter- zogen, das Ergebnis in Holzfässer gefüllt. Und drin bildeten sich nach einigen Wochen Kristalle. Autorin 53: Und daraus konnte man viel machen: zum Beispiel rauchende Schwefelsäure, Tinte, kühlende Augenwässerchen oder ein Mittel ge- gen Schimmelpilzerkrankung im Weinbau. O-Ton 44 Richard Rudolf: Für die Stadt Goslar war der Rammelsberg der Schicksalsberg. Die Stadt der Kaiser und Könige, die Stadt der Kaufleute und Bürger, und die Stadt der Bergleute, und dieser Rammelsberg ist was Besonderes. Atmo 25 Laufen durch Wasser Autorin 54: Nach drei Stunden nähert sich das Abenteuer Mittelalter langsam dem Ende. Durch knöcheltiefes Wasser wate ich langsam dem Aus- gang entgegen. Atmo 26 Tür fällt zu, mischen mit Atmo 27 Vögel zwitschern O-Ton 45 Richard Rudolf: Auch ganz schön, wieder draußen zu sein. ... Ja, ich erinnere mich an eine Aussage des dänischen Märchendichters Hans- Christian Andersen. Als er uns in den 1830er Jahren hier be- sucht hat, kam wieder raus und sagte, wie schön doch ein Re- gentropfen auf dem frischen Grün einer Fichte in der Sonne leuchten kann. Autorin 55: An diesem Gefühl hat sich auch 180 Jahre später nichts geändert. Ich sauge die klare, frische Luft ein. Die Nachmittagssonne taucht den Fichtenwald in ein gedämpftes Licht. Dann schaue ich zurück auf den Rammelsberg. 3000 Jahre lang hat er Leben gegeben und genom- men. Heute ist er ein beeindruckendes Kulturerbe der Menschheit. Atmo Vögel zwitschern SpvD: Weltkulturerbe Rammelsberg Faszination unter und über Tage Eine Deutschlandrundfahrt mit Susanne Arlt. Musik hoch 1