Manuskript Kultur und Gesellschaft Kostenträger : P 62120 Organisationseinheit: 46 Reihe : Zeitreisen Titel : Die unbefleckte Empfängnis. Profitieren Frauen von der modernen Reproduktionsmedizin Autorin : Svenja Flaßpöhler Redakteur/in : Kim Kindermann / René Aguigah Sendung : 24.08.2011 / 19:30 Uhr Regie : Stefanie Lazai Besetzung : Sprecherin (=Autorin); Zitator; Zitatorin Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Musik Autechre: Caliper remote (Track 9) Einsatz bei 00.21, unter Zitator/Zitatorintext stehen lassen Zitator: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast bei Gott Gnade gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, des Namen sollst du Jesus heißen. Zitatorin: Wie soll das zugehen, da ich von keinem Manne weiß? Zitator: Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das von dir geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Gefreunde, ist auch schwanger mit einem Sohn in ihrem Alter und geht jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Sprecherin: So heißt es im Lukasevangelium über die Zeugungskraft Gottes. Der Heilige Geist wird Maria befruchten, ohne sie zu beflecken. Und selbst einer in die Jahre gekommenen, unfruchtbaren Frau vermag der Herr das ersehnte Kind zu schenken. Der aufgeklärte Mensch des 21. Jahrhunderts glaubt längst nicht mehr vorbehaltlos an derartige Legenden. Und schon gar nicht ist er gewillt, sein Leben als gottverfügt und schicksalhaft zu begreifen. Selbstbestimmt wie er ist, will er sein Leben in die eigene Hand nehmen. Und vertraut deshalb, anstatt auf Gott, lieber auf die Technik. Musik Autechre: fold4,wrap5 (Track 6) Kurz stehen lassen, unter O-Ton ausblenden O-Ton 1: Sandra Vollmer Es fing damit an, dass ich dachte, oder mein Partner und ich dachten, ich bin jetzt, wir sind jetzt lange zusammen, ich war da Mitte 30, 33, 34, und wir wollten ein Kind, und uns war klar, wir müssen jetzt was tun. Damit uns jemand hilft, dass wir schwanger werden. Sprecherin: Nennen wir die Frau, die hier spricht, Sandra Vollmer. Nie in ihrem Leben hatte die Arzthelferin Verhütungsmittel verwendet, und als sie sich mit Anfang 30 ein Kind wünschte, ahnte sie schon, dass es auf natürliche Weise nicht klappen würde. O-Ton 2 Sandra Vollmer Dann sind wir in die Kinderwunschsprechstunde gegangen und dann fing das an mit diversen Untersuchungen. Erst mal drei Inseminationszyklen, also Samenübertragungen, was nicht klappte, und ich muss sagen, das war für mich und ich war auch sehr forsch, mir war klar, mit Mitte 30, und ich hab nie verhütet, dass das auf künstliche Befruchtung hinauslaufen wird. Sprecherin: Die Diagnose, die Sandra Vollmer in der reproduktionsmedizinischen Klinik erhielt, lautete: Sterilität. Vermutlich aufgrund einer Eierstockentzündung in jungen Jahren. Dazu kam eine eingeschränkte Zeugungsfähigkeit ihres Mannes. Und die biologische Uhr tickte. O-Ton 3 Sandra Vollmer: Und dann haben wir eine künstliche Befruchtung gemacht, ich hatte nicht so viele Eizellen, sieben Eizellen hatte ich, fünf haben sie mir entnommen, drei waren von schlechter Qualität, zwei haben sich weiterentwickelt, zwei habe ich zurückbekommen und die zwei hab ich jetzt. Also ich hab Riesenglück gehabt. Sprecherin: Die Berlinerin Sandra Vollmer ist heute 44 Jahre alt und Mutter von elfjährigen Zwillingen. Ohne die Reproduktionsmedizin wäre sie kinderlos geblieben. Vor der Geburt des ersten In- Vitro-Kindes im Jahr 1978 konnten Frauen sich höchstens mit Hausmittelchen behelfen, wenn es mit dem Schwangerwerden nicht klappen wollte. Mit Kräutern zum Beispiel, Artemisia oder Mönchspfeffer. Heute hingegen lebt ein ganzer Industriezweig davon, die Reproduktion von der Zeugungsfähigkeit der Menschen abzukoppeln - und die Natur durch Technik zu überbieten. 40.000 Frauen unterziehen sich jährlich einer In-Vitro-Fertilisation. Jedes 80. deutsche Kind wird mittlerweile in der Petrischale gezeugt. Zitator: Die Grundregeln der Fortpflanzung, die mehr als 100.000 Jahre gültig waren, haben ihre Ausschließlichkeit verloren: Heute braucht es für die Zeugung eines Kindes nicht mehr unbedingt einen Mann und eine Frau. Die Natur entscheidet nicht mehr allein, ob und wann die Befruchtung klappt und wie das Resultat aussieht. Die Reproduktionsmedizin kann Zeitpunkt, Paarkonstellation und Ergebnis der Zeugung manipulieren. Sprecherin: So schreibt der Journalist Martin Spiewak in seinem Buch Wie weit gehen wir für ein Kind? Die Antwort, die Spiewak auf diese Frage gibt, lautet: Wir gehen weit. Sehr weit sogar. Wenn die hierzulande erlaubten Möglichkeiten nicht ausreichen, pilgern Paare scharenweise ins Ausland, etwa nach Spanien oder in die USA, um eine Eizellspende oder eine Leihmutterschaft in Anspruch zu nehmen. Zitator: Mittlerweile gibt es Kinder, die fünf Elternteile haben: einen Samenspender und eine Eizellgeberin als genetische Erzeuger, die Frau, die das Kind austrägt, als biologische Mutter, und als soziale Eltern schließlich das Paar, bei denen das Kind aufwächst. Babymachen nach der Baukastenmethode. Musik Autechre: acroyear 2 (Track 1) Einsatz bei 00.25, 10 Sekunden stehen lassen, unter Sprecherinnentext ausblenden Sprecherin: So sehr wünschen sich viele Paare ein Kind, dass sie es in Kauf nehmen, sich die Elternschaft mit Eizellspenderinnen, Samenspendern und Leihmüttern zu teilen. Aber warum ist die Reproduktionsmedizin überhaupt zu einer derart nachgefragten Technik avanciert? Werden wir etwa immer unfruchtbarer? O-Ton 4 Simone Hoffmann: Ich glaube, die Hauptursache ist, dass heutzutage die Verhütung im Leben eines Paares so etwas wie ein Normalzustand ist. Menschen kommen zusammen, verlieben sich, bilden eine Partnerschaft, und von Anfang an ist die Verhütung mit dabei, und dann diesen Punkt zu erreichen und zu sagen: so wir hören jetzt auf mit der Verhütung, das ist ne ganz bewusste Entscheidung, die von der Frau, vom Mann in der Partnerschaft gefällt werden muss. Und dieser Punkt kommt heutzutage sehr spät. Sprecherin: Simone Hoffmann. Ärztin, Sexualforscherin und Autorin des Buches Verhütung - Zyklus - Kinderwunsch. Als die Pille 1961 in Deutschland auf den Markt kam, wurde das Kinderkriegen zu einer Entscheidungsfrage: Paare beziehungsweise Frauen mussten sich bewusst entschließen, nicht mehr zu verhüten. Heute denken viele Frauen erst mit Mitte Dreißig über ein Kind nach. Ihre Fruchtbarkeit aber geht schon mit 25 Jahren messbar zurück. Die enorme Nachfrage nach reproduktionsmedizinischen Techniken ist damit einerseits die Kehrseite zunehmender Selbstbestimmung, andererseits aber auch das Symptom verfehlter Familienpolitik: Weil Beruf und Familie nach wie vor schwierig miteinander zu vereinbaren sind, verschieben Frauen, aber auch Männer die Kinderfrage auf den Sanktnimmerleinstag. O-Ton 5 Almut Dorn: Wenn Sie sich überlegen, welche Mythen es zu diesem unerfüllten Kinderwunsch gibt, im Sinne von: Ihr wollt das zu sehr. Oder: Ihr habt zu viel Stress, fahrt mal in den Urlaub, oder vielleicht ist das gar nicht der richtige Partner. Wenn man das wörtlich nehmen würde, wären viele, viele Schwangerschaften gar nicht erklärbar. Es hat noch nie die richtige innere Einstellung dazu gehört, um schwanger zu werden. Was viel mehr der Aspekt ist, ist, dass ja viele Frauen heute wirklich Familienplanung betreiben. Sprecherin: Almut Dorn ist Psychologin und führt in Hamburg eine Praxis für ungewollt Kinderlose. Als ungewollt kinderlos gilt ein Paar, das ein bis zwei Jahre regelmäßig ungeschützten Geschlechtsverkehr hat, ohne dass die Frau schwanger wird. In Deutschland trifft das auf rund 2 Millionen Paare zu. Etwa jede 6. bis 7. Ehe bleibt ungewollt kinderlos. O-Ton 6 Dorn: Zu mir kommen hauptsächlich Frauen, aber auch Paare, die sehr unter der Kinderlosigkeit leiden, aber vor allem auch unter den reproduktionsmedizinischen Maßnahmen. Das ist einfach eine sehr anstrengende Zeit, noch mal wieder mehr für die Frauen, weil die körperlich, wenn es um die künstliche Befruchtung geht, ja viel mehr aushalten müssen. Und in dieser Phase, wo es ja eben nicht nur Erfolge gibt, ein sehr häufiges Auf und Ab der Gefühle stattfindet. Viel Hoffnung in einen Erfolg zu stecken und dann wieder die ganze Enttäuschung, wenn es wieder einmal nicht geklappt hat. Mit allen Konsequenzen, sich selber in Frage zu stellen, die Methode in Frage zu stellen, das Vorgehen in Frage zu stellen, die Lebensplanung noch einmal zu überdenken. Sprecherin: Tatsächlich verläuft längst nicht jede Kinderwunschbehandlung so erfolgreich wie die von Sandra Vollmer. Dass eine Frau gleich beim ersten Versuch schwanger wird, ist die Ausnahme. O-Ton 7 Vollmer: Ja, es war wirklich Glück, dass es beim ersten Mal gleich geklappt hat. Was selten ist. Viele Frauen haben ja auch wahnsinnig viel Hoffnung, gerade beim ersten Versuch. Die denken ja, es klappt ja gleich beim ersten Mal. Sprecherin: Häufig unternehmen die Frauen drei, vier, fünf, sechs In-Vitro-Fertilisationen. Spritzen sich jeden Abend Hormone in den Oberschenkel, um die Eizellreifung zu stimulieren. Lassen sich unter Narkose operieren, damit die Eizellen entnommen und mit dem Sperma des Mannes zusammengebracht werden können. Findet eine Befruchtung statt, setzt der Reproduktionsmediziner zwei bis drei Embyonen zurück in den Uterus. Dass aber tatsächlich eine Schwangerschaft eintritt, kann kein Mediziner garantieren. Rechnet man all die Behandlungen mit, die bereits vor dem Embryonentransfer abgebrochen werden, dann liegt die Erfolgsquote, die so genannte ,Baby-take-home-Rate' höchstens bei 20 Prozent. Trotzdem versuchen es viele Paare immer wieder. Und unterschätzen dabei die enorme Belastung, die eine künstliche Befruchtung vor allem für die Frau mit sich bringt. O-Ton 8 Dorn Manche leiden in dieser Zeit unter starken Stimmungsschwankungen. Dann müssen sie häufiger in das reproduktionsmedizinische Zentrum, um Ultraschalle machen zu lassen, um zu gucken, wie weit sind die Eizellen, das ist für viele, gerade berufstätige Frauen, auch organisatorisch nicht leicht. Dann kommt der Tag der Punktion. Das ist ein Eingriff, da werden die Eizellen entnommen, das ist mit einer Kurznarkose verbunden, wiederum eine körperliche Belastung, für viele aber auch eine psychische. Auch mit dieser Spannung, wird jetzt alles so, wie sie sich das erwartet haben, werden genug Eizellen gefunden und punktiert, kommt es zu einer Befruchtung? Dann kommt so eine Wartezeit von zwei, drei Tagen, bis das Ergebnis da ist, dass wenn Embryonen entstanden sind, diese zurückgesetzt werden können. Auch das sind Tage höchster Anspannung. Sprecherin: Der psychisch belastendste Teil der Behandlung steht den Frauen aber erst noch bevor: O-Ton 9 Dorn Den schwierigsten Zeitraum beschreiben die Frauen immer die vierzehn Tage nach diesem Transfer, wenn sie auf das Ergebnis des Schwangerschaftstests warten müssen. Diese vierzehn Tage, wo sie ganz extrem in sich hineinschauen, jede körperliche Regung versuchen zu deuten, ist es jetzt soweit? Ist es nicht soweit? Und wenn dann eine negative Nachricht kommt, dass es zu keiner Schwangerschaft gekommen ist, ist das eine wahnsinnige Enttäuschung. O-Ton 10 Sandra Vollmer Manche können sich gar nicht vorstellen, dass es nicht geklappt hat. Und wenn die dann hören, dass der Test negativ ist, dann bricht für die ne Welt zusammen. Was ich auch als Betroffene von allen Kollegen am besten nachempfinden kann. Sprecherin: Als Arzthelferin in einer reproduktionsmedizinischen Klinik weiß Sandra Vollmer sehr genau, was andere Frauen durchmachen, die weniger Glück gehabt haben als sie. O-Ton 11 Vollmer Oder dass man halt in diesen zwei Wochen von einer künstlichen Befruchtung zum Schwangerschaftstest auf jedes Ziepen in seinem Körper hört. Ich hab den ganzen Nachmittag im Bett gelegen, nur um für meinen Kopf zu haben: Ich brüte jetzt. Und ich meine ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, wenn es nicht geklappt hätte beim ersten Mal. Ich glaub ich hätte schon weiter gemacht. Das ist ja das Problem, wenn es beim ersten Mal nicht klappt, dann macht man weiter und weiter und weiter und ist in einer Mühle drin, und kommt aus dieser Mühle einfach schlecht raus. Dann zu sagen: Stopp. Ich akzeptier das jetzt, dass ich keine Kinder kriege, ist glaub ich für eine Frau sehr, sehr schwer. Sprecherin: Dass die Möglichkeiten kaum je ausgeschöpft sind, kann zu einem regelrechten Fluch werden. Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal? Und wenn nicht hier, dann ja vielleicht in Tschechien oder Spanien? Musik Autechre: 777 (Track 2) Einsatz bei 00.10, unter Zitator/Zitatorin-Text stehen lassen Zitator & Zitatorin (Stimmen übereinander; Eingangstext) Fürchte dich nicht, Maria ... der heilige Geist wird über dich kommen ... Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Sprecherin: So stark ist der Wille zum Kind und so groß ist die Verzweiflung vieler Frauen und Paare, dass sie Hilfe bei ausländischen Reproduktionsmedizinern suchen. Wenn eine Frau nämlich selbst keine Eizellen produzieren kann, ist die herkömmliche künstliche Befruchtung für sie keine Option. Durch eine Eizellspende aber könnte sie durchaus schwanger werden. Man entnimmt einer Spenderin einige Eizellen, befruchtet sie künstlich mit dem Sperma des Partners der unfruchtbaren Frau, und setzt dieser den Embryo ein. Die genetische Mutter ist in diesem Fall die Eizellspenderin. Die soziale Mutter ist die Frau, die das Kind austrägt. Eine derartige Aufsplittung von Mutterschaft ist in Deutschland verboten. Samenzellspenden sind erlaubt; Vaterschaft darf also in einen genetischen und einen sozialen Vater auseinanderfallen. Die Spende einer Eizelle dagegen untersagt das Embryonenschutzgesetz: Zitator: Mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer (1) auf eine Frau eine fremde unbefruchtete Eizelle überträgt, (2) es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt. Sprecherin: Für den Berliner Reproduktionsmediziner Heribert Kentenich ist dieses Verbot nicht nachvollziehbar. Wenn die Samenspende erlaubt ist: Muss man dann nicht auch die Eizellspende zulassen? O-Ton 12 Kentenich: Samenspende und Eizellspende bedeutet, dass man einen Gameten von jemand anderem nimmt in einer Partnerschaft oder einer Beziehung. Samenspende wird seit 50 Jahren gemacht, und man weiß, dass es den Kindern ganz gut geht. Man muss allerdings dafür sorgen, juristisch und psychosozial, dass die Kinder die Möglichkeit haben, die Eltern später kennenzulernen bzw. den genetischen Vater Jetzt, wenn man das bei der Frau ersetzt, dann ist es grundsätzlich genau das gleiche, also ein Gamet, in diesem Fall die Eizelle. Die Frau wird schwanger, bei der Frau wird der Bauch dick, sie hat das Erleben einer Schwangerschaft, sie bekommt das Kind. Und deswegen ist das von der psychosozialen Situation gesehen für die Frau das Gleiche wie bei der Samenspende, weil beide bekommen ein Kind, und es wird ein anderer Gamet genommen. Sprecherin: Empirische Forschungen, so Kentenich, hätten gezeigt, dass die Mutter-Kind-Bindung bei Eizellspenden völlig unauffällig sei. Ein Eizellspenden-Kind unterscheide sich, was seine Bindungsfähigkeit und seine Einbettung in die Familie angeht, nicht von einem durch Samenspende gezeugten Kind. Und auch nicht von einem natürlich gezeugten. O-Ton 13 Kentenich Das ist relativ gut erforscht. Also: Wie ist die Schwangerschaftsbeziehung zu dem Kind, wie ist die Mutter-Kind-Beziehung hinterher? Wird das Kind in die Elternschaft aufgenommen? Und das ist so wie bei normaler Befruchtung, wie bei künstlicher Befruchtung, wie bei sonst was. Sprecherin: Aber stimmt das? Immerhin räumt Heribert Kentenich selbst ein, dass Kinder ein Bedürfnis haben, ihren genetischen Ursprung kennenzulernen. Daraus folgt, dass ihr Verhältnis zum nicht-genetischen Elternteil, sei es Vater oder Mutter, eben doch einen Wunsch übrig lässt. Dass im Falle der Samen- oder Eizellspende die Hälfte des Erbguts anderswoher stammt, scheint demnach für die innerfamiliären Bindungsverhältnisse nicht ganz unerheblich zu sein. Und ist es für eine Frau nicht auch etwas anderes, ob sie ein Samenspende-Kind oder ein Eizellspende-Kind austrägt? Immerhin ähneln sich natürliche Zeugung und Samenspende in einem entscheidenden Punkt: Die Hälfte des Erbmaterials stammt nicht von der Frau selbst, die andere Hälfte aber sehr wohl. Im Falle einer Eizellspende aber trägt die Frau ein Kind in sich, das nichts von ihr selbst enthält. Was in ihr wächst, ist ihr genetisch fremd. Musik Autechre: rae (Track 3) 00.00, 10 Sekunden stehen lassen, vor Sprecherintext ausblenden Sprecherin: Auch dass ein Vater, dessen Kind von einem Samenspender gezeugt wurde, sich auf dieselbe Weise mit seinem Nachwuchs identifiziert wie ein biologischer Vater, lässt sich durchaus bezweifeln. Der Berliner Kulturwissenschaftler Andreas Bernard schreibt: Zitator: In psychologischen Untersuchungen über Familien, deren Kinder aus Samenspende hervor gegangen sind, findet sich gelegentlich die Formulierung, dass der soziale Vater sein Kind ,abstößt'. Eine Vokabel, die man eher aus dem Bereich der Organtransplantation kennt. Und diese Assoziation ist folgerichtig: Bei Herztransplantationen [...] kam es immer wieder zu psychischen Komplikationen, die jetzt auch im Zusammenhang mit den Methoden assistierter Empfängnis auftreten. In beiden Bereichen stiftet die Medizin existenzielle Beziehungen zwischen Menschen, die einander unbekannt bleiben, führt eine Montage von Körperzellen durch, die lange als unantastbar galten. Sprecherin: Und wenn wir schon bei Organspende sind: Ähnlich wie beispielsweise eine Nierenspende ist die Eizellspende mit einem durchaus risikobehafteten Eingriff in den Körper eines anderen Menschen verbunden. Aber ist es legitim, die Gesundheit einer Frau zu gefährden, um einer anderen ihren Kinderwunsch zu erfüllen? Die Ärztin und Autorin Simon Hoffmann ist skeptisch. O-Ton 14 Hoffmann Wir haben Blutspenden, wir haben Knochenmarkspenden, wir haben Lebendnierenspenden, das sind Spenden, bei denen Menschen eben lebend, ohne dass sie sterben, lebendiges Organmaterial von sich spenden. Das ist aber ganz klar auf Situationen begrenzt, bei denen ein anderer Mensch vital bedroht ist durch eine Erkrankung. Und in denen der Spender auch gewisse medizinische Risiken auf sich nimmt, um diese Spende machen zu können. Diese Situationen sind sehr stark an enge, auch juristische und auch ethische Bedingungen geknüpft. Bei der Eizellspende hat man ja die Situation, dass die Frau, die spendet, in ihrem Zyklus mit der Frau, die empfängt, synchronisiert werden muss. Das geht durch eine invasive Hormonbehandlung. Dann müssen die Eizellen entnommen werden, das ist ein invasiver Eingriff. Und all das geschieht, ohne dass ein anderer Mensch bedroht ist in seinem Leben, sondern es geschieht ja, damit ein neuer Mensch geboren werden kann. Musik Autechre: corc (Track 8) 00.00, 10 Sekunden stehen lassen, unter Sprecherinnentext ausblenden Sprecherin: Die neuen Reproduktionstechnologien führen zu enormen, bislang kaum absehbaren Veränderungen für Individuum und Gesellschaft. Vaterschaft und Mutterschaft splitten sich auf, die genetische Elternschaft tritt hinter der sozialen zunehmend zurück, Verwandtschafts- und Familienordnungen erfahren eine fundamentale Transformation. Zitator: Der Prozess menschlicher Fortpflanzung, die Sphäre der Zweisamkeit schlechthin, öffnet sich und bezieht Dritte, Vierte, Fünfte in den Zeugungsvorgang mit ein. Wenn in den 1980er Jahren gesellschaftliche Debatten über die "Patchworkfamilie" geführt wurden, kehren diese Fragen nun auf radikalere Weise, im Hinblick auf die Blutsverwandtschaft wieder - assistierte Empfängnis bringt "genetisches Patchwork" hervor. Sprecherin: So schreibt Andreas Bernard. Das kulturstiftende Prinzip des Inzesttabus ergibt vor dem Hintergrund dieser Veränderungen kaum noch Sinn. In den USA etwa zeugen manche Samenspender bis zu 500 Nachkommen. Dass Geschwister unwissentlich einander heiraten und Väter mit ihren Töchtern, Mütter mit ihren Söhnen schlafen, ist dann nicht mehr zu vermeiden. Auch unser Begriff von Identität erfährt eine Auflösung, wenn an der Zeugung eines Kindes nicht mehr nur zwei Menschen beteiligt sind. Ist nicht schon bei einer In-Vitro- Fertilisation, selbst wenn Eizelle und Samenzelle von den Eltern selbst stammen, ein Dritter im Bunde? Nämlich der Reproduktionsmediziner, der die Schwangerschaft erst ermöglicht? Am höchsten jedoch ist die Zahl der Reproduzenten bei der Leihmutterschaft. Die Leihmutter trägt ein Kind aus, das genetisch entweder von den Auftragseltern, oder aber einer Eizellspenderin und einem Samenspender abstammt. Möglich ist auch, dass nur die Eizelle von einer anderen Frau genommen wird und der soziale Vater seinen Samen spendet. In jedem Falle aber ist die austragende Frau eine andere als jene, die das Kind später aufziehen wird. Wie die Eizellspende ist auch die Leihmutterschaft hierzulande verboten. Durchaus zu Recht, findet Reproduktionsmediziner Heribert Kentenich. O-Ton 15 Kentenich: Bei einer Leihmutterschaft wird eine Frau im Auftrage behandelt und wird schwanger und hat eine Mutter-Kind-Beziehung über neun Monate. Und dann wird diese Mutter-Kind- Beziehung unterbrochen. Und die Frau gibt gegen Geld dieses geborene Kind weg. Da hab ich psychologisch meine Bedenken, weil über neun Monate etwas entstanden ist, und das kann man oft nicht so ohne weiteres gegen Geld weggeben. Sprecherin: Doch die Leihmutterschaft ist durchaus nicht nur für die austragende Frau problematisch. Denn was bedeutet es für ein Kind, wenn es von einer Frau ausgetragen und geboren, von einer anderen aufgezogen und möglicherweise genetisch noch von einer dritten, einer Eizellspenderin abstammt? Gewiss, man kann einem solchen Kind den Kontakt zur genetischen und zur austragenden Mutter versagen, damit es sich ausschließlich an die soziale Mutter bindet. Dann lernt das Kind seine Ursprünge nie kennen. Oder man ermöglicht ihm eine Beziehung zu all seinen Müttern, mindestens auch zur Leihmutter. Aber ist das dem Wohl des Kindes zuträglicher? Zitatorin: Melissa und Fie hatten sich einverstanden erklärt, uns nach der Geburt ihre Muttermilch zur Verfügung zu stellen. Auch nach dem Krankenhaus benutzten sie die Milchpumpe. Bei Melissa holten wir die Milch ab, Fie besuchte uns gerne und kam alle paar Wochen vorbei mit einer randvollen Kühltasche. Sprecherin: So schreibt die Amerikanerin Melanie Thernstrom, deren zwei Kinder von zwei Leihmüttern ausgetragen wurden. Zitatorin: Eines Nachmittags, als Fie zu Besuch war, wurde Violet durstig und fing an zu quengeln. Es kam mir plötzlich blöd vor, eine von Fies Flaschen aus dem Kühlschrank zu nehmen, wo die Milch wertvolle Antikörper verlor, und sie aufzuwärmen - wenn die Quelle der warmen Milch gleich hier auf dem Sofa saß und gerade bemerkt hatte, dass ihr T-Shirt bei Violets erstem Schrei feucht geworden war. Ich fragte Fie, ob sie stillen wolle, und sie sagte ja. Es war ein bewegender Augenblick, wie Violet erwartungsvoll keuchte und ihren Mund dann um eine Brust schloss, die so geschwollen, zitternd und lebendig aussah wie ein Meerestier. Sprecherin: Was aber bedeutet eine solche Situation für das Kind? Wie kann, wie soll es damit umgehen, einige Minuten an der Brust jener Frau zu liegen, deren Körper es monatelang umgeben hat? Natürlich, Ammen hat es bereits im 18. und 19. Jahrhundert gegeben, es war normal, dass Kinder von anderen Frauen gestillt wurden. Die Amme aber war nie die leibliche Mutter, sie hat lediglich ihre Milch zur Verfügung gestellt, nicht aber ihre Gene oder ihren Uterus. Musik Autechre: caliper remote (Track 9) 00.00, 10 Sekunden stehen lassen, unter Sprecherinnentext ausblenden Sprecherin: Im Falle von Leihmutterschaft und Eizellspende stellt sich die Frage, ob beziehungsweise wie die kindliche Identität durch die Art der Zeugung beeinträchtigt wird, in besonderem Maße. Doch auch Eltern, die ihr Kind durch eine In-Vitro-Fertilisation bekommen haben, sind häufig unsicher: Ist es problematisch für ein Kind, wenn es erfährt, wie es entstanden ist? Sollte man ihm die Art und Weise seiner Zeugung lieber verschweigen? Die Psychologin Almut Dorn ist anderer Meinung. O-Ton 16 Dorn Es gibt viele Paare, die es nicht erzählen. Wir ermutigen sie dazu, denn wir sagen den Paaren immer: Kinder werden sich für nichts schämen, für das sich die Eltern nicht schämen. Und da ist man dann eigentlich genau an dem Punkt: Dass natürlich ein Verfahren am unkompliziertesten ist, wenn man es gut für sich annehmen kann. Wenn sich Paare dafür schämen, ist es natürlich so, wird es natürlich von dieser Stimmung etwas mitbekommen. Also es schadet einem Kind überhaupt nichts, das zu wissen, denn diese Kinder sind ja sehr gewollt. Was kann schöner sein, als das zu wissen? Sprecherin: Sandra Vollmer, die Arzthelferin aus Berlin, hat ihre Kinder schon früh über ihren Ursprung aufgeklärt. O-Ton 17 Vollmer Und je älter sie werden, umso mehr verstehen sie das. Aber für die ist das, jetzt sind sie 11, kein Thema. Vielleicht ist das anders, wenn die mal älter sind. Aber ich habe ihnen das so erklärt, dass wir uns sie sehr wünschten, und es auf natürlichem Wege nicht klappte. Also, für die ist das in Ordnung. Die fühlen sich dadurch nicht minderwertig. Sprecherin: Kinder, die durch reproduktionsmedizinische Verfahren gezeugt wurden, sind immer Wunschkinder. Das haben sie so manch einem anderen Kind, das eher zufällig oder gar ungewollt gezeugt wurde, voraus. Und dennoch: Gefühle wie verstärkte Unsicherheit und Angst kennen viele Mütter, die ihr Kind durch künstliche Befruchtung bekommen haben. Vor allem während der Schwangerschaft. Auch die Wahrscheinlichkeit, bei einer künstlichen Befruchtung gleich zwei oder sogar noch mehr Kinder zu zeugen, ist deutlich erhöht. Bis zu drei Embryonen dürfen Reproduktionsmediziner in den Uterus zurücksetzen. Zwar entwickeln sich selten alle Embryonen weiter, meistens ist sogar kein einziger lebensfähig. Dennoch hat sich die Zahl der Zwillingsgeburten seit der Geburt des ersten künstlich gezeugten Kindes fast verdoppelt. Für die Eltern bedeutet eine Mehrlingsgeburt eine enorme Belastung. Nicht selten kommt es zur Trennung von Vater und Mutter. Wie auch bei Sandra Vollmer. O-Ton 18 Vollmer: Mittlerweile sind wir nicht mehr zusammen. Muss ich sagen. Es war für ihn damals sicher mehr ne Belastung, dass es Zwillinge sind. Das kam noch mal dazu. Und das hab ich im Nachhinein noch mal recherchiert, ist auch gar nicht so unhäufig. Na, weil es einfach zwei Kinder sind. Die Partnerschaft verändert sich durch ein Kind, und wenn da zwei Kinder kommen, um die man sich kümmern muss, ist das ne enorme Belastung. Sprecherin: Normalerweise vermeidet die Natur Mehrlingsschwangerschaften, da die Mutter und vor allem die Kinder gesundheitliche Schäden davontragen können. Hin und wieder kommt es vor, dass ein Kind im Bauch der Mutter getötet werden muss, um dem Geschwisterkind oder den Geschwisterkindern das Leben zu ermöglichen. Der Arzt stößt eine Nadel mit Kaliumchlorid durch die Bauchdecke und in das Herz des Fötus. Das Herz hört auf zu schlagen, das tote Ungeborene verbleibt im Mutterleib und wird bei der Geburt der anderen Kinder als kleiner grauer Klumpen ausgeschieden. Aufgrund der erhöhten Mehrlingsrate durch Reproduktionsmedizin ist auch die Zahl der so genannten Fetozide gestiegen. Für die betreffende Mutter ist ein solcher Eingriff kaum zu verarbeiten. Musik Autechre: fold4, wrap 5 (Track 6) Kurz anspielen, unter Sprecherinnentext ausblenden Sprecherin: Wie weit darf man gehen, um Frauen und Männern ihren Kinderwunsch zu erfüllen? Möglicherweise ist schon die Präimplantationsdiagostik, die seit Juli 2011 in bestimmten Fällen zugelassen ist, ein Schritt zu viel. Paare können, wenn die Gefahr einer Totgeburt oder eines schwerwiegenden genetischen Defekts vorliegt, Gentests an Embryonen durchführen lassen, bevor diese in den Mutterleib zurückgesetzt werden. Medizinische Hilfe aber kippt schnell in Eugentik um, wenn Menschen ein Recht auf ein Kind, gar auf ein gesundes Kind zugestanden wird. Ist die ewige Verlockung des technisch Machbaren also letzten Endes schicksalhafter als die Akzeptanz des Gegebenen? Sei es durch die Natur oder durch Gott? Zitator & Zitatorin: Fürchte dich nicht ... Sprecherin: Aber möglicherweise ist alles auch ganz anders. Vielleicht gehört die Überwindung der geschlechtlichen Zeugung ja gerade zum göttlichen Plan. Schließlich ist auch die Heilige Jungfrau nicht durch ihren angestammten Gatten schwanger geworden: Josef ist lediglich der soziale Vater. Und Maria? Wäre sie womöglich die Leihmutter Gottes? ENDE Literatur: Bernard, Andreas: Und wie nennen wir es jetzt? In: Süddeutsche Zeitung Magazin. 21. Dezember 2007. S. 24-28. Spiewak, Martin: Wie weit gehen wir für ein Kind? Im Labyrinth der Fortpflanzungsmedizin. Frankfurt am Main 2002. Thernstrom, Melanie: Vater, Mutter, Mutter, Mutter, Mutter, Kind, Kind. In: Nido.1.4.2011. S. 64-71.