Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio Zeitfragen 14.10.2013 „Big Brother is watching- und drei Millionen gefällt das!“ SPRECHERIN VOM DIENST: Big Brother is watching und drei Millionen gefällt das / Vision und Wirklichkeit des Überwachungsstaates Ein Feature von Frank Überall Zitator: (Textstelle Orwell) „Immer die Augen, die einen beobachteten, die Stimme, die einen umgab. Im Wachen oder im Schlaf, bei der Arbeit oder beim Essen, drinnen oder draußen, im Bad oder im Bett – es gab kein Entrinnen. Nichts gehörte einem, bis auf die paar Kubikzentimeter im eigenen Schädel.“ ÜBERALL: George Orwell hat vor 65 Jahren einen visionären Science Fiction Roman geschrieben. Unter dem Titel „1984“ hat er entworfen, wie es sich anfühlen wird, wenn man kein Privatleben mehr hat. Die Allgegenwart des Teleschirms, wie er das technische Überwachungsgerät nennt. Immer online quasi. Ein Gerät, das in jedem Wohnraum ist. Eine Art Computer, der immer eingeschaltet bleibt. Dem Winston, Winston, der Protagonist des Romans „1984“, immer ausgesetzt ist. Zitator: (Textstelle Orwell) „Der Teleschirm war Sende- und Empfangsgerät zugleich. Jedes von Winston verursachte Geräusch, das über ein gedämpftes Flüstern hinausging, würde registriert werden.…. Man könnte natürlich nie wissen, ob man im Augenblick gerade beobachtet wurde oder nicht. Wie oft oder nach welchem System sich die Gedankenpolizei in jede Privatleitung einschaltete, darüber ließ sich bloß spekulieren. Es war sogar denkbar, dass sie ständig alle beobachtete.“ ÜBERALL: Die Technik hat Orwell eingeholt, ja überholt. Wie sehr, darüber kann Nils Zurawski Auskunft geben. Der Soziologe an der Universität in Hamburg beschäftigt sich seit Jahren mit den Spielarten von Überwachung. SPRECHERIN: Nils Zurawski sitzt im Hörsaal, wo er sonst Studenten die Welt erklärt, mit ihnen über das Thema Überwachung diskutiert. Er hat Aufsätze und Bücher zu dem Thema geschrieben. Teleschirme sind für ihn überall, auch wenn sie anders heißen. Computer, Laptop, Tablet, Smartphone – das sind nur einige Beispiele. Die Geräte sind nicht nur kleine Helfer im Alltag, sie leisten mehr. (Zurwaski) „Manchmal habe ich das Gefühl, wir können technisch irre viel. Wir verstehen überhaupt nicht, was wir da eigentlich tun. Oder wir begreifen gesellschaftlich, politisch nicht, welches Neuland wir da betreten haben – in diesem Fall muss man das ja mal so sagen. Wir kommen da nicht klar. Unsere Konzepte, die wir bis jetzt hatten, können das nicht alles auffassen. Wir versuchen immer das Alte zu übertragen auf das Neue, ob das soziale Beziehungen oder was immer sind, und haben aber eigentlich noch keine neuen Konzepte dafür.“ SPRECHERIN: Unsere Kommunikation hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Sie ist elektronischer geworden, digitaler, und damit auch überwachbarer. Man trifft sich seltener persönlich, schreibt sich weniger Briefe. Wir kommunizieren kabelgebunden, digital über Funk, international vernetzt. Aber wenn wir über die Risiken dieser Gedankenaustausche sprechen, ist unser Denken noch weitgehend in der analogen Zeit stehen geblieben. (Zurawski) „Es gibt immer mehr Technik, mit der man menschliches Verhalten überwachen kann, protokollieren kann, aufzeichnen kann, kontrollieren kann. Das sind verschiedene Dinge, aber fassen wir das mal unter Überwachung zusammen. Dann ist das sicherlich mehr geworden. Ich glaube, dass – zufällig oder nicht zufällig – es auch einen technischen Sprung gemacht hat in der Entwicklung verschiedener Sachen seit dem 11. September 2001. Ich glaube, das war so ein amplifying moment, die beiden Türme, die zusammen krachenden, mit denen man das leicht begründen konnte. Die Umsetzung neuer Bestrebungen und dann noch jede Technik sozusagen daraufhin anwenden konnte.“ SPRECHERIN: Viele Stellen gieren nach unseren Daten. Sie spähen uns aus, zapfen - wie Teleschirme - die Welt zumindest unserer digital formulierten Gedanken an. Jeden kann es treffen, ahnen wir nach den Enthüllungen der Spionageprogramme internationaler Geheimdienste. Die geheimen Praktiken der allgegenwärtigen Überwachung öffentlich zu machen, scheint gefährlich zu sein. (Zurawski) „Die Frage ist dann: Habe ich eigentlich genug Information. Die NSA kann sie stetig mit nein beantworten und macht dann neue Sachen. Das endet natürlich nie, und dann kommen solche Sachen dabei rum. Die Frage ist, wo führt das hin und ufert so ein Misstrauen aus in die Gesellschaft. Also, werden wir untereinander misstrauisch gegenüber unserem Nachbarn, wissen wir eigentlich immer genug, also Überwachung sozusagen als Subkonstante, als so ein Unterbrummen von Gesellschaft, jeder gegen jeden, das ist eigentlich das, was mich so sehr beunruhigt daran. Nicht dass ein Geheimdienst spioniert, das machen die immer, das ist deren Aufgabe.“ SPRECHERIN: Viele von uns können entspannte Ruhe kaum noch aushalten. Mails checken, Online sein, voller Eile, nichts verpassen im weltweiten Netz, im vernetzten Fernseher, ständig umgeben von digitalen Fäden. (Zurwaski) „Es ist schwieriger geworden, sich abzuschalten, sozusagen von der Welt. Eremitentum ist fast nicht mehr möglich. Auch, weil selbst wenn ich es nicht selbst bin, jemand anderes ja für mich selbst halten kann. Das sozusagen fixiert und dann mit dieser fixierten Identität mir gegenübertritt und daraus die Konsequenzen für mich erwachsen. Obwohl meine Identität oder mein eigenes Sein viel ambivalenter, vielseitiger und so weiter ist. Das wird aber beschnitten. Und ich bin dann nur noch so eine Form: Das passt, passt nicht. Und daran hängen dann eben unter Umständen Ausschluss, Einschluss, Benachteiligung, Bevorzugung, andere Dinge.“ Zitator: (Textstelle Orwell) „Winston dreht sich aprupt um. Er hatte die ruhig-optimistische Miene aufgesetzt, die man klugerweise vor dem Teleschirm präsentierte.“ SPRECHERIN: Heute registrieren Geräte unseren Aufenthaltsort, protokollieren unser Online-Verhalten, sind technisch dazu in der Lage uns umfassend zu überwachen. Gedankenlos vertrauen wir unsere Worte, Töne, Bilder, ja sogar Meinungen den Geräten an, viel zu selten reflektieren wir darüber. (Zurawski) „Es steht ja niemand neben mir. Ich habe bis jetzt noch niemanden gehabt, der sagt, du darfst das oder das nicht. Wir haben gesehen, du machst das, und du musst jetzt was anderes machen. Ich finde, es ist durchaus schwierig zu sagen, inwiefern die Freiheiten eingeschränkt werden. Ich denke, dass der Freiheitsbegriff völlig unklar ist, der da benutzt wird. Also, was heißt Freiheit? Tun und lassen können was ich will? Die Freiheit, ein selbstbestimmtes, emanzipiertes Leben zu führen? Die Konsumfreiheit zu haben, die Freiheit zu wählen et cetera?“ SPRECHERIN: Die Freiheit zum Konsumverzicht, zum „zweckfreien Flanieren“ beispielsweise, wie es Soziologen nennen, kann zuweilen eingeschränkt sein. Damit all die Überwachung überhaupt einen Sinn macht, muss abweichendes Verhalten definiert werden. Es muss eine Norm geben, um festzustellen, was man identifizieren und womöglich verhindern will. Das kann zum Beispiel das ausdauernd bloße Spazierengehen in einem Bereich mit vielen Biergärten sein. Schon damit kann man sich verdächtig machen. Wenn vorher jemand etwa aus Angst vor Terroranschlägen definiert hat, dass eben „zweckfreies Flanieren“ hier verdächtig ist. (Zurawski) „Etwas zu schaffen, was dann in einer Situation als normal erscheinen soll. Das ist notwendig, weil wenn man das Ganze durch Big Data, Kameras und so weiter überwacht, muss man ja irgendwas haben was Norm ist, damit man auch Normabweichungen haben kann. Je besser das skizziert ist, umso schöner kann man die Normabweichung erkennen. Das engt natürlich dann ein. Dann ist das zweckfreie Flanieren vielleicht nicht vorgesehen oder der Nicht-Konsum oder das Rumhängen, wie man das bei jungen Leuten so gern nennt. Ist das eingeschränkt, dadurch? Ja, das schränkt uns ein. Weil dann können wir tatsächlich nicht mehr machen und sein in der Öffentlichkeit wie wir sind, nämlich öffentlich anonym und im Rahmen der Gesetze – also die Würde der anderen achtend – uns bewegen.“ SPRECHERIN: Je länger wir der Beobachtung ausgesetzt sind, je mehr wir uns ihrer bewusst werden, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir unser Verhalten entsprechend anpassen. Um nicht aufzufallen, um keinen Verdacht zu erregen. Voraus eilender Gehorsam. Konditionierung nennen Wissenschaftler das. Bloß nichts Falsches machen. Wer definiert, was falsch ist, hat die Macht. (Musik: Mein Herz tanzt von Mia, kurz frei stehend, dann langsam übergehend in Tippen auf Computer-Tastatur) Zitator: (Textstelle Orwell) „Es war entsetzlich gefährlich, in der Öffentlichkeit oder im Aufnahmebereich eines Teleschirms seine Gedanken schweifen zu lassen. Die geringste Kleinigkeit konnte einen verraten. Eine nervöse Gesichtszuckung, ein unbewusst-ängstlicher Blick, die Angewohnheit, vor sich hin zu murmeln – alles, was auch nur den Hauch von Abweichung oder Heimlichkeit trug. Allein schon ein ungehöriger Gesichtsausdruck (zum Beispiel, bei einer Siegesmeldung eine ungläubige Miene zu machen) war ein strafbares Delikt. Es gab sogar ein Neusprechwort dafür: Blickdel.“ ÜBERALL: Heute braucht man gar kein Blickdel definieren. Wir helfen bei der Definition selbst. In sozialen Netzwerken wie facebook. Bereitwillig schildern wir unsere Meinungen, Einstellungen, Gefühle in Worten. Ich bin glücklich, ich bin traurig: Gefällt mir! Unsere Emotionen auf der großen Bühne. Das macht sie viel leichter auszuwerten, als wenn diese Gedanken nur indirekt in Blicken zum Ausdruck kommen. Das ist eines der Themen, mit denen sich Thilo Weichert beschäftigt, staatlich verantwortlicher Datenschützer in Schleswig-Holstein. (Weichert) „Die Würde des Menschen ist unantastbar, steht im Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Das stände diametral dem entgegen, was von George Orwell in 1984 beschrieben wurde.“ SPRECHERIN: Überall sieht Thilo Weichert Teleschirme. Nicht nur in Orwell`s Roman, sondern im modernen Alltag. Facebook sammelt wie ein Tagebuch Erfahrungen und Einschätzungen. Viele öffnen ihre Gedanken für ein möglichst großes Publikum. Intelligente Fernseher protokollieren das Sehverhalten, machen Vorschläge und senden personalisierte Reklame. Die Spiele-Konsole X-Box von Microsoft will das totale Vergnügen bieten, erfasst dabei gleichzeitig per Kamera und Mikrophon den Wohnraum, in dem sie aufgestellt ist. Daten werden erfasst und per Internet an den Betreiber gesendet. Viele Möglichkeiten, die Datenschützer Thilo Weichert mit Sorge betrachtet. (Weichert) „Dann haben wir tatsächlich das Szenario, dass unsere Gedanken auch nicht mehr frei sind. Wir haben Mustererkennungsverfahren, die in der Zwischenzeit die Stimmung schon ableiten aus Gesichtsbildern, automatisiert arbeiten. Wir haben schon Verfahren, die Auswertung von dem Tippverhalten, das uns sagt, wie ich drauf bin, ob ich gerade besonders konzentriert bin, ob ich schlechter Laune bin, ob ich abgelenkt bin und ähnliches. Es gibt natürlich digitale Instrumente, um in unseren Kopf hinein zu schauen.“ SPRECHERIN: Nachdem US-amerikanische Unternehmen anscheinend gezwungen wurden, Daten an den Geheimdienst NSA zu übermitteln, wächst die Angst vor einer umfassenden technischen Überwachung auch durch Freizeit-Geräte. Technik, der wir uns völlig freiwillig ausliefern. Wir sind so frei, sie zu nutzen. Ohne daran zu denken, dass sie unsere Freiheit einschränken kann, wenn die Daten in falsche Hände geraten. Ob bei staatlichen Stellen oder bei der Wirtschaft: (Weichert) „Weil man nicht weiß, was da passiert, nicht weiß, was einem passieren kann, wenn die Daten verarbeitet werden. Also ob man dann irgendwann den Beruf nicht mehr ausüben kann, ob man verhaftet wird oder eben so a la – nicht eben nur Orwell, sondern auch Kafka – unter Umständen dann irgendwo im Behördenapparat verschwindet.“ SPRECHERIN: Man braucht keinen Computer zu nutzen, um ins Visier von Überwachung zu geraten. Man braucht einfach nur spazieren zu gehen. Unzählige Videokameras im öffentlichen Raum verfolgen uns auf Schritt und Tritt. Sie sind installiert auf Straßen und Plätzen, in Einkaufszentren und Bahnhöfen. Und täglich werden es mehr. (Weichert) „Wissend, dass ich der Videoüberwachung ausgesetzt bin, mache ich ganz bestimmte Dinge nicht. Es kann sogar sein, dass ich dann nicht mehr in der Nase pople. Obwohl das eine Freiheitsbetätigung ist, die wir nicht unbedingt ästhetisch empfinden, aber sonst niemand anders beeinträchtigt. Wenn ich im Park mit meiner Frau unterwegs bin und wir jetzt eine kuschelige Ecke suchen um uns zu küssen und ich wüsste, da ist eine Kamera, dann würde ich das eher bleiben lassen.“ Zitator: (Textstelle Orwell) „Im Allgemeinen durfte man nicht davon ausgehen, dass man auf dem Land wesentlich sicherer war als in London. Teleschirme gab es hier natürlich nicht, doch es bestand immer die Gefahr versteckter Mikrofone, mit denen Stimmen aufgenommen und vielleicht identifiziert werden konnten.“ (Weichert) „Diese Passage bei George Orwell, die hat mich sehr beeindruckt. Als ich sie gelesen habe, habe ich ein richtiges Aha-Erlebnis gehabt. Man sollte eben dort, wo man meint, nicht überwacht zu werden, nicht zu selbstsicher sein. Weil eben die Kontrolle, digitale Kontrolle von eben Unternehmen wie Behörden raffiniert ist und genau damit rechnet, dass man sich in Sicherheit wähnt.“ Zitator: (Textstelle Orwell) „In der Ferne glitt ein Helikopter zwischen den Dächern herunter, schwebte für einen Moment lauernd wie eine Schmeißfliege und schwirrte dann in einem weiten Bogen wieder ab. Es war die Polizeistreife, die an den Fenstern der Leute schnüffeln kann.“ ÜBERALL: Angst vor der Polizei. Angst vor Überwachung. Angst vor dem Staat. Eigentlich unvorstellbar, heute. Ständige Kontrolle widerspricht den Freiheiten, die das Grundgesetz uns garantiert. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon einmal eindeutig festgestellt. Aber wenn die Geheimdienste schon Alltagsspionage betreiben, wie weit ist der Weg da noch bis zum Polizei-Hubschrauber vor dem Schlafzimmerfenster? Sebastian Fiedler, stellvertretender Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter: Was hält er davon, wenn seine Kollegen in Orwell`scher Manier an den Fenstern der Leute schnüffeln würden? (Fiedler) „Ja, das wäre eine Horrorvorstellung für beide Seiten, glaube ich ehrlich gesagt (lacht). Also, so einfach ist das bei uns – naja, man muss fast sagen an dieser Stelle Gott sei Dank natürlich nicht. Entbehrt in der Gegenwart Gott sei Dank jeglicher Grundlage.“ SPRECHERIN: Und trotzdem – Überwachung ist wichtig für die Kriminalisten, sagt der Kriminalist. Ganz ohne ging es nicht, geht es nicht, und wird es auch nicht gehen. Sonst könne die Polizei ihre Aufgabe nicht wahrnehmen. (Fiedler) „Das ist grundsätzlich ein sehr wichtiges Instrument. Wobei mich der Terminus Überwachung an dieser Stelle so ein bisschen stört. Ich will nur sagen, dass es eben Kriminalitätsformen gibt wie insbesondere die der organisierten Kriminalität, man kann auch die Korruptionskriminalität als Beispiel anführen. Also all die Kriminalitätsformen, die es besonders auf Konspiration und Abschottung angelegt haben. Da sind uns ohne technische Hilfsmittel und ähnliches mehr die Hände gebunden, weil wir in diese Strukturen hinein eindringen müssen, um diese Kriminalitätsfälle entsprechend aufzuklären.“ SPRECHERIN: Selbst die umstrittenen Videokameras im öffentlichen Raum verteidigt der Polizist engagiert. Zum Beispiel in der Düsseldorfer Altstadt, wo seit Dezember 2012 jeder Winkel von polizeilichen Objektiven ausgeleuchtet wird. Immer wieder gab es vorher massenweise Rangeleien, Diebstähle. 2.300 Delikte im Jahr, davon rund 700 angezeigte Körperverletzungen. (Fiedler) „Das heißt hier Gefahren für Leib und Leben abzuwehren und mögliche Schlägereien schneller zu unterbinden als es vorher der Fall ist. Man bräuchte im anderen Fall wahrscheinlich 50 bis 100 Leute, um das gleiche zu bewerkstelligen. Aber hier eine gesonderte Diskussion: Man will Gefahren für Leib und Leben unterbinden und hat nur in zwei Fällen davon Gebrauch gemacht. Der Staat ist hier also offensichtlich sehr zurückhaltend.“ Zitator: (Textstelle Orwell) „Was glauben Sie wohl, ist das Neueste, womit sie sie ausrüsten? Hörrohre, um durchs Schlüsselloch zu lauschen! Meine Kleine brachte gestern Abend eins mit nach Hause – probierte es an unserer Wohnzimmertür aus und meinte, dass sie damit doppelt so viel hören könnte wie nur mit dem Ohr am Schlüsselloch. Ist natürlich bloß ein Spielzeug. Bringt sie aber trotzdem auf den richtigen Dreh, oder?“ (Fiedler) „(lacht) Sie merken, ich lache schon ein bisschen. Ist natürlich in unserer Welt eine einigermaßen absurde Vorstellung, insbesondere das noch als positiv darzustellen. Fügt sich aber natürlich ein in dieses Horror-Szenario, das Orwell darstellen will, und in diesen totalitären Apparat, der versuchen will, die Gedanken der Bürger entsprechend zu manipulieren. Wirkt allerdings etwas skurril und absurd in unserer Welt, in der wir uns befinden. Also, meine Tochter besitzt kein Hörrohr. (lacht)“ SPRECHERIN: Polizisten sind in Deutschland Diener des Staates. Sie haben einen Eid auf die Verfassung abgelegt. Und die schließt umfassende Überwachung aus. Ein bisschen weniger umfassend wird die Überwachung aber auch gebraucht – zumindest haben wir uns damit inzwischen abgefunden, sie adaptiert, unser Denken entsprechend konditioniert. Aber wo ist die Grenze? Ist die totale Überwachung der „feuchte Traum“ der Polizei-Verantwortlichen, wie der Soziologe Nils Zurawski meint? Nein, meint Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. (Fiedler) „Ich sage mal, derjenige der sagt, das würden sich die Kriminalisten wünschen, der irrt in gleich mehrfacher Hinsicht. Jegliche Information, die wir erheben, wird vielfach kontrolliert. Das heißt, sie wird zunächst einmal vom Staatsanwalt und vom Ermittlungsrichter, aber auch hinterher vom Gericht, das die Hauptverhandlung gegen einen Täter führt, natürlich in vielfacher Hinsicht überprüft, ob sie nach den Regeln der Strafprozessordnung erhoben ist. Nur dann können wir sie in einem Beweisverfahren in einer Hauptverhandlung gegen einen Täter überhaupt nur verwenden. Wenn alles drunter und drüber geht, dann hätten wir zudem noch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Landtag zu erwarten. Was in vielen Fällen auch geschehen ist. Das heißt, ich mache mir hier keine Sorge um die Kontrolle der Strafverfolgungsbehörden, ganz im Gegenteil.“ SPRECHERIN: Die Grenze definieren zwischen gesellschaftlich akzeptabler Überwachung in unserem demokratischen Staat und den Wünschen der Sicherheitsbehörden, das ist das Ziel von Sebastian Fiedler. Man merkt, dass er sich jedenfalls mehr Überwachung wünscht, auch wenn er den Begriff vermeidet. Die technischen Möglichkeiten müssten im Rahmen der Gesetze genutzt werden, um Straftaten zu verhindern oder aufzuklären. Wer als Bürger, als Volksvertreter dagegen ist, müsse an die Konsequenzen denken. (Fiedler) „Dann muss man entweder zur Kenntnis nehmen und das als Politiker offen aussprechen, dass wir das akzeptieren, diese Kriminalitätsformen, oder wir müssen, so wie die Täter ihre Möglichkeiten auch erweitern, insoweit nachziehen, die Möglichkeiten, die uns im Offline-Bereich zur Verfügung stehen, im Online-Bereich im Mindesten natürlich auch haben.“ (MUSIK: Mein Herz tanzt von Mia, kurz angespielt instrumental) ÜBERALL: Akzeptierte Überwachung, mehr Kontrolle, immer neue Spielarten. Da tanzt das Herz der Hersteller von Überwachungstechnik. Auch das der Hersteller von Drohnen. Selbst Spielzeug-Modelle gibt es bei Elektronik-Fachhändlern schon für ein paar Euro – und deren eingebaute Kameras liefern durchaus passable Bilder. Das geht aber auch viel professioneller: Die Firma Micro-Drones in Siegen bietet Drohnen, die hier in Handarbeit gefertigt werden. Sie sollen gut sein für die Strafverfolgung in Städten - heißt es auf der Homepage – zur Bekämpfung von Krawallen, zur Spurensicherung. ATMO Drohne steigt auf SPRECHERIN: Die kleine, unscheinbare Drohne steigt auf. Sie kann ziemlich hoch steigen. Und sie kann aus luftiger Höhe messerscharfe Bilder schießen, Videosequenzen aufnehmen, Töne einfangen. Die Europäische Union lässt bereits den umfassenden Einsatz der kleinen Fluggeräte in der Überwachung testen. Um abweichendes Verhalten zu entdecken. Verdächtige Abweichungen von der staatlich verordneten Norm. Technisch sind Drohnen viel funktionsreicher und unauffälliger als Hubschrauber, weiß Michael Thoss, Marketingleiter bei Mircodrones: (Drohnen) „Wir haben eine offene Schnittstelle. Und das bedeutet, dass wir im Prinzip in der Lage sind, jegliche Nutzlast im Rahmen der technischen Spezifikation hinsichtlich Traglast – ja? Das ist limitiert – sind wir in der Lage, diese zu integrieren. Wir haben eine offene Schnittstelle, das stellt dann erst mal gar kein Problem dar.“ SPRECHERIN: So manche Polizeibehörde in Deutschland setzt bereits auf die unbemannten Flugkörper, die unauffällige Überwachung ermöglichen. Oder auffällige, je nachdem für welchen Zweck sie eingesetzt werden. (Drohnen) „In Dresden wird die MD 4 eintausend eingesetzt für Monitoring-Zwecke. Es wird überwacht, wer sich auffällig im Publikum verhält. Insbesondere wird da eben ein Augenmerk auf die Hooligans, auf die bekannten Hooligans gelegt. So dass der Vater dann eben mit seinem Sohn ganz entspannt aus dem Fußballstadion raus marschieren kann, sozusagen. Und nicht Angst haben muss, dass jetzt sein Sohn oder er durch gewalttätige Hooligans irgendwo angegriffen wird. Und das bewährt sich. Die Sachsener Polizei hat da wirklich hervorragende Ergebnisse mittlerweile. Und sie sagen, seitdem das System schwebt und selbst ob die Kamera an ist oder nicht, sieht man ja nicht, – sind die ruhig und werden quasi sämtliche Aktivitäten in den Wald verlegt, hätte ich beinahe gesagt.“ SPRECHERIN: Exportiert werden die Drohnen aus Siegen nach Auskunft des Marketing-Chefs auch nach China und Russland. Die Einsatz-Szenarien dürften da etwas anders sein als in Deutschland. Ein ganz großer Markt seien auch die USA. (Drohnen) „Also, unsere Systeme können technisch sehr, sehr viel. Dürfen aber nicht so viel (kurzes Lachen). Um das einfach mal so zu beschreiben.“ Zitator: (Textstelle Orwell) „Er dachte an den Teleschirm mit seinem immer offenen Ohr. Sie konnten einen Tag und Nacht bespitzeln, aber wenn man den Kopf behielt, konnte man sie überlisten. Bei all ihrer Gerissenheit hatten sie doch nie das Problem gelöst, wie man herausfand, was ein anderer dachte.“ Atmo Cryptoparty ÜBERALL: Sich vermummen, Sonnenbrillen tragen, unkenntlich machen für Überwacher. Immer mehr – vor allem junge – Menschen versuchen, diesen Weg zu gehen. Zum Beispiel bei einer so genannten Crytpo-Party in Köln. Hier lernen die Besucher, ihre E-Mails zu verschlüsseln, damit sie nicht mehr so einfach ausspioniert werden können. (Crypto) „Wie Sie sich wehren können. Dass Sie eben nicht einer von den 80 Millionen sind, die abgehört werden können, die durchleuchtet wehren können. Das findet hier statt. Hier findet digitale Selbstverteidigung statt. So lange der Gesetzgeber uns das nicht zugesteht, müssen wir das selber in die Hand nehmen.“ SPRECHERIN: „1984“ haben hier alle gelesen. Der Autor hat sie mit seinen Visionen ideologisch geprägt. (Crypto) „Ja, ich finde der ist weit überholt. Und die Möglichkeiten sind weit größer. Da alles digital stattfindet, ist eine Überwachung wie sie bei George Orwell stattfand durch vorhandene Menschen gar nicht mehr notwendig. Es werden… Maschinen überwachen uns. Es geht viel, viel weiter als damals 1984 bei George Orwell.“ Zitator: (Textstelle Orwell) „Eigentlich war er es gar nicht mehr gewöhnt, mit der Hand zu schreiben. Abgesehen von ganz kurzen Notizen war es üblich, alles in den Sprechschreiber zu diktieren, der für sein gegenwärtiges Vorhaben natürlich nicht in Frage kam.“ SPRECHERIN: Die Besucher der Crypto-Parties sind es auch nicht mehr gewöhnt, mit der Hand zu schreiben. Sie kommunizieren digital. Und sie meinen, viel mehr Internet-Benutzer sollten ihre Mails verschlüsseln. Natürlich wissen sie, dass auch diese Systeme geknackt werden können. Aber man macht es möglichen Überwachern mit der Kryptographie wenigstens schwieriger. Überhaupt ist man zurückhaltender geworden, im Umgang mit moderner Technik, die viele hier für unsicher halten: (Crypto) (Voxpop) „‘Ich bin insgesamt vorsichtiger geworden. Und bin auch am überlegen, ob ich eventuell sogar mein Handy verkaufe, weil ja doch so viele Daten da weiter gegeben werden, dass man wirklich eigentlich gläserner Bürger geworden ist.‘ // ‚ Ich habe keine Kreditkarte, im Alltag benutze ich nur Bargeld.‘ // ‚ Ich bin schon immer relativ vorsichtig gewesen. Und habe immer schon gewusst, dass es prinzipiell eben Angriffe geben kann. Ich bin sehr geschockt von dem Umfang, den das genommen hat.‘“ Zitator: (Textstelle Orwell) „Auf jeden Fall aber wirkte er wie ein Mensch, mit dem sich reden ließe, wenn man es irgendwie schafft, den Teleschirm auszutricksen und ihn allein zu erwischen. Winston hatte nie den geringsten Versuch unternommen, seine Vermutung bestätigt zu finden: es war praktisch auch unausführbar.“ ÜBERALL: Die Suche nach Verbündeten gegen die Überwachung bei George Orwell. Viele Teilnehmer einer Großdemonstration in der Bundeshauptstadt sind davon offenbar inspiriert. Am Alexanderplatz in Berlin werden Plakate mit dem Gesicht von George Orwell hoch gehalten. Kai-Uwe Steffens hat die Demonstration mit organisiert. Atmo Demo SPRECHERIN: Er steht etwas nervös neben der Bühne. Gleich ist sein Auftritt. Eine Rede vor mehreren Tausend Menschen. Kai-Uwe Steffens engagiert sich im bundesweiten Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung. Er hat bereits eine Petition in den Bundestag eingebracht. Er klärt auf und organisiert Protest. Auch er kennt „1984“. Auch er glaubt, die Realität habe die damalige Vision längst eingeholt: (Steffens) „Vielleicht sogar an einigen Stellen sogar einige Schritte weiter. Weil Orwell natürlich, was diese vernetzte Welt angeht, noch nicht die Vorstellung hatte davon, was wie gesagt die zivile Nutzung angeht, über soziale Medien, über das Internet, das gab es dort ja in der Form nicht. Und die Auswirkungen dieser Technologien haben einen ebenso großen Einfluss auf die Freiheit, also auf die Einschränkung der Freiheit, wie diese Werkzeuge, die es bei Orwell gab eben auch. Vielleicht sogar größer. Alles in allem muss man sagen, die Technologie ist sogar einen Schritt weiter als bei ihm.“ SPRECHERIN: Im Internet ist Kai-Uwe Steffens nach eigenen Angaben nur noch äußerst vorsichtig unterwegs. Einen facebook-Account hat er nicht, aus grundsätzlichen Erwägungen. Aus Angst vor subtiler Überwachung. Vor dem Ausspionieren, ohne dass man es selbst bemerkt. Durch den Staat, durch Unternehmen, durch Privatleute. (Steffens) „Durch die Gesamtheit der Informationen, wenn ich mir vorstelle, ich mache mir wirklich die Arbeit zu einer bestimmten Person alle Informationen, die verfügbar sind, ob nun durch legale oder illegale Methoden, zu analysieren, auszuwerten, dann bekomme ich ein sehr, sehr, sehr genaues Profil von dieser Person und kann auch Prognosen abgeben, wie sich diese Person bei bestimmten Situationen verhalten wird.“ SPRECHERIN: Überwachung sei auf so vielfältige Weise technisch machbar, dass man sich ihr manchmal gar nicht mehr entziehen könne, meint Kai-Uwe Steffens. Das sei das Ende der bürgerlichen Freiheiten. (Steffens) „Wer in einem Flughafen oder in einem Bahnhof sich auffällig verhält oder weiß, dass auffälliges Verhalten registriert wird, allein dadurch, dass man dieses Wissen hat, wird man schon vermuten, nicht aufzufallen. Das heißt, man wird sich bewusst anders verhalten, um diesen Überwachungs-Schemata, um nicht in irgendein Raster einzufallen, um dem auszuweichen. An dieser Stelle sind wir eben auch, dass Datensammlungen schon im Vorfeld so ein unbewusstes Gefühl des Beobachtet-Seins, so hat es das Verfassungsgericht formuliert, was schon die Grundrechte, die Freiheit der Entfaltung der Persönlichkeit einschränkt. Und zwar in unzulässiger Weise unserer Meinung nach. / Das heißt, alleine durch die Präsenz, dadurch dass es Überwachung gibt, beeinflusse ich die Leute schon so weit, dass sie sich nicht mehr frei entfalten. Und das darf es nicht sein.“ SPRECHERIN: Ist das nicht alles übertrieben? Muss man heute wirklich Angst haben vor den neuen Techniken, die zwar an Orwell erinnern, die von ihm gezeichnete, totalitäre Gesellschaft aber zumindest in Deutschland nicht zu befürchten ist? (Steffens) „Paranoia, wenn wie entsteht, dadurch, dass man plötzlich sich vergegenwärtigt, dass man etwas Gefährliches hat, dass man überwacht wird oder so… ist irgendwo doch ein gesundes Gefühl, weil das nämlich dann auf die lange Sicht bei jedem einzelnen von uns eine Veränderung hervorrufen sollte, dass man vorsichtiger wird an der Stelle. Und sich nicht alles gefallen lässt.“ ATMO Demonstration ÜBERALL: „Freiheit statt Angst“ war das Motto der Berliner Demonstration, unter dem gleichen Titel finden landauf, landab immer ähnliche Kundgebungen statt. Das wäre in dem Staat, den George Orwell vor 65 Jahren in seinem Roman „1984“ ersonnen hat, nicht möglich gewesen. In unserer Demokratie kann man über Technik und Techniken der Überwachung diskutieren. Und das müssen wir das auch. SPRECHERIN VOM DIENST: Big Brother is watching und drei Millionen gefällt das Ein Feature von Frank Überall Es sprachen: Der Autor. Rosario Bohner und Marina Behnke Ton: Thomas Monnerjahn Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Martin Hartwig Sie können die Sendung nachhören und nachlesen unter www.dradio.de Nächste Woche in den Zeitfragen: Schwierige Partner. Deutschland und seine befreundeten Machthaber 1