Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, !6. Juli 2016 - 11.05 - 12.00 Uhr KW 28 Die Mallorca-Migranten: Das Insel-Leben der ausländischen Dauerbewohner Mit Reportagen von Christoph Sterz Moderation und Redaktion: Simonetta Dibbern Musikauswahl und Regie: Simonetta Dibbern Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - "Wer von uns hätte nicht diesen egoistischen Traum gehabt, eines schönen Tages alles stehen und liegen zu lassen, um auf irgendeiner verzauberten Inseln ein sorgloses Leben zu führen, ohne Verpflichtungen und vor allem ohne Zeitungen?" Mitte des 19.Jahrhunderts war Mallorca ein exotischer Sehnsuchtsort für Abenteuerlustige. Heute können sich Deutsche und Briten auf der Baleareninsel niederlassen - ohne verzichten zu müssen, auf Gewohnheiten, Freunde und, ja, sogar Zeitungen. "Mallorca macht's einfach, man kann hier theoretisch komplett in einer Parallelgesellschaft leben. Man hat hier deutsche Medien, man hat hier deutsche Geschäfte, man kann hier komplett ohne Spanischkenntnisse leben, aber die Frage ist ja, will man das?" "Wir sind bekannt dafür, dass wir jeden Freitag Fish and Chips anbieten, und unser Roastbeef, das ist auch sehr beliebt. Deswegen kommen am Wochenende Leute aus den verschiedensten Gegenden zu uns." Gesichter Europas: Die Mallorca-Migranten. Das Insel-Leben der ausländischen Dauerbewohner. Eine Sendung mit Reportagen von Christoph Sterz. Am Mikrophon begrüßt Sie Simonetta Dibbern. 300 Sonnentage im Jahr. Billige Flüge. Mediterranes Flair und Essen wie zuhause. Mallorca, die größte Insel der Balearen, ist für viele Nordeuropäer ein erreichbares Traumziel. Die britische Times hat die Inselhauptstadt Palma im vergangenen Jahr zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt. Und nicht nur Engländer, auch Deutsche bescheren Mallorca Jahr für Jahr einen Touristenrekord. 9 Millionen Gäste wurden 2015 gezählt - und so mancher Mallorcareisende erfüllt sich den Traum vom Urlaub für immer und zieht um: inzwischen liegt der Ausländeranteil bei beinahe 20 Prozent. Dauerbewohner - oder Resident - ist, wer mehr als 183 Tage pro Jahr auf der Insel lebt. Also offiziell gemeldet ist und entsprechend Steuern zahlt. Dazu kommen Schätzungen zufolge nocheinmal so viele, die kamen und einfach blieben. So wie die Einwanderer aus Marokko, aus Ecuador und Kolumbien auf der Suche nach Arbeit. Und Nordeuropäer auf der Suche nach Freiheit und einem möglichst unbeschwerten Leben. Manche von ihnen hatten nichts zu verlieren: etwa 2000 deutsche Obdachlose sollen auf Mallorca leben. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn die Menschen ohne Bleibe sind in den Statistiken ebenso unsichtbar wie auf den Straßen von Palma. Wer sich am Getränkeautomaten im Parc de la Mar eine Cola zieht, der sieht Klaus nicht. Obwohl er meistens direkt hinter dem Automaten sitzt, an einem schwarzen Café-Tisch, in der Guinness-Bar gegenüber der Kathedrale von Palma de Mallorca. Klaus, Mitte 50, hat eigentlich einen ganz anderen Namen. Den will er aber nicht im Radio hören. Davon abgesehen redet er ganz offen, duzt und möchte geduzt werden, erzählt ausführlich von seinem Leben auf Mallorca. Seit anderthalb Jahren lebt er hier, von Anfang an als Obdachloser. In Deutschland war er nie ohne Wohnung, aber zurück in sein deutsches Hartz-IV-Leben möchte er trotzdem nicht mehr. "Ich habe die letzten Jahre von 60 Euro im Monat für Essen,Trinken und Rauchen gelebt. Und dann kam mein Vermieter auf die Idee, mir die Miete mal um 40 Euro zu erhöhen. Dann hätte ich noch 20 Euro gehabt im Monat. Und da habe ich gesagt, die kriege ich auch durch Betteln auf Mallorca zusammen." In seinem neuen Leben bestellt Klaus sogar manchmal einen Kaffee, oder wenn das Betteln gut gelaufen ist, auch mal ein Bier, in seiner dunklen Café-Ecke. Klaus sitzt oft dort, stundenlang, unterhält sich mit den Kellnerinnen, surft im Internet, spielt auf seinem Smartphone - oder er bekommt Besuch und erzählt dann zum Beispiel, wie er überhaupt nach Mallorca gekommen ist. "Ich hatte nur 115 Euro in der Tasche, mehr hatte ich nicht und bin auf den Flughafen und die erste Linie, die ich buchen wollte, hat man mir im Reisebüro gesagt, ja, die Billigtickets, die gibt's nur über das Internet. Nicht bei uns. Und den Flug konnte ich mir natürlich nicht leisten und da sind ja mehrere Reisebüros, dann bin ich mal so rum. Und dann hat eine gesagt: Ja, ich hätte da einen Flug für 103 Euro, aber der geht erst in drei Tagen. Also das hieß, ich hab den Flug natürlich genommen, ich musste mich dann drei Tage in Köln am Flughafen rumtreiben, bis dass ich dann fliegen konnte. Ja, und dann ging's los." Heimweh nach Deutschland hatte Klaus seitdem nicht mehr, er hat sich eingelebt; und sogar einen Begleiter gefunden: Ben, ein französischer Schäferhund, dem Klaus das Leben gerettet hat. Wenn Klaus in seinem Café sitzt, dann döst Ben meist auf dem Boden vor sich hin, ist aber sofort hellwach, sobald sein Herrchen an den großen Rucksack geht. Denn für seinen Hund hat Klaus immer genug Futter, selbst wenn beim Betteln mal nicht so viel zusammen gekommen ist. "Im Winter ist es ein bisschen knapp mit dem Geld, weil kaum Touristen da sind. Aber sonst im Sommer: Ich habe zu rauchen, zu essen, ich habe Futter für meinen Hund. Ich bin ja eigentlich, seitdem ich hier bin, bin ich das erste Mal richtig frei. Bin ich vorher nicht gewesen. Ist eigentlich ganz gut, ist prima hier." Das heißt aber nicht, dass immer alles gut läuft, dass Klaus und die anderen Obdachlosen auf Mallorca ein sorgenfreies Leben führen. Denn auch hier fallen die Temperaturen im Winter manchmal unter den Gefrierpunkt, vor den Suppenküchen gibt es lange Schlangen; wenige leben freiwillig auf der Straße so wie Klaus. Er rasiert sich regelmäßig und wäscht sich im Meer. Aber der 56-Jährige sieht abgekämpft aus und müde. Und es kostet ihn viel Kraft, mehrmals am Tag den schweren Trekkingrucksack zu schultern. Das muss aber sein, trotz seines kaputten Rückens - weil Hund Ben Auslauf braucht. "Der freut sich immer, wenn schönes Wetter ist, wenn man viel gehen kann. Wenn ich natürlich den Rucksack nicht dabei habe, dann können wir uns viel mehr bewegen." Christoph Sterz: "Und das hier ist Euer Revier sozusagen?" Klaus: "Ja. Ist mein Park. Wenn ich hier im Sommer abends auf der Bank liege und einschlafe, dann als letzten Anblick vor Einschlafen die Kathedrale, denn die ist ja abends beleuchtet - einfach toll." Ben findet die Aussicht nicht so spektakulär, ohne Leine würde er jetzt vermutlich lossprinten... "Jetzt zieh nicht so, dann hängt auch die Krawatte nicht raus.." Aber Klaus behält die Kontrolle über Ben - und er hat wieder die Kontrolle über sich selbst; fühlt sich nicht mehr fremdbestimmt wie in seinem Hartz-IV-Leben in Deutschland, wo er zwar nie obdachlos war, aber sich dafür auch nie so frei wie jetzt gefühlt hat. Klaus will deshalb auf Mallorca bleiben; auch weil er in Deutschland nicht das bekommen würde, was er auf der Insel hat: einen sonnigen Stammplatz. "Das hier ist im Sommer meine Bank." "Die hier?" "Ja. Ich war vorher immer auf der dritten Bank, nur leider ist hier so eine Sprenkleranlage, die mitten in der Nacht los geht und ich bekomme dann immer so ein bisschen ab von dem Wasser. Das Wasser ist nicht schlimm im Sommer. Aber man wird dann jedes Mal wach. Und deswegen habe ich die Bank gewechselt. Jetzt ist es Bank Nummer vier." "Hast du denn eigentlich irgendwann in irgendeinem Moment mal gedacht, was mache ich denn hier eigentlich? "Nein, im Gegenteil. Ich freue mich, dass ich hier bin. Ich habe mich nur geärgert, ich hätte schon viel früher hierhin kommen müssen." "Du bist glücklich hier.""Ja, ich bin auf jeden Fall glücklich hier. Und ich will auch hier nicht mehr weg." Die Wirtschaftskrise hat nicht nur das spanische Festland erfasst - auch die Inseln haben unter den Folgen zu leiden. Nach Angaben der Caritas sind an die 300.000 Mallorquiner von Armut bedroht - mehr als ein Drittel der Bevölkerung kann die laufenden Lebenshaltungskosten kaum bezahlen, heißt es in dem jüngsten Bericht. Nicht zuletzt wegen der steigenden Mieten, etwa in der Hauptstadt Palma. Mit Nahrungsmittelspenden und Suppenküchen werden die Ärmsten versorgt. Doch nur wer sich abseits touristischer Pfade bewegt, also jenseits der schönen Strände und der komfortablen Bettenburgen, wird davon etwas wahrnehmen. Die französische Schriftstellerin George Sand war geradezu entsetzt über den ärmlichen Lebensstandard der bäuerlichen Bevölkerung. 1838 verbrachte sie - zusammen mit ihrer Tochter und ihrem lungenkranken Lebensgefährten Frederic Chopin - einige Monate auf der Baleareninsel. Ihr "Winter auf Mallorca" war aus vielerlei Gründen ein einziges Desaster - dennoch ist ihr literarischer Bericht auch eine Liebeserklärung, weniger an die Menschen allerdings, als an die Schönheit der Natur. Diese Insel ist die größte und die fruchtbarste des Balearen-Archipels, Zeugin eines Kontinents, der Überbleibsel eines vom Mittelmeer überfluteten Festlands sein muss und der, da er wahrscheinlich Spanien und Afrika verbunden hatte, Klima und Bodenerzeugnisse der beiden hat. Mallorca liegt 25 Meilen südöstlich von Barcelona und 45 vom nächsten Punkt der afrikanischen Küste. Trotz ihrer Stürme und Härten ist Mallorca, von den Alten mit Recht die goldene Insel genannt, höchst fruchtbar und seine Produkte sind von ausgezeichneter Qualität. Reisende pflegen die Glückseligkeit der Südländer im Munde zu führen, deren malerische Gestalten und Trachten ihnen des Sonntags im Sonnenlicht erscheinen und deren Ideenlosigkeit und Mangel an Voraussicht sie für die ideale Gelassenheit des Landlebens halten. Es ist dies ein Irrtum, von dem ich mich aber gründlich befreit habe, besonders seit ich Mallorca sah. Wer auf der Insel bleiben möchte und über entsprechende finanzielle Mittel verfügt, kann seinen Erst- oder Zweitwohnsitz auf Mallorca anmelden. Seit 2005 können EU- Bürger nach dem sogenannten Freizügigkeitsgesetz ihren Aufenthaltsort innerhalb der Europäischen Union frei wählen, sie dürfen arbeiten oder sich selbständig machen. Wer nicht oder nicht mehr erwerbstätig ist, wenn er einen Wohnsitz anmelden, der über ausreichende Existenzmittel und über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügt und dies auch belegen kann. Die Suche nach einer passenden Unterkunft oder nach einer Immobilie ist für begüterte Mallorca-Migranten ebenfalls keine große Hürde - dank der zahlreichen deutsch- und englischsprachigen Makler und Notare auf der Insel. In vielen Bereichen des alltäglichen Lebens kommen Ausländer gut zurecht, ohne ein einziges Wort Spanisch oder gar mallorquinisches Katalanisch zu sprechen. Da diese beiden Sprachen jedoch nach wie vor auch auf Mallorca die Amtssprachen sind, muss sich, wer sich offiziell auf der Insel niederlassen will, bei den Behördengängen professionelle Unterstützung suchen. Die beginnt dann nicht erst in der Amtsstube, sondern in der langen Schlange vor dem Ausländeramt in Palma. "Hay que hacer cola. Porque esperamos a las ocho y cuarto y por eso hay que hacer cola." Doris Kirch, dicker Lippenstift, rote Brille, lange schwarze Haare, verteidigt ihren Platz vor dem Ausländeramt. "Da muss man sich schon mal ein bissel beschweren, wir sind ja nun um kurz vor halb hier gewesen, und einige kommen dann ganz spät, und die wollen dann ganz nach vorne in die Reihe, und das geht natürlich nicht. Und da muss man sich dann auch schon mal so ein bisschen bemerkbar machen. Die öffnen hier um neun, und so gegen halb neun sind wir schon meistens hier." Doris Kirch hat eine dicke Mappe in der Hand; mit Anträgen für die Número de Identidad de Extranjero, kurz NIE. Für diese Nummer stellt sich Doris Kirch einmal pro Woche vor das Ausländeramt. Für ihre Kunden besorgt sie alle nötigen Termine, kümmert sich um den Papierkram, weiß, für welches Formular man an welchen Schalter gehen muss. Ihr Geschäftsmodell basiert darauf, dass, wer auf Mallorca leben will, um diese Nummer nicht herum kommt. "Das ist ein Problem, wenn man hier herkommt und dann arbeiten möchte. Weil ohne die NIE-Nummer darf man hier nicht arbeiten. Die meisten Banken wollen die haben, die meisten Vermieter verlangen eine NIE-Nummer, zum Arbeiten sowieso, Handyvertrag, wenn du zuhause Internet anmelden möchtest. Also das ist der erste Schritt hier wirklich. Der Gang zum Ausländeramt. Martin, ein Frührentner aus Norddeutschland, ist auch schon früh da, deutlich vor neun Uhr, so wie Doris Kirch ihm das empfohlen hat. Jetzt steht er brav eingereiht hinter ihr in der Schlange, die sich inzwischen schon bis weit nach hinten zieht; mit Dutzenden Menschen, die so wie Martin in die Ausländerbehörde wollen. Martin wartet dort in seiner Fleecejacke mit dem riesigen Wolfs-Aufdruck auf dem Rücken... "...weil ich vorhabe, Zugvogel zu machen. Das heißt sechs Monate Deutschland, sechs Monate Spanien. Weiß zwar noch nicht wie genau, aber ich bereite das jetzt so vor in diesem Jahr. Mit der NIE-Nummer und überhaupt, Bankkonto eröffnen, und das ist so der Vorspann. Und dann mal gucken, weil ich hab gesagt, ab 55 bin ich Zugvogel. Jetzt bin ich 54. Also nächstes Jahr." Bis dahin will Martin auch ein bisschen Spanisch lernen, denn noch versteht er kein Wort. Das größte Hindernis beim Einwandern - und der Grund, warum er Doris Kirch beauftragt hat, mit ihm zur Ausländerbehörde zu gehen. Um punkt neun Uhr schieben zwei Mitarbeiter das Tor zur Seite; Doris Kirch und Martin verschwinden als Erste im Gebäude. Während Doris Kirch alles mit der Sachbearbeiterin auf Spanisch regelt, muss Martin abschließend nur noch die Dokumente unterschreiben, die für ihn vorbereitet wurden und den Beleg abgeben, dass er die Bearbeitungsgebühr bezahlt hat - ebenfalls organisiert von Doris Kirch. Nach ungefähr einer Stunde ist es dann geschafft: "Herzlichen Glückwunsch." "Das ist wie so ne Urkunde." "Die Lizenz um hier anfangen zu dürfen, ja so ein bisschen ist es schon. Gut, ihr Lieben, tschüss, machts gut." "Viel Glück, ne?" Die anderen Kunden von Doris Kirch verabschieden sich, aber Martin bleibt noch, er hat Doris Kirch gebucht für einen weiteren Service: für den Gang zur Bank und zum Handykarten-Kauf. Rein geht es in ein gesichtsloses, großes Einkaufszentrum. Doris Kirch steuert direkt auf einen Handyladen zu, um dort spanische Sim-Karten zu kaufen, während Martin ihr geradezu ergeben hinterherläuft. Währenddessen erzählt sie, dass sie 2002 etwas gemacht hat, wovon sie ihren heutigen Kunden explizit abrät: Sie ist ohne konkreten Plan, ohne Job nach Mallorca gekommen. Trotzdem war sie sich immer sicher, dass das schon irgendwie klappt mit dem Leben auf der Insel. "Ich hatte keine Bedenken, dass es funktionieren würde, weil ich den Vorteil hatte und habe, dass ich einige Sprachen spreche. Als ich herkam, war es schwierig für mich, Arbeit zu finden, ich habe auch keine gefunden, weil ich im Juni herkam. Und ich habe mich in jedem Hotel an der Playa de Palma beworben als Rezeptionistin, aber alle Jobs waren vergeben. Also habe ich mich selbständig gemacht mit Sprachunterricht und habe dann halt gemerkt, okay, das läuft langsam an, das funktioniert, und das mache ich bis heute, zusätzlich zu der Begleitung bei Behördengängen." Und Doris Kirch hat eine Facebook-Gruppe, "Auswandern nach Mallorca", mit über 6000 Mitgliedern. Noch so eine Möglichkeit, sich vor der Auswanderung zu informieren, sich abzusichern, dass das etwas für einen sein könnte. Martin hat das auch so gemacht, und zwar im großen Stil. "Ich bin so in 60 Gruppen ungefähr. Auswandern, Aussteigen, Gestrandet auf Mallorca, Mallorca-Gruppe, Rentner auf Mallorca, die ganzen Gruppen. Und da lernst du unwahrscheinlich viele Leute kennen. Und du kriegst viele Informationen, ob jetzt Krankenkasse oder Auto ummelden, ganz große Geschichte mit Führerschein ummelden. Viele sehen das nicht ein, wenn du aus Deutschland kommst, dass du einen spanischen Führerschein brauchst. Ne, und dann musst du den ummelden und und und und." In einem Imbiss gegenüber vom Einkaufszentrum; ein Inder mit Döner-Spieß, Fußball auf dem Flachbildschirm und einem großem Foto vom Taj Mahal an der Wand. Doris Kirch hat es für heute geschafft mit dem Helfen beim Einwandern. Zur Belohnung gibt's Falafel und Döner; Essen, das genau so auch in Deutschland zu haben wäre. Aber trotzdem, darauf legt Doris Kirch großen Wert: Auch wenn es hier viele Dinge gibt, die einen an die eigene Heimat erinnern: Das hier ist Mallorca und nicht Malle - das hier ist Spanien und kein 17. Bundesland. "Viele kommen hierher und denken, ja, hier spricht jeder Deutsch, spätestens wenn du zu einer Behörde musst, ich meine, wir haben es ja heute morgen gesehen, da redet kein Mensch Deutsch. Und ich finde auch, es ist wie in anderen Ländern auch ne Respektsbezeugung, einfach die Landessprache zu lernen. Also ich würde es hassen, nur in einer deutschen Community leben zu müssen. Es ist ja schon irgendwo, Mallorca macht's einfach, man kann hier theoretisch komplett in einer Parallelgesellschaft leben. Man hat hier deutsche Medien, man hat hier deutsches Fernsehen bekommt man hier über Satellit, man hat hier deutsche Geschäfte, man kann hier komplett ohne Spanischkenntnisse leben, aber die Frage ist ja, will man das?" Da er sich weder auf Rindermast noch auf Wollverarbeitung, noch auf das Melken von Kühen versteht (der Mallorquiner verabscheut Milch und Butter ebenso wie er die Industrie verachtet); da er keine Pferde besitzt (Spanien bemächtigt sich mütterlich aller Fohlen Mallorcas für sein Heer, und der friedliche Mallorquiner ist deshalb nicht so dumm zu arbeiten, nur um die Kavallerie des Königreichs zu versorgen); da er es nicht für notwendig hält, auf seiner ganzen Insel auch nur eine einzige Straße, einen einzigen Pfad instand zu halten, zumal Exportgenehmigungen den Launen einer Regierung ausgesetzt sind, die keine Zeit hat, sich um solche Kleinigkeiten zu kümmern, vegetierte der Mallorquiner dahin und hatte nichts anderes mehr zu tun als seinen Rosenkranz abzubeten und seine Kniehosen zu flicken, die in einem schlechteren Zustand waren als die des Don Quijote, seines Schutzheiligen in Armut und Stolz, als das Schwein kam und alles rettete. Der Export dieses Vierbeiners wurde erlaubt, und die neue Ära, die Ära des Heils, nahm ihren Anfang. Jetzt liegen Olive und Johannisbrot nicht mehr den Boden, die Kaktusfeige dient den Kindern nicht mehr als Spielzeug und die Familienmütter lernen, mit Saubohne und Süßkartoffel sparsam umzugehen. Die Behausungen sind erweitert und gelüftet, die Früchte, die bisher auf dem Boden verfaulten, sind eingesammelt, aussortiert und konserviert, und die bisher für überflüssig und unrentabel gehaltene Dampfschiffverbindung von der Insel zum Festland ist eingerichtet worden. Den Schweinen also verdanke ich, dass ich die Insel Mallorca besuchen konnte; denn hätte ich drei Jahre früher hinfahren wollen, so hätte mich die lange und gefährliche Reise auf den Küstenschiffen zum Verzicht bewogen. Doch seit die Schweine ausgeführt werden, hat der Einzug der Zivilisation begonnen. Zur Ferieninsel entwickelte Mallorca sich erst Mitte des 20. Jahrhunderts. Bereits 1903 wurde zwar das erste Hotel in Palma gebaut, 1905 der mallorquinische Fremdenverkehrsverband gegründet, doch erst der Coup des Frankfurter Unternehmers Josef Neckermann, Erfinder der Pauschalreise, brachte die Massen aus dem Wirtschaftswunderland Deutschland in das damals noch arme und faschistisch geführte Spanien. Der Diktator Franco begrüßte den touristischen Aufschwung - und so stand dem Ansturm der Sonnensucher nichts im Wege. Der frühere Militärflughafen wurde ausgebaut - mit zwei Start- und Landebahnen, Nachtflugerlaubnis und insgesamt 204 Abfertigungsschaltern. Knapp 24 Millionen Passagiere wurden im vergangenen Jahr gezählt, etwa die Hälfte von ihnen waren Urlauber, in diesem Jahr sollen es noch mehr werden. Die Tourismusindustrie, so sagen manche spanische Ökonomen, könnte für das krisengeschüttelte Land zur Lokomotive der wirtschaftlichen Erholung werden. Die links orientierte Regierung der Balearen will nun mit einer neuen Tourismus-Steuer ganz direkt von den steigenden Besucherzahlen profitieren: durchschnittlich ein Euro pro Person und Übernachtung ist seit dem 1. Juli 2016 obligatorisch, mit dem Geld sollen die Infrastruktur ausgebaut, die Müllentsorgung verbessert und die Natur besser geschützt werden. Viele Hoteliers haben sich gegen die Ecotaxa gewehrt. Anderen geht das ökologische Umdenken noch lange nicht weit genug. Nicht nur 50 Jahre Massentourismus haben ihre Spuren hinterlassen - auch die reichen Teilzeit- Mallorquiner konnten ihrer Baulust bisher fast unbehelligt nachgehen. Vor allem an der Küste. Und fast immer in Beton. Einen traumhaften, freien Hangblick aufs Meer hat sich der orangefarbene Bagger da ausgesucht, in Cala Llamp, an der Westküste von Mallorca. Nebenan stehen schon Häuser mit hohen Zäunen und großen Pools - und das wird wohl auch dieser Baulücke bald blühen. "Gym, Sauna, das sind alles so Luxusappartments. Also das wird auf jeden Fall für Ausländer gebaut. Das wird sich sicher auch gut verkaufen lassen, weil der ausländische Immobilienmarkt nach wie vor boomt. Weil man Angst hat, dass der Euro zusammenbricht, und dann tut man jetzt noch schnell in Immobilien investieren, damit man was Handfestes in der Hand hat." Dagegen machen kann Gerald Hau aber nichts. Auch wenn ihm nicht gefällt, dass die Insel immer weiter zugebaut wird, seit er hier wohnt, also seit ungefähr 15 Jahren, in einer kleinen Wohnung in Palma. Der bullige Schwabe ist der internationale Sprecher der Umweltorganisation GOB, dem balearischen Verein für Vogelkunde und Naturschutz. Hau ist seit vielen Jahren als Umweltschützer aktiv, hat sich schon für Schildkröten auf griechischen Inseln eingesetzt, für die Mittelmeer- Mönchsrobbe - und nun für die gefährdeten Tier- und Pflanzenarten auf den Balearen, für den Rotmilan zum Beispiel und den Mönchsgeier, oder für seltene Pflanzen wie die Balearen-Pfingstrose und die Zwergpalme. Bedroht werden all diese Arten vom anhaltenden Bauboom auf Mallorca. Aber gegen ganz legal errichtete Häuser können Gerald Hau und seine Mitstreiter nichts machen; und so bleibt ihm an dieser Stelle nur der Griff zur Kamera. "Ich mache die Fotos zur Dokumentation, also um aufzuzeigen, wie sich das Landschaftsbild verändert. Ich glaube, vor etwa 30 Jahren gab es hier kaum Häuser, das hat sich dann innerhalb der letzten 30 Jahre ganz brutal verändert. Man sieht ja jetzt hier überall die Häuser, die hier in den Fels geschlagen werden. Das ist aber alles legal. Das sind keine illegalen Bautätigkeiten. Dass deutlich weniger illegal gebaut wird als noch vor einigen Jahren, das liegt vor allem an Hau und seinen GOB-Kollegen. Sie haben dafür gesorgt, dass der Flächennutzungsplan eingehalten wird, dass kein Naturschutzgebiet mehr verschwindet, dass Korruption keine Chance mehr hat, dass Schmiergeld keine Häuser mehr baut. "Wir sind jetzt hier in Andratx, und wir sehen jetzt hier diese illegalen Gebäude, die in einem Landschaftsschutzgebiet errichtet wurden. Und zwar wurde hier eine illegale Baugenehmigung erteilt durch den früheren Bürgermeister. Die Häuser sind gedacht gewesen für Residenten, also man wollte die dann auf dem Wohnungsmarkt verkaufen, also beispielsweise auch an deutsche Residenten. Das geht jetzt aber leider nicht. Man sieht ja, die stehen leer, also wir vom GOB haben das angezeigt und dann wurde der Bau gestoppt." Jetzt warten die pastellfarbenen Häuser auf ihren Abriss und wuchern solange zu. 20 Häuser mit fast 100 Wohnungen im Rohbau; ohne Fenster, aber dafür mit Fahrstuhl, der im Erdgeschoss vor sich hinrostet. Gerald Hau, Ende 40, Glatze und Dreitagebart, läuft die Treppen hoch; er kennt sich hier aus, ist oft mit Journalisten auf Bausünden-Tour. Im Badezimmer im dritten Stock steht sogar schon eine Badewanne; die ganze Wohnung ist hell gefliest, Schaumstoffverkleidungen baumeln von der Decke, Rohre ragen aus den Wänden. "Ja, hier wurde fleißig weitergebaut, weil man zunächst gedacht hat, die Sache würde nicht auffliegen mit der illegalen Genehmigung. Und als die Sache dann aufgeflogen ist, hat die Polizei die Bauarbeiten gestoppt. Aber das hat natürlich eine Weile gedauert, weil so einfach war das nicht nachzuweisen, dass der Bürgermeister dafür Geld genommen hat. Aber das ist dann natürlich der Staatsanwaltschaft und der Polizei doch gelungen." Wohnen darf hier deshalb niemand; aber im zweiten Stock deuten eine angebrochene Flasche San Miguel, eine Matratze und ein zerknülltes Laken darauf hin, dass die Gebäude nicht komplett unbewohnt sind - allerdings anders, als sich die Bauherren das ursprünglich gedacht hatten. "Das sind hier, sagen wir mal die billigeren Wohneinheiten für die Reichen, weil der durchschnittliche reiche Resident hat normalerweise ein eigenes Haus. Und das sind natürlich Wohneinheiten, die auch sehr teuer sind, oder teuer wären, wenn sie fertig wären. Dann eher für die weniger reichen Reichen. (lacht)" 600 bis 700.000 Euro hätte eine Wohnung vermutlich gekostet, und drin gelebt hätten Menschen, die Mallorca mögen wegen des Klimas, aber nicht wegen der Einheimischen, wegen der mallorquinischen Kultur. Auch das stört Gerald Hau, der zwar ebenfalls gutes Wetter schätzt, aber ansonsten ein ganz anderes Leben führt: Er hat fast nur mit Spaniern zu tun, spricht selbst von "wir Mallorquinern", weil er die etwas ausgeruhtere Lebensweise der Mallorquiner mag, und selbst ein langsameres Leben führt als in Deutschland. Allerdings ist das Teil einer Kultur, die seiner Meinung nach immer stärker verdrängt wird durch reiche Ausländer mit Wunsch nach Sonne, Pool und Meerblick. "Es ist nicht so, dass der reiche Deutsche immer der Böse ist, und der Mallorquiner der Gute. Weil der Mallorquiner natürlich das Land verkaufen will und damit auch einen großen Reibach macht und sehr viel Geld verdient. Man kann natürlich dem Residenten in dem Fall Grenzen setzen, indem man Baugebiete mehr zulässt. Aber auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch aufpassen, dass die Mallorquiner nicht versuchen, ihre Insel drei- oder viermal zu verkaufen. So viel Fläche haben wir gar nicht auf der Insel, aber manche würden hier am liebsten jeden Strand, jede Ecke zubauen, um einfach reich zu werden. Da möchte halt jeder Teil dieses Geschäfts sein." Genau das will Gerald Hau weiter verhindern - nicht, weil er gerne der Spielverderber ist, sondern weil er will, dass die Regeln eingehalten werden, dass die Natur nicht in die Knie geht, vor den alten und neuen Einheimischen auf Mallorca. Der Statistik zufolge bilden Marokkaner die größte Gruppe unter den Einwanderern von Mallorca. Nach den Berechnungen des Humangeographen Pere Salva Tomàs von der Universität Palma stehen jedoch - wie seit den 80er Jahren - Deutsche und Briten an erster Stelle. Nur tauchen viele von ihnen aus zumeist steuerlichen Gründen nicht in den offiziellen Listen auf. Da viele von ihnen vergleichsweise wohlhabend sind, ist längst ein entsprechendes Dienstleistungsangebot gewachsen: auch deutsch- und englischsprachige Anwälte, Ärzte und Apotheker haben sich auf der Insel angesiedelt, an Kunden fehlt es ihnen nicht. Und jeder Neuankömmling aus dem Norden Europas findet, wenn er will, Anschluss und Unterstützung in der neuen Heimat. Vorausgesetzt, er zieht in die Gegend Mallorcas, wo schon viele Landsleute leben. "Welcome to the 13th edition of Europe day, on behalf of townhall and the international department. Buenos dias, bienvenidos al dia de Europa" Ein Mai-Sonntag in Palmanova, ein Badeort mit auffallend vielen indischen Restaurants, einer schottischen Bar - und an diesem Tag auch mit einem mobilen Fish-and-Chips-Stand und einer großen Bühne. "So we are now going to pass on to the award ceremony" Ein paar Wochen vor dem Brexit wird hier Europa gefeiert, beim alljährlichen Europatag. Dolina Reynolds ist so etwas wie eine hauptberufliche Integrationshelferin. Sie ist zuständig für ausländische Dauerbewohner, für die Gemeinde Calvià. Heute steht für sie und ihre Kollegen die größte Veranstaltung des Jahres an, mit Live-Musik, Essens- und Verkaufsständen und mit der Preisverleihung für den Europäer des Jahres. "Wir wollen den Gemeinschaftsgeist in unserer Gemeinde, unter unseren Einwohnern stärken. Von den 52.000 Einwohnern, die wir in den Orten unserer Gemeinde haben, also zum Beispiel in Palmanova, Magaluf oder Peguera, von diesen 52.000 Einwohnern kommt mehr als jeder Dritte nicht aus Spanien. Viele von ihnen kommen in unser Rathaus, mit verschiedensten Anliegen. Aber nicht alle unsere Mitarbeiter sprechen perfekt Englisch - deswegen leisten wir zum Beispiel Übersetzungshilfe oder bieten Spanischkurse an. Die ausländischen Residenten sind uns dafür sehr dankbar; wir bekommen von ihnen immer wieder Pralinen mitgebracht oder Blumen, sie machen uns viele kleine Geschenke." Auch Adrian Elkinson hat heute einiges zu verschenken, und zwar Whiskey und Guinness. Der Ire mit gerötetem Gesicht, Tom-Selleck-Schnurrbart und grünem Pulli präsentiert sein Land auf dem Europa-Fest in Palmanova, mit alkoholischen Kostproben und mit Landkarten und Info-Broschüren. Elkinson war in den 70ern zum ersten Mal auf Mallorca, wollte hier immer alt werden. Inzwischen fühlt er sich integriert - auch wenn er die Frage, ob er Spanisch spricht, so beantwortet: "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wer versucht, mit den Spaniern und den Katalanen ins Gespräch zu kommen - und sie einen nicht verstehen, dass sie ins Englische wechseln und wir dann im Zweifelsfall irgendwie mit Händen und Füßen miteinander reden. Das war noch nie ein Problem." In der Bar Rositas in Calvià braucht es keine Hände und Füße; weil Kneipen-Chef Toni Spanisch, Katalanisch und Englisch spricht. Tonis Mutter ist Britin, sein Vater war Katalane, er ist vor kurzem gestorben. Toni führt in seinem Laden beide Kulturen zusammen; schenkt spanisches Bier aus und serviert dazu britisches Essen, angefangen mit Bohnen, Würstchen und Speck zum Frühstück. "Wir sind bekannt dafür, dass wir jeden Freitag Fish and Chips anbieten, und unser Roastbeef, das ist auch sehr beliebt. Deswegen kommen am Wochenende Leute aus den verschiedensten Gegenden zu uns." Vor allem Briten sind es, die in Tonis urige Kneipe nach Calvià kommen, helle Wände, viel dunkles Holz, Humpen über der Theke, Gitarren an den Wänden. Dazu läuft die passende Musik: Die größten englischsprachigen Hits, von Abba über Prince bis zu den Beatles. Und bei Elvis schnappt sich Toni auch schon mal seine Bongo. Toni trommelt immer wieder mal vor sich hin, singt laut mit und kümmert sich zwischendurch um seine Gäste; er bedient die große Kaffeemaschine, zapft Bier oder macht hinten in der Küche Sandwiches. Toni ist 40, hat lange schwarze Haare, zum Zopf gebunden, eine Sonnenbrille im Haar, und oft ein breites Grinsen im Gesicht. Und Toni ist es egal, dass sich die meisten seiner Gäste mit ihm nicht in der Sprache seines Heimatlandes unterhalten. "Ich kann Englisch, aber wir sprechen unsere Gäste immer wieder mal auf Spanisch an, um ihre Sprachkenntnisse aufzufrischen. Aber sie sind da etwas faul. Una cerveza, ein Bier, das können sie, und am späteren Abend, nach drei vier Getränken, da können sie dann auch plötzlich richtig Spanisch sprechen. (lacht) Jakob kann das auch so. Das erzählt er draußen auf der Terrasse vom Rositas. Jakob ist Holländer, Anfang 50, ein bulliger Kahlkopf, mit Tattoos, dicken Silberringen und einer Flasche Bier vor sich. Jakob hat durch seinen Job als Musiker fast ausschließlich mit englischen Touristen zu tun; aber privat so gut wie nur mit Einheimischen, allen voran mit Toni, dem Kneipenwirt. "Wenn ich in Spanisch ein paar Worte nicht kenne, dann sagt er mir, wie ich das aussprechen muss, oder sowas. Und er fragt auch manchmal, wenn hier Leute sind, die Holländer sind oder Deutsche, da gehst du mal hin, frag mal, was die trinken wollen oder was die essen wollen. (lacht) Wenn die Leute kein Spanisch können oder kein Englisch, dann ist das gut, ne?" Sich zu integrieren, das hat trotzdem nicht nur etwas mit Sprache zu tun. Dass sich viele ausländische Inselbewohner nicht integrieren, das liegt auch daran, dass sie es gar nicht erst versuchen, dass sie es entweder nicht wollen oder nicht nötig haben. Ein großer Fehler, meint Jakob, der gerade auf Toni wartet; weil er mit ihm zusammen in die Stadt fahren will, nach Palma. Schließlich verbindet die beiden viel mehr, als nur die Auftritte, die Jakob alle zwei Wochen in Tonis Kneipe hat. "Wir sind mehr Brüder denn Freunde. Wirklich. Drei Jahre zurück ist mein Bruder verstorben, war 45 Jahre alt. Er war da ganz für mich. Er hat die Bar geschlossen, ist direkt rübergekommen nach mir und wir sind wirklich, wir sind Blutbrüder. (lacht)" In Palma muss man zwanzig einflussreichen Personen empfohlen und angekündigt worden sein sowie seit mehreren Monaten erwartet werden, um hoffen zu dürfen, nicht unter freiem Himmel schlafen zu müssen. Alles, was man für uns zu tun vermochte, war, uns zwei kleine möblierte Zimmer, oder eigentlich unmöblierte in einem üblen Viertel zu besorgen, wo die Fremden von Glück sagen können, wenn sie jeder ein Gurtbett mit einer Matratze, die so dick und weich wie eine Schiefertafel ist, einen Stuhl mit Strohgeflecht und als Nahrung Pfeffer und Knoblauch nach Belieben antreffen.. Wir hatten Mallorca die Affeninsel genannt, da wir, umgeben von diesen tückischen, diebischen und gleichwohl unschuldigen Tieren, uns daran gewöhnt hatten, uns vor ihnen in acht zu nehmen, ohne ihnen zu grollen. Wir waren also einsam auf Mallorca, so einsam wie in einer Wüste. Und die Moral von diesem Bericht, einfältig vielleicht, aber aufrichtig: Der Mensch ist nicht dazu bestimmt, mit Bäumen, Steinen, dem klaren Himmel, dem blauen Meer, mit den Blumen und den Bergen zu leben; er ist dafür gemacht, mit seinesgleichen zu leben. In den stürmischen Tagen der Jugend bildet man sich ein, Einsamkeit sei die wahre Zuflucht vor Angriffen, das beste Heilmittel für die Verletzungen im Lebenskampf. Das ist ein schwerer Irrtum, und die Erfahrung lehrt uns, dass dort, wo man nicht in Frieden mit seinesgleichen leben kann, weder Begeisterung für Poesie noch Kunstgenüsse imstande sind, die sich in unserer Seele bildende Leere zu füllen. Dass es vor allem Rentner und Pensionäre sind, die sich auf Mallorca dauerhaft niederlassen, liegt nicht zuletzt am europäischen Sozialrecht. Es gewährleistet, dass die Leistungen der jeweiligen sozialen Sicherungssysteme grenzüberschreitend als Vertragsrenten garantiert sind. Auch Kranken- und Pflegegeld werden ins europäische Ausland überwiesen - nur die sogenannten Sachleistungen können nicht bezogen werden. Viele Rentner, die sich ein sonniges Altersdomizil erträumt hatten, mussten die Insel verarmt und oft vereinsamt wieder verlassen. Doch wer es sich leisten kann, bleibt bis zum Ende seines Lebens. Bestens versorgt und bestens unterhalten - mit Bridge und Boule und deutschem Chorgesang. Zwei Kaffeekannen stehen auf dem Tisch und Zitronenkuchen. Drumherum sitzen sieben ältere Frauen, geschminkt und mit Kettchen, weil ja heute ein Journalist zu Besuch ist. "Wo man singt, da lass dich nieder" steht auf den hellgrünen Gesangsbüchern, die Katrin verteilt hat, die Beschäftigungstherapeutin der Seniorenresidenz Es Castellot. "Es ist komplett ein Ort für sich, ja. Es ist schon sehr faszinierend, man hat wirklich so das Gefühl, in einer Insel auf einer Insel zu setzen. Ja, aber es sind sehr viele Menschen hier, die sehr lange auch in Persien, in Afrika, in Südamerika gelebt haben. Also man hat nicht so das Gefühl eines typischen Deutschtums hier. Also es bringen die Menschen, die hier leben, sehr viel Erfahrung eben halt auch schon aus anderen Ländern im Ausland mit". "Ja, kommen Sie mal raus hier, was ich für einen Blick habe!" Allzu lange hält es Renate Heutschi-Buschbeck nicht aus auf ihrem Balkon, weil es ihr zu windig ist. Außerdem hat sie gerade noch etwas anderes zu tun, huscht in ihre Küche. "Ich mach das mal aus. Muss mal gucken, ob sie schon weich sind. Ja, die sind gut..." Die pensionierte Lehrerin bittet in ihr gemütliches Wohnzimmer, mit bequemen weißen Sesseln; Teppichen auf dem Boden und einer dunkelbraunen Schrankwand voller deutscher Romane und Reiseführer. Das hier sind nicht einfach Zweizimmerküchebadbalkon, das hier ist ein Zuhause. Ein Zuhause für immer - Frau Heutschi-Buschbeck will hier nicht mehr weg, will irgendwann hier sterben. Bis dahin führt sie ein möglichst unabhängiges Leben, wie die meisten Bewohner. Vergangenes Jahr war sie in Mexiko, in diesem Jahr will sie ins Baltikum. Ihre letzte Reise, wie sie sagt. Renate Heutschi-Buschbeck, eine sehr kleine Frau mit Brille und grauer Strickjacke, wirkt sehr lebensfroh, sehr zufrieden - bis auf eine Sache. "Mein Mann hat sehr gut Spanisch gesprochen. Aber der hat immer alles, und wir haben auch immer in einer deutschen Siedlung gewohnt. Es war nicht so nötig, dass ich also ganz fließend Spanisch spreche. Aber es müsste eigentlich besser sein. Also da habe ich etwas ein Defizit." (lacht) Ein Defizit, das im Es Castellot nicht weiter auffällt. Weil die Betreuer, Physiotherapeuten oder Ärzte entweder Deutsche sind oder zumindest Deutsch sprechen. Auch die Sozialarbeiterin und Psychologin Antonia Bayona kann Deutsch. Sie leitet seit ein paar Monaten Mallorcas einzige deutschsprachige Einrichtung dieser Art, mit ungefähr 50 Bewohnern aus Deutschland, der Schweiz und Luxemburg, vor allem Frauen. Und auch wenn es immer wieder mal Anfragen von Spaniern gibt: Noch wartet Es Castellot auf den ersten spanischsprachigen Bewohner. "Das Problem ist nun mal, dass die Mehrheit Deutsch spricht. Und wenn hier ein spanischer Rentner einzieht, dann ist da erst einmal eine große Sprachbarriere. Zumal die meisten Spanier sowieso so lange wie möglich im eigenen Haus bleiben, bis es wirklich gar nicht mehr anders geht. Und dann suchen sie sich eben ein spanisches Seniorenheim, in ihrer Muttersprache." Antonia Bayona führt durch die Seniorenresidenz, muss nur kurz überlegen, wohin der Fahrstuhl sie bringen soll - weil sie weiß, wo es sich zu klopfen lohnt, weil sie die Bewohner schon nach kurzer Zeit gut kennt. "Hallo, wer ist denn da?" "Ist das eine Überraschung." "Eine Überraschung?" (lacht) "Ja also mein Name ist Emilio Goretzky. Ich bin Hamburger, ich habe vor sechs Jahren einen Schlaganfall erlitten und habe dann, hat man mich auf diese, ich sag jetzt das Wort Anstalt, das hört man hier nicht so gerne, aber ich weiß keinen besseren Ausdruck im Moment, hier empfohlen. Und ich kenne daher auch diese sogenannte Anstalt. Emilio Goretzky macht sich gerade einen Kaffee; mit Gehhilfe und mit Notfallknopf um die rechte Hand. Falls mal was ist. "Und Zucker auch dazu? Zucker ist auch da, nehmen wir hier in die Mitte. Da müsste einer sein." Emilio Goretzky ist gelernter Fontanero, wie er sagt, auf Deutsch: Klempner, Installateur. Er erzählt stolz von seiner Firma, die er aufgebaut hat, mit über 30 Mitarbeitern. Goretzky hat den deutschen Neu-Mallorquinern Häuser umgebaut; hat dabei aber mit möglichst vielen Spaniern zusammengearbeitet. Und er fand es nicht gut, dass sich rund um sein Haus in Port d'Andratx nur Deutsche angesiedelt haben, hat sich dort irgendwann fremd gefühlt in der deutschen Parallelgesellschaft. "Ich dagegen mag die Mentalität, ich mag auch die Art und die Weise und ich wollte eigentlich, ich bin hier nicht nach Spanien und nach Mallorca gegangen, um hier nur unter Deutschen zu sein. Ich suche nicht unbedingt die Deutschen." Gefunden hat er sie trotzdem. Weil auch Emilio Goretzky nicht fließend Spanisch spricht, aber trotzdem auf Mallorca bleiben will, auch wenn er jetzt Hilfe braucht. All das geht aber nur, weil Goretzky es sich leisten kann, im Es Castellot zu leben, dem Luxus-Altenheim-Hotel. Ein anderer Bewohner hat ausgerechnet, dass er in den nächsten acht Jahren gestorben sein muss - weil dann seine Reserven aufgebraucht sind. "Viele Deutsche sind ja wieder gegangen, weil sie das nicht bezahlen können. Ich habe erlebt, dass einige wieder die Koffer gepackt haben und sind wieder nach Deutschland gegangen, weil sie dort auch die Altersversorgung noch mitnehmen können, die sie hier nicht bekommen. Oder zu wenig, um hier gut zu leben." Emilio Goretzky dagegen ist gut versorgt im Es Castellot, lebt so gut es geht mit seinem Schlaganfall. Und hält es ansonsten wie die meisten Bewohner, auch wie die sieben Chorsängerinnen, unten im hellen Speisesaal: Sie wollen hier nicht mehr weg, sie möchten irgendwann hier sterben. Die Mallorca-Migranten. Das waren Gesichter Europas an diesem Samstag: Das Inselleben ausländischer Dauerbewohner. Eine Sendung mit Reportagen von Christoph Sterz. Die Literaturpassagen entnahmen wir dem Buch "Ein Winter auf Mallorca" von George Sand - gelesen wurden sie von Agnes Pollner. Ton und Technik: Michael Morawietz und Jens Müller. Im Namen des ganzen Teams verabschiedet sich am Mikrophon Simonetta Dibbern.