COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Die Reportage "Keine Heimat. Nirgends. - Staatenlos in Deutschland" Von Maximilian Klein Atmo: Essen City Take 1 Bürgeramt Wir stehen hier am Bürgeramt. Ich brauche jetzt eine Meldebescheinigung für mein Konto, Sparkassenkonto. Ohne Meldebescheinigung geht das nicht, weil auf meiner Duldung keine Adresse steht. Deswegen müssen wir jetzt hier rein.   Autor 1 Yachia geht durch die Automatiktür zum Empfangstresen, trägt sein Anliegen vor. Ich hoffe, dass niemand das Mikrofon bemerkt.   Take 02Bürgeramt Guten Morgen. Guten Morgen. Ich brauche einmal eine Meldebescheinigung. Einmal hier vorn am Terminal... Autor 1 Yachia geht weiter zu dem Automaten, der den Papierschnipsel mit einer Nummer ausspuckt.   Take 03 Atmo Warteraum, Druck der Marke Wir haben jetzt einen Termin, die Nr. 261 und jetzt müssen wir warten.   Autor 1 Der Warteraum ist ein mit Neonlicht erhellter Raum, der auch durch ein paar Kunstdrucke an den Wänden und den Yuccapalmen davor nicht einladender wirkt. Yachia setzt sich auf einen der fest miteinander verbundenen Stühle und sieht immer wieder zur elektronischen Anzeige. Er weiß nicht mehr, wie oft er schon hier war, wie oft er eine Wartemarke gezogen, wie viele Stunden er schon im Warteraum verbracht hat. Er will auch nicht darüber nachdenken, nicht darüber reden. Ein paar Minuten später wird seine Nummer angezeigt. Atmo 1 Bürgeramt     Autor 1   Das Gespräch am Schalter dauert nicht lange – dann hat Yachia seine Meldebescheinigung. Dafür zahlt er sechs Euro.    Take 4 Bürgeramt Jedes Mal, wenn ich meine Adresse brauche, also auf meiner Duldung steht keine Adresse drauf, jedes Mal, wenn ich zu einer Behörde gehe, muss ich diese Meldebescheinigung mitbringen, nach sechs Monaten brauchen wir ja immer eine aktuelle.     Autor 1   Dabei könnte es so einfach sein: Jemand müsste seine Adresse in seine Papiere eintragen – fertig. Doch Yachia hat keine Papiere, zumindest keine, die länger als ein halbes Jahr gültig sind. Yachia kann auf dem Bürgeramt immer wieder nur seine Meldebescheinigung verlängern. Für die Angestellten dort ist das ein Verwaltungsvorgang. Für Yachia ein Teil seines Lebens, der ihn wütend macht.   Take 5 Yachia Die behandeln uns als ob wir keine Menschen wären. Ich weiß auch nicht.     Autor 1   Yachia zieht die Schultern hoch und blickt  in die Ferne.     Take 6 Yachia Wir sitzen alle seit über zehn Jahren Duldung. Und die wird jede drei Monate verlängert. Wir sind hier geboren, sind zur Schule gegangen. Haben deutsche Freunde. Unternehmen sehr viel mit Deutschen. Und wenn Du irgendwo hingehen möchtest, wie jetzt zum Beispiel mit meinem Verein. Ich spiele ja auch Fußball. Und dann wollen wir eine Mannschaftsfahrt machen. Am Ende der Saison macht man ne Mannschaftsfahrt. Mit der Duldung darf ich nicht.           Autor 1   Eigentlich hat jeder das Recht auf einen Pass. Das legt die allgemeine Erklärung der Menschenrechte fest. Und trotzdem werden in Europa mindestens 600.000 Menschen nicht als Staatsbürger anerkannt, in Deutschland rund 13.000. Yachia, 26 Jahre alt, aus Essen, Nordrhein-Westfalen ist einer von ihnen. Er ist staatenlos. Das bekommt er fast jeden Tag zu spüren. Wenn er Arbeit sucht und wenn überhaupt nur Gelegenheitsjobs findet. Als Maler, Obstverkäufer, Umzugshelfer. Ansonsten lebt er von Sozialhilfe. Das Geld dafür kann er sich nicht mal auf ein Konto überweisen. Er hat keines. Heute will er wieder versuchen, eines zu eröffnen. Auch wenn er wieder nur mit einem Kopfschütteln rechnet. Oder einem routinierten „Tut mir leid“. Oder einem: „So geht das nicht“. Er kennt alle Varianten der Ablehnung. Und versucht es trotzdem weiter.     Take 7 Postbank Das ist die Postbank, wir gehen jetzt versuchen, ein Girokonto zu eröffnen Da muss ich Sie leider zu jemand anders...     Autor 1   Das Mikrofon soll nicht auffallen. In der Postbank ist es ruhig für einen Moment – und dann:   Atmo 2 Postbank Knall, Geldrollen fallen. Mach es doch selber. Sprich mich heute nicht mehr an. Jetzt reicht es mir, jetzt reicht es mir wirklich     Autor 1   Der Mann hinterm Tresen ist wütend. Er wirft mit ganzen Münzrollen, eine davon platzt. Die Münzen rollen über den Boden. Der Mann hinter dem Tresen schnauzt seinen Kollegen an. Die Postbank in Essen, gleich am Hauptbahnhof. Eine Angestellte entschuldigt sich.   Atmo 3 Postbank   Eine Kollegin macht das gleich. Ok, danke schön.     Autor 1   Yachia schmunzelt. Das tut er sonst nicht, nicht hier. Er ahnt, was gleich passieren wird.   Take 8 Postbank Ich möchte ein Konto eröffnen. Hier ist meine Meldebestätigung, mein Ausweis. Damit kann ich kein Konto eröffnen. Warum? Weil ich einen Pass brauche. Ich habe zur Zeit keinen Pass. Damit kriege ich das nicht hin. Darf ich nicht eröffnen. Aus welchem Grund? Ist die Vorgabe von oben. Müssten Sie sich an die Postbank selber wenden. Aber damit darf ich es definitiv nicht eröffnen. Ich frage gerne noch einmal nach. Aber...     Autor 1   Die Nachfrage dauert genau eine halbe Minute.     Take 9 Postbank Nein, können wir nicht, weil wir Konten nur auf richtigem Namen eröffnen dürfen und wegen diesem Passus hier, dass die Personenangaben ja nur rein auf Ihrer berufen.     Autor 1   Die Angestellte zeigt mit einer abfälligen Geste auf Yachias Papiere.     Take 10 Postbank Und keiner kann mir wirklich sagen, ob Sie das sind oder nicht. Und deshalb darf ich das nicht eröffnen. Da ist doch ein Bild von mir oder nicht? Ja, aber die Angaben beruhen ja nur auf Ihren Angaben. Ich kann auch wo hingehen und sagen, ich bin Frau soundso, bin ich gar nicht. Das ist jetzt der Hintergrund, der jetzt hier ist. Da darf ich kein Konto eröffnen. (Th.K.: Aber das ist doch eigentlich ein amtliches Dokument.) Darf ich aber trotzdem nicht bei dem. Ein anderes habe ich gar nicht. Aber ich darf es nur mit Pass eröffnen. Gibt es keine andere Möglichkeit? Nein. Ich brauche definitiv einen Pass. Tut mir leid.   Atmo 4: Postbank     Autor 1   Yachia geht in Richtung Ausgang. Er ist noch jung. Sein Bart lässt ihn älter aussehen.  Draußen wendet er seinen Blick ab vom Schaufenster der Bank. „Girokonto eröffnen und Prämie sichern“ steht dort auf einem Plakat.   Atmo 05: Stadtatmo Essen mit Trommeln im Hintergrund   Autor 1 Yachia geht am Bahnhof vorbei. Lässt sich nichts anmerken, ob er sich gerade schämt oder wütend ist. Er will zu Achmed Omeirat. Dessen Büro liegt nur ein paar Meter vom Bahnhof entfernt. Yachia weiß nicht genau, ob er dort Hilfe sucht oder nur Trost. Er weiß aber, dass er dort Menschen antrifft, denen es ähnlich ergeht wie ihm.   Atmo 6:  Stadtatmo   Autor 2   Es dämmert. „Essen - die Einkaufsstadt“ soll die Leuchtreklame am Giebel einer Hauswand direkt am Bahnhof anzeigen. Sie schafft es nicht mehr. Es reicht gerade noch zu: „Die ..nkau. Sstadt“.   Atmo 7: Omeirat redet im Hintergrund     Autor 2 Ahmad Omeirat spuckt Worte aus – schnell und viele: Anlaufstelle, Begegnungszentrum, Community, Administration. Er ist Politiker – halbtags. Für: Bündnis 90 / Die Grünen ist er Mitglied im Rat der Stadt Essen. Die andere Hälfte des Tages arbeitet er in dem Laden seiner Eltern. Ein Herrenausstatter. Ahmad Omeirat ist in Beirut geboren. Er kam 1985 nach Deutschland – da war er ein Jahr alt. Seine Mutter war mit ihm und seiner Schwester auf der Flucht.   Take 11 Omeirat Ich habe nur ein Problem damit, wenn wir der Welt ein Bild präsentieren von dem freundlichen Deutschland, das tatsächlich an den Grenzen Flüchtlinge mit offenen Armen empfängt, aber auch der anderen Seite seine Altfälle, die seit 30 Jahren hier ohne Rechte, mit psychischen Problemen kämpfen müssen, weil sie ihren Aufenthaltsstatus nicht in ein legales dauerhaftes Bleiberecht umtragen können – da müssten wir anfangen, bevor wir dieses wunderbare Bild in die Welt transportieren.     Autor 2  An seiner Tür hat Omeirat Plakate, Bilder, ganze Zeitungsseiten geklebt: „Hilfe für Syrien“ und „Strom, Wasser, Würde“ steht da. Daneben prangt ein Warnhinweis: „Rassismus fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu“ - ein Aufkleber der Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“. Darunter eine Grafik: Das Gesicht eines jungen Mannes. Eine Hälfte ist weiß, die andere schwarz. „Nur geduldet“ steht darüber. Nur geduldet. In Essen, erzählt Omeirat, gibt es weit über 1000 Menschen, die von diesem Schicksal betroffen sind.   Take 12 Omeirat Für mich kam der Gedanke, da du jetzt in den Stadtrat gewählt wirst und es gibt in Deutschland Vergütung, die ist nicht viel für Mitglieder im Stadtrat, nutze das Geld sinnvoll, miete dir Räumlichkeiten an, die in Essen zentral sind und baust von der Seite erstmal die Anlaufstelle auf. Das ist dann hier am Essener Hauptbahnhof entstanden. Wir haben hier drei Räume. Diese Räume sind tatsächlich für die Menschen verfügbar, u.a. auch für Vereine, die sich mit diesen Themen Migration, Flüchtlinge, Asyl beschäftigen. Wir haben hier einige Gruppen, die die Konferenzräume nutzen. U.a. ist auch eine Frauengruppe entstanden, eine Seniorengruppe. Sportvereine haben Stammtisch hier.   Autor 2 Und es ist Treffpunkt für jene, die in Deutschland nur geduldet werden oder staatenlos sind. Eine Person gilt als staatenlos, wenn kein Staat aufgrund seines Rechtes diese Person als seinen Staatsangehörigen ansieht – so lautet die Definition der Vereinten Nationen. Weltweit soll es zehn Millionen Staatenlose geben. Genaue Zahlen gibt es nicht.   Ahmad Omeirat führt durch sein Begegnungszentrum.   Take 13 Omeirat Ich hänge hier Bilder auf, die ich auf dem Antikmarkt oder dem Flohmarkt günstig kaufe. Das vermittelt so eine Art Rückzugsort. Schön, wenn junge Leute dann von 20 oder 25 Jahren sagen: Voll cool, hier sieht´s aus wie in der Welt. Ein Bild aus Russland, ein Bild aus Frankreich, eines aus dem Iran.   Autor 2 Das Bild aus Russland zeigt einen alten Mann, der gerade an einer langen Pfeife zieht. Daneben ein Globus. Und noch einer. Und an der Wand gegenüber eine Flagge in schwarz, rot und gold:   Take 14 Omeirat Eine Deutschlandfahne habe ich auch hier hängen. Es ist auch gut, dass die hier hängt, wir sind in Deutschland. Ich will damit jetzt nicht Patriotismus rausschlagen, aber sie wird von den Migranten euphorisch gesehen, von manchen Deutschen manchmal hinterfragt.   Atmo 08: Omeirat Büro     Autor 2 Ahmad Omeirat bittet Yachia in den hinteren Raum, der setzt sich hin. Steht gleich wieder auf. Er zieht die Jacke aus, holt sein Portemonnaie aus der Innentasche und zieht einen Zettel heraus. Sein Ausweis- Ersatz.   Take 15 Yachia Egal wo ich hingehe, ich schäme mich das raus zu holen. Wenn Polizei normale Kontrolle macht zum Beispiel. Ich schäme mich das rauszuholen. Weil man schämt sich einfach so ein. Du hast ein Zettel in der Hand und da steht drauf du bist Ausreisepflichtig. Wo willst du dich damit zeigen.   Autor 2 Yachia wirft das Papier genervt auf den Tisch. Nichts sei das Ding wert. Er kann nichts damit machen. Er kann sich kaum frei bewegen:   Take 16 Yachia Ich darf nirgends wo hin. Ich war noch nie außerhalb Deutschlands. Ich kenne das nicht. Und bis jetzt  können wir gar nix machen. Nicht mal, sagen wir mal du willst mit deinen Freunden irgendwo raus aus NRW. Darfst aber nicht. DU darfst hier NRW nicht verlassen. Ich bin hier geboren und darf NRW nicht verlassen.     Autor 1   Auf dem Papier steht sein Name, sein Geburtsdatum. Es klebt ein Passfoto von Yachia darauf. Aber etwas, was Behörden oder Mobilfunkanbieter interessiert, steht nicht auf dem Papier: seine Adresse. Stattdessen: gültig bis. Die Zahlen dahinter muss Yachia  immer wieder erneuern lassen. Gültig bis ... Danach könnte sein Leben anders verlaufen. Ganz anders. Und vor allem: Ganz wo anders. Yachia ist in Deutschland geboren. Seine Familie stammt aus dem Libanon und ist nach Deutschland geflohen. Im Libanon herrschte damals Bürgerkrieg. Die Familie erhielt eine Aufenthaltsgenehmigung, führte ein weitgehend normales Leben. Doch das änderte sich mit dem Tag, als die deutschen Behörden herausgefunden haben wollen, dass Yachias Familie gar nicht aus dem Libanon stammt, sondern aus der Türkei.   Take 17 Omeirat Er ist als Kind mit seinen Eltern aus der neugegründeten Türkei mit in den Libanon genommen wurden, dort registriert worden, eingetragen, hat auch die libanesische Staatsbürgerschaft erlangt.     Autor 1   Yachia war damals 16 Jahre alt und konnte mit seinem Status als Flüchtling ein halbwegs normales Leben führen. Ohne Aufenthaltsbeschränkung. Plötzlich wurde alles anders. Aus dem Flüchtlingsstatus wurde eine Duldung. Er darf vieles nicht, was für andere normal ist. Er darf das Bundesland, in dem er gemeldet ist nicht mehr verlassen, kann abgeschoben werden, und Arbeiten nur mit spezieller Erlaubnis. Für ihn ist die Botschaft klar: Wir wollen dich hier nicht.   Take 18 Yachia Meine ganze Familie hatte einen Aufenthalt. Bis halt raus kam, dass wir angeblich Türken sind. Was ich gar nicht wusste. Ja ich hab arabisch zu Hause gelernt und nur arabisch gesprochen. Und draußen nur Deutsch. Also türkisch, ich wusste gar nix von Türkei. Ich kenn mich auch bis heute nicht so mit der Sprache und alles aus. Und dann mussten wir halt türkisch Pässe beantragen. Was damals richtig schwer war, weil keine wusste genau was los ist. Plötzlich wirst Du zum Türke. Ja und dann bis heute haben wir damit zu kämpfen, mit der Duldung.     Autor 1   Yachia überlegt, wie das alles gekommen ist. Vielleicht haben seine Eltern einen Fehler gemacht. Vielleicht auch sein Großvater.      Take 19 Yachia Aber mein Opa lebt hier in Essen hat einen deutschen Pass. Seine ganzen Kinder. Er hat sogar hier einen libanesischen Familienausdruck. Da stehen die ganzen Namen, dass die auch Libanesen sind. Steht alles drauf. Ich hab sogar einen Zettel wo das übersetzt ist, hier steht´s auf Arabisch. Und das erkennen die nicht. Da sagen die ne, das ist alles  gefälscht. So was erkennen wir gar  nicht an.     Autor 1 Ahmad Omeirat läuft einmal quer durch den Raum und holt sich einen Kaffee. Er nimmt einen großen Schluck, holt tief Luft und erzählt von ähnlichen Schicksalen. Omeirat kennt viele Biographien, die zwischen den Bürokratien verschiedener Länder aufgerieben werden und in kein amtliches Raster passen. Geduldet, nicht erwünscht. Yachia, Mitte 20, kann nicht über seine Zukunft nachdenken, wenn Zukunft etwas ist, was in mehr als sechs Monaten passiert. Keinen Pass, keine Staatsangehörigkeit, keine Existenz.   Take 20 Yachia Auf der Duldung steht mein Name ohne Straße. Also kein Ort, da steht nur mein Name. Bis wann die Duldung geht und oben steht Aussetzung der Abschiebung und dann ein roter Strich. Der Aufenthaltstitel der Inhaber ist ausreisepflichtig steht hier drin. Ich bin ausreisepflichtig.       Autor 1   Ausreisepflichtig – vielleicht in ein Land, das er noch nie gesehen hat, dessen Sprache er nicht spricht. Wer ist jemand, dessen Großeltern aus der Türkei in den Libanon geflohen sind, dort gelebt haben und dessen Kinder dann aus dem Libanon nach Deutschland fliehen und hier Kinder bekommen? Sind diese Kinder Deutsche, Libanesen, Türken? Yachia jedenfalls fühlt sich deutsch, er kennt die Heimat seiner Eltern höchstens von Fotos oder Videos. Er weiß aber auch wie es sich anfühlt, wenn die neue Heimat deine Eltern und auch dich nicht haben will.   Take 21 Omeirat Sie müssen sich vorstellen, die Kinder der zweiten und dritten Generation haben jahrelang den administrativen Bereich in ihrem Elternhaus erledigt für die Eltern. Es gab für die Eltern keine Sprachkurse, keine Integrationskurse und es bestand ein Arbeitsverbot. Entsprechend hatten die Kinder dann ein Schulrecht, aber keine Schulpflicht, waren aber der deutschen Sprache mächtig, Sprache in Lesen und Schrift. Take 22 Omeirat Wenn Sie als Kinder jahrelang den Eltern übersetzen müssen, dass die Ausländerbehörde alles versucht, um Sie aus diesem Land abzuschieben, bringt das auch ein Gefühl der Heimatlosigkeit mit, für die Generation, die wir eigentlich gewinnen wollen.   Autor 1   Behörden kennen keine Gefühle. Das wissen Ahmad Omeirat und Yachia längst. Für sie zählen nur Dokumente. Und alles, was er da den Behörden bieten kann, bewahrt Yachia in einem Aktenordner auf. Er hat ihn mitgebracht.   Take 23 Yachia So, also mein Vater hat damals zwei Kinder im Libanon gekriegt. Die waren damals nicht verheiratet und dann waren die Kinder nicht eingetragen. Und hier in Deutschland einen DNA-Test mit seinen Kindern machen lassen, dass das seine Kinder sind. Hat er auch gemacht. Und sind auch seine Kinder und jetzt durch diesen DNA-Test haben die auch gesagt, wir sollen türkischen Pass beantragen.   Autor 1 Ein Leben zwischen den Pappdeckeln eines Aktenordners. Darin nicht nur Yachias  Vergangenheit, sondern auch die Weichen für seine Zukunft. Die Essener Ausländerbehörde hat viele Dokumente verlangt. Yachia hat so gut es ging versucht, sie zu besorgen. Beweise, dass er aus dem Libanon stammt. Dass sein Großvater aus der Türkei geflohen war – der Behörde ist das offenbar egal. Auch, dass Yachia in Deutschland geboren wurde. Ahmad Omeirat fragt sich, wer darf sich eigentlich in Deutschland zu Hause fühlen?     Take 24 Omeirat Im Zuge der neu ankommenden Flüchtlinge wird es für mich persönlich immer schwerer, den Menschen zu erklären, warum sie die als beheimatet gelten hier, weniger Rechte haben als neuankommende Flüchtlinge ohne Deutschkenntnisse. Die neuankommenden Flüchtlinge heute genießen ein dreijähriges Niederlassungsrecht und Schutz vor Abschiebung, Bürgerrechte, außer das Wahlrecht, vor allem auch den Bezug von sozialen Leistungen. Das ist den Langzeitgeduldeten verwehrt geblieben jahrelang.     Atmo 9: Essen City   Autor 1 Am nächsten Morgen. Yachia will uns zeigen, dass er mit seinen Problemen nicht allein ist. Er begleitet Zainab und Issa, ein befreundetes Pärchen zum Standesamt. Das liegt gleich neben dem Bürgeramt, wo er erst gestern war.   Take 25 Standesamt Wir sind gerade hier im Standesamt wegen einer Geburtsurkunde. Die brauchen wir für Kindergarten, für Amt, für Kindergeldstelle, Elterngeldstelle die benötigen alle eine Geburtsurkunde. Und die haben wir noch nicht bekommen. Obwohl der Vater eine deutsche Staatsangehörigkeit hat. Ja ich bin mal gespannt, was die sagen.     Autor 2   Zainab kommt aus Syrien. Sie hat keinen Pass. Den braucht sie aber, um eine reguläre Geburtsurkunde für ihre Kinder zu bekommen. Das wird ihr zumindest immer wieder auf dem Amt erklärt.   Take 26 Standesamt Eine normale Geburtsurkunde und da steht Ersatz drauf. Aber das ist nicht die Originale. Da steht halt nur der Name des Kindes, Name der Mutter, das war´s.       Autor 2   Zainab hat Vieles versucht. Sie kommt nicht weiter. Anwälte sagen, dass das Amt Fehler macht. Das Amt sagt nein. Wenn das Paar vor Gericht ziehen würde, würde alles noch länger dauern. Noch mehr Zeit und Nerven kosten. Zainab sieht müde aus. Sie schläft zu wenig.   Take 27 Standesamt Egal welche Amt, die sagen alle, die wollen die Originale. Und dann muss man sich jede zwei, drei Wochen telefonisch bei denen melden.     Atmo 10: Unterhaltung im Warteraum, Geräusche Amt     Autor 2   Aber natürlich wollen die jungen Eltern, dass ihre Kinder registriert werden.   Take 28 Standesamt Die Kinder sind gar nix. Die sind gar nicht. Keine Meldebescheinigung und nix. Die sind im Bürgeramt im Computer gar nicht eingetragen.   Autor 2 Den Eltern bleibt also nichts anderes übrig, als bei den Behörden vorzusprechen – immer wieder. Es ist schwierig, Dokumente aus Syrien zu bekommen. In Syrien herrscht Bürgerkrieg. In Essen Papierkrieg. Die Behörden haben kein Einsehen – Anträge werden abgeschmettert, auch auf dem Standesamt sieht es nicht anders aus: Zainab und Issa werden vertröstet.  Das Mikrofon soll niemand sehen.   Take 29 Standesamt Sie müssen warten bis der Pass kommt. Ich kriege aber keine Leistung jetzt. Können wir uns jetzt gar nicht vorstellen, dass sie wegen einer Geburtsurkunde keine Leistung kriegen. Ich sage das ist eine vorläufige Bescheinigung und datt bringt nix. Sie brauchen eine Geburtsurkunde und wo das Problem jetzt liegt, weiß ich jetzt ehrlich gar nicht.       Atmo 11:  Papiergeraschel     Take 30 Standesamt Amt: Haben sie da auch irgendetwas Schriftliches? Ich hab eine Quittung, ich hab einmal den Registerauszug. Mein Vater kommt auch aus Syrien, der hat auch den syrischen Pass. Take 31 Standesamt Amt: ... ihrer Geburt? Antwort: mhh, das ist also... Das Original ist in Arabisch. Brauchen sie die? Ja brauchen wir. Ist unten im Auto. Das ist jetzt mein Vater. (Sprachgewirr.) Ja das zeigt schon, dass mein Vater aus Syrien kommt und dass der halt auch einen syrischen Pass hat. Das ich den halt auch...  Amt sagt irgendetwas Strenges. Antwort: Ich rufe jeden Tag immer an... Antwort: Das wird halt ein bisschen dauern. Amt: Vorläufige Bescheinigung haben sie schon bekommen? Antwort: ja die habe ich bekommen aber die brauchen ´ne richtige Geburtsurkunde. Die Frage ist jetzt, ob man jetzt Geburtsurkunde ausstellen kann und bei der Mutter Staatsangehörigkeit Syrien schreibt. Amt: Die Quittung haben sie uns ja schon mal eingereicht. Amt: Quittung haben sie uns ja schon mal eingereicht. Antwort: Ja. Amt: unverständlich. Antwort: Habe ich nicht bekommen.     Autor 2   Wir verlassen das Amt. Für Zainab und Issa ist es wie immer. Sie haben nichts   erreicht.     Atmo 12 Fußball     Autor 2   Mittwoch Abend. Yachia ist zum Fußball-Training gefahren. Den Tag hat er verbracht wie so viele seiner Tage. Mit Freunden zusammen sein, der Familie helfen, abhängen, auf Ämter rennen, Zeit totschlagen. Nichts tun, weil er nichts tun darf.      Atmo 13 Fußball     Autor 2   „Al Arz“ bedeutet „die Feder“. Und  ist ein Fußballklub in Altenessen.     Take 32 Khalid / Trainer  Der Verein Al Arz Libanon Essen wurde 2008 gegründet. Mittlerweile besteht er aus drei Senioren-Mannschaften, zwei Jugendmannschaften. Libanon deswegen weil der Verein ursprünglich aus dem Libanon entstanden ist. Von den Großvätern und Urgroßvätern die dann in Deutschland selbst diesen Verein aufgemacht haben. Autor 2   Khalid Omeirat ist der jüngere Bruder von Ahmad Omeirat. Und der Trainer von Al   Arz Essen.     Take 33 Trainer Gemixt definitiv. Und Multikulturell. Wir haben Deutsche, Afghane, Brasilianer, Leute aus der Dominikanischen Republik. Der Verein steht für jeden die Tür offen. Egal welcher Religionszugehörigkeit. Wir sind ein bunt gemischter Verein. Und für uns ist es dann auch wichtig, dass wir gemeinsam der Liebe nachgehen und das ist der Fußball.     Atmo 14 Fußball     Autor 2   Die jungen Männer warten, dass sie aufs Spielfeld können. Noch trainieren dort die Jugendmannschaften. Auf dem vorderen Feld die Jungen, auf den hinteren die Mädchen.   Take 34 Trainer Selbst hier im Verein sind wir als libanesischer Verein sind wir auch direkt betroffen von den geduldeten Leuten. Die auch hier im Fußballverein bei uns spielen. Tragisch ist es dann, wenn wir wie im letzten Jahr nach einer grandiosen Saison mit 26 Siegen aus 30 Spielen dann eine Mannschaftsfahrt planen und drei Leute sich nicht melden bei der Anmeldung. Take 35 Trainer Ich mich dann frage wieso? Und erst im Nachhinein erfahre, dass die drei Deutschland bzw. Essen gar nicht verlassen dürfen.     Atmo 15: Fußball     Autor 2   Yachia wirkt ausgelassen. Er kickt mit seinen Freunden, ruft, wirft sich in die Zweikämpfe. Für zwei Stunden geht es nur um das Spiel. Und nicht um Ausweise und Nachweise, Bestätigungen. Yachia ist hier einfach Yachia. Am nächsten Tag will er es dann noch einmal wissen – ein Konto eröffnen. Jetzt bei der Sparkasse. Er war schon häufiger dort. Diesmal versucht er sein Glück in einer großen Filiale im Stadtzentrum von Essen.   Atmo 16:  Sparkasse - Tür   Take 36 Schritte Guten Tag Guten Tag. Bitteschön Ich möchte ein Konto eröffnen. Wozu soll das Konto genutzt werden? Einkommen. Okay. Das ist mein Ausweis. Das ist Ihr Ausweis? Okay. Was für Geld wird auf das Konto eingehen? Zum Beispiel Lohn. Okay. Einen Moment bitte   Autor 1 Wieder wartet Yachia. Die Frage nach dem Geld hat ihn überrascht. Erst wollte er mit den gängigen Klischees spielen und Drogengelder antworten. Er hat dann aber Lohn gesagt. Dabei arbeitet er ja gar nicht. Hat nur ein paar Gelegenheitsjobs. Wer stellt schon jemanden ein, von dem man nicht weiß, ob er in drei Monaten überhaupt noch im Land ist? Diesmal dauert die „Rücksprache“ länger als sonst – zwei Minuten.     Take 37 Sparkasse So, ich habe mit einer Kollegin Rücksprache gehalten. Das genügt nicht. Haben Sie Ihren Reisepass oder haben Sie einen Reisepass? Nein, ich habe nur das hier. Das ist mein Pass. Okay, haben Sie einen Nachweis, dass Ihr Reisepass einbehalten worden ist? Nee. Okay. Ich habe nur das hier. Okay, alles klar. Muss ich nur Rücksprache halten mit den Kollegen aus der Abteilung … Dann bitte ich Sie, nur kurz mal auf der Bank Platz zu nehmen. Kein Problem. Einen Moment bitte.   Autor 1   Yachia sitzt da, den Blick nach unten gerichtet. Fragen – warten - weggeschickt werden. Es ist immer der gleiche Ablauf, und jedes Mal wieder demütigend. Er will nichts geschenkt, er will ein Konto. Mehr nicht. Und er will das Wort „Rücksprache“ nicht mehr hören. Sein Gesicht verrät nicht, was gerade in ihm vorgeht.    Take 38 Sparkasse Normalerweise sagen die: Geht nicht und tschüss. So fragen die nach, haben gesehen, Radio ist dabei und können die nicht einfach sagen...Die fragen extra nach. Sonst, normalerweise sagen die, geht nicht und können leider nichts dafür tun. Gar nichts.     Autor 1   Die Angestellte kommt zurück:     Take 39 Sparkasse Danke, dass Sie einen Moment gewartet haben. Ich habe noch einmal Rücksprache mit unserer Abteilung genommen, da können wir das Konto eröffnen. Also das reicht aus.     Autor 1   Die Angestellte fragt, erklärt. Yachia antwortet. Er wundert sich. Noch nie haben seine Papiere gereicht, um ein Konto zu eröffnen. Danach setzt er sich auf eine Bank, ist erstmal still:   Take 40 Nach Kontoeröffnung Auf jeden Fall haben die das akzeptiert. Ich bin jetzt echt sprachlos, ich bin geschockt. Das war der hundertste Versuch. Und 101 hat geklappt. Ich weiß gar nicht, was ich dazu noch sagen soll. Autor 1   Yachia hat ein Konto – das erste eigene Konto seines Lebens – mit 26 Jahren.