KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : 46 Reihe : Literatur Kostenträger : P 62 110 Titel der Sendung : Zwanzigste Fassung, erste Klappe. Drehbuchbuchautoren und ihr Alltag. AutorIn : Martin Becker und Tabea Soergel Redakteurin : Barbara Wahlster Sendetermin : 22.11.2011 Besetzung : Erzählerin, Sprecher, Erzähler Regie : Martin Becker Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-00 Erste Klappe, zwanzigste Fassung. Drehbuchautoren und ihr Alltag. von Martin Becker und Tabea Soergel Deutschlandradio Kultur: 22.11.2011 Redaktion: Barbara Wahlster MUSIK, darüber: ERZÄHLERIN (Auszug TATORT-Drehbuch) "Die Kamera fährt durch den Club des Jahres 1988, links der Tresen, rechts das Aquarium, dazwischen die ovale Öffnung zum schwarzen Tanzraum. Aus der Tiefe kommt die Musik näher, nach der die Tänzer tanzen. Fun Boy Three, "Our lips are sealed". O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 1, 0:00 - 0:21 "Neulich hat mich jemand gefragt, was ich so mache. Und ich so: Drehbuchautor. Und dann hat sie kurz aufgelacht und meinte: Ach so, du machst Dienstleistungen." SPRECHER (Robert McKee, "Story") "Der Autor muss seinen Lebensunterhalt mit Schreiben verdienen." O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 2, 0:40 "Ich nummeriere meine Fassungen nicht mehr. Ich mache nur: Fassung. Datum." SPRECHER (Robert McKee, "Story") "Der Autor muss die klassische Form beherrschen." O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 2, 0:50 "Ich würde sagen, bei dem letzten Buch, das ich geschrieben habe, komme ich auf gut dreißig, vierzig Treatment-Fassungen. Da sammelt man den meisten Frust an." SPRECHER (Robert McKee, "Story") "Der Autor muss an das, was er schreibt, glauben." O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 2, 1:10 "Normalerweise schreibt man schon ungefähr ein bis zwei Jahre an einem Drehbuch, mindestens.Und dementsprechend landet man mindestens bei drei Fassungen, meistens bei, ja, so zwischen sieben und fünfzehn. Also, das ist normal." SPRECHER (Robert McKee, "Story") "Sie müssen das Schreiben lieben und die Einsamkeit ertragen." O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 2, 1:10 "Was aber nicht bedeutet, dass der Unterschied zwischen der vierzehnten und der fünfzehnten Fassung dann so enorm groß ist." ERZÄHLERIN (Auszug TATORT-Drehbuch) "Simon Herzog fährt in einem blauen Mercedes-Cabrio an der graffittibeschmierten Mauer entlang. Die Mauer teilt Strassen und Plätze. Tageslicht flackert surreal auf. Es wird schlagartig hell." MUSIK ausblenden O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 2, 0:22 - 0:46 "Erstmal, ich hab noch nicht so viele Drehbücher geschrieben, ich glaube, es geht immer noch schlimmer. Also, es gibt ein Drehbuch, das habe ich 2006 begonnen, jetzt haben wir 2011..." ERZÄHLER Sie sind überall, aber man sieht sie selten. In ihrem Kopf und an ihrem Schreibtisch fängt an, was man später auf dem Bildschirm oder der Leinwand sehen kann. Doch zumeist bleiben sie selbst unsichtbar: die Drehbuchautoren. Es gebe nur Schätzungen über ihre genaue Zahl, sagt Katharina Uppenbrink, die Geschäftsführerin des "Verbands Deutscher Drehbuchautoren", in dem vierhundert professionelle Schreiber für Film und Fernsehen organisiert sind. Etwa 800 bis 1000 hauptberufliche Drehbuchautoren sollen es in Deutschland sein. SPRECHER (Robert McKee, "Story") "Der Drehbuchautor ist zu bedauern, denn er kann kein Dichter sein. Ein literarisches Werk ist komplett und in sich abgeschlossen. Ein Drehbuch wartet auf die Kamera." MUSIK, darüber: ERZÄHLER Martin Behnke, Jahrgang 1978, schreibt seit zwei Jahren als freier Autor an Filmskripten. Er hat das Drehbuchschreiben an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg gelernt. Und er weiß, was ein gutes Buch für einen Film bedeutet - auch wenn bei der Premiere niemand danach fragt, wer sich die Geschichte eigentlich ausgedacht hat: O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 1, 0:22 - 0:46 "Fakt ist, dass es eine extrem langwierige und anstrengende Arbeit ist, die man da leistet, und die eine Basis für einen Film ist und auch meistens die Basis für die Finanzierung eines Films ist, man hat da einen relativ großen Anteil." ERZÄHLER Behnke sitzt an Drehbuchstoffen in verschiedenen Stadien, die sich überwiegend mit Jugendlichen beschäftigen und oft einen politischen Bezug haben - kein Mainstream für die Prime-Time also. Vor seinem Drehbuchstudium in Ludwigsburg hat Behnke eine wissenschaftliche Ausbildung absolviert und keine literarischen Texte geschrieben. Insofern schmerzt es ihn nicht, dass das Filmskript selten literarische Anerkennung erfährt, sondern in erster Linie eins bleibt: Mittel zum Zweck. O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 0, 2:10 "Das Drehbuch ist eigentlich etwas, was vorliterarisch ist. Es ist etwas, was in den meisten Fällen nur Regisseure, Produzenten, Schauspieler lesen, aber was nur bei Leuten wie Billy Wilder oder Fassbinder mal im Buchladen landet. Normalerweise liest man keine Drehbücher, es ist auch nicht so ein hoher Genuss." ERZÄHLER Überhaupt, ein Drehbuch schreibt man nicht wie einen Roman. Oft erarbeitet der Autor zuerst ein sogenanntes Pitch, einen kurzen Text, der die Handlung des Films in knappster Form zusammenfasst. Darauf folgt das längere Exposé, darauf folgt das Treatment, eine Vorstufe des eigentlichen Skripts. Erst dann fängt die Arbeit am Text an - und mit ihm der Kampf um die erste, die fünfte, die zehnte Fassung. Bis Redakteure, Regisseure, Produzenten endlich zufrieden sind, vergeht mitunter eine Menge Zeit. O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 2, 1:47 "Es gibt auch so Anekdoten, wo jemand ein Buch eingereicht hat, der Fernsehsender hat das total abgeblockt. Dann hat er ein Vierteljahr gewartet und hat gesagt, ich hab eine neue Fassung geschrieben, hat aber de facto kein einziges Wort geändert und die haben angerufen und meinten: Das ist die beste Überarbeitung, die ich je gelesen habe, das ist hervorragend." SPRECHER (Robert McKee, "Story") "Wenn Sie Ihre letzte Fassung beendet haben, müssen Sie eine fundierte Kenntnis Ihres Settings besitzen, die so eingehend und detailliert ist, daß niemand Ihnen eine Frage über Ihre Welt stellen kann - von den Eßgewohnheiten Ihrer Figuren bis zum Wetter im September -, die Sie nicht auf der Stelle beantworten können." O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 2, 4:43 "Da ist ja auch immer sehr viel Strategie mit verbunden, dass man sagt: Okay, was ist einem persönlich wichtig? Da wird sehr viel immer verhandelt. Dass ich sage; Mit dem was die Redaktion oder der Regisseur will, damit kann ich nicht leben. Da kann ich meinen Namen nicht druntersetzen. Dann sagt der Regisseur: Aber das, was du da schreibst, das kann ich nicht verfilmen. Das hat mit dem, was ich machen will, überhaupt nichts zu tun. Dann kommt vielleicht noch der Regisseur. Okay, die Redaktion hat jetzt etwas vorgeschlagen, was ich zum Beispiel ganz gut finde, der Regisseur aber total ablehnt." ERZÄHLER Steht das Drehbuch schließlich, endet mit der Arbeit des Autors auch sein Einfluss auf das, was mit seiner Geschichte weiter geschieht. Selbst wenn er es wollte: Beim Dreh hat er nichts mehr zu sagen. Mehr noch: Meistens ist der Autor auf dem Set sogar unerwünscht. O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 0, 4:35 - 5:15 "Ich geb das Drehbuch ja irgendwann ab. Ich werde in den weiterem Prozess auch nicht mehr einbezogen. (...) Wenn man jetzt nicht Charlie Kaufman ist oder so was, dann macht es auch gar keinen Sinn, auf bestimmten Punkten eisern zu beharren und sich da zu verschließen, weil der Regisseur entscheidet halt dann am Set. Und wenn er Dir halt fünf Mal sagt, er will die Szene nicht machen oder er will sie anders machen, dann wird er das machen. Würde ich auch machen, wenn ich Regisseur wäre." MUSIK ausblenden O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 3, 2:07 "Ich glaub, jede Premiere ist immer so eine Nahtoderfahrung, wenn man das das erste Mal sieht. Und es ist ja meistens auch... als Drehbuchautor sieht man den Film, wenn er fertig ist. Und da hat man schon viel Schiss." O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 3, 0:15 "Also, am Anfang ist es viel Alptraum. Und man macht erst immer alle anderen dafür verantwortlich. Die erste Verfilmung, die ich gesehen habe von etwas, das ich geschrieben habe, hat mich schockiert. Und im Nachhinein hab ich das nochmals gesehen und merkte, dass es gar nicht so schlecht ist. Das war eher so eine Scham, die man überwinden muss. Da ist eine Geschichte, die hat man sich ausgedacht, da reden Leute in einer Sprache, die man sich ausgedacht hat, und da gibt es einen gewissen Peinlichkeitsfaktor, auch einen Schamfaktor. Dann beschludigt man erst alle anderen, und irgendwann merkt man, naja, es fehlt einem selbst auch noch irgendwie an Reife. Man ist eigentlich meistens über die Sachen verärgert, die man nicht selbst produziert hat. Ich hatte es aber auch schon, dass ich das gesehen habe und große Angst hatte und plötzlich im Kino dachte, dass das schon sehr anständig geworden ist. Dass es besser geworden ist als das, was ich geschrieben hab. Das ist dann der glückliche Moment, dass man merkt: Ah, das war eine unglaublich schwache Szene und das, was der Regisseur daraus gemacht hat, das ist eigentlich ziemlich gut geworden." ERZÄHLER Natürlich kann man als Drehbuchautor, sagt Martin Behnke, sehr gut Geld verdienen. Skripte zu "Tatorten" empfehlen sich, auch Serien können sich lohnen. Trotzdem ist es alles andere als einfach, Fuß zu fassen. Ein Blankoscheck ist die Ausbildung zum Drehbuchautor jedenfalls nicht. O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 5, 3:25 "Also, ich kann allein vom Drehbuchschreiben noch nicht überleben. Also, ich mache schon auch andere Sachen, ich hab für Ausstellungen gearbeitet, da auch so Texte produziert, hab auch noch einen Job nebenbei, dass da so eine Grundsicherung da ist. Man sollte zumindest nicht die falsche Illusion haben, dass es sozusagen eine Geldkarte ist." O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 5, 2:07 "Man hat natürlich Durststrecken. Und die können auch lange dauern. Ich bin jetzt erst grad aus der Filmhochschule raus seit zwei Jahren, insofern bin ich mit dem noch nicht konfrontiert worden, aber ich kenne Leute, die haben schon Durststrecken gehabt, die können sich schon mal über fünf, sechs, sieben Jahre hinziehen, wo du trotzdem ganz viel arbeitest, wo du trotzdem ganz viel schreibst, Drehbücher, und es funktioniert einfach nicht." O-TON MARTIN BEHNKE TRACK 5. 2:40 "Und da ist dann natürlich auch immer die Frage: Schreibt man dann etwas, was einem nicht unbedingt liegt, was einem aber Geld bringt, geht man auch in so Daily- Soap-Formate, dagegen ist auch nichts zu sagen, es ist aber einfach doch etwas, wo man sagt: Da steht jetzt die Selbstverwirklichung und die eigenen Stilpflege nicht unbedingt im Vordergrund." MUSIK, darüber: SPRECHER (Robert McKee, "Story") "Eine 'gute Story' bedeutet etwas Erzählenswertes, das die Welt hören möchte. Es zu finden ist Ihre einsame Aufgabe. Es beginnt mit Talent. Sie müssen mit der schöpferischen Kraft geboren sein, Dinge in einer Weise zusammenzusetzen, die sich noch keiner je hat träumen lassen. Dann muß Ihre Arbeit von einer Vision getragen sein, voll von neuen Einsichten in die menschliche Natur und die Gesellschaft, verbunden mit eingehender Kenntnis Ihrer Figuren und Ihrer Welt. All das... und (...) viel Liebe." ERZÄHLERIN Der Drehbuchautor muss sich nicht nur mit Redakteuren, Produzenten und Regisseuren arrangieren. Mittlerweile ist eine ganze Ratgeber-Industrie entstanden, die ihm erklären will, wie das perfekte Skript funktioniert. Das Standardwerk zu diesem Thema hat Robert McKee veröffentlicht: "Story. Die Prinzipien des Drehbuchschreibens". SPRECHER (Robert McKee, "Story") "Um lebendig zu schreiben, müssen Sie Gattungsbegriffe und Verben, an denen Adjektive oder Adverbien hängen, vermeiden." "Eliminieren Sie jedes 'ist' und jedes 'sind' aus Ihrem Drehbuch. Auf der Leinwand ist nichts im Zustand des Seins; das Leben in einer Story ist ein endloser Fluß der Veränderung, des Werdens." ERZÄHLERIN Robert McKee hat als Story-Analyst für Filmstudios und TV-Sender gearbeitet und Skripte für Kino und Fernsehen geschrieben. Bis heute gibt er Seminare auf der ganzen Welt, in denen er die Grundlagen des Storytellings und -sellings vermittelt: Wie erzählt man eine Geschichte und verkauft sie erfolgreich dem Zielpublikum. SPRECHER (Robert McKee, "Story") "Eliminieren Sie alle Metaphern und Vergleiche, die den Test: 'Was kann man auf der Leinwand sehen (oder hören)' nicht bestehen." "Eliminieren Sie jedes 'Wir sehen' oder 'Wir hören'. Sobald wir im Story-Ritual gefangen sind, könnte das Kino auch leer sein, ohne daß und das schert." "Eliminieren Sie alle Kamera- und Schnittanweisungen." ERZÄHLERIN Seine Kritiker werfen Robert McKee vor, dass er nicht wisse, wovon er spricht: Zwar habe er die Rechte an seinen Kinodrehbüchern verkauft, doch sei noch kein einziges realisiert worden. Auch die letzte Fernsehproduktion, für die er das Skript verfasst hat, liegt fast zwanzig Jahre zurück. Außerdem sei sein Ansatz alles andere als neu. McKee selbst bestätigt das: Viele seiner Ideen seien schon seit Jahrhunderten im Umlauf. Als Haupt- Inspirationsquelle nennt er Aristoteles. MUSIK ausblenden. InterviewMaiwald1, 49:28 - 49:58 "Als junger Drehbuchautor, bis man da mal irgendeinen Stoff losgekriegt hat, das ist schlimmer, als im heißen Sommer durch einen Sumpf zu stapfen und von allen Seiten mit Mücken bejagt zu werden. Das ist, glaube ich, die Hölle. Das muss man wollen. Da muss man auch ein bisschen masochistisch sein, glaube ich, um zu sagen: Okay, das stehe ich durch." ERZÄHLER Während die meisten Drehbuchautoren lebenslänglich im Verborgenen arbeiten, gibt es auch glückliche Exoten unter ihnen. Zum Beispiel: Armin Maiwald. Der Armin. 1957 begann er seine Laufbahn als Regieassistent und führte später bei Kinderserien wie "Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt" oder "Hallo Spencer" Regie. Ende der 1960er erfand er eine Serie mit, die längst zu einem der erfolgreichsten TV-Formate weltweit avanciert ist: "Die Sendung mit der Maus". InterviewMaiwald1, 03:40 - 03:57 "Den ersten Film haben wir gedreht 1969. Steht da oben im Regal, ganz links, allererste Spur, ganz linkester Film ist der allererste Mausfilm, den es jemals gegeben hat, ist "Das Brötchen". Haben wir hier in Kalk in der Trimbornstraße gedreht." ERZÄHLER Wo kommt die Büroklammer her. Was macht ein Schiffshund, wenn er mal muss. Oder auch: Was ist Dunkle Materie? Seit über vierzig Jahren schreibt, inszeniert und produziert Armin Maiwald "Sach- und Lachgeschichten" für die "Sendung mit der Maus". Was ihn von den meisten seiner Kollegen unterscheidet: Da er auch Sprecher und Darsteller ist, erkennt ihn sein Publikum wieder. InterviewMaiwald1, 30:38 - 31:02 "Als mich der erste Mensch auf der Straße nach einem Autogramm gefragt hat, habe ich irgendwo gestanden und hab zugeschaut, wie Straßenbahnschienen verlegt wurden. Fand ich spannend, hab ich geguckt, bin ja neugierig. Hab ich mich umgedreht, weil ich dachte, hinter mir steht ein berühmter Mensch oder so. Ich konnte das gar nicht fassen, dass der von mir ein Autogramm wollte! Mittlerweile hab ich, weiß ich nicht, Zehntausende geschrieben, so ein Stapel Zeug ist das dann immer." MUSIK, darüber: ERZÄHLERIN Zur Mannschaft der "Sendung mit der Maus" gehört seit Mitte der 1970er auch Christoph Biemann. Seit 1983 taucht er selbst in den "Sach- und Lachgeschichten" auf, die er schreibt und mit seiner Firma produziert. Grüner Pullover, Schnurrbart, schlichtes Gemüt: der Christoph. Vor die Kamera getreten ist Biemann aus reinem Pragmatismus; als Regisseur war er ohnehin immer vor Ort. Interview Biemann, 23:10 - 23:32 "Der erste Film war ein Film, wo man immer ins Wasser springen musste. Also: wo ich immer ins Wasser springen musste. Da gab's einen Moment, wo ich dann so über dem Wasser schwebte, aber ich konnte eh nicht mehr zurück, wo ich dachte: Warum machst du das hier eigentlich? (Lacht.) Aber der war dann schnell überwunden, das Wasser war dann da, ich war nass, und dann war es auch gut." ERZÄHLERIN Am Jahresende einigen sich Autoren und Redakteure der "Sendung mit der Maus" auf die Themen für das Folgejahr. Anschließend beginnen Armin Maiwald und Christoph Biemann zu recherchieren - das verschlingt die meiste Zeit. Fachliteratur sichten, Schauplätze besuchen, Experten rekrutieren. Wenn die Recherche endet, beginnt die Kunst: das gesammelte Wissen in eine einfache, gut erzählte Geschichte zu verwandeln. Interview Biemann, 08:29 - 08:49 "In den meisten Fällen setze ich mich dann hin und schreibe eine Geschichte. In Prosa, also gar nicht als Drehbuch mit Rechts und Links, sondern als Prosageschichte. Wie ich sie Ihnen erzählen würde. Oder meinem Redakteur. Damit ich ein bisschen mehr Zeit zum Nachdenken habe, schreibe ich sie halt auf." InterviewMaiwald1, 11:37 - 12:07 "Da sitze ich dann hier vor meiner Kiste und kaue an den Nägeln und beiße am Bleistift rum und alles, was Sie sich sonst noch vorstellen können. Und versuche dann Stückchen für Stückchen, die Geschichte zu entwickeln, in kleinen Schritten, sodass das sprichwörtliche Kind das auch alles nachvollziehen kann. Und wenn das dann soweit ist, dann lasse ich noch mal die entsprechenden Wissenschaftler drübergucken: Ist das denn jetzt auch alles richtig." ERZÄHLER Ist das Buch fertig, wird gedreht. Eine erste Fassung des Films wird erstellt. Dann kommt die Stunde der Wahrheit: die Abnahme durch die Redaktion. Der Redakteur, sagt Armin Maiwald, ist Mittäter, Kontrollinstanz und allererster Zuschauer. Und ihm gegenüber steht ein Autor, der nicht nur Zeit und Geld, sondern auch viel Herzblut in den Film investiert hat. InterviewMaiwald1, 15:28 - 16:06 "Es hat Abnahmen gegeben, die gingen, flatsch, durch wie das warme Messer durch die Butter. Und es gab Abnahmen, da haben wir uns gestritten wie die Kesselflicker. 'Nein, das ist aber so!' - 'Nein, das muss aber so sein!' - 'Nein, das...' Hin und her. Aber wir haben dabei uns eigentlich nie umgebracht. Wir leben alle noch. Wir haben auch nicht die Messer gezückt, sondern wir haben uns nachher wieder vertragen. Und manchmal lag die Wahrheit mehr auf der einen Seite, manchmal lag die Wahrheit mehr auf der anderen Seite. Aber wir haben eigentlich immer, in 100% der Fälle, einen ordentlichen Kompromiss gefunden, also, das muss man schon sagen, ne. Auch wenn es manchmal ein bisschen hart herging." Interview Biemann, 15:51 - 16:09 "Es gab den einen Redakteur, mit dem ich dann hinterher immer noch ein Kölsch trinken gehen musste, um so die gegenseitige Basis festzustellen, dass man sich ja doch mag und so (lacht), das war dann manchmal nötig. Aber nein, das ist ist in letzter Zeit nicht mehr passiert." (Lacht.) ERZÄHLER Armin Maiwald hat in seiner langen "Maus"-Karriere bereits sieben Redakteure erlebt. Das persönliche Verhältnis, sagt er, sei genauso freundschaftlich wie früher. Neu sei der Faktor Angst. In den öffentlich-rechtlichen Redaktionen herrsche zunehmender Quotendruck. InterviewMaiwald1, 43:58 - 44:10 "Quote! Die heilige Kuh Quote! Die heilige aller heiligsten Kühe! Quote! Wir brauchen Quote! Ja. (Pause.) Punkt." ERZÄHLERIN Christoph Biemann betont, dass sich über die Jahre in erster Linie die technischen Details verändert hätten. Mit den Gestaltungsmöglichkeiten hätten sich auch die Fehlermöglichkeiten vervielfacht. Doch das, worauf es bei jeder guten Geschichte ankommt, sei von Dauer. Interview Biemann, 29:35 - 29:58 "Dass man sich z.B. um die Leute kümmert, dass man viel auch sich den Menschen zuwendet. Und dass man einfach auch mit offenen Sinnen und hochkonzentriert auch durch die Gegend läuft, das ist einfach immer so gewesen. Das hat sich nicht geändert." Interview Biemann, 32:13 - 33:05 "Ich hab mal ein Buch übersetzt von Jerry Lewis, der hat gesagt: Ein Neckermann- Katalog ist eine wichtigere Informationsquelle als eine Filmfachzeitschrift. Weil man da halt sieht: Wie wohnen die Leute. Also, dass man sich einfach für seine Mitmenschen und für die Menschen interessiert, weil selbst wenn man Science- Fiction-Autor ist oder Horror oder was weiß ich, ein anderes Genre, das ganz fiktiv ist, geht es eigentlich immer um die Menschen und deren Macken, deren Eigenschaften, deren Probleme. Egal, wie man es erzählt. Und das heißt, man muss die auch gut kennen, muss auch eine gewisse Sympathie und Empathie empfinden mit den Menschen. Und dann kann man auch gute Bücher schreiben." SPRECHER (Robert McKee, "Story") "Der Autor ist der Seelen-Wurm." MUSIK, darüber: O-TON JOSEPHINE SCHRÖDER-ZEBRALLA TRACK 1, 1:20 "schwieriger finde ich eher noch, dass man manchmal aneinander vorbei redet, dass man sich nicht verständlich machen kann, also, der Redakteur nicht hundertprozentig klar machen kann, was er eigentlich möchte und der Autor es nicht versteht und auch nicht umsetzen kann. Und das ist natürlich ein Problem der Kommunikation auch." ERZÄHLER Seitenwechsel. Josephine Schröder-Zebralla gehört zu den ersten Personen, die das lesen, was im Kopf des Autors entstanden ist. Und: Sie muss dem Autor sagen, dass noch eine zweite, dritte, vierte Fassung fällig ist: Schröder-Zebralla verantwortet den Sonntagabend in der ARD: als Redakteurin für den Berliner "Tatort". O-TON JOSEPHINE SCHRÖDER-ZEBRALLA TRACK 1, 1:48 "Oft habe ich auch ein Unbehagen wenn ich etwas lese im Drehbuch, und ich weiß aber nicht, woran liegt es, wo kommt dieses komische Bauchgefühl her, und da muss man sich dann gemeinsam rantasten." ERZÄHLERIN Angefangen mit der Arbeit an Drehbüchern hat sie nach ihrem Germanistikstudium als Lektorin. Heute kümmert sich Schröder-Zebralla um die zwei jährlichen Ausgaben des Berliner "Tatorts" mit den Kommissaren Till Ritter und Felix Stark, gespielt von Dominic Raacke und Boris Aljinovic. O-TON JOSEPHINE SCHRÖDER-ZEBRALLA TRACK 0, 1:42 "Der erste "Tatort" war der "Tatort: Zahltag", bei dem bin ich aber dazu gestiegen als das Drehbuch fertig war, weil ich wegen meiner damals noch kleinen Tochter eine Beurlaubung hatte, bin wieder zurück in den Sender gekommen und dort eingestiegen bei einer Leseprobe mit Dominic Raacke und Boris Aljinovic und dem Regisseur. Das machen wir heute auch noch so, das Ganze war jetzt aber vor dreizehn Jahren etwa. Und es gab einen unglaublichen Krach. Weil ich ein Drehbuch verteidigen musste, was ich nicht entwickelt hatte, weil die beiden Schauspieler teilweise zu Recht auch Schwierigkeiten mit ihren Rollen hatten, weil der Regisseur auch hin- und herschwankte zwischen der Meinung der Schauspieler und meiner Meinung und es brannte die Luft und ich dachte, ich muss meinen Abteilungsleiter anrufen und sagen: Kommen Sie bitte her und schlichten Sie. Aber irgendwie ging es dann. Also, wir sind dann durch unterschiedliche Türen raus aus dem Zimmer und nach einer Weile wieder hinein. Und dann haben wir uns zusammengerauft, und der "Tatort" ist auch sehr schön geworden." ERZÄHLERIN Ist ein Buch endgültig fertig, muss es die Feuerprobe bestehen und bei der Leseprobe, zu der auch der Autor erscheinen darf, dem Urteil von Schauspielern und Regisseur Stand halten. Wo stimmt das Tempo nicht, ist der Dialog zu hölzern, wieso holpert diese Szene? O-TON JOSEPHINE SCHRÖDER-ZEBRALLA TRACK 0, 3:05 "Zum ersten Mal wird der Text ja ausgesprochen, das heißt, der ist schon auf dem halben Weg, lebendig zu werden, weil man die Sprache halt schon hört und die Schauspieler schauen und spüren können, ob sie das Zeug aus dem Mund kriegen oder nicht." ERZÄHLERIN Im Laufe der Jahre hat auch der Druck auf die "Tatort"-Macher zugenommen: Hatte man in den 80er-Jahren noch 28 Drehtage Zeit für 90 Minuten "Tatort", so sind es heute nur noch 21 bis 22 Tage. Etwa ein Jahr dauert die Entwicklung eines Drehbuchs - und viel Luft nach hinten, sagt Schröder-Zebralla, gibt es nicht. Die Termine lassen sich nicht wahllos verschieben, die Schauspieler sind gebucht - und das Skript muss fertig werden. Auch wenn viele Leute mitreden wollen. O-TON JOSEPHINE SCHRÖDER-ZEBRALLA TRACK 1, 4:31 "Die Kreise werden mittlerweile immer größer. Es gibt den Produzenten, der mitspricht, weil es geht ja auch um Geld und er muss schauen, dass das Drehbuch nicht in der Entwicklung schon zu teuer wird. Oft hat eine Firma auch einen eigenen Dramaturgen, also, es sind schon gern mal vier, fünf Menschen, die um einen Tisch sitzen und auf den Drehbuchautor einreden, und das ist nicht so einfach." MUSIK ausblenden ERZÄHLERIN (Auszug TATORT-Drehbuch) Zwei Personen im ruhigen Gespräch; plötzlich werden die Gesten groß. Die zweite Person schubst Herzog vor sich her. Herzog zieht seine Pistole. Die zweite Person läßt eine Stahlrute herausschnellen. O-TON JOSEPHINE SCHRÖDER-ZEBRALLA TRACK 0, 4:05 "Wir sind schon dabei mit fünf, sechs Drehbuchfassungen. Selten, dass wir mal mit zwei oder drei Fassungen auskommen, das war zum Beispiel in dem Film "Hitchcock und Frau Wernicke" so, der ja ein Kammerspiel war von Klaus Krämer, Autorenfilmer, sag ich mal, da war auch das Buch und die Regie in einer Hand, und das war ziemlich schnell aus einem Guss, da hatten wir drei Fassungen, und ich muss sagen, das war für mich mal eine Erlösung, zwischendurch, das war sehr schön, und es war natürlich für den Autor und den Regisseur natürlich schön." ERZÄHLERIN (Auszug TATORT-Drehbuch) Herzog schreit auf, hält sich den Arm und schaut auf die Stahlrute, die ihn getroffen hat. Der Schatten greift in den Sand und hebt die Waffe auf, die Herzog hat fallen lassen. ERZÄHLER Regieanweisungen aus dem aktuellen Berlin-Tatort "Mauerpark", ausgestrahlt im Oktober 2011, zu dem Heiko Schier das Drehbuch geschrieben hat. In dieser Szene geschieht das Entscheidende für jeden "Tatort": der Mord. ERZÄHLERIN (Auszug TATORT-Drehbuch) Herzog flieht in den offenen Teil eines Schrottplatzes. Der Angreifer folgt, treibt ihn mit der Waffe vor sich her. O-TON JOSEPHINE SCHRÖDER-ZEBRALLA TRACK 0, 6:00 "Mir reicht es eigentlich schon, wenn mich eine Sache begeistert, also eine Figur, oder das Thema, oder ein besonders schöner Anfang, aus dem man dann weiter erzählen kann, das finde ich immer schon wichtig, dass ein Funken überspringt. (...) Es gibt natürlich auch Vorschläge, die einen kalt lassen, wo man denkt: Das ist Papier, das ist nicht lebendig, die Figuren stellen sich nicht auf, das wird schwierig werden. Und da muss man dann ablehnen, leider." ERZÄHLER In über zwanzig Jahren, erzählt Josephine Schröder-Zebralla, hat es nicht eine einzige unverlangt eingesandte Idee geschafft, zum Sonntags-"Tatort" zu werden. Und natürlich bedeutet das wöchentliche Millionenpublikum auch, dass es gewisse Regeln für die Skripte gibt, auch, wenn sich die Stile der "Tatorte" wesentlich unterscheiden. O-TON JOSEPHINE SCHRÖDER-ZEBRALLA TRACK 1, 6:30 "Es gibt gerade beim "Tatort" eine "Tatort-Bibel", die von den Tatort-Machern hergestellt wurde mit gewissen Gesetzen, die ungern gebrochen werden. Und das ist wahrscheinlich noch ein weiter Weg, die zu brechen." ERZÄHLERIN (Auszug TATORT-Drehbuch) Herzog steigt eine Schrotthalde hinauf, als ihn der erste Schuss ins Knie trifft. Herzog klettert weiter, der Schrott ist scharfkantig, das Klettern fällt ihm schwer. Herzog erreicht die Spitze der Halde. Die zweite Kugel trifft ihn in den Rücken. Der Schuss verhallt. Vogt richtet sich auf. Herzog liegt leblos auf der Halde. ERZÄHLER Josephine Schröder-Zebralla ist auch nach den vielen Jahren noch Feuer und Flamme für ihren "Tatort" und erzählt, dass sie jeden Sonntag natürlich auch die Krimis der Kollegen aus Münster, Köln, Kiel anschaut - vielleicht auch, um interessante Autoren für den eigenen "Tatort" kennen zu lernen. Das sei wie Vokabeln lernen, sagt sie. Bei aller Liebe zur Entwicklung einer Geschichte von Anfang bis Ende - für sie selbst käme es nie in Frage, mit dem Drehbuchautor zu tauschen. O-TON JOSEPHINE SCHRÖDER-ZEBRALLA TRACK 2, 8:40 "Ich könnte es nicht. Es ist ja schon eine sehr spezielle Arbeit, auch eine sehr einsame Arbeit, da sitzt man mit seinen Problemen, Gedanken und Fantasien zu Hause, muss damit alleine zurecht kommen, erst einmal, bevor man damit an die Redaktion geht, ich bin ja sozusagen der erste Leser von dem Stoff, es sei denn, Freunde des Autors oder die Ehefrau oder die Kinder haben das schon gelesen, das kommt auch vor, aber ich könnte das nicht machen." ERZÄHLERIN (Auszug TATORT-Drehbuch) Zwei Mitarbeiter der Gerichtsmediziner stehen neben den Kommissaren auf der Halde, einer macht Tatortfotos. Ritter und Stark drehen den Toten auf den Rücken. Sie erkennen Simon Herzog. O-TON JOSEPHINE SCHRÖDER-ZEBRALLA TRACK 2, 2:40 "Er ist die Wurzel des Ganzen, aus ihm entspringt ja alles, wenn er eine sehr schöne, spannende, runde Geschichte entwickelt, eine besondere Geschichte, dann ist das wunderbar, das ist das, worauf alles aufbaut. Ohne das wäre ein Film gar nichts." SPRECHER (Robert McKee, "Story") "Wie in einem Magneten eine elektrische Ladung von Pol zu Pol springt, so entzündet sich der Lebensfunke über die Kluft hinweg zwischen dem Selbst und der Realität. Mit diesem Energieblitz zünden wir die Kraft der Story und bewegen das Herz des Publikums." 1