COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Zeitfragen 23.12.2013 Eben mal die Welt retten. Warum Gutmenschen so verhasst sind Eine Sendung von Ulrike Köppchen O-Ton: Österreicherin Ein Gutmensch ist für mich jemand, der eigentlich seine eigenen Moralvorstellungen geschaffen hat und die der Welt aufoktroyiert. Vordringliches Beispiel: Ökologie- Gutmenschen, die Grünen. Das sind Faschos. Nicht alle Grünen, natürlich nicht, aber spezielle Menschen, die dann glauben, anderer Menschen Lebensweise dominieren zu wollen. O-Ton: Margot Käßmann Ich finde es ärgerlich, dass das zu einem so diffamierenden Begriff geworden ist mit Blick auf Menschen, die glauben, sie könnten die Welt verbessern. Ich finde, wir brauchen solche Menschen. O-Ton: Berliner Ich zähle mich nicht zu den Gutmenschen, und ich möchte auch nicht als Gutmensch bezeichnet werden, auf keinen Fall, weil ich denke, diese Leute sind ziemlich extrem und sind meistens auch ziemliche Heuchler. O-Ton: Claudia Roth Seit ich Politik mache, habe ich ja diese Zuschreibung, und das ärgert mich wirklich unglaublich, dass die, die Gutmenschen verächtlich machen, eigentlich diejenigen sind, die für schlimme Zustände verantwortlich sind. Ist es Gutmenschentum, wenn du sagst, ich will nicht in einem Europa leben, wo Flüchtlinge, im Mittelmeer Tausende ums Leben kommen, ertrinken? Musik Sprecher vom Dienst: Eben mal die Welt retten. Warum Gutmenschen so verhasst sind Eine Sendung von Ulrike Köppchen O-Ton: Norbert Bolz Gutmenschen sind Leute, die eine Rhetorik pflegen, die auch einen eigenen Namen in den letzten Jahrzehnten bekommen hat, nämlich political correctness. Und diese political correctness kann man sehr gut beschreiben und damit ja eigentlich auch den Gutmenschen: Sie setzt sich zusammen aus politischem Moralismus, aus einer Art Sprachhygiene, in einer Menge von Sprachtabus und darüber hinaus auch durchaus eine Art puritanischer lustfeindlicher Haltung. Sprecherin: Der Philosoph und Medienwissenschaftler Norbert Bolz, Professor an der TU Berlin und einer der profiliertesten Kritiker der sogenannten "Gutmenschen", unter deren Knute wir seit Jahrzehnten stehen oder jedenfalls angeblich stehen. Gutmenschen zwingen uns, Unisex-Toiletten für Menschen zu bauen, die sich nicht für ein Geschlecht entscheiden können oder wollen, sie wollen das Ponyreiten auf Jahrmärkten verbieten, weil das keine artgerechte Tierhaltung darstellt. Wenn ein Ausländer eine Straftat begangen hat, darf man das auch nicht mehr erwähnen, damit keine fremdenfeindlichen Ressentiments geschürt werden. Und wer es wagt, all das zu kritisieren, wird sofort als Rassist, Reaktionär oder gar Nazi abgestempelt. So oder jedenfalls so ähnlich grummelt es im Volk. Der Unmut über die selbst ernannten Tugendwächter, Minderheitenschützer und Volkserzieher richtet sich vor allem gegen die Grünen, die all das zu verkörpern scheinen. O-Ton: Claudia Roth Ich glaube schon, dass die Leute sagen: wir lassen uns doch nicht vorschreiben, wie wir zu leben haben, und genau in so ein Bild sind wir gerückt worden. Sprecherin: Claudia Roth, langjährige Parteivorsitzende der Grünen und heute Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Endgültig voll war das Maß am 5. August dieses Jahres, als die Bild-Zeitung titelte: "Grüne wollen uns das Fleisch verbieten", daneben ein Foto, auf dem eine verkniffen dreinschauende Renate Künast dem Leser einen kargen Apfel entgegenstreckt. Der Anlass war simpel: Die "Bild" hatte eine drei Jahre alte Forderung der Grünen nach einem vegetarischen Donnerstag in öffentlichen Kantinen ausgegraben, die sich auch im Wahlprogramm der Partei für die Bundestagswahl 2013 wieder fand. Der "Veggie Day" war eigentlich gut gemeint, betont Claudia Roth. Ton: Claudia Roth Eigentlich war die Idee, zu sagen: Mensch, liebe Leute, lasst uns doch mal gemeinsam nachdenken, was hängt eigentlich dran an der ganzen Ernährung? Was bedeutet der übermäßige Fleischverbrauch fürs Klima, was bedeutet er für die Böden, was bedeutet er für Entwicklungsländer, was bedeutet es für die Gesundheit? Muss man das überhaupt oder ist es nicht eine Möglichkeit, auch mal bewusst darauf zu verzichten, um auch ein Statement abzugeben? Sprecherin: Dennoch brach ein wahrer Sturm der Empörung los. Nicht nur bei den politischen Gegnern CDU und FDP, die mitten im Wahlkampf nur zu bereitwillig auf den Entrüstungszug aufsprangen, auch in den social media Twitter und facebook wurde gewaltig gegen den Tugendterror der Grünen gestänkert. Und selbst die sonst so verständnisvolle "Zeit" wünschte sich statt "Veggie Day" einen "zero day": einen Tag "ohne Weltverbesserungsvorschläge und Erziehungsmaßnahmen der Grünen". O-Ton: Claudia Roth Man sollte daraus lernen, dass wir tunlichst alles dafür tun müssen, dass grüne Politik eben keine Spaßbremse ist, dass es ein unglaublicher Lustgewinn ist, auch mal sich bewusst zu ernähren oder auch mal bewusst Strom oder Energie einzusparen und dass wir Rahmenbedingungen brauchen, wenn wir nicht die Augen vor dem verschließen, was morgen ist. Sprecherin: Lustgewinn durch Verzicht und dann noch auf Fleisch - das ist für viele schwer nachvollziehbar: O-Ton: Alessandro Alviani Man hat manchmal in Deutschland den Eindruck, dass man den Deutschen nicht ihre Wurst nehmen sollte. Sprecherin: Der Journalist Alessandro Alviani, Korrespondent der italienischen Tageszeitung "La Stampa" in Berlin. O-Ton: Alessandro Alviani Es war erwartbar, dass das schlecht ankommt, dass das im Grunde genommen eine Trotzreaktion verursacht und das ist das, was passiert ist. Wenn man das nüchtern betrachtet, dann macht das natürlich Sinn. Persönlich hätte ich vorgezogen, hätte jemand vielleicht gesagt: Man muss nicht jeden Tag Fleisch essen, aber wenn, dann versuchen Sie auf Qualität zu setzen! Musik Tim Bendzko: Nur noch kurz die Welt retten (intro) O-Ton: RB Ich denke, Gutmenschen sind wichtig für die Gesellschaft, das sind so Leute, die die Summe des Glücks vergrößern wollen, aber für sich selbst sind die eher nicht so gut, also ich glaube, Egoismus ist ne ganz wichtige Eigenschaft, wenn man glücklich werden will im Leben.. O-Ton: Rainer Erlinger Gutmensch hat ja bei uns im allgemeinen Sprachgebrauch so einen negativen Beigeschmack so in Richtung, das ist jemand, der sich gut verhält und sich damit über die anderen Menschen erhebt, weil er sich für besser hält; also eigentlich wird Gutmensch im Sinne von Sich-Besser-Halten-Mensch verwendet im allgemeinen Sprachgebrauch O-Ton: FS Gutmenschen sind Menschen, die denken, dass die Welt gut ist, dass man den anderen Leuten helfen soll und sie haben naive Vorstellungen davon, was die anderen Menschen auf der Welt so wollen.] O-Ton: Norbert Bolz die schönste Definition des Gutmenschen. Von Mark Twain: Der Gutmensch ist ein guter Mensch von der schlimmsten Sorte Sprecherin: Nicht nur von Mark Twain schüttete gern Häme und Spott über "gute Menschen" aus. Dem amerikanischen Schriftsteller Charles Bukowski wird folgender Satz zugeschrieben: Zitator: Für den Sieg des Bösen reicht es schon, wenn die guten Menschen ihr Bestes tun. Sprecherin: Und für den Philosophen Friedrich Nietzsche war der "gute Mensch" schlicht ein "Mucker": Zitator: Vielleicht gab es bisher keine gefährlichere Ideologie, keinen größeren Unfug in psychologicis als diesen Willen zum Guten: man zog den widerlichsten Typus, den unfreien Menschen groß, den Mucker. O-Ton: Norbert Bolz Nietzsche hat eine sehr schöne Theorie vom letzten Menschen, wie er diesen Menschen nannte. Das ist ein Begriff, den man im Zarathustra findet, in seinem Hauptwerk, und dieser letzte Mensch ist eigentlich der Mensch unserer eigenen Gegenwart. Es ist jemand, dem es sehr gut geht, der in einer Wohlstandsgesellschaft lebt, der seinen Genuss am Tag und seinen Genuss in der Nacht findet, der seine kleinen Drogen und Betäubungen kennt und zu schätzen weiß, also ein Mensch, der durch und durch zufrieden ist mit sich selbst und jemand, der allerdings auch keinerlei Vorstellung von Transzendenz hat. Sprecherin: Nietzsche mit seiner Theorie vom Übermenschen gilt vielen als der geistige Vater der Kritik am Gutmenschentum, ohne dass Nietzsche diesen Begriff jemals benutzt hätte. Naiver Weltverbesserer. Der gilt zwar Vielen als peinlich und uncool, aber ist doch im Grunde harmlos, auch wenn er mit seinem Missionieren für die gute Sache nervt und gleichzeitig weniger moralischen Zeitgenossen ein schlechtes Gewissen bereitet. Rainer Erlinger, Arzt, Jurist und Autor von Büchern und Kolumnen zu Fragen der Alltagsmoral: O-Ton: Rainer Erlinger Für mich ist das klassische Beispiel der Vegetarier. Ich selbst lebe auch vegetarisch und man erlebt es oft, wenn man sagt, ich lebe vegetarisch, dass man plötzlich großen Angriffen ausgesetzt ist... ich hab überhaupt nicht gesagt, ob man vegetarisch leben soll oder nicht, sondern nur: ich lebe so oder ich möchte halt kein Fleisch essen, wie man's auch sagen will, aber sehr viele Leute haben in dem Moment ein schlechtes Gewissen auf der einen Seite, weil sie das Gefühl haben, ich sollte es auch nicht tun, auf der anderen Seite haben viele davon die Erfahrung gemacht, dass sie von Vegetariern, von so missionarischen, böse angegriffen wurden und haben dann eben so einen negativen Beigeschmack dabei, ich glaube, das ist dieses Problem. Musikakzent kurz frei, dann unterlegen und zwischen den einzelnen O-Tönen jeweils kurz hochziehen O-Ton: Margot Käßmann Das erlebe ich öfter: ja, was bildet sich denn Frau Käßmann ein, dass sie die Welt verbessern könnte. Sprecherin: Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende und Hannoveraner Bischöfin, Margot Käßmann. O-Ton: Margot Käßmann Nach dem Kirchentag in Dresden hatte Anne Will eine Fernsehsendung zum Thema Gutmenschen und ich bin hingegangen, weil ich dachte, ich möchte gerne diese Christinnen und Christen, die bei den Kirchentagen sind, verteidigen. Die werden ja immer ein bisschen belächelt. O-Ton: Margot Käßmann In der Sendung war Herr Bolz, ein Medienphilosoph, und Martin Lindner von Der FDP von der politischen Seite und die haben im Grunde gesagt, die realen Probleme sind so komplex, das verstehen doch einzelne gar nicht und das ist viel zu naiv, wie viele Leute da ran gehen. O-Ton: Margot Käßmann Ich hab dann ja ein Buch geschrieben: "doch, wir können die Welt verbessern", weil mich das ärgert. Wir brauchen doch zivilgesellschaftliches Engagement! Für mich ist ein ganz großes Vorbild: Martin Luther King, der gesagt hat: ich habe einen Traum, dass eines Tages meine vier Kinder mit anderen Kindern in einer Welt ohne solchen Rassenwahn zusammensitzen können und Jahrzehnte später zieht ein schwarzer Präsident mit seiner schwarzen Familie in das Weiße Haus in Washington ein. Dafür braucht es Visionen und Träume. Sprecherin: Richtig gefährlich wird der Gutmensch in den Augen seiner Gegner aber erst, wenn sich sein Drang zur Weltverbesserung mit politischer Korrektheit verbindet. Dann mutiert er zum Tugendterroristen, zum Jakobiner, der alles verbieten will, was schädlich oder vielleicht auch einfach nur unnütz ist und dem dabei jegliches Gefühl für Verhältnismäßigkeit fehlt. O-Ton: Anmod politisches Feuilleton Droste über Gutmenschen (ca. 0'10) Zehn Minuten nach sieben. Im Politischen Feuilleton von Deutschlandradio Berlin können Sie heute Bissiges hören vom Berliner Journalisten Wiglaf Droste, der sich auseinandersetzt mit dem Typus des neuen ‚Gutmenschen'... Sprecherin: ... so klang das 1995, als Deutschlandradio Kultur noch Deutschlandradio Berlin hieß und der "Gutmensch" gerade erst im allgemeinen Sprachschatz aufgetaucht war: O-Ton: Wiglaf Droste Kühnheit ist laut Ambrose Bierce eine der auffälligsten Eigenschaften eines Mannes, der sich in Sicherheit weiß. Beispiele, die die Treffsicherheit des Spötters Bierce belegen, finden sich derzeit reichlich, zum Beispiel in dieser Form: "Wir bieten Schutz vor rassistischen Übergriffen! Schwarz auf gelb gedruckt klebt der kühne Satz wie eine TÜV-Plakette von Cafés und Bars, von Brot- und Fahrradläden: "Wir bieten Schutz vor rassistischen Übergriffen". Bevorzugt liest man ihn allerdings in Quartieren, wo mit derlei Übergriffen praktischerweise nicht gerechnet werden muss. So richtig gut ist eine Gesinnung eben erst, wenn sie wirklich gar nichts mehr kostet." Sprecherin: Erfunden hat den Begriff des "Gutmenschen" wohl der Mitherausgeber der Zeitschrift "Merkur", Kurt Scheel, selbst eher ein Linker, aber keiner, der sich irgendeiner Richtung oder Gruppierung zuordnen ließ. Wie er später in einem Interview der taz sagte, war ihm der Begriff nützlich, um "die eigenen Leute zu ironisieren". Auch die Herausgeber des Wörterbuchs des Gutmenschen, unter ihnen Wiglaf Droste, wollten die "moralisch korrekte Schaumsprache" entlarven und nahmen Floskeln wie "die Mauer im Kopf einreißen", "ein Stück Versöhnung" oder "mein Freund ist Ausländer" satirisch aufs Korn, die damals gerade Hochkonjunktur hatten. Es war die Zeit nach der Wiedervereinigung 1990, als die ausländerfeindlichen Anschläge von Rostock, Mölln oder Solingen Linke und Alternative, aber auch ganz normale Mittelschichtsbürger auf die Straßen brachte, um bevorzugt mit Lichterketten ihren Protest zum Ausdruck zu bringen: O-Ton: Margarete Jäger Der Ausgangspunkt war eine Kritik, die nicht die Richtung dieser Protestformen ändern wollte, sondern die sie verfestigen wollte und verstetigen wollte und das mit Ironie und Selbstkritik versuchte. Sprecherin: Margarete Jäger, Leiterin des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung. O-Ton: Margarete Jäger Denen geht es eigentlich darum, dass diese Symbole, diese Lichterketten und dergleichen, dass diese Akte, diese Protestformen, nicht radikal genug sind, dass sie zu sehr auf so einer Oberfläche haften bleiben und dass es nicht nur darum geht zu sagen, es müsste anders sein, man muss auch Formen und Strategien entwickeln, wie es denn auch wirklich anders werden kann. Sprecherin: Von diesem Punkt ausgehend machte der Begriff "Gutmensch" eine abenteuerliche Karriere und wurde zu einem wichtigen er Kampfbegriff, mit dem Liberale und Neo- Liberale in Talkshows und Feuilletons mit Linken und Grün-Alternativen um die Deutungshoheit im politischen Diskurs kämpften. 2011 schließlich bekam der Begriff "Gutmensch" den zweiten Platz bei der Wahl zum Unwort des Jahres. Zur Begründung hieß es: Zitator: Mit dem Ausdruck Gutmensch wird insbesondere in Internet-Foren das ethische Ideal des "guten Menschen" in hämischer Weise aufgegriffen, um Andersdenkende pauschal und ohne Ansehung ihrer Argumente zu diffamieren und als naiv abzuqualifizieren. Ähnlich wie der meist ebenfalls in diffamierender Absicht gebrauchte Ausdruck Wutbürger widerspricht der abwertend verwendete Ausdruck Gutmensch Grundprinzipien der Demokratie, zu denen die notwendige Orientierung politischen Handelns an ethischen Prinzipien und das Ideal der Aushandlung gemeinsamer gesellschaftlicher Wertorientierungen in rationale Diskussionen gehören. O-Ton: Norbert Bolz Dass das Wort "Gutmensch" einen Spitzenplatz als Unwort des Jahres bekommen hat, ist für mich recht uninteressant, denn das eigentliche Unwort des Jahres ist jedes Jahr dasselbe, nämlich Unwort. Sprecherin: Norbert Bolz ist ein streitbarer Geist, der den Vorwurf der Stigmatisierung und Diffamierung durch den Begriff "Gutmensch" an die Freunde der political correctness zurückverweist. Zum Beispiel, wie diese mit dem Buch "Deutschland schafft sich ab" und dessen Autor, dem ehemaligen Berliner Finanzsenator und Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin umgegangen sind: O-Ton: Norbert Bolz Die Position der political correctness war die, zu sagen, wozu die ganze Aufregung? Sarrazin konnte doch sagen und schreiben, was er wollte. Das war natürlich eine grandiose Verfälschung des realen Sachverhalts. In Wahrheit war natürlich Sarrazin zur Unperson erklärt worden und ist es bis zum heutigen Tag. Das heißt, er wird gerade nicht in seiner Meinung anerkannt und respektiert, sondern er wird marginalisiert, Als Jean-Paul Sartre vor Jahrzehnten absurde kommunistische Theorien chinesischer Färbung in Frankreich verbreitet hat, war es niemand geringerer als der wirklich ultrakonservative Charles de Gaulle, der gesagt hat, einen Voltaire verhaftet man nicht. Und dieser fundamentale Respekt vor abweichenden Meinungen, der fehlt komplett. Das ist eine unheilvolle Entwicklung in der politischen Diskussion Deutschlands insgesamt auf vielen, vielen Themenfeldern: Wenn man eine abweichende Meinung vertritt, liegt man nicht einfach falsch, sondern ist moralisch diskreditiert. Das Vokabel Faschist oder Reaktionär klebt Menschen, die auch nur minimal vom Mainstream abweichen, sehr, sehr schnell an. Sprecherin: Die Moralisierung der Kommunikation wird allerdings von beiden Seiten vorangetrieben: Es ist wenig hilfreich, den politischen Gegner bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit der Gutmenschenkeule zu erschlagen oder überall linke Meinungskartelle zu wittern. Und genauso wenig führt es weiter, der Welt permanent ein trotziges "Kein Fußbreit den Faschisten!" entgegenzuschleudern, auch wenn weit und breit keine in der Nähe sind. Zumal im Namen gut gemeinter political correctness zumindest Diskussionswürdiges geschieht: So heißt es beispielsweise im deutschen Pressekodex, Journalisten sollten in der Berichterstattung über Straftaten nur dann die Zugehörigkeit des Täters zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten erwähnen, wenn ein begründbarer Sachbezug zum Fall besteht. Insbesondere sei zu beachten, dass eine Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte. Dass aber auch eine Nichterwähnung Vorurteile schüren kann, darauf hat kürzlich in der "Zeit" der Dortmunder Journalistikprofessor Horst Pöttker hingewiesen und folgenden Fall geschildert: Zitator: Dezember 2012 in Almere bei Amsterdam: Ein Gruppe jugendlicher Fußballer prügelt und tritt nach einem Regionalspiel brutal auf den 41-jährigen Linienrichter Richard Nieuwenhuizen ein, der am nächsten Tag an den Folgen stirbt. Niederländische Medien berichten sofort, dass es sich bei den drei Jugendlichen um Marokkaner handelt. In Deutschland erfährt man dies erst einige Tage später aus rechten Blogs." Sprecher: Während seriöse deutsche Medien die Herkunft der Totschläger verschwiegen und damit das Vorurteil reichlich genährt wird, sogenannte Gutmenschen in den Medien würden dem Volk unangenehme Wahrheiten verschweigen, die ihnen nicht ins politisch-moralische Kalkül passen. Margarete Jäger vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung räumt ein, dass hier ein Dilemma besteht: O-Ton: Margarete Jäger Da rebelliert ja was, und da geht es nicht darum, dass Sie das verschwiegen haben, sondern es geht um seine oder um ihre Auseinandersetzung mit den Vorbehalten: Da hab ich doch jetzt wieder was, was ich gegen diese Personengruppe sagen kann, und das wird mir doch tatsächlich nicht gesagt. Also es geht um eine Reproduktion von rassistischen Vorurteilen und ich fände es gut, ich kann jetzt keine Form nennen wie man sich da auseinandersetzen kann, aber wenn man das dann auch thematisiert und nicht so auf dieser Schiene von "Gutmenschen" oder von "Polizei", Meinungsdiktat oder so abschieben lässt. Sprecherin: Gleichwohl findet sie die bestehende Regelung richtig. Ganz anders der Medienphilosoph Norbert Bolz: O-Ton: Norbert Bolz Ein Journalist sollte einfach seine Sorgfaltspflicht im Auge behalten und die besteht darin, über Nachrichten zu berichten in einer intelligenten, übersichtlichen und gut nachvollziehbaren Form. Keineswegs hat ein Journalist die Aufgabe, das Volk zu erziehen. Und die Unterstellung, das Volk sei so blöd, dass es mit bestimmten Nachrichten nicht umgehen könne und man müsse diese Nachrichten unterdrücken, die ist wirklich im schlimmsten Sinne paternalistisch. Sprecherin: Ein Aspekt, der in der Gutmenschendiskussion normalerweise nur eine untergeordnete Rolle spielt, obwohl er dazu beitragen könnte, zu erklären, warum Gutmenschen so unpopulär sind, ist die Tatsache, dass "Gutmenschen" sich keinesfalls gleichmäßig über die Gesellschaft verteilen. Moral muss man sich leisten können, und der "Gutmensch" als Prototyp ist eine Erscheinung der gut gebildeten, in der Regel zumindest einigermaßen gut situierten Mittelschicht. Leute, die als Paketzusteller oder Gebäudereinigerinnen mit 800 oder 1000 Euro nette nach Hause kommen, könnten einfach nicht so moralisch sein wie Lehrerinnen, Rechtsanwälte oder Unternehmensberaterinnen, hat der Kasseler Soziologe Heinz Bude kürzlich in einem Essay über den "Gutmenschen" geschrieben. Gleichwohl sei es natürlich legitim, wenn diese in Sicherheit lebenden Mittelschichtsbürger für ihr Selbstverständnis und ihr Wohlbefinden eine Moral in Anspruch nehmen würden. Zitator: Sie sollten bloß nicht so maßlos gerecht sein wollen und dabei über alles hinweggehen, was anderen das Leben schwer macht und woran diese möglicherweise scheitern. Die öffentliche Selbstfeier moralischer Überlegenheit ist ekelhaft und widerlich. O-Ton: Rainer Erlinger Ich persönlich finde es wichtig, dass man über diese Dinge nachdenkt und wenn dann manche der Meinung sind, das etwas despektierlich zu benennen, dann stört mich das nicht weiter so, ich finde, die Moral ist wichtig und dazu stehe ich und da kann jetzt auch so ein Begriff mich nicht weiter dran erschüttern. Sprecherin: Rainer Erlinger, von Hause aus Arzt und Jurist, aber eigentlich lebt er von dem Bedürfnis vieler Menschen nach einem moralisch und ethisch einwandfreien Leben. Er schreibt Bücher über Ethik und seit zwölf Jahren die Kolumne "Die Gewissensfrage" für das Magazin der "Süddeutschen Zeitung", in der Gutmenschen und andere Leser Fragen zur Alltagsmoral stellen. O-Ton: Rainer Erlinger Der Markt ist da und er ist groß und als wir vor 12 Jahren angefangen haben mit dieser Kolumne, waren alle vollkommen überrascht und sagten, ihr seid doch wahnsinnig, in einem Unterhaltungsmedium eine Moralkolumne zu machen und in den letzten Jahren ist das ja ein Riesenthema geworden, ich bekomme so zwischen 50 und 100 Zuschriften im Monat, von denen ich auch immer nur vier veröffentlichen kann, und auch sonst die Nachfrage nach diesem Thema, nach Vorträgen, nach Diskussionen usw. und auch nach Büchern ist sehr, sehr groß. Zitator: Im Supermarkt an der Kasse: Vor mir warten vier Kunden, hinter mir zwei, als eine zweite Kasse öffnet. Die beiden Frauen hinter mir hasten sofort hinüber, ich hinterher. Dieses eilige seitliche Vorbeidrängeln stört mich jedes Mal, in diesem Fall ärgerte mich besonders, dass der Einkaufswagen einer der beiden Frauen ausschließlich mit Bioprodukten gefüllt war. Sollte jemand, der sich Gedanken um die Herkunft seiner Lebensmittel macht, nicht auch rücksichtsvoll mit seinen Mitmenschen umgehen? Sprecherin: Fragen dieser Art reflektiert Rainer Erlinger jede Woche im Magazin der "Süddeutschen Zeitung". Sorge um die Umwelt und gleichzeitig rücksichtsloses Verhalten gegenüber dem eigenen Umfeld - das passe leider besser zusammen als man meinen sollte, hat er in diesem Fall dem Leser geantwortet. Schuld daran ist der sogenannte "licensing effect": O-Ton: Rainer Erlinger Die Idee dieses licensing-effects ist die, dass man selbst als ein Mensch dann, wenn er etwas Gutes getan hat, auf ein inneres Konto einzahlt, jetzt habe ich ja schon was Gutes geleistet und dann anschließend eher mal negativere Verhaltensweisen leistet und eben jetzt dazu das Gefühl hat, er hat jetzt die Lizenz dazu, ein bisschen böse zu sein, weil er ja schon vorher gut war. Sprecherin: Die besseren Menschen sind Gutmenschen insofern vielleicht nicht, aber was ist so eigentlich schlimm an deren Bedürfnis, sich gut zu verhalten, fragt Rainer Erlinger. Selbst wenn es am Ende nur dadurch motiviert ist, dass sie selber sich besser fühlen möchten. O-Ton: Rainer Erlinger in der Wissenschaft nennt man das den psychologischen Egoismus, um es hart auszudrücken: Mutter Teresa würde sich schlechter fühlen, wenn sie nicht hilft, also könnte man sagen, sie macht das aus egoistischen Motiven, weil sie sich besser fühlt... ich glaube, das ist einfach die Natur des menschlichen Wesens, dass man im Endeffekt etwas macht aus einer inneren Überzeugung heraus, dass man das tun möchte oder das Gefühl hat, das ist richtig, und wenn man sagt, das Richtige zu tun, das Gute, ist richtig und ich mache das deshalb, weil ich das Richtige tun möchte, dann kann man das nicht vorwerfen und sagen, das ist egoistisch. Sprecherin: Obwohl Rainer Erlinger in seinen Kolumnen fast ausschließlich Alltagskonflikte behandelt, stehen hinter diesen doch die großen Fragen, die nach Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Selbstbestimmung und danach, wie sehr man andere zu ihrem Glück zwingen und ihnen die Entscheidung darüber abnehmen darf, was richtig und was falsch ist. Auch zu Weihnachten: O-Ton: Rainer Erlinger Das eine ist, ob man, um diesen Wahnsinn vor Weihnachten und den Stress und das Einkaufen sich sparen zu können, dann lieber spenden darf und denjenigen, denen man eigentlich was schenken möchte, dann sagt, ich habe statt deines Geschenks dann an die Organisation so und so gespendet. Oder ob man damit ja eigentlich dem Empfänger das nimmt, was er bekommen sollte und er gar keine Chance hat darüber zu entscheiden. Sprecherin: Rainer Erlinger fand eine echte "Gutmenschen"-Antwort: O-Ton: Rainer Erlinger Im Prinzip schon, aber man muss zugeben, dass abgesehen von Kindern und Menschen, die wirklich etwas brauchen, wir ja in einer grässlichen Überflussgesellschaft leben und die meisten Geschenke, die zu Weihnachten gekauft werden, oft so Verlegenheitsgeschenke sind oder komplett überflüssige, und //im Endeffekt muss man sagen, da ist mit dem Spenden mehr gedient und wenn man die Idee verfolgt, dass man mit dem Geschenk zeigen will, dass man sich Gedanken gemacht hat und dem anderen etwas zuwenden möchte, dann kann man ja auch die Organisation nach Vorlieben des Beschenkten aussuchen, ob man die jetzt genau trifft oder nicht... aber wenn man zum Beispiel so was zeigt, finde ich das wunderschön. Sprecherin: Ein anderer Leser wollte wissen, ob es legitim sei, auf der Straße gefundenes Geld nicht dem Eigentümer zurückzugeben, sondern einem Bedürftigen zu spenden, wenn der eigentliche Eigentümer den Eindruck mache, er könne den Verlust verschmerzen oder würde diesen gar nicht bemerken. Dieser Leser bekam den Rat, sich die Sache einmal umgekehrt vorzustellen: Fände er es in Ordnung, wenn ihm jemand verlorenes Geld nicht zurückgeben, sondern an einen Bedürftigen weitergeben würde? Und selbst wenn er diese Frage mit "Ja" beantworte, schreibt Erlinger : "Wir alle sollten weniger Kraft dafür aufwenden, andere zu erziehen". Sprecher vom Dienst: Eben mal die Welt retten. Warum Gutmenschen so verhasst sind Eine Sendung von Ulrike Köppchen Es sprachen: Julia Brabant Und Joachim Schönfeld Ton: Andreas Narr Regie: Cordula Dickmeiss Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 Sie können die Sendung nachhören und nachlesen unter: www.deutschlandradiokultur.de Nächste Woche in den Zeitfragen: Tutti Frutti, Circus HalliGalli und Peter Kloeppel- 30 Jahre Privatfernsehen in Deutschland Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Zeitfragen Abschied vom großen Ganzen - 10 Jahre Web 2.0 Ein Feature von Philip Banse und Andrea Frey O-Ton Funkenstrahlen (Intro-Musik) O-Ton Funkenstrahlen Ja, hallo und herzlich willkommen zum Funkenstrahlen-Podcast und heute gibt's eine besonders besondere Sonderfolge. Und zwar hat der Philip Banse gefragt, ob man nicht mal ein bisschen was zu Web 2.0 und den eigenen Erfahrungen dazu erzählen könne (...) Und um was es da genau geht, erklärt der Philip Banse am besten ma´ selbst. O-Ton Funkenstrahlen/Philips Aufruf Hallo, ich bin Philip Banse und arbeite unter anderem für Deutschlandradio Kultur und da mache ich ein Feature zum Thema Web 2.0 (01:23)... und dafür hätte ich gerne Euren Input, da brauche ich Eure Mithilfe. O-Ton männliche Stimme In erster Linie sehe ich das wirklich als Kommunikationsmedium, das neue Möglichkeiten eröffnet. O-Ton Gaza 2.0: (Trailer) Welcome to the Mideast Youth Podcast. Hey everyone and welcome to Mideast Youth. This is an urgent podcast detailing the dreadful situation in Gaza... O-Ton Evangelisch: (Musiktrailer) E... wie: Evangelisch... Die Barmherzigkeit O-Ton Attac Trailer O-Ton Ursula Fritzl: Im Moment sitze ich in einem Wohlfühl-Kloster und auf der Fensterbank steht mein iPad und ich nehme das auf und ich frage mich, wie ich die jetzt dahin kriege, wo sich der Philip Banse das gewünscht hat. Ton/Musik Merkel, Lochis-Remix: "Das Internet ist für uns alle Neuland." Sprecher/in vom Dienst: Abschied vom großen Ganzen - 10 Jahre Web 2.0 Von Philip Banse und Andrea Frey O-Ton O'Reilly "Web 2.0 is the place, in many ways, where you want to be..." "Das Web 2.0 ist, was Du draus machst." Autor Sagt Web-Pionier Tim O'Reilly. Der Programmierer und Verleger veranstaltet 2004 erstmals seine "Web 2.0"-Konferenz und etabliert damit jenen Begriff, der eine neue Ära des Internets auf den Punkt brachte: Bis Ende der 90er, im Web 1.0, waren Webseiten statische Publikationen. Im Web 2.0 ermöglichen neue Techniken, dass Menschen Videos ins Netz laden, Fotos teilen, kommentieren und gemeinsam an Texten oder Musik arbeiten. Das Web war auf einmal hübsch, leicht zu bedienen und wurde in seiner Version 2.0 zum Massenphänomen. O-Ton Tim O'Reilly ANFANG: "If you look at the history of the computer industry,.... Wenn man sich die Geschichte der Computerindustrie anschaut, gab es da mehrere Entwicklungsstufen... zuerst gab es den MainFrame, dann den Personal Computer, dann kam die Internet-Ära... es war ziemlich schnell klar, dass mit dem Web etwas ganz Neues passierte. Wir haben es nicht Web 2.0 genannt, weil es plötzlich eine neue Technik gab, sondern weil es wirklich wie eine Wiedergeburt des Web war - und ich glaube, diesmal haben wir alles richtig gemacht... ENDE: "...and I think this time, we were getting it right." Autor Weblogs, Podcasts, Youtube - einfacher als je zu vor konnten Menschen beim Internet mitmachen, über Grenzen hinweg zusammen arbeiten, ihre Meinung veröffentlichen und diskutieren. Musik (Lochis "Durchgehend Online") "Guten Morgen, was geht ab, mit Facebook beginnt mein Tag, Smartphone raus, Fotos machen, das sind alles Jugendsachen..." Autor Früher wachten mächtige Institutionen über den Zugang zur Öffentlichkeit: Verlage, Fernsehsender, Radioanstalten. Im Web 2.0 kann jeder Schriftsteller, Filmemacher, Darsteller, Lehrer oder Musiker werden, ein Millionenpublikum erreichen und Geld verdienen - an den alten Institutionen vorbei. Musik (Lochis "Durchgehend Online") "Ich mache Fotos für Instagram, ich poste Sachen, die man liken kann, ich geh auf Youtube, mach den Laptop an, die Online-Generation klopft an. Hallo Welt, kannst Du mich hören? Du darfst mich nicht beim Chatten stören. Mein Tagesablauf ist sehr klein. Denn ich bin - durchgehend online." O-Ton Lochis So das ist halt unsere eigene Single "Durchgehend online" und das war auch bis jetzt unser aufwändigstes Projekt.... Autor Die 14-jährigen Zwillinge Roman und Heiko Lochmann sind "Die Lochis", YouTube Stars. Aus dem Reihenhaus ihrer Eltern in der badischen Provinz erreichen die selbst komponierten Lieder der Teenager jeden Monat mehrere Millionen Zuschauer. O-Ton Lochis Ich habe hier jetzt ein Mikro von Radio Darmstadt äh Deutschland in der Hand und Test Test. Autor Scheinwerfer, teure Computer und eine verblüffende Ordnung. Das Lochi Studio ist mehr Lounge als Kinderzimmer O-Ton Lochis Ja, das ist also unser Lochi-Zimmer, wo man da jetzt reinkommt, das ist sozusagen unser Studio, dann sieht man wenn alles aufgebaut ist erst mal also unsren Greenscreen, wir haben halt so'ne Greenbox, ...(abblenden) Autor 90 Prozent aller Jugendlichen nutzen regelmäßig die Plattformen des Web 2.0, ergab die Onlinestudie von ARD und ZDF. Die beliebtesten Angebote: Wikipedia, soziale Netzwerke wie Facebook und Videoportale wie YouTube. O-Ton Roman Zuerst überlegen wir, was wir für ein Video genau raushauen wollen, fragen vielleicht auch die Fans auf Facebook, was die so wollen, dann setzen wir uns hin, machen Drehplan, Text, das geht eigentlich immer recht zügig und wenn man's häufiger macht, dann ist man einfach schneller,...und genau, dann wird's hochgeladen und am nächsten Tag kommt's dann online, wie gesagt jeden Samstag um 14:30h, genau, und dann werden wir das so ein bisschen promoten über die sozialen Medien, also Facebook, Twitter, usw. und dann denkt man sich schon wieder, was man die Woche darauf für ein Video macht... Musik (Lochis - "Durchgehend Online") "Ich check nicht wie man fernsehen kann, wenn man auf YouTube doch alles hat..." Autor Knapp eine halbe Million Menschen haben die Videos der "Lochis" abonniert. Jedes ihrer Videos hat 2000, 3000, 4000 Kommentare. Auch via Twitter und Facebook posten die Fans Ideen für neue Songparodien, Wünsche oder einfach Herzchen. Der Austausch mit ihrer Community ist keine Geschäftsstrategie, sondern für "Die Lochis" normal. Durch Werbung, die YouTube in ihren Videos einblendet, verdienen die beiden Teenager geschätzt über 1000 Euro im Monat. O-Ton Lochis Klar, das Internet lebt ja auch von Werbung sozusagen und auf unseren Videos wird auch Werbung geschaltet und klar verdient man auch Geld damit, das ist heutzutage auch überhaupt kein Geheimnis mehr, weil wirklich jeder, der es wirklich ernst meint mit Youtube verdient auch Geld damit, auch bei ganz kleinen Youtubern mit nur drei Abonnenten kann man schon Werbung schalten, das ist ganz einfach, da braucht man nur ein paar Klicks und jeder verdient... Autor Als das Web 2.0 geboren wurde, waren die "Die Lochis" vier Jahre alt... O-Ton Lochis, Roman ... das boomende Medium dieses Jahrzehnts, wenn man das so nennen kann und das hat auch seinen Grund. Man kann im Internet seht viel interaktiver sein und hat viel mehr Möglichkeiten und man kann halt selbst mitentscheiden oder selbst seine Sachen den anderen zeigen wie jetzt auf Youtube und das ist halt richtig cool und auf so was hat man, glaube ich, nur gewartet und das war halt so die Antwort und genau,.. Autor Was nach Spaß aussieht, erfordert neben Schule und Fußballtraining eine Menge Disziplin. Medien- und Netzkompetenz wird hier in der Praxis geübt: Die 14-Jährigen können mit Kamera, Licht, Sound- und Video-Software umgehen. Sie schlagen sich herum mit Urheberrecht, Produktionsfirmen, Medienhype und kreischenden Fans. O-Ton (Lochis "Durchgehend online") Wir hoffen, unsere neue Single hat Euch gefallen... Ja wäre schön, wenn wir als Online-Generation beweisen könnten, dass wir auch offline mitmischen können... Wir sind jetzt raus, ihr kauft Euch den Song auf iTunes oder wo auch immer und wählt aus, Ciao! (Musik "Durchgehend online", Beat) Autor Nur die wenigsten Menschen nutzen das Web so kreativ und diszipliniert wie die Lochis. Doch im Web 2.0 wird jeder schnell zum Produzent. Schon wer Fotos bei Facebook teilt, das Hotel beim Reiseveranstalter bewertet oder einen Zeitungsartikel kommentiert, schafft neue Inhalte. Web-Pionier Tim O'Reilly: O-Ton O'Reilly: ANFANG: "And in fact the web has always been this participatory medium..." Das Web hatte immer diesen Mitmach-Charakter. Nach dem Platzen der Dotcom- Blase stellten wir fest, dass alle Unternehmen, die überlebt hatten, auf irgendeine Weise ihre Nutzer in ihre Strukturen mit einbanden. Und das war Schlüssel zum Web als nächste große Plattform der Computer-Ära: dieser Netzwerk-Effekt. Den Mitmach-Gedanken zu nutzen, das ist das Herz des Web 2.0. ENDE: ".... and really that's the heart of web 2.0." Autor Die Steigerung von Mitmachen ist Zusammenarbeit, eine der Paradedisziplinen des Web 2.0: Menschen, die sich nie gesehen haben, oft ihre wahren Namen nicht kennen und in verschiedenen Zeitzonen leben, arbeiten im Web 2.0 zusammen. Das bekannteste Produkt dieser nie gekannten Massen-Kollaboration ist die die Online- Enzyklopädie Wikipedia: 30 Millionen Artikel in über 280 Sprachen, geschrieben von unbezahlten Freiwilligen - gegen die Weisheit der Massen hatten traditionsreiche Lexika wie die Encyclopædia Britannica keine Chance. O-Ton Funkenstrahlen Als nächstes hat der Philip gefragt, ob ich schon mal was in der Wikipedia veröffentlicht habe und gleich danach: warum nicht? [...] aber: ich kann tatsächlich eine Wikipedia-Seite aufweisen, an der ich mitgearbeitet habe und zwar ging da um das Rheinhafenkraftwerk Karlsruhe. O-Ton Jimmy Wales ANFANG: "In some ways, yes, wikipedia is the wisdom of the crowds..." Ja, in gewisser Hinsicht ist Wikipedia tatsächlich so etwas wie die Weisheit der Masse. Autor Bestätigt Jimmy Wales, Mitbegründer von Wikipedia. O-Ton Jimmy Wales Aber wenn Leute dieses Schlagwort benutzen, stellen sie sich vor, dass eine Million Leute beteiligt sind, von denen jeder einen Satz beisteuert. Dabei basiert Wikipedia größtenteils auf der Arbeit kleinerer Gruppen von drei oder vier Leuten, die aktiv an einem Projekt zusammenarbeiten. Das ist sehr viel traditioneller als viele Leute denken. Ich glaube, bis zu echter offener uneingeschränkter Gruppenarbeit ist es noch ein weiter Weg.. . ENDE: "... I think there's a long way to go." O-Ton Funkenstrahlen Aber ich muss ehrlich sagen: das war ziemlich kompliziert, also ich kann ja programmieren, aber so für den Normalsterblichen is' des wirklich nix. Autor Die offiziellen Statistiken der Wikipedia zeigen: Zum harten der Kern der deutschen Wikipedia gehören nur etwa 1000 Freiwillige. Und die Zahl der Autoren nimmt ständig ab. Aus einem offenen und lebendigen Webprojekt ist eine Institution geworden. O-Ton Funkenstrahlen Und dann gab's da auch die Problematik, dass sich dann ja für die richtig großen Artikel richtige Hierarchien entwickelt haben und dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass der eigene Edit in die finale Version überhaupt reinkommt und dann hab ich meistens gar keine Lust. Dann sag ich sei's drum, schade, denn wenn mich das zehn Minuten kostet, da so einen kleinen Edit einzufügen, dann is' das einfach too much." Autor Wikipedia-Mitgründer Jimmy Wales kennt die Probleme. Trotzdem ist er wie viele Internet-Pioniere davon überzeugt, dass seine Innovationen die Welt verbessern oder zumindest einen Zugang zur ihr eröffnen: O-Ton Jimmy Wales ANFNAG: "When you have someone in a poor african village with the equivalent of an iPhone... Wenn jemand in einem afrikanischen Dorf plötzlich so etwas wie ein iPhone in der Hand hält - das ist ziemlich revolutionär. Das ist ein unglaublich spannender Moment in der Geschichte, wenn Dinge wie Wikipedia plötzlich für die ärmsten Bevölkerungsgruppen der Erde zugänglich werden... für diese Menschen eröffnet sich eine Welt. ENDE: "... for those people it opens the world to them." O-Ton Japheth Omojuwa ANFANG: "Of course , (lacht) of course, definitely, it changed my life in unquantifiable ways..." Natürlich hat es mein Leben verändert! Auf so viele Arten! ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Autor Japheth Omujuwa ist der nigerianische "King of Click". Er ist Blogger, Verleger, Teil der African Liberty Organisation und bezeichnet sich selbst als "cyberpreneur". Auf der Social Media Week in Berlin twittert er ununterbrochen für seine 89.000 Follower - auch während des Interviews: O-Ton Japheth Omojuwa Ich weiß nicht mal, was ich als Bemessungsgrundlage nehmen soll. Meine Finanzen? Oder meinen Einfluss in meinem Land und auf meinem Kontinent? Meine Reichweite? Oder mich als Marke? Es ist mein Leben! Ich kann nicht einmal sagen: Es hat mein Leben verändert. Es ist tatsächlich mein Leben! ENDE: "So, it's my life, it didn't change my life - it's actually my life now." Autor Bisi Alimi, wie Japeth Omujuwa nigerianischer Internet-Aktivist und Blogger. In Afrika sind Massenmedien oft staatlich kontrolliert. Bisi Alimi setzt sich für die Rechte Homosexueller und HIV-Infizierter ein. O-Ton Bisi Alimi: ANFANG: "I found the platforms, that Twitter and Facebook and all the means, have given me an opportunity to tell the story..." Twitter und Facebook haben es mir ermöglicht, Geschichten zu erzählen, die in den nigerianischen Massenmedien keinen Platz gefunden hätten - sei es, weil sie einfach nicht daran interessiert sind oder weil sie nicht in ihr Weltbild passen. Also nutze ich die sozialen Medien, um meine Geschichte jedem zu erzählen, der sich dafür interessiert. Diese unmittelbare Art der Auseinandersetzung mit Anderen finde ich unglaublich befreiend. ENDE: "...I have this direct conversation with people, which I find very liberating." O-Ton Shirky ANFANG: "Weblogging is a classic example of mass amateurization..." Bloggen ist ein klassisches Beispiel für Massen-Amateurisierung. Es hat das Publizieren entprofessionalisiert: Sie wollen das, was Sie denken, weltweit veröffentlichen? Das können Sie kostenlos mit einem Klick tun. Das hat einen ganzen Berufsstand auf den Rang von Amateuren sinken lassen. Autor Clay Shirky, US-amerikanischen Professor und Internet-Visionär, sagt bereits 2008 in seinem Buch "Here comes Everybody" eine Revolution der Medienlandschaft voraus. Mehr noch: Er prophezeit das Ende der Institutionen und Unternehmen wie wir sie kennen. Vor dem Web 2.0 habe die Welt Institutionen gebraucht, um eine große Zahl von Menschen zu organisieren, so Shirky. Jetzt biete das Web 2.0 eine Plattform für einfache und effiziente Selbstorganisation. O-Ton Clay Shirky ANFANG: "These institutions will come under pressure..." Und die Institutionen werden immer mehr unter Druck geraten. Je restriktiver sie aber gemanagt werden und je mehr sie sich auf ihr Informationsmonopol verlassen, desto höher wird der Druck werden. ENDE: "... the higher the pressure will get." Autor Viele Institutionen sind bereits ins Wanken geraten, weil die Prinzipien des Web 2.0 in allen Lebensbereichen Geltung verlangen. Die Musikindustrie: umgekrempelt; die USA: gedemütigt durch zwei Hacker und ihre Webseite namens Wikileaks; Zeitungsverlage: in Panik, weil Anzeigenkunden lieber bei einer Suchmaschine werben. Das Chaos 2.0 würden nur Institutionen überstehen, so Shirky, die nach den Prinzipien des Web leben: dezentrale Teilhabe, globale Kommunikation, Transparenz und spontane Zusammenarbeit. O-Ton Clay Shirkey ANFANG: "As with the printing press, if it's really a revolution, it doesn't take us from point a to B. It takes us from Point A to chaos. Ähnlich wie die Erfindung des Buchdrucks wird uns diese Revolution nicht von Punkt A zu Punkt B bringen, sondern ins Chaos stürzen. Ich will keine 200 Jahre Chaos voraussagen, aber 50. 50 Jahre, in denen lose organisierte Gruppen immer größere Macht bekommen werden. ENDE: "...are going to be given increasingly high leverage." Atmo (Musik auf einer Wahlparty der Piratenpartei) O-Ton männliche Stimme Ich glaube, das Wahlergebnis ist tatsächlich der Durchbruch der Piratenpartei in Deutschland...in Zukunft wird man, glaube ich, keine Hochrechnung mehr ohne den Piratenbalken sehen... Autor 2011 sieht es so aus, als sei die digitale Revolution in der deutschen Politik angekommen. Mit 8,9 Prozent der Stimmen zieht die Piratenpartei in das Berliner Landesparlament ein. O-Ton Liquid Feedback (Tastenklappern) Ich hab den Rechner ganz neu, deswegen weiß ich die URL nicht, weil ich die immer abspeicher. (Tastenklappern, abblenden) Autor Der erste Fraktionschef der deutschen Piraten, Andreas Baum, führt vor, wie die weltweit erste Internet-Partei mit Techniken und Prinzipien des Web 2.0 die Politik verbessern wollten. In seinem Browser loggt Baum sich in Liquid Feedback ein, eine Software, mit der Piraten Konzepte, Programme oder Gesetzesvorlagen gemeinsam erstellen, diskutieren und abstimmen. O-Ton (wieder einblenden) So, hier sieht man die Themenbereiche, im Moment ist halt eher weniger los, im Moment ist im Bereich Veröffentlichungen mehr los, wo halt über Flyer zum Beispiel angestimmt wird. Da sieht man jetzt zum Beispiel den Entwurf zu einem Nicht-Wähler-Flyer. O-Ton Pavel Mayer Das war erst mal so, weil die meisten Menschen, die am Anfang dabei waren, das gewohnt waren in ihren anderen Lebenszusammenhängen, diese Dinge zu nutzen und das lag dann natürlich nah, diese Sachen auch für die Partei zu nutzen. Autor Pavel Mayer, Internet-Unternehmer und Mitglied der Piratenfraktion im Berliner Landtag. O-Ton Pavel Mayer: Das kolaborative Entwickeln von Dokumenten oder Vorschlägen oder auch von Programmideen im Wiki, das war schon phänomenal. Also ich saß da hier an meinem Rechner und hab an einem Piraten-Kodex geschrieben und dann fingen irgendwelche Nutzer, die ich gar nicht kannte, die aber drauf aufmerksam geworden sind, auch einfach an, daran mitzuarbeiten, ohne dass wir uns vorher abgesprochen hätten und das hat erstaunlich gut funktioniert in der Anfangszeit. Autor Doch politische Institutionen sind mit den Werkzeugen und Prinzipien des Web 2.0 schwerer zu verändern als angenommen. Soziale Probleme lassen sich nicht allein technisch lösen. O-Ton Pavel Mayer Es ist auf jeden Fall Potential da, aber die Erfahrung für mich ist doch eher etwas ernüchternd. Atmo Piraten Stimmenauszählung, Ponytime (Parteitag) "Kann ich den GO-Antrag auf Ponytime stellen?" "Ja." "Dann stell ich den GO-Antrag auf Ponytime." (weiter als ATMO) Autor Hitzige Parteitags-Debatten beruhigen die Piraten durch Vorführung einer Folge der von Harmonie beseelten Zeichentrickserie "My little Pony". Aber der per Handy übertragene Livestream zeigt: die Politik-Revolution steckt fest. Atmo Musik auf dem Parteitag: "My little Pony" (weiter unter Text) O-Ton Pavel Mayer Wir haben uns als Fraktion sehr weit geöffnet, es gibt jederzeit für jeden die Möglichkeit, Anträge zu stellen, die wir dann ins Parlament bringen, auch über Liquid Feedback dann direkt Einfluss zu nehmen. Möglichkeiten sind da, aber die tatsächliche Nutzung bleibt doch sehr weit hinterher, weil doch offensichtlich, wo wir dann plötzlich im Parlament waren, dann doch viele, nicht alle, aber viele gesagt haben: Naja, da sind ja jetzt Leute, die kriegen Geld dafür, dass sie das jetzt machen, die sollen jetzt mal machen. Wir haben dadurch also innerparteilich eher einen Rückgang der Beteiligung festgestellt, dadurch, dass plötzlich Abgeordnete da waren. O-Ton Evgeni Morozov ANFANG: "They think politics is bad, because there is hypocrisy in politics..." Viele glauben, Politik sei per se schlecht, weil es da Scheinheiligkeit, Heuchelei gibt, oder Politik sei schlecht, weil es Parteilichkeit gibt. Wenn wir nur alles offen und transparent machen, wenn wir nur für mehr Aufrichtigkeit sorgen und politische Parteien durch direkte Demokratie ersetzen, alle mit unseren Handys abstimmen und Zugang zu allen Informationen haben - so der Glaube - dann wird das demokratische Prozesse automatisch verbessern. Das ist nur eine These der Nerds, das gilt aber für die ganze historische Situation. ENDE: "... for the whole historical situation." Autor Evgeni Morozov wettert gegen die technokratische Heilserwartung, die sich an die Plattformen des Web 2.0 knüpfen. Der 29-jährige Weißrusse formuliert in seinem Buch "To save everything: click here" die Antithese zu den Weltrettungsphantasien des Silicon Valley. O-Ton Morozv Sie denken, nur weil Open Source Software und Google und Facebook derartig erfolgreich sind, stünden wir vor einer neuen Gesellschaftsordnung mit völlig neuen Regeln, neuen Verhaltensmustern, und neuen Lösungsansätzen. Autor Morozov kritisiert scharf, was er "Solutionism" nennt: die Überzeugung, dass gesellschaftliche Probleme sich mit neuer Technologie lösen ließen, weil diese Technik scheinbar objektiv, demokratisch und unbestechlich sei. O-Ton Morozov ANFANG: "Between 2006 and 2007 and I became very skeptical of the very tools and platforms we were using..." 2006, 2007 wurde ich sehr skeptisch angesichts der Werkzeuge und Plattformen, die wir nutzten. Ich sah, dass sie im Endeffekt für die Leute an der Basis sehr wenig bewegten, dass aber die Regierenden diese Tools aktiv missbrauchten, um die Bevölkerung zu überwachen: Sie bezahlten Blogger, die staatliche Sicht der Dinge zu verbreiten; und sie etablierten ganz neue Formen der Zensur - bis hin zu Cyberattacken. Während wir noch ganz damit beschäftigt waren, die Macht des Internets zu feiern, haben wir die eigentliche Geschichte verpasst: dass durch das Internet nämlich auch bestimmte Regierungen an Macht gewannen. ENDE: ... the story was that certain governments were getting empowered as well." MUSIK Autor 10 Jahre nach der Geburt des Web 2.0 weicht die Aufbruchsstimmung und die Schattenseiten werden sichtbar. Während Regierungen und Nationalstaaten noch nach Antworten auf die digitale und grenzenlose Revolution suchen, bilden sich nirgends so schnell und effizient mächtige neue Strukturen wie in der digitalen Wirtschaft. O-TON Eric Schmidt, Google: ANFANG: "Quick, quick, quick, we want it there, we want it now, we want to help you right now, speed matters, because your time matters..." Autor Facebook und Google sind in Rekordzeit zu globalen Konzernen gewachsen, reicher und mächtiger als die Öl-Dynastien der industriellen Revolution. Das rasante Wachstum dieser Web-Gewinner überfordert nationale Regierungen, Gesetzgeber und Kontrollbehörden.Das Öl dieses neuen Oligopols ist der user generated content, sind unsere Daten, angehäuft in zehn Jahren Web 2.0. Eric Schmidt sagte als Vorstandschef von Google: O-TON Eric Schmidt 01:44 ANFANG: "What I want is, I want my computer, my smartphone to be doing searches constantly..." Ich will, dass mein Smartphone ständig auf der Suche ist und mich laufend fragt: Wusstest Du schon, was hier passiert ist? Wusstest Du schon, was dort passiert ist? Denn mein Smartphone weiß, wer ich bin, wo ich bin und was mich interessiert. Unsere Suchfunktion ist etwas ganz Persönliches, sie findet nicht nur im Web statt, es geht um all Ihre persönlichen Informationen, Ihre Emails - natürlich nur mit Ihrer Erlaubnis. Unsere Suche will herausfinden, was sie in diesem Augenblick wollen. ENDE: "...Search is about finding what you want right now" O-Ton The Scene (Musiktrailer) In The Scene your IP-adress is like your soul. It can be used to trace your identity through your ISP, so if anybody gets hold of it, they own you. First I didn't think anything of it, but then, in the last minute I decided to mask my IP. For the longest time I never gave the incident a second thought, but if I hadn't done that, if I hadn't given in to that last xx paranoia, I wouldn't be sitting here, I'd be in prison. (Musik) O-Ton Speck Unser Umgehen mit solchen Ansätzen ist tatsächlich ziemlich faszinierend, manchmal auch ein bisschen schizophren. Autor sagt der Informationswissenschaftler Hendrik Speck. O-Ton Speck Worum es eigentlich geht, ganz klar, ist eine Form der Datenprostitution, das heißt, wir bekommen diese vermeintlich freien Dienstleistungen, aber sie sind natürlich nicht frei, sondern wir erkaufen uns den Zugang durch Preisgabe unserer Daten. Autor Jetzt, wo nach 10 Jahren Web 2.0 die Massen online bei Facebook und Google leben, kann sich die NSA ein nahezu komplettes Abbild des Lebens auf unserem Planeten verschaffen. Die Politik sei der Dynamik von Web-Konzernen und digitalen Überwachungsmaschinen nicht gewachsen, sagt Informationswissenschaftler Speck O-TON Speck Wenn aber zum selben Zeitpunkt das Bedrohungs- und Überwachungsszenario für Millionen von Bürgern wesentlich stärker geworden ist, wo dokumentiert quasi täglich Nutzerdaten, Telefoninformationen, Metadaten auf irgendwelchen Marktplätzen des Privaten, Politischen, Sozialen verschachert werden, reagieren wir politisch und juristisch nicht drauf, sondern haben einfach immer noch ungelogen Gesetze, die dreißig, vierzig Jahre alt sind... Musik O-TON Jacob Applebaum ANFANG: "They say: Protect yourself, but it really doesn't work that way... Sie sagen: Schützt euch. Aber so läuft das nicht. 95a AUTOR Jakob Applebaum, Programmierer und einer der namhaftesten Aktivisten, die sich Anonymität und Privatsphäre im Internet einsetzen. O-TON Jacob Applebaum Jeder kann etwas tun, um sich zu schützen. Aber das Problem ist: Wir haben es mit Massenüberwachung zu tun und wir brauchen auch Lösungen, die für die Massen funktionieren. Wenn sie jetzt zum Beispiel auf ihrem iPhone einen Dienst installieren, der ihre Nachrichten verschlüsselt, wird ihnen das nicht helfen, wenn Apple von der NSA durchdrungen ist und mit ihr kooperiert. Für das Problem der Massen- Überwachung brauchen wir rechtliche Lösungen. ENDE: We really need mass legal solutions to problems of mass surveillance. MUSIK Autor In zehn Jahren ist aus dem Web 2.0 ein soziales Netz geworden. Es hat sich wie eine Matrix über unseren Alltag gelegt und ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Es hat eine Wissen- und Informations-Explosion begünstigt, für mehr Transparenz und Teilhabe gesorgt und wird in vielen Gesellschaftsbereichen keinen Stein auf dem anderen lassen. Doch die Revolution ist noch längst nicht vorbei. Institutionen lösen sich weiter auf und suchen nach Existenzberechtigungen. Doch langsam schälen sich aus den Daten des Web 2.0 neue Institutionen, wie Planeten nach dem Urknall: Wikipedia, mächtige Web-Konzerne und von Willkür getriebene Geheimdienste. In den nächsten 10 Jahren werden sich Bürger die Macht zurück erobern müssen. Das wäre dann die nächste Phase des Web, Version 3.0. O-Ton Funkenstrahlen So, ich hoffe, es hat Euch gefallen und ihr schaltet das nächste Mal wieder ein. Und das tatsächliche Schlusswort hab heute leider nicht ich, sondern jemand anderes. Ich spiel euch jetzt noch ein, und ich sag Tschüss, bis zum nächsten Mal. Obama zu NSA: (...) no more ignoring the law, when it is inconvinient. That is not who we are. Profalla: die NSA und der britische Nachrichtendienst haben erklärt, dass sie sich in Deutschland an deutsches Recht halten, der BND und der Verfassungsschutz ebenfalls Schlussmusik Sprecher/in vom Dienst: Abschied vom großen Ganzen - 10 Jahre Web 2.0 Ein Feature von Philip Banse und Andrea Frey Es sprachen: Phillip Banse Thomas Holländer und Joachim Schönfeld Ton: Alexander Brennecke Redaktion: Martin Hartwig Produktion Deutschlandradio Kultur 2013 Sie können die Sendung nachhören und nachlesen unter www.deutschlandradio.de 1