Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Demontage des Räuberrads Die letzten Monate der Ära Castorf Von Jürgen Balitzki Produktion: Dlf 2017 Redaktion: Ulrike Bajohr Sendung: Freitag, 21.07.2017, 20:10-21:00 Uhr Regie: Holger Kuhla Sprecher Stimme: Antje Weber Erzähler: Henry Hübchen Musik: Ingolf Günther und Michael Heubach Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Musik Entree-Bett Stimme Demontage des Räuberrads Die letzten Monate der Ära Castorf O-Ton Entree-Collage Carl Hegemann Es geht hier nicht um den normalen Wechsel einer Intendanz, sondern es geht um eine historische Institution, die kann man nicht mal eben sausen lassen - zumal gerade in einer Phase, wo es durch die Decke geht. Sophie Rois Was ewig währt, kann man immer haben, was man immer haben kann, wird nicht kostbar sein. Tim Renner Mein primäres Ziel war, Bewegung reinzubringen und Sachen zu verbinden Herbert Fritsch Die sind ja immer ausverkauft, alle meine Stücke da, und daß die plötzlich nie mehr gespielt werden können - das ist wie eine Hinrichtung für mich. Chris Dercon Etwas kann nur kommen, wenn etwas geht, sagt schon Heiner Müller. Irgendwo muß man einen Punkt setzen. Axel Wandtke Ist ja auch wie eine feindliche Übernahme - einfach wie ein aristokratischer Akt. André Und für viele ist das aber so, die kennen nichts anderes als Castorf-Intendanz. Nun müssen wir mal kieken, wie dit ist, wa. Stimme Ein Feature von Jürgen Balitzki Erzählt Henry Hübchen Musik BST/Schritte Panorama _____________________________________________________ Stimme Hexeneinmaleins und Kulturpolitik Atmo Faust-Straßenchor Erzähler 3. März 2017, kurz vor 18 Uhr, Freitreppe zur Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Platz, gleich beginnt Goethes "Faust", Frank Castorfs letzte große Inszenierung als Intendant dieses Hauses. Ein Chor bahnt sich den Weg durch die herbeiströmenden Premieren-Gäste. Atmo Faust-Straßenchor O-Ton Faust-Straßenchor Ja, wir machen so ne Art Rahmenprogramm für Faust, sind alles Faust-Texte, und bewegen uns im Spannungsfeld zwischen PDS, Dercons Büro, Volksbühne und benutzten das sozusagen nicht als politisches Statement, aber so um die Texte aufzuladen. Und man merkt, die Texte sind gar nicht so schlecht von Goethe... O-Ton Faust-Ton, Wuttke Der Lippe Rot, der Wange Licht, Die Tage der Welt vergeß ich's nicht! Wie sie die Augen niederschlägt, Hat tief sich in mein Herz geprägt; Wie sie kurz angebunden war, Das ist nun zum Entzücken gar! Hör, du mußt mir die Dirne schaffen! Erzähler ... ja, die Texte von Goethe sind nicht schlecht! Und wenn man Alexander Scheer heißt, kann man sie sogar benutzen, um gegen den zukünftigen belgischen Hausherrn Chris Dercon auf der Bühne zu sticheln. O-Ton Alexander Scheer - Dercon-Parodie Vor allem aber laßt genug geschehn! Man kommt zu schau'n, man will am liebsten sehn. Wird vieles vor den Augen abgesponnen, So daß die Menge staunend gaffen kann, So habt Ihr in der Breite gleich gewonnen, Ihr seid ein vielgeliebter Mann. Also dieses Theater ist ein bißchen latent frauenfeindlich, das ist immer so negativ, ihr seid so negativ, das ist Nullpositiv. Aber, ist ja nicht mehr lange, nicht. Und ich find's auch ein bißchen konventionell, Ist nur meine Meinung. O-Ton/Faust-Kritik, DLF Castorfs letzte Premiere an der Volksbühne ist in keinem Moment tränenselig oder larmoyant. Im Gegenteil: mit Blick auf künftige Arbeiten läßt der Regisseur, der über ein Viertel Jahrhundert lang stilprägend war wie keiner sonst im deutschen Theater, noch mal als Hausherr die Muskeln spielen. Und als das Haus nach ein Uhr in der Nacht noch eine Weile Beifall lärmt, stellt ein sonderbares Gefühl sich ein vom Glück, 25 Jahre Volksbühnenjahre mitgegangen zu sein auf verschiedenste Art und Weise. O-Ton Faust/ Sophie Rois: Hexeneinmaleins Atmo Petuschki Okay, dann hätten wir Einlaßstimmung, mit ein Kessel Buntes, dann würde das Saallicht ausgehen, das Zugrattern würde kommen, dann würde die Technik kommen und das Gerät rüberschieben. Erzähler 11. April 2017, Volksbühne, Großer Saal, Proben für Wenedikt Jerofejews Trinker- Odyssee "Die Reise nach Petuschki". Regie führt Sebastian Klink. Atmo Petuschki Viel besseres Bild, viel besser, sehr gut... Erzähler Nach der Premiere wird Klink vom rbb-inforadio zum "ungezogenen Schüler von Frank Castorf" erklärt und seine Inszenierung als Firlefanz verunglimpft. Das ist hart. Aber, ein ungezogener Schüler von Castorf - das klingt so schlecht nicht. Frage an den ungezogenen Schüler: Ein viertel Jahr vor dem Ende der Volksbühnen-Ära- Castorf - wie ist die Lage? O-Ton Sebastian Klink Es ist ausverkauft, die Stimmung der Kollegen ist toll. Aber man rast mit nem Zug durch den Tunnel und irgendwann geht das Licht an. Die Leute wissen, wann sie gehen müssen, andere, wie sie bleiben können - also jetzt nichts von Traurigkeit oder sowas, ich glaube, das wird erst im Juni passieren. Wie gesagt, wir haben Premiere gemacht, Frank Castorf wird noch eine Premiere machen, Rene Pollesch wird noch eine Premiere machen. Man wird die Sachen abspielen, man ist noch international eingeladen. Und man macht hier noch richtig fettes Programm bis zum 1. Juli. Und dadurch, weil es so viel Arbeit auch ist, alle so im Arbeiten sind, ist es nicht so, daß man `ne Lethargie oder Müdigkeit merkt. Ich glaube, das Loch kommt erst in der Sommerpause, das ist jetzt noch nicht zu spüren, gar nicht. Musik Erzähler 20. März 2015. Auf 3Sat bestätigt der Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner, dass Frank Castorf 2017 die Intendanz der Berliner Volksbühne abgeben soll. O-Ton Tim Renner Frank Castorf wird im Jahr 2017 25 Jahre an der Volksbühne Intendant gewesen sein. Und wir waren der Meinung, es ist an der Zeit, auch die Volksbühne mal weiterzuentwickeln und weiter zu denken. O-Ton Axel Wandtke Also, jede Ära geht ja mal zu Ende. Aber, das ist schon so etwas tief Einschneidendes, daß das für mich auch Berlin verändert. Erzähler Das ist Axel Wandtke, Mitglied im Personalrat, Schauspieler O-Ton Axel Wandtke Wir haben in der Volksbühne Veränderungen immer für das Wichtigste überhaupt gehalten, Veränderungen in der Welt, am Theater und in uns selbst. Erzähler (aus dem Hintergrund) Sie haben sich gar nicht verändert." "Oh!" sagte Herr K. und erbleichte. Erzähler Ende März nennt der Tagesspiegel als mutmaßlichen Castorf-Nachfolger den Belgier Chris Dercon, bislang Museumschef in London. O-Ton Herbert Fritsch Und ich finde es unsäglich, mit welcher Gedankenlosigkeit der Senat da vorgegangen ist, um dann zu sagen, sie wollen die Volksbühne weiterentwickeln und weiterdenken. Erzähler Das ist Herbert Fritsch, Regisseur und Schauspieler, Extremschauspieler O-Ton Herbert Fritsch Die wirklich innovativste Bühne in ganz Deutschland wird als Exempel genommen, daß dort jemand angeblich eine ästhetische Revolution veranstalten will, der plötzlich daherkommt, er macht Theater mit Internet und Theater ohne Sprache usw. - alles Dinge, die längst vor Jahren gemacht worden sind an dem Haus, was da alles an dem Haus stattgefunden hat - das scheint wirklich niemandem bewußt zu sein. O-Ton Sophie Rois Hat sich der Kulturstaatssekretär das unrühmliche Badge ans Revers geheftet, daß er die Volksbühne abgeschossen hat. Erzähler Sophie Rois, Schauspielerin und Diva. Ich liebe sie. O-Ton Sophie Rois Das wird man immer mit seinem Namen verbinden, damit brüstet er sich und ich behaupte, das geht aus allen Interviews hervor, die ich gelesen habe: Der wußte nicht, mit was für einem Theater er es zu tun hat. Das wußte er einfach nicht. Und wenn er es gewußt hätte, wäre es ihm auch egal gewesen, ja. Die Tatsache, daß da ein Wechsel stattfindet, finde ich nicht tragisch oder nicht schlimm. Das Traurige und Skandalöse und darüber spricht eigentlich gar keiner, ist, wie das zustande gekommen ist. O-Ton Jürgen Kuttner Ach, ich glaube, gegen schwachsinnige SPD-Politiker ist kein Kraut gewachsen. Das sieht man in allen Bereichen. Was soziale Errungenschaften betrifft, das müssen Sozialdemokraten abwickeln und auch so'ne kulturpolitischen Entscheidungen, die können auch nur von Sozialdemokraten getroffen werden. Erzähler Jürgen Kuttner, Autor und Regisseur O-Ton Jürgen Kuttner Ich glaube, wenn die CDU das versucht hätte, hätte es sicherlich Protest gegeben, sicherlich lautstark angeführt von der SPD, aber so... Es gibt wirklich eine Form von Blödheit, dagegen kommt man nicht an. Musik Erzähler Und jetzt beginn eine deutschlandweite Debatte, die sich als Berliner Theaterstreit noch weit über den Intendantenwechsel im Herbst 2017 hinziehen wird. Claus Peymann, scheidender Intendant des Berliner Ensembles, schreibt einen Wut-Brief gegen Tim Renner. O-Ton Claus Peymann (über Renner auf Radioeins, rbb) Das ist halt der falsche Mann am falschen Platz. Das ist nach meiner Einschätzung die absolut größte Fehlbesetzung des letztes Jahrzehnts. Der hat überhaupt keine Ahnung, der Mann ist überfordert, und der muß weg. Das muß geändert werden. Tim Renner muß weg. O-Ton Tim Renner, Kulturstaatssekretär Berlin (über Claus Peymann auf Radioeins, rbb) Sind sie hilflos und überfordert, Herr Renner? Nein, ich fühle mich nicht hilflos und überfordert. Ich glaube eher, die Situation von Herrn Peymann ist schwierig. Ich würde sagen, das ist ein älterer trauriger Herr, der um sich schlägt. O-Ton Alexander Scheer Wer ein Schöpfer sein will im Guten und Bösen, wahrlich, der muß ein Vernichter erst sein und Werte zerbrechen - Friedrich Nietzsche. Den Spruch kann sich Tim Renner eigentlich nicht auf die Fahnen setzen. Er möchte ja gern ein Schöpfer sein, er ist aber nur ein Vernichter. Da hat er was falsch verstanden. Insofern kann man den Nietzsche nicht anwenden auf den Herrn Renner. Musik Erzähler Akademie der Künste, Berlin, 18. März 2016, Verleihung des Großen Kunstpreises an Frank Castorf - ein Abschiedsgeschenk der Berliner Politkulturbürokratie. O-Ton Jürgen Kuttner Die haben wirklich den wichtigsten deutschen Regisseur, dem sie sich noch verpflichtet fühlen, den Berliner Kulturpreis zu geben, der mit Picasso verglichen wird...und dieselben Leute, die ihn mit Picasso vergleichen, dieselben Leute, dieser Tim Renner, der auf der hundertjährigen Geburtstagsparty in der Volksbühne sagt, er wünscht sich noch weitere hundert Jahre mit Frank Castorf - also diese extreme Dummheit und Verlogenheit, die macht mich irgendwie so fertig. Was soll man da sagen. O-Ton Regierender Bürgermeister, Michael Müller Daß Frank Castorf seit nunmehr über vier Jahrzehnten die Menschen mit seiner Kraft fasziniert und im Theater und für das Theater begeistert, ist eine absolut herausragende Leistung. Erzähler ...las der Regierende Bürgermeister und damals noch amtierende Kultursenator Michael Müller vor. Die Laudatio hielt Ulrich Matthes vom Deutschen Theater - ein Schauspieler, der noch nie für Castorf spielen hatte. O-Ton Ulrich Matthes Ohne Zweifel ist Frank Castorf ein Großkünstler vom Range eines Picasso für das Theater und von seinem Oeuvre geht eine Energie und Strahlkraft aus, mit der sich jeder auseinandersetzen muß, ganz egal, wo genau er selbst das weite Feld der Kunst beackert. Musik Erzähler Am 17. Juli 2015, also mitten in den Sommer- und Theaterferien und völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit, unterzeichnet Bürgermeister und Kultursenator Müller Chris Dercons Intendantenvertrag. O-Ton Carl Hegemann Ich halte ja Dercon auch für einen Menschen, der nicht einfach so ein Geschäftemacher ist oder jemand, der alles dem Neoliberalismus anheimstellen will. Aber, der Unterschied ist natürlich doch, daß er sich nach Weltmaßstäben richtet in seinen Beurteilungen. Erzähler Carl Hegemann, Chefdramaturg der Volksbühne O-Ton Carl Hegemann Er möchte die Deutungshoheit, glaube ich, beanspruchen über das, was weltweit interessant ist. Und da ist natürlich immer die Gefahr, daß er genau das Interessante her bringt, was überall woanders auch interessant ist. Und dadurch wird es entspezifiziert. Das finde ich aber schade. Es sollte in Berlin etwas geben, was man nur hier kriegt. Also, wenn man das unter Marktgesichtspunkten sieht, denke ich, ist die Volksbühne wie sie jetzt ist, ist so. Das ist etwas, das gibt es so nur in Berlin. Und das kann man aber weltweit anbieten und verkaufen. Und so einen Abend wie den Judith-Abend, den kriegt man tatsächlich nur in der Volksbühne. Und das machen wir bis zum Ende. Und natürlich geht es nach dem Ende auch weiter. Musik Erzähler-Dialog - Is dir schon mal was aufgefallen? - Aufgefallen, was? - Na, an den Streichholzschachteln von Bert Neumann, die der damals bei den "Räubern" entworfen hat. Die mit dem Räuberrad und Sprüchen drauf wie Zünd an, Haut ab, Holy Shit, Fuck you und so. - Und was soll mir da an den Schachteln aufgefallen sein? - Nicht direkt an den Schachteln. An den Streichhölzern selber. - Was'n? - Die brenn` ab. - Müssen se doch. - Ja, aber die brenn` zu schnell ab. Da kommste gar nicht dazu, dir vernünftig `ne Lunte anzuzünden. Verbrennste dir gleich die Finger. - Absicht, wa!? - Könnte sein! Musik Schritte Panorama Stimme Das Räuberrad Erzähler Am 30. Juli 2015 stirbt Bert Neumann. Frank Castorfs kongenialer Bühnenbildner, Designer und Erfinder des Räuberrads oder Entdecker, er wird 54 Jahre alt... Musik Bert Neumann baut Räume auf die Bühne, die man nicht einsehen kann. Der erste Raum war in der Inszenierung "Endstation Amerika" - ein Neubaubad, so'n Dunkelbad ohne Fenster. Wenn die Tür zu war, hast du nichts gesehen als Zuschauer, höchstens gehört, aber auch nicht richtig. Da haben wir ein oder zwei Wochen davor gesessen und es passierte nichts. Wir saßen da nur rum. Ja, was kann man denn machen auf dieser Bühne und mit diesem Raum? Wir sehen nichts, Bert. Castorf: Was is'n dahinter? Ein Bad. Aber ich kann nichts sehen. Na ja, aber vielleicht hören. Man kann ja die Tür offen lassen. Man kann trotzdem nicht viel sehen. So ging das hin und her. Also, am zehnten Tag oder war's der elfte, stand eine Kamera in dem Bad und das Bild wurde übertragen auf einen Fernseher in der Wohnung, den man schön sehen konnte. Das war sozusagen die Erfindung der Videoaufzeichnung und Übertragung auf Fernseher, Leinwände, die immer größer wurden - aus einem Grund, weil protestiert wurde: Bert, wir können nichts sehen. Musik Erzähler 1. September 2015 Die vorletzte Spielzeit beginnt, einen Monat nach Neumanns Tod. O-Ton Andrè Also, wir haben dit ja jedes Jahr, diese Spielzeiteröffnung. Und dit war diesmal eben ein bisschen anders. Weil natürlich alle wussten, dass Bert gerade gestorben war, und da war dit eigentlich eher ´ne Trauerveranstaltung, da hing allen ein Kloß im Hals. Da war dit natürlich bisschen blöd, dass dann eben auch noch mit zu verkünden, dass Kollege Dercon in zwei Spielzeiten dit Ding dann übernimmt. Erzähler André Grünschloss, Bühnentechniker O-Ton Andre Also die neue Spielzeit hat in dem Moment eigentlich mich und die meisten wahrscheinlich ja nicht interessiert. Und dit Gefühl hatte ich bei Frank auch, und ich glaube, dit hat er auch versucht, so zu verkünden. Also, dass da jetzt die große Leere vor ihm ist. Ja, scheiße. O-Ton Kathi Angerer Bert, ja. Also es ist schon merkwürdig, daß man irgendwie das Gefühl hat, er ist schon ewig gestorben, weil der Verlust so spürbar ist. Man findet gar keine Worte mehr, die hat man alle schon gesagt und verloren. Und man weiß, daß das leider Gottes zur schlechtesten Stunde der Zeit eingetroffen ist, daß er unglücklicherweise nicht mehr am Leben ist. Manchmal wird man ein bißchen sauer auf ihn, weil man so denkt, das ist irgendwie eigentlich kein guter Zeitpunkt gewesen. Das ist es nie! Aber in diesem Fall eine Katastrophe. Erzähler Kathi Angerer, Schauspielerin. Au, die war mal sehr beleidigt. Kurz vor einer Vorstellung habe ich gesagt: Kathi, du bist für die Erotik zuständig und ich für die Komik. Sie hat tagelang nicht mehr mit mir gesprochen. Musik Erzähler Theater-Führung mit Bühnenmeister Achim Busch O-Ton Achim Busch Nehmen Sie hier in den nächsten drei, vier Reihen Platz. Die Bühne und der Saal sind leider so zugehangen, daß sie von dem richtigen Saal gar nichts sehen. Sie sehen auch nicht das Original, was den Zuschauerraum anlangt mit den Stühlen, die sonst hier stehen, sondern ein Provisorium, das ein Teil des Bühnenbildes ist und zu einer bestimmten Inszenierung gehört hat und jetzt aber noch weiter spielt über die nächste Spielzeit hinweg, und dann wird der Saal erst wieder zurück gebaut auf seinen ursprünglichen Zustand. Es war nicht geplant, das so lange stehen zu lassen. Das ist durch den Tod von Bert Neumann, dem Bühnenbildner, der dieses Werk hier ursprünglich geschaffen hat. Um eine Erinnerung zu haben an ihn, läßt Herr Castorf, bis seine Intendanz endet, das so stehen. O-Ton Alexander Maas Mein Name ist Alexander Maas, bin Bauleiter bei der Firma Hüneke Neubrandenburg GmbH aus Neubrandenburg. Also, es war natürlich eine besondere Herausforderung, nicht nur von der Logistik, weil dort die Neigung der Fläche sehr stark ist, mit 12 Grad, also über 20 Prozent. Die ganze Bestuhlung wurde zurückgebaut natürlich, und die Mitarbeiter der Volksbühne haben eine Sperrholzplatte, nenn ich's mal, über die gesamte Fläche gebaut. Der Gußasphalt wird mit rund 230 Grad eingebaut, man sieht schon, daß der Asphalt aufgelaufen ist - er ist nicht eben wie eine Tischplatte! Aber genau das hat den Nutzer davon überzeugt, daß es genau die richtige Wahl war. O-Ton Carl Hegemann Bert Neumann kriegt es hin, einen kompromißlosen neuen Raum da hinzusetzten, asphaltiert - so, als würde man ein neues Theater betreten und gleichzeitig sind alle alten Funktionen erhalten, also einen völlig neuen Bühnenraum, den ich wirklich für eine ungewöhnlich geniale Tat halte. Weil: es ist eine Raumbühne geworden, man hat gar nicht dieses Traditionelle - da sitzen die Zuschauer und da ist der Guckkasten, sondern es ist einfach ein großer Raum, den man auf unendlich viele Weise benutzen kann, und wir konnten unser ganzes Repertoire auch in diesem schwarzen Kult-Raum spielen. O-Ton Rundgang ...Die stehen ja auf der Schräge, also das wird schon eng, das haste keine Lehne und nicht... ...das heißt die Hinterbeine sind abgesägt, damit man gerade sitzen kann..(Lachen) Erzähler-Dialog - Versteh mal, das liegt an den Stühlen - Was liegt an den Stühlen? - Na, daß man hier nicht mehr raus kommt. - Ja, und? - Die haben zu viel abgesägt, hinten. Und da rutscht man jetzt eben immer tiefer rein in so'n Stuhl. - Und keener kommt mehr raus. - Jedenfalls nich ohne fremde Hilfe. - Und Hilfe gibt's nich, wa. - Genau! Musik O-Ton Achim Busch Frank Castorf hat damals, bevor er Intendant wurde, schon eine sehr beachtete Inszenierung auf die Bühne gebracht, das waren "Die Räuber" damals. Und dieses Symbol ist eine Räuberrad. Es gibt im Rotwelschen solche Zeichensprachen, und dieses Zeichen mit dem Rad und den beiden Füßen, hieß Vorsicht Räuber. Also diese Zeichen aus dem Rotwelschen waren damals gang und gäbe, und das hat Bert Neumann irgendwo entdeckt und es übernommen für die Volksbühne dieses Räuberrad, mit der Inszenierung, mit der Frank Castorf hier praktisch groß gestartet ist. O-Ton Henry Hübchen als Franz Mohr in "Die Räuber" Denkste mir macht das Spaß hier, immer böse sein, immer der Bösewicht, immer nur so ganz böse daher kommen, denkste das ist schön, seit 1780, Scheiß Schiller. Erzähler Seit dieser Inszenierung existiert dieses Räuberrad. Es ist das Volksbühnen-Symbol schlechthin - auf Briefköpfen, Streichholzschachteln, T-Shirts und als große Metallplastik auf der Wiese vorm Haus, vor diesem Panzerkreuzer am Prenzlauer Berg. Und ausgerechnet dieses Symbol soll weg - sagen die einen, die anderen, es soll bleiben. Jetzt gibt es eine Lösung. Frank nimmt es mit nach Avignon als Bühnendekoration, dann wird es renoviert und kommt es nach einem Jahr wieder und wird wahrscheinlich zum Denkmal - echt Gold, echt vergoldet. Ich freue mich. Musik/Schritte Panorama Stimme Konfrontation trifft Konsens Atmo Personalversammlung Erzähler 28. April 2016. 9 Uhr. Personalversammlung. Im Parkett die Belegschaft, auf der Bühne Stühle für Kulturstaatsekretär Tim Renner und die zukünftigen Chefs des Hauses: Programmdirektorin Marietta Piekenbrock und Intendant Chris Dercon. Keine Hand rührt sich zur Begrüßung. Auch zum Schluß wird es keinen versöhnlichen Beifall geben. O-Ton Georg Wedel Die Belegschaft war sehr skeptisch, auch voller Sorge. Es kamen Ängste vor Veränderungen in der Arbeitsstruktur und vor allem Dingen in der Programmstruktur zutage. Erzähler Das ist Georg Wedel, Tontechniker O-Ton Georg Wedel Vor allem in Bezug darauf, daß das Theater von einem Sprechtheater wohl in ein Tanztheater- bzw. En-suite-bespieltes Gastspielhaus umgewandelt werden soll. Musik Erzähler Übrigens im Haushaltsplan des Landes Berlin steht, dass die Volksbühne als Ensemble- und Repertoiretheater in der Tradition der bisherigen Volksbühne fortzuführen und weiterzuentwickeln ist. Musik O-Ton Personalversammlung - Carl Hegemann ...es gibt also erst mal Tanz, Tanz, Tanz, damit führen wir uns ein, wir zeigen zu Beginn Retrospektiven von Jerome Bel, das ist, nehme ich an, ne Notlösung, weil: das ist ja nun absolut kein Neuanfang/Beifall O-Ton Georg Wedel Also konkrete Kritik kam vor allen Dingen von Carl Hegemann, vor allen Dingen wurde angemahnt, daß kaum konkrete Ideen zu Tage kamen oder konkrete Namen oder Pläne. Und auch Jürgen Kuttner hat sich mit großer Energie eingebracht, besonders gegen Herrn Tim Renner und seine Entscheidung. O-Ton Personalversammlung - Jürgen Kuttner, Tim Renner ....und dann dieser große Kompetenzausweis, wir haben einen Castorf-Abend in München gesehen und Pollesch bei You Tube, wo ich denke, Mensch, ihr habt echt ein Gefühl für Theater/ Befall, Polemik Kuttner/ Renner...ich unterbreche Sie ungern bei Ihrer Selbstinszenierung... Herr Staatssekretär...Sie fallen hier gerade jemandem ins Wort... O-Ton Sabine Zielke Also, ich habe wahrgenommen, daß ein Großteil der Belegschaft, sagen wir mal, sich ungenügend ins Bild gesetzt gefühlt hat, also auf jeden Fall nicht das an Informationen bekommen hat, was sie bekommen wollte. Erzähler Sabine Zielke, sie fing 1989 als Assistentin an der Volksbühne an, ist nach fast 30 Jahren unkündbar und bleibt als einzige dramaturgische Mitarbeiterin dem Haus erhalten. Ich kenne sie...ewig. O-Ton Sabine Zielke Also, was Positives ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Und ich glaube auch, daß auf Seiten der neuen Intendanz der Tag sehr verstörend war. Erzähler Zum Schluß der Versammlung erklärt Chris Dercon, wofür sein Theater stehen soll. O-Ton Personalversammmlung - Chris Dercon ...ich glaube, daß das Theater wieder eine Disziplin sein muß, vom Wir Zusammen und nicht Ich gegen Ihn, ich glaube, daß Schock oh, Separation, Aggression, daß das vorbei ist, ja. Also inhaltlich, da würde ich mich gerne verabschieden von einem Modell, das man von Deutschland kennt und anderen Ländern, wo ich total denke, das läuft auf nichts hinaus, das bringt uns nichts, es bringt keine Erlösung, man wird nicht besser sterben dadurch, voila. Erzähler Das sieht Volksbühnen-Dramaturg Thomas Martin, der wie fast der gesamte künstlerische Bereich das Haus im Sommer 2017 verlassen wird, naturgemäß ganz anders. O-Ton Thomas Martin ...wo Dercon meint, die Volksbühne stünde für Separation, Aggression, Destruktion, das müsse vorbei sein, die Zeit des Konflikts ist vorbei, jetzt kommt der Konsens: Das sind auch alles Hülsen. Aber der Konflikt hat das Haus besonders gemacht. Die Welt ist voller Konflikte, gerade jetzt brennt es an allen Ecken. Und das sind Sachen, die an diesem Theater immer verhandelt worden sind, nicht nur in den Inszenierungen, in den Themenwochenenden, Konferenzen, die wir hatten. Also wir sind da ständig am Puls der Zeit. Und das kannst du mit Konsens - also, ist schwer vorstellbar, wie man das abdecken will. Also, macht man hier eine Wohlfühlecke draus, für mehr oder weniger Betuchte, weiß man nicht und das Ziel der Politik ist sicherlich, wie es Dercon auch vorgibt: Die Tourismus-Industrie soll auch beliefert werden. Musik Schritte Panorama Stimme Klare Verhältnisse Musik Erzähler 20. Juni 2016: In einem offenen Brief protestieren Mitglieder der Volksbühne gegen die Berufung Dercons. Knapp zwei Wochen später: Ebenfalls in einem offenen Brief ergreifen 25 Prominente der internationalen Kunst- und Museumsszene Partei für Chris Dercon. O-Ton Axel Wandtke Ja, wir beginnen jetzt am 1. September unsere letzte Spielzeit unter der Intendanz von Frank Castorf. Die Stimmung insgesamt ist heute sehr freundlich gewesen, man freut sich auf die letzte Spielzeit und wird dort noch sehr schöne Sachen machen. Erzähler Nach der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und den folgenden Koalitionsverhandlungen wird der Linken-Politiker Klaus Lederer neuer Kultursenator. Der Theaterstreit flammt erneut auf. O-Ton Klaus Lederer Ich habe von Anfang an gesagt, ich werde mit allen Beteiligten reden, ich wird auch mit den Beteiligten reden, mit denen vor und nach der Entscheidung die sie zwar betrifft, aber in die sich nicht einbezogen worden sind, nicht geredet worden ist. Und ich werde auch mit Chris Dercon reden, und zwar werde ich sehr schnell mit Chris Dercon reden, weil ich habe natürlich ein Interesse daran, daß man jetzt erst mal guckt, was ist den die beste Perspektive für den Theaterorganismus Volksbühne, da steht ja nicht einfach nur ein leeres Haus, was irgendwie gefüllt werden muß. Erzähler Rechtsanwalt Peter Raue vertritt die Interessen von Chris Dercon. Die juristische Lage ist eindeutig. O-Ton Peter Raue Es gibt einen festen, von beiden Seiten unterzeichneten Vertrag. Es gibt eine Kontinuität beider Regierungen, die an geschlossene Verträge gebunden sind. Musik/Schritte Panorama Stimme Überforderung als Prinzip Erzähler-Dialog -Weißt du was geschieht, wenn ein Panzerkreuzer untergeht. -Dann steigt der Wasserspiegel und der Krieg ist vorbei. -Blödsinn -Ist endlich wieder Platz zum schwimmen - -Nee, so ein Ding, wenn's untergeht, reisst alles mit runter... - Wohin -Nach unten -Und dann? O-Ton André Nun müssen wir mal kieken, wie dit ist, wa. Musik O-Ton Bert Neumann Kunst hat bestimmte Notwendigkeiten, und die braucht das Risiko, die braucht das Ungesicherte, sonst kann sie ja nicht Kunst sein. Erzähler Bert Neumann, Juni, 2011 O-Ton Bert Neumann Diese Selbst-Infragestellung, die Selbstgefährdung, - wenn man so Artaud sagt (für Castorf eine wichtige Referenz, was das Theater betrifft): Dafür steht oder stand die Volksbühne. Und eigentlich macht's auch nur Sinn, also für mich jedenfalls, wenn man sich solche Ziele setzt. Also, die wohlgeformten Konsens-Abende, die man viel sieht am Theater, die würden mich überhaupt nicht interessieren. Also, es muß schon irgendwie eine Gefährdung in dem Abend sein - ob der klappt oder nicht, daß man das nicht unbedingt weiß. O-Ton Ulrich Matthes Ich hatte manchmal das Gefühl, an einem Flipper-Automaten zu stehen, so ratterten die Gedanken und Impulse bei den Zuschauern auf Hochtouren durch. Es war und ist, denn Castorfs Regie-Stil hat sich in den vergangenen 20 Jahren nicht wesentlich geändert, eine komplette Überforderung des Zuschauers. Erzähler Der Stil hat sich sehr wohl verändert, so wie sich die Zeiten verändert haben. Die Stücke wurden länger, und immer mehr Überlagerung auf der Bühne, die Text wurden kompakter, Film, gleichzeitig Musik, gleichzeitig Text und szenisches Spiel, Parallelspiel zum Teil auch. Die Schauspieler sind überfordert, weil sie in sechs oder fünf Wochen so einen Abend in den Körper bekommen müssen und die Zuschauer sind überfordert, weil sie in den sechs Stunden was begreifen müssen. Sie können sich aussuchen, was sie gebrauchen können an dem Abend von dem Abend. Man muß sich einfach zwingen, da zu bleiben, dann wird's zum Erlebnis. Das ist dann Erfüllung oder nicht. Oder: schmerzende Füße. O-Ton Bert Neumann Das heißt, diese Konfrontation, daß die stattfindet zwischen zwei verschiedenen Phantasien, also das muß ja um Himmels willen nicht homogen sein, das ist das Schlimme, daß so viel homogen ist. Und deswegen finde ich es gerade gut, daß sich da irgendwas miteinander konfrontiert, auch die Phantasie der Schauspieler mit der des Regisseurs. Und daß es irgendwie knirscht auch, daß es nicht reibungslos wie so ein Getriebe läuft, sondern daß da Auseinandersetzungen stattfinden. Da habe ich auch Spaß als Zuschauer, das zu sehen, daß es nicht alles so aus einer Phantasie so wegschnurrt, sondern irgendwie brüchig ist und manchmal auch knirscht und kracht. O-Ton Faust-Ton - Martin Wuttke, Sophie Rois O-Ton Sophie Du konntest in Ruhe in einer Verbindlichkeit und der Länge etwas entwickeln. Es ist tatsächlich so, daß ich hier mit den Leuten, mit denen ich hier über 20 Jahre lang kontinuierlich gearbeitet habe, einen eigenen künstlerischen Ausdruck entwickelt habe. Tatsächlich, das ist so - natürlich unter dem großen Einfluß von Frank Castorf selber, der ist aber für mich manchmal fast als Theaterleiter, denke ich, manchmal wichtiger für mich denn als Regisseur, nämlich, was er für mich möglich gemacht hat. Christoph Schlingensief hat hier seine erste Theaterproduktion gemacht und wie man uns den Rücken freigehalten hat oder wie man uns hat machen lassen, ja. Weil dieser Castorf eben keine Angst hatte. Und das machte die Zusammenarbeit in erster Linie so angenehm. Oder: der mußte dich nicht verstehen, um deinen künstlerischen Willen zu respektieren. O-Ton André Natürlich ist dit für mich was Besonderes, da zu arbeiten, weil ick natürlich auch über die Gastspiele n Haufen andre Theater erlebt habe. Dit is schon, dit naja, was immer alle sagen, die an der Volksbühne arbeiten: Dit is ne Enklave, da is was übrig geblieben von früher, und dit is wie so ne Ostfestung irgendwie. Und naja, meinetwegen, dit passt schon, dit is auch so. Erzähler Ost kam ja auf die Volksbühne nicht als Gegenbehauptung, sondern als Stoppschild. Als alles vom Westen vereinnahmt wurde und der Osten versuchte, seine Identität, seine Authentizität loszuwerden. Es hat was mit Widerspruch, mit Querulantentum und mit Wertschätzung der eigenen Gedanken zu tun. Ost, Ostfestung - mit ganz vielen Westlern im Haus. Ja, Gemischtwarenladen. Musik O-Ton Alexander Scheer Ich mein, ich kann mich nicht beschweren. 25 Jahre! Ich war jetzt 15 Jahre hier an der Bude. Ich hatte mit außergewöhnlichen Leuten das Privileg gehabt zusammenzuarbeiten, in allen Bereichen, vor allem mit Spielern, die man in so einer Konstellation wahrscheinlich nie wieder irgendwo antreffen wird. Dieser ganze Wahnsinn. Castorf vor allem. Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ist meine künstlerische Heimat und das wird sie auch immer bleiben. Davon zehrt man ein ganzes Schauspielerleben. O-Ton Sophie Rois Weißt du, wenn du zum Geburtstag oder zu Weihnachten plötzlich etwas bekommst, von dem du gar nicht wußtest, daß du das gewünscht hast. So toll ist es. Erst in dem Moment, wo es vor dir liegt, merkst du, der hat ja den totalen Nerv getroffen. Und diese Erfahrungen habe ich hier immer wieder gemacht. Also, das war nicht nur einmal, das war auch mit Rene Pollesch. Was wir alles ausprobiert haben, und eben so auf Augenhöhe und nicht, wo du als Tool jemandem zur Verfügung stehst als Spieldienstleister heute für den und morgen für den Regisseur dich interessieren mußt. Das mußte ich hier nie, ja. O-Ton Probe mit Castorf, Rois und Angerer O-Ton Alexander Scheer Ich hatte einfach überhaupt keine Ahnung, daß man so arbeiten kann, daß du aus dem Stand so ein Buch adaptieren kannst. Wie Frank arbeitet, das war ja eine Erweckung für mich, als ich das zum ersten mal gesehen habe. Das war bei "Idiot". Das ging so schnell. Erst mal saß er zwei Stunden rum, hat Kaugummi gekaut und gesagt: "Das ist nicht zu schaffen, wie woll'n wir das machen, keine Ahnung, ist sinnnlos, brauchen wir gar nicht anfangen." O-Ton Faust-Ton mit Scheer und Tscheplanowa O-Ton Alexander Scheer Und dann ging das nach zwei Stunden - zack - in die Vollen. Der hat da diese Weltklasse-Schauspieler, die waren ja alle eigene Planeten, die hat er so genommen , wie er war, ineinander geschoben. Und dann auf einmal hob das Ding ab. Das ist natürlich eine absolut grenzwertige Belastung, an der Grenze des Machbaren! Finanziell ist das vorn Arsch, was du hier verdienst. Das kannst du mit Geld nicht bezahlen. Das rechnet sich nur, wenn man sich verschleudert. Es ist Gewinn durch Null-Effizienz. Das ist nicht Markt, das ist was anderes, das ist Hingabe, Lebensfreude. Das ist einfach ein Geschenk. Und nach so einem Abend bist du einfach komplett im Arsch, komplett im Eimer, komplett. Das ist wie Hochleistungssport. Aber danach weißt du, was du gemacht hast. Kathi Angerer Als ich hier angefangen habe, war ich 22 oder 23 Jahre alt. Das war die absolute Erfüllung für mich, als ich die erste Arbeit mit ihm gemacht habe. Es liegt an vielen Dingen, vielleicht. Also schon an seiner Persönlichkeit letztendlich, weil er ein sehr empathischer Mensch ist, ein sehr intelligenter Mensch, ein sehr emotionaler Mensch ist mit einer wahnsinnigen Phantasie und großen Liebe zu Schauspielern, und man kommt auch selber ins Spielen ganz anders, als man das je gedacht hat. Es sind einfach große beglückende Gefühle, die man beim Spielen hat. Musik O-Ton Klaus Dobbrick Im Grunde genommen verliert man wirklich ein künstlerisches und politisches Zuhause. Erzähler Klaus Dobbrick, Chef der Ton- und Video-Abteilung. Na ja, der verliert shcon sein Zuhause, weil er immer auf Reisen war. Ich glaube, der hat die ganze Welt gesehen. Mir war er immer ein guter Reisebegleiter. O-Ton Klaus Dobbrick Ich bin an die Volksbühne wirklich ganz bewußt gekommen, gegangen, weil es das Theater zu der Zeit, als ich hergekommen bin, war und geblieben ist, was mich am meisten interessiert hat, was ne Geschichte hat, was an dem Ort auch eine politische Haltung immer hatte und aktuell in den letzten 25 Jahren so viel ermöglicht hat und an Maßstäben gesetzt hat! Das fällt einfach weg. O-Ton Herbert Fritsch Ich habe auch mal für längere Zeit, für fast drei Jahre, die Volksbühne ganz verlassen, hab sie nie wieder gesehen, nicht betreten. Aber genau das macht ja die Volksbühne aus, die Volksbühne war kein friedvoller Ort, niemals. Das war nicht so, daß alles so super läuft. Zwischen mir und Frank ist es auch nicht immer so lustig gewesen, war viel Krach, viel Streit und Haß und Liebe waren immer dicht beieinander. Da ist man einen Tag aus dem Haus gegangen, hat gesagt, cool, bin ich wieder richtig voll mit dabei, und am nächsten Tag war ich's schon wieder nicht. Man konnte sich auf nichts verlassen an dem Haus erst mal so, daß alles so super läuft, sondern man mußte immer kämpfen. Das war ein harter Boden, aber ein guter Wein wächst auf hartem Boden. Musik/Schritte Panorama Stimme Loyalität und Weigerung O-Ton Carl Hegemann Die wirklich schwierige Geschichte ist ja, was machen die Unkündbaren, was machen die, die hier Familie haben und gerne hier weiterarbeiten wollen - sind alles ungelöste Probleme. Es wird auf jeden Fall auch Loyalitätsprobleme geben bei einzelnen Mitarbeitern. Wie kriegt man das alles hin? O-Ton Yvonne Schulz Wie es tatsächlich ist, kann ich eigentlich dann erst sagen. Jetzt ist es eher so, daß man die Zeit, die man hat, genießt. Daß man noch mal genauer hinguckt, auch mit so einer Freude und einer Wehmut im Herzen. Erzähler Yvonne Schulz, Requisiteurin. Oh, habe ich bei der Zigaretten geschnorrt. Und Texte hat sie für mich geklebt ans Portal, weil der erste Durchlauf die Premiere war. Yvonne, du hast mich gerettet. O-Ton Yvonne Schulz Ich habe letztens, bei der letzten Marthaler-Premiere "Bekannte Gefühle", habe ich auf der Seitenbühne gesessen und Sophie Rois hat ein Lied gesungen, was sehr traurig war. Und dann hat's mich ganz kalt erwischt, da war ich völlig bei mir und habe diesem Lied zugehört und mußte daran denken, daß es jetzt wirklich die letzte Marthaler-Premiere ist. Und da liefen mir halt die Tränen. Vielleicht ist es jetzt noch mal so schön, daß man diese Vorstellungen noch genießen kann und sich danach in die Arme fällt und sagen kann, daß es schön war. O-Ton Sophie Rois singt O-Ton Axel Wandtke Na, es gibt ja die Gespräche, die man mit dem künftigen Intendanten führt, das sind Nichtverlängerungsgespräche aber eigentlich heißen sie Anhörungsgespräche. Darauf wird man noch mal hingewiesen. Und ich habe ihm gesagt, daß ich herkomme. Manche gehen da nämlich nicht hin. Aber, ich bin ja dann 13 Jahre an der Volksbühne gewesen, bin da aufrecht reingegangen und, wenn es sein muß, gehe ich auch wieder aufrecht raus. Ich habe in dem Gespräch schon mitbekommen, daß der sich nicht interessiert, daß das alles für mich gar nicht in Frage kommen kann und habe auch an meinem ersten Urlaubstag meine Nichtverlängerung bekommen, Das ist auch völlig in Ordnung, damit bin ich auch enthoben der Frage, darüber nachzudenken, was ich denn da mache, wenn ich da bleiben würde. O-Ton Thomas Martin Ich habe das Gespräch ausgeschlagen, ich habe Dercon ausrichten lassen, ich bin jederzeit bereit, mit ihm zu reden über Kultur, Kunst sonst was, aber nicht im Rahmen arbeitsrechtlicher Bedingungen, das ist für mich nicht relevant. Da ich ihn als Nachfolger von Frank Castorf nicht akzeptiere, ist das für mich die falsche Rahmenbedingung. Musik/Schritte Panorama Stimme Restauration und Stemmtechnik Erzähler Wer ein Schöpfer sein will im Guten und Bösen, wahrlich, der muß ein Vernichter erst sein und Werte zerbrechen - Nietzsche. Atmo Regie-Kommando Und jetzt noch mal dein Kommentar Erzähler Schöpfer, Vernichter, gefällt mir nicht der Satz. Ich zerstöre doch das Fundament nicht, wenn ich ein Haus bauen will, und lege nicht den Fluß trocken, wenn ich eine Brücke bauen will. Ohne Pina Bausch, Heiner Müller kein Castorf. Wo ist eigentlich Heiner Müller? O-Ton Carl Hegemann Es paßt ganz gut ein Satz von Hebbel, und dieser Satz heißt: eine Kanone erfinden, groß genug, die Erde hineinzuladen und sie Gott ins Gesicht zu schießen. Das ist die Dimension des Hasses. Also, wer lebt, haßt und liebt, sonst lebt er nicht. Und man muß ja wissen, wie man damit umgeht. Der Hass ist groß, aber ich würde sagen, das ist mehr so ein metaphysischer Hass, der hier an diesem Haus herrscht. Aber, wir werden das ohne Schaum vorm Mund zelebrieren, wir machen unsere Arbeit. Und es wird auch selbstironisch sein, versöhnlich möchte ich nicht sagen, Kunst muß halt unversöhnlich sein. Musik Erzähler "Die Brüder Karamasow", "Der Spieler", "Ein schwaches Herz", "Die Kabale der Scheinheiligen" und "Baumeister Solness" - dreimal Dostojewski, einmal Bulgakow und einmal Ibsen. Das sind die letzten Vorstellungen in der letzten Woche der Ära Castorf im Großen Haus der Volksbühne, sekundiert von Spaß-und-Trauer-Aktionen diverser Sympathisantengruppen und einer monumentalen Tanzparty in der Nacht zum 2. Juli. Die allerletzten Vorstellungen des Ensembles finden bis Mitte Juli bei Gastspielen in Montpellier, Avignon, und Barcelona statt. Aber den wirklich finalen lärmenden und staubigen Akt wird der Neubrandenburger Bauleiter Alexander Maas mit seinem Team exekutieren: den Rückbau von Bert Neumanns schrägem Asphaltparkett. O-Ton Alexander Maas Wir haben zwei Tage zur Verfügung, das wieder abzubauen. Und inwiefern das Material von dem Untergrund jetzt wieder abgeht... Das wird man wahrscheinlich nur händisch mit relativ schwerer Stemmtechnik versuchen können. Vielleicht geht es besser, daß es schollenartig aufgebrochen und raustransportiert werden kann. Musik Stimme Demontage des Räuberrads Die letzten Monate der Ära Castorf Ein Feature von Jürgen Balitzki Es sprachen Antje Weber und Henry Hübchen Ton: Martin Seelig und Uli Hämer Musik: Ingolf Günther und Michael Heubach Regie: Holger Kuhla Redaktion: Ulrike Bajohr Musik O-Ton Es ist vorbei Musik Stimme Eine Produktion des Deutschlandfunks 2017