Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 1. Februar 2010, Zeitfragen, 19.30 Uhr Bunte Mischung im Warenkorb Wie die Inflationsrate festgelegt wird Eine Sendung von Dani Parthum Atmo1 Supermarkt, Barcodescanner liest Einkäufe ein, es piept, Verkäuferin murmelt vor sich hin: "Butter, Käse, Kerzen, .... die Zeitung hier auch noch?" Spr. vom Dienst Bunte Mischung im Warenkorb Wie die Inflationsrate festgelegt wird Von Dani Parthum Atmo2 Supermarkt, Barcode einlesen, es piept ... O-Ton 1 Gromzig Wir stehen jetzt bei einem großen Lebensmittelfilialisten an der Frischfleischtheke und fragen jetzt die Preise für frisches Fleisch ab. ... Die Beinscheibe für 8,49, (Verkäuferin:) Ja. Das Filet Deutsch 47,99. (Kassengeräusche) ja. Schweineschulter 5,99. Ja... hm Ja. Rindersalami 1,49 .... die Rindersalami ??? ... 1,99. Ok, ich danke erstmal. Guten Handel und bis später. Ich bin Rüdiger Gromzig und ich bin für das Statistische Landesamt in Kiel in Hamburg unterwegs. Die Tour geht über den ganzen Tag. Ich fange an gegen 9 Uhr und bin im ersten Laden gegen 10. Und dann geht es durch bis 16 Uhr. Heute werde ich grob geschätzt haben 400 Preise. Autorin Es ist Monatsanfang und Rüdiger Gromzig zieht durch ausgewählte Hamburger Läden und Supermärkte - sechs Tage lang. In der Hand trägt er einen Aktenordner und einen Bleistift. Der Mittfünfziger ist im Auftrag der Statistik unterwegs. Seine Tour vergleicht er mit dem Einkauf einer routinierten Hausfrau: Sie achte auch darauf, was Äpfel, Fleisch, Herrenhemden und Strumpfhosen kosten, ob sie teurer oder billiger geworden sind. Das will Rüdiger Gromzig auch herausfinden, und notiert deshalb viele hundert Preise in seitenlange Listen, die er anschließend in den Aktenordner heftet, für das Landesamt in Kiel: O-Ton2 Gromzig Wir haben unsere Erhebungsbögen. Die sehen vor, dass jeden Monat für jeden Artikel ein Preis erhoben wird. ... Viele ändern sich nicht, einige doch, und das wird festgehalten, ausgewertet und dann fließt das ein in den Lebenshaltungsindex. Autorin Der Lebenshaltungsindex heißt auch Verbraucher-Preisindex oder kurz: Inflation. Der Index ist von nationaler Wichtigkeit. Die im Index gemessene Inflation gibt an, wie sich der Preis für beispielsweise 100 Gramm Salami innerhalb eines Monats verändert hat. Sind die 100 Gramm teurer geworden, und mit ihr vieles andere Alltägliche, herrscht vermutlich Inflation. Das Geld hat also an Wert verloren und Kaufkraft eingebüßt. Das ist ärgerlich und weckt Ängste: Reicht mein Geld weiterhin für alles, was ich benötige? Und welchen Gegenwert hat mein Erspartes in zehn Jahren? Es ist Aufgabe der Politik, die Inflation gering und damit den Geldwert stabil zu halten, hart, wie es zu D-Mark-Zeiten so schön hieß. Musik1 einblenden, stehen lassen, solange es gefällt Burgmüller (heiteres Klaviersolo) Autorin Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden beobachtet als Bundesbehörde, wie sich die Preise entwickeln und errechnet daraus monatlich diese eine Zahl, die Inflationsrate. Das Amt hat aber nicht alles Käufliche im Blick. Sondern nur das, was im täglichen Leben verbraucht wird. So definieren Volkswirte Inflation. Das Wiesbadener Bundesamt hat dafür einen Korb mit Alltags-Gütern zusammengestellt. Butter, Brot und Milch. Diese Grundnahrungsmittel liegen auch bei den Statistikern im Einkaufskorb -- neben etwa 750 weiteren Gütern und Dienstleistungen. Was der Mensch eben alles so braucht: Stimmencollage Frau1: Gemüsesaft, Kindergartengebühr, Handmixer, Theaterkarte, Melissengeist Mann1: Akkuschrauber, Schrankwand, Wetterstation, Glasauge, Geflügelschere Frau2: Büstenhalter, Parkhausgebühr, Strom, Essen auf Rädern, Pumps Autorin Der prall gefüllte statistische Warenkorb soll ein Spiegelbild der Einkaufsgewohnheiten der 82 Millionen Bundesbürger sein. Stellvertretend für sie geben etwa 60.000 Familien, Rentner und Alleinstehende den Statistikern regelmäßig Einblick. Das erklärt Ute Egner, Referentin für Verbraucherpreise im Bundesamt. Lebensgemeinschaften jeder Art nennen Statistiker schlicht "Haushalte": O-Ton3 Egner Es ist so, dass die Haushalte selbst Mitspieler sind. Sie werden befragt, für welche Güter sie wie viel Geld ausgeben und das findet in Haushaltsbefragungen statt und das wird entsprechend ausgewertet. Autorin Heraus kommt ein Durchschnittshaushalt aus zurzeit 2,1 Personen, denen 2.800 Euro im Monat zur Verfügung stehen. Musik3 Grönemeyer bei 1:00 einblenden AAoohhh. Ich kauf mir was, kaufen macht soviel Spaß, ich könnte ständig kaufen gehn, kaufen ist wunderschön, ich könnte ständig kaufen gehn, kaufen ist wunderschön, ich kauf, ich kauf, was, ist egal, ich kauf, ich kauf, was, ist egal .... ohoh, jeah, .... ab 1:26 unterblenden unter OTon4, ausfaden OTon4 Monika und Mario Mein Name ist Monika, ich bin 65 Jahre alt und ich wohne in Hamburg Altona. Ich bin Mario, Baujahr 37, und wohne auch in Altona. Monika: Der größte Posten ist natürlich Miete und Strom, Telefon das macht ungefähr ein Drittel unseres Einkommens aus, das finde ich ganz schön viel. Das Essen ist dann der zweitgrößte Posten. Dafür geben wir ungefähr prozentual gesehen, sagen wir 20 Prozent für's Essen aus. Mario: Und das Auto kostet natürlich auch Geld, Versicherung, Steuern, Benzin, das ist auch ein Faktor, den man nicht vergessen sollte. Autorin 30 Prozent für Wohnen, etwa 20 Prozent für Essen und einiges für die Mobilität -- das Rentnerpaar mit gutem Einkommen, Monika und Mario, gibt sein Geld in einer ganz ähnlichen Größenordnung wie der statistische Durchschnitt aus. Zitator Wohnen, Wasser, Strom, Gas und andere Brennstoffe Autorin Dafür müssen die Bürger am meisten ausgeben; 30 Prozent haben die Statistiker herausgefunden. Der zweitgrößte Ausgabe-Posten mit etwa 13 Prozent ist der: Zitator Verkehr Autorin Darunter fallen der Kauf, Betrieb und die Reparatur jedes Fortbewegungsmittels, wie das eigene Auto, Motorrad oder Fahrrad, dazu Reisen per Bahn, Flugzeug und Schiff. Zitator Nahrungsmittel und Alkoholfreie Getränke Autorin ... summieren sich im Warenkorb auf etwas mehr als 10 Prozent. Darunter Brot, Fleisch und Zuckerhaltiges wie Marmelade, dazu Gemüse. Diese und andere Esssachen stehen bei Preisermittler Rüdiger Gromzig auf dem Zettel: O-Ton5 Gromzig Die Preise sind im Lebensmittelbereich in Bewegung. Nicht große Sprünge, aber bei einem Drittel bzw. einem Viertel ändern sich die Preise von Monat zu Monat. Mal etwas rauf, mal etwas runter, Bewegung ist immer drin. Jetzt sind wir am Gemüsestand. Beginnen mit unterschiedlichen Sorten Kartoffeln. Festkochend, mehlig, Salatkartoffel. Selena kostet 2,79 für zweieinhalb Kilo. Der gleiche Preis. Dann haben wir Linda - 3,23. Dann haben wir Miranda auch 3,23.... Miranda war im September mal teurer, immer zweieinhalb Kilo Autorin Welche Kartoffelsorte Rüdiger Gromzig abwiegt und vergleicht, schreibt ihm das Statistische Landesamt für Hamburg und Schleswig-Holstein vor, nicht das Bundesamt. Es herrscht Arbeitsteilung. Das Bundesamt nennt lediglich die Art des Produktes und den Ladentyp, also zum Beispiel feste Kartoffeln, angeboten im Supermarkt, Discounter oder vom Gemüsehändler. Vor Ort suchen dann die 14 Landesämter passende Geschäfte heraus sowie die absatzstärksten Sorten und Produkte. Diese fassen sie ganz altmodisch auf Papierbögen in Listen zusammen. Und die arbeiten die bundesweit etwa 600 tätigen Preisermittler in Handarbeit ab. Atmo3 Kaufhaus einblenden und stehen lassen bis O-Ton6 zu Ende ist Autorin Und während sich in Hamburg Rüdiger Gromzig zum Preisschild der Linda-Kartoffel hinabbeugt, steht in Berlin Werner Pietzsch auf der Rolltreppe eines großen Kaufhauses am Alexanderplatz. Atmo4 Rolltreppe einblenden Autorin Er ist auf dem Weg in sein Beobachtungs-Revier: O-Ton6 Pietzsch Wir sind jetzt in der 5. Etage in der Abteilung technische Haushaltsgeräte, Kleinartikel. Das fängt von Personenwaage an, Kaffeemaschinen, Espressomaschinen, Staubsauger, Rasierapparat, Mikrowelle -- die ganze Palette. Das sind ungefähr so 20 Artikel, die wir in dieser Etage uns anschauen. Ich weiß in den meisten Verkaufsstellen, wo was steht. Wenn nicht gerade etwas umgeräumt wurde. Die Blutdruckgeräte, was als Nächstes aufgenommen werden muss, sind jetzt umgeräumt worden. Da haben wir ein Gerät von Beurer gehabt. Mal sehen, ob wir das finden. ... Da stellen wir fest, der Preis ist geblieben. Kurz und schmerzlos: Preis notiert und zum nächsten Produkt. (Hintergrundgeräusche) Autorin Das Blutdruckmessgerät fürs Handgelenk hat es im Jahr 2000 in den Einkaufskorb geschafft, weil die Bevölkerung älter wird und Ernährungskrankheiten zunehmen. Seit zehn Jahren werden auch die Preise für Scanner, Farbdruckpatronen und die Gebühren für den Krippenplatz beobachtet. Gestrichen haben die Statistiker dagegen Analogkameras und Disketten -- weil sie kaum noch jemand haben will. Nur alle fünf Jahre sortieren die Statistiker den Warenkorb neu. Denn erstens brauchen sie eine Basis für den Preisvergleich. Und zweitens halten die Bürger an ihren Gewohnheiten lange fest, so Ute Egner aus der Abteilung Preise: O-Ton7 Egner In hochentwickelten Gesellschaften wie in Deutschland ändern sich die Verbrauchsstrukturen nicht so häufig. Und da zeigt sich in letzten Jahren, dass wir eine leichte Verschiebung haben zu den Bereich Freizeit, Unterhaltung, Kultur. Und dass die Leute bei Nahrungsmitteln verstärkt höherwertige Nahrungsmittel in Anspruch nehmen. Halbfertigwaren werden verstärkt gekauft oder veredelte Nahrungsmittel, die bestimmte Zusätze haben, und nicht mehr die Brötchen an sich, sondern Brötchen zu Aufbacken beispielsweise, das solche Produkte eine größere Rolle spielen, als das früher war. Autorin Von einhundert Euro investiert der Durchschnittsbürger monatlich heute zwölf Euro in Freizeit, Unterhaltung und Kultur. Mehr als in Nahrung. Die neue technische Vielfalt lockt -- mit MP3-Spielern, Laptops jeder Größe und Flachbild-Fernsehern. Deshalb haben die Statistiker den Warenkorb 2005 um diese Geräte erweitert. Sie alle vertreiben freie Zeit und unterhalten. Die Ausgaben für Gesundheitspflege folgen demselben Trend. Sie nehmen zu. Zurzeit machen sie vier Prozent der Ausgaben aus, genauso viel wie für Alkohol und Zigaretten. Und auch "soziale Dienste" fragen Rentner, Kranke und Eltern stärker nach als vor zehn Jahren, wie Essen auf Rädern, ambulante Altenpflege und Betreuungsangebote für Kinder. Der Warenkorb -- ein Spiegel des gesellschaftlichen Wandels. Musik3 Grönemeyer bei 1:00 einblenden AAoohhh. Ich kauf mir was, kaufen macht soviel Spaß, ich könnte ständig kaufen gehn, kaufen ist wunderschön, ich könnte ständig kaufen gehn, kaufen ist wunderschön, ich kauf, ich kauf, was, ist egal, ich kauf, ich kauf, was, ist egal .... ohoh, jeah, .... wieder bei 1:26 ausfaden O-Ton8 Pietzsch Jetzt sind wir bei den Bodenstaubsaugern, da haben wir ein Erzeugnis von Miele und sehen, dass der Preis im Vergleich zum Vormonat um zehn Euro gestiegen ist. Das muss ich natürlich entsprechend notieren. Von 149,99 auf 159,99. Das ist eine Beobachtung, die für fast alle Verkaufsstellen diesen Monat zutrifft, das Miele zumindest für diese Erzeugnisgruppe den Preis erhöht hat. Autorin Von 150 auf 160 Euro, ein Preissprung um sieben Prozent! Beim Gemüse dagegen Gleichstand. Zum Teil hat es sich sogar verbilligt. Bis zur dritten Woche im Monat haben die Preisermittler 350.000 Preise notiert und sie per Post an die Landesämter geschickt. Diese kontrollieren sie, geben die Daten in den Computer ein und schicken die Zahlenkolonnen an das Statistische Bundesamt. Dort rechnen 20 Mitarbeiter computergestützt dann die eine Zahl aus: die Inflationsrate für die Bundesrepublik. Musik1 Burgmüller, Klaviersolo: einblenden und solange stehen lassen, wie's gefällt Autorin In den vergangenen Jahren hat die Inflation zwischen einem und 2,6 Prozent gelegen. 2009 stand sie sogar monatelang bei null Prozent -- und darunter! Dabei waren auch in diesen Monaten viele Dinge teurer geworden, die Preise also mitnichten gleich geblieben, wie das eine Inflationsrate von Null nahelegt. Im September 2009 ist dieser Widerspruch so offensichtlich zutage getreten, dass das Statistische Bundesamt meldete: Zitator Null Prozent Inflation -- aber viele Preise in Bewegung. Besonders starke Preisanstiege gab es zum Beispiel bei Mietwagen, Bienenhonig und Fischstäbchen. Stark gesunkene Preise wurden hingegen bei Fernsehern und H-Milch beobachtet. O-Ton 9 Egner Es ist ein Mix aus den verschiedenen Gütern, die sich unterschiedlich in ihren Preisen entwickeln. Wir hatten jetzt sehr oft eine Preisentwicklung gegenüber dem Vorjahr von null Prozent oder sogar eine negative Preisentwicklung, trotzdem ist es so, dass manche Preise gestiegen sind. Andere sind stark gefallen und dann ergibt sich aus dem Durchschnitt dieser unterschiedlichen Preisentwicklung diese Gesamtentwicklung. Autorin Die Inflationsrate ist ein Mittelwert, Plus und Minus heben sich auf. Für die Behörden- Referentin Ute Egner ist das völlig logisch. Verbraucher aber rechnen anders. Honig-Liebhaber haben sicherlich im September des Vorjahrs, als sie Fischstäbchen kauften, gedacht: Alles wird teurer! H-Milchtrinker dagegen freuten sich vielleicht beim Kauf eines neuen Fernsehers: Schön, alles ist billiger geworden! Und das bei einer Inflationsrate von null Prozent. Wahrgenommene Inflation nennen Statistiker und Ökonomen diesen Eindruck. O-Ton10 von Auer Ich gebe auch zu, in der eigenen Wahrnehmung wundere ich mich ab und zu mal über die offiziellen Zahlen. Autorin Ludwig von Auer ist Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Trier. Seine Habilitationsschrift hat er als Volkswirt der "Methodik der Inflationsmessung" gewidmet, weil er wissen wollte, ob er den Zahlen trauen kann: O-Ton11 von Auer Wenn Sie dann mal ganz sorgfältig sich die Dinge anschauen, kommen Sie zu dem Schluss, dass die speziellen Zahlen richtig sind, nur unsere Wahrnehmung ist eine andere. Weil wir manche Preise sehr bewusst wahrnehmen und manche Preise kaum. Ein Drittel unserer Ausgaben geht in Wohnungskosten, Miete hauptsächlich, aber auch Nebenkosten. Die bleiben oft über lange Zeit konstant. Damit ist ein Drittel unserer Ausgaben im Preis konstant geblieben. Aber wir schauen halt, ob die Brötchen 5 Cent teurer geworden sind und sagen: Mann, es wird alles teurer hier. Aber der Preisauftrieb ist minimal, wir überbewerten das gern aus subjektiver Sicht. Autorin Dass die amtlich gemessene Inflation und die wahrgenommene oft auseinanderklaffen, liegt aber nicht nur an der Wahrnehmung, sondern ebenso an Vorlieben und: der Realität. Denn: Keiner kauft im Monat alles das, was die Statistiker ausgewählt haben. Das Rentnerpaar Mario und Monika aus Hamburg zum Beispiel verzichtet auf manches: O-Ton12 Mario/Monika Tabak, Zigaretten, wenig, wenn überhaupt. Da sind wir schon weg, wir haben das nie gebraucht, also es ist jetzt kein Verzicht für uns. Monika: Also regelmäßig gehen wir nicht ins Kino, nicht ins Theater, eher sporadisch. Dafür geben wir nicht soviel Geld aus. Autorin Es gibt auch niemanden, der monatlich pauschal verreist, den Vergnügungspark besucht und sich einen Kühlschrank anschafft. Ein Problem, das alle Statistiker haben, sagt Ludwig von Auer von der Uni Trier: O-Ton13 von Auer Verändert sich der Butterpreis, können wir das messen. Aber was machen wir mit dem Kühlschrank. Wir verbrauchen nur einen Teil des Kühlschranks im Monat, einen sehr kleinen Teil. Was wir eigentlich bräuchten, wäre eine Miete für den Kühlschrank für einen Monat. Das haben wir ja nicht. Deshalb müssten wir hypothetische Nutzungsmuster für Kühlschränke aufstellen und hypothetische Mieten für Kühlschränke uns auszudenken. Können wir nicht. Deswegen vereinfacht sagt man, die Preisentwicklung der Neukühlschränke ist eine gute Annäherung an die Preise der Kühlschranknutzung pro Monat. Das ist vernünftig, das so zu machen. Musik4 Grönemeyer kurz, als Nachsatz Ich kauf mir was, kaufen macht soviel Spaß, ich kauf, ich kauf, was, ist egal, ich kauf, ich kauf, was, ist egal .... ohoh, jeah, .... O-Ton14 Kathi Ich heiße Kathi Opitz und wohne in München, hab zwei Kinder, einen Sohn, der ist zehneinhalb Jahre und eine Tochter, die ist vier Jahre alt. In unserem Haushalt lebt natürlich auch mein Mann, also wir sind zu viert. Meine Tochter geht in den Kindergarten, den muss ich bezahlen, dann kommt Materialgeld jeden Monat dazu, und mein Sohn ist auf Gymnasium gekommen, alle Bücher, hieß es, werden von der Schule gestellt, was aber wirklich nicht der Fall ist. Also, wir sind aus allen Wolken gefallen, als wir erfahren haben, was wir zusätzlich noch ausgeben müssen, für Lateinübungsheft, für Deutschübungshefte, ein Atlas für Geografie 38 Euro. Klar hat man den sein ganzes Leben, aber es hat sich sehr geläppert für diese Bücher, die wir als Eltern kaufen müssen. Autorin Familien geben mehr für die Schule aus, für Kinderschuhe und Öko-Produkte, Senioren mehr für Reisen und die Gesundheit. Noch bis 2003 hat das Statistische Bundesamt diese Eigenheiten berücksichtigt und für drei Haushaltstypen jeweils eine Inflationsrate berechnet. Heute orientiert es sich an einem Durchschnittshaushalt mit 2,1 Personen: O-Ton15 von Auer Als ich das damals mitbekam, dachte ich auch: Na, ob das eine gute Idee ist. Autorin ... erinnert sich Professor Ludwig von Auer an das Jahr 2003: O-Ton16 von Auer Aber auch hier man muss sorgfältig damit umgehen. Es gab beim Statistischen Bundesamt immer wieder Kontrollrechnungen, wo dieser alte Index fortgeführt wurde. Und gerade habe ich wieder ein Forschungspapier dazu gesehen, von zwei Forschern außerhalb des Statistischen Bundesamtes, die sich das sehr genau angeschaut hatten, ob es individuelle Inflationsraten gibt, ob die sehr weit auseinanderklaffen. Ergebnis war: Es gibt sie, aber die Unterschiede sind wirklich minimal, überraschend minimal. Deshalb war das, glaube ich, eine kluge Entscheidung, erhebliche Ressourcen zu sparen und diese dann dafür zu benutzen, ganz andere Probleme in der Inflationsmessung besser anzugehen. Autorin Denn die Messmethoden sind zwar weltweit anerkannt und respektiert. Statistik kann aber nicht auf Annahmen und Schätzungen verzichten, weil sich nur durch sie die komplexe Welt zähmen lässt. Kann dann aber eine Zahl genau sein? Musik1 einblenden, Burgmüller stehen lassen, solange es gefällt Autorin Die Inflationsrate ist eine der wichtigsten Kenngrößen einer Volkswirtschaft. Würde ihr nur ein Hauch Beliebigkeit anhaften, wäre das Vertrauen in die Währung dahin. Die Bundesregierung braucht die Zahl, um soziale Leistungen anzupassen. Die Banken richten an ihr die Höhe ihrer Zinsen aus. Die Inflationsrate steht als Wertsicherungsklausel in Miet- und Pensionsverträgen. Sie liegt Tariflohn-Vereinbarungen zugrunde und sie beeinflusst, wie jemand sein Erspartes anlegt. Und: Die Europäische Zentralbank richtet die Geldpolitik für die Euro-Ländern an ihr aus. Einspieler, Fernsehton-Collage Gong (Tagesschau 8.5.2009) Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins noch weiter gesenkt. Sie macht Kredite für die Banken günstiger und soll Investitionen erleichtern. (Tagesthemen 3.12.2009) Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins heute unverändert bei einem Prozent belassen. Das ist der Zinssatz, zu dem sich die Banken Geld ausleihen. (Tagesschau vom 3.7.2008) 4,25 Prozent, auf diesen Satz hob die Europäische Zentralbank den Leitzins an, und zwar um die galoppierenden Preise zu bekämpfen. Autorin Ändert die Europäische Zentralbank den Leitzins, reagiert sie auf die innerhalb Europas gemessenen Preise. Der offizielle Name dieser Inflationsrate ist ein Wortungetüm: "Harmonisierter Verbraucherpreis-Index", kurz HVPI. Harmonisiert deshalb, weil der Index auf einem Warenkorb beruht, der die Einkaufsgewohnheiten der 16 Länder repräsentiert, die mit Euro zahlen, wie Spanien, Frankreich und Italien. Er ist eine Mischung aller 16 Warenkörbe. Die Europäische Statistikbehörde Eurostat verantwortet dabei den groben Einkaufsplan; und die nationalen Statistikämter ? also auch das deutsche Bundesamt ? füllen die Liste mit regionalen Produkten und Diensten aus ihren Warenkörben. Für die Europäische Zentralbank sei der Preis-Index HVPI von herausragender Bedeutung, sagt der Direktor für Statistik in der EZB, Werner Bier. Denn er ist Ziel und Aufgabe zugleich: O-Ton17 Bier Wir formulieren unser Ziel der Preisstabilität am HVPI, und die Veränderungsrate sollte gegenüber dem Vorjahr nicht größer sein als zwei Prozent, sondern knapp unter zwei Prozent liegen. In dem Sinne ist es für uns wichtig, dass der Indikator, der das signalisiert, von herausragender Qualität ist. (Stimme oben) Autorin Zwei Prozent toleriert die EZB. Bei höheren Inflationsraten greift sie ein. Sie hebt den Leitzins an, um die Inflation wieder unter die 2-Prozent-Marke zu drücken. Zins und Inflation bedingen sich. Die EZB ist also auf eine Inflationsrate angewiesen, die den tatsächlichen Wertverfall des Euro aufdeckt. Nur dann kann sie Währung stabil halten. Würde die gemessene Inflation wegen nationaler Annahmen und unterschiedlicher Rechenmethoden der Euro-Länder dagegen niedriger ausfallen, wäre die EZB zwar froh, weil sie ihr Ziel erreicht hat. Sie würde jedoch mit der falschen Politik reagieren und die Zinsen zu niedrig halten. Die Wirtschaft könnte dann überhitzen und die Inflation zunehmen. Der Statistikdirektor der EZB, Werner Bier, hält solche Gedankenspiele jedoch für unbegründet: O-Ton18 Bier Die Harmonisierung der Preisindizes, die die Ämter durchgeführt haben, sind vorbildlich. Der HVPI gehört zu den besten Statistiken, die wir hier in Europa haben. Wir sehen uns die Resultate an und beurteilen mit Eurostat die Qualitätsmerkmale. Aber es obliegt den statistischen Ämtern, den Warenkorb, deren Zusammensetzung, aber auch Veränderung im Zeitablauf zu bestimmen. Was bleibt, sind Verbesserungen im Detail, damit wir sicherstellen, dass die jetzige Qualität des HVPI beibehalten wird. Autorin Mit "Verbesserungen im Detail" spricht Werner Bier diplomatisch die Annahmen und Schätzungen an, die jeder Preismessung zugrunde liegen, gerade der europäischen, die 16 Nationen unter einen Hut bringen muss. Darin liegt eine Schwäche. Die Preisermittler berücksichtigen nämlich längst nicht alles Käufliche und nicht alle Ausgaben. Wie sich für den Durchschnittshaushalt der Beitrag zur Krankenkasse ändert oder die Steuerlast, sehen sich die Statistiker nicht an. Ein weiteres Problem, vor dem Statistiker stehen, betrifft den technischen Fortschritt. Typisches Beispiel: Computer. Die Industrie stattet sie ständig mit neuen Eigenschaften aus. Im Warenkorb aber liegt fünf Jahre lang, als Referenzgröße, ein Computer mit dem technischen Stand eines Basis-Jahres; zurzeit ist es das Jahr 2005. Die Nachfolge- Computer aber leisten viel mehr - bei gleichem Preis, vielleicht auch einem höheren. Damit aber ist die Vergleichbarkeit dahin. Die Statistiker behelfen sich deshalb mit ein wenig Mathematik und rechnen Fortschritt wie Preisänderung kompliziert heraus. Dabei tritt allerdings ein kritisch zu sehender Nebeneffekt auf: Die neuen Computer erscheinen, statistisch gesehen, oft billiger als ihr Vorgängermodell. O-Ton20 Bier Wir haben den Eindruck, dass man sich in den statistischen Ämtern sehr anstrengt. Aber der technische Fortschritt ist ein grundsätzliches Problem des Inflationsmessens. Hier muss man am Ball bleiben, das ist kontinuierlich in Augenschein zu nehmen. Wir haben nicht den Eindruck, dass es hier zu Verzerrungen kommt, wie es in anderen Ländern schon der Fall war. Autorin Mit "anderen Ländern" meint der Direktor der EZB-Statistikabteilung Werner Bier zum Beispiel die USA. Sie relativieren seit 30 Jahren Technik und Preise. Dadurch weisen sie ihre Inflationsrate um bis zu einem Drittel niedriger aus, sagt Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank: O-Ton21 Hellmeyer Grundsätzlich ist es richtig, den technischen Fortschritt bei der Preismessung zu berücksichtigen. Weil der Kunde bekommt ja schließlich für sein bezahltes Geld mehr Leistungsvolumen. Insofern ist der Ansatz, wie wir ihn in Deutschland, in Europa haben, durchaus richtig. Wir gehen mit diesem Ansatz konservativ um. Das Gegenteil ist in den USA der Fall, wo durch diese Komponente des technischen Fortschritts im Bereich der Computerindustrie, im Bereich der Software massiv das Preisniveau nach unten gedrückt wird. Ich halte die Inflationsmessung in Europa für angemessen, im internationalen Vergleich sogar für sehr attraktiv. Ich gehe aber davon aus, dass auch in Deutschland und Europa die Preismessung in eine Richtung läuft, wo der tatsächliche Preisanstieg um cirka 0,3 bzw. 0,4 Prozent unterzeichnet wird. O-Ton22, von Auer Die Inflationsrate versucht, ganz einfach gesagt, zu messen, wie sich die Preise für unsere Ausgaben, im laufenden Monat, gegenüber dem vergangen Monat verändert haben. Es gibt keine wahre Inflationsrate. Also, wenn Sie jetzt eine Zahl messen, können Sie nie sagen, die ist daneben oder richtig. Autorin ... sagt Finanzwissenschaftler Ludwig von Auer von der Uni Trier. Der Verbraucherpreis- Index ist also ein Kompromiss, ein Versuch, sich der komplexen Wirklichkeit zu nähern. Die Bürger hinterfragen diesen Kompromiss jedoch nicht. Sie gucken dafür irritiert, wenn Preisermittler Rüdiger Gromzig in Hamburg im Laden vor dem Regal steht, mit seinen Listen in der Hand, und Preise aufschreibt: O-Ton23 Gromzig Ich bin jetzt etwas knapp zwei Stunden hier im Lebensmittelmarkt und habe dabei ... deutlich über 200 Preise abgefragt. Ich mach das gerne, ja. Man kommt rum. Ist unter Menschen. Man ist zugleich frei und selbständig, kann seinen Tag in gewissen Grenzen frei gestalten und es ist eine Tätigkeit, die interessant ist. Schönen Dank, bis demnächst. Atmo2 Supermarkt, Piepen der Barcodescanner, Tür geht auf Crossblende mit Atmo5 Straße Spr. vom Dienst Bunte Mischung im Warenkorb - Wie die Inflationsrate festgelegt wird Eine Sendung von Dani Parthum Es sprach: Marina Behnke Ton: Ralf Perz Regie: Roswitha Graf Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 1/15