COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 25. Juni 2007, 19.30 Uhr Alles wird Gesundheit Über das Leben mit Prävention Eine Sendung von Eva Hillebrand Regie: Atmo1 Ja, wenn sie alle ne gute Lage für sich gefunden haben, wie immer empfehle ich Brillen, Uhren, Schuhe abzulegen, alles, was einengt, was klemmt...ja, und wenn sie möchten, dann schließen sie einfach ihre Augen, oder fixieren sie einen festen Punkt einfach über ihnen an der Decke und versuchen sie jetzt einmal, ihre Aufmerksamkeit, Konzentration vollständig auf ihren eigenen Körper zu richten... über Atmo Sprecher vom Dienst : Alles wird Gesundheit Über das Leben mit Prävention Regie: Atmo 2 Sprecher vom Dienst : auf Atmo 2 Eine Sendung von Eva Hillebrand Autorin auf Aquaatmo Der Sound von Prävention bei Entspannungskurs und Aquafitness im Centrovital in Berlin. Take1: Katja Kariv auf Aquaatmo. Das Centrovital ist ein Gesundheitszentrum, das medizinisch therapeutische Dienstleistungen mit dem Konzept von präventiver Vorsorge und dem Komfort eines Viersternehotels verbindet. Und zwar geht es darum, dass Menschen bei uns gesund werden können, sie können gesund bleiben und können sich dabei erholen, also es soll sich letztlich auch wohl anfühlen. Sprecher: Katja Kariv, Pressesprecherin des Centrovital. Das neueste Gesundheitsprodukt dort ist die Hauptstadtkur: Ein Hotelaufenthalt inklusive Prävention und Wellness. Ein Programm für Gesunde, die sich etwas für ihre Gesundheit leisten wollen. Autorin: Vorbeugen ist besser als heilen ?eine wohl erprobte Maxime, die dem gesunden also vorbeugenden Menschenverstand angemessen ist. Im Namen der Vernunft und im Rahmen von primärer Prävention wird dem inneren Schweinehund zunehmend offensiver zu Leibe gerückt. Mit Bestrafung und Belohnung, mit Ermutigung und Belehrung, mit Kursen und Kampagnen. Sprecher: Das Leben mit Prävention beinhaltet selbstredend eine der Lieblingsfragen der Gegenwart: Was kostet die Zukunft? Primärprävention kostet Geld, soll sie später, viel später, einmal dazu beitragen Geld zu sparen. Schon heute kann man viel Geld dafür ausgeben und ?damit verdienen. Die Gesundheitswirtschaft ist der Wachstumsmarkt der kommenden Jahrzehnte. Take 2: Katja Kariv Und es ist sehr schön, wenn die Krankenkassen uns dabei unterstützen, dass die Menschen, die es nötig haben, auch für sich Vorsorge betreiben. Also in dem Sinne kann man sagen, es ist sehr hilfreich für die Aufklärung, für die Sensibilisierung der Menschen, die eben noch nicht selber bereit sind, Geld in die Hand zu nehmen, um etwas für ihre Gesundheit zu tun. Autorin: Bis dahin werden die Präventionskurse im Centrovital von den Krankenkassen mit 80% bezuschusst. Und damit genauso behandelt wie Kurse die die Kassenmitglieder an ihrem Wohnort absolvieren. Theoretisch jedenfalls. In der Praxis unterscheidet sich das Angebot. Das Hotel bastelt verschiedene Pakete zusammen, die beispielsweise durch eine Wohlfühlmassage abgerundet werden. Der Kostenzuschuss liegt je nach Paket und je nach Krankenkasse zwischen 60 und 150?. Sprecher: Von den 140 Milliarden ? die die gesetzlichen Krankenversicherungen 2005 für ihre Mitglieder ausgaben, entfielen drei Milliarden auf präventive Maßnahmen. Primärprävention wurde mit 150 Millionen, 2006 bereits mit 200 Millionen finanziert. Autorin: Primärprävention gilt der Vorbeugung des erstmaligen Auftretens einer Krankheit. Das bedeutet: Bewegung und Stressreduktion, Genuss- und Suchtmittelreduktion sowie gesunde Ernährung. Da es sich häufig um eine Vorbeugung für alle Fälle handelt, haben sich die Präventionskursangebote der Krankenkassen im Laufe der Jahre immer wieder geändert. Je nach Mode. Da ist es gut zu wissen, dass ein Präventionsleitfaden existiert, der jeglicher Beliebigkeit im Angebot sogleich einen Riegel vorschiebt. Joan Panke vom Spitzenverband des medizinischen Dienstes der Krankenkassen. Take 3: Joan Panke Der Präventionsleitfaden stellt Qualitätskriterien dar, die praktisch für die Kurse und die Kursanbieter zutreffen müssen. Ohne diese Qualifikation kann kein Kurs durchgesetzt werden, d.h. die Kurse können gar nicht erst stattfinden, wenn die Qualifikationen nicht erfüllt werden. Es werden auch manchmal falsche Kurse zunächst zugelassen, dann wird den Verbänden Bescheid gegeben, dass diese Kurse wieder raus müssen oder noch mal evaluiert werden sollen und dann wieder rein können in den Kursleitfaden . Sprecher: Prof. Rolf Rosenbrock , Leiter der Public Health Abteilung im Wissenschaftszentrum Berlin. Take 4: Rolf Rosenbrock Tatsächlich beobachten wir, dass die einzelnen Kassen, die nicht so sehr an die Beschlüsse ihrer Spitzenverbände gebunden sind, dann im Zweifel doch lieber mal schnell das Erholungswochenende oder den Inlineskatingskurs usw. als letztlich doch Werbegeschenk verteilen und das mit der Überschrift Prävention zu Unrecht versehen. Sprecher: Gesundheitsreisen ins Ausland, insbesondere in die neuen EU-Länder wie Polen, Ungarn und Tschechien, sind angesagt, denn noch existiert ein lukratives Lohngefälle in Gesundheitsberufen. Diverse Touristikunternehmen schließen Verträge mit Krankenkassen, ganz vorne TUI: Seit März wird in 2800 Apotheken Werbung betrieben für das Unternehmen und seine Medical Wellness Reisen. Die neue Art zu kuren. Regie: Zäsur Autorin: Medical Wellness, Gesundheitstourismus, Lifestylemedikamente, Functional Food. Die Wohlstandsgesellschaften transformieren sich zu Gesundheitsgesellschaften. Der medizinische Fortschritt der letzten zwei Jahrhunderte hat es möglich gemacht. Unzählige Krankheiten sind heilbar geworden, Gesundheit hat ein Eigenleben entwickelt und umfasst weitaus mehr als die Abwesenheit von körperlicher Krankheit. Das zeigte sich schon bei der Definition von Gesundheit, die die WHO, die Weltgesundheitsorganisation anlässlich ihrer Gründung 1948 annoncierte: Sprecher: ?Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht die bloße Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen? Autorin: Gleichzeitig schwingt hier noch der Glaube an die Perfektionierung des Menschen durch Vernunft und wissenschaftlichen Fortschritt mit - ganz in der Tradition der Aufklärung. Damals löste die gesellschaftliche Utopie die religiöse Heilserwartung ab und die Gesundheit wanderte aus Gottes Hand in die des Menschen. Gesundheit wurde machbar. Das 19. Jahrhundert brachte die Eindämmung von Seuchen und die Sicherung der öffentlichen Gesundheit. Das 20. Jahrhundert die weitgehende Absicherung des einzelnen durch medizinische Versicherungs- und Versorgungssysteme. Sprecher: So hat sich die Lebenserwartung der Menschen in der westlichen Welt im Laufe der letzten 150 Jahre nahezu verdoppelt. Wer wollte diesen Weg nicht weitergehen? Dr. Manfred Lütz, Neurologe, Theologe und Autor des Buches: ?Lebenslust?. Take 5: Manfred Lütz Also meine These ist: die Leute glauben heute nicht mehr an den lieben Gott, sondern sie glauben an die Gesundheit, und alles, was man früher für den lieben Gott tat, Wallfahrt und Fasten usw. das tut man heute für die Gesundheit. Die Gesundheit ist zuständig für das ewige Leben. Die Leute glauben heutzutage nicht mehr an ein ewiges Leben in einem Jenseits, sondern in einem Diesseits. Und wenn nach dem Tod alles aus ist, dann muss man eben den Tod vermeiden. Und um den Tod zu vermeiden, nehmen sich die Leute das Leben. Sie rennen durch die Wälder, gehen in Prophylaxemaßnahmen, in Fitnessstudios und so weiter. Und nachher sterben sie doch und liegen auf dem Sterbebett und fragen sich: Was war das eigentlich? Autorin: Die gestiegene Lebenserwartung ist nur zu 20-40% auf medizinische Maßnahmen zurückzuführen. Der größte Anteil entfällt auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, auf Bildung, Hygiene, Ernährung, und Verminderung der Umweltbelastungen. Diese soziale und politische Dimension von Gesundheit spiegelt sich dann wieder in der Ottawa Charta der Weltgesundheitsorganisation von 1986. Sie fasst den Gesundheitsbegriff und seine Rahmenbedingungen für das 21. Jahrhundert. Sprecher: ?Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt? Autorin: Lautet der erste und zentrale Satz der Charta. Prof. Ilona Kickbusch langjährige Mitarbeiterin der WHO und Autorin des 2006 erschienenen Buches: Die Gesundheitsgesellschaft. Take 6: Ilona Kickbusch Es ist tatsächlich so, im 21. Jahrhundert müssen wir uns individuell mehr um unsere Gesundheit kümmern. Wir können nicht erwarten, dass Gesundheit uns geliefert wird, aber zugleich gibt es sehr viele Lebensumstände, die von der Politik gestaltet werden müssen, damit wir uns gesund verhalten können. Also, wie werden Lebensmittel klassifiziert, wie sind Arbeitsbedingungen, was wird in der Schule auf dem Pausenhof verkauft, usw. dass wir einerseits dem Individuum nicht immer nur vorwerfen können: Das ist Deine Eigenverantwortung. Wir müssen auch Bedingungen schaffen, dass er diese Eigenverantwortung leben kann. Und ich glaub, das ist schon noch ein weiter Weg, bis wir das wirklich als Gemeingut haben. Sprecher: Derzeit allerdings besteht die Gefahr des Rückschritts. In diesem Jahrhundert könnte, zum ersten Mal in der westlichen Welt, die Lebenserwartung wieder sinken. Trotz Gesundheitsgesellschaft, wir leben anscheinend zu ungesund. Autorin: Dabei ist jeder Einzelne heutzutage aufgerufen sich eigenverantwortlich zu fragen: Bin ich gesund genug? Wer vorbeugen will, darf sich niemals zurücklehnen, weiß nie genug. Das Wissen über Prävention bleibt stets lückenhaft und fordert weitere Forschungsprogramme. Wer sich ständig fragt, ob er genug für Früherkennung und Prävention getan hat, genug investiert hat in sein Humankapital, ist ständig auf der Suche nach Beweisen für seine Gesundheit. Gesundheitsphobien dürften zunehmen. Man kann sich seiner Sache nie sicher sein. Immer neue Risiken tauchen auf, immer neue Krankheitsbilder. Manfred Lütz: Take 7: Manfred Lütz Ja, die Frage ist: Was ist überhaupt gesund? Jemand hat mal gesagt: Gesund ist ein Mensch, der nicht ausreichend untersucht wurde: Wenn man bei einem Menschen 20 Untersuchungen macht, sind nur noch 36% gesund. Machen sie 50 Untersuchungen, haben alle irgendeinen pathologischen Wert. Das müssen sie dann weiter kontrollieren, und dann ist letztlich jeder irgendwie krank. Und man muss sich einfach mal fragen, wenn man das Normverständnis utopisch hoch einrichtet, wie das die Weltgesundheitsorganisation z.B. tut, dann ist das natürlich ökonomisch sehr spannend. Denn es ist ein wichtiges Ziel, das höchste Gut, alles muss man dafür tun, und man erreicht es nie. Sprecher: Immer mehr Entscheidungen des täglichen Lebens werden zu Gesundheits- entscheidungen. Gesundheitsfürchtigkeit als Maßstab für eine gute Lebensführung hat die Gottesfürchtigkeit abgelöst. Risikofreude in Sachen Gesundheit wird zunehmend als sündhaftes Handeln angesehen. Willkommen im Universum der Lifestylecorrectness. Regie: Aquaatmo ?und Läufer Autorin: ?Fit statt Fett? heißt der jüngste nationale Aktionsplan Der Bundesregierung zufolge soll er, Zitat: ?Das gesunde Leben als gesellschaftlichen Wert verankern?. Welch Zufall, dass auch das weltweit größte Lebensmittelunternehmen Nestlé mit seinem neuen Gesundheitsimage; Zitat: ?Werte schaffen? will. Sprecher: Nestlé ist zwar zuförderst bekannt als Produzent von Kaffee, Babynahrung, Cornflakes, Eiskrem und Schokoriegeln und macht damit jährlich mehr als 47 Milliarden Euro Umsatz. Doch vor 8 Jahren schon traf der Konzern die strategische Entscheidung, Zitat: ,, sich vom Nahrungsmittelhersteller zum Unternehmen für Ernährung, Gesundheit und Wohlbefinden zu entwickeln.? Autorin: Gesundheit ist konsumierbar geworden. Rund eine Milliarde Euro gibt der Schweizer Konzern jedes Jahr für Forschung und Entwicklung aus und setzt mit Functional Food - der Ernährung mit gesundheitsfördernden Zusatzstoffen- bereits knapp sieben Milliarden Euro um. Functional Food - was kann der Konsument davon erwarten? Prof. Hans-Georg Joost, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam. Take 8: Hans-Georg Joost Das beste Beispiel für ein seriöses Functional Food ist die Jodanreicherung von Salz, auch von Brot, das mit jodhaltigem Salz gebacken wurde. Das beugt Jodmangel vor. Ballaststoffhaltige Produkte sind eindeutig sinnvoll, Ich glaube, dass es in der Zukunft Produkte geben wird, die mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren angereichert sind und sicher ein sinnvolles Produkt ist auch Mehl, das mit Folsäure angereichert wurde. Sprecher: Für die Vielzahl von probiotischen Joghurts konnte, außer bei Frühgeborenen, bislang noch kein Wirkungsnachweis erzielt werden. Und überhaupt: die Joghurt- und die Kaffeelüge, die Fett- und die Eierlüge und jetzt auch noch die Salatlüge: Da könne man doch gleich ein Kleenex essen. Salat, wir sehr haben wir an ihn geglaubt, ebenso wie an Vitamin E, A und B Dragees. Keine Wissenschaft ist so wankelmütig wie die von Essen und Trinken. Autorin: Functional Food ist ohnehin nicht mehr der letzte Schrei. Wir treten ein ins Zeitalter von Personal Food und Personal Medicine. In die Ära von I-Health, von Ich- Gesundheit. Personalisierte Nahrung, passend zum individuellen Genprofil. Und die großen Ernährungskonzerne forschen eifrig mit. Sprecher: Nutrigenomik nennt sich die noch junge Wissenschaft, angesiedelt an der Schnittstelle zwischen Genetik und Ernährungswissenschaft. Sie basiert auf der Technologie der DNA ?Analyse. Take 9: Hans Georg Joost. Die Überlegungen gehen von dem Konzept aus, dass nicht alle Menschen gleichermaßen auf eine bestimmte Ernährung reagieren und dass es deshalb eine so genannte personalisierte oder individualisierte Ernährung geben müsste, d.h. bestimmte Personengruppen bekommen eine ganz bestimmte Ernährung oder Diät. Sprecher: Zunächst einmal geht es also um Gruppen von Personen, um Risikogruppen: Take 10: Hans Georg Joost Man muss natürlich erstmal herausbekommen, wie diese Personengruppen zu definieren sind. Das macht man am einfachsten, indem man Krankheitsrisiken bestimmt- also ich nehme ein Beispiel, den Typ 2 Diabetes. Man versucht Parameter zu finden, die anzeigen, ob ein besonders hohes Risiko für die Erkrankung vorliegt. Und dann kann man der Personengruppe, die ein besonders hohes Risiko hat, eine Ernährung empfehlen, die das Risiko wieder senkt. Also wir könnten gezielter Prävention betreiben. Autorin: Im Fokus der Ernährungsforscher steht auch die Früherkennung von Herzinfarkt und Schlaganfall. Selbst Morbus Alzheimer, der senilen Demenz, könnte mit der richtigen Ernährung alsbald präventiv beizukommen sein- kündigt jedenfalls Nestlé an. Take 11: Hans Georg Joost Was man dabei immer berücksichtigen muss, ist aber, dass man damit eine Wahrscheinlichkeit herausbekommt und keineswegs eine sichere Prognose für ein Individuum. Sprecher: Nestlé wirbt heute schon mit der, Zitat: ?Definition der spezifischen Nährstoffe für jede Person, in jedem Lebensabschnitt, in jedem Gesundheitszustand?. Tatsächlich ist die Entwicklung personalisierter Nahrung für den Einzelnen noch pure Utopie: Take 12: Hans Georg Joost: Es ist nicht abzusehen, weil die Gruppen, die man dann untersuchen müsste, die Zahlen die man in bestimmten Studien dann haben müsste, um den Nachweis zu erbringen, dass die Diäten wirksam sind, sind unrealistisch groß. Der Aufwand wäre also ungeheuerlich, um einen Wirkungsnachweis für eine soweit spezialisierte personalisierte Diät zu beweisen. Autorin: Ähnlich wie bei etlichen Krebsvorsorgeuntersuchungen stellt sich auch hier die Frage nach dem Verhältnis von Nutzen und Schaden des frühen Wissens. Prof. Hans- Georg Joost, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam. Take 13: Hans Georg Joost Ich glaube, dass niemand genau wissen will, ob er eine Demenz bekommen wird oder eine Erkrankung gegen die zurzeit keine Therapie wirksam ist. Aber ich kann mir vorstellen, dass ein großer Teil der Gesellschaft schon wissen will, ob sie ein hohes Risiko haben werden für eine Erkrankung, die therapierbar ist, oder die verhinderbar ist. Sprecher: Das Wissen um die Veranlagungen ist ein durchaus riskantes Wissen. Was als krank gilt und was als gesund, ist immer auch eine Frage der gesellschaftlichen Übereinkunft. Gesundheit galt bei den Griechen als Genussfähigkeit, im Mittelalter als Glaubensfähigkeit und heutzutage als ? Erwerbsfähigkeit. Autorin: Homosexualität galt, noch Jahrzehnte nach der NS-Zeit, in beiden deutschen Staaten als Krankheit, und die Suche nach einem verursachenden Gen wird ehrgeizig vorangetrieben. Sprecher: In dem Maße, in dem Dickleibigkeit zunimmt, droht auch sie den Status einer Krankheit einzunehmen. Normen für das korrekte Körpergewicht werden eingeführt. Der Bodymassindex wird zum Gesundheitsbarometer, lass dich checken, lauf dich gesund, esst mehr Obst, seid nett zueinander, Kampagne folgt auf Kampagne, seit Jahrzehnten. Take 14: Hans Georg Joost Ich glaube, dass man nicht zu optimistisch sein darf, was die Breitenwirksamkeit dieser Kampagnen angeht. Die Älteren erinnern sich sicher noch an die Trimm Dich Bewegung, die es vor glaub ich 30 Jahren da mal gab, in der alten Bundesrepublik. Es wurden überall ?Trimm Dich? - Pfade angelegt, die jetzt so langsam schon verrottet sind, aber man sieht sie manchmal noch in der Landschaft. Und trotz dieser damaligen Kampagne, sind ja die Deutschen im Durchschnitt schwerer geworden. Autorin: Kein Gutes Omen für die jüngsten Abspeckkampagnen. Rolf Rosenbrock Take 15: Rolf Rosenbrock Wenn ich jetzt sehe, wie das Kampagnenkonzept benutzt wird, sei es bei den dreitausend Schritten, sei es aber auch bei dem neuen Programm ?Fit statt ´Fett?, dann sehe ich eigentlich dahinter vor allem den fehlenden politischen Willen. Das sind doch ganz überwiegend Statements, die aus dem Fenster gehalten werden, damit man gesehen wird, wie man diese Statements spricht. Und deswegen glaube ich, dass auf breiter Front, in dem Sinne, dass, wie eine Welle übers Land plötzlich ein neues Gesundheitsbewusstsein oder Gesundheitsverhalten sich entfaltet, ist völlig illusorisch. Regie: Atmo 3 Aquafitness Sprecher: Fit statt Fett, die Gesundheitsbewussten im Centrovital wissen, wie man´s macht. Take 16: Kursteilnehmer im Centrovital auf Aquaatmo Es ist ziemlich erholsam hier, .neee, das macht viel Spaß, man macht Sportarten, die man früher so nicht gemacht hat, wie Nordic Walking, oder wie hier Aquajogging, wobei meine Sportart ist halt Joggen, mal sehn. Meine Frau, die wird mit Sicherheit was mitnehmen, Aquajogging hat se schon gesagt und Nordic Walking, das ist Klasse. Take 17:Joan Panke Also das Modell, das Präventionskurse in hotelähnlichen Institutionen oder Gebäuden stattfinden, ist nicht Sinn der Präventionspolitik und auch nicht Sinn der gesetzlichen Krankenversicherungen. Das Problem ist eben, dass sich Präventionskurse, soweit sie diesem Präventionsleitfaden entsprechen, überall einnisten können. Sag ich jetzt mal so plakativ. Das ist aber nur ein sehr sehr kleiner Teil und: Global erwünscht ist das nicht. Autorin: Aber es breitet sich aus. Nach Mallorca, nach Gran Canaria, nach Madeira? Take 18: Joan Panke Das andere ist natürlich, dass man sagt, wer sich ´ne Reise leisten kann, kann sich auch einen Kurs leisten. Andererseits kann man auch nicht sagen, dass die Krankenkassen nur für soziale Randgruppen zuständig sein sollen und andere kein Recht auf Gesundheit haben. Im Grunde genommen ist es nur Einstieg zur Selbsthilfe und diese Selbsthilfe, die soll ja nachher auch weitergeführt werden und zwar zu Hause. Sprecher: Hinter dieser Annahme steht ein großes Fragezeichen. Bislang nämlich weiß man wenig darüber, welchen langfristigen Einfluss Präventionskurse auf die Gesundheit haben. Mit Erhebungsmethoden aus der Medizin, die nur dort greifen, wo es eindeutige statistische Werte gibt, kommt man nicht weit. Rolf Rosenbrock: Take 19: Rolf Rosenbrock Mit anderen Worten, ich kann sehr leicht messen, wenn ich ein Gesundheitsprogramm in einer Schule mache, ob hinterher der Anteil der Raucher von 38 auf 28 gefallen ist und dann habe ich zumindest kurzfristig einen Erfolg von 10%. Beim Impfen ist es noch einfacher. wenn ich eine gute Impfung gegen Kinderlähmung usw. habe, kann ich praktisch die Krankheit ausrotten. Wenn ich eine medizinische Intervention evaluiere, messe ich: Wie viel Menschen sind nach 5 Jahren wieder gesund, oder haben überlebt. Das ist ein klarer Endpunkt. Der Endpunkt von Prävention ist ein langes gesundes gelungenes Leben. Das wirft völlig andere Messprobleme auf. Autorin: Unzählige positive und negative Faktoren, nehmen Einfluss auf den Gesundheitszustand. Umstände, unter denen sich der spezifische Effekt einer präventiven Intervention nur schwer erfassen lässt. Take 20: Rolf Rosenbrock Vieles, was wir heute in der Prävention machen, beruht auf zwei Prinzipien. Es beruht auf dem Prinzip der Analogie: wir wissen, etwas hat woanders schon einmal funktioniert, deshalb sind wir optimistisch, dass es auch jetzt funktioniert, und der Plausibilität. Das klingt sehr weich, aber die Plausibilität ist ein ziemlich hartes Kriterium. Wir wissen sehr viel über Beweggründe, und viele der Interventionen, die heute z.B. als gesundheitsdienlich verkauft werden sind einfach unplausibel. Ich kann nicht erwarten, dass die Bevölkerung ihr Bewegungsverhalten verändert, wenn die Bundesgesundheitsministerin 10mal mit einigen Promis und irgendwelchen lokalen Gruppen 3000 Schritte lange Spaziergänge unternimmt. Also das ist einfach unplausibel. Autorin: Appelle und Aufklärung. Fitnessmagazine und Gesundheitssendungen. Vernommen werden diese Botschaften zumeist von jenen, die ihrer wenig bedürfen. Preaching to the converted. Zu den Bekehrten predigen lautet denn auch die stets wiederholte Kritik an Präventionskampagnen Sprecher: Die gängigen Kampagnen zielen auf Individualprävention. Zielgruppe sind die Eigenverantwortlichen, die Aufgeklärten, jene, die willens und manchmal fähig sind, ihren Lebensstil, ihren Gesundheitsstil zu ändern. Autorin: Unterteilt man die deutsche Bevölkerung entsprechend ihrem sozialen Status in fünf Schichten, so tragen Angehörige des unteren Fünftels von der Wiege bis zur Bahre ein doppelt so hohes Risiko, ernsthaft zu erkranken oder vorzeitig zu sterben, wie das obere Fünftel. An diesem unteren Fünftel, das der Gesundheitsförderung am meisten bedarf, gehen die gängigen Präventionsangebote vorbei. Und das ist nicht allein eine Frage des fehlenden Geldes. Sprecher: ?Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt? Autorin: Lautet der zentrale Satz der Ottawa Charta. Sprecher. Auf diesem Satz baut der gesundsheitsförderliche Settingansatz auf, der in der Primärprävention zunehmend an Einfluss gewinnt. Autorin: Setting: das Lebensumfeld. Das kann der Betrieb sein, die Schule, die Kita, die Freizeit- und die Senioreneinrichtung, der Stadtteil. Sprecher: Ein gesundheitsförderliches Setting kann nur entstehen in Kooperation mit denen, deren Lebensumfeld im Mittelpunkt steht. Partizipation ist der Schlüsselbegriff. Im Rahmen der HIV-Aidskampagnen wurde dieser Präventionsansatz hierzulande sehr erfolgreich umgesetzt. Rolf Rosenbrock war einer der Hauptinitiatoren. Take 22: Rosenbrock Wo immer das passiert steht im Mittelpunkt, dass die an dem Geschehen interessierten Gruppen oder Akteure miteinander in den Dialog darüber treten, wie das eigentlich alles besser gemacht werden könnte, wie Dinge abgebaut werden können, die stören, die belasten und wie das verstärkt werden kann, was Gesundheitsbelastungen senkt, was demokratisches, was kommunikativ offenes Verhalten fördert, denn dies alles ist Gesundheitsförderung. Autorin: Ein geradezu idealtypisches Beispiel für ein gesundheitsförderliches Setting findet sich in Berlin: Die Kiezdetektive Sprecher: Kinder und Jugendliche insbesondere aus sozial benachteiligten Familien erkunden ihren Stadtteil. Derzeit ist es Berlin Kreuzberg, dessen Bewohner sich mit den größten sozialen und gesundheitlichen Belastungen der Stadt auseinanderzusetzen haben. Träger des Projektes sind das Bezirksamt, die Berliner Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung und der Bundesverband der Betriebskrankenkassen. Autorin: Die Kiezdetektive: Im Rahmen von Kiezbegehungen erkunden sie ihr Lebens- und Wohnumfeld, spüren Probleme auf und entdecken Schätze. Ihre Fundstücke, die Licht- und Schattenseiten ihres Kiezes werden im Rahmen einer Ausstellung im Bezirksrathaus dokumentiert. Ingrid Papies Winkler, Leiterin des Bereichs Gesundheitsförderung in Friedrichshain-Kreuzberg, betreut das Projekt. Take 24: Ingrid Papies- Winkler Also Störfaktoren sind immer wieder Hundehaufen, Ecken, die zugemüllt sind, Autowracks, die auf der Straße stehen, Graffitis an den Wänden, Spritzen, auch Verkehrsprobleme, ganz großes Thema bei den Kindern: wenn die Autos zu schnell fahren in den verkehrsberuhigten Zonen, wenn die Zebrastreifen fehlen an bestimmten stellen, die Ampelphasen zu kurz sind, das sehn die Kinder immer wieder als Problem und fühlen sich verunsichert. Sprecher: Als Schätze empfinden die Kinder Grünanlagen - wen wundert?s - intakte Spielplätze, die eigenen Einrichtungen wie Schule und Kita und soziale Beziehungen in ihrer Nachbarschaft, womit sie nichts anderes beanspruchen, als freundlich behandelt zu werden. Take 25: Ingrid Papies- Winkler Das Projekt setzt ja an, auch die Wahrnehmung der Kinder zu entwickeln. Wir sehn immer wieder, dass also die Kinder vor der ersten Kiezbegehung nicht unbedingt so ´ne Idee haben, was sie stört, und während sie mit der Gruppe durch ihr Wohngebiet, ihren Kiez gehen, sie fotografieren ja auch die Probleme und Schätze, da ist doch festzustellen, dass es eben viel stärker wahrgenommen wird von den Kindern, was tatsächlich in ihrem Umfeld los ist. Autorin: Ein Höhepunkt des Projektes ist die Kinderversammlung im Rathaus mit Bezirkspolitikern aus verschiedensten Ressorts, denen die Kinder ihre Funde präsentieren und damit nun ihrerseits die Augen öffnen für Belastendes und Wertvolles. Sprecher: Ein halbes Jahr danach findet die Abschlussveranstaltung statt. Die Bezirkspolitiker müssen jetzt Rede und Antwort stehen: Was ist passiert seit der letzten Sitzung, was wurde umgesetzt und was ist geplant? Autorin: Circa zwei Drittel der von den Kindern benannten Probleme werden gelöst und die Kinder sind daran beteiligt. Auch das ist Partizipation. Rolf Rosenbrock : Take 27:Rolf Rosenbrock Und das ist immer ein unglaublich fruchtbarer Ansatz, man kann es überspitzt sagen, ein Ansatz, so etwas wie eine synthetisch induzierte soziale Reformbewegung im jeweiligen Bereich. Sprecher: In der vergangenen Woche wurde der deutsche Präventionspreis verliehen. Die Kiezdetektive haben einen Anerkennungspreis von 5000 ? gewonnen. Autorin: Die gesundheitsförderlichen Settings sollten im Rahmen des gescheiterten Präventionsgesetzes, das 2005 in die Mühlen des Vorwahlkampfes geraten war, mit 40% aller Mittel bezuschusst werden. Offen ist, ob diese Summe im Zuge der Neuauflage des Gesetzes erhalten bleibt, offen ist ebenso der Zeitpunkt der Neuauflage. Ein zentraler Streitpunkt ist die Forderung, dass nicht nur die Sozialkassen, sondern auch Kommunen und Länder an der Finanzierung der Settingsprojekte beteiligt werden sollen. Das würde von der zuständigen Politik allerdings verlangen, 3000 Schritte weiter zu denken. Atmo Aqua und Laufen Spr. vom Dienst Alles wird Gesundheit Über das Leben mit Prävention Eine Sendung von Eva Hillebrand Es sprachen: die Autorin und Markus Hoffmann Ton: Bernd Friebel Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2007 In der kommenden Woche senden wir an dieser Stelle: Stark und mächtig oder nur ?gleich?? Frauen in der Politik Manuskripte und weitere Informationen zu unseren Zeitfragen-Sendungen finden Sie im Internet unter www.dradio.de 1