COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Flaneure der Aufmerksamkeit Wie sich unser Bild von Prominenz wandelt von Tim Wiese (Atmo Kurfürstendamm) Julian Stoeckel: Ich wusste auf jeden Fall, dass ich ein Star werden will. Ich wusste nicht womit, wie und warum, aber ich wollte es und habe dann immer schon mit Acht, Neun, Zehn angefangen, Sonnenbrillen zu tragen, dann immer eingeschnappt zu gucken. So bisschen eben nach dem Motto: ,Weltstars kann man nicht ansprechen, lasst mich in Ruhe, ich bin ein Star geht mir aus dem Weg!'. Irgendwann hat es dann irgendwelche Formen angenommen, dass es Realität wurde und dann wurde es Ernst. Autor: Julian F.M. Stoeckel. Das F.M. steht für Frederik Moritz. Als Berufsbezeichnung gibt der 27Jährige Schauspieler, Designer und Entertainer an. Im Januar 2014 war er einer der Teilnehmer der Reality -Show "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" Für ihn ein vorläufiger Höhepunkt seiner Karriere, auf den er lange hingearbeitet hat. Julian Stoeckel: Es fing an mit einer sehr schönen Aschenputtelgeschichte, muss ich sagen. Ich war vor vielen, vielen Jahren bei der Goldenen Kamera als Begleitung. Da bin ich rausgekommen und dann hielt ein Shuttle an und ich stieg da ein. Auf der Tür stand VIP Shuttle. Und ich bin nach Hause gefahren, bin ausgestiegen und dann fuhr der Wagen weg. Es war Null Uhr und ich habe so gedacht: Oh mein Gott, war das toll. Die ganzen Stars, der ganze Glamour und alles, was so toll war. Und dann war das Auto weg und für mich war das wie der Aschenputtel-Effekt. Die Kutsche war weg und ich musste irgendwie dafür sorgen, dass ich wieder ins Schloss komme zum Prinzen. Autor: Wir laufen über einen der bekanntesten Boulevards Deutschlands. Den Kurfürstendamm in Berlin. Julian Stöckels Fingernägel sind golden lackiert. An fast jedem Finger glänzt ein Ring. Für einen makellosen Teint trägt er Make Up. Kinder drehen sich um. Vereinzelt tuscheln Leute oder beobachten uns aus dem Augenwinkel. Julian Stoeckel: Ich merke natürlich sofort, wenn ich erkannt werde. Weil dann bleiben die Pupillen irgendwie stehen. Die Leute grinsen, lächeln. Und meistens macht mir das ja sehr viel Spaß, wenn ich erkannt werde. Ich winke zurück, dann sage ich ,Hallo'. Und dann sage ich zu denen: "Ja, wir können ruhig ein Foto machen." Dann freuen die sich dermaßen. Und mir macht das ja auch Spaß und es ist ja auch ein großer Teil meines Business. Reporter Tim Wiese: Was ist daran toll, erkannt zu werden? Julian Stoeckel: Man hat das Gefühl, dass die Leute einen auf dem Schirm haben. Du bist in deren Köpfen und das bedeutet ja, dass du irgendetwas an deiner Arbeit richtig gemacht hast. (Musikakzent) Sprecher (Zitat Karl Kraus, Aus: Die Fackel, Februar 1927): ,Die Prominenten' - das grausliche Substantiv bezeichnet keine Eigenschaft mehr, sondern eine Kategorie, eine Steuergruppe ... Das Ekelwort wuchert hauptsächlich in den Spalten der Presse, die wenn's finster wird erscheint, und dementsprechend im Maule der Neureichen. Es wird wirklich im Umgang verwendet. Komödianten, Filmfritzen, Kabarettfatzken, Boxer, Fußballer, Parlamentarier, Eintänzer, Damenfriseure, Literarhistoriker, Persönlichkeiten schlechtweg - alle können prominent sein. Sprecherin: Ärgerte sich der österreichische Schriftsteller und Medienkritiker Karl Kraus in seiner satirischen Zeitschrift "Die Fackel" Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Wort ,Prominent' war gerade in Mode gekommen. Julia Wippersberg: Das Wort Prominenz ist tatsächlich sehr jung, auch wenn es eine sehr alte Wurzel hat. Nämlich ,prominere' aus dem Lateinischen ,herausragen' und ,hervorragen'. Es ist wohl auch das Gescheiteste das Wort Prominenz aus der Lateinischen Wurzel zu erklären, nämlich ein Herausragen aus einer Menge. Damit hat man nämlich einen Vorteil, die ganzen negativen Bewertungen und Konnotationen sind nicht mit impliziert. Der Begriff Prominenz ist sehr neu, aber das Phänomen ist sehr alt. Weil dass Menschen aus einer größeren Gruppe herausragen, das ist nicht Ungewöhnliches. Das hat es immer gegeben. Sprecherin: Dr. Julia Wippersberg. Die Medienwissenschaftlerin forscht am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien zum Thema Prominenz. Sprecher (Zitat Karl Kraus, Aus: Die Fackel, Februar 1927): Natürlich hat es das immer schon gegeben, es ist ein gutes Fremdwort, das, solange es Seltenheitswert hatte und nur der Person verliehen wurde, der es zukam, durchaus nicht widerwärtig klang. Aber es wurde eigentlich nie gebraucht, denn man begnügte sich, jemand verdientermaßen "hervorragend" zu nennen. Sprecherin: Eliten wie Herrscher, Wissenschaftler oder Politiker standen über Jahrhunderte alleine im Zentrum des öffentlichen Interesses. Menschen erzählten sich von ihren Taten oder trugen Heldenmythen weiter. Zwar existierten Bilder der herausragenden Persönlichkeiten, es bestand aber eine große Distanz zum Volk. Das änderte sich mit Aufkommen der Massenmedien ab dem 19. Jahrhundert. Julia Wippersberg Also begonnen hat es mit Film, mit Hörfunk. Egal ob Stummfilm, ob Farbfilm usw. Da gab es immer Personen, die von den Massenmedien benutzt wurden, die auch aufgebaut wurden. Und da zeigt sich auch wieder der ökonomische Zusammenhang zwischen Prominenten oder Stars, wie sie in der Filmwelt geheißen haben, und dem Mediensystem. Weil das Mediensystem braucht die Prominenten, baut sie auf und vermarktet sie. Auch nicht nur innerhalb der Massenmedien, sondern auch außerhalb. (Musikakzent) Amy Herzstark: Ja, ich nehme jetzt mal meine Kamera und baue mich kurz auf. Autor: Amy. Die 25Jährige hat bereits einiges unternommen, um bekannt zu werden. Kleine Rollen in Serien gespielt, Songs aufgenommen und gemodelt. Ihre eigentliche Bühne aber ist das Internet. Mit Zwölf beginnt sie, im Netz über ihr Leben zu schreiben. Seit acht Jahren lädt sie unter dem Künstlernamen Diamond of Tears regelmäßig Videos bei Youtube hoch. Darin berichtet sie über Bücher, gibt Alltagstipps oder gewährt intime Einblicke. Amy Herzstark (Ausschnitt Internetvideo): Ich hatte gerade so ein bisschen Freizeit und etwas Langeweile. Und da habe ich euch gefragt, was soll ich tun, auf Facebook. Wer mir nicht folgt, ist selber Schuld! Der konnte jetzt nichts dazu sagen. Aber es wurde entschieden oder der Vorschlag hat mir gefallen: Roomtour! Ich zeige euch mal, wie ich lebe! Viel Spaß! Autor: Über 7000mal wurde das Video bereits angesehen, in dem Amy unter anderem ihr Schlafzimmer präsentiert und ihr Badezimmer vorführt. Amy (Ausschnitt Video): Wir haben eine große, große (Amy quietscht) Badewanne, eine Dusche, eine Toilette ohne Klodeckel und ein Bidet. Autor: Bei meinem Besuch zeigt mir Amy ihr Arbeitszimmer. Amy: Hier ist meine Videoecke. Reporter Tim Wiese: Weiße, schwarze Streifen. So bisschen wie Zebrastreifen an der Wand. Amy: Ja, genau. Und da ist mein Rechner. Der zentrale Punkt meines Seins. (Lacht) Reporter: Was steht darauf? ,Ja zu den Millionen' ... ist darauf geklebt mit Buchstaben. Was bedeutet das? Ist das das Ziel? Amy (lacht): Oh, du bist fies! Ich glaube, ,Ja zu den Millionen'. Ja zum Geld erst einmal. Ich möchte einfach nur davon leben können. Und Ja, zu den Millionen, heißt für mich einfach nur, das zu visualisieren, dass das irgendwann funktioniert. Also positiv zu sein, wenn es mal Tiefphasen gibt. Reporter: Nun kann man das ja auch auf die Menschen übertragen. Ja, zu den Zuschauern. Zu Millionen. Amy: Genau. Deswegen ist das auch nicht konkretisiert, sondern einfach ,Ja, gib her!' (lacht) Autor: Zur Zeit sind es über 30 000 Menschen, die Amys Kanal auf Youtube abonniert haben. Sie werden immer informiert, wenn die Berlinerin ein neues Video veröffentlicht. Amy Herzstark: Ich war in der Grundschule eher unbeliebt. Und als ich diese Weiten des Internets und diese Reichweiten und überhaupt kennengelernt habe für mich ... Ich kann es mir auch nicht wegdenken. Ich glaube, ich werde echt meinen letzten Atemzug in die Kamera machen und dann darf es meine Tochter hochladen. Reporter: Was ist daran so reizvoll? Amy: Reizvoll? Na ich glaube, das ist mittlerweile, würde für mich jetzt zum Grundgedanken gehören, ein Gesamtkunstwerk zu hinterlassen. Also einfach von ,Ich bin Zwölf' bis ,Ich bin tot'. Für die Nachwelt. Oder auch nicht. Man möchte ja immer so ein Stückchen hinterlassen und ich glaube, mein Stück ist einfach im Netz. Jetzt nicht so wie die Maya irgendein Kalender oder die Ägypter irgendeine Pyramide. Das ist heute ziemlich schwierig. Aber ich hinterlasse einfach meinen Teil und fühle mich dadurch ein bisschen unsterblich. (Musikakzent) Borwin Bandelow: Ich glaube, es war schon immer so, dass Menschen nach Ruhm gestrebt haben. Also der Kaiser Nero war auch schon mal so ein Künstler. Der hatte versucht, auch durch das Spiel der Leier und durch Singen sich in die Öffentlichkeit zu drängen. Menschen haben immer danach gestrebt, bloß heute ist es leichter, durch das Internet, durch andere Medien tatsächlich auch berühmt zu werden. Und das führt dazu, dass es zum allgemeinen Sport geworden ist. Jeder möchte mal berühmt werden. Sprecherin: Borwin Bandelow. Der Professor für Psychiatrie an der Universität Göttingen beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Sehnsucht nach Ruhm. Er war selber Musiker. Dabei ist ihm aufgefallen, dass viele Künstler eine ähnliche Persönlichkeit besitzen. Borwin Bandelow: Ich glaube, dass Narzissmus das Zauberwort heißt. Und Narzissmus stachelt einen dazu an, Aufmerksamkeit von anderen Menschen zu bekommen. Da fühlt man sich besser. Das geht natürlich jedem so. Aber Menschen, die einen bestimmten Mangel im Gehirn haben an Wohlfühlhormonen, den Endorphinen, die streben mehr nach dem Ruhm als andere und werden deswegen auch in vielen Fällen die besseren und begabteren und kreativeren Künstler. Sprecherin: Auftritte versprechen Glücksmomente und Anerkennung. Auf den Mangel an Endorphinen führt Bandelow auch zurück, dass Künstler häufiger zu Drogen- und Alkoholmissbrauch neigen würden. Prominente befriedigen aber auch die Bedürfnisse des Publikums. Borwin Bandelow: Jeder Mensch hat auch so ein Endorphinsystem. Und wenn er einen Star auf der Bühne sieht, dann lebt dieser Star virtuell die Triebwünsche für ihn aus. Also man möchte gerne viel Sex haben, man möchte wild sein, man möchte aggressiv sein, traut sich das aber nicht, gesteht sich das nicht zu. Weil unser Angstsystem uns da wieder ausbremst. Und der Star nimmt uns sozusagen die Last, uns vor anderen Leuten zu produzieren, weil der Star das selber macht und das führt bei dem Zuhörer dann wieder zu einem Glücksgefühl. (Kurzer Musikakzent) Marylin Monroe: Berühmtheit und Glück sind nur vorübergehend zu vereinbaren. Ein berühmter Mensch kann immer nur annähernd glücklich sein. Nie ganz und gar. Als Kind wusste ich gar nicht, was das ist Glück. Autor: Diesen Satz sprach Marylin Monroe kurz vor ihrem Tod einem Reporter in sein Aufnahmegerät. Noch heute gilt sie als einer der größten Stars aller Zeiten. Ihre Berühmtheit hat sie nicht nur ihrem Talent zu verdanken. Julia Wippersberg: Früher wurden die Kinostars von der Filmindustrie wirklich aufgebaut, vermarktet, völlig durchinszeniert. Man brauchte nicht zu glauben, dass das in den 20er, 30er Jahren anders war. Da wurde nichts dem Zufall überlassen. Autor: So wurde Norma Jean Baker zu Marilyn Monroe. Sie musste sich ihre braunen Haare blond färben, ihre Nasenspitze wurde korrigiert und eine Silikonprothese in ihren Unterkiefer eingesetzt. Die Filmstudios schufen sich ihre Stars, die die Menschen in die Kinos locken sollten. (Musik Somewhere Over The Rainbow) Autor: Auch Judy Garland war einer der Stars der damaligen Zeit, die von den Filmstudios gemacht wurden. Ein Talentsucher von MGM entdeckte sie als Kind. Ihr Leben endete ähnlich traurig wie das von Marylin Monroe. Die Schauspielerin starb mit 47 Jahren an einer Überdosis Schlafmittel. Reporter Stimme Amerikas aus dem Jahr 1969: Judy Garland wurde heute in der Stadt beigesetzt, in der sie im Jahre 1954 und dann wieder vor zwei Jahren ihre großen Comebacks in Amerika feierte. Ihre Rückkehr aus Tiefen, aus denen sie sich nicht ungleich Marilyn Monroe schließlich nicht mehr heraus retten konnte. Autor: So berichtete 1969 der Reporter Peter Fürst für die Stimme Amerikas von der Beisetzung Judy Garlands in New York. Reporter Stimme Amerikas: Wovon sie nie genug bekommen konnte und wohl einfach nicht genug bekam, war das ,Judy, we love you' aus dem Publikum nach jeder Show. Es war ein bisschen spät dafür, als die Tür der kleinen Kapelle bis tief in die Nacht hinein offen gelassen wurde, um die letzten Wartenden, fünfzehnhundert, zu Judy Garlands Sarg zu lassen. (Musik) Borwin Bandelow: Es wird gemeinhin gesagt, dass manche Menschen, also auch berühmte Künstler, die früh gestorben sind, eben zerbrochen sind an dem Ruhm. Aber das glaube ich gar nicht, sondern meistens stellt sich bei der Analyse der Lebensgeschichten heraus, das die Probleme schon vorher bestanden. Die Berühmtheit ist eigentlich der Versuch, sich selber zu therapieren. Sprecherin: Zu dieser Erkenntnis gelangt Psychiater Borwin Bandelow in seinem Buch "Celebrities. Vom Schwierigen Glück berühmt zu sein"". Der Professor hat die Lebensgeschichten verschiedener Prominenter analysiert und attestiert Stars wie Michael Jackson oder Marilyn Monroe eine Persönlichkeitsstörung. Diese äußere sich zum Beispiel durch Depressionen und selbstschädigendes Verhalten. Die Gründe dafür seien in der Kindheit der Prominenten zu suchen. (Reprise Somewhere Over The Rainbow) Julia Wippersberg: Die Stars von früher, die mussten schon auch eine gewisse Leistung erbringen. Die reine Inszenierung außerhalb einer Leistung ist mir eigentlich nichts bekannt. Die Massenmedien haben sicher dazu beigetragen, das zu befördern. Sprecherin Prominente sind nämlich nicht nur Verkaufsargument für Kinotickets und Musikalben oder Garant für Einschaltquoten. Ihnen kommt noch eine andere wichtige Funktion zu, wie Medienwissenschaftlerin Julia Wippersberg von der Universität Wien erklärt. Julia Wippersberg: Mit Aufkommen der modernen Massenmedien unter Anführungszeichen, also Fernsehen und insbesondere auch Internet gab es natürlich sehr einfach auch Möglichkeiten, Sendeflächen zu Verfügung zu stellen und die mussten gefüllt werden. Da sind Prominente, eben weil sie es wollen, gut geeignet. Andererseits sind sie auch vergleichsweise günstig und es gibt ja auch Formate, die sich ausschließlich um Prominente drehen und zwar nicht nur um Bestehende, sondern da geht es auch darum, Menschen, die noch nicht prominent sind, zu solchen zu machen. Die ganzen Star- Formate, Casting- Formate, da werden mehr oder weniger prominente Menschen verwendet, um das Publikum anzuziehen. (Atmo- Tür öffnen/ Agentur) Julian Stoeckel: Hallo! (Agenturmitarbeiterin) Huhu, Julian, (Schritte) Autor: Zu Besuch in der Agentur, die sich um die Karriere von Julian F.M. Stoeckel kümmert. Julian Stoeckel: Hallo, da bin ich! (Küsschen mit Agenturmitarbeiterin) Geht es gut? Agenturmitarbeiterin: Sehr gut, wenn du reinkommst, scheint die Sonne. Julian Stoeckel: Was gibt es denn Neues? Agenturmitarbeiterin: Interviewanfragen. Julian Stoeckel: Au, sehr gut! Fanpost? Agenturmitarbeiterin: Fanpost! Und natürlich auch Autogrammkarten. Musst du noch mal bitte unterschreiben. Julian Stoeckel: Ja, mache ich sofort, damit die Fans glücklich sind. Agenturmitarbeiterin: Sehr gut! Julian Stoeckel: Sehr gut, bis später! Agenturmitarbeiterin: Bis später! Autor: Die Prominenz will gepflegt werden. Man muss einem großen Publikum bekannt sein und von diesem auch als prominent angesehen werden. Das hat der 27Jährige schon früh begriffen. Noch bevor er durch die Fernsehshow "Ich bin ein Star- Holt ich hier raus" bundesweit Aufmerksamkeit erregte. Julian Stoeckel: Weil Bekanntheit vielmehr generiert als Talent. Wenn du bekannt bist, kriegst du ganz andere Anfragen. Ganz andere Türen öffnen sich dir. Und ich bin dann irgendwann abends immer auf Veranstaltungen gegangen, habe mir Einladungen besorgt und bin dann einfach immer über den roten Teppich gesprungen. Im Grunde genommen hat niemand jemals davon Notiz genommen. Es hat eigentlich keinen interessiert. Bis irgendwann - und ich weiß noch genau, wo das war. Bei der Fashionshow von Michalsky 2009 - ein Fotograf mich gefragt hat: ,Wer sind sie eigentlich?' Und ich hatte, obwohl ich noch niemand war, Autogrammkarten und Visitenkarten mir gedruckt. Reporter Tim Wiese: Warum Autogrammkarten? Julian Stoeckel: Weil ich wusste, Stars machen das so! Stars haben Autogrammkarten. Das muss man haben. Das gehört dazu. Und dann habe ich dem meine Autogrammkarte gegeben und gesagt: ,Ich bin Julian Stoeckel. Ich bin Schauspieler!' Und dann hat er gesagt: ,Dann mache ich ein Foto von ihnen'. Und dann bin ich wieder auf den roten Teppich und wieder auf den roten Teppich. Und irgendwann war es dann so, dass ich in Berlin mich so bekannt gemacht habe, dass ich egal wo ich hingegangen bin, die Fotografen am roten Teppich geschrieen haben: ,Julian, Julian hier, hier, hier' (Atmo Julian mit Fotografen, Blitzlichtgewitter): Fotograf ruft: Drama Baby! (Blitzlicht) Julian Stoeckel: Weil ich natürlich auch abliefere, ich weiß genau was der rote Teppich ist. (Atmo Fotografen): Das ist gut! Noch mal, noch mal! Hoch die Beine! Julian, du bist der Beste! Julian Stoeckel: Der rote Teppich ist das Stück Business zwischen Öffentlichkeit und deinem Beruf. Du hast fünf Minuten Zeit, alles das, was du bist zu präsentieren. Die Presse fotografiert dich, die Journalisten fragen dich etwas. Am nächsten Tag findest du statt. Wenn die nicht da wären, würde ich nicht stattfinden. Wenn ich nicht da wäre, hätten die kein Foto. Das bedeutet, wir sind abhängig. Die Presse ist von mir abhängig und ich bin von der Presse abhängig. Reporter Tim Wiese: Hatten Sie denn nie Schiss, dass jemand Anforderungen an Sie stellen könnte, denen Sie möglicherweise gar nicht gerecht werden? Julian Stoeckel: Also Schiss hatte ich nie. Ich habe alles dafür getan, dass es in der äußeren Wirkung nach ganz viel aussieht. Auch wenn ich zu dem Zeitpunkt vielleicht noch gar nicht das Geld hatte und die Kontakte, wusste ich aber, dass das, was nach draußen transportiert wird, das Wichtigste an der Sache ist. (Musikakzent) Hanne Detel: Also dadurch, dass es in der heutigen Zeit deutlich mehr Prominente gibt und auch mehr Kanäle, ist auch die Konkurrenz um Aufmerksamkeit deutlich größer geworden. Das heißt, man muss immer wieder schauen, dass man auch sein Publikum erreicht, dass man auch die Aufmerksamkeit bekommt. Im Gegensatz zu früher, wo es eben nur wenige Kanäle gab und eben deswegen auch deutlich weniger Prominente, die darin ihren Platz gefunden haben. Sprecherin: Hanne Detel. Die Medienwissenschaftlerin untersucht an der Universität Tübingen, wie sich Prominenz im digitalen Zeitalter und durch den Medienwandel verändert. Das Fernsehen und der Hörfunk haben ihr Berichterstattungsmonopol verloren. Im Internet suchen und finden mittlerweile viele Menschen eine Öffentlichkeit. Soziale Netzwerke und Videoplattformen bieten unterschiedlichste Möglichkeiten. Hanne Detel: Dadurch ist es zu einer Form der Demokratisierung der Prominenz gekommen. Das heißt, es ist einfacher, ein Publikum zu erreichen. Es ist einfacher, eigene Talente anderen zu zeigen. Aber es ist nach wie vor schwierig, diese Form von Prominenz wirklich stabil zu machen. Und da kommen dann oft auch wieder die klassischen Medien ins Spiel. Also wirklich eine breite Öffentlichkeit auf Dauer zu erreichen, da muss es dann doch mehr sein als ein Youtube-Kanal, der für eine Zeit bespielt wird. (Musikakzent) Ton 29 Amy Herzstark (Tippen): Jetzt gehen wir mal auf Facebook. (Tippen) Autor: Ich sitze mit Youtube-Größe Amy in ihrem Arbeitszimmer vor dem Computer. Nervös rutscht sie auf ihrem Bürostuhl hin und her. Amy Herzstark: Ich habe gestern ja ein neues Video hochgeladen und jetzt interessiert mich natürlich, was die Leute dazu geschrieben haben. Ich habe auch eine blöde Uhrzeit genommen zum Hochladen, so fast 23 Uhr. Das war natürlich ein bisschen blöd. Reporter Tim Wiese: Wieso ist das blöd? Amy Herzstark: Um die Uhrzeit ist kaum noch jemand online. Dann sehen es halt auch nicht so viele. Wenn das jetzt um 20 Uhr, sage ich mal, an einem Sonntag gewesen wäre, dann wäre es eine gute Zeit gewesen. Dann sind ganz viele online. Aber um 23 Uhr schlafen ganz viele Leute. Reporter Tim Wiese: Gucken wir mal, wie viel Views hat das Video jetzt, was du gestern Abend hochgeladen hast (Im Hintergrund startet Video)... 1362 Views. Jetzt ist das Video, kurz nachgerechnet, 14 Stunden online. Würde ich jetzt sagen, nicht schlecht. Was sagst du? Amy Herzstark: Ja, das ist auf jeden Fall. Also ich finde das ganz schön viel. 1300 Menschen in 14 Stunden - Hallo das ist Wahnsinn! Das ist... Das ist schon ziemlich krass. Reporter: Was ist das jetzt für ein Gefühl? Amy Herzstark: Das ist schon cool ... Ich frage mich jetzt gerade, warum es auch 25 Daumen runter gibt. Reporter: Ärgert dich das? Amy Herzstark: Nöö, ach Quatsch. Ich frage mich dann halt, woran es jetzt liegt. Ich versuche rauszufinden, was mögen die Menschen jetzt nicht. Reporter: Aber das muss doch wirklich lernen erst, oder? Amy Herzstark: Ja! Klar, ich bin mittlerweile schon achte Jahre auf Youtube. Natürlich muss man das lernen. Und das war auch wirklich ein langer, langer Weg und teilweise ein tränenvoller Weg... Wirklich. Manchmal habe ich den Computer getreten. Meine Computer mussten immer sehr, sehr viel leiden unter anderen Leuten. Reporter: Wenn man dann mitbekommen hat, welche Themen besser funktionieren. Richtet man sich dann auch danach? Amy Herzstark (lacht): Wenn es ein Tag ist, an dem man gerade vielleicht Selbstbewusstsein braucht oder wieder einmal bisschen mehr Feedback gebrauchen könnte, dann würde man sich danach richten. Also es gab auch schon so Tage, wo ich extra probiert habe, etwas zu erschaffen, was mehr Feedback generiert oder mehr Likes. Ich habe da zum Beispiel mal ein Video gemacht, wo ich mich mit Sahne und Essen eingeschmiert habe und nackt vor der Kamera sitze. Nur so, dass man halt nichts sieht (lacht). Aber das hat tatsächlich nicht so viele Views bekommen wie ich dachte, dass es bekommen würde Reporter: Wie viele hatte es dann? Amy Herzstark: 15 oder 20 000. Wenn es hoch kommt. Ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher. Reporter: Und wie ist, wenn die Aufrufzahlen mal rückläufig sind. Also nicht mehr so viele Leute, sich die Videos anschauen? Amy Herzstark: Oh ja. Ich habe mich da wirklich geärgert. Das war irgendwann nicht vermeidlich, da hatte ich zwei Monate kein Internet. Da hatte ich zwei Monate kein internet, konnte nichts hochladen. Und da sind meine Zahlen richtig eingebrochen. Ich hatte vorher pro Video zehntausend Aufrufe. Und dann nur noch fünftausend. Und da war ich richtig lange deprimiert. Das hat mich demotiviert. Also ich war in einer richtigen Youtube- Depression mehr oder weniger. (Kurzer Musikakzent) Borwin Bandelow: Gerade die größten Künstler haben wirklich eine Odyssee hinter sich, weil sie am Anfang nur verlacht wurden, kritisiert. Man hat ihnen vorgeworfen, dass sie keine gute Qualität abliefern. Trotzdem haben sie einfach ihr Ding weitergemacht und sind dadurch erfolgreich geworden. Sprecherin: Der unbedingte Wille ist für Psychiater und Psychotherapeut Borwin Bandelow Voraussetzung, als Künstler berühmt zu werden. Anders als im Sport oder in Teilen der Wissenschaft zählt nicht nur die Leistung oder das Talent. Man muss sich vermarkten können. Dafür gibt es heute durch das Internet mehr Möglichkeiten, doch Hanne Detel von der Universität Tübingen sieht die Chancen auf Ruhm auch wieder kleiner werden. Hanne Detel: Ich denke, dass es sich da mehr um ein Window of Opportunities handelt, das sich auch wieder schließen wird. Weil wenn man sich beispielsweise Youtube anguckt, dann sieht man, dass dort starke Professionalisierungstendenzen herrschen. Dass viele Menschen, die erfolgreich sind auf Youtube, entsprechend professionelle Unterstützung haben. Beispielsweise die Möglichkeit, in Studios zu filmen und auch Beratung zu bekommen, ein Management vielleicht auch bekommen. Und dann hat jemand, der eben nur mit seiner Hadykamera versucht, lustige Videos aufzunehmen, keine so große Chance mehr, ein Publikum zu erreichen. (Türklingeln, Öffnen der Tür, Atmo an Tür) Amy: Na Hi, schön, dass du da bist (Küsse zur Begrüßung mit Mutter). Autor: Gerade als ich mich von Youtuberin Amy verabschieden möchte, kommt ihre Mutter zu Besuch. Mutter: Ich wollte auf einen Kaffee vorbei kommen. (Beide lachen) Autor Amys Mutter ist stolz auf ihre Tochter und auf das, was sie bisher aus eigener Energie geschafft hat. Mutter: Ja sie ist halt eben schon immer so gewesen. Von Klein an, war s9e immer so, dass sie schon immer berühmt werden wollte (Lacht) Amy: Na klar, irgendwie ist es reizvoll zu wissen, man wird gesehen. Zu erfahren, dass es für irgendjemanden Bedeutung hat, was ich tue. So zu sehen, ich habe Reichweite. (Kurzer Musikakzent) Autor: Der Wunsch nach Ruhm. Wie ich gelernt habe, begleitet er die Menschen durch die Jahrtausende. Ich habe aber auch festgestellt, dass sich kaum jemand dazu bekennen mag. Julia Wippersberg: Ich behaupte ja, dass die katholische Kirche nicht ganz Unschuld daran ist. Weil diese persönliche, menschliche Ruhmsucht ist in der Kirche absolut verpönt. Ruhm steht Gott zu und sonst niemanden. Das ist eine gewagte These, aber Ruhm durfte nicht angestrebt werden, wenn die Gemeinschaft, aber nicht das Individuum oder Gottes Ruhm, aber nicht menschlicher Ruhm. Und wenn das Jahrtausende unterdrückt wird, dann ist es nicht akzeptiert, dass man das zugibt. Autor: Für Medienwissenschaftlerin Julia Wippersberg schwingt beim Hohn über Prominente auch die Angst der Eliten vor Bedeutungsverlust mit. Das Publikum unterschätzt wahrscheinlich auch, welche Anstrengungen notwendig sind, Ruhm zu halten. Seine Halbwertzeit ist durch das große Angebot sehr gering geworden. Julia Wippersberg: Es gibt für jede Community, für jede Subkultur, für Jugendgruppen und so weiter verschiede Personen, die prominent sind, die aus dieser Gruppe herausragen, die aber auch für diese Gruppe durchaus wichtig sind. Als Idole vielleicht sogar, als Vorbilder. Aber die Prominentenlandschaft ist sehr, sehr dispers geworden. Autor: Society-Größen, Internetstars, Künstler, Politiker, Sportler und Köche - Medienkritiker Karl Kraus hat schon Recht gehabt. Jeder kann prominent sein. Doch das muss nicht negativ sein. Oft gehört große Arbeit dazu, diesen Status überhaupt erst zu erreichen. Das Bedürfnis nach Anerkennung und Aufmerksamkeit teilen viele und es ist weit älter als das Radio, das Fernsehen oder das Internet. Julia Wippersberg Es wäre spannend zu wissen, wie es gewesen wäre, wenn man im 18. Jahrhundert Massenmedien gehabt hätte. Da liest man ja auch immer wieder, dass es durchaus skurrile Personen an den Herrscherhäuser gegeben hat. Ob die nicht ein gefundenes Fressen gewesen wären für die Massenmedien? Mit Sicherheit! (Musik)