DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Freitag, 28.08.2009 Redaktion: Hermann Theißen 20.10 ? 21.00 Uhr Ortserkundungen Zweierlei Erinnerung Jasenovac ? Das kroatische Auschwitz Von Eberhard Rondholz URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo Klagelied O-Ton: (Rede Mesic / I ove smo se godine nasli...) Übersetzer: Wir haben uns in diesem Jahr wieder zur gewohnten Zeit versammelt, um die Märtyrer des Ustascha-Terrors zu ehren, die Opfer von Jasenovac und der anderen Exekutions-Orte des Zweiten Weltkriegs. Das Ustascha-Regime war, wie die faschistischen Regime, deren Beispiel sie folgten und die sie kopierten, verbrecherisch in seinem Kern. Es war kriminell in seiner Ideologie und Praxis. Das Böse, das diesen Teil der Welt regierte während des 2. Weltkriegs muss in Erinnerung bleiben für alle Zeit. Autor: Der kroatische Staatspräsident Stipe Mesic am 26. April 2009 an der Gedenkstätte für die Opfer des Todeslagers Jasenovac am Ufer der Save. Doch es herrscht kein Konsens im Land über die richtige Erinnerung an das Böse, das Kroatien von 1941 bis 1945 regierte, an die Ustascha, den Diktator Ante Pavelic und an seine Mordgehilfen: Atmo Rocker Thompson, Jasenovac-Lied (Jasenovac i Gradiska Stara, to je kuca Maksovih mesara...) Autor: Auch so etwas kann man gelegentlich in Kroatien hören, eine hommage an den ehemaligen Kommandanten von Jasenovac, Vjekoslav "Maks" Luburic, Beiname: der Metzger. Er war nach dem Krieg mit klerikaler Hilfe nach Spanien entkommen und wurde dort 1956 von einem Landsmann umgebracht. Der Mann, der ihn noch heute besingt, heißt Marko Perkovic, Künstlername Thompson, der beliebteste Rocksänger Kroatiens, er füllt Fussballstadien auf seinen Tourneen. Das Lied endet mit Grüßen an den Ustascha-Führer Ante Pavelic. Es ist als you-tube-video im Internet zu haben, mehr als 300 000 mal wurde es, traut man der virtuellen Besucherstatistik, bis heute angeklickt. Noch ist Jasenovac offensichtlich nicht für alle Kroaten ein Symbol des Grauens. TITEL.... Zweierlei Erinnerung Jasenovac - das kroatische Auschwitz Ein Feature von Eberhard Rondholz Autor: Wer sich dem ehemaligen Lager-Gelände, etwa 100 km südöstlich der kroatischen Haupstadt Zagreb gelegen, von der Autobahn Zagreb-Belgrad kommend nähert, sieht sie schon von weitem: die über 20 Meter hohe Steinerne Blume, einer stilisierten Lilie ähnelnd, geschaffen von dem Belgrader Architekten Bogdan Bogdanovic und errichtet im Jahr 1966. Viele Serben mochten dieses Denkmal für die Opfer des Ustascha-Terrors nicht, sie hätten lieber einen riesigen Totenschädel gehabt. Und in Zagreb gab es Leute, die riefen zur Zerstörung der Steinernen Blume auf - diesem serbischen Denkmal auf kroatischer Erde. Und doch hat die Steinerne Blume auch die Wirren des jugoslawischen Bruderkriegs 1991/95 überstanden, obwohl an der Hauptkampflinie stehend. Ein paar Schusswunden hat sie davon getragen, sie wurde unter Aufsicht des Künstlers restauriert. Von dem Todeslager von Jasenovac aber sucht man vergebens jede Spur. Von der dreieinhalb Kilometer langen, drei bis fünf Meter hohen Mauer um das Zentrallager Jasenovac 3 ebenso wie von den Wohngebäuden und Arbeitsstätten. Die Betreiber des Lagers haben 1945 nicht einen Stein auf dem anderen gelassen, und die Trümmer wurden in der Not der Nachkriegszeit zu Baumaterial. Die neue Regierung in Belgrad hatte nichts dagegen. Atmo Lager Autor: Nur selten verirren sich ausländische Besucher hierher, und vielen war vor ihrem Besuch nicht einmal der Name dieses Lagers bekannt. Dabei war Jasenovac das größte Vernichtungslager auf dem Balkan, das einzige Groß-KZ im faschistischen Europa, das nicht von der SS betrieben wurde. Ein Lager zudem, das in erster Linie nicht der Vernichtung von Menschen anderer Rasse diente, sondern der Ermordung von Menschen anderen Glaubens: außer der Vernichtung von Juden und Roma war der Hauptzweck von Jasenovac die Ausrottung von orthodoxen Christen durch römisch-katholische Christen. MUSIK Autor: Nach der Besetzung und Zerschlagung Jugoslawiens durch die Wehrmacht im April 1941 wurde das von Hitler geschaffene Großkroatien, dass neben dem kroatischen Kernland auch ganz Bosnien-Herzegowina umfasste, der klerikal-faschistischen Ustascha-Bewegung ausgeliefert. Ihr Führer Ante Pavelic begründete eine nur formell von Berlin unabhängige Diktatur, zu deren Zielen unter anderem gehörte, einen völkisch reinen kroatischen Staat zu schaffen. Und weil die kroatische, das heißt: katholische Bevölkerung nur etwa die Hälfte des Staatsvolks der "Unabhängigen Republik Kroatien" ausmachte, war angesagt, was man heute gern beschönigend ethnische Säuberung nennt. Zu säubern war dieses Kroatien dabei, außer von Juden und Roma, von der zahlenmäßig stärksten Minderheit - den Serben. Den Weg dahin wies Mile Budak, Pavelics Stellvertreter und Kultusminister: Zitator: Die Ustascha-Bewegung gründet sich auf die Religion. Für Minderheiten - Serben, Juden, Zigeuner - haben wir drei Millionen Patronen. Ein Drittel der Serben werden wir töten, ein anderes Drittel vertreiben, das letzte Drittel werden wir in die Arme der römisch-katholischen Kirche zwingen und sie so zu Kroaten machen. Auf diese Weise wird unser neues Kroatien alle Serben bei uns ausmerzen und so in zehn Jahren hundertprozentig katholisch sein. Autor Der Ustascha-Staat begann mit dem Morden unmittelbar nach der Machtergreifung. Soweit der Massenmord an den "fremdvölkischen" Ethnien nicht direkt an ihrem jeweiligen Wohnort stattfand, und soweit nicht, im Fall eines Teils der Juden, die Auslieferung an die Nazis das Mittel der Säuberung war, wurde in Vernichtungslagern gemordet, 20 an der Zahl. Doch wurden die kleineren bald wieder aufgelöst, stattdessen als zentraler Standort Jasenovac für einen großen Lagerkomplex ausgewählt und am 21. August 1941 in Betrieb genommen. Atmo Autor: Der Standort Jasenovac hatte zwei geographische Vorteile: Zum einen ist es nicht weit bis zur Bahnlinie Belgrad-Zagreb. Der andere: Hier ist der Zusammenfluss der Save mit den Nebenflüssen Una und Strug - eine höllische Naturfalle in paradiesischer Landschaft, wie es Bogdan Bogdanovic nannte aus der es für die Häftlinge kaum ein Entkommen gab. Der mitgebrachte Laptop macht den Blick darauf mit einem bekannten Computerprogramm aus der Vogelperspektive möglich - es wird klar, warum so viele Fluchten damals gescheitert sind: Wir sehen ein Gewirr von Flüssen und Flussarmen, eine Mausefalle aus Wasser. Slavko Goldstein, dessen Vater dem Mordterror der Ustascha zum Opfer fiel, war von 2000 bis 2005 Vorsitzender des Jasenovac-Komitees in Zagreb und erforscht mit seinem Sohn Ivo die Geschichte des Lagers seit Jahren. O-Ton (Slavko Goldstein): Jasenovac war zur selben Zeit ein Vernichtungslager und ein Arbeitslager. Man hat ja produziert für das Ustascha-Militär, reparierte Tanks ... von Leder hat man gemacht, was das Militär brauchte und Ketten für Schiffe, alles mögliche hat man produziert. Ungefähr zwischen 3000 und 5000 Leute haben gearbeitet. Und wenn jemand von dort verhungert und krank oder gestorben ist, hat man neue Leute gebracht. Über 5000 wollten sie nie haben, und das haben die getötet. Das war ein System die ganze Zeit. Vjekoslaw Maks Luburic, der Gründer von Jasenovac, der Organisator, war in Sachsenhausen, 15 Tage Inspektionen. Sachsenhausen war ein Vernichtungslager, aber auch ein Arbeitslager. Und Jasenovac ist nach dem Vorbild von Sachsenhausen organisiert. Später wurde es mehr Vernichtungslager. Autor: Und das hieß: Die meisten mit Viehwaggons und Lastwagen herangefahrenen Opfer wurden direkt von der Endstation an der Save mit einer Fähre ans andere Flussufer gebracht, nach Donja Gradina, und dort massakriert. Manchmal tausend am Tag. Atmo Klagelied, Na gradina grob da groba Autor: Die ursprünglich 1965 errichtete Gedenkstätte von Jasenovac wurde 2006 neu eingeweiht. Das Museumsgebäude war, während der jugoslawischen Separationskriege, buchstäblich in die Schusslinie geraten, hatte den Krieg aber weitgehend unbeschadet überstanden. Doch gab es in Kroatien nach der gewaltsamen Trennung von der jugoslawischen Bundesrepublik zunächst kein Interesse an einem Gedenkort, der an eine schlimme Vergangenheit erinnerte. Und dann hatte Franjo Tudjman, der erste Präsident der neuen Republik Kroatien, seine eigenen Pläne: Zitator: Wir werden in Jasenovac eine kroatische Gedenkstätte aller Kriegsopfer einrichten. Wir werden die sterblichen Überreste aller Opfer sowohl des Faschismus als auch des Kommunismus, natürlich mit deren besonderer Kennzeichnung, dorthin überführen... Autor: Womit er auch die Toten von Bleiburg meinte. In Bleiburg, an der slowenisch-österreichischen Grenze, wurden 1945 in einem Racheexzess Tausende flüchtige Kollaborateure der Nazis umgebracht: Slowenen, Volksdeutsche und muslimische SS-Leute, serbische Cetnics und vor allem kroatische Ustaschas. So wären auch die Schlächter von Jasenovac von mit ihren Opfern vereint worden. Eine Vermischung der Gebeine, sagte uns der Historiker Ivo Goldstein, Professor an der Universität Zagreb, die für die Opfer völlig unannehmbar war. O-Ton (Ivo Goldstein, englisch) Übersetzer: Antifaschistische Kreise im In- und Ausland übten aber starken Druck aus und Tudjman gab die Pläne auf. Dann erfand er etwas anderes, um die Botschaft von Jasenovac neu zu definieren. Er erfand die Geschichte, dass Jasenovac nach 1945 ein neues, kommunistisches Lager gewesen sei, also nicht nur ein Todeslager der Ustascha für Serben, Juden, Roma und Antifaschisten. Er wollte so ein Gleichgewicht der Schuld konstruieren, die gleiche Verantwortung für alle. Das war Tudjmans Erfindung. Vor den 1990ern Jahren hatte es solche Behauptungen nicht einmal in der Emigrantenliteratur gegeben, jetzt ist das ein Neo-Ustascha-Projekt, völlig inakzeptabel für uns. Autor: Nach Tudjmans Tod im Dezember 1999 wurde sein monströser Plan für eine umfunktionierte Gedenkstätte in Jasenovac mit ihm beerdigt. Es kam ein anderes Konzept zum Zuge, wobei auch die Perspektive Kroatiens für eine EU-Mitgliedschaft eine Rolle gespielt haben dürfte. Atmo Gedenkstätte Autor Für einen Besucher, der deutsche KZ-Gedenkstätten kennt, ist der erste Eindruck im Museum befremdlich. Dunkle Räume, enge Gänge, unprofessionell arrangierte Videopräsentationen, an den Wänden Fotos und teilweise schwer lesbare Dokumente. An der Decke viele tausend Namen der Opfer. Exponate hinter Plastikvitrinen unter psychedelischen Farben, als wäre man in einer Boutique. Häftlingskleidung auf Kleiderpuppen gezogen. Ein Wort von Ephraim Zuroff, dem Direktor des Simon-Wiesenthal-Instituts in Jerusalem, kommt einem in den Sinn. Sein anlässlich der Wiedereröffnung des Museums geäußertes knappes Verdikt: postmodernist trash - postmoderner Müll. Jedenfalls wird, glaube ich, wer die Geschichte des Lagers nicht kennt, in dieser Gedenkstätte kaum eine Vorstellung bekommen von der grausigen Wirklichkeit. Museums-Kustos Ivo Pejakovic verteidigt die Präsentation: O-Ton (Pejakovic) Übersetzer: Was wir hier versuchen ist, die Opfer, die hier umgebracht wurden, als Menschen zu zeigen, ihnen ihre menschliche Würde wiederzugeben, die sie während ihres Aufenthalts hier im Lager verloren haben, das ist der wichtigste Zweck dieser Ausstellung. Auch geht es darum, der jungen Generation zu vermitteln was hier geschah und sicherzustellen, dass so etwas nie wieder passiert. Autor: Über die Täter, über die Verantwortlichen für den Massenmord erfahren die Besucher so gut wie nichts. Der einzige Verantwortliche, den wir sehen, ist Diktator Ante Pavelic, bei einem Fototermin mit Adolf Hitler. O-Ton (Pejakovic) Übersetzer: Es stimmt, wir wollen denen, die die Verbrechen begangen haben, keinen Platz hier einräumen. Wir wollen die Verbrechen nicht vergessen, aber am wichtigsten ist es uns, die zu zeigen, die eine Zeit hier verbracht haben und die Geschichten von Überlebenden zu erzählen. Wir haben sie um Interviews gebeten, gebeten, ihre Wahrheit über das Geschehene hier zu erzählen. Wir zeigen auch Bilder von Menschen, die hier umgebracht wurden, aus der Zeit vor dem Krieg, aus ihrem normalen glücklichen Leben. Die Ustaschas, die diese Verbrechen begangen haben, wollten ja nicht nur diese Menschen töten, sie wollten sie erniedrigen, ihnen ihre Würde nehmen. Autor: Die wenigen Besucher werden allein gelassen mit dem Ausgestellten, den Bildern und den paar Schrifttafeln. Keine Drucksachen, kein Buch, nicht einmal ein kleines Faltblatt zur Information kann man erwerben. Es fehlt vollständig die übliche Gedenkstätteninfrastruktur. Das einzige Buch, das man zu sehen bekommt, es liegt am Eingang zur Einsicht, ein voluminöser Band: er enthält die ca. 75 000 Namen von bisher mit Gewissheit ermittelten Opfern. O-Ton (Ralph Gabriel): Es ist hochinteressant, dass die Ausstellung erst 2006 eröffnet worden ist, denn sie macht einen Eindruck, der sie in einer anderen Zeit vermuten ließe. Die dunklen metallenen Oberflächen, die Beleuchtung in pink und grün und rot auf den Exponaten zeigt aber gleichzeitig auch, wie schwierig es offensichtlich ist, die Exponate, die da sind, zu zeigen. Es ist scheinbar auch unglaublich schwierig, mit den Dokumenten umzugehen, die gezeigt werden. Es scheint ein Konzept dahinter zu stehen, das sich dem Besucher, der deutsche Gedenkstätten kennt, nicht so ohne Weiteres erschließt. Autor Mein Begleiter Ralph Gabriel nach dem gemeinsamen Besuch im Museum von Jasenovac im Naturidyll des Gedenkstättenparks, am Teich neben der Steinernen Blume. Er ist Architekt und Gedenkstättenexperte und hat verschiedentlich in deutschen KZ-Museen gearbeitet. O-Ton (Ralph Gabriel): Im Vordergrund stehen die Opfer, so wurde es von unserem Guide erzählt.Im Übrigen genauso wie es Bogdanovic mit der Lilie aus Beton zeigt, die wir hier sehen, riesengroß, in einer traumhaften Landschaft. Es ist vielleicht auch die Hilflosigkeit, sich mit den Verbrechen wirklich auseinanderzusetzen, es könnte sein, wie es Bogdanovic an einer Stelle beschreibt, dass er sich mit den Einzelheiten der Greueltaten gar nicht auseinandersetzen will, aber trotzdem der Opfer gedenken will und dafür eben die Blume findet. Auch in dieser Ausstellung versucht man daran anzuschließen. Aber es ist nicht so überzeugend wie diese Lilie. Vielleicht aber auch aufgrund der Oberflächen, aufgrund der Präsentation, bemüht, aber nicht überzeugend, die Mischung des Sounds, von Zeitzeugen-Berichten und von anderen Dokumenten, die eingespielt werden, die ineinander übergehen, wo man sich eigentlich kaum konzentrieren kann, das Fehlen von grundsätzlichen Erklärungen, die das System hinter dieser Gewaltherrschaft, hinter den Verbrechen, die sich hier abgespielt haben, zeigen. Das macht die Sache umso schwieriger. Klar zu kommen, mit den kurzen Videosequenzen, mit den Bildern von jungen Romakindern und Zügen von Frauen aus Serbien, die hierher geschafft werden unter Bewachung, damit umzugehen, es ist nicht wirklich einordenbar, was man hier zu sehen kriegt. Autor: Nicht einmal Lagerkommandant Maks Luburic, "der Metzger", ist zu sehen im Museum. Ebensowenig jener berüchtigte Franziskanerpater Miroslaw Filipovic-Maistorovic, der 1941 seine braune Kutte mit dem Schwarzhemd der Ustascha vertauscht und eine zeitlang das Kommando in Jasenovac übernommen hatte, und der wegen seines Sadismus den Beinamen "Bruder Teufel" bekam. Filipovic-Maistorovic, der 1946 in Zagreb gehängt wurde, war nicht der einzige Geistliche, der sich am Massenmord beteiligte. O-Ton (Slavko Goldstein): Mit den Tätern ist es so, Sie haben recht. Die Rolle der katholischen Kirche ist etwas was man wollte nicht angehen, aus opportunistischen Gründen. Man will sich nicht konfrontieren der Kirche, weil die Kirche hat versagt. Die Anklage dass die Kirche Ustascha war, ist nicht wahr, aber Teile der Kirche ja. Autor: Es stimmt ja, dass sieben katholische Priester in Jasenovac umgebracht wurden, weil sie sich, im Dissens mit dem kroatischen Erzbischof Stepinac, geweigert hatten, das te deum für Ante Pavelic zu zelebrieren. Es stimmt auch, dass ein paar Dutzend Priester zu den Partisanen gingen und gegen den Faschismus kämpften, worauf Kustos Pejakovic uns hinwies. Aber hunderte andere Geistliche schlossen sich den Schlächtern an. Wie es dazu kommen konnte, dass Kleriker zu Killern wurden, Mönche zu Massenmördern, auf diese Frage versucht die Gedenkstätte von Jasenovac keine Antwort, nicht einmal das Faktum wird erzählt. Und die letzten Überlebenden von Jasenovac warten bis heute vergebens darauf, dass der Primas der katholischen Kirche Kroatiens einmal in die Gedenkstätte kommt, um sich vor den Opfern zu verneigen und sie um Vergebung zu bitten für die Verbrechen, die Glieder seiner Kirche hier begangen haben. Die katholische Kirche sei die letzte Bastion der Verteidiger des Ustascha-Regimes, hatte Ivan Fumic, der Sprecher der überlebenden Opfer voriges Jahr, auf der alljährlichen Gedenkveranstaltung gesagt und bekam prompt eine Klagedrohung aus dem erzbischöflichen Palais. Doch davon hat man nichts mehr gehört, der Klerus war sich wohl auch bewusst, was da alles zur Sprache gekommen wäre in solch einem Prozess: wie groß der Beitrag der Kirche ja wirklich war zum Massenmord von Jasenovac, nicht nur personell - sondern auch und vor alllem bei der mentalen Vorbereitung des Genozids. Man hätte zum Beispiel Ivan Saric, den einstigen Bischof von Sarajevo, Ustascha-Mitglied von 1934 an, zitieren können. Zitator: Die Bewegung der Befreiung der Welt von den Juden ist eine Bewegung zur Erneuerung der menschlichen Würde. Allwissend und allmächtig steht Gott hinter dieser Bewegung. Autor: So der Bischof in seinem Bistumsblatt im Mai 1941. Ein anderer Gottesmann, Ivan Guberina, Professor der Theologie, nennt all jene Kroaten, die gegen die Untaten der Ustascha protestieren, geistige Zwerge, es sei das natürlich Recht des kroatischen Staates und Volkes, seinen Organismus von Gift zu reinigen: Zitator: Die Ustascha-Bewegung hat sich diesem Ziel verschrieben, sie muss sich zu diesem Zweck verhalten wie ein Arzt, der eine Heilkur durchführt. Und wo nötig, muss operiert werden, und es ist das Recht Kroatiens und in Übereinstimmung mit der christlichen Moral, seine Feinde mit dem Schwert zu vernichten. Autor: Und der Priester Mate Mugos im Juli 1941 in der Zeitung Novi List: Zitator: Bis jetzt haben wir dem katholischen Glauben mit Gebetbuch und Kreuz gedient. Die Zeit ist gekommen, dies mit Gewehr und Pistole zu tun. Autor: Die kroatische Amtskirche zieht es bis heute vor, zu diesen Fakten zu schweigen. So, wie Papst Pius XII. zu den Verbrechen von Jasenovac schwieg, und eine Diskussion über dieses Schweigen zu fürchten hat man im Vatikan allen Grund - denn wenn irgendwo in Europa ein deutliches Wort des Pontifex etwas hätte bewirken können, dann im katholischen Ustascha-Staat. Nicht einmal die sattsam bekannte Ausrede für sein Schweigen - "ad majorem malum inhibendum" - "um Schlimmeres zu verhüten" - hatte hier auch nur die geringste Berechtigung; eine päpstliche Intervention in Jasenovac hätte sogar noch den deutschen Beifall gefunden. Autor: Im März 1942 beklagte General Glaise von Horstenau in einem Schreiben an Generalfeldmarschall Keitel die, so wörtlich, "unvernünftigen Greueltaten der Ustascha, die nur die Widerstandsbewegung stärker machten." Die Reaktion Hitlers auf solche Beschwerden: "Man solle die Kroaten sich ruhig austoben lassen". Atmo Klagelied Autor: In Sichtweite der Gedenkstätte, am anderen Ufer der Save, in Donja Gradina, liegen die Killing Fields von Jasenovac, die meisten Opfer wurden dort umgebracht und in Massengräber geworfen. Es ist heute ein ziemlich weiter Weg dorthin, einige Kilometer fahren wir flussauf-, über eine Brücke, und dann wieder flussabwärts. Eine Landesgrenze ist dabei zu überschreiten, von Kroatien nach Bosnien-Herzegowina, Landesteil Republika Srpska. Atmo Autor: Kustos Dejan Motl führt uns durch das Memorial-Gelände von Donja Gradina. Eine friedliche Parklandschaft, am Rand ein kleines Verwaltungsgebäude, und mittendrin überdimensionale Schrifttafeln, mit den umstrittenen Zahlen darauf, von 700 000 Toten wird hier ausgegangen, wie sie für viele Serben heute noch eine unumstößliche Wahrheit sind, aber längst nicht für alle. Überall im Gelände, zwischen den alten Bäumen, rasenbedeckte Mulden, eingesunkener Boden über Massengräbern, wie man uns erklärt. Hier erfahren wir eine Menge Details, vieles, was man drüben, am kroatischen Ufer, nicht erfährt. O-Ton (Motl) Übersetzer: Das Gelände der Gedenkstätte Donja Gradina umfasst 117 Hektar, das ist ein 1/8 des Gesamtterritoriums von Jasenovac. Bisher haben wir neun Grabfelder entdeckt, und darin 105 große Massengräber. Aber diese Zahl ist noch nicht endgültig. 1991 hat das Institut für landwirtschaftliche Bodenkunde von Sarajevo eine Sondage gemacht und herausgefunden, dass es 20 weitere Gräber gibt, die noch untersucht werden müssen. Die Größe der Grabfelder umfasst 66 000 qm. 11.103 qm ist die Größe der Gräber allein. Autor: Erst hier, bei einem Gang über die schier endlose parkähnliche Gedenkstättenanlage, wahrscheinlich das größte KZ-Gräberfeld Europas, beginnt man sich eine Vorstellung zu machen von dem, was hier zwischen 1941 und 1945 geschah. Auch zu Seife wurden die Ermordeten hier, ein großer Eisenkessel steht noch im Gelände. O-Ton (Motl) Übersetzer: Es gab 12 große Kessel zum Seifekochen. Davon sind nur noch drei erhalten. Auch ein Separator ist erhalten, und ein Abscheider für Wasser, kaustische Soda und Opfer-Leichen. Man vermutet, dass Lagerkommandant Maks Luburic von seinem Besuch in Sachsenhausen auch die Idee zur Seifenfabrik mitgebracht hat. Autor: Das Gebäude der Gedenkstätte von Donja Gradina ist fast leer. Fast alle Exponate und Dokumente des alten Museums befinden sich ja heute wieder an ihrem alten Standort am anderen Ufer der Save. Museumsrat Simo Brdar hat diesen wertvollen Bestand vor den Wirren des jugoslawischen Bruderkrieges gerettet. O-Ton (Simo Brdar) Übersetzer: Am 21. Oktober 1991 hat das Militärkommando in Jasenovac angeordnet, dass die Sammlung aus Jasenovac abtransportiert werden solle, weil der Ort im Bereich permanenter militärischer Aktivitäten lag. Und der Augenschein bestätigte, dass während eines längeren Aufenthalts von Einheiten der Kroatischen Armee ein großer Teil der Objekte verschwunden ist. Später wurden sie immer wieder auf den Feldern in der Umgebung von Jasenovac gefunden, einige aber sind auf immer verschwunden. Vom 3. November 1991 bis zum 9. September 1999, also ganze acht Jahre, war die Jasenovac-Sammlung, oder besser: der gerettete Teil der Sammlung ununterbrochen in meiner persönlichen Obhut. In meiner Wohnung und ein paar benachbarten Räumen. Niemand hat es interessiert, obwohl ich mehrmals verlangt habe, auch schriftlich, dass die für die Sammlung verantwortlichen Institutionen für eine adäquate Unterbringung sorgen. Die Sammlung war aber nie in Gefahr. Nur ein paar Mal, wenn die Front näher rückte, haben wir sie mit der Hilfe und der Solidarität der Bürger der Stadt und Gemeinde Dubica ins Kozara-Gebirge oder ins Kloster Mostanica transportiert und dann wieder zurück. Und so ging das Ganze acht Jahre. Erst am 9 Juli 1999 hat die Regierung der Republika Srpska entschieden, die Sammlung aus Dubica, also aus meiner Wohnung, in das Archiv in Banjaluka zu bringen. Autor: Von dort gelangte sie dann über Belgrad nach Washington ins Holocaust-Museum, und kehrte schließlich in die Gedenkstätte Jasenovac zurück, wo man sich vor 1990 ein anderes Bild vom Grauen des Lagers machen konnte. Simo Brdar beschreibt, wie die Ausstellung dort seit 1986 ausgesehen hatte: O-Ton (Simo Brdar) Übersetzer Die Ausstellung bestand aus drei Friesen - im oberen große Fotografien der Opfer, die Kolonnen unschuldiger Männer, Frauen und Kinder auf dem Weg ins Lager, Opfer der Folter und Massaker; der mittlere Fries zeigte Fotografien der Verbrecher, Abbildungen der Exekutionsgegenstände, im unteren waren Vitrinen mit den Gegenständen der Opfer und den Mordwerkzeugen untergebracht. Autor: Vom einstigen Lagergelände ist seit Kriegsende nichts mehr zu sehen. O-Ton (Brdar) Übersetzer: Die Partisanen sind erst am 5.Mai 1945 im Bereich des ehemaligen Lagers angekommen. So hatte die Ustascha Zeit, die Archive zu verbrennen, die Gebäude der Ziegelfabrik, die Tischlerei, die Kettenfabrik, das Sägewerk in Brand zu stecken und zu sprengen. Nur die Mauern des Lagers blieben, 3 bis 5 Meter hoch, und Reste der Ziegelfabrik, die in der Zeit des Lagers als Krematorium gedient hatte. Doch alle Objekte und die Mauern des Lagers, alles wurde dann beseitigt, zur Verbesserung der interethnischen Beziehungen, im Namen von Brüderlichkeit und Einheit. Autor: Bratstvo und Jedinstvo, Brüderlichkeit und Einheit predigte der jugoslawische Staatschef Josip Broz Tito immer wieder. Im Namen dieses von oben verordneten interethnischen Friedens unterblieb die Aufarbeitung der blutigen Geschichte, blieben die Traumata ungeheilt, die die vier mörderischen Kriegsjahre hinterlassen hatten. Der sozialistische Staat behielt sich die Deutungshoheit über die Geschichte vor und sorgte mit harter Hand für jenen Burgfrieden, den zu beenden chauvinistische Agitatoren nach Titos Tod leichtes Spiel haben sollten. Die Gedenkstätte hatte im alten Jugoslawien bis zu 600 000 Besucher jährlich. Die Geschichte des Vernichtungslagers war integriert in die Geschichte des antifaschistischen Kampfes der Völker Jugoslawiens. Und heute? Gerade einmal 8000 Besucher kommen noch, pro Jahr nach Jasenovac. Auch in Donja Gradina sind es nicht mehr. O-Ton (Ralph Gabriel): Es ist natürlich so ein Ort immer ein Ort, den sich eine Gesellschaft vergegenwärtigen muss, um daraus lernen zu können, begreifen zu können, was in der Geschichte vorgefallen ist. Der Ort kann das leisten, das spürt man hier, wenn man hier über diese killing fields geht, aber man muss ihn auch zugänglich machen, das geschieht hier in keiner Weise in einer angemessenen Form. Also es fehlt auch der räumliche Zusammenhang der Gedenkstätten. Das liegt jetzt nach den Kriegen offensichtlich an der politischen Situation, zwischen den unterschiedlichen Absichten der Volksgruppen der Kroaten und der Serben diesseits und jenseits der Save, die selbst sind offensichtlich untereinander auch gespalten im Hinblick auf diese Orte. Aber wenn man den Ort angemessen zeigen will, wenn man die Geschichten angemessen erzählen will, die hier zu diesem unglaublichen Verbrechen geführt haben, dann muss man das auch an einem Ort tun, den man begehen kann, den man zugänglich macht, und dazu wäre eine räumliche Verknüpfung der killing fields und des ehemaligen Konzentrationslagers dringend geboten. Früher war das ein Fährmann, der über die Save gesetzt hat und hier die Menschen herübergebracht hat, bevor sie ermordet worden sind. Heute erinnert nicht einmal ein Relikt an die Stelle, wo das gewesen ist. Vielleicht ist das auch ein Ausdruck von Hilflosigkeit, mit diesen Dingen umzugehen. Autor: Auch wenn die beiden Gedenkstätten heute miteinander offiziell nicht kooperieren - sie könnten einander ergänzen. Vieles von dem, was man auf der kroatischen Seite vermisst ? Bücher und Informationsmaterial - man findet es hier in Donja Gradina. Ein Dokumentarfilm wird uns gezeigt, Simo Brdar hat ihn produziert, in dem ein Überlebender, der sephardische Jude Cadik Danon Braco aus Sarajevo, vom Grauen des Lageralltags erzählt. O-Ton (Cadik Danon Braco) Übersetzer: Die Ustaschas befahlen uns anhalten. Einer von ihnen befahl uns, ein etwa zwei Meter tiefes Loch zu graben. Als wir fertig waren, befahlen sie uns, etwa zehn Meter weg zu gehen. Ich dachte, man wolle uns hineinwerfen. Aber dann sah ich in einiger Entfernung ein Dutzend Ustaschas näher kommen. Und nahe bei ihnen kleinere Leute, und als sie näher kamen, erkannte ich: es waren Kinder, offensichtlich Serben und Juden. Abgemagert, zerlumpt, barfuß, schmutzig. Sie sahen so schrecklich aus, dass man ihren Anblick kaum ertragen konnte. Einer der Ustaschas kam näher und ich hörte ihn laut fragen: Kinder, wer von euch will zu Oma und Mutter? Und die Kinder riefen im Chor: Ich, ich, ich... Die Ustaschas bildeten einen Kreis um die Kinder, und sie schoben die Kinder von einem zum nächsten, bis hin zu dem, der dem Grab am nächsten war. Und der packte ein Kind, das Gesicht zum Boden, und schlug ihm mit dem Hammer auf den Hinterkopf. Ein Kreischen war zu hören, der letzte Schrei des Kindes, und dann das dumpfe Geräusch, wenn das Kind ins Grab fiel. Ich sah das alles und ich dachte ich müsste sterben. Die Tränen flossen mir über die Wangen. Ein Jude, wesentlich älter als ich, saß nächst zu mir auf dem Boden, schwach und erschöpft. Er erhob sein Gesicht zum Himmel und sagte laut: Gott, wenn es dich gibt, schick einen Blitz vom klaren Himmel und töte diese Schurken! Sie fuhren fort mit ihrer Arbeit und er wiederholte seine Worte zweimal. Aber Gott schwieg und die Ustaschas fuhren fort mit ihrer Arbeit, mit viel Freude, machten Witze über die Kinder. Atmo Klagelied Autor: Über die Zahl der Opfer wird bis heute erbittert gestritten. Über Jahrzehnte war in Titos Jugoslawien von bis zu einer dreiviertel Million Toten in Jasenovac die Rede, auch unter Berufung auf Berichte der Wehrmacht und der SS. Der Kroate Franjo Tudjman versuchte nach 1990 die Opferzahlen zu minimieren, von 20 000 Opfern sprach er, eine kroatische Parlamentskommission behauptete gar, eine Zahl von 2000 Toten ermittelt zu haben, ernstgenommen wurde sie allerdings nicht. Einigkeit herrscht heute zumindest über eines: dass eine genaue Zahl der Opfer nie zu ermitteln sein wird, und dass es wesentlich mehr sind als die etwa 75 000 bis heute namentlich bekannten Opfer. Vielfach bezeugt ist die bestialische Art und Weise, wie hier gemordet wurde. Der Gesandte Benzler berichtete im September 1941 nach Berlin: "Die Ustaschas verübten Grausamkeiten wie man sie nur von vertierten Bolschewisten erwarten sollte." Es gab in Jasenovac keine Gaskammern, keinen industriellen Massenmord wie in deutschen Vernichtungslagern, alles war Handarbeit. Aus dem Bericht eines Überlebenden, Nikola Nikolic: Zitator: Anfangs benutzten sie für die Massenliquidierungen Feuerwaffen wie die Deutschen, aber später, als sie die Morde vertuschen wollten, verzichteten sie in den meisten Fällen auf diese Waffen, da die Schüsse nicht nur den Lagerinsassen, sondern jedem in der Umgebung von 5 - 6 km verrieten, was im Lager geschah. Nach dem Vorbild von Mussolinis Faschisten trugen die Ustaschas das Messer als Stichwaffe. Es war obligatorisches Requisit und Schmuckstück der Ustascha-Uniform, ein mörderisches Symbol der Macht. Außer den Messer benutzten die Ustaschas zum Abschlachten der Menschen auch Dolche, zweischneidige Messer oder Stilette. Unseren Partisanen fiel einmal ein Schlachtmesser in die Hände. Es handelte sich dabei um ein 12 cm langes, gekrümmtes Messer, dessen Schneide sich am äußersten gekrümmten Rand befand. Die Klinge war an einer gewölbten, ovalen Kupferplatte und diese wiederum an einem dicken Lederarmband befestigt. Das Lederarmband, das ein Loch zum Durchstecken des Daumens aufwies, trug man um das Handgelenk. Die restlichen Finger blieben frei. An der unteren Kante zog man das Armband mit Lederriemen fest. Der Henker ließ das Messer ständig kreisen, ähnlich einem sich drehenden Rad, sodass der Schwung die Hälse der unschuldigen Opfer, die ein anderer Henker festhielt, durchschnitt. Es war eine Art Maschine mit einem montierten Messer - ein mörderisches Fließband zum Abschlachten von Menschen. Autor: Es gab Wettbewerbe, wer den meisten Serben an einem Tag die Kehle durchschnitt, auf über tausend brachte es der Klosterschüler Petar Brzica, er wurde bis heute nicht gefasst. Außer diesem besonderen Handwerkszeug der Ustascha-Wachmannschaften wurden auch Hacken, Beile und Äxte benutzt. Zitator: Das Abschlachten mit der Axt wurde von sogenannten Axtmännern am Rand von riesigen Gruben durchgeführt, die für die Opfer vorgesehen waren. Diese Gruben wurden von den Häftlingen, meist Zigeunern, ausgehoben, die später selbst getötet wurden. Ohne zu wissen, wem sie zugedacht waren, schaufelten sie sich so ihre eigenen Gräber. Autor: Das Morden wurde fortgesetzt bis zum Schluss, bis zum Ende des Pavelic-Regimes im Mai 1945, auch im Frauenlager. O-Ton (Heuss-Wolff): Ich war ein Kind, und die wollten mich alle nicht so vor diese fürchterliche Tatsache stellen, was da eigentlich wirklich geschieht. Und ich hab also erst nach dem Krieg erfahren, wie es wohl gewesen ist.... Autor: Das hat mir die Musikpädagogin Ursula Heuss-Wolff, Schwiegertochter des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss, erzählt, die es als Kind mit ihrer Mutter nach Zagreb verschlagen hatte, auf der Flucht vor der GESTAPO. Ihre Mutter, die linke Kinderpsychologin Annemarie Wolff-Richter, wurde dort Anfang 1945 von der Ustascha verhaftet und nach Jasenovac verschleppt. O-Ton (Heuss-Wolff): Es gab dann Diskussionen, ob es nicht möglich wäre, dass Annemarie aus diesem Jasenovac in ein deutsches Lager käme, nach - bei München, nach ? Dachau. Und ich hatte damals gesagt: Deutschland? Deutschland nur nicht, wieso Deutschland, das ist ja das Grässlichste was es gibt und Schlimmste. Die haben mir gesagt, Ulla, Dachau ist wahrscheinlich noch besser als Jasenovac. Ich hab da eine Schilderung bekommen ? so im März ´45 ungefähr, nach der Typhus-Epidemie, seien die Frauen drangekommen. Sie kamen am Fluss Save an eine so Art Galgen, und dort hat man einer nach der anderen den Kopf eingeschlagen und ins Wasser geworfen. Und dieser Zeuge berichtet, es seien vielleicht 50 Frauen gewesen, sie hätten gesungen. Sie hätten gesungen, gesungen, gesungen. Und die Stimmen wurden immer weniger. Und es waren dann noch zehn Stimmen, dann waren es noch fünf Stimmen, und dann war es noch eine Stimme. Und dann gab es keine Frau mehr in diesem Lager. Atmo Klagelied Autor: Als die Partisanen näher kamen, wagten die letzten Lagerinsassen einen verzweifelten Aufstand gegen die Ustascha. Sie wussten, dass ihre Peiniger nicht einen einzigen Zeugen übrig zu lassen gedachten. Aus dem Bericht der "Kroatischen Staatskommission zur Ermittlung der Verbrechen der Besatzungsmächte und ihrer Handlanger" von 1946: Zitator: Am 22. April gab es nur noch etwa 1050 Gefangene im Lager Jasenovac 3. Die Ustascha hatte sie alle in einem großen Fabrikgebäude eingesperrt, umstellt von zahlreichen Wächtern, um die Gefangenen an der Flucht zu hindern. Tag und Nacht sprengten die Ustaschas ein Fabrik-Gebäude nach dem anderen, eine Werkstatt nach der anderen, ein Lagerhaus nach dem anderen. Die im großen Fabrikgebäude eingesperrten Gefangenen wussten, dass ihnen der Tod sicher war, sie errieten, dass die Ustascha das Gebäude in Flammen setzen und sie so alle töten würde. Sie beschlossen deshalb, am nächsten Tag auszubrechen und unbewaffnet um ihr Leben zu kämpfen. Sie ernannten Ante Bakonic zu ihrem Führer. Jeder Gefangene ergriff irgendein Objekt von einer Tür oder einer Mauer, und exakt um 10 Uhr morgens brachen sie alle Türen und Fenster auf und flohen aus dem Gebäude. 460 Gefangene gaben im letzten Moment auf, zu krank, zu alt oder zu schwach um zu kämpfen. Die 600 anderen, die noch genug Mut besaßen, obwohl körperlich schwach und ausgezehrt von ihren Leiden im Lager, nahmen ihre letzten Kräfte zusammen und attackierten die Ustascha-Wächter, erwürgten einige von ihnen und ergriffen ihre Gewehre. Andere Gefangene erschlugen die Ustaschas mit Eisenstangen oder Ziegelsteinen, rannten zum östlichen Lagertor. Ungefähr 80 Gefangenen gelang die Flucht durch das Tor, und sie rannten in die Freiheit, in den nahegelegenen Wald. 520 Häftlinge fielen im Kampf. Die im Lager verbliebenen 460 Gefangenen wurden umgebracht. Autor: Der Tag des Aufstandes, der 22. April, ist offizieller Jasenovac-Gedenktag, in Kroatien, in Serbien und in Bosnien-Herzegowina, zelebriert wird der Gedenktag jeweils am ersten Sonntag danach. In den Gedenkstätten an beiden Ufern der Save wird heute getrennt getrauert. Der kroatische Staatspräsident Mesic redet am einen, der serbische Ministerpräsident Svetkovic am anderen Ufer der Save, in Donja Gradina. Hierhin ist auch ein Vertreter der Roma-Weltunion gekommen, Dragoljub Ackovic und der Rabbiner ... . aus Belgrad. O-Ton (Rabbi, Kaddisch) Autor: Ein Kaddisch, das Totengebet für die jüdischen Opfer der Vernichtungslager. Für die orthodoxen Toten singt ein Chor aus Banja Luka. Atmo (Parastos Pjevanje Chora) Autor: Die Rede des serbischen Präsidenten Mirko Zvetkovic ist versöhnlich, zwischen Belgrad und Zagreb ist Jasenovac, wenigstens auf der Ebene der hohen Politik, kein Streitobjekt mehr. Aber in Kroatien ist der Kampf um die Erinnerung noch in vollem Gange, es ist ein Kampf zwischen rechts und links. Musik Jasenovac-Lied Autor: Auf der rechten singen sie gerne diese Hommage an Jasenovac und seinen Kommandanten Luburic. In der die Mutter Gottes gebeten wird, Stipe Mesic zu sich zu nehmen und den verstorbenen Franjo Tudjman zurückzubringen. Das Ganze mit vulgärsten Beschimpfungen garniert. Solche Lieder, beklagt Mesic, werden nicht nur von betrunkenen Kaschemmen-Besuchern gesungen. Und das ist nicht alles. Der Kandidat der rechtsnationalistischen HDZ für die Nachfolge von Präsident Stipe Mesic, Andrija Hebrang, ist vor ein paar Wochen mit Äußerungen über Luburic an die Öffentlichkeit gegangen, in denen er den "Metzger von Jasenovac" als guten Kroaten bezeichnete. Zitator: Luburic kämpfte für die kroatischen Interessen. Mit den falschen Methoden, aber: er sah seine Vision von Kroatien und für ihn war das der einzig richtige Weg. Autor: Diese Ungeheuerlichkeit beherrschte die Schlagzeilen in Zagreb tagelang. Politisch den Garaus gemacht hat sie Andrija Hebrang allerdings nicht. Jasenovac als Wahlkampfthema? Staatspräsident Mesic, dessen zweite Amtszeit im Dezember zuende geht? O-Ton (Mesic) Übersetzer: Nein, zur Zeit ist das kein Wahlkampfthema, aber das war es kürzlich, es wurde ziemlich viel darüber gesprochen. Es hat da einige Leute gegeben, die historische Wahrheiten nicht akzeptieren, die Tatsache, dass dort ein Verbrechen aus Hass begangen wurde und ein Verbrechen gegen Menschen, die eines anderen Glaubens, einer anderen Nation, oder einer anderen Rasse waren. Wir müssen die kroatische Öffentlichkeit in diesem Sinne informieren, die Leute darüber aufklären, was der Holocaust, was diese Verbrechen waren. Wir müssen ganz klar stellen, dass der Nazi-Faschismus ein Verbrechen war, sowohl als Idee als auch in der Umsetzung in die Tat. Der Kommunismus hat die politische Bühne für immer verlassen. Der Faschismus dagegen, diese Gefahr besteht noch, er kann wieder auferstehen, und aus diesem Grund müssen wir alle Versuche einer Erneuerung des Ustaschismus stoppen, denn der Ustaschismus ist nur eine Variante des Faschismus. Es wäre also gut, wenn dieses Gelände dazu diente, der jungen Generation zu vermitteln, was dort wirklich geschehen ist. Wenn die neue Generation das nicht versteht, dann bleibt die Gefahr, dass sich diese Verbrechen wiederholen. Atmo Absage Zweierlei Erinnerung Jasenovac ? Das kroatische Auschwitz Ein Feature von Eberhard Rondholz Es sprachen: Josef Tratnik, Jochen Langner und der Autor Ton und Technik: Eva Pöpplein und Petra Pelloth Regie: Axel Scheibchen Redaktion: Hermann Theißen Deutschlandfunk 2009 25