COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. DeutschlandRadio Kultur ? NachSpiel: Freizeitskipper und Fanatiker ? Segelgeschichten aus Schleswig-Holstein Autor: Jasper Barenberg Redaktion: Johannes Ostermann Sendedatum: 15.7.2007 Manuskript: Atmo: Wind im Segelhafen: Pfeifen, Schlagen, knarzen O-Ton 1 Peter Bedei: (9?) ?Segeln ist die Kunst, nass und krank zu werden und mit hohen Ausgaben irgendwo hinzutreiben...(lacht).? Wer einen richtigen Seebären für ein Postkartenmotiv suchte ? Peter Bedei wäre eine gute Wahl: Sonne, Wind und Meerwasser haben über Jahrzehnte ihre Spuren hinterlassen. Braun gegerbt ist das Gesicht des 68-jährigen und eingerahmt von einem sil- brig schimmernden Vollbart. O-Ton 2 Peter Bedei: (30?) ?Segeln ist wohl `ne Krankheit, denke ich. Wer da einmal von erfasst wird, nicht wahr, der kommt da nicht wieder von los und friert sich draußen die Ohren ab; zerreist seine Hundert- markscheine und schmeißt sie über Bord; hat keinen Wind und segelt trotzdem ? oder hat zuviel Wind, dann liegt er im Ha- fen...also...an und für sich, manchmal sagt man sich: so viele Vorteile hat das eigentlich gar nicht, ja, aber trotzdem wird?s gemacht, und zwar, wie man sieht, von sehr sehr vielen Menschen.? Atmo: Wind im Segelhafen: Pfeifen, Schlagen, knarzen Peter Bedei hat seinen weißen LkW in Kiel-Schilksee geparkt, dem Olympia-Hafen von 1972. Wie immer steht er an seinem Stammplatz auf dem Hafenvorfeld. Nach rechts schaut er auf ein kurzes Stück Strand, nach links auf die Bootsstege und das undurchdringliche Gewirr hunderter Segelmasten. Niemand darf seinen Laster im Hafen parken. Bei Peter Bedei aber machen sie eine Ausnahme. Schließlich gehört er hier zum Inventar, war neun Jahre lang Bundestrainer der Tornado-Segler. Der Tornado ist ein sehr schnelles Zweirumpfboot. Vor gut dreißig Jahren war Peter Bedei in Kiel der erste, der sich damit hinaus auf die Förde wagte. O-Ton 3 Peter Bedei: (32?) ?Damals waren die bayerischen Tornados, die vom Chiemsee und vom Starnberger See und die Berliner vom Wannsee ? das waren die besten Tornado-Segler damals. Die sind uns Norddeutschen nur so um die Ohren gefahren. Jahrelang! Und wir Kieler hier ? wir waren inzwischen drei Tornado-Segler ? wir haben immer die Stadtteilmeisterschaften von Schilksee ausgesegelt, nicht... (lacht)... Wenn wir reinkamen von der Bahn draußen, nicht wahr, denn kamen die schon geduscht aus den Räumen hier raus!? An die Spitze hat es Peter Bedei selber nie geschafft. In der Zeit als Bundestrainer aber wurden seine Schützlinge vier Mal Weltmeister und acht Mal Europameister. Roland Gäbler gewann mit dem Tornado Bronze bei den Olympischen Spielen von Sydney. Bis heute kennt Bedei jeden Leistungssegler in Kiel. Und die Segler kennen Bedei. Was auch mit seinem weißen Laster zu tun hat. Bei Regatten ist er nach wie vor ein Treffpunkt für ?die Jungs?, wie Bedei sie nennt. Zumal während der Kieler Woche. O-Ton 4 Peter Bedei: (6?) ?Wenn sie sich mal ein bisschen wohl fühlen wollen oder sich mal auskotzen wollen, nicht wahr, denn kommen sie zu mir nach wie vor...? Auf der rechten Seite hat der Laster eine Tür. Ringsum hat Bedei ein paar Fenster in die Verkleidung aus Aluminium geschnitten und das Gefährt ausgebaut, bis es innen so aussah wie die Kajüte eines Schiffs. Davor stellt er im Sommer einen Tisch auf, einen Sonnenschirm und Stühle. Egal, wo in Europa gesegelt wurde, in seiner Zeit als Trainer hat Peter Bedei seinen Laster nach Spanien gesteuert, nach Portugal und nach Griechenland. O-Ton 5 Peter Bedei: (14?) ?Denn war das immer unsere Heimat, nicht wahr. Denn konnte draußen sein, was ist: wir hatten immer ein Stück Heimat dabei und das hat uns gut gefallen...ne richtig gute Gang waren wir. Und haben auch richtig gut Erfolg gehabt in den neun Jahren.? Heute genießt Bedei die Tage seines Ruhestands ? froh, dass der Stress früherer Jahre vorbei ist. Seinen Stammplatz auf dem Hafenvorfeld aber mag er nicht missen. O-Ton 6 Peter Bedei: (18?) ?Ich bin also so ein Ostseemensch, ich fühle mich hier an der Ostsee so was von wohl, dass ich gar nicht am Mittelmeer wohnen möchte oder in Australien. Ich bin also hier oben richtig ?Scholle gebunden?, wie man so schön sagt. Und fühle mich hier oben bei uns an der Ostsee doch immer am wohlsten.? Atmo: Feuerzeug Peter Bedei zündet sich eine weitere Pfeife an ? ein ständiger Begleiter seit vierzig Jahren. Seinen eigenen Tornado hat der 68-jährige schon vor Jahren seinem Sohn überlassen. Die Zei- ten, in denen er selbst über das Wasser jagte, sind lange vor- bei. Die Leidenschaft für den Segelsport aber, die hat er sich bewahrt ? auch wenn er den Leistungssport heute anders beur- teilt als früher. O-Ton 7 Peter Bedei: (46?) ?Wenn man Leistungssegler ist, nicht wahr, gut, dann geht natürlich so ein bisschen das feeling für Wind, Welle und Wasser, für die Natur...tritt dann so ein bisschen in den Hintergrund. Dann haben sie nur noch die Punkte vor Augen und nageln da durch die Gegend. Aber das echte Segeln, die Dickschiffsegler, die Binnenseesegler und so, die machen das sehr viel, um die Ruhe auf dem Wasser zu genießen, um die Natur zu genießen. Es dauert keine Stunde, wenn man alleine auf dem Wasser ist: dann fällt alles von einem ab. Man kon- zentriert sich nur noch auf sich, auf sein Schiff und auf das Wetter, das rund um einen ist.? Atmo: Wind im Segelhafen: Pfeifen, Schlagen, knarzen Unter Text aufblenden und kurz stehen lassen Kreuzblende mit Musik: Shanty Lotsengesangsverein Knurrhahn (24?) ?Von Kiel nach Oslo, do seid eenmol ne Brigg... ... when we get to Kopenhagen we have quite a lot to tell?? Wer glaubt, beim Segeln ginge es gemütlich zu, der liegt falsch. Vor allem beim so genannte fortyniner, einer ursprüng- lich in Australien entwickelten Gleitjolle mit zwei Mann Be- satzung. Mit bis zu 55 Stundenkilometern schießen Profis damit über das Wasser, stehen weit hintenüber gelehnt außerhalb des Bootes, gehalten nur von der Trapezweste, die mit einem Seil am Mast befestigt ist. Eine Böe genügt, um das leichte Boot in Sekundenschnelle umzuwerfen. Keine fünf Meter weit käme der Laie, ohne zu kentern. Der 49er ist eine Rennmaschine: sensibel, kippelig ? ohne Zweifel die spektakulärste unter den olympischen Bootsklassen ? und zugleich ein technisch hochent- wickeltes Sportgerät. Genau diese Kombination macht für Marcus Baur den Reiz aus. O-Ton 8 Marcus Baur: (27?) ?Ich finde, dass viele Sportarten sich so ein bisschen, ja: aufgebraucht haben, weil natürlich höhere Leistungen, Weltre- korde sich nur noch mit besseren Doping-Methoden brechen las- sen. Für mich sind eigentlich moderne Sportarten Sportarten, die einen technischen Aspekt haben ? gerade Sportarten, die Natur und Technik in Einklang bringen. Skifahren ist für mich auch so ein Beispiel, vielleicht sogar noch Radfahren ? immer, wo ein technischer Aspekt dabei ist, ein natürlicher Aspekt und natürlich der menschliche Aspekt.? Kaum einer hierzulande beherrscht das anspruchsvolle Boot besser als der Kieler Marcus Baur. Zusammen mit seinem Vor- schoter Max Groy ist der 33jährige Europameister geworden, davor bereits Fünfter bei den Olympischen Spielen von Sydney. Atmo: Arbeit in der Halle im Olympia-Hafen Die beiden Spitzensegler haben sich einen Tag Zeit genommen, um gemeinsam ihr Material zu ordnen. Kisten und Kästen stapeln sich in der Halle des Olympia-Hafens. Die beiden prüfen Masten und Segel, sortieren Seile. Für den umfangreichen Bestand an Ersatzteilen und Werkzeug ist in erster Linie der 22järige Max Groy verantwortlich. Eine wichtige Aufgabe ? kommt es doch in kritischen Situationen darauf an, schnell das Richtige zur Hand zu haben. O-Ton 9 Max Groy: (31?) ?Ich kann mich an eine Situation erinnern, da ist das Trapez- seil vom Mast abgefallen. Das ist eigentlich nur eine ganz kleine Schraube gewesen, die abgefallen ist oben vom Mast im Top. Und wir lagen im Wasser, konnten das Rennen nicht weiter zu Ende segeln. Und dann kam große Hektik auf, dass wir diese Schraube neu brauchen. Dann ist jemand mit dem Motorboot in den Hafen gefahren so schnell es ging, hat diese Schraube neu besorgt. Wir mussten das Boot dann auf dem Wasser kentern. Und dann im Wasser mit dem Schraubenschlüssel oben im Masttop wie- der festmachen. Also, das war schon aufregend.? Den weitaus größten Teil des Jahres sind die beiden Sportler unterwegs, tingeln mit Wohnmobil und großem Anhänger quer durch Europa von Wettkampf zu Wettkampf, von Regatta zu Regatta. Unterstützt werden sie von ihren Vereinen, dem Verband, von Sponsoren und von Freunden. 100 Tausend Euro ver- schlingt jede Saison. Mit Freizeitskippern haben sie nichts gemein. Marcus Baur schmunzelt. O-Ton 10 Marcus Baur: (7?) ?Vielleicht ist das ein bisschen der Unterschied zwischen: ein Kaufhaus managen und: am Wochenende auf den Flohmarkt gehen und ein paar Sachen kaufen.? Segeln als Beruf. Ausdauer- und Krafttraining gehören selbst- verständlich dazu. Die richtige Ernährung. Eine Menge Organi- sation und Logistik sowieso. Von der Pinne bis zum Mast - fast nichts übernehmen die Profis unverändert vom Hersteller, son- dern feilen und werkeln selbst am Material. Wenn einer wie Marcus Baur nebenbei auch noch an der Uni Architektur stu- diert, hat der Arbeitstag schnell 12 Stunden. Und das Woche für Woche, Monat für Monat. O-Ton 11 Marcus Baur: (30?) ?Mit einem technischen Gegenstand, von Menschenhand gefertigt, sich in der Natur zu bewegen und quasi im Mittelpunkt zu stehen, in dieser Schnittstelle, wo man das beides zusammen- bringt und in Harmonie bringt und dann wie so ein Vogel, der dahin gleitet oder wie so ein Delfin, der eine Welle mitnimmt, damit spielt: das ist ein unheimlich schönes Gefühl und das weckt ne Menge Leidenschaft. Und das zu einer immer höheren Perfektion zu treiben, das macht, glaube ich, den Kern der ganzen Sache aus.? Das Café im Olympia-Hafen von Kiel hat Strandkörbe nach draußen auf die Terrasse gestellt. Einen Augenblick Pause. Max Groy verschlingt ein großes Stück Kuchen, lässt den Blick hinaus aufs Wasser schweifen. O-Ton 12 Max Groy: (29?) ?Es hat so viele Aspekte, die schön sind. Es ist ästhetisch... das Boot sieht einfach sehr schön aus, wenn sich das Boot durchs Wasser bewegt. Es ist nicht so wie andere Bootsklassen ? wenn ich es jetzt mit einem Katamaran vergleiche, der ist zwar auch schnell, wenn er geradeaus fährt, aber wenn er dann eine Wende fahren soll, dann bleibt er komplett stehen. Beim 49er ist es ganz anders. Der ist auch in den Manövern schnell. Und der Anspruch an die Segler ist auch sehr groß. Es macht einfach Spaß, sich selber die Aufgabe zu stellen, das Boot zu beherrschen.? Bei aller Begeisterung, bei allem Einsatz: auch Max Groy und Marcus Bauer stellen sich die Frage, wie ein Leben nach dem Hochleistungssport aussehen kann. Max Groy träumt davon, als Pilot Verkehrsflugzeuge zu steuern. Marcus Bauer überlegt, nach dem Studium bei einem von ihm geschätzten Architekten in den USA anzuheuern. Es ist auch eine Frage des richtigen Zeit- punkts. O-Ton 13 Marcus Baur: (15?) ?Es fragt sich ja, wie viel Kurven im Leben kann man kratzen. In den Beruf zu gehen ist schon ein riesen Schritt in eine andere Richtung, da fängt man ja eine neue Karriere an. Und zu alt möchte ich da auch nicht sein. Aber ich bin weit davon entfernt, dem Segeln den Rücken zuzukehren. Das scheint mir eine Geschichte zu sein, die immer attraktiver wird.? Zumal Marcus Baur eine rasante Entwicklung im Bootsbau und neue Bootsklassen vorhersagt, leistungsfähiger noch, auf- regender und spektakulärer als sein 49er. Und wer weiß: vielleicht bietet sich ja doch irgendwann die Möglichkeit, mit der Segelei auch eine Familie zu ernähren. Eines jedenfalls steht fest, erzählen sie: Die Unterstützung durch Sponsoren, Förderer und Freunde sei inzwischen überaus erfreulich. O-Ton 14 Marcus Baur: (5?) ?Wir können diesen Sport besser denn je betreiben. Das macht es natürlich schwer, auszusteigen.? Musik: Shanty Lotsengesangsverein Knurrhahn (24?) Atmo: Ablegen (10?) ?Achter-Leine kann los! Vorleine kann los! ... Moritz ... und hier mit?em dicken Fender hin!...? Skipper Holger Schmidt hat jeden Handgriff seiner Crew genau im Blick. Er sitzt im Heck des Schiffes an dem großen hölzer- nen Steuerrad und manövriert die Segel-Yacht vorsichtig aus dem Hafen. Eine Hand voll Schaulustiger sieht zu, wie sich der Zweimaster langsam von der Anlegestelle entfernt. Die ?Senta? hat am Vortag eine Regatta gewonnen. Jetzt geht es zurück in den Heimathafen nach Kiel. Atmo: Wind, Wellen, Maschine (4?) Kaum hat die ?Senta? die Hafenausfahrt passiert, werden die Segel gesetzt. Holger Schmidt schaltet die Maschine aus. Fünf Segel mit zusammen mehr als 140 Quadratmetern Fläche sorgen ab jetzt dafür, dass das Schiff lautlos über das Wasser gleitet. Atmo: Wind, Wellen (5?) Der ?alten Dame?, wie Holger Schmidt das Schiff liebevoll nennt, ist ihr Alter von 76 Jahren nicht anzusehen. Kein Kratzer auf dem weißen Lärchenholz, aus dem der Rumpf gebaut ist. Haselnussbraun leuchten Holzmasten wie frisch poliert. Gebaut 1928 in der Kieler Werft, ist die ?Senta? seit 1930 im Besitz der Familie. Atmo: Wind, Wellen Atmo: (10?) ?Wer möchte denn hier rudern geh?n?? ?Ich kann?s ja mal probieren.? ?Kannst das?? ?Ich glaub? ja. Ein Auto hab? ich auch schon mal gesteuert.? ?Genau so ähnlich ist das auch.? Atmo: Wind, Wellen darauf: Felix Weitling ist einer der vier Männer, die heute mit zur Crew gehören. Der 27jährige Immobilienkaufmann ist ein er- fahrener Segler, allerdings auf modernen Yachten. Am Steuer eines Traditionsseglers wie der ?Senta? steht er zum ersten Mal. Im Gegensatz zu modernen Yachten, sind bei der ?Senta? mindestens vier Mann erforderlich, um das Schiff zu segeln. Holger Schmidt klettert über eine schmale, rotbraune Holz- treppe unter Deck. Atmo: Unter Deck Die Stiege endet in einem kleinen Flur. Von ihm aus gelangt man zur Linken und zur Rechten in zwei kleine Kabinen, gerade- aus geht es in die sogenannte Messe, gewissermaßen das Wohn- zimmer an Bord. Der Raum ist fast ganz ausgefüllt von einem großen, rechteckigen Tisch. O-Ton 15 Holger Schmidt: (14?) ?Also dieser Raum, das ist ja die Messe, da hat sich seit der Entstehungsgeschichte der Senta nichts verändert. Das Einzige was sich verändert hat, was heute Blumenvase ist, war früher Kerze, weil es keinen elektrischen Strom gab.? Holger Schmidt zwängt sich in die blau gepolsterte Sitzecke und steckt sich eine Zigarette an. Als sein Vater Rolf Ende der 70er Jahre starb, haben Holger Schmidt und seine drei Brüder das Schiff gemeinsam übernommen. Seit dem nutzen die vier Familien das Schiff abwechselnd. O-Ton 16 Holger Schmidt: (25?) ?Wir haben mit Vieren angefangen, nun sind wir nur noch zu Dritt, aber das auch schon seit zehn Jahren. Einer muss den Ton angeben, das macht mein Bruder Friedjoff, der die Organi- sation macht. Und mittlerweile ist es schon Tradition, dass der Bruder Friedjoff Pfingsten segelt, der Bruder Ingolf Him- melfahrt nach Helgoland und ich bin derjenige, der - neben der Ferienfahrt im Sommer ? die Regatten immer segelt.? Noch bis in die 50er Jahre war auch sein Vater auf regulären Wettfahrten dabei. Dann aber war die schon damals ?alte Dame? einfach nicht mehr konkurrenzfähig. So wurde aus der einstigen Rennyacht ein Urlaubsschiff für Familie und Freunde. Jedes Jahr geht es seitdem auf eine Sommerreise, meist nach Skandinavien. Inzwischen aber nimmt die ?Senta? auch wieder an Regatten teil. An sogenannten ?Klassiker-Regatten?. Dabei treten nach einem komplizierten Berechnungssystem Segelyachten älterer Baujahre gegeneinander an. Und bei diesen Rennen kann die ?Senta? meist sehr gut mithalten. O-Ton 17 Holger Schmidt: (27?) ?Ich glaube, das Schiff fährt heute um vieles, vieles schnel- ler, als es jemals gefahren ist. Das sehen wir daran, dass Schiffe ja mittlerweile gegen uns segeln, da war gar nicht dran zu denken, dass wir überhaupt an deren Geschwindigkeit rangekommen sind. Und das ist wirklich durch exzellente Crew- arbeit und eben durch neue Segel. Und wir haben es über die Jahre immer wieder verbessert. Und nun sind wir so, dass wir sagen, mehr kann man eigentlich nun nicht machen.? Das Segeln ist für den Architekten weit mehr als ein Hobby. Es ist eine Leidenschaft. O-Ton 18 Holger Schmidt: (18?) ?In dem Moment, wo man das Schiff betritt, lässt man vieles hinter sich. Die ersten Tage denkt man noch über die Dinge des Geschäfts oder des Büros oder was immer man tut nach. Und das wird von Stunde zu Stunde weniger. Und dann verliert man auch irgendwann das Zeitgefühl. Das ist dann auch alles nicht mehr so wichtig.? Atmo: Wind, Wellen (3?) Zurück an Deck. Nach anderthalb Stunden geht der kurze Törn zu Ende. Schon ist am Ufer die Silhouette Kiels mit den beiden großen, blauen Werftkränen zu erkennen. Atmo: Segel einholen (3?) Die Segel werden eingeholt und die Maschine eingeschaltet Atmo: Maschine an (3?) Kreuzblende mit Atmo: Anlegemanöver (10?) ?Ich würde so den Bogen fahren und dann versuchen wir mal rückwärts da ... da reinzukommen. Kannst dann drehen ja ... noch weiter ... na, passt schon.? Angekommen im Hafen des Kieler Yachtclubs, muss das Schiff an seinen Liegeplatz bugsiert werden - ein Manöver, das dem Rück- wärts-Einparken mit einem Auto sehr ähnlich ist. Atmo: Schiff einparken (12?) ?Vorne ein bisschen fieren noch ... fest, fest!? Felix Weitling ist mit dem Manöver ganz zufrieden... Die nächste Reise der ?Senta? wird schon ihre letzte sein ? aber nur für dieses Jahr. Es geht nach Bremen ins Winterlager. Dort muss die Familie die kommenden Monate nutzen, um das Unterwasserschiff von Algen und Seepocken zu befreien, abzu- schleifen und neu zu lackieren. Damit die ?alte Dame? im näch- sten Jahr wieder frisch in ihre 77. Saison starten kann. Musik: Shanty Lotsengesangsverein Knurrhahn (24?) Ein milder Vormittag in St. Peter-Ording, dem Kurort auf der schleswig-holsteinischen Halbinsel Eiderstedt. Der Yachthafen ist hier nichts anderes als eine Wiese inmitten der Dünen. Sie ist vollgestellt mit Strandseglern ? lauter Gefährte, die aussehen wie ein Go-Kart mit Segel. Der Himmel ist bedeckt und die Fahne auf dem Dach des Yachtclubs fast regungslos. Für Paul Mahrt keine guten Bedingungen, um mit seiner Yacht auf Rädern auf die sandige Piste zu gehen. Einen Versuch ist es ihm trotzdem wert: Atmo: Anschub Der 67-jährige hofft auf stärkeren Wind direkt an der Flut- kante, aber auch dort hat er heue wenig Glück. Traurig ist er deshalb aber nicht. Schließlich ist Strandsegeln in St. Peter vom Frühjahr bis zum Herbst möglich: O-Ton 19 Paul Mahrt: (14?) ?Wir dürfen den ganzen Sommer segeln. Wir haben zwar unser eigenes Revier, da müssen wir erst mal hinkommen, da müssen wir ganz vorsichtig sein, aber dann können wir immer Segeln. Ja, und dann natürlich müssen wir die Tiede uns angucken ? zwei Stunden vor und zwei Stunden nach Niedrigwasser.? Hier an der Nordsee diktiert eben das Meer, wann der fast 12 Kilometer lange Strand für die schnellen Segelyachten frei ist. Deshalb trägt Paul Mahrt immer einen Tiede-Kalender bei sich. Vor 20 Jahren hat er das Strandsegeln zum erstenmal aus- probiert. Seit dem lässt es den Besitzer eines Elektroge- schäfts nicht mehr los: O-Ton 20 Paul Mahrt: (18?) ?Also die Begeisterung ist eigentlich gekommen, weil mein Sohn, der ist schon angefangen zu Segeln. Wenn man selbst in der Yacht sitzt und die Schot betätigt, das Segel stramm zieht und Geschwindigkeit aufholt ? es ist fantastisch! Wenn man spürt, wie wind im Segel ist und wie man dann nach vorne kom- mt, ist das schönste Gefühl, was es gibt.? Der Sport, der schon in den 20er Jahren in Belgien betrieben wurde, erfordert keine besondere Fitness und kennt keine Al- tersbeschränkung. Beim Strandsegeln zählen ganz andere Quali- täten: O-Ton 21 Paul Mahrt: (18?) ?Na, zum Strandsegler wird man, es gibt natürlich gewisse Grundtalente. Hat eigentlich wenig mit Wassersegeln zu tun, aber man wächst hinein. Man ist natürlich nie perfekt; auch wenn man schon viele Jahre segelt, macht man noch Fehler ? das ist ganz klar. Aber dass man den Wind optimal einfängt, das ist das A und O; dass man das Gefühl dafür hat.? Und eine zeitgemäße und gepflegte Yacht gehört natürlich auch dazu. Hier und da steht zwar noch das eine oder andere anti- quierte Stück herum. Aber dann ist der Besitzer nur ein Gele- genheitssegler. Paul Mahrt dagegen ist bei jeder Regatta da- bei. Und muss daher einige Vorgaben einhalten: Exakt drei Meter 80 misst sein Gefährt von Achse zu Achse. Sechs Meter zehn ragt der Mast in die Höhe. Ähnlich wie beim Rodeln muss der Pilot seine Yacht selbst anschieben. Hat er schließlich Wind gefangen, hüpft er in den kanuförmigen Rumpf hinein. Von da an hat er im Umgang mit den Kräften der Natur buchstäblich alle Hände voll zu tun: O-Ton 22 Paul Mahrt: (17?) ?Wir liegen ? wir sitzen nicht, wir liegen! Und unser Kopf ist gerade so, dass wir am Segel (am Baum) vorbeikommen. Die Schot anziehen, das mach ich so gut ich kann mit beiden Händen und habe aber noch zusätzlich eine Vinch und dann brauche ich dann die andere Hand dafür ? man bräuchte noch? ne Hand mehr! (lacht)?. Der Yacht Club St. Peter-Ording ist der älteste Landsegler- Club in Deutschland. Seit über 40 Jahren richtet er Welt- und Europa-Meisterschaften aus ? bislang ist noch nie etwas pas- siert. Das ist wichtig, denn Strandsegler aus aller Herren- ländern kommen gern hierher und loben die einzigartigen Be- dingungen. O-Ton 23 Paul Mahrt: (24?) ?Wir haben hier in St. Peter den besten Segelstrand meines Erachtens von der Welt, weil er gebogen ist ? ist so ?ne Banane ? also muss man entsprechen jonglieren. Und dann sind da Priele, die da quer laufen, da muss man gucken, dass man die gut nimmt. Unser Sand ist sehr fein und weich. Wenn Sie nach Belgien oder Frankreich Fahren ? das ist schon fast kiesartig, es ist viel gröber. Ich muss sagen, unser Strand ist super!? Strandsegeln ist ein reiner Freizeitsport, Profis kennt diese Disziplin noch nicht. Paul Mahrt ist froh, dass nicht Geld und Kommerz in diesem Sport das Sagen haben. Was für ihn zählt ist ausschließlich die Leidenschaft. O-Ton 24 Paul Mahrt: (22?) ?Wenn Sie den Wind von hinten so am Hals kriegen, das ist ein unwahrscheinliches Gefühl! Wenn Regatta gewesen ist, dann ist man körperlich doch schon ganz schön kaputt. Aber wenn man mal nervös gewesen ist und man geht mal raus und kommt man wieder, dann ist man wie umgewandelt. Wie soll ich sagen? Dann ist man wie neu, dann hat man richtig Natur getankt!? Und davon kann das Urgestein aus St. Peter niemals genug be- kommen. Seglerkameraden, die längst ihren Ruhestand genießen, sagen: ?Der Paul, der segelt so gern, als würde morgen die Welt unter gehen?. Atmo: Anschieben Musik: Shanty Lotsengesangsverein Knurrhahn (24?) Atmo: Stimmen durcheinander Segellehrer Olaf Süller hat alle Hände voll zu tun. Für drei Tage sind Viertklässler einer Kieler Grundschule im Segel- zentrum der Universität zu Gast ? ein Schnupperkurs für Pauline, Maximilian, Daniel, Philipp, Charlotte ? ein gutes Dutzend Kinder alles in allem. Was eine Pinne ist und was ein Schwert; wie man erkennt, woher der Wind kommt und wie man in die gewünschte Richtung steuert ? all das hat der 38jährige Pädagoge seinen Schülern schon in einem Seminarraum vermit- telt. Jetzt ist es an der Zeit, die Bande mit passenden Schwimmwesten zu versorgen. Jede ist für den Notfall mit einer Pfeife aus gelbem Kunststoff ausgestattet. Und natürlich wol- len die Kleinen sie gleich ausprobieren. Atmo: Pfeifkonzert Kreuzblende mit O-Ton 25 Olaf Süller: (20?) ?...hier wird nicht gehauen! Ihr seid jetzt drei Tage ein Team ? auch in den Booten nachher zu dritt. Da müsst Ihr zusammen- arbeiten, sonst kippt das Boot ganz schnell um. Also müsst ihr Euch ein bisschen vertragen, ja?...So, guckt mal: So sieht das Boot eigentlich fast fertig aus...? Aus einigen ausgemusterten Jollen und guten Ideen haben die Mitarbeiter des Segelzentrums Boote speziell für Anfänger zusammengebaut. Auf ihnen soll jedes Schulkind die Segelei kennen lernen. Ursprünglich war dieses Projekt Teil der Olympiabewerbung der Stadt. Die ist zwar gescheitert, die Idee aber, der Anspruch lebt weiter. Und wird von Menschen wie Harald Kimmel energisch vorangetrieben. O-Ton 26 Harald Kimmel: (24?) ?In Bayern kann ja jeder Ski laufen ? in Schleswig-Holstein gibt es sogar viele Schüler, die sind noch nie auf einem Boot gewesen! Und das gilt es zu ändern und ich denke dieser An- spruch ist richtig. Sport muss ja irgendwo regionsbezogen sein. Und wenn man feststellt, dass es gerade in Kiel ? sie hieß ja lange Welthauptstadt des Segelns, heute sagt man Kiel sailing city ? viele Menschen gibt und viele Schüler gibt, die überhaupt noch nicht auf einem Boot waren, ist das eigentlich unverständlich.? Der Chef des Segelzentrums hat es nicht bei Sonntagsreden be- lassen, sondern selbst in die Hände gespuckt und mit Schiff- baustudenten und Mitarbeitern einer Werft einen weiteren Bootstyp für das Schulsegel-Projekt entwickelt - das Jugend- segelboot: sehr viel größer als die für zwei bis drei Schüler gedachten Jollen. Gern geht Harald Kimmel mit hinunter zum Hafen, um es Besuchern zu zeigen. O-Ton 27 Harald Kimmel: (19?) ?Ich habe also einen Rumpf gekauft, von einer ganz normalen Serienyacht, aber nur die Unterschale. Wir haben es dann selbst aufgebaut: Sie sehen sehr viel Hohlkörper, so dass es nicht untergehen kann. Es sind Löcher drin, so dass das Wasser ablaufen kann, wenn was reinkommt. Und das ist eben geplant, dass eine Gruppe von zehn, betreut durch einen Skipper, das Segeln erleben kann.? Atmo: Wassern der Jollen Die Viertklässler dagegen sind heute mit den Jollen beschäf- tigt. Zum ersten Mal sollen sie die kleinen Boote alleine auf die Förde hinaussteuern. Ängstliche Gesichter angesichts dieser Aufgabe sucht man vergebens. Keine Überraschung für Segellehrer Olaf Süller, der seit 20 Jahren auch Schüler betreut. O-Ton 28 Olaf Süller: (16?) ?Die meisten Kinder haben da kaum Hemmungen. Es gibt ein paar, die Angst vor dieser Weite haben, vor dieser Alleingelassen- heit auf dem Wasser. Aber das sind wirklich sehr wenige. Das ist einfach wirklich so, dass die da mit mehr Neugier rangehen und die Angst sozusagen im Hintergrund steht.? Atmo: Wasser schlägt an die Bordwand Das gilt auch für Lisa und Marisa. Unbekümmert steuern die beiden Freundinnen ihre Jolle durch den Segelhafen. Das Motor- boot des Segellehrers wissen sie immer in der Nähe. Auch vom einsetzenden Regen lassen sich die beiden ihre gute Laune nicht verderben. Eingepackt in Gummistiefel und Regenzeug kann er ihnen nichts anhaben. Nur die Handhabung der Schoten macht noch Schwierigkeiten. O-Ton 29 Marisa/Lisa: (10?) ?Ich würd`s gut finden, wenn es nur ein kleines Segel gäbe ? nee, wenn das große da hinten dran ist, dann stört das hier nicht so/ Na ja, aber ich würd?s auch so gut finden, dann werden wir nämlich schön schnell!? Mit der Gemütlichkeit ist es in dem Augenblick vorbei, als die beiden die Hafenausfahrt passieren. Atmo: Heftiges Segelflattern, Gekreisch, O-Ton 30 Marisa/Lisa: (32?) ?Also, irgendwie muss ich hier mal das Segel...oh, Mann, irgendwie...hältst Du mal ganz kurz hier fest? ... (lachen)...dann gehört das dahin...? Es dauert eine Weile, bis Lisa und Marisa die Lage wieder in den Griff bekommen. Dann aber schippern sie zunehmend sicherer über die Förde. Nach einer guten Stunde ist der Ausflug für diesen Tag vorbei. Beide hatten zunächst keine rechte Lust auf den Segelkurs, erwarteten langweiligen Unterricht im Klassen- zimmer. Jetzt aber sind sie sich einig, dass es großen Spaß gemacht hat ? im Prinzip jedenfalls. O-Ton 31 Lisa/Marisa: (13?) ?Da segelt man mal ohne Erwachsene, da darf man mal allein machen, was man will./ Bei dem großen Segel bin ich manchmal durch den Tüdel gekommen und nachher war es auch ein bisschen kalt...aber jetzt ist mir ja wieder warm.? Und auch die anderen hatten Abenteuer zu bestehen. Einer ist sogar ins Wasser gefallen. O-Ton 32 Kinder durcheinander: (18?) ?Ich wolle als schnellstes im Boot (sein) und dann bin ich reingefallen/Dann ist das Boot umgekippt ? zur Seite/Ja!/Dann sind sie doch noch letzter geworden. Weil die warten mussten, bis das Schiff wieder aufgebaut worden ist/ Und bis Daniel erst mal aus dem Wasser raus war und so.? Auch Segellehrer Olaf Süller ist zufrieden. Nicht nur, weil er hofft, den Schülern ein Gefühl für Wind und Wellen zu vermit- teln. In seinen Augen bietet das Schulsegeln auch wichtige so- ziale Erfahrungen. O-Ton 33 Olaf Süller: (31?) ?Die müssen daran arbeiten, auf dem Boot zusammen zu arbeiten. Das geht sonst mit dem Segeln sehr schwer. Wenn die sich nicht verstehen und sich nur streiten, sieht man auch, dass dieses Boot meistens zurückhängt und nicht mit den anderen mitfährt. Aber ich provoziere das eigentlich immer ganz gern ein biss- chen, weil die auf dem Boot hinterher eigentlich immer auto- matisch dorthin kommen, dass sie eben sehen: warum sind wir denn so langsam, warum klappt irgendwas nicht. Und dann ver- suchen sie sich zu einigen, sprechen miteinander und können dann auch erleben, wie sie durch diese Zusammenarbeit einen Erfolg erringen.? Und was die Segelei selbst angeht, so ist ein erster Schritt getan. So manchen seiner Schützlinge hat Olaf Süller später beim Training im Verein wiedergesehen. Zu seiner großen Freude. O-Ton 34 Olaf Süller: ?Wir zeigen ihnen, was man auf dem Wasser alles machen kann. Und dann müssen sie natürlich selbst entscheiden, ob sie dabei so viel Ehrgeiz oder auch nur Spaß entwickeln, dass sie eben auf dem Wasser bis ins hohe Alter bleiben.? Musik: La Mer (Instrumental) W. Brümmerstedt, Spachmann, Kretzschmar Lotsengesangsverein Knurrhahn: Shanties & Seasongs nord ton NT 20522/ LC 01248 ++++ 14