Zeitfragen 20. April 2017 Damit Bio eine Zukunft hat Forschung für mehr Ökolandbau Von Stephanie Eichler Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Erzählerin: Noch hat Jörg Juister Zeit. Doch das kann sich schnell ändern. Der Biobauer muss das Feld pflügen und den Sommerweizen säen. Deshalb prüft er: Ist die Erde jetzt im März schon warm und trocken genug? O-Ton 1 Jörg Juister (mit Atmo Spatenstiche): Und dazu mache ich jetzt mal einen Spateneinstich, um mir das ganze anzugucken. Erzählerin: Wenn der Landwirt zu früh mit dem Pflug über den Acker fährt, verdichtet sich der Boden. Die Pflanzen brauchen aber einen lockeren Untergrund. Ein trockeneres Feld trägt den schweren Traktor besser. Doch bald wird es zu trocken sein und somit für die Aussaat zu spät. O-Ton 2 Jörg Juister (mit Atmo Kraniche fliegen vorbei, etwas Wind): Jetzt guckt man einfach mal, wie sich das Material anfühlt, man bricht es mit der Hand, versucht die Erde, versucht sie, über die Hand zu streichen. Versucht, so wie mit Knete, ne Wurst daraus zu formen. Solange ich das noch gut hinbekomme, ist das ein Indikator, dass der Boden eigentlich noch zu feucht ist. Erzählerin: Für den Ökolandbau ist es von elementarer Notwendigkeit, die Felder oftmals zu kontrollieren und die richtigen Zeitpunkte abzupassen. O-Ton 3 Jörg Juister (im Auto): Es klingt immer so schön: Die Feldrundfahrt. Ich mache immer ganz viele Feldrundfahrten. Einfach um immer am Ball zu bleiben und um jederzeit zu wissen, was gerade brennt und was noch im grünen Bereich ist. Erzählerin: Jörg Juister ist Betriebsleiter auf dem Gut Wilmersdorf. Die vielen Äcker - das Gut ist 1100 Hektar groß - liegen weit verstreut in der Uckermarck, nördliches Brandenburg. Der Landwirt baut hier Weizen, Gerste, Roggen, Hafer, Dinkel, Lupinen, Klee und Gewürze an. Er stoppt sein Auto, steigt aus und läuft einen flachen Hügel empor. Erzählerin: Der 35-Jährige hat Agrarwissenschaft studiert und zuvor eine Lehre als Landwirt absolviert. Das erste Jahr auf einem konventionell wirtschaftenden Hof, das zweite auf einem Öko-Gut. Damals legte er sich fest: Er wollte Öko-Landwirt werden und auf den Einsatz von chemisch-synthetischen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln verzichten: O-Ton 4 Jörg Juister: Das haben wir alles nicht. Und das macht es für mich spannender. Das heisst, ich muss mir noch mehr Gedanken machen, vorher, wie kriege ich sozusagen ideale Wachstumsbedingungen für die Pflanzen hin. Nehme dann natürlich auch etwas weniger Ertrag in Kauf. Erzählerin: Im Schnitt erzielen konventionell wirtschaftende Bauern 20 bis 30% mehr Ertrag. Ein entscheidender Vorteil. Allerdings verursacht die konventionelle Landwirtschaft enorme Umweltprobleme. Eines: Nitratbelastetes Grundwasser. Hauptursache: Der Gebrauch von zu viel Stickstoffdünger, zu viel Gülle, zu viel Mist. Doch auch Öko-Äcker können mehr Stickstoff enthalten als die Pflanzen aufnehmen, Reste als Nitrat ausgewaschen werden. Doch weil Ökobauern sehr viel weniger Gülle und Mist auf den Feldern ausbringen, bleibt das Grundwasser in der Regel sauber. Darüberhinaus schont der Ökolandbau den Boden und fördert die Artenvielfalt. Er trägt damit nachweislich dazu bei, dass auch die kommenden Generationen die gleichen Ressourcen zur Verfügung haben werden wie wir. Kritiker jedoch sagen, dass eine steigende Weltbevölkerung mit den Öko- Erträgen nicht zu ernähren sei. Erzählerin: Seit fünfzehn Jahren ist die Stärkung des Biolandbaus ein Ziel der Bundesregierung. Damals setzte Renate Künast als Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die Agrarwende durch. Ein Paket von Reformen mit dem zentralen Ziel: Die Stärkung des ökologischen Landbaus. Dieses Ziel ist seitdem in einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie verankert. Die einstige Ministerin versprach, den Anteil des Biolandbaus an der landwirtschaftlich genutzten Fläche auf 20 Prozent zu erhöhen - bis 2010. Doch noch heute beträgt der Flächenanteil nur sechs Prozent. Konkrete Maßnahmen zur Ankurbelung des Ökolandbaus liefert nun eine weitere Strategie: Die Zukunftsstrategie ökologischer Landbau, initiiert vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Ein zentraler Punkt dabei: Mehr Forschung mit dem Ziel, die Bio-Erträge zu steigern: O-Ton 5 Ralf Bloch: In unseren Forschungsprojekten betrachten wir diese Problematik vor allem vor dem Hintergrund des Klimawandels. Erzählerin: Sagt Ralf Bloch, Wissenschaftler am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung in Müncheberg. O-Ton 6 Ralf Bloch: Weil wir wissen, dass jetzt schon die Ertragsstabilisierung im Ökolandbau eine große Herausforderung ist. Und angesichts des Klimawandels könnte diese Herausforderung noch um einiges größer werden. Erzählerin: Erträge steigern heisst erstmal: Erträge stabilisieren. Denn es sind zu einem großen Anteil die Ernteeinbußen in manchen Jahren, die zu den geringeren Erträgen im Ökolandbau führen. Will ein Landwirt höhere Erträge einfahren, muss er diese Schwankungen ausgleichen. Der Ökolandbau ist von Temperatur und Niederschlag deutlich abhängiger als die konventionelle Landwirtschaft. Denn die Witterung ist dafür ausschlaggebend, ob den Pflanzen ausreichend Stickstoff zur Verfügung steht. Erzählerin: Vereinfacht gilt: Je mehr Stickstoff, desto höher die Erträge. Herkömmlich wirtschaftende Bauern stellen Stickstoff hauptsächlich über Mineraldünger bereit. Der Vorteil: Konventionelle Landwirte können recht flexibel reagieren. Sie tragen immer dann Stickstoff auf, wenn die Pflanze das Nährmittel gerade braucht. Biobauern hingegen müssen sich langfristig um die Stickstoffversorgung im Boden kümmern.Damit die Biopflanze optimal wächst, muss die Bodenbewirtschaftung stimmen: O-Ton 7 Ralf Bloch: Vielleicht können wir das mal aufmalen: Also das ganz Entscheidende ist, ist im Ökolandbau, dass wir erstmal Stickstoff in das System bekommen. Das machen wir über die Fruchtfolge, indem wir beispielsweise zwei Jahre Kleegras anbauen oder Luzerne- Kleegras, ja? Dann eben den Winterweizen beispielsweise. Erzählerin: In der Luft ist reichlich Stickstoff vorhanden. Doch die Pflanzen können ihn erst nach mehreren Umwandlungsprozessen nutzen. Dafür zentral ist der Anbau von Leguminosen: Das sind zum Beispiel Erbsen, Bohnen, Lupinen oder eben Kleegras. Der Klee geht mit den im Boden lebenden Knöllchenbakterien eine Symbiose ein. Dabei entsteht Stickstoff in Form von pflanzlicher Biomasse. Der Bauer pflügt den Klee unter und reichert somit den Boden mit dem "pflanzlichen" Stickstoff an. Nun kommen erneut Bodenorganismen ins Spiel: Sie mineralisieren diesen Stickstoff. Erst nach diesem Prozess nehmen die Pflanzen ihn auf. O-Ton 8 Ralf Bloch. Und da gehts eben schon los: Das ist sehr stark witterungsabhängig. Haben wir sehr trockene Bedingungen, dann haben wir eingeschränkte Mineralisationsprozesse im Boden und dann kriegt der Weizen nicht den Stickstoff, den er bräuchte obwohl er durch die Vorfrucht zur Verfügung steht. Erzählerin: Auch der Ökolandwirt Jörg Juister macht die Erfahrung, dass sich die klimatischen Rahmenbedingungen verändern. O-Ton 9 Jörg Juister: Wir haben eine längere Vegetationsperiode. Das heisst, wir können in der Regel im Frühjahr früher anfangen, weil es einfach wärmer ist. Und die Pflanzen wachsen im Herbst länger. Das ist grundsätzlich ein positiver Effekt, nur das Problem ist, dass uns entsprechend das Wasser fehlt. Erzählerin: In der Uckermark beträgt der jährliche Niederschlag rund 550 mm. Beinahe so wenig wie im Südosten Spaniens. In Südbayern regnet und schneit es hingegen fast viermal soviel. O-Ton 10 Jörg Juister: Wenn das Frühjahr noch früher anfängt und die Pflanzen sich schon relativ früh gut entwickeln. Und dann voll in diese Frühsommertrockenheit reinkommen (Stimme oben) ... Erzählerin: ...dann steht die Ernte auf dem Spiel. Erzählerin: Das Gut Wilmersdorf ist ein fortschrittlicher Betrieb: Jörg Juister und seinen Kollegen gelingt es zunehmend, recht stabile Erträge einzufahren. Sie profitieren von der Begleitforschung für die Landwirtschaft. Agrarwissenschaftler um Ralf Bloch untersuchten auf dem Hof, wie sich gute Erträge erzielen lassen, wenn der Landwirt die Aussaattermine verschiebt. Ihre Forschungsergebnisse und Daten aus anderen Projekten dienten dazu, ein Computerprogramm zu entwickeln, das den Landwirten erlaubt, ihre langjährige Planung durchzuspielen. O-Ton 11 Ralf Bloch (mit Atmo Computertastatur): Dann fangen wir mal an, eine Fruchtfolge zu planen. Geben hier mal Kleegras ein. Dann bauen wir Winterweizen an. Dann bauen wir mal als nächstes einen Winterroggen hinterher und dann am Ende noch mal einen Hafer. Und das Modell wird uns jetzt diese Fruchtfolge einfach mal bewerten. Das dauert eine Weile. Erzählerin: Dieser "Fruchtfolgeplaner" liefert den Bauern Handlungsempfehlungen, genau abgestimmt auf den Standort des jeweiligen Hofs. Allgemein gilt: Wenn der Landwirt mehr Vielfalt auf seinen Feldern schafft, kann er seine Erträge stabilisieren. Denn somit streut er seine Risiken. Im Einzelnen schlägt das Programm beispielsweise vor, noch mehr Leguminosen anzubauen, um dem Boden größere Mengen Stickstoff zuzuführen. Oder die Aussaattermine zu verschieben, damit die Pflanzen gut durch typische Trockenperioden kommen. Erzählerin: Die Hälfte seiner Arbeitszeit verbringt der Biobauer Jörg Juister am Computer. Das Büro ist im Gutshaus untergebracht, ein langgestreckter Fachwerkbau aus dem Jahre 1690. Während vier festangestellte Mitarbeiter auf den Feldern arbeiten, kümmern sie sich hier im Büro, auch zu viert, um Buchhaltung, Marketing und Controlling. O-Ton 13a Jörg Juister: Jetzt öffnen wir mal den Schlag Lauseberg. Das ist eine Ackerfläche, die wir haben. Erzählerin: Ein Mausklick und auf dem Monitor leuchtet rot die Umrandung der Ackerfläche auf: O-Ton 13b Jörg Juister: Hier hat man jetzt die GPS-Koordinaten der Teilflächen. Also eine Nord-Süd-Koordinate und eine West-Ost-Koordinate. Das sind jeweils die einzelnen Punkte der Teilflächen. Erzählerin: Boden ist nicht gleich Boden. Der Nährstoffgehalt oder das Vermögen, Wasser zu speichern wechseln mitunter von Acker zu Acker. Damit die Pflanzen optimal gedeihen, braucht jede Fläche eine andere, präzise Dosis an Nährstoffen oder Kalk. Präzisionslandwirtschaft - precision farming - trägt wesentlich dazu bei, im Ökolandbau Erträge zu steigern. Damit der Landwirt weiß, wieviel Dünger die jeweiligen Flächen brauchen, ermittelt er zunächst die Bodenart: Ist der Boden locker oder fest? Dazu misst er, wie gut die Äcker elektrischen Strom leiten. O-Ton 14 Jörg Juister: Die Teilflächen sind das Ergebnis der Leitfähigkeitsmessung. Das ist hier auch ein Layer, den kann ich auch aktivieren. Nach einem bestimmten Raster wurden die Flächen abgefahren mit einem Messgerät zur Bestimmung der Leitfähigkeit. Erzählerin: Benachbarte Felder, auf denen das Gerät die gleiche Leitfähigkeit anzeigt, fasst das Computerprogramm zu einer Fläche zusammen. Wenn zwei Äcker, die nebeneinanderliegen, nicht im gleichen Maß leiten, grenzt das Programm die Flächen voneinander ab: O-Ton 15 Jörg Juister: Und dann geht man eben als nächstes her und über diese Leitfähigkeitskarte händisch zeichnet man dann eben Teilflächen ein. So. Und dann habe ich eben mit diesem Schritt Bereiche im Acker zusammengefasst mit ähnlichen Bodeneigenschaften. Erzählerin: Ist die Bodenart ermittelt, nimmt der Landwirt aus allen Teilflächen Bodenproben, um so den durchschnittlichen Nährstoff- und Ph-Gehalt der jeweiligen Teilfläche zu bestimmen. O-Ton 16 Jörg Juister: Die Bodenart ist sandiger Lehm. Und dann gehts halt los mit den ganzen Informationen. Ph-WErt, Ph-Wert Klasse. Das heisst wieviel Kalk ich geben müsste. Erzählerin: Der Kalk reguliert den Ph-Wert, um den Nährstoffaustausch zu optimieren. Jetzt im Frühjahr kommt der Kalk auf die Felder. O-Ton 17 Jörg Juister: Und es ist dann so, dass der Trecker übers Feld gefahren wird. Und er dann eben ganz von alleine über den Düngerstreuer regelt, wieviel Dünger hinten raus kann. Beim Kalk ist es teilweise so, dass wir in einer Teilfläche nichts kalken müssen und in einer Nachbarteilfläche mehrere Tonnen. Erzählerin: Agrarforscher vom Leibnitzinstitut begleiten auf Gut Wilmersdorf die Umstellung der großflächigen auf eine teilflächenspezifische Behandlung. Schon jetzt stehen die Vorteile fest: Der Landwirt bewirkt eine optimale Versorgung des Bodens: Er bringt exakt soviel Kalk, Kalium und Phosphor aus, wie für eine bestmögliche Bodenstruktur und Düngung nötig ist. All das sorgt für höhere Erträge. Trotzdem: Konventionell wirtschaftende Bauern werden bis auf Weiteres die größeren Ernten einfahren. Erzählerin: Ein wichtiger Punkt in der neuen politischen Strategie zur Stärkung des Ökolandbaus ist auch die Erforschung neuer Pflanzensorten und -arten. Bisher müssen sich Ökobauern oft mit konventionellem Saatgut begnügen. Doch sie brauchen Pflanzen extra für den Biolandbau. Also beispielsweise Getreide, das gut durch Trockenperioden kommt und die Nährstoffe aus dem Boden optimal aufnehmen kann. Erzählerin: Einen weiteren Fokus richten die Experten der Zukunftsstrategie auf eine "alternative Bekämpfung pilzlicher Krankheitserreger". Bisher spritzen Ökobauern und - winzer lösliches Kupfer auf die Felder, um ihre Reben, Äpfel und Kartoffeln gegen falschen Mehltau zu schützen - eine in Europa gefürchtete Pilzkrankheit. Doch die Kupferrückstände mindern die Bodenqualität, wie Wissenschaftler zeigten. Ein plötzlicher Verzicht auf das Schwermetall würde jedoch für viele Ökobauern zu hohen Ernteverlusten führen. O-Ton 18 Stefan Kühne: Die Europäische Union erlaubt Kupferanwendungen bis zum Jahr 2018 unter der Auflage, dass die Länder Minimierungs- und Ersatzprogramme machen, um Kupfer zu reduzieren. Erzählerin: Stefan Kühne ist am Julius-Kühn Institut tätig, der Bundesforschungseinrichtung für Kulturpflanzen in Berlin. Er sucht nach Alternativen zum Kupfer. Am Wochenende hält sich der Wissenschaftler gern im eigenen Gärtchen auf. Hier setzt er allein auf einen gesunden Boden. Auf Spritzmittel verzichtet er ganz. Allerdings muss die Ernte auch nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts beitragen. O-Ton 19 Stefan Kühne: Das hier ist ein Salat, das ist ein Apfelbaum. Oder hier die drei Erdbeerpflanzen, die stehen hier unter der Pflaume. Das soll hier so natürlich wachsen und macht mir so ein bisschen Freude. Erzählerin: Lösliches Kupfer ist Gift für Regenwürmer und andere Bodenorganismen. Fehlen die Tierchen, ist der Boden weniger ertragreich. Unsere Ernährung hängt also entscheidend von einem guten Regenwurmbestand ab. Deshalb sind die Kupferpräparate nicht nur schlecht für die Würmer, sondern auch für uns. O-Ton 20 Stefan Kühne: Die nächsten 100 Jahre werden wir Kupfer auf keinen Fall anwenden können. Was feststeht: Wir müssen davon weg. Wir müssen das reduzieren und wir müssen Ersatzpräparate finden. Erzählerin: In den letzten Jahrzehnten haben die Bauern längst nicht mehr soviel Kupfer verwendet wie einst. Die deutschen Bio-Verbände haben die in der EU zugelassene Kupfermenge noch weiter reduziert: In der EU-Öko-Verordnung beträgt die festgelegte Höchstmenge an Reinkupfer sechs Kilogramm pro Hektar und Jahr. Doch nach den Richtlinien in Deutschland dürfen Landwirte und Winzer nur drei Kilogramm Kupfer auf die Felder spritzen. Im vergangenen Sommer, in dem es in vielen Regionen Deutschlands häufig regnete, beklagten die Ökobauern große Ernteausfälle. Sie hätten viel mehr lösliches Kupfer spritzen müssen, um größere Teile der Ernte zu retten. Biobauern können nicht wie ihre konventionell wirtschaftenden Kollegen auf synthetische Spritzmittel ausweichen. Insgesamt haben Forscher bereits rund 80 Ersatzpräparate entwickelt, doch ob eines davon jemals zugelassenen wird, ist ungewiss: O-Ton 21 Stefan Kühne: Zulassung eines Pflanzenschutzmittels ist sehr teuer. Wir rechnen so mit 200 Millionen Euro für ein neues Pflanzenschutzmittel. Das kann sogar noch mehr sein. Weil natürlich alles abgetestet werden muss, wie sich dieses neue Präparat in der Umwelt verhält. Erzählerin: Damit Bio-Winzer und Ökobauern weiterhin von ihrer Arbeit leben können, heisst das Motto: Die Kupfermengen noch mehr reduzieren. Deshalb entwickeln Wissenschaftler Kupferpräparate, die der Regen nicht so leicht auswaschen kann. Der Wirkstoff muss deshalb seltener aufgetragen werden. Ausserdem können die Bauern online Prognosemodelle nutzen, die aufgrund der Witterung den Spritzstart berechnen. Erzählerin: Eine neue Forschungsmethode schickt sich an, die Züchtung resistenter Pflanzen zu revolutionieren. Das Verfahren ist unter den Schlagwörtern Genome Editing und CRISPR- CAS bekannt. Stefan Kühne. O-Ton 22 Stefan Kühne: Wir haben in unseren Genpools haben wir Pflanzen, die solche Resistenzen haben. Heute können wir sogar sagen, wo das Resistenzgen im Genabschnitt liegt und das sogar ausschneiden. Und in eine andere - wenn es sich um Apfelsorten handelt, von einer Apfelsorte in die andere Apfelsorte transportieren. Erzählerin: Die Europäische Union diskutiert derzeit, ob die Methode als Gentechnik zu bezeichnen ist. In vielen EU-Mitgliedsstaaten wäre dann der Anbau von Apfel- oder Weinsorten, die über CRISPR verändert wurden, verboten. Auch in Deutschland. Zur Zeit lehnt insbesondere der Ökolandbau den Einsatz von CRISPR-CAS in der Pflanzenzüchtung ab, sagt der Wissenschaftler vom Julius-Kühn-Institut. O-Ton 23 Stefan Kühne: Ich hoffe, das ändert sich in Zukunft noch, dass man nochmal darüber nachdenkt. Weil die Möglichkeiten, die sich dadurch bieten also enorm sind. Ich glaube, dass in Zukunft die gesamte Züchtungsforschung auf diese Techniken hauptsächlich zugreifen wird, weil sie sehr exakt sind. Und eigentlich auch nur etwas modellieren und verschnellern, was in der Natur auch passieren könnte. Erzählerin: In einer repräsentativen Umfrage, die die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC in Auftrag gegeben und zusammen mit der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie durchgeführt hat, nennen die Deutschen als wichtigsten Grund für den Kauf von Biofleisch, -milch und -eiern: Die Produkte stammen aus tierfreundlichen Haltungsformen. Doch um das Tierwohl ist es auch auf Biohöfen oft nicht gut bestellt. Wissenschaftler wollen das ändern. Erzählerin: Eine Kuh, schwarz-weiss gefleckt, ihre Hörner könnten bedrohlich werden. In einem Abstand von zwei Metern zum Tier: Solveig March in einem Overall für den Stall. Die Forscherin vom Thünen-Institut für ökologischen Landbau in Westerau, Schleswig Holstein streckt ihren Arm nach vorn aus und nähert sich dem Tier - mit einer vorgeschriebenen Schrittgeschwindigkeit von ungefähr einem Meter pro Sekunde. Die Kuh schaut aufmerksam zu. O-Ton 24 Solveig March: Und zu einem gewissen Zeitpunkt dreht die Kuh den Kopf weg oder macht eine Ausweichbewegung und wir können diesen Abstand von der Hand und dem Maul der Kuh schätzen in Zentimetern und haben damit ein Maß der Ausweichdistanz... und können das eben die ganze Herde durchmachen. Erzählerin: Doch als die ausgestreckte Hand der Forscherin dem Maul der Kuh immer näher kommt, wird es dem Rind plötzlich zu viel. Es wendet sich ab. Die Forscherin hat die Ausweichdistanz ermittelt: Bei dieser Kuh beträgt sie 50 Zentimeter. Ein mittlerer Wert - er bedeutet: Die Kuh fürchtet sich kaum. Erzählerin: Dieser Indikator ist einer von vielen, den Kollegen von Solveig March in einen Leitfaden aufgenommen haben. Dieser soll Landwirten als Werkzeug dienen, um festzustellen, ob es ihren Milchkühen, Aufzuchtkälbern oder Mastrindern gut geht. An der Ausweichdistanz beispielsweise kann der Tierhalter ablesen, ob die Kuh im Alltag oft Furcht gegenüber Menschen empfindet. O-Ton 25 Solveig March: Sie ist häufig mit Menschen zusammen. Der Mensch melkt sie zweimal am Tag. Er holt sie in den Melkstand. Dann dürfte diese Furcht nicht allzu groß sein, damit dieser Umgang reibungslos abläuft. Erzählerin: Das Tier soll sich wohlfühlen. Dieser Anspruch ist Landwirten und Verbrauchern gemein. Doch auch Bio-Viehhalter erreichen ihre selbstgesteckten Ziele oft nicht. Zwar stellen die Tierhalter gemäß der EU-Ökoverordnung Stroh im Liegebereich bereit und sorgen für einen regelmäßigen Weidegang. Somit schaffen sie Voraussetzungen für mehr Tierwohl. Eine Garantie für zufriedene und gesunde Tiere sind diese Standards aber keineswegs: O-Ton 26 Jan Brinkmann: Wir selber haben das in einem Forschungsvorhaben so belegen können oder müssen, ganz wie Sie möchten. Dass Weidegang alleine nicht ausreichend ist, um eine gute Tierwohlsituation sicherzustellen, beziehungsweise vice versa eben auch sehr gute Tierwohlsituationen bei ganzjähriger Stallhaltung erreicht werden können. Erzählerin: Jan Brinkmann und Solveig March leiten gemeinsam die Arbeitsgruppe Tiergesundheit und Tierwohl. Auch ihre Doktorarbeit, in der sie sich bereits mit der Gesundheit von ökologisch gehaltenen Milchkühen beschäftigten, verfassten sie als Team. Erzählerin: Das Thünen-Institut für Ökologischen Landbau ist in einem gediegenen Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert untergebracht. Über eine Eingangshalle mit Wänden aus Marmor und einem sich anschließenden Foyer mit offenem Kamin gelangte schon Prinz Charles, wohl der bekannteste Ökobauer, in die Tagungsräume: Salons mit Parkettboden und edlen Tapeten. Die Gründung des bundeseigenen Forschungs-Instituts im Jahre 2000 war eine Maßnahme der ersten rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder. Es ging darum, die Weiterentwicklung des ökologischen Landbaus in Deutschland wissenschaftlich zu begleiten. Schon allein die Wahl des noblen Standorts sollte wohl verdeutlichen: Der Ökolandbau war ab jetzt mehr als eine Nische. Für die Regierung hatte er Vorbildcharakter. Erzählerin: Im roten Salon schenkt sich Solveig March eine Tasse Kaffee ein. Sie trinkt ihn mit Milch, die von den institutseigenen Kühen stammt. Für die Forscherin steht fest: Wenn das Tier schon Leistungen für den Menschen erbringt, muss auch Sorge fürs Tierwohl getragen werden - auf eine Weise, die wissenschaftlichen Kriterien standhält: O-Ton 27 Solveig March: Das ist mein Herzensanliegen. Das man das in den Fokus nimmt und wegkommt von einzelnen Maßnahmen, die man besonders highlightet, indem man sagt: Weidegang ist das Non Plus Ultra. Erzählerin: Der neue Leitfaden soll eine Anleitung für die Landwirte sein, mit einfachen Mitteln Tierwohl zu messen. Zum Beispiel die Körperkondition jedes einzelnen Tieres: Ist es zu mager? Zu fett? Normal? Oder: Wie sehen die Klauen aus? Wie die äußere Haut? Auch das Verhalten der Tiere liefert aussagekräftige Messgrößen: Wenn die Tiere beispielsweise Schwierigkeiten haben, im Liegebereich zügig aufzustehen, werden sie vielleicht durch zu wenig Platz im Stall eingeengt. O-Ton 29 Solveig March: Das Wichtige an dem Vorgehen ist, dass man systematisch und auf Herdenebene das ganze regelmäßig misst. Um einen Eindruck zu haben: Wie verändert sich die Situation. Wenn ich im Betrieb gefangen bin, sozusagen, sehe ich das Einzeltier vor mir und mir fallen besondere Beispiele ein. Wenn ich mir aber systematisch einen Termin lege, an dem ich mir alle Tiere anschaue im Hinblick auf Lahmheiten oder im Hinblick auf Verletzungen, und dann am Ende ermittel: Wie hoch ist denn der Prozentsatz der lahmenden Kühe? Und ich mache das regelmäßig jeden Monat wieder, kann ich abschätzen: Habe ich irgendwo eine massive Verschlechterung? Erzählerin: Im institutseigenen Versuchsstall mit 100 Milchkühen bindet Solveig March eine Kuh vom Fressgitter los. O-Ton 30 Solveig March und Jan Brinkmann: Wir versuchen die Kuh jetzt davon zu überzeugen, dass sie ein paar Meter für uns geht, damit wir uns ein Bild davon machen können, ob sie eine Gliedmaße entlastet. Ja, die Kuh hat hinten rechts ein Problem, würde ich sagen. (Jan Brinkmann:) Ja, sie hat auch einen leicht verkürzten Schritt. Erzählerin: Durchschnittlich sind 20 bis 30% einer Rinderherde lahm, auf konventionellen und auf Bio-Höfen. In Vorzeigebetrieben gelingt es den Viehhaltern allerdings, den Anteil lahmer Kühe auf 10% zu senken. Das sollte das Ziel aller Milchviehhalter sein. Der Leitfaden nennt Risikofaktoren, die es abzuschalten gilt: Zu wenig Platz oder fehlende Einstreu im Liegebereich, ein rutschiger oder unebener Boden oder Fehler bei der Fütterung. O-Ton 31 Jan Brinkmann: In einem Forschungsvorhaben, wo wir uns mit den klinischen Lahmheiten befasst haben, konnten insgesamt in vier Jahren die Anteile lahmer Kühe um die Hälfte reduziert werden. Das ist die positive Nachricht: Dass man unerfreuliche Ausgangssituationen in der Praxis, unter Praxisbedingungen ganz deutlich verbessern kann. Erzählerin: Die Betriebe führten beispielsweise eine regelmäßige Klauenpflege ein, verbesserten den Liegebereich durch mehr Einstreu und mehr Sauberkeit. Ähnliche Richtlinien und Maßnahmen gibt es auch für die Schweine- und Geflügelzucht. Erzählerin: Auf dem Gut Wilmersdorf in der Uckermark läuft Jörg Juister an den Wirtschaftsgebäuden vorbei. In einigen lagert Getreide, das Vertragspartner abnehmen und mahlen. Das Mehl beziehen u.a. Ökobäckereien in Berlin. Jörg Juister öffnet ein Rolltor und blickt in eine Halle: O-Ton 32 Jörg Juister: Das ist jetzt nicht der klassische Bauernhofblick. Das ist halt eine moderne Produktionsstätte, wenn man so will. Erzählerin: In dem ehemaligen Stall erinnert nichts mehr an die Bullen, die hier einst gemästet wurden. Die eingezogenen Spaltenböden sind entfernt. Darunter lag der Güllekeller - jetzt ist hier ein sauberer Fußboden. In einer Ecke sind Bretter gestapelt, in einer anderen steht der Striegel zur mechanischen Unkrautbekämpfung. Ausserdem lagert hier auf einem Haufen Phosphordünger. Und Kalium: O-Ton 33 Jörg Juister: Das sind kleine Steinchen. Die lösen sich dann langsam mit dem Wasser im Boden auf. Und dann ist Kalium pflanzenverfügbar und kann aufgenommen werden. Also Kalium ist ein klassischer Dünger, der im Frühjahr gestreut wird, weil im Herbst die Gefahr besteht, weil es ja wasserlöslich ist, dass es ausgewaschen wird. Erzählerin: Von den Wirtschaftsgebäuden fährt Jörg Juister auf die Felder. Kali ausbringen. Der Landwirt freut sich, dass er mal im Traktor sitzt. Schon mit 16 Jahren hatte er den Trekkerführerschein in der Tasche. Im GPS-gesteuerten Fahrzeug hat der Bauer Zeit zum Nachdenken. Jörg Juister reflektiert häufig seine Arbeit: O-Ton 34 Jörg Juister: Ist das eigentlich richtig, dass wir soviel pflügen? Oder: Wie tief sollten wir pflügen? Oder: Wie tief sollte die Aussaat erfolgen? Wie hoch sollten die Aussaatmengen sein. Also da gibt es unheimlich viele Fragen, die mich umtreiben. Erzählerin: Antworten erhofft sich der Landwirt auch von der Forschung, damit der Biolandbau eine Zukunft hat.