Deutschlandradio Kultur / Die Reportage Titel: Gift im Garten Eden - Umweltskandal auf dem Truppenübungsplatz Salto di Quirra Autor: Ulf Lüdeke Redaktion: Eberhard Schade Skript: Atmo 1, Quirra Autor Es ist stickig schwül an diesem Spätsommerabend, schwer hängt der Duft wilden Fenchels in der Luft. Im Osten schleppt sich ein milchiger Mond über den Horizont, im Westen ist die Sonne soeben hinter Bergen versunken, der Himmel glüht lachsfarben. Es gibt keinen anderen Platz, den Tiziana Melis mehr liebt als das Mündungsdelta vom Quirra. Hier, an Sardiniens Südostküste, erstreckt sich einer der schönsten Strände der ganzen Insel: Cala Murtas. Sechs Kilometer heller Sand, seichtes, aquamarinfarbenes Wasser, keine Hotels, keine Pensionen, selbst im Delta stehen nur vereinzelt Häuser. O-Ton 1, Tiziana Melis (Overvoice) Als mein Vater dort noch Schafe hütete, war ich oft mit meinem Bruder da. Wir haben gespielt, Pilze gesammelt. Bis zum Meer waren es nur 50 Meter, für uns war es eine riesige Lagune. Vater ließ uns allein hingehen. Quirra (Sprich: Kuirra) war ein Ort ohne Sorgen. Quirra war mein Paradies. Atmo 2: Tomaten einwecken Autor Sieben Jahre ist es her, seit sie das letzte Mal dort war, sagt die 42-jährige Landwirtin, deren weiße Schürze mit roten Flecken bespritzt ist. Kein Luftzug regt sich, die Nachmittagshitze ist unerträglich. Tiziana Melis streicht sich eine braune Haarsträhne mit dem Handrücken aus ihrem glatten, jungen Gesicht. Im Hof ihres Hauses in Villaputzu ein paar Kilometer südlich von Cala Murtas füllt sie gerade mit ihrem Freund passierte Tomaten in Flaschen ab, die sie auf ihren Gemüsefeldern geerntet hat. O-Ton 2, Tiziana Melis (OV) Die ersten Zweifel kamen uns, als eine Bürgerinitiative begann, die Krebstoten zu zählen. Autor Seit Jahrhunderten tragen der Fluss, ein längst verfallenes Schloss, eine lose Siedlung im Delta und die nördlich angrenzende Hochebene das Wort Quirra in ihrem Namen. Seit 1956 steht es auch als Symbol für die Präsenz von Militär: Das Poligono Interforze Sperimentale del Salto di Quirra gilt mit einer Fläche von 130 km2 bis heute als größter Truppenübungsplatz der Nato. Besondere Bedeutung aber hat er, weil hier die Nato-Staaten, Israel, die Türkei und gegen Bezahlung auch Rüstungskonzerne neue Waffen und Munition testen können. Und nun ist Quirra auch Synonym für einen militärischen Umweltskandal, dessen wahres Ausmaß noch längst nicht klar ist. Für den Vater von Tiziana Melis kommt diese Erkenntnis zu spät, denn der Schäfer hat zu viel Zeit an diesem gefährlichen Ort verbracht. O-Ton 3, Tiziana (OV) Die Weide, die mein Vater hatte, befand sich direkt am Kap San Lorenzo. Dort, wo die große Raketenabschussrampe steht. Vor vier Jahren ist er an einem Hodgkin-Lymphom gestorben, einem bösartigen Tumor des Lymphsystems. O-Ton 4 - Tiziana (OV) Die Ärzte haben eine ganze Reihe von Schwermetallen im Körper meines Vaters gefunden. Stoffe, die nichts im Menschen zu suchen haben und auch in der Umgebung der Rampe nachgewiesen wurden - darunter radioaktives Thorium. Atmo 3 - Schafe Autor Schafe gibt es auch heute noch am Salto di Quirra, denn sie sind das Rückgrat der sardischen Landwirtschaft. Auf das Militärareal dürfen sie aber nicht mehr. Bis Anfang 2011 grasen dort noch weit über 10.000, selbst in der Nähe jener Stellen, wo bis auf die Sommermonate seit 50 Jahren Waffentests stattfinden. Die Milch- und Fleischprodukte der Tiere werden weiter verkauft, obgleich der Verdacht, dass es auf dem Übungsplatz nicht mit rechten Dingen zugeht, spätestens seit den 90er-Jahren existiert. Die Zahl der Krebserkrankungen mit Todesfolge unter Schäfern und Militärangehörigen steigt auffallend, hartnäckig halten sich Berichte über missgebildete Tiere. Aktenkundig wird der Verdacht jedoch erst 2009, als Giorgio Mellis, Amts- Veterinär aus dem nahen Provinzhauptstädtchen Lanusei, die Sache mit einem Kollegen unter die Lupe nimmt. Sie untersuchen 21 Viehbetriebe auf dem Testgelände. Die eine Hälfte davon befindet sich im Umkreis von Kap San Lorenzo und Cala Murtas, die andere im bewaldeten, bergigen Landesinnern bei Perdasdefogu. Atmo 4, Wald-Wildnis (bitte aus Archiv) O-Ton 5, Giorgio Mellis (OV) Es gab bei einigen Schäfern großes Misstrauen gegen solche Untersuchungen, von denen es schon mehrere gab, die aber alle zu nichts führten. Oft haben wir die Information erst erhalten, als wir versprachen, die Berichte auch so weiterzugeben, wie man sie uns erzählte. Autor Giorgio Mellis sitzt im Schatten einer Korkeiche an einem ungefährlichen Ort und wählt bedächtig Wort für Wort. Graues, dichtes Haar, dezent gescheitelt, Schnäuzer schmal auf die Oberlippe getrimmt - er fällt schon von weitem auf. Der Grieche, der als Junge nach Sardinien kam, ist gut einen Kopf größer als einheimischer Durchschnitt. Mit Skalpell und Säge bewaffnet zieht der vornehm wirkende Veterinär bis Ende 2010 von Schafherde zu Schafherde. Schneidet geschlachteten Tieren im Verdachtsgebiet Proben aus Hirn, Lunge, Leber und Knochen und bringt sie mit weiteren Bioindikatoren wie Flechten und Regenwürmern ins Labor. Doch schon nach den ersten Ortvisiten schrillen bei ihm die Alarmglocken. O-Ton 6, Giorgio Mellis (OV) Die hohe Zahl von Missbildungen und auch deren Schwere hat uns wirklich überrascht. Wir haben Lämmer gesehen, die Augen im Hinterkopf hatten. Oder vier Vorderbeine. Wir reden hier von Teratogenese - Fehlbildungen, die während der Embryonalphase durch Vergiftungen im Mutterleib entstehen. Tiere, die als Monster geboren werden. Autor Ein Lamm kommt sogar nur mit einem einzigen, riesigen Auge mitten auf der Stirn zur Welt. Die schockierten Ermittler nennen es ,Polifemo'. In vielen Tierproben werden Konzentrationen hochtoxischer Stoffe wie Barium, Antimon, Blei und Kadmium nachgewiesen. Indizien, sagt Mellis mit finsterer Miene, die klar auf eine kritische Umweltbelastung hindeuten. O-Ton 7, Giorgio Mellis (OV) Besonders auffallend war, dass 18 von 32 Tieren hohe Werte von Nanopartikeln aufwiesen. Nanopartikel von Schwermetallen. Autor ,Kriegsstaub' nennen Forscher diese Teilchen, die beim Aufschlag von Geschossen oder Explosionen entstehen. Nanopartikel-Expertin Antonietta Gatti von der Universität Modena fand auffallend hohe Mengen davon in krankem Gewebe von zahlreichen Soldaten und Zivilisten, die am Hodgkin- Lymphom oder an Leukämie litten. Nanopartikel sind so klein, dass sie über eingeatmete Luft schon binnen einer Minute von der Lunge in die Blutbahn gelangen - und somit an jede Stelle des Körpers. Atmo 5, Zikaden Autor Die pilzförmigen Rauchwolken der Explosionen konnte man selbst zehn Kilometer entfernt in Escalaplano sehen, erzählt Stefano Artitzu. Den besten Blick auf das Testgelände hat man von dem Pinienwald auf einem kleinen Hügel, wo der 51-Jährige gerade auf einer Steinbank den Zikaden lauscht und sich die x-te Zigarette anzündet. O-Ton 8, Stefano Artitzu (OV) Auf Sardinien gibt es zwei Hauptwindrichtungen: Mistral und Scirocco. Bei Mistral weht der Rauch Richtung Quirra, bei Scirocco zu uns. Autor Artitzu, der einen kleinen Fotoladen betreibt, hat eine 18-jährige Tochter, die ohne Finger an der rechten Hand geboren wurde. O-Ton 9, Artitzu (OV) Zuerst dachten wir, dass die Natur uns einen schlechten Scherz gespielt hat. Bis wir dann irgendwann mitbekamen, dass es in Escalaplano schon viele ähnliche Fälle gab. Autor Von dem Moment an sind sie misstrauisch geworden, sagt Artitzu, der trotz robuster Knochen hager wirkt. Er hebt leicht den Kopf, wirft die lichte Stirn in Falten und sagt verbittert: O-Ton 10, Artitzu (OV) Hier bei uns gibt es keine Industrie, kein gar nichts. Das Einzige, was als Quelle in Frage kam, war der Übungsplatz. Autor Doch obgleich es in Escalaplano seit Ende der 80er-Jahre eine kleine Gruppe gibt, die versucht, herauszufinden, was der Auslöser für die Missbildungen bei Kindern sein könnte, bleiben auch Artitzu lange Zeit nur Zweifel. O-Ton 11, Artitzu (OV) Wir trauten niemandem, denn wir wussten nicht, auf welcher Seite die Experten standen, die bereits öfter ergebnislos nach Spuren einer Verseuchung gesucht hatten. Als dann auch noch ein General von Blutschande und Arsen aus Bergwerken sprach, habe ich ihm nicht geglaubt - und war noch verunsicherter als vorher. Autor Das Misstrauen geht so weit, dass Artitzu, dessen Schwester 1975 im Alter von neun Jahren an einem Hodgkin-Lymphom stirbt, ein Beweisstück versteckt, bis er sich sicher ist, dass es in richtige Hände gelangt. O-Ton 12, Artitzu Das war am Weihnachtsabend 2009, als wir mit Freunden in einer Wohnung über die Probleme vom Übungsplatz redeten. Jemand hatte eine Plastiktüte vor die Tür gelegt, in der ein totes Lamm war. Schwer zu sagen, wo der Kopf saß - und ob es überhaupt einen hatte, obgleich wir zwei Ohren sahen. Ich habe es in einer Tonne mit Formalin ein Jahr lang im Keller versteckt. Atmo 6, Treppensteigen im Gericht Autor Inzwischen hat Artitzu die richtigen Hände gefunden - jene von Domenico Fiordalisi. Der 52-Jährige ist Staatsanwalt und sitzt im dritten Stock des Gerichtsgebäudes von Lanusei. Seit vier Jahren arbeitet der hünenhafte Kalabrese hier - und dies offenbar so gut, dass eine bewaffnete Eskorte ihn rund um die Uhr schützen muss. Fiordalisi sagt derzeit nichts zum Umweltskandal - es sei denn, vor Gericht. Rund anderthalb Jahre ermittelt er. Beschlagnahmt vorübergehend das gesamte Militärgelände, hört Schäfer, Soldaten und Zivilisten als Zeugen, konsultiert Forscher. Und beantragt dann wegen Umweltverseuchung gegen 20 Personen Anklageerhebung, darunter mehrere hochrangige Offiziere und ein Ex-Bürgermeister. Ein General gibt den brisanten Veterinärs-Bericht von Giorgio Mellis einfach nicht weiter. Ein weiterer - der logistische Kommandant des Übungsplatzes - wird zwar vor einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Rom geladen. Sagt dort aber nichts zu den wichtigsten Punkten, die aufgeklärt werden sollten - wie etwa dem Stand von Umweltsanierungen und weiteren möglichen Gefahrenquellen, die der Staatsanwalt aufgedeckt hat. Atmo 7, Foyer vor dem Gerichtssaal Autor Im Foyer vor dem Gerichtssaal wimmelt es von Anwälten und Journalisten, von als Zivilisten getarnten Militärs und potenziellen Nebenklägern, als Mitte Juni an einem stickigen Vormittag in Lanusei erstmals das Gericht zu einer Vorverhandlung zusammen tritt. Mittendrin: ein Pressesprecher der internationalen Gutachtergesellschaft SGS. Staatsanwalt Fiordalisi wirft dem Konzern mangelnde Glaubwürdigkeit und einen Interessenkonflikt vor, weil er verflochten sei mit Italiens größtem Waffenkonzern. Der Pressesprecher schwitzt so heftig, dass sein Hemd am schmalen Oberkörper klebt, während er emsig Namen und Adressen der Journalisten sammelt und dabei verbreitet, der Staatsanwalt hätte das SGS-Gutachten zu Quirra nicht richtig gelesen. Locker durchs Chaos hingegen tänzelt Mariella Cao aus Cagliari, quirliger Kopf der Bürgerinitiative Gettiamo le basi, ,Weg mit den Militärbasen'. Die zierliche Dame Anfang 60 arbeitete als Grundschullehrerin in Villaputzu und ist stets für ein Interview zu haben. Ohne Zögern schluckt sie dafür sogar ein soeben in den Mund geschobenes Bonbon runter. O-Ton 13, Mariella Cao (OV) Um die Truppenübungsplätze in Sardinien durchzusetzen, haben die Militärs zwei schlagende Argumente angeführt: Die Übungsplätze schafften Arbeitsplätze und Wohlstand und schützen die Natur. Das behaupten sie auch heute noch. Autor Arbeitsplätze, von denen die Region profitiert, gibt es aber nur wenige, sagt Cao. Das Natur-Argument hingegen sei ein blanker Witz. O-Ton 14, Mariella Cao (OV) Alle haben Augen, Ohren und Mund verschlossen, alle bis auf den Staatsanwalt Fiordalisi, der die Ermittlungen aufgenommen hat. Atmo 8, im Gerichtssaal Autor Die Liste von Fiordalisis Vorwürfen, die nun in den Gerichtssaal führt, liest sich wie ein Umweltthriller. Von 1984 bis 2008, findet er heraus, jagen die Militärs mit heftigen Detonationen illegal Militärschrott in die Luft und kaschieren sie als Tests. Der dadurch mit Giftstoffen kontaminierte Staub wird zusätzlich durch Probesprengungen bei Resistenztests für Gasleitungen immer wieder aufgewirbelt. Befürchtungen, der Wind könnte diese Partikel bis ins zehn Kilometer entfernte Escalaplano wehen, bestätigen ihm Experten. Im mit Reben und Ölbäumen bestandenen Tal des Rio Flumendosa an der Südwestgrenze des Quirra-Areals entdeckt der Staatsanwalt eine ein Hektar große, illegale Müllkippe, die zwischen drei und fünf Meter tief mit Militärschrott gefüllt ist. Er findet Spuren, die auf illegale Entsorgung von Napalm hindeuten und erfährt, dass das Militär auf dem Salto di Quirra fast 1200 Panzerabwehrraketen des Typs MILAN verschossen hat, bis sie im Jahr 2000 aus dem Verkehr gezogen werden, weil sie radioaktives Gift abgeben. Garniert wird die Liste mit Fotos von Kühen, die zwischen Panzerwracks grasen. Atmo 9 - entfernte Badegeräusche am Meer Autor Während das Gericht nach drei Monaten noch immer nicht die Prozess- Modalitäten geklärt hat, neigt sich in Porto Corallo, dem Stadtstrand von Villaputzu, eine unaufgeregte Badesaison dem Ende zu. Umweltprobleme scheinen hier viel weiter weg zu sein als das Kap San Lorenzo, das nur sechs, sieben Kilometer nördlich liegt, getrennt durch ein paar Hügel. Selbst Cala Murtas hat hier den Klang eines ganz normalen Strandes. Eine regionale Umweltagentur erklärte ihn jüngst für sauber. Atmo 10 - Ort / Blende in Atmo Raum (aus Archiv besorgen) Seit kurzem hat Villaputzu einen neuen Bürgermeister: Fernando Codonesu. Der 61-Jährige mit lichtem Haupthaar, untersetzt wie ein Leichtgewicht- Ringer, residiert in einem faden Rathaus-Neubau am Rand des Ortskerns. In dem großen Zimmers stehen nur ein Schrank, ein Schreibtisch, Laptop und Telefon, alles pikobello aufgeräumt. An diesem Tisch hat er den Quirra- Kommandanten gerade schriftlich aufgefordert, die kommunale Zufahrtsstraße zu Cala Murtas und den Strand wieder freizugeben, damit der Tourismus erneut auf Touren kommt. O-Ton 15, Codonesu (OV) Von den 13.000 Hektar Übungsplatz sind bis zu 1000 kontaminiert - immer noch eine große Fläche! Ich betone aber, dass es auf den übrigen 92,5 Prozent keine Probleme gibt! Was dringend gemacht werden muss, ist, die gefährdeten Gebiete einzuzäunen und genauer zu untersuchen. Wir können aber keine Zeit mehr verlieren und müssen einen Punkt unter diese Geschichte setzen! Autor Codonesu, Physiker und Ingenieur, ist ein typischer Sarde, der sein Gegenüber reglos mit festem Blick unter dichten, dunklen Augenbrauen fixiert. Er kennt sich sehr gut aus mit den Umweltproblemen des Salto di Quirra, denn er war Mitglied einer technischen Expertenkommission, die 2011 einen zusammenfassenden Bericht über die Lage des Truppenübungsplatzes vorlegte. Doch es gibt einige, die seinen Amts-Optimismus nicht teilen, allen voran Staatsanwalt Fiordalisi und Veterinär Giorgio Mellis. 800 Proben, so der Tierarzt, seien viel zu wenig, um verlässliche Daten für ein Gelände von 13.000 Hektar zu erhalten. Das sehen sowohl die Expertenkommission als auch die regionale Umweltagentur genau so. Atmo 11, Meeresrauschen Autor Sie scheinen den Sand einer unberührten Südseeinsel aufzuwirbeln - jene Wellen, die heute auf den leeren Strand von Cala Murtas schwappen. So war es, als sie als Mädchen hier mit ihrem Bruder spielte, sagt Tiziana Melis, hinter der ein anstrengender Tag mit dem Pflücken und Einwecken von Tomaten liegt. O-Ton 16, Tiziana Melis (OV) Ich denke schon, dass es absurd wäre, zu behaupten, jemand, der hier nur eine Woche Urlaub im Jahr macht, könnte sich kontaminieren. Die Probleme entstehen ja auch erst über längere Zeiträume. Autor Entspannen aber kann sich Tiziana Melis hier nicht. Zu gut weiß sie, dass das Gebiet zwischen Kap San Lorenzo und dem Fluss Quirra zu den am stärksten kontaminierten des Übungsplatzes zählt. 12 von 18 Schäfern, die hier nach dem Jahr 2000 arbeiteten, bekamen Krebs. Ihre Felder liegen zwar auf der anderen Seite des Flusses ein paar Kilometer entfernt bei der Schlossruine. Doch fragt sie sich immer wieder, ob Schwermetalle nicht auch ins Grundwasser gelangt sind. Und dieser Zweifel nagt nicht nur an ihr: O-Ton 17, Tiziana Melis (OV) Ich habe versucht, Korn von meinen Feldern in anderen Gegenden zu verkaufen, aber überall sagten sie mir: Produkte aus Quirra wollen wir nicht. Autor Der Staatsanwalt ließ Lebensmittel untersuchen, die von Tieren aus den Problemzonen des Übungsplatzes stammen. In einem Käselaib und einer Honigprobe wurden Spuren radioaktiven Thoriums gefunden. Auch ich würde meine Produkte sofort untersuchen lassen, sagt Tiziana Melis, doch kann ich mir die teuren Tests nicht leisten. O-Ton 18, Tiziana Melis (OV) Wenn ich wüsste, dass meine Produkte nicht frei von Schadstoffen wären, würde ich die Gemüsewirtschaft sofort aufgeben und etwas anderes machen. An den Traumstrand meiner Kindheit aber lege ich mich erst wieder, wenn ich sicher bin, dass da nichts ist. Atmo 12 - Friedhof Autor Beruhigend ist das Rauschen, das der Wind aus Zypressen, Wachholdern und Palmen pfeift, die auf dem Friedhof von San Vito stehen, einem Nachbarort von Villaputzu. Wenn Dante Utzeri hier zum Grab seiner Tochter Monica geht, denkt er nicht daran, wie sie 38-jährig im Juni 2003 hinter der kleinen Granitplatte der Grabmauer verschwand, sondern wie sie Ende 2010 wieder herausgeholt wurde. Denn seine Tochter ist eines von 18 Krebsopfern, die sich oft in den kontaminierten Gebieten des Übungsplatzes aufhielten und deshalb auf Anordnung des Staatsanwalts exhumiert wurden. O-Ton 19, Dante Utzeri (OV) Sie haben Thorium in ihren Knochen gefunden. Mein Tochter hatte nicht nur Leukämie, sondern litt auch am Hodgkin-Lymphom. Autor Monica Utzeri heiratete den Sohn eines Schäfers, der zudem noch Jäger war - und verbrachte zahllose Tage mit ihrer Familie auf dem Militärgelände. 1997 erkrankte ihr ältester Sohn an Krebs. Doch er hatte Glück - und wurde wieder gesund. O-Ton 20, Dante Utzeri (OV) Monica wollte im Krankenhaus nur ihre Mutter sehen. Einmal bat sie eine Krankenschwester um ein Stück Papier. Und darauf schrieb sie (Regie: nächsten Satz frei lassen vor Overvoice): Das einzige... was ich will... ist nach Hause kommen... ich will meine Kinder sehen. Autor Der 71-jährige Ex-Minenarbeiter, dessen Haut mit Narben übersät ist, nimmt sich immer wieder die Brille mit abgedunkelten Gläsern von der Nase. Seine Augen tränen ständig, seit er diese ganzen Medikamente nimmt wegen des Herzinfarkts und des Schlaganfalls, die er nach dem Tod seiner Tochter hatte. Dante Utzeri hält große Stücke auf den forschen Staatsanwalt aus Lanusei. Viel Hoffnung auf einen gerechten Prozess hat er jedoch nicht - und erinnert an den Flugzeugabsturz 1980 bei der Insel Ustica, bei dem 81 Zivilisten starben. Italiens Militär vertuschte jahrelang, dass die Maschine bei einem Zwischenfall von einer Rakete abgeschossen wurde. Der genaue Ablauf ist noch immer unklar. O-Ton 21, Dante Utzeri (OV) Für Quirra ist das Verteidigungsministerium zuständig, und das wird einen neuen Skandal vermeiden. Ich befürchte, dass Italien mit dem Prozess von Quirra ein neues Ustica bevorsteht. Regie: nach Kirchturmglocken ausblenden ENDE 1