COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandfunk Kultur benutzt werden. Deutschlandfunk Kultur, Reportage 07. Mai 2017, 12.30 Uhr Ungeliebte Bullen. Unterwegs mit den Fans von RB Leipzig Von Wolf-Sören Treusch ATMO 1 (Stadiongesang RB-Fans) 0?14 frei Wir singen und springen auf jedem Fußballplatz. Ein Schuss, ein Tor, für Leipzig. Ayayayay, ? AUTOR 1 Es ist 17 Uhr 44, seit 14 Minuten läuft das Sonntagsspiel der Fußball-Bundesliga zwischen Schalke 04 und RB Leipzig. 1.600 Fans haben die Mannschaft aus der sächsischen Metropole ins Ruhrgebiet begleitet. Sie stehen in der Südkurve im Gästeblock und singen ohne Unterlass. Bis zur 14. Minute. ATMO 2 (Tor für RB, bei 0:37) 0?12 frei (Riesiger Torjubel) Hammer! Hammer! AUTOR 2 Durch ein Kopfballtor von Timo Werner geht Leipzig mit 1:0 in Führung. Die RB-Fans sind schier aus dem Häuschen. Sie umarmen einander und brüllen und singen noch lauter. ATMO 2 (Tor für RB) hoch Vorwärts Rasenball, vorwärts Rasenball, schalalalalalala ? AUTOR 3 Geliebt und gehasst. Das sind die beiden vorherrschenden Gefühle, mit denen die Fußball-Fans der Republik den Emporkömmling aus dem Sächsischen betrachten. Der Fußballklub RB Leipzig polarisiert. Hier in der Kurve stehen die, die ihn lieben. Auch weil er den Menschen in ihrer Heimat ein neues Selbstwertgefühl gibt, ihnen Freude und Spaß am Fußball zurückbringt und ein großer Identitätsfaktor ist. Die anderen hassen ihn, weil er ein Retortenverein ist, aufgepumpt mit den Millionen eines österreichischen Brause-Milliardärs, der im Namen von Red Bull die wahren Werte des Fußballs verrät. Nur eines ist sicher: kalt lässt dieser Verein niemanden. ATMO 3 (Vor dem Bus) 0?04 (Pffffff des Busses) Was hast du denn wieder gemacht hier? Ahhhhh. AUTOR 4 Neun Stunden zuvor, am Treffpunkt der RB-Fans in Leipzig, ist die Vorfreude auf die Auswärtsreise zum FC Schalke für einen kurzen Moment getrübt. Thomas, der Chef, der einen Bus für die Fahrt gechartert hat, ist sauer. Irgendjemand hat seinen Rucksack so heftig auf dem Boden abgesetzt, dass der ?Pfeffi?, die Flasche Pfefferminzlikör kaputt gegangen ist. Und auch die fünf Kisten Bier, die er und seine Freunde mitgebracht haben, sind erstmal ein Problem. ATMO 4 (Vor dem Bus, bei 0:39) 0?06 (Busfahrer) Ich habe gesagt: es steht kein Bier im Gang. Das habe ich gesagt. Also: da passen vier Kisten Bier hin, auf geht?s. AUTOR 5 Nach kurzem Palaver mit Klaus, dem Busfahrer, finden die Fans eine Lösung: in den Fahrgastraum kommen erstmal nur zwei Kisten Bier, der Rest verschwindet unten im Gepäckfach. Schnell wird noch das Banner des Fanclubs im Rückfenster des Busses angebracht, dann geht es los. ATMO 5 (Im Bus) 0?06 Fan 1: Sind noch 6 Punkte. Fan 2: 3, 3. Fan 1: Nee, 6. Fan 2: Nee, 3. Fan 1: Wieso 3? Fan 3: Weil wir gegen die Bayern gewinnen. Genau. AUTOR 6 Kaum sitzen die Fans, fachsimpeln sie. Heute ein Sieg auf Schalke, ist einer überzeugt, und RB kann sogar noch Meister werden. 47 Fans haben einen Platz in dem Bus gebucht, wollen dabei sein, wenn ihr Klub vielleicht ja noch den Hauch der Chance nutzt und die Bayern abfängt. Die klassischen Fan-Utensilien ? Schal, Trikot, Mütze in den Vereinsfarben rot-weiß ? tragen viele, aber längst nicht alle. ATMO 6.1 (Ansage Thomas) 0?04 So meine lieben Freunde, guten Tag erstmal, ? AUTOR 7 Thomas ist der Chef. Vor drei Jahren hat er den Fanclub mit dem etwas sperrigen Namen ?ReBellen L.E. 2.0? gegründet. Eine gute Viertelstunde spricht er. Viel Organisatorisches, über künftige Flüge nach Mailand oder Madrid, Hauptsache Champions League, und er bittet die Mitreisenden, die Toilette im Bus nicht zu stark zu strapazieren. ATMO 6.2 (Ansage Thomas, bei 0:21) 0?07 hoch, dann weg ? gerade der Hinweis, dass auch die Männer sich bitte hinsetzen sollen auf dem Klo, aber ich denke mal, das machen wir auch so, dass es nicht aussieht wie im Schweineladen dort, ? 01 (Ansage Busfahrer) 0?17 (Atmo 6 unter 01) Ich habe momentan auf der Toilette noch Frostschutz drauf. Das heißt: das Handwaschbecken funktioniert nicht. Aus diesem Zweck habe ich aber natürlich Feuchttücher in der Toilette unten drin, ich möchte euch bitten, diese Feuchttücher vorher ins Loch bitte in die Mülltüte zu werfen. ATMO 7 (Ansage Thomas) 0?15 So, zum Abschluss: Bier ist hinter der Küche, wenn jemand was will, wie immer Kasse des Vertrauens, ein Euro, dann habe ich noch ne große Bitte. Ich weeß, was im Bus alles mit ist, ne, an Getränken etc., seid bitte so lieb und gebt euch nicht schon vorher die Kante! ? AUTOR 8 Ein Wunsch, dem die Fußballfans während der gut sechsstündigen Fahrt bereitwillig folgen werden ? auch wenn manch einer schon nach wenigen Kilometern zur ersten Bierflasche greift. ATMO 8 (im Bus, bei 0:16) 0?09 (lange neutrale ATMO!) Fan 1: Kleener, wir haben es immerhin bis zur Bundesstraße geschafft! Nicht bis zur Autobahn, aber bis zur Bundesstraße. Fan 2: Der Mund hat sich trocken geredet schon. ATMO 9 (lange neutrale im Bus) AUTOR 9 Im Fanbus zu einem Bundesligaspiel: für die Anhänger von RB Leipzig ist das immer noch ein bisschen ungewohnt. Es ist noch gar nicht so lange her, da fuhren sie zu Auswärtsspielen nach Neugersdorf oder Meuselwitz. Den Märchenhaften Aufstieg aus der fünftklassigen Oberliga ins Fußball-Oberhaus innerhalb von nur sieben Jahren verdankt der Klub den Millionenschweren Investitionen von Dietrich Mateschitz. 2009 suchte der Mitbegründer von Red Bull eine Marketing-Plattform für sein Getränk in Deutschland ? und gründete den RB Leipzig. Weil der Deutsche Fußballbund die Nutzung des Markennamens untersagte, steht RB nun für Rasenballsport. Eine Erfolgsgeschichte, die von Beginn an die Neider auf den Plan rief. 02 Peter 0?18 Es gibt ja im Osten viele so genannte Traditionsvereine, die uns abgrundtief hassen, ob das nun Dynamo ist oder Lok Leipzig oder sonst dergleichen, und die sehen uns natürlich nicht als Ostmannschaft. Weil: Sponsor aus Österreich usw. usf. Die sehen uns als Konstrukt. AUTOR 10 Peter, von Beruf Sonnendach-Mechatroniker, stellt aber auch fest: die Fans, die das ?Konstrukt? RB Leipzig richtig gut finden, gibt es auch. Und es werden immer mehr. Gerade hier im Bus sitzen viele, die den Klub von Anfang an bedingungslos unterstützten. Natürlich gelte das auch für ihn, obwohl er erst seit 2013 richtig dabei ist. 03 Peter 0?42 Die Fanszene muss wachsen, die muss reifen, die muss wachsen, und wir haben auch kein Problem damit, mit dem ganzen Kommerz. Stört uns nicht. Fußball ist nun mal Kommerz. Wenn ein Verein wie Borussia Dortmund an die Börse geht, das ist für mich auch Kommerz. Die vermarkten da nur ihre ?echte Liebe?, vermarkten die. Und machen nichts anderes. Zugegebenermaßen hatten wir andere Startvoraussetzungen, die andere Vereine nicht hatten. Das erkennen wir an, das wissen wir, dass das so ist, und dass wir, was das angeht, privilegiert sind, wissen wir auch. Aber wir können mit dem Hass gut leben, was heißt gut leben ? er ist nicht schön. Aber er schweißt uns zusammen. Wir halten enger zusammen, und es macht uns stärker irgendwo. Wie das überall auf der Welt so ist: wenn alle Welt gegen dich ist, dann rückst du enger zusammen. AUTOR 11 Wagenburg-Mentalität nennen sie das. Vor allem seit den Ereignissen von Dortmund ist die Gemeinschaft noch fester, das bestätigen alle Mitreisenden. Anfang Februar gab es heftige Ausschreitungen, als Dortmunder Fans die Besucher aus Leipzig mit Steinen und Flaschen bewarfen ? etliche der Anwesenden erlebten die Angriffe hautnah mit. Zum Beispiel das junge Paar, das vorne in Reihe 3 sitzt: Friederike, von Beruf Hebamme, und Alex, Speditionskaufmann. 04 Friederike 0?18 Ich hatte Angst, das gebe ich auch ehrlich so zu, als wir da lang marschieren mussten, wie im Spießrutenlauf oder wie zusammengepferchtes Vieh, das war schon echt hart an der Grenze, weil auch viele Kinder mit dabei waren, da mussten wir uns auch echt zusammenreißen, dass wir da nicht durchdrehen. Dass man sich wehrt, ja. 05 Alex 0?42 Mein Vater hat ne Ketchup-Flasche von oben bis unten abbekommen oder so nen Tablett gefüllt mit Senf und Ketchup, das hat er abbekommen, mein Bruder wurde bespuckt, meine Freundin wurde ? das will ich gar nicht im Radio sagen, solche Worte, betitelt, und wenn du dann noch zehn Bier getrunken hast auf dem Weg dorthin, oder acht, dann ist auch ein Level erreicht, wenn du dann immer wieder provoziert wirst und selber tätlich angegangen wirst, irgendwann setzt dann dieser Selbsterhaltungstrieb ein, und dann schalten auch die Synapsen aus, und da war ich froh, dass sie meine Hand gehalten hat und hat gesagt, ?bleib ruhig, bleib ruhig, wenn du dich jetzt anfängst zu wehren, dann warten die bloß druff, dass vier Leute dir dann auf die Fresse hauen können, und dann fährst du heute Abend nicht mehr mit nach Hause, sondern liegst dann im Krankenhaus?. Und es gab Leute, die haben sich gewehrt und die sind dann im Krankenhaus aufgewacht. AUTOR 12 Trotz der Geschehnisse werden die meisten Leipziger Fans wieder nach Dortmund fahren. Auch Grit und Sven, sie Steuerfachangestellte, er IT-Experte, die ihren behinderten Sohn Fabi regelmäßig mit ins Stadion nehmen und ihn in Dortmund vor den Flaschenwürfen schützen mussten. 06 Grit/Sven 0?17 Grit: Wir fahren nächstes Jahr auch wieder. Natürlich. Das ist so. Sven: Du hast am Tag danach gesagt: ?nee, noch mal nicht?, aber zwei Tage danach: ?doch, ja, jetzt erst Recht?. Grit: Wir fahren ja dann nicht, um irgendwie dort gleiches mit gleichem zu vergelten, wir fahren da als RB-Fans hin, und wir wollen da nächstes Jahr gewinnen. Da haben wir noch ne Rechnung offen. AUTOR 13 Und überhaupt, so schlimm wie damals in der vierten und dritten Liga, vor allem in den Spielen gegen die Nachbarklubs aus dem Osten, ist es längst nicht mehr. 07 Grit 0?29 Na ja, du musst es dir ja so vorstellen: wenn zum Beispiel ein Heimspiel war oder egal, Auswärtsspiel, da hast du deine Fanutensilien, sprich deinen Schal oder dein Trikot, das haste entweder in der Tasche gehabt oder hast irgendwas drüber gezogen, dass du erstmal auf den ersten Blick nicht zu erkennen gewesen bist als RB-Fan. Also musstest du wirklich ein bisschen aufpassen. Und ich finde, das ist mit den höheren Ligen immer weniger geworden, die Anfeindungen, ne? ATMO 10 (Spielervorstellung im Stadion) AUTOR 14 Aber es gibt sie noch, die ?Anfeindungen?. Auch jetzt wieder. Als am späten Nachmittag in der Arena auf Schalke die Mannschaftsaufstellungen verkündet werden, passiert das, womit die meisten RB-Fans gerechnet haben. ATMO 10 (Pfeifkonzert, bei 0:24) 0?07 hoch ? die 11 (lautes Pfeifkonzert, Ansage ?Timo Werner? geht unter) AUTOR 15 Pfiffe der Schalke-Fans gegen Leipzigs Topp-Stürmer Timo Werner, Sprechchöre, in denen er als Hurensohn gescholten wird, da helfen auch die Anfeuerungsrufe aus dem Gäste-Block wenig. Der Hintergrund für die Schmähungen: im Hinspiel hatte Timo Werner einen völlig unberechtigten Elfmeter herausgeholt und anschließend auch noch selbst verwandelt. Okay, war nicht in Ordnung, sagt der 14-jährige Schüler Chris, aber die Sprechchöre sind unfair. 09 Chris 0?16 Weil: er ist 21, und ich denke, es wird auch sehr überspitzt, also sehr hoch geschaukelt, weil: es gibt auch andere Spieler, die Schwalben machen, und da wird es nicht so hoch geschaukelt, ich finde es einfach übertrieben. Wie dann auch mit ihm umgegangen wird. AUTOR 16 Sein neun Jahre älterer Bruder Alex findet: das geht gar nicht. 10 Alex 0?07 Spätestens seit Robert Enke muss man doch mal verstanden haben, dass das Menschen sind. Ich verstehe nicht, wie man einen Menschen so rauspicken kann und den immer weiter fertig machen. Das geht mir nicht in den Kopp. ATMO 11 (Gesänge RB Leipzig, bei 0:11) 0?06 frei Vorwärts Rasenball! Leipzig überall! AUTOR 17 Timo Werner selbst erledigt die Angelegenheit auf seine Weise. In der 14. Spielminute köpft er das 1:0 für seine Mannschaft und verzichtet anschließend auf jegliche Jubelpose. Von den Schalker Fans wird er zwar weiterhin ausgepfiffen, aber, wenn es so etwas überhaupt gibt: mit Respekt. 11 Reiner 0?09 Hackbällchen, Kuchen, Muffins, das macht hier so die Runde, der Catering am Bus, der funktioniert halt, also ? die Raststätten werden an uns nicht reich. ATMO 12 (Essen verteilen) AUTOR 18.1 Die Fans im Bus nach Schalke versorgen sich gegenseitig. Reiner, von Beruf Alarmanlagenbauer, geht mit einem Blech Obstkuchen durch die Reihen ? Eigenkreation, wie er sagt. ATMO 12 (Essen verteilen, bei 0:20) 0?04 hoch Reini, lecker. ATMO 13 (allgemein im Bus mit Musik) AUTOR 18.2 Die Reise zum Auswärtsspiel ist wie eine Klassenfahrt. Wer schon einmal gesehen hat, mit welcher Power die junge Mannschaft des RB Leipzig in den Fußballstadien der Republik für Furore sorgt, ist erstaunt, wie ruhig und entspannt es bei ihren Anhängern im Bus zugeht. Klaus, einer der beiden Fahrer, kennt das bereits. 12 Klaus 0?19 Wir fahren ja viele Fans. Aber die RB-Fans sind noch die gemütlichen. Da ist das nicht nur diese ReBellen-Gruppe, sondern auch die normalen Fans sind die Fans, die noch ein recht hohes Niveau haben. Dass der Bus zum Beispiel ordentlich aussieht. Das macht was her. Wir haben auch Fangruppen, wo danach der Bus renoviert werden muss. Oder schon kaputt gegangen ist. Auch das gibt?s. 13 Thomas 0?01 Wir sind entspannt, wir sind lieb. AUTOR 19 Thomas, der Chef, ist selbständig, kann sich seine Zeit frei einteilen, sagt er, und macht, was anfällt. Zurzeit fährt er Lkw und Bagger. Zusammen mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar hat er den Fanclub vor drei Jahren gegründet. 105 Mitglieder sind es mittlerweile, von jung bis alt, Männer wie Frauen, viele Ehepaare, auch Kinder. Thomas kennt jeden und jede. Das ist ihm wichtig, sagt er, damit er weiß, wo er sie alle hin stecken kann. Er kümmert sich gern um die Mitglieder des Fanclubs, er mag es einfach. 14 Thomas 0?23 Du hast hier ganz viele zusammen. Die jungschen Schnaken hier, die gerade mal 17 sind, dann hier unsere älteren Generationen, mit denen kannste auch mal über alles Mögliche mal quatschen. Wann hast du schon mal die Zeit? Die gehen alle arbeiten, haben alle unsere eigenen Probleme, und hier in so nem Bus kannste mal abschalten. Deswegen machst du ein Fanclub. Wir sehen, dass wir uns vor dem Spiel auch immer noch treffen und noch quatschen und uns mal herzen, sagen ?hier, geht?s dir gut, läuft alles und so?? Und das ist doch schön, oder? ATMO 14 (erste Gesänge, bei 0:12) 0?06 frei Alle: Auf geht?s, Leipziger Jungens ? Fabi: Lauter! Alle: (Lachen) Auf geht?s, Leipziger Jungens, ? AUTOR 20.1 Noch gut einhundert Kilometer sind es bis zum Ziel, der Arena auf Schalke. Die Gesänge im Bus wirken noch etwas müde. Bloß nicht zu früh verausgaben, scheint die Devise. Thomas erklärt, wie er auf den komischen Namen für seinen Fanclub kam ? ?ReBellen?. 15 Thomas 0?16 Weil wir anders sind. (lacht) Also erstens wollten wir keinen Namen haben mit den Bullen. Weil: das geht doch mächtig auf den Kranz: alle lesen ?Bullen?. Ist doch Käse. Und zweitens: wir sagen eben auch öffentlich unsere Meinung. Wir machen aber auch Vorschläge, wie es besser geht. Dafür sind wir eben ?ReBellen?. AUTOR 20.2 Die ?ReBellen L.E. 2.0? sind einer von 35 offiziellen Fanclubs von RB Leipzig ? zum Vergleich: beim FC Bayern München sind 4.257 Fanclubs gelistet. AUDIO 1 (Hymne) ev. schon drunter schummeln, später dann ATMO 15 (Gesang im Bus: Hymne) AUTOR 21 Ein bisschen ist der Name ?ReBellen? wohl auch ironisch gemeint, denn Thomas ist einer der sieben offiziellen Fanvertreter von RB Leipzig. Egal ob es darum geht, wie viele Eintrittskarten der Verein an die Fanclubs gibt, wie sinnvoll ein Stadionneubau für den Klub ist oder wie man die Kritik von RB-Chef Mateschitz an der Flüchtlingspolitik bewerten soll ? Thomas mischt sich ein. Und polarisiert. Die Ultra-Bewegung lehnt ihn und die anderen offiziellen Fanvertreter des Vereins ab. ATMO 15 (Gesang im Bus: Hymne, bei 0:05) 0?06 hoch AUTOR 22 Je näher das Ziel rückt, desto mehr kommen die Fans nun auf Betriebstemperatur. Vor allem, als sie ?ihre? Hymne mitsingen. 16 Peter 0?04 Die steht bei Youtube unter dem Titel ?Stolz des Ostens?. Wir haben sie mitentwickelt, die Hymne. AUTOR 23 Und dann erzählt Reiner, wie sie sich letzten Sommer mit dreißig Leuten im Garten getroffen hätten, wo einer von ihnen ? der Frank ? textete und die Musik komponierte und alle anderen die Choreografie dazu entwarfen. 18 Reiner 0?16 Danach sind wir ins Studio gegangen, haben das aufgenommen, haben damit den Verein RB mit eingeladen, die fanden das natürlich richtig geil, was wir gemacht haben, und seitdem wird diese Fanhymne 12 Minuten vor Spielbeginn jedes Heimspiel eingestimmt im Stadion, und es ist so gut angekommen, also es machen alle mit. AUTOR 24 Zu DDR-Zeiten war Reiner Anhänger von Chemie Leipzig. Doch 2002 meldete der Nachfolgeklub von Chemie, Sachsen Leipzig, Insolvenz an. Kurz zuvor war bereits der andere Traditionsklub, Lok Leipzig, Pleite gegangen. Beide Vereine aus der DDR-Oberliga waren endgültig am Boden, der Fußball in Leipzig lag in Trümmern. Als RB im Jahr 2009 sein Projekt startete, war die Sehnsucht der Leipziger groß, dass der Fußball in ihrer Stadt irgendwann mal wieder erstklassig sein würde. 19 Peter 0?44 (im Hintergrund singen sie) Wir haben ja viel durchgemacht nach der Wende, das ist ja heutzutage noch so, dass wir als Deutsche, ich sage es mal bösartig, zweiter Klasse gelten. Das geht damit los, dass wir 30 Jahre nach der Wende immer noch weniger verdienen wie im Westen für die gleiche Arbeit, die Renten niedriger sind, aber Mieten, Preise usw. teilweise schon höher sind, der Osten, gerade die Region Leipzig zahlt den höchsten Strompreis in ganz Deutschland. Das sind alles so Geschichten, wo der Ossi, ich nenne es mal Ossi, weil: ich mag die Begriffe ?Wessi?, ?Ossi? eigentlich nicht mehr, aber wo die Menschen wieder froh sind, eine Identität zu finden. Und sagen: hier können wir uns finden, jetzt simmer wieder wer. Dieses Stück Selbstwertgefühl, was es hier gibt. Und sei es durch einen Fußballklub. AUTOR 25 Wie zum Beweis zückt Peter nun sein Smartphone. Auf dessen Schutzhülle prangt das Logo vom Rasenballsport. Er will unbedingt ein Foto zeigen, das er vor anderthalb Jahren geschossen hat. 20 Peter 0?27 Ja, ich habe meiner Frau einen Antrag, einen Hochzeitsantrag im Stadion gemacht, mit großem Transparent auf der anderen Seite, das war schon ein emotionaler Moment. Gegen Düsseldorf haben wir 3:1 gewonnen. Weiß ich noch. ?Willst du mich heiraten, Ines?? In Sektor D habe ich es ausrollen lassen. Das war nicht ganz einfach, weil: das musst du alles genehmigen lassen beim Verein. Medienrechtlich und so, musst du alles genehmigen lassen. 21 Ines 0?14 Er sagte nur: ?Schatz, dreh dich mal rum, da drüben?. Ich dachte: na klar, der Block füllt sich langsam, alles schick. Plötzlich rollte dann dieses Plakat dort auf. Was soll man da denken, da kann man nicht mehr denken, da kriegste nur große Augen, fängste an zu heulen, und dann war?s das. ATMO 17 (Hüpfen und singen) 0?06 frei Die erste Reihe hüpft, olé. Die erste Reihe hüpft, olé, olé. AUTOR 27 Plötzlich ? wie auf ein geheimes Kommando ? fängt die erste Reihe an zu hüpfen. Fabi, der Junge mit dem Handicap, beginnt. Nach und nach folgen die weiteren zwölf Reihen. Alle 47 Fans machen mit und erheben sich von den Sitzen, wenn sie an der Reihe sind. Es ist ein Ritual. Warmhüpfen fürs Spiel. Schalke kann kommen. 22 Alex 0?32 Alex: Der Capo hat mal treffend gesagt: ?ich fahre lieber mit 2.000 Leuten Sonntagabend nach Gelsenkirchen als mit 8.000 nach München?, weil: von den 8.000 sind natürlich 3.000 dabei, oder 4.000, die sonst nicht mitfahren. Und die nur mitfahren, weil dort der FC Bayern München spielt. Und die kannst du natürlich nicht animieren auszurasten wie bekloppt. ATMO 17 (Hüpfen und singen, bei 3:09) 0?08 hoch Der ganze Bus, der hüpft. ? 23 Alex 0?10 Umso weniger Leute, dann ist so die Wagenburg-Mentalität, ja, das schweißt zusammen, und wenn man wie heute gegen 50.000 Heimfans singen muss, dann legt man sich natürlich doppelt ins Zeug. ATMO 18 (Jubel) 0?04 frei AUTOR 28 Als sich der Busfahrer kurz vor dem Stadion vor einen Fanbus der Schalker drängelt, ist die Stimmung fast am Siedepunkt. Das Spiel ist quasi schon gewonnen. ATMO 18 (jetzt Gesang, bei 0:17) 0?06 hoch Einmal Leipzig, immer Leipzig, hey, hey! Einmal Leipzig, immer Leipzig, hey, hey! AUTOR 29 Problemlos findet der Bus den Weg zum Gästeparkplatz. Wenn es Hinweise auf Ausschreitungen oder Übergriffe gegen Leipziger Fans geben würde, hätte der Fanbeauftragte längst angerufen und der Bus wäre von der Polizei auf den Parkplatz geleitet worden. Heute scheint alles ruhig zu sein. ATMO 19 (Parkplatz) AUTOR 30 Kaum angekommen, marschieren die Leipziger Fans in kleinen Grüppchen zum Stadion. Wagenburg-Mentalität? Fehlanzeige. ATMO 19 (Parkplatz, bei 0:12) 0?04 hoch Peter: Die sollen sich ein bisschen beeilen. Ines: Unsere sind alle weg. Peter: Ja, eben. AUTOR 31 Ines, Peter und ein paar weitere Mitglieder der ?ReBellen? warten auf Thomas, den Chef. Der muss noch eine Privatangelegenheit klären. ATMO 19 (Parkplatz, bei 0:28) 0?04 Peter: Ich brauche das nicht. Ich habe Dortmund im Kopf. Man sollte schon zusammen gehen. AUTOR 32 Peter ist mulmig zumute, weiß nicht, was ihn auf dem kurzen Fußmarsch ins Stadion erwartet. Dann die Entwarnung: der Weg zum Stadion ist frei. Hier und da ein Polizist, nirgendwo ein Schalke-Fan. 24 Thomas (Atmo vorn+hinten) 0?04 Gehen wir jetzt mal rein oder was? Arena schnuppern. Los. ATMO 20.1 (Arena, Schalkelied) AUTOR 33 Königsblau bekommen die RB-Anhänger tatsächlich erstmals zu sehen, als sie den Gäste-Block betreten. Genau gegenüber, in der Nordkurve, blicken sie auf ein riesiges Transparent, das die Schalke-Fans aufgehängt haben. ?Gegründet von Kumpeln und Malochern? steht darauf? eine Anspielung auf die fehlende Tradition des Retortenklubs aus Leipzig. ATMO 21.1 (Gesänge RB Leipzig) AUTOR 34 Es wird ein angenehmer Nachmittag für die 1.600 Besucher aus Leipzig. Gerne lassen sie sich von den Anheizern mit dem Megaphon antreiben. Die erste Halbzeit singen sie komplett durch. Die üblichen Beleidigungen als ?rote Bullenschweine? kontern sie mit einem kräftigen Schuss Selbstironie. ATMO 21.1 (Gesänge RB Leipzig, bei 0:15) 0?14 Wir sind Schweine, Rote-Bullen-Schweine, wir zahlen keinen Eintritt und trinken Champagner statt Bier. ? AUTOR 35 Ihre Mannschaft spielt den üblichen Vollgasfußball, geht früh durch das Kopfballtor von Timo Werner mit 1:0 in Führung und vergibt wenige Minuten später durch Emil Forsberg das vorentscheidende 2:0. ATMO 21.2 (Gesänge Fortsetzung) 0?05 (Ärger über vergebene Riesenchance) 26 Reiner 0?03 Das war die Meisterschaft verschossen. Das war die Meisterschaft verschossen. (Anschließend: Schalalalalala, Rasenballsport) AUTOR 36 In der Halbzeitpause bekommen die Fans von den Daheimgebliebenen mitgeteilt, dass ihre Gesänge super im Fernsehen zu hören seien, sie sollten unbedingt so weitermachen. Tun sie dann aber doch nicht. Denn Klaas-Jan Huntelaar schießt gleich zu Beginn der zweiten Hälfte den Ausgleich. ATMO 22 (Schalke-Fans, bei 0:18) 0?06 frei AUTOR 37 Anschließend plätschert das Spiel vor sich hin, sowohl unten auf dem Rasen als auch oben in den Fan-Blöcken. Zehn Minuten vor Spielende wachen die RB-Fans wieder auf und stimmen einen beliebten Gassenhauer an. ATMO 23 (Gesänge, bei 0:07) 0?08 frei Europapokal, Leipzig international AUTOR 38 So singen sie bis zum Abpfiff. Das Spiel endet unentschieden, aus den Nachbarblöcken kommen ein paar nicht ganz leer getrunkene Bierbecher geflogen. Für einen kurzen, aber wirklich ganz kurzen Moment macht es den Eindruck, die friedvolle Stimmung könnte kippen. ATMO 24 (Schlachtrufe RB, bei 0:11) 0?04 ? Hier regiert der RBL! ? 27 Alex/Sven 0?11 Alex: Wo wir ?Europapokal? angestimmt haben, kam ein Feuerzeug so quer durch den Block geflogen und klinkte in der Scheibe neben uns ein, wenn das eener gegen den Kopf kriegt, das kam ooch irgendwo aus dem Block. Sven: Ja, das wirst du nicht verhindern können. AUTOR 39 Auf dem Parkplatz angekommen, analysieren die RB-Fans das Erlebte. 28 Peter (mit Atmo-Vorlauf) 0?20 Wir haben unsere Chancen nicht genutzt, und deswegen haben wir verdient bloß einen Punkt geholt, aber wir haben einen Punkt geholt. Auf Schalke einen Punkt zu holen, ist okay, alles gut, alles gut. Ich fahr zufrieden nach Hause. ATMO 25 (Rückfahrt neutral) AUTOR 40 Zügig geht es nun heimwärts. Die Fans sind müde, sie haben alles gegeben. Die meisten von ihnen blicken auf den Bildschirm ihres Smartphones. Lesen erste Spielberichte oder schauen Videos der Tore. Nur wenige blicken aus dem Fenster. Dort taucht die untergehende Sonne die Landschaft in ein dramatisches Licht. Einzelne Schornsteine ragen wie Mahnmale heraus ? Ruhrpott-Romantik. Als plötzlich die Flutlicht-Masten des Stadions von Borussia Dortmund erscheinen, stöhnen einige auf. So ganz sind die Wunden der Vergangenheit noch nicht verheilt. ATMO 26 (Rückfahrt Gesang, bei 0:21) 0?10 frei AUTOR 41 Nach einer guten halben Stunde singen sie wieder. Vorbei ist es mit der ersten Enttäuschung. Allen ist klar: das war es mit der Meisterschaft, jetzt sind die Bayern nicht mehr einzuholen. Dafür ist die Champions League sicher. Sicher? Darf RB Leipzig dort überhaupt mitspielen? Denn mit RB Salzburg hat sich ein zweiter Klub für die Königsklasse qualifiziert, der dem Red-Bull-Konzern gehört. Das Regelwerk des Europäischen Fußballverbandes sieht es nicht vor, dass zwei Klubs, die den gleichen Besitzer haben, im selben Wettbewerb antreten dürfen. Die Sache birgt juristischen Sprengstoff. Nicht so für die Fans von RB Leipzig. Reiner und Peter sind vollkommen sicher: da passiert gar nichts. 29 Reiner/Peter 0?31 Reiner: Ich meine, jetzt in Schalke, da ist Gazprom, die sponsern das, guck doch mal bei den Russen an, wo Gazprom noch sponsert. Gazprom ist ein russischer Sponsor, also. Peter: Das wird laufen, weil die sich gar nicht leisten können, dass das jemand mal richtig durchleuchtet. Wenn die UEFA RB sperrt, aus solchen Gründen, und dann jemand so schlau ist, gerade von RB-Seite oder Herr Mateschitz selbst mit seinen Firmenanwälten, das Ding mal auseinander zu nehmen, diese Regel, dann werden die ganz schnell merken: Finger weg, nicht dass uns jemand genauer in die Papiere guckt ? da laufen ja viele Dinge. AUTOR 42 Grit, die Steuerfachangestellte aus Reihe 2, hat der Diskussion interessiert zugehört. Inhaltlich, sagt sie, könne sie nichts hinzufügen, aber emotional: sie verbinde mit der Champions League einen großen Traum. 30 Grit 0?23 Irgendwann, mittlerweile vier Jahre her, musstest du noch für deine Dauerkarte ziemlich lange anstehen, nach irgendwann ein paar Stunden war ich so fix und fertig, da habe ich mir gedacht: es ist mir jetzt scheißegal, du stehst jetzt hier so lange, ich will hier Champions League sehen, in diesem Stadion: ich will Reihe 1. Und dann habe ich uns die drei Dauerkarten für Reihe 1 gekauft. Die wir jetzt immer noch haben. Weil ich Champions League sehen wollte. Schon vor vier Jahren, ja. AUTOR 43 Wegen ihrer teuren Dauerkarten hofft Grit nun auf ein Vorkaufsrecht für die Königsklasse. Und strahlt. 31 Grit 0?05 Jetzt habe ich irgendwann die theoretische Chance, in unserer Arena Cristiano Ronaldo zu sehen. ATMO 27 (Tankstelle) 0?04 frei So. Jetzt alle Cheeeeese. AUTOR 44 Um Mitternacht gibt es noch einmal eine Rast: in the middle of nowhere, im thüringischen Eichsfeld. Ein Dutzend RB-Fans posiert für ein letztes Video und stellt es sofort ins Netz. Das orangefarbene Licht der Tankstelle verleiht ihren rot-weißen Trikots einen bizarren Schimmer. Im Halbdunkel steht einer von ihnen und pinkelt ins Gebüsch. Drum herum ist nichts ? ein irres Bild. ATMO 27 hoch, langsam verklingen lassen Mischen mit: ATMO 28 (Ankunft) AUTOR 45 Um Punkt zwei Uhr in der Nacht erreicht der Bus den Leipziger Hauptbahnhof. Rasch verabschieden sich die Fans, die meisten müssen morgen früh entweder zur Schule oder arbeiten. Innerhalb von zwei Minuten ist der Bus leer. Das Bier nicht ? eine halbe Kiste ist übrig geblieben. Vor dem Hauptbahnhof steht ein Zeitungsverkäufer. Unter dem Arm trägt er das Blatt mit den vier Buchstaben. Die Schlagzeile lautet: 1:1. Werner bringt Schalke-Pöbler zum Schweigen?. 1