COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : 46 Reihe : Literatur Kostenträger : P 62 110 Titel der Sendung : "Stummer Diener, diskreter Kritiker - das Berufsbild des Lektors im Wandel" Autor: : Carsten Hueck Redakteurin : Dorothea Westphal Sendetermin : 13.03.2012 Regie : Beate Ziegs Besetzung : Carsten Hueck (Sprecher Autorentext) : (Zitator) Musik O-Ton Hoppe Der Lektor ist eine faszinierende Figur, weil er nicht zu fassen ist. Und ich glaube, das genießt der Lektor selbst. O-Ton Collage (überlappend) Mir macht das einen wahnsinnigen Spaß Es ist eigentlich eine Lebensform Eine unglaublich große Rolle, ja Ich finde es ist eine klassische Hebammenfunktion Es ist ja nicht einfach, innerhalb von Familien diesen Beruf in irgendeiner Weise zu vertreten Ich habe kein Wochenende Ich bin mir sicher, dass es eine Reihe von Lektoren gibt, die zu viel auf ihrem Schreibtisch haben Musik Sprecher: Lektoren sind meist unbekannte, bisweilen sagenumwobene Gestalten. Zumindest für die breite Öffentlichkeit. Sie galten lange als "Einsiedler" und "Graue Eminenzen". Denn die Tätigkeit des Lektors als "geistiger Geburtshelfer" gibt viel Raum für Projektionen. O-Ton Collage (überlappend) Man ist eine gewachsene Einheit Wenn man diesen Beruf ausübt, ist man ein Mensch, der nicht in der ersten Reihe stehen will Also ich bin echt in einer Sonderposition, glaube ich Der Lektor ist derjenige, der den Text entdeckt, der den Text begleitet und den Text auf seinen Weg bringt O-Ton Felicitas Hoppe Er ist geheimnisvoll. Und er leidet auch darunter, weil er natürlich auch eine Schattenfigur ist. Das heißt, er träge großen Anteil am Text, je nach Autorentyp, bleibt aber damit im Schatten. Sprecher Man kann Lektoren als Nachfahren jener gebildeten Männer begreifen, die nach Erfindung des Buchdrucks zumeist in Latein oder Griechisch abgefasste Manuskripte inhaltlich, stilistisch und orthographisch prüften. Auch als entfernte Verwandte jener Schriftsteller, die im 18. und 19. Jahrhundert Verleger in ihrer Programmauswahl berieten. Johann Gottfried Seume beispielsweise, Soldat, Dichter und Reiseschriftsteller, arbeitete als Lektor in einem Verlag. Unter anderem betreute er korrigierend Klopstocks Oden. Und auch Lessing und Schiller - sie waren neben dem Verfassen eigener Werke als literarische Berater der Verleger Voss und Cotta tätig. Ein Lektor korrigiert, berät, macht Vorschläge. Kann Veröffentlichungen befördern oder verhindern. O-Ton Felicitas Hoppe Deshalb ist für mich Lektorat oder ein Lektor immer mit einer schicksalhaften Begegnung konnotiert, sozusagen. Sprecher So Felicitas Hoppe, die über einen großen Erfahrungsschatz in der Arbeit mit Lektoren verfügt. Seit 1996 legt die Autorin in schöner Regelmäßigkeit jährlich ein neues Buch vor. Soeben "Hoppe", ihre fiktive Biographie. Neun Bücher von Felicitas Hoppe wurden lektoriert von sechs verschiedenen Lektoren. O-Ton Felicitas Hoppe Diese Fülle an Lektoren kommt nicht dadurch zustande, dass man mit mir nicht arbeiten kann, sondern einfach dadurch, dass die Lektoren dann die Verlage wechselten, woanders hingingen. Und als der erste Lektor ging und sagte: Tut mir leid, aber ich geh jetzt woanders hin, mit Ihnen hat das nichts zu tun, das war im ersten Moment ein kleiner Schock. Aber zugleich war mir klar, dass ich einen Mythos verinnerlicht hatte von einer Autoren-und Lektorenbeziehung, den ich noch gar nicht überprüft hatte. Also, dieser Schock kam praktisch pro forma: Oh Gott, mein Lektor verlässt mich. Aber es war natürlich überhaupt kein Drama, denn der nächste Lektor war eigentlich auch toll. Sprecher Einen Schock ganz anderer Art erlebte als Debütant Ingo Schulze. Nachdem die Mitbegründerin des Berlin Verlages, Elisabeth Ruge, sich bereit erklärt hatte, sein Manuskript anzunehmen, konnte er hochbeglückt eine Nacht lang keinen Schlaf finden. Doch war dieses erste Gespräch mit der Lektorin nur der Beginn einer bis heute zwar fruchtbaren Arbeitsbeziehung gewesen, die gestaltete sich für den angehenden Autor jedoch erst einmal anders als erwartet. O-Ton Ingo Schulze Am Anfang war ich erstmal beleidigt und dachte, sie hätte mich veralbert, weil, als ich mein Manuskript zurück bekam, waren die Seiten mit Anmerkungen übersät. Also, es war kaum ein Satz, der da in dieser Art und Weise noch stehen geblieben war, wie ich ihn geschrieben hatte. Musik O-Ton Ingo Schulze Und das war dann ein Prozess, der mit später öfters widerfuhr, dass ich dann erstmal beleidigt war. Aber so nach ein, zwei, drei Tagen, als ich das dann so durchsah, dachte ich: Oh je, ja, stimmt, wunderbar, vielen Dank. Musik O-Ton Ingo Schulze Und dann war's halt diese Erkenntnis, was für ein Glück, dass andere sich um deinen Text kümmern. Da werden andere dafür bezahlt, deinen Text besser zu machen. Sprecher: Diese anderen bezeichnet die am Mainzer Institut für Buchwissenschaft lehrende Professorin Ute Schneider in ihrer 2005 erschienenen und überaus informativen "Berufsgeschichte des Lektors" als die jeweils "unsichtbaren Zweiten". Schneider stellt fest, dass der Beruf des bezahlten, an einen Verlag gebundenen literarischen Lektors um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstand. ZITAT "Der Beruf des Herstellers im Verlag, der ähnlich wie der Beruf des Lektors um 1900 aufkam, zunächst vorwiegend in naturwissenschaftlichen Verlagen, dann auch in literarischen, war eine Reaktion auf den erheblichen Wandel in der Buchherstellung." Sprecher: Die Technik entwickelte sich, neue Erfordernisse des Marktes entstanden. Das Verlagswesen in Deutschland spezialisierte sich. ZITAT "Die sogenannten Kulturverleger der Jahrhundertwende, wie zum Beispiel Samuel Fischer und Kurt Wolff, die sich durch spezifische Programmprofile und besondere Autorenpflege auszeichneten, stellten erstmals Lektoren ein. Der Eintritt von Moritz Heimann in den S. Fischer Verlag im Jahr 1895 als festangestellter Lektor kann als erstes Indiz für den Beginn der Institutionalisierung des Berufs angesehen werden." Sprecher: In dieser Zeit veränderte sich der gesellschaftliche Wertekanon und damit auch der literarische. In den Verlagen entstanden spezifische Programmprofile. Der Anteil der belletristischen Buchproduktion schoss in die Höhe. Das einst elitäre Lesepublikum wurde in den 1920er Jahren von einem Massenpublikum mit ganz unterschiedlichen Vorlieben abgelöst. Der Autor verlor den Nimbus des Genies, sein Produkt wurde zum Markenartikel des Verlages. Daher brauchte es Fachleute, die eine Auswahl trafen. Musik Sprecher: Eva Gilmer, geboren 1965, ehemalige Flugbegleiterin der Lufthansa, ausgebildete Sortimentsbuchhändlerin, studierte Philosophin. Sie arbeitet seit 2003 im wissenschaftlichen Lektorat des Suhrkamp Verlages, seit fünf Jahren ist sie dessen Leiterin. Auch wenn die Hochzeit der Suhrkamp-Kultur als gesellschaftlich prägende vorüber ist, wirkt in der Wissenschaftsabteilung des Verlages der alte Kodex weiter: Dies ist ein Suhrkamp Buch, es kann und soll nur in diesem Haus erscheinen. O-Ton Eva Gilmer Das muss zum Profil des Programms passen. Es muss jetzt, was zum Beispiel das Wissenschaftsprogramm im Suhrkamp-Verlag betrifft, einen bestimmten Debattenstand, wiedergeben, auf eine bestimmte Art gearbeitet sein. Und wenn ich dann sage: Das ist ein tolles Buch, das wollen wir machen, dann gehen Sie an den Text und schauen ihn durch. Also Sie lesen es von Anfang bis Ende durch und haben einen Stift in der Hand. (Also ich arbeite noch richtig traditionell mit Stift und Papier, andere Kollegen arbeiten inzwischen schon am Rechner, und streichen alles an, was ihnen auffällt, vom Kommafehler bis zu einem Argument, was sie nicht verstehen, einen Übergang, der ihnen zu fehlen scheint, eine Geschichte, die nicht erklärt ist. Also sie versetzen sich sozusagen in die Rolle des ersten Lesers und fangen an zu kritisieren.) Sprecher: Mehr denn je sind Lektoren heute gezwungen, über die reine Textarbeit hinaus, das Besondere eines Buches zu behaupten. Denn, so der Lektor Klaus Siblewski... O-Ton Klaus Siblewski ...Die Verlagsbilder haben sich in einer gewissen Weise aufgelöst und die Identität der Verlage ist, ich würde nicht sagen, unbedingt auswechselbar geworden, aber in weiten Bereichen deckungsgleich geworden. Also man kann nicht sagen: Das ist ein Luchterhand-Buch, das ist ein Hanser-Buch, das ist ein Kiepenheuer-Buch, sondern ähnliche Bücher wird man bei sehr, sehr vielen anderen Verlagen finden. Das heißt, man muss für jedes einzelne Buch sozusagen eine eigene Identität entwickeln und sie inszenieren, damit dieses Buch als dieses individuelle Buch wahrgenommen werden kann. Also, im Grundsatz waren die Kollegen in früheren Zeiten auch mit diesen Fragestellungen beschäftigt. Nur, sie waren nicht mit dieser Konsequenz und Drastik beschäftigt, mit denen sie heute beschäftigt sind. Sprecher: Siblewski, der 1980 im Luchterhand Verlag zu arbeiten begann, erlebte damals gerade noch eine Zeit, die heute vergleichsweise märchenhaft anmutet. O-Ton Klaus Siblewski Als ich angefangen habe, bin ich als erstes zu einer Vertreterkonferenz eingeladen worden. Dort saßen 15 in Ehren ergraute Herren herum, die draußen ihre großen Mercedesse und schwarzen Porsches geparkt haben, und die mit sorgenvoller Miene sich angeguckt haben, als sie sich über die Verkaufszahlen unterhalten haben. Die Verkaufszahlen waren so, dass das schlechteste Buch im Taschenbuch eine Vorbestellung von 3.000 Exemplaren hatte. 3.000 Exemplaren. Ich bin damals sehr betrübt nach Hause gegangen, hab mir gedacht: Also, um Gottes willen, in welchen kurz vor dem Kollaps stehenden Bereich versuche ich, anzufangen zu arbeiten? Wenn heute man jemandem sagen würde: Das schlechteste vorbestellte Buch hätte immer noch 3.000 Exemplare, mit denen es ausgeliefert werden könnte, dann würden in den Verlagen hier nur noch die Leute mit Jubelschreien durch die Gänge rennen. Sprecher: Schon wenige Jahre später veränderte sich die Buchbranche spürbar. ZITAT: "Der Kampf um Marktanteile und das Eindringen der Konzerne in den bisher mittelständisch bestimmten "Herstellenden Buchhandel" führte zu verstärktem wirtschaftlichem Denken in allen Verlagen."... Sprecher: ...wird in einer Bestandsaufnahme zu Funktionsveränderungen im Verlagslektorat festgestellt. Auch der Lektor musste nun eine gesteigerte ökonomische Empfindlichkeit entwickeln. Eine 201o erschienene und im vergangenen Jahr überarbeitete Studie der Universität Eichstätt-Ingolstadt "Zum Lektor im Buchverlag" kommt zu dem Ergebnis: ZITAT: "Die Lektoren sehen sich überwiegend als Diener der Interessen ihres Verlages. 53 Prozent stimmen dieser Aussage "voll und ganz" zu, 41 Prozent "überwiegend". An zweiter Stelle stehen die Interessen der Autoren." Sprecher: Einer, der erlebt hat, dass sich diese Interessen mitunter nicht vereinbaren lassen, ist der 1945 geborene Delf Schmidt. Der promovierte Romanist lektorierte bereits für den Rowohlt Verlag, als er noch an seiner Dissertation saß. 1977 wurde er fest angestellt, betreute die Werkausgaben von Albert Camus, Louis Ferdinand Céline, Italo Svevo und arbeitete mit den späteren Literaturnobelpreisträgerinnen Elfriede Jelinek und Herta Müller zusammen. O-Ton Delf Schmidt Ende September 2000 bin ich bei Rowohlt weggegangen, ich hatte da 23 Jahre gearbeitet. Die Gründe waren, war eine Mc Kinsey-Attacke, das heißt, der Mc Kinsey hat die Attacke nicht durchgeführt, sondern Mc Kinsey hatte den Auftrag, eben eine, was weiß ich, wie man's nennt, eine Industrieberatung. Sprecher: Stellen sollten abgebaut werden. Die Wirtschaftsberater rieten dem Holtzbrinckkonzern, zu dem der 1908 gegründete Traditionsverlag damals bereits gehörte, vor allem die literarischen Lektoren einzusparen. O-Ton Delf Schmidt Und das führte zu diesem Eklat, dass ich mit den Autoren weggegangen bin, die Elfriede Jelinek ist mit mir zum Berlin-Verlag gegangen, Herta Müller ist zu Hanser gegangen, Genazino ist zu Hanser gegangen, Ben Jelloun, den ich betreute bei Rowohlt, ist mit zum Berlin-Verlag gegangen, Alban Nicolai Herbst ist mit mir zum Berlin-Verlag gegangen. Also nahezu sämtliche literarischen Autoren haben den Verlag verlassen. Und ich glaube, zwei Jahre später kam dann Fest als Verlagsleiter, und dann gab es wieder eine Wende zur Literatur. Aber in diesen zwei Jahren sah das furchtbar aus. Sprecher: Schmidt steht für literarische Qualität. Er ist ein Literaturenthusiast und betreut auch heute, zwei Jahre nach seiner Pension noch voller Elan und Esprit Autoren und Buchprojekte. O-Ton Delf Schmidt Wenn ich aus einem Text nicht unverändert herauskomme, wenn der Text so stark war, dass ich danach ein anderer geworden bin, dann kann ich sagen: Es war eine gute Arbeit oder kann sagen: Es war eine glückliche Arbeit. Sprecher: Als Assistent des legendären Germanisten Hans Mayer hatte Schmidt in jungen Jahren eine vielversprechende Hochschulkarriere offen gestanden. Beamter wollte er aber nie werden. Seine Befähigung zum Lektor hat sich durch die Praxis der Verlagsarbeit entwickelt. O-Ton Delf Schmidt Die Universitätsbildung nützt Ihnen insofern nichts, als sie im Grunde die Kategorien und usw. vergessen können, auch die Maßstäbe. Sie müssen versuchen, im Text eines jeden sein eigenes Gesetz sozusagen zu erkennen, das ja auch dem Autor gar nicht erkennbar sein muss. Er muss ja nicht die literaturwissenschaftliche Interpretation seines Textes geben oder über die Kategorien verfügen. Sie müssten als Lektor das Beste in ihm erkennen, im besten Falle ihm sagen können, dass er hier seinen eigenen, ihm unbewusst bleibenden Kategorien noch gar nicht gehorcht und sie nicht optimal ausgeschöpft hat. Eine Frage wohl von Empathie und von Möglichkeiten, sich in den Stil des anderen hineinzufinden. Musik Sprecher: Die Frage aber, wie und wo man am besten Empathie für die unterschiedlichen Autoren sowie andere Qualitäten als Lektor - mittlerweile auch Marketing- und Managementkenntnisse - erwirbt, ist bis heute nicht geklärt. Nach der Eichstätter Studie sind 55 Prozent der Lektoren Quereinsteiger. ZITAT " Sie haben vor ihrer jetzigen Tätigkeit bereits in einem anderen Beruf gearbeitet - vorzugsweise in anderen Bereichen der Medienbranche, aber auch im medizinisch- naturwissenschaftlichen Bereich oder im Bildungssektor. Die Qualifikation für den Lektorenberuf haben sich 45 Prozent unter anderem in einem Praktikum oder einer Hospitanz erworben. Gut ein Drittel hat ein Verlagsvolontariat durchlaufen." Sprecher: In der Zeit, in der sich der Lektorenberuf zu etablieren begann, arbeiteten vielfach Schriftsteller als literarische Lektoren. Sie gingen dieser Tätigkeit vor allem aus ökonomischen Gründen nach. Albert Ehrenstein etwa, oder Christian Morgenstern. Der Dichter der "Galgenlieder" entdeckte als Lektor den Schweizer Schriftsteller Robert Walser. Franz Hessel, dessen literarisches Werk derzeit in verschiedenen Verlagen neu aufgelegt wird, arbeitete bis zu seiner Emigration 1938 als Lektor für den Rowohlt Verlag. Franz Werfel lektorierte, ebenso Oskar Loerke. Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Verlage ihre Lektorate personell ausbauten, verdienten zahlreiche Autoren ihren Lebensunterhalt erst einmal als Lektor: Bei S.Fischer Ilse Aichinger und Peter Härtling. Bei Rowohlt Wolfgang Weyrauch, später Peter Rühmkorf und Jürgen Becker. Elisabeth Borchers, Horst Bienek, Dieter Wellershoff und Hans Magnus Enzensberger lektorierten, wie auch die Übersetzer Klaus Reichert, Peter Urban und Friedhelm Kemp. ZITAT "In der Regel waren die Lektoren akademisch gebildet, oft promoviert, und zwar traditionellerweise in geisteswissenschaftlichen Fächern. Im Gegensatz zu den Studienfächern ihrer Vorgänger in den zwanziger Jahren fanden sich jetzt auch Lektoren, die Fremdsprachen studiert hatten. Dies kam der fortschreitenden Internationalisierung des deutschen Buchmarkts entgegen." Sprecher: Eine abgeschlossene Hochschulbildung, oft auch Promotion, können neunzig Prozent der heute tätigen Lektoren und Lektorinnen nachweisen. Was aber, so Delf Schmidt, unter Umständen durchaus auch hinderlich sein kann: O-Ton Delf Schmidt Wenn sie von der Universität kommen, arbeiten sie immer in einem feststehenden Kanon oder mit einem Kanon. Und eigentlich wird dieser Kanon gar nicht zur Disposition und in Frage gestellt. Und das Grundproblem für den Lektor ist ja, sie sind auf der einen Seite der Barrikade mit dem Autor, dem Verlag zusammen und müssen etwas setzen. Dieses Manuskript soll gute deutsche neue Literatur sein. Sie haben keinerlei kanonische Absicherung. Sie müssen es setzen. Und das ist das grundpsychologische Problem, wenn man von der Universität kommt: den Wagemut zu entwickeln, setzen zu können oder setzen zu wollen, mit dem Autor zusammen, mit dem Verlag zusammen. Sprecher: Obendrein muss der Lektor die literarische Landschaft überblicken. Er muss Traditionen kennen, um Unterscheidungen treffen zu können - was ist tatsächlich originell? Welcher Autor ist gegenwartsrelevant? Nicht nur für die Gesellschaft gewinnbringend, sondern auch für den Verlag ? Die Arbeit am Manuskript, die Auseinandersetzung mit Literatur schrumpft in großen Verlagen immer mehr zum Teilbereich der Lektorentätigkeit. Denn mehr denn je ist der Lektor in das Gesamtunternehmen eingebunden. Gerade auch deswegen plädiert Klaus Siblewski seit Jahren dafür, eine verbindliche Ausbildung für den Lektor zu schaffen, damit dieser sein Tun und die Anforderungen des Berufes reflektieren kann. O-Ton Klaus Siblewski Wie haben denn Lektoren vor 100 Jahren, vor 50 Jahren, vor 20 Jahren gearbeitet, welche Art von Ästhetiken haben sich wie in den Lektoraten durchgesetzt und realisiert? Und an welcher Stelle stehe ich mit einer bestimmten poetischen Auffassung und wie kann ich die sozusagen in der Arbeit praktisch werden lassen, das ist eine Fragestellung, die man sich im Berufsalltag nicht durch den Kopf gehen lässt, weil man da andere Dinge zu tun hat, die aber in einem Studium durchaus durchdacht und erprobt werden könnten und die jemanden durchaus ein Stück erfahrener gleich am Berufsanfang im Umgang mit Literatur machen würden. O-Ton Delf Schmidt Ich glaube unbedingt, dass es Sinn macht... Sprecher: ...begrüßt Delf Schmidt die Idee zu einem Lektoratsstudiengang und berichtet von eigenen ermutigenden Versuchen. O-Ton Delf Schmidt Ich hab Vergleichbares gemacht in diesen Graduiertenkolloquien, die es an der Universität Essen gab. Da hab ich mehrere Semester lang dann Lektoratsarbeit gemacht mit graduierten Studenten, die eben damals einen Job suchten, keinen fanden, entweder ihre Dissertation oder ihren Magister hinter sich hatten. Es war ein viersemestriges Aufbaustudium, und sie sind danach auch in die Verlagslandschaft gewandert, beispielsweise von Kiepenheuer bis Du Mont. Also insofern sehe ich nur, wie auch aus solchen Seminaren dann solche Wege gemacht werden. Und deshalb kann ich nur sagen, dass es sicher sehr, sehr fruchtbar und verdienstvoll ist. Musik Sprecher: Beatrice Fassbender, Jahrgang 1972, arbeitet als Freie Lektorin vor allem für kleine Verlage. Sie hat bereits von Anfang an auf die Mischung von umfassender Berufspraxis und einer akademischen Bildung gesetzt, Volontariate absolviert, Germanistik, Anglistik und Skandinavistik studiert, Texte übersetzt. O-Ton Beatrice Fassbender Ich hab ne journalistische Ausbildung. Also, ich hab als Redakteurin vor dem Studium gearbeitet. Das heißt, diese Textarbeit war mir schon wirklich sehr geläufig Ich hab dann während des Studiums Praktika in Verlagen gemacht, aber auch gar nicht im Lektorat, sondern in der Presseabteilung, in verschiedenen anderen Abteilungen. Sprecher: Wie Fassbender arbeitet auch Meike Herrmann, geboren 1975, seit 2006 als Lektorin. Zu zwei Dritteln üben Frauen diesen Beruf aus. Durchschnittsalter: Anfang Vierzig. Auch Meike Herrmann hat sich bereits während ihres Studiums zusätzlich qualifiziert. O-Ton Meike Herrmann Ich selber hab neben Germanistik oder Neuerer deutscher Literatur, Geschichte studiert und ein bisschen Nebenfächer und kann sagen, dass wenig dort qualifizierend war für den Beruf. Das war aber noch ein klassisches Magisterstudium. Ich selbst habe im letzten Jahr unterrichtet an der Humboldt Uni ein Praxisseminar für Bachelorstudierende. Das heißt sie werden immerhin etwas auf den Beruf vorbereitet. Ich glaube, ich wäre sehr dankbar gewesen seinerzeit. Ganz viel in diesem Beruf, Literatur, Lektorat ist ja auch einfach sich auskennen mit, was wird geschrieben, was wird wie bewertet. So ´n bisschen in den Jargon des Betriebes einfach reinzukommen, das macht man auch nicht im Studium. Aber nebenher durch, Zeitung lesen, Veranstaltungen besuchen, Wettbewerbe besuchen und so weiter kann man sich da auch ganz gut rein finden. ZITAT "Aktuelle empirisch-analytische Bestandsaufnahmen zur Berufssituation und zur Arbeitsweise des Verlagslektors, wie man sie beispielsweise in der Journalistik zum Berufsbild des Journalisten findet, gibt es nicht" Sprecher: - heißt es in der Studie der Universität Eichstätt-Ingolstadt. Und weiter: ZITAT "Die Berufsbezeichnung >Verlagslektor< blieb bis heute ein schillernder Begriff, mit dem sich häufig seltsame Vorstellungen verbinden. Lektor, das ist ein Beruf ohne Berufsbild, ohne Ausbildungsstandarts, ohne Berufsorganisation, ja wohl auch ohne ein homogenes professionelles Selbstbild." Sprecher: Doch betrachtet man Qualität und Stellenwert der Literatur in Deutschland, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass dieser Umstand weder der deutschen Literatur noch den Lektoren selbst bislang geschadet hat. O-Ton Meike Herrmann Ich habe von Anfang an selbstverantwortlich gearbeitet, insofern als ich von Anfang an Autoren betreut habe, die nicht immer wussten, wie groß oder klein meine Erfahrung ist. Zugleich war das ein sehr kleiner Verlag, ein sehr kleines Lektorat - Rowohlt Berlin - da war ich die einzige Literaturlektorin. Ich wurde schon von dem Verlagsleiter und den Sachbuchkollegen auch angeleitet usw. Ich konnte auch Fehler machen usw. Trotzdem, ich hab viel erst im Beruf und auf der Stelle gelernt. Wobei ich nur betonen kann, dass man gar nicht so viel vielleicht lernt, von denen, für die man arbeitet, als von denen, mit denen man arbeitet, in dem Fall die Übersetzer und die Autoren, mit denen ich gearbeitet habe und arbeite. Von denen und mit denen lerne ich ja bis jetzt, weil das die intensiven Zusammenarbeiten sind und man sich schult. Sei es im sprachlichen Sinne, sei es im Sinne, wie man sich Kommunikation wünscht. Musik Sprecher: Elisabeth Ruge, 1960 geboren, leitet den neu gegründeten Hanser-Berlin Verlag. Im Herbst wird sie ihr erstes Programm vorstellen. Das Lektorieren begreift sie weiterhin als Kern ihres Berufes. Nach einer Verlagsbuchhändlerlehre im Claassen Verlag studierte sie Anglistik, Amerikanistik und Slawistik. Parallel dazu arbeitete sie als Lektoratsassistentin im Frankfurter S. Fischer Verlag. Auch sie lernte vor allem in der Praxis, durch Erfahrungstransfer seitens älterer Kollegen. Ruge macht deutlich, dass dafür Zeit nötig ist - ein kostbares Gut, das in der enorm beschleunigten Arbeitswelt von heute rar geworden ist. O-Ton Elisabeth Ruge Ich war zwar freie Mitarbeiterin, aber bin jeden Tag in den Verlag gegangen. Also, ich hab wirklich täglich gearbeitet und nebenbei studiert und hatte das große Glück, mein Büro mit Günter Busch teilen zu können, der wirklich einer der großen Legenden des deutschen Verlagswesens ist, ein großer Sachbuchlektor, vielleicht der größte, den es in den letzten Jahrzehnten bei uns gegeben hat. Und Günter Busch kam also morgens mit seiner kleinen Aktentasche, meistens in einem Trenchcoat mit Jackett, niemals ein Schlips. Kam immer fröhlich und gelassen ins Büro, ging dann in die Kantine runter, holte sich ein Kännchen Kaffee und ein oder zwei Packungen Lord extra und fing dann an zu arbeiten und rauchte dabei, so dass also meine Kollegen irgendwann mal sagten, ich würde mich wohl langsam in einen westfälischen Schinken verwandeln. Es war auch immer ziemlich vernebelt bei uns, aber es war ein einziges Vergnügen. Ich hab von ihm sehr, sehr viel gelernt über den Umgang mit Texten. Sprecher: Auch Delf Schmidt zeichnet von seiner Zeit bei Rowohlt ein Bild der Verlagsarbeit, wie es heutzutage kaum noch vorstellbar ist. Es war eine Zeit, in der noch starke Verlegerpersönlichkeiten die Linie eines Verlages bestimmten und nicht eine anonyme Konzernleitung Gewinnspannen vorgab. O-Ton Delf Schmidt Es war damals, ein kleines Duodez-Fürstentum, der Verlag. Sie hatten einen Prinzipal, einen Fürsten an der Spitze. Es gab angestellte Geschäftsführer. Aber die hatten im Grunde die Funktion von Marschällen, und die Funktion des Lektors war die eines Hofnarren. Die Witze mussten gut sein. Das heißt, sprich, die Literatur, die er aussucht. Und wenn die Witze gut waren, dann hat der Fürst es gestattet, und dann wurden aber auch die Ministerialen zitiert, und es wurde ihnen gesagt: Dieses Buch muss gemacht werden, der Witz ist einfach gut. Das ist natürlich eine unglaubliche Erfahrung, in dieser Rolleaufzuwachsen, weil sie eigentlich die Schere im Kopf nie akzeptieren wollen, die in späteren Zeiten vielleicht notwendigerweise dann durch ökonomische Veränderung in den Kopf hineinkommen musste. Aber man bleibt sehr spröde solchen Versuchen der Kommerzialisierung gegenüber. Sprecher: Genau die aber verändert den Arbeitsalltag von Lektoren. Im stillen Kämmerlein stehen heute der Kopierer oder die Espressomaschine. Vom Partner und Förderer der Autoren verwandeln sich Lektoren gezwungenermaßen immer mehr zu Dienstleistern in Sachen Literatur, zu Produktmanagern. In der Studie über den Lektor im Buchverlag heißt es: ZITAT "Die zunehmende Ökonomisierung des Buchmarktes und der Bedeutungszuwachs von Werbung, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit sind nicht ohne Auswirkungen auf die Arbeit der rund 2300 fest angestellten Lektoren in Deutschland geblieben. Die steigende Bedeutung wirtschaftlicher Aspekte hat dazu geführt, dass planerische und organisatorische Aufgaben heute weit mehr im Vordergrund stehen und auch in Zukunft einen wachsenden Anteil an den Tätigkeitsfeldern der Lektoren einnehmen werden." Sprecher: Abgesehen von Klagen über weniger Zeit bleiben manche Lektoren aber erstaunlich gelassen. Klaus Siblewski: O-Ton Klaus Siblewski Das Entstehen von Büchern braucht tatsächlich zwei Positionen, braucht einen starken Autor und braucht einen starken Lektor. Und was immer ökonomisch passiert, wird an diesen Entstehungsbedingungen von Literatur, von Büchern nichts ändern. Und insofern werden sich die Verhältnisse, unter denen gearbeitet wird, sich vermutlich sehr drastisch ändern. Aber an dem Prinzip ändert sich nichts. Und insofern ist die Arbeit von Lektoren notwendig und wird gebraucht, unter welchen Bedingungen sie dann immer stattfindet. Sprecher: Und Elisabeth Ruge erkennt sogar einen Vorteil darin, dass der Lektor nun auch mit der Vermarktung der Bücher beschäftigt ist. O-Ton Elisabeth Ruge Die Lektoren sind im Grunde genommen angehalten, den ganzen Prozess bis hinein in den Buchhandel zu begleiten, Ideen zu liefern, eng mit der Marketingabteilung zusammenzuarbeiten, der Presseabteilung zuzuarbeiten, wenn Websites erstellt werden, ist es im Grunde genommen auch mit Aufgabe der Lektoren, Material für diese Websites entweder selber zu schreiben oder zu sammeln. Sie sind auch angehalten, dem Autor vielleicht sogar zu helfen, gemeinsam mit den Leuten in den Marketingabteilungen selber eine Website zu erstellen oder ihn zu beraten, wenn er fragt: Was ist mit den social networks? Soll ich mich da selber betätigen? Soll ich twittern? Und das halte ich auch für keinen Fehler, denn dadurch ist, auch grade was die Arbeit der Marketingabteilungen anbelangt, die eben vielleicht einfach auch viel wichtiger geworden ist, diese Arbeit ist auch gehaltvoller und hat vielleicht eine höhere Qualität, weil eben der Lektor, der den Text am allerbesten kennt, auch damit befasst ist. Sprecher: Zu Recht aber verweist Ingo Schulze auf das, worum es immer ging und gehen wird - und darum sei dem Autor das vorläufige Schlusswort überlassen: O-Ton Ingo Schulze Das Eigentliche ist ja doch erstmal der Text und der muss einfach gut sein, sonst lohnt sich das ganze andere Brimborium gar nicht. Musik 1