COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Sendung vom 17.8.2010 The Beatles in Hamburg Die Erfindung der Pilzköpfe vor 50 Jahren. Von Knut Benzner E 01 (McCartney) ... Hamburg ... Reeperbahn ... geradeaus ... AUT Es ist eine lange Geschichte. Sie spielt in Hamburg, sie spielt in Liverpool, dann in London und zuletzt bzw. bis heute auf der ganzen Welt. Auf St.Pauli spielt die Geschichte natürlich auch. E 02 (McCartney) AUT Viele, die mit dieser Geschichte zu tun haben, sind lange tot: Hirntumor, Herzversagen, Hypertonie, über den Haufen geschossen worden ... Es ist eine Geschichte, die die, die leben, nach wie vor beschäftigt, manchmal bestimmt sie ihr Leben, manchen tritt Wasser in die Augen, wenn sie an dieses oder jenes denken. Und alle, das bringt die Zeit ganz einfach mit sich, sind inzwischen alt. Der 16.August war, nicht weiter wichtig, ein Dienstag. Bruno Koschmieder, Manfred Weissleder, Peter Eckhorn und Horst Fascher ... E 03 (Fascher) "Natürlich in Hamburch geborn, das´s auch wichtich." AUT ... werden von all dem, was kommen sollte, nichts geahnt haben. Astrid Kirchherr, Jürgen Vollmer und Klaus Voormann, alle drei damals stets in Schwarz und somit Sartre eigentlich näher als der Show, schon gar nichts. Und John, Paul, George, Pete Best sowie Stuart Sutcliffe? Keine Ahnung. Horst Fascher war einer von fünf Jungs und arbeitete im Hafen. E 04 (Fascher) "Schiffszimmermann und Bootsbauer. Und bin in einem Taucherbetrieb angefangen, im Hamburger Kohlenhafen, und da war die Firma Taucher Bergedorf, und die hatten unheimlich viel zu tun damals mit Bergung von Schiffswracks und was hier so alles im Hamburger Hafen auf dem Grunde des Flusses rum lag, ja." AUT Es war nach dem Krieg. Und wie so viele junge Leute kam Fascher zum Rock´n´Roll. E 05 (Fascher) "In der Zwischenzeit wurde es denn 1960, und Koschmieder sein Laden, der Kaiserkeller, lief kolossal gut, und er machte den zweiten Laden auf, und das war die so genannte Indra, und für die Indra brauchte er ne neue Band. Als die Beatles denn nach Hamburg kamen, am 16.August, Nachts, halb elf, elf, da hieß es auf einmal für alle, die unten im Kaiserkeller saßen: Die neue Band is´ da, na ja, man war ja auch einer von den Neugierigen, und wir sind so mit 20, 25, vielleicht auch 30 Leute, Mädchen und Jungs gemischt, nach oben gelaufen, um die neue Band zu sehen. Aber da saßen wohl fünf müde Typen in´n Van-Bus und der Fahrer dieses Van-Busses, das war wohl dieser Alan Williams, der war gerade bei Koschmieder unten und fragte, wo ihr Hotel wäre und dergleichen." AUT Alan Williams, der Fahrer, war möglicher Weise der Manager. Möglicherweise war Williams aber auch nur der Manager und eine weitere Person der Fahrer. Das Auto, der Van-Bus, war ein Ford Transit. Und die fünf ... E 06 (Fascher) "Das war also George, John, Paul, Pete Best und Stuart, Stuart Sutcliffe." AUT Sie fuhren nicht in ein Hotel, sie fuhren in ein Kino, das Bambi-Kino, Paul-Roosen- Strasse, die Große Freiheit runter, dann links. Das Bambi-Kino sei, so Horst Fascher, ein Kino gewesen, in dem Heidi-Filme gelaufen seien, andere meinen, es sei ein Porno-Kino gewesen. Das käme eher hin, denn das Bambi gehörte ebenfalls zum kleinen Imperium Horst Koschmieders. Egal wie, dort lebte bzw. überlebte die neue Band. Auf Matratzen, ohne warmes Wasser. Horst Fascher: E 07 (Fascher) "Und es hat dann geheißen: Ja, morgen Abend, 17.August 1960, spielt die neue Band das erste Mal im Indra." Die Indra war kein Bordell. E 08 (Fascher) "Es war kein Bordell, es war mehr auf Cabaret aufgebaut, also es war so, dass auch Mädchen auf die Bühne gingen und da ihren Striptease machten, aber es war kein ordinärer Strip, ja und die Beatle haben sogar noch Striptease, glaub´ ich, gesehen im Indra. Die Indra war ´n Plüschladen, mit roten Plüsch bestickten Sesseln, und es war noch diese Separat-Boxen, wo man sich auch zurück ziehen konnte mit seiner Dame, die man da eingeladen hatte, ja und so lernten die Beatles nich´ Hamburg als Rock´n´Roll-Burg kennen, sondern als ganz unten anfangen in einem so genannten Plüschladen, Rock´n´Roll spielen." AUT Die Indra steht da immer noch, hinter dem Grünspan, dann kommt die Tor- Einfahrt, dann kommt die Indra. Und dahinter ein Parkplatz und ein Fischhandel. E 09 (Fascher) "Richtig, der war da, der Fischhandel, aber der große Parkplatz, der war nich´ da, was war alles noch Schutt und Asche und so." AUT Und dann kam eine Kneipe... E 10 (Fascher) "´Lachende Vagabund´." AUT Das soll die Lieblingskneipe von Hans Albers gewesen sein. E 11 (Fascher) "Ja, da bin ich angefangen als Kellner." AUT Die Frühschicht, von Morgens um vier bis Mittags um 12. E 12 (Geisler) "Wir sind ja damals mit Bert Kaempfert jeden Monat einmal durch die Reeperbahn gezogen und haben geguckt, wo irgendwelche neue Bands spielen, und dabei ist uns diese Band aufgefallen." AUT Ladi Geisler war auch die Indra bekannt... E 13 (Geisler) "War mir natürlich bekannt. Sie waren ja eigentlich eine Band von vielen." AUT Ladi Geisler, 1960 32, Gitarrist und Bassist, war Mitglied der NDR-Bigband UND Mitglied des Orchesters von Bert Kaempfert, Komponist der Songs Strangers In The Night und Spanish Eyes, Arrangeur von Elvis´ Muss I denn. Kaempfert gilt als Vater des so genannten Easy Listening. Ladi Geisler war mit Kaempfert an Produktionen von Helmut Zacharias, Hildegard Knef, Fred Bertelmann, Freddy Quinn und Friedel Hensch beteiligt. Die Beatles, Ladi Geisler: E 14 (Geisler) "Das war unbedingt für die damaligen Verhältnisse die neue Richtung, die neue Richtung mit zwei oder drei Gitarren, Bass und Schlagzeug, das war bei ihnen schon damals ganz deutlich. Das waren junge wilde Jungs. Das war damals eigentlich so das übliche, was man auf der Reeperbahn sehen konnte." AUT Hamburg 1960, Ladi Geisler: E 15 (Geisler) "Die Stadt veränderte sich zusehends. Hamburg war für meine Begriffe eine unheimlich pulsierende Stadt, es war nicht nur der Hafen, überall tat sich was." E 16 (Fascher) "Das war ´ne wilde Zeit, es war alles noch, ja es war alles noch roh." E 17 (Geisler) "Das Publikum konnte noch gar nicht so richtig definieren, was gut war, was schlecht war, für die war wichtig, dass auf der Bühne paar Typen standen, der Rhythmus, das war ja das Ausschlag gebende, was uns zuerst packte, wir wussten noch gar nicht richtig was die Texte beinhalteten, und wenn die Jungs vielleicht ´n Akkord verkehrt spielten, oder einen ´n Ton vorbei haute, denn merkte man das gar nicht, also vom Publikum her, sondern man ging bumm bumm bumm auf die Trommel mehr oder weniger, auf den Rhythmus, und da tanzte man nach, und es war rough, es war rough, die hatten keine Bühnengarderobe, sie versuchten, sich hübsch anzuziehen von dem, was sie mit hatten, sie hatten aber alle nur Jeans mit und diese High-Heel-Shoes mit diesen Spitzen und sie hatten kleine Verstärker, die war´n vielleicht so groß wie ´n kleiner Koffer, und ja der Schlagzeuger, das war nun kein variöser Drummer, sach ich mal, sondern es war der Rhythmus, was uns peitschte, und das war die Wichtigkeit dabei." AUT Hamburg 1960. E 18 (Fascher) "Hamburch 1960." AUT Ladi Geisler hatte gesagt, überall tat sich was. Horst Fascher: E 19 (Fascher) "Ja, es war, es war ´ne schöne Zeit, alle hatten Arbeit, alle haben auch gearbeitet und haben und haben dann ihr Geld auch wieder ausgegeben, um sich zu amüsieren, denn es war so die Zeit, dass die Kriegskinder gerade erwachsen wurden, und ihre eigenen Ideen dabei hatten, sich zu amüsieren, Striptease und das war alles zweitrangig, das war immer noch da für den Tourismus und für die Seeleute und dergleichen, aber uns interessierte Striptease nich´, wir gingen die Freiheit runter, ohne nach links und rechts zu gucken, ... ja die Musik, die Musik gab einfach das Lebensgefühl wider, was wir als freies Leben und schönes Leben empfanden." AUT Und die Beatles? E 20 (Fascher) "Sie waren ungezwungen, sie waren, wie ich das so sach´, sie waren wie wir, oder wir waren wie die, bloß die konnten Musik spielen und wir nicht. Wir waren ja auch ne Hafenstadt so wie Liverpool, das hat man im Nachhinein erst alles gewusst, und kamen auch aus armen Verhältnissen, oder aus ärmlichen Verhältnissen und sie waren eigentlich wie wir, ja." AUT Es gab allerdings doch einen Unterschied: Sie mussten arbeiten. E 21 (Fascher) "Sie haben die Nacht gespielt, sie haben immer 45 Minuten gespielt und 15 Minuten Pause gehabt, und das 7 Stunden lang, von Abends 20 Uhr bis Morgens um drei war die letzte Stunde, von drei bis vier, denn die Läden machten erst um vier Uhr zu." AUT Das Repertoire, das sie spielten, beschränkte sich auf Cover-Versionen, das heißt das Nachspielen alter Songs sowie ein paar eigene Lieder. Stilistisch lagen sie, so erinnert sich Fascher, zwischen Schrammelmusik, Rhythm´& Blues und Skiffle. Skiffle war populär und Lonnie Donnegan, englischer Skiffler, so populär wie der König. Aber ganz egal, was die Beatles gespielt haben mochten, in Hamburger Schule lernten sie. Sie haben gelernt, indem sie jede Nacht spielten: E 22 (Fascher) "Sie haben gelernt, ja. Also das heißt, ich hab´ auch ´ne Lehre begonnen, da musste ja auch nach gewissen Vorgaben gearbeitet werden. Und genau so die Musiker, die mussten pünktlich da sein, sie mussten verhälnismässig sauber auf die Bühne gehen, ich wollte nicht, dass sie die gleichen Klamotten tragen, die sie auf der Strasse trugen und denn nachher auf der Bühne so standen, dass mussten sie. Denn habe ich nich´ haben wollen, dass sie auf der Bühne rauchen, was schwer schwer durchzubringen war, weil George schon ´n Kettenraucher, damals als junger Bengel, und die leeren Flaschen auf der Bühne stehen lassen, wenn der Set zu Ende war, mussten sie ihr Leergut mit runter nehmen, und John Lennon hat nicht einmal, sondern oftmals zu mir gesagt: You fuckin´ Nazi bastard, wenn er angetörnt war, weil ich immer so diese Befehle ihnen gesagt hab´, was sie machen mussten. Also es war ganz wichtig, dass sie lernten Disziplin, in all the way, auch in ihren Songs mussten sie nachher Disziplin haben und haben es auch gehabt und das kannten sie nicht so, sie kamen ja aus Liverpool aus´m Keller, aus´m Cavern, das war ´n Keller, da wär´ unsereiner nich´ rein gegangen, der hätte hier in Deutschland auch gar keine Konzession bekommen, also ´n richtiger Kellerladen, und da war es ja auch egal, ob die da Bier auf der Bühne stehen hatten oder dergleichen, das waren so die disziplinarischen Sachen, die man denen hat beigebracht. Und vor allen Dingen mussten sie ihr Repertoire ständig erweitern, sie merkten, man, das den Song haben wir gestern gebracht und vorgestern auch schon, wir müssen mal wieder für den Song ´n anderen Song einstudieren, sie kamen jeden Tach nachher zu mir und fragten, Horst, können wir üben? Die Beatles waren die fleißigsten Über, also muss ich sagen, dass sie sehr fleißig waren im neue Songs einüben und dergleichen. Und das war, was die Beatles von hier mitgekriegt haben, dieses disziplinarische Verhalten mit, und vor allen Dingen: We have to do every day something new, wir können nicht immer gleich mit vier Mann da vorne stehen und mal so machen und so machen und dergleichen, sondern wir müssen uns auch mal vielleicht mal ´n paar Gags einfallen lassen, oder ´n anderen Sachritt dazu machen oder wie auch immer, und ja, ich glaub´, das haben sie in Hamburg mitbekommen, und das hat eben auch für´s Spätere nachher geholfen, oder es leichter gemacht." AUT Sie haben Spielen gelernt. E 23 0-Ton: "Und sie haben Spielen gelernt. Und sie mussten sich da mit anderen messen. Da war das nicht von wegen Heute haben wir keine Lust, nee, da mussten sie zeigen, hier, we are the ones, und die anderen wollten das auch zeigen und haben´s auch gezeigt zum Teil, deswegen war auch die Qualität so gut. Und sie haben denn zum ersten mal gesehen: Oha, guck´ mal, wie die Stars sich benehmen, was die machen und und und, nech." AUT 48 Tage spielten die Beatles in der Indra. Am 04.Oktober 1960 wechselten sie in den Kaiserkeller. Am 21.November wurde George Harrison, er war noch keine 18 Jahre alt, eben deshalb ausgewiesen. Die restlichen vier blieben bis 30.November. Am 01.April 1961 spielten sie in Peter Eckhorns Top Ten, Reeperbahn, Horst Fascher wurde zum Geschäftsführer, die Beatles blieben bis zum 02.Juli. Am 13.April 1962 kamen sie noch einmal nach Hamburg, in Manfred Weissleders Star-Club, Fascher hatte sie engagiert, sie blieben bis zum 31.Mai. Sie kehrten am 01.November zurück und blieben bis zum 14.November. Zwischen dem 18. und 31.Dezember 1962 hatten sie ihre letzten Sauftritte im Star-Club und begannen dann ihre ... wie soll man sagen? ... ihre Weltkarriere. Ladi Geisler, der Mann der NDR-Bigband, der Mann von Bert Kaempfert, war irgendwann mit den Beatles in einem Hamburger Studio. Es ging um die von Fascher erwähnten Verstärker. Ladi Geisler: E 24 (Geisler) "Es war so, Kaempfert hat mich angerufen und hat mir gesagt: Komm mal schnell in´s Studio und bring ein paar Verstärker mit, weil die Jungs, die sind hier angekommen jetzt mit ein paar Verstärkern und die machen so viel Nebengeräusche und die klingen so kaputt, dass wir damit schwerlich irgend welche Aufnahmen machen können. Bring mal Deine Verstärker mir, damit wir hier die aufnahmen zu Ende bringen können." AUT Die Indra hatte viele Jahre zu. Horst Fascher: E 25 (Fascher) "Ja, es lief nicht, auch der ´Lachende Vagabund´ hatte Schwierigkeiten, da ist das denn auch alles in´s Minus gegangen, und die haben doch nachher die ganzen Läden zu gemacht, so war das auch mit der Indra, nech." AUT Astrid Kirchherr, die Fotografin und Freundin von Stuart Sutcliffe, arbeitet seit langer Zeit in der Küche einer Kneipe. Jürgen Vollmer, der Fotograf, lebt und arbeitet in Kalifornien. Klaus Voormann, der Grafiker und Bassist, lebt am Starnberger See. Ringo Starr, der der Schlagzeuger der Beatles werden sollte, ist neulich 70 geworden, Paul McCartney ist 68. Pete Best, der erste Schlagzeuger, wird 69 und lebt in Liverpool. Stuart Sutcliffe, der erste Bassist, starb am 10. April 1962 in Jamburg an einer Hirnblutung, er hatte die Beatles bereits im Mai 1961 verlassen und war Student der Malerei. George Harrison verstarb am 29.November 2001, er hatte Krebs und wurde 67 Jahre alt. John Lennon wurde erschossen. Horst Fascher: E 26 (Fascher) "Als der John denn diesen tragischen Unfall hatte, da war ich sehr traurig, ich hab´ auch geheult, zu Hause. Ich hab´ sie alle vier das letzte Mal zusammen gesehen 1962 auf ´63 im Star-Club, nie wieder zusammen, ich hab´ sie einzeln getroffen, auch zu zweit mal getroffen, aber nie alle vier wieder zusammen, denn in der Zeit, als sie zu viert diese Blitz-Tournee in Deutschland machten, da war ich im Knast." AUT Horst Fascher, inzwischen 74, lebt in Erinnerung an die Beatles in der Nähe des Hamburger Hafens, in der Neustadt, er kann den Hafen riechen. Der Verstärker, den Ladi Geisler erwähnte, Geisler spielt noch immer, der Verstärker, den Geisler erwähnte, jener, den er ihnen lieh, steht bei No.One in der Talstrasse, St.Pauli-Süd, wie die Große Freiheit Seitenstrasse der Reeperbahn zum Verkauf. E 26 (Geisler) "Der stand irgendwo bei meinem Sohn Jahrzehnte lang auf´m Speicher oben und No.One, die wollen den an den Mann bringen. Der hatte einen Namen, GA 4..." AUT GA, Gibson Amplifier... E 27 (Geisler) "...ja, ich weiß nicht, es steht zwar nicht drauf auf dem Verstärker..." AUT ...dass die Beatles ihn benutzt haben... E 28 (Geisler) "...aber wenn man diese ganze Geschichte gehört hat, da kann man sich damit anfreunden." -ENDE Beitrag-