DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 03.03.2009 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr Brunnenviertel/Marthashof Der "soziale Äquator? als neue Grenze Von Anselm Weidner URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo Bau O-Ton Marthabau: Sie sehen jetzt die Bodenplatte der Tiefgarage, die Häuser gruppieren sich außerhalb dieser Bodenplatte. Wir errichten innerhalb dieser Wohnanlage einen Park von über 3000 m², um den sich die Häuser anordnen, wie ein Dorf um einen Dorfplatz. Atmo music surround, Vogelgezwitscher Zitatorin: Inmitten der pulsierenden Metropole Berlin, im lebendigen Stadtteil Prenzlauer Berg gelegen, um einen zentralen, grünen Gartenhof entsteht Marthashof: Garden Houses, Central Houses, Penthouses und Townhouses - ein Manifest für Lebensqualität ohne Kompromisse. Atmo Berliner Tafel Sprecher: Das geschieht auf der einen Seite der Bernauer Straße, - und auf der anderen Seite im Brunnenviertel steht vor der Sebastianskirche jeden Donnerstagvormittag eine von Jahr zu Jahr länger werdende Schlange von armen Menschen an. Sie wollen zu einer der 54 Laib&Seele-Lebensmittelausgabestellen der Berliner Tafel. Atmo Berliner Tafel O-Ton Modde: Es ist mittlerweile so, dass ich zu Laib und Seele gehe. Ich bin da wirklich für jedes Stück, was wir bekommen dankbar, weil ich habe damit meine Kinder mit Vitaminen über den Winter bekommen, die ich sonst nicht gehabt hätte, weder Obst noch Gemüse, man kann es sich einfach nicht leisten. Rap 1: Niemand, niemand, niemand hat die Absicht, hat die Absicht, eine Mauer zu errichten Ansage: Brunnenviertel/Marthashof - Der "soziale Äquator? als neue Grenze Ein Feature von Anselm Weidner Atmo Straßenbahn/Autolärm Sprecher: Die Bernauerstraße, eine Straße in Berlin, asphaltiert, vierspurig, rechts und links Fahrradwege, in der Mitte fährt die Straßenbahn, Wohnhäuser, 5-8 Geschosser, sozialer Wohnungsbau aus den 60er bis 80er Jahren auf der einen Seite. Auf der gegenüberliegenden Seite wuchern Gras und Gebüsch, wo Häuser standen, die 1963 unter Aufsicht von DDR-Grenztruppen abgerissen wurden. Dahinter ragen die Rückseiten frisch sanierter Gründerzeithäuser auf. Quer über die Seitenstraßen erinnert eine doppelte Kopfsteinpflasterreihe an den Verlauf der Berliner Mauer. Hier verlief sie in Ost-West-Richtung entlang der alten Bezirksgrenzen zwischen dem Wedding im Norden und Mitte und einem Zipfel Prenzlauer Berg im Süden . Neuerdings schießen auf dem 30 Meter breiten Mauerstreifen wie wild neue kompakte Wohnhäuser in die Luft, bis 8 Geschosse hoch. Auf der Mauerbrache auf der südlichen Seite der Bernauer Straße tummeln sich im Jahr 20 des Mauerfalls Bauinvestoren. O-Ton-Andacht: Am 9.November 1989 ist die Mauer gefallen - Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden, dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein. O-Ton-Amanda: Einst, als ich noch klein war, da gab es keine Zäune auf den Hinterhöfen, da konnten wir wie in einem Riesenpark durch die Gegend rennen, es war einfach ziemlich frei, und heute ist es nicht mehr möglich wegen den ganzen Zäunen. Sprecher: Irgendetwas hat sich im Lebensumfeld von Amanda in der Swinemünder Straße auf der Ostberliner Seite der Bernauerstraße, in den 15 Jahren, die sie hier wohnt, grundsätzlich geändert. O-Ton Amanda: Eigentlich erleb ich's jeden Morgen, weil da fährt die M10 und ich fahr zur Schule. Auf meiner Straßenseite sind halt die ganzen deutschen Mädchen und Jungen; die auf der anderen Seite, größtenteils Türken, stylen sich einfach ganz anders. Die Jungs mit Jogginghose und lauter Musik vom Handy und wir auf der Straßenseite sind eher so die ruhigen, die an der Haltestelle sitzen und lernen. Sprecher: Was Amanada die 'andere Seite' nennt, ist das Brunnenviertel im einst 'roten Wedding' nördlich der Bernauer Straße. Rap 2: Niemand, niemand, hat, die Absicht, die Absicht. eine Mauer zu errichten. Sprecher: Seine Parteimitgliedsbeiträge zahlte Willy Brandt bis zum Ende seines Lebens im SPD-Ortsverein Brunnenviertel. Der Arbeiterkiez lag ihm am Herzen. O-Ton-Petri: Beide Seiten waren Altbauten hier gewesen. Hier, wo dieser Kastanienbaum ist, ging der Hinterhof lang. Det war allet bebaut mit Altbauten.- Und hier vorne, was wir hier unten sehen? - Allt, alle neugebaut, nach und nach. Und dieset hier haben'se ja mit ner Glocke einjerissen. Sprecher: Blick zurück - ohne Zorn - vom Balkon im 5. Stock eines Hauses mitten im Brunnenviertel. Familie Petri bezog hier ihren Neubau 1959 - mitten im Kalten Krieg. Willy Brandt war gerade 2 Jahre Regierender Bürgermeister von Westberlin. Aus dem Arbeiterkiez wurde das größte Sanierungsgebiet Europas. Allein bis 1965 wurden 8500 Wohnungen abgerissen. Kahlschlagsanierung. Die finsteren Hinterhöfe verschwanden, Grünflächen entstanden, lichtere Wohnungen, neue Schulen - ein Schaufenster des Westens an der Grenze der Blöcke. Nur - die angestammte, größtenteils deutsche Arbeiterschaft zog weg in die Betonburgen des neuen Märkischen Viertels, zumal nachdem Ende der 70er Jahre das AEG-Werk Brunnenstraße seine Tore schloss, die letzten 3000 Beschäftigten auf einen Schlag ihre Arbeitsplätze verloren. Verdrängung Nr.1. O-Ton Ryan: Die Alten, die noch hier geblieben sind, die werden immer weniger. Es gibt auch viele Leute hier, die nicht besonders viel Rücksicht nehmen auf die anderen, die hier wohnen, die scheinen oft besoffen zu sein tagsüber auch, also viele Leute die keine Arbeit haben. Das ändert sich aber mit den jungen Leuten, die jetzt hier einziehen, wird's hier langsam auch cool. Da auf der anderen Seite sind es junge Leute aus aller Welt, die gebildet sind, auf der anderen Seite spielt man mit den Kindern; hier würden die sich immer verprügeln und schreien sich an und so. Also eigentlich fühl ich mich mehr mit der anderen Seite verbunden. Das Komische ist aber, auf der alten westlichen Seite ist eher die deprimierte Seite und die andere Seite wird immer reicher und immer schöner. Die Grenze existiert noch, das sieht man schon wie die Leute, auf welcher Straßenseite sie laufen. Hier auf dieser Seite sind es die ganzen Ausländer und die armen Deutschen, die auf dieser Seite wohnen und auf der anderen Seite sind es die jungen coolen Leute. Sprecher: Ryan Paulson, Übersetzer aus den USA, wohnt auf der Weddinger Seite, Bernauerstraße 73. Die 'andere' Seite ist immer die, auf der man nicht wohnt, für Ryan ist es die Gegend der coolen Leute in der Oderbergerstraße oder Kastanienallee, auch 'casting-Allee' genannt, südlich der Bernauer. Da gibt es Kleiderläden en masse, sie heißen 'God bless you','Schöne Maid', Restaurants aus aller Herren Länder, der Kosmetikladen heißt 'crème fresh', ein Lederladen 'Doppelleben', Friseurladen 'Fräulein Schneider' und 'Notaufnahme'. In der 'Notaufnahme' fleetzen, drängeln sich die wartenden, durchweg jungen Kunden auf Eisengestell-Notbetten: Atmo Notaufnahme Warum kommen Sie hierher? - Weil ich's extrem amüsant finde und die Haare gut geschnitten werden. eine schöne Kombi/Hohe Qualität in einem lockeren Niveau./Weil es eine sehr gute Friseurin ist und ich die Haare nicht nachschneiden brauch. Sprecher: Haare schneiden, waschen und selber föhnen für 16 Euro. Locker, jung, cool, konsumqualitätsbewusst sind die Leute hier wie in den unzähligen Cafés, dem 'Kauf Dich glücklich', im 'Entweder-oder' oder im 'Weltempfaenger' am Arkonaplatz. Retro ist hier angesagt: bauchige orangene Plastiklampen und grau-schraffierte Tapeten; die Jungen, Hübschen, Kreativen sitzen vor ihren Laptops und trinken Latte Macchiato oder Bio-Trinkschokolade. Atmo Welt Jetzt bin ich gerade auf facebook, das is son Portal, wo man sich mit Freunden vernetzten kann.Man schaut eigentlich ständig nach, wer gerade wie sein Profil upgedated hat./Ich versuche gerade meinen Safari wieder zum Laufen zu bringen./ C'est tres agréable. Je suis dans le stylisme. Sprecher: Es sei sehr angemehm hier, ein bisschen so ein familiäres Viertel. Sie sei Modedesignerin aus Paris. Die Männer wollen nicht gestört werden. Nur einer, ohne den obligaten laptop, erzählt von den Zeitläufen entlang der Bernauerstraße, vom Wedding und 'hier', in den Ostberliner 'In-Vierteln': O-Ton Welt: Ich weiß nicht, ob sie jemals die Bernauerstraße überqueren. - Doch, wenn ich zu Aldi fahre. Ja es ist auch schwer zu erklären, weil ganz viele junge Damen und Herren, die bei uns im Betrieb arbeiten, sich weigern in den Wedding zu ziehen. Keiner will das. Es wird mittlerweile so wie Charlottenburg in den 80ern, dass hier die ganzen saturierten Alleinerziehenden oder auch Jungfamilien mit einem guten Einkommen diese Ecke von Berlin favorisieren. Wobei auch schon wieder ein Trend zu erkennen ist, dass die Leute zurück nach Westberlin gehen, weil es dort erheblich billiger ist. Sprecher: Im 'Familiencafé', einem der vier Cafés auf der anderen, der Wedding-Seite, herrscht meist gähnende Leere; es kämpft um's überleben. Im benachbarten türkischen Imbiss 'Enjoy' - 'alarmgesichert/videoüberwacht' - geht es auch nicht besser. Der türkische Pächter der Kneipe 'Rote Klause' am Vinetaplatz klagt über Absatzrückgang, überlegt, ob er ihn mit 'oben-ohne-Parties' vielleicht stoppen kann . Restaurants und Kleiderläden auf dieser Seite lassen sich an fünf Fingern abzählen. Im Brunnenviertel kommen 60 Prozent der Bewohner aus der Türkei, Palästina, dem Libanon oder Pakistan, sind Menschen mit Migrationshintergrund. Das durschnittliche Nettoeinkommen liegt um 550 Euro unter dem im Arkonaplatzviertel. Über die Hälfte der Menschen auf der Weddingseite leben von Transfereinkommen, sind größtenteils Hartz IV-Empfänger. ZUM BEISPIEL die gelernte Bürokauffrau Claudia Modde: sie und eine ihrer beiden Töchter, die bei ihr wohnen, leiden am Leri-Weill-Syndrom,einer schmerzhaften Knochenkrankheit. Frau Modde kann deshalb nicht mehr arbeiten. Ihr Mann hat Arbeit in einem Computerladen, hat einen sog. Mini-Job: Frau Modde muss mit ihrer vierköpfigen Familie mit 1124 Euro Hartz IV-Geld auskommen plus den 160 Euro, die vom Lohn des Mannes übrigbleiben. O-Ton Modde: Ik hab eine sog. Couvert-Wirtschaft; das heißt ik hab eine kleine Kiste, da hab ik meine Couverts drin, wo für jeden ein Umschlag ist, ein Umschlag für die Kleidung, ein Umschlag für den Geburtstag, ein Umschlag ist für Weihnachten, sodass ich jeden Monat einen kleinen Anteil weglege, weil es ist ja so, dass diese Gelder, die wir von Hartz IV bekommen, inclusive Bekleidungsgeld sind. Es gibt Monate, da brauch ich nichts zum Anziehen. Also leg ich's weg. Wenn ich dann en Wintermantel brauch, hab ich über's Jahr en bisschen was angespart. Zitator: Zwischen 2002 bis 2006 nahmen die Kapitaleinkünfte und Unternehmergewinne dreimal so stark zu wie die Arbeitnehmerentgelte. Sprecher: Oder Frau Haberstock, in der Hussitenstraße nahe der Bernauer Straße auf der Weddinger Seite. 43 Jahre lang hat sie im Elektrohandel gearbeitet und jetzt bekommt sie 902,- Euro Rente. 360 Euro kostet ihre 48-Quadratmeter-Einraumwohnung. O-Ton Haberstock: Ik bin uf Rente gegangen. Ik hab mir einjebildet, 43 Jahre, dufte, gehste uf Rente.Meine Rente kam, ik musste als erstes die Wohnung wechseln, det Zweete, musst ik mein Auto abgeben, weil ik det alles mit der Rente nich mehr halten konnte. Also ik bin inne Einraumwohnung gezogen. Also da versteh ik überhaupt nich, warum ik mein janzes Leben jearbeitet habe. Zum Beispiel meine Brille, ja dat is ja en Klopper da, da sollte ik 198 Euro für ein Glas bezahlen. Ich kann janu nich dafür, dass ik schlecht kieken kann, ja. Also die Brille hat mich rinjerissen. Jetzt anschließend is wat mit den Zähnen, darf ik garnich drüber nachdenken, sone Sachen reißen richtig doll rein. Sprecher: Schräg gegenüber von Frau Haberstock hinterm Mauerstreifen auf der 'anderen Seite' in der Rosenthaler Vorstadt, bis vor kurzem Sanierungsgebiet, wohnt Stefan Hippenstiel, Pneumologe an der Charité. Atmo Arcona O-Ton Hippenstiel: Als wir vor 10 Jahren nach Berlin kamen, bezogen wir einen Neubau, der wunderbar gelegen war an einem Gelände, wo damals schon bekannt war, dass es ein Spielplatz werden würde, und dieses Haus war komplett bezogen mit Zugezogenen, darunter waren Architekten, Journalisten, ein Arzt und solche Leute, die dort einzogen. Sprecher: In die frischsanierten Gründerzeitaltbauten zogen die jungen, kreativen Selbstständigen,- Altbundesbürger größtenteils. Die Haushaltsnettoeinkommen liegen hier über dem Berliner Durchschnitt. O-Ton Hippenstiel: Im Vorderhaus war noch die ältere Stammbevölkerung, in erster Linie ältere Menschen. Als dann der Investor den Garten versorgt hatte und das Hinterhaus fertig war, wurde mit der Sanierung des Vorderhauses begonnen, was dazu führte, dass sämtliche Bewohner einmal komplett ausgetauscht wurden und jetzt in den sanierten Wohnungen ähnlich vorgebildete und auch mit höherem Einkommen versehene Familien eingezogen sind. Von der ursprünglichen Bewohnerschaft ist meines Wissens schon seit Jahren niemand übriggeblieben, sodass jetzt eine eher sehr homogene Bevölkerung dort ist, relativ viele Leute mit Kindern, kleinen Kindern vor allen Dingen, junge Familien. Sprecher: In den letzten 15 Jahren sind 80 Prozent der angestammten Bewohner aus den einst Ostberliner Quartieren in Altmitte und Prenzlauer Berg weggezogen. O-Ton-Mohamed: Viele Menschen sind weggezogen, die man kannte. Es ist schwierig. Wenn man so läuft oder man guckt raus, is kaum jemand, den man grüßen kann, dass man sagen kann, oh hallo, wie geht's, weil es sind immer neue Gesichter. Au, es ist schwer. Sprecher: Frau Mohamed lebt mit ihrer Tochter Amanda in der Swinemünderstraße auf der früheren Ostseite, gleich am Arkonaplatz, da wo für den Quadratmeter inzwischen schon mal 15 Euro Miete und mehr gezahlt werden. Sie kommt aus Somalia, hat an der Film- und Fernsehhochschule in Babelsberg studiert und zuletzt als Mieterberaterin gearbeitet. Die Somalierin lebt jetzt von Hartz IV. Noch hat sie einen günstigen Mietvertrag. Der läuft in diesem Jahr aus. O-Ton-Mohamed: Wenn Staffelzeit vorbei ist, kann man mit 200 Euro Steigerung rechnen. Vielleicht sind andere Wege möglich, muss ich mal gucken, sonst muss ich meine sieben Sachen packen und ausziehen,was ich ja ungern tun würde, wenn man 15 Jahre hier gelebt hat. Vielleicht bleibt auch nichts andres übrig. Man entwickelt einen Minderwertigkeitskomplex. Man passt nicht mehr hierher, denkt man, aber wenn man die Augen aufmacht, kann jedem passieren. Ja, die Angst ist einfach groß. Sprecher: Durchschnittlich 7,75 Euro pro Quadratmeter zahlt man südlich der Bernauer Straße, fast 2 Euro mehr als im Berliner Durchschnitt, im Brunnenviertel sind es 4, 66 Euro. 13,7 Prozent Hartz-IV-Empfänger weist die jüngste Sozialstatistik für das Arkonaplatz-Viertel aus; im Brunnenviertel sind es mit 51,3 Prozent fast viermal soviel. Rap 3: Eine Mauer zu errichten niemand, niemand, hat die Absicht hat die Absicht, niemand. O-Ton/Atmo Demo: Wohnung zum Wohnen, nicht zum Profit/ Schade Berlin, du warst was Besonderes, jetzt wirst Du gleichgemacht. Man kann es ja miterleben, wie diese Stadt wirklich was Besonderes war, kulturell und wie das Stück für Stück verschwindet, also auf jeden Fall aus der Stadtmitte, wie's verdrängt wird. Es geht ja immer um Räume, Freiräume, Räume für Alternativen, und die verschwinden. Sprecher: Der Prozess der sog. 'gentrification', der Verdrängung ärmerer Bevölkerungsteile durch reichere, ist in den einst Ostberliner innerstädtischen Stadtteilen Berlins wie Mitte und Prenzlauer Berg weitgehend abgeschlossen. Dort leben der Schauspieler Tobias Dutschke und der Anwalt Ulf Heitmann in einer Genossenschaft. O-Ton Dutschke: Jetzt laufen nur noch Leute rum, die alle gleich aussehen. Also, wenn ich rausgehe, ich begegne nur noch mir selber. Alles Leute zwischen 30 und 50. Wir sind alle Freiberufler; wir sind alle irgendwie kreativ, wir sind alle in der Werbung oder inner Kunst, alle haben damit zu tun und alle, die damit zu tun haben, müssen auch hier wohnen scheinbar. /Also die Omas, die hier noch wohnen, die traun sich kaum noch auf die Straße. Wenn ich Frau Beckü hier mit ihrem alten Hund angucke, die geht immer einmal um'en Block und dann geht sie wieder schnell nach Hause. Weil sie findet auf der Straße kaum noch jemand, es sein denn Frau Wünschmann in der 14, da bleibt se vorm Fenster stehen, weil das ist aucn eine ältere Dame, die eben auch nur noch zu Kaisers geht und wieder zurück, weil die können sich keenen Kaffe mehr leisten und es gibt keen Kaffekränzchen mehr im Wiener Kaffee in der Schönhauser; oder im Prater war früher Rentnertanz. Da kamen die raus, da waren die wirklich sichtbar und in den Eckkneipen konnten die Opas sitzen und für 49 Pfenning ihr Bier trinken. Heute für 2.80 geht det nich mehr bei den Renten. Also die sind marginali-siert und deshalb sind sicherlich auch viele schon weg. Atmo Demo in der Ferne Sprecher: Die Entmischung, Homogenisierung und Ghettoisierung erfasst, wie in Paris, London oder New York nun auch in Berlin nach und nach alle zentrumsnahen Stadtteile und ist in Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln gerade in vollem Gange. - Dagegen regt sich dort noch Widerstand. - An die Bernauer Straße dringt er wie ein unendlich fernes Echo. Es ist, als stünde die Bernauer Straße heute für einen Paradigemenwechsel vom 'Teile-und-herrsche' der ideologischen Spaltung in Ost und West zum 'Teile-und-herrsche' der sozialen und ethnischen Spaltung in neoliberaler Zeit in arm und reich, Migrant und Deutscher, - auf beiden Seiten offenbar weitgehend fraglos als Naturge-setz hingenommen. Atmo Kneipe O-Ton Martini: Detlef Martini, also wieviel verdienen sie? 726 Euro im Monat, brutto. Bei eine dreiköpfigen Familie kommt man da nicht mit aus. Wenn man da noch die Schulden und det alles von den andern Kindern bezahlen muss, da hilft auch kein Haushaltsbuch, da dreht man jeden Cent rum. Sprecher: Detlef Martini wohnt mit seiner kranken Frau, die Hartz-IV bezieht, und einem seiner drei Söhne im Brunnenviertel, ist Stapelfahrer bei einem Baumarkt, 5 1/2 Stunden am Tag, Teilzeitarbeiter, hat einen sog. Midi-Job. Nach 8 Jahren mit einem Teilzeitvertrag über 400,- Euro arbeitet er jetzt 120 Stunden für etwas über 700 Euro. Zitator: Der durchschnittliche Niedriglohn ist zwischen 1996 und 2006 inflationsbereinigt in Westdeutschland von 5,93 auf 5,91 Euro, in Ostdeutschland von 4,63 auf 4,19 gesunken. O-Ton-Andacht: Wir vergessen die Teilung nicht, wir gedenken der Opfer. Zitator: 2007 hatte in Deutschland das oberste Zehntel 31 Prozent mehr, das unterste Zehntel dagegen 13 Prozent weniger Einkommen als 1992 zur Verfügung. O-Ton Martini: Und hier in dem Viertel zu wohnen? Sie wohnen ja nun schon so lange hier. Wie hat sich das geändert? - Von Jahr zu Jahr wurd det immer schlimmer, immer schlimmer. Ob det mit den Ausländer, war, mit der Kriminalitätsrate, den Drogen. Wenn man, sagen wir mal, jetzt irgendwo hier hingeht oder man guckt komisch, wat guckst Du Alter, wat guckst Du, schwör ich Dir, oder genauso auf Arbeit , eh Du ich brauch mal, eh Du bring mal, mach mal. Schlim, schlimm. Meine Frau zuliebe, immer wenn wir von hier nach Hause gehen, und uns kommt so'ne Meute entgegen, denn sagt se immer, Du Dicker, könn wir die Straßenseite wechseln. Mach ik ihr zuliebe. Ik würde die Straßenseite nicht wechseln. Rap 4: die Absicht hat die Absicht eine Mauer zu errichten eine Mauer? - niemand, niemand O-Ton Konfliktlotse: Du redest über mich oder was? - Ja haste was dagegen? - Ja hab ich.-Halt Deine Fresse - halt Du Deine Fresse, eh, Schlampe eh! -Hure, guck mal, wie Du rumläufst! - halt die Fresse! - Guck Dich mal, ok - Stop! ... Ich bin weder auf Deiner Seite noch auf Deiner Seite, ich bin neutral. Alles, was wir in diesem Raum besprechen, dürft ihr nicht weitererzählen. Sprecher: Das Gewaltpotential hat bei uns spürbar abgenommen, erklärt Barbara Fürtinger, Lehererin an der Heinrich-Seidel-Schule, eine der drei öffentlichen Grundschulen im Brunnenviertel, beim Konfliktlotsentrainung einer 6.Klasse im Rahmen eines Gewaltpräventionsprogramms an Schulen. 94 Prozent der Schülerinnen und Schüler sind hier Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund. Rektorin Cornelia Flader: O-Ton-Seidel: Zuerst einmal kommen unsere Kinder mit viel weniger in die Schule, als sie eigentlich müssten. Wir haben eine Verzögerung von ein bis zwei Jahren. Da stimmt die Feinmotorik nicht, sie können nicht rückwärts laufen, sie können nicht balancieren. Da stimmen die Sprachkompetenzen nicht. Die Kinder haben oft nicht gelernt, in der Gruppe zusammen zu spielen. Sprecher: In einer Schule mit einem so hohem Anteil von Migrantenkindern wird Chancenungleichheit von Kindesbeinen an zementiert. Dem ist mit noch so engagier-ten Förderprogrammen nicht beizukommen, zumal,so Rektorin Flader, eine islamische Parallelgesellschaft im Brunnenviertel nicht zu entstehen droht, sondern bereits entstanden ist. O-Ton-Seidel: Selbst kleine, jüngste Kinder in der 3.Klasse tragen plötzlich ein Kopftuch. Da ist auch zu verzeichnen, dass Mädchen, die nicht mehr am Islam-Unterricht teilnehmen wollen und die sich selbst einen Entschuldigungszettel geschrieben haben, massiv vom Islamlehrer unter Druck gesetzt werden, da haben wir schon Probleme, dass Eltern sagen, oh mein Kind soll Duschen beim Schwimmen und soll dazu die Badehose ausziehen, das geht aber nicht, der hat die Badehose anzubehalten. Oder das Fasten, Fasten von ganz kleinen Kindern, da ist der Druck untereinander so stark. Dann fasten sie, ihnen wird schlecht,sie fallen hier um, sie sind ganz blass. - Die Schüler, die hier sind, die Gruppe ist ja relativ homogen, weil ja fast alle Moslems sind . Das heißt Die, die andere Kultur reinbringen, das sind eigentlich nur die Lehrer und die Erzieher. Also wir kommen morgens in eine uns fremde Kultur und gehen nachmittags wieder in unsere Kultur zurück. Sprecher: Wenn man die Rektorin und ihre Kollegin so reden hört, könnte man meinen, der einst rote Wedding ist in den letzten Jahren islamisch grün geworden, im Brunnennviertel tobt statt des Klassenkampfes von einst jetzt der Kampf der Kulturen. Ausgetragen wird er als Abwehrkampf südlich der Bernauer Straße. Atmo/O-Ton Versammlung: Mir kann niemand übelnehmen, wenn ich vor einer Schule stehe mit einem Migrantenanteil von 97 Prozent, dass ich da meine Tochter nicht reinschicken will. Das lass ich mir von niemandem einreden./ Im Prenzlauer Berg werden auch zusätzliche Schulplätze geschaffen und in der Schwedter Straße steht eine komplette Grundschule zur Verfügung. Das können sie uns ja auch mal erklären, wieso da keine Plätze für unsere Kinder sind. Sprecher: Bei einer Veranstaltung einer Elterniniative mit der Schulstadträtin in der überfüllten Aula des Musikgymnasiums Philip Emmanuel Bach. Auf der Mitte-Seite wehren sich Eltern gegen schulbehördlich verordnete Einschulungsbereiche, die bedeuten würden, dass ihre Kinder in die Brunnenviertel-Schulen gehen müssten. O-Ton Versammlung: Wenn ich mich hier umgucke, sehe ich niemanden, der irgendwie türkisch ist. Ist das nur ein Mitte-Problem. Finden die Eltern, die dort drüben wohnen, es nicht auch erdrückend, dass 85 Prozent Ausländeranteil an ihren Schulen ist? Ist da kein Bewusstsein da, werden die Leute nicht integriert in diese Diskussion? Für die sind doch die Schulen auf der südlichen Seite der Bernauer Straße genauso interessant wie für uns. - Ich glaube, die sind im Augenblick nicht integriert. Sprecher: Die 'nicht-Integrierten' nördlich der Bernauer Straße wehren sich nicht. Wer sich in den Schulen und Kitas dies- und jenseits der Bernauer Straße umschaut, erlebt, was gescheiterte Integrationspolitik heißt. O-Ton Ark: Im Wedding, überall sind nur Polizisten wegen Gewalt und so und hier ganz friedlich./ Auf der Straße, da sind nur Jugendliche, die machen einen dumm an./Also an dieser Schule hier find ich so toll, dass es nicht so viele Ausländer gibt und dass es hier auch keine wirkliche Schlägerei öfters gibt oder so./Wir sollten die deutsche Sprache ein bisschen mehr beherrschen und deshalb hat unsere Mutter auf diese Schule uns hierher gebracht. Auf der Straße, wo ich wohne, sind mehr diese Jugendliche, die ghettomäßig sind. Sprecher: Diese türkischen Schülerinnen einer 6.Klasse wohnen im Brunnenviertel, gehen aber in die Grundschule mit Montessori-Orientierung mit integrierter deutsch-französischer Europaschule am Arkonaplatz. Der Ausländeranteil liegt in dieser Schule bei 45 Prozent, zum größten Teil aus EU-Ländern und aus wohlhabeneren Schichten. Diese Schüler haben die Brücken zu ihrem Kiez im Wedding abgebrochen, fühlen sich der sozialen Welt der Erfolgreichen auf der Altmitte-Seite viel näher. 60 Prozent der Schulabgänger bekommen hier im Gegensatz zu 20 Prozent an den Grundschulen des Brunenviertels eine Oberschulempfehlung. 'Bildungsapartheid' an der Bernauer Straße. - Der Pneumologe Hippenstiel auf der Südseite: O-Ton Hippenstiel: Im Lauf der letzten 4 bis 5 Jahre wurde, unterstützt auch durch Senatsmaßnahmen, die Straße aufgewertet, die alte Kirche wurde saniert, die Straßen wurden neu gemacht und vielfach wurden Baulücken geschlossen und die Häuser saniert. Was auffällig ist zum Beispiel Arkonaspielplatz oder auch bei uns in der Strelitzer Straße auf den Spielplätzen, dass man relativ polyglott ist, vielfach sind das Kinder, die zweisprachig erzogen werden, und eine Vermischung mit Familien von der anderen Seite der Bernauer Straße findet nicht statt. Und wenn Sie sich das mal anschauen, werden Sie feststellen, dass deutlich mehr, schönere, neuere Spielplätze auf der Mitteseite der Bernauerstraße sind und es ist mir einfach nicht nachvollziehbar, warum die Leute diese 100 Meter nicht zurücklegen. Weil, die wären sicher genauso wiillkommen und die Kinder spielen sowieso miteinander, denen ist das vollkommen wurscht. Gleichwohl findet auch auf dieser einfachen Ebene kein Austausch statt. Zitator: Nach den jüngsten Zahlen des Statistischen Landesamtes sind 13,2 Prozent der Berliner arm, wenn man die als arm bezeichnet, die weniger als 60 Prozent des Durchschnittsverdienstes, also weniger als 706,- Euro monatlich zur Verfügung hatten. Atmo/O-Ton Elterninitiativ-Kita Mischpoke: Darf ich mal fragen, was Sie beruflich machen? Momentan bin ich nur Mutter, weil wir noch en zweites haben, aber eigentlich bin ich Anwältin. Ich bin auch Anwalt./ Ich schreibe, mache Text und PR, bin Freiberuflerin. Ich bin Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin. - Wieviele sind es denn jetzt hier? - Hier sind jetzt zwei Kleine und es gibt noch zwei Große. - Und wie heißt ihr? - Der sagt es noch nicht, der heißt aber Anton. - Und Du heißt? Malte Oskar Frank.- Was macht für Sie die Qualität aus, hier zu leben? - Dass es eben so viele Kinder gibt und dass man hier mit Kindern auch sehr gut leben kann. Wenn man hier mit Kindern unterwegs ist, ist es nicht so, dass man angeschnautzt wird, sondern dass es wirklich kinderfreundlich ist. Sprecher: An die 30 Kinder der Elterninitiativ-Kita Mischpoke aus dem angrenzenden Prenzlauer Berg feiern mit Geschwistern und Eltern mit Laternenumzug und offenem Feuer auf einem der 64 Spielplätze des Prenzlauer Bergs den St.Martinstag. Mit Kletterburgen, versunkenenen Schiffen mit Kletternetzen, Hangelseilen und Mastkorb, Bolzplätzen für Street- und Fußball, Halfpipes, für Skateboarder und Rollerskater, Edelstahlrutschen und Abenteuer-Bauspielplätzen fehlt auf den Spielplätzen hier nichts, was spielende Kinder begehren. - Wie hier wimmelt und wuselt es überall von Kindern, in der großen Mehrzahl sind es deutsche Kinder, rund um den Kollwitz- oder Arkonaplatz. Und die Medien sind voll vom Prenzlauerberg-Babyboom-Wunder: mit 2,1 Kindern pro Frau gebe es hier die höchste Geburtenrate Europas. Dass die türkischen Frauen in Berlin exakt genau so viel gebären, davon ist in den Medien nichts zu hören. O-Ton Spielplatz: Verstehen Sie mich? Ich will nur den Namen Wissen, verstehen Sie? (... Arabisch) - aber sie sagt mir den Namen. Nein, sie läuft weg. Sprecher: Schon die Sprachbarriere macht's schwer, auf dem Spielplatz an der Swinemünderstraße auf der Brunnennviertelseite mit Eltern und Kindern in Kontakt zu kommen. Nur wenige Kinder spielen hier. Migrantenkinder sind im Kiez weniger sichtbar, bleiben mehr im Haus und die Spielplatzausstattung: da mal ein Klettergerüst, dort eine Schaukel und ein paar Sandhaufen, nicht mal eingefasste Sandkästen, - ähnlich sieht es auf den übrigen 10 Spielplätzen dieses Quartiers aus. Rap 5: Niemand, niemand, niemand hat die Absicht, hat die Absicht, eine Mauer zu errichten Atmo music surround, Vogelgezwitscher Zitatorin: Ob Single, Paar oder Familie, mit den variablen Grundrissen ist Wohnen im Marthashof individuell planbar. Für Familien bieten die Garden und Penthouse Villen über zwei Etagen viel Platz, während die Garden - und Classic Flats den idealen Wohnraum für Singles darstellen. Atmo Sprecher: Wie ein Ufo von einem anderen Stern, grell lila steht die Box im Sommer 2008 plötzlich auf der Mauerbrache am östlichen Ende der Bernauerstraße, ein Werbe-Pavillon für 'Marthashof - urban village',ein Immobilien-Projekt der deutsch-italieni-schen Stofanel-Investment AG auf dem einstigen Patrouillenweg der DDR-Grenz-truppen. Der rustikale Waschzuber auf der Patio-Terasse, gläserne Schiebetüren und Fenster bis auf den Boden, das Retro-Design neongrüner Blob-Möbel, der im Hinter-grund pluckernde Lounge-Techno geben einen Vorgeschmack auf das Lebensgefühl, das hier als 'Wohnen ohne Kompromisse im Grünen mitten in der Stadt' verkauft wird. Schon die website besticht mit Klaviermusik, Vogelgezwitscher und Weichzeichner-Aufnahmen von Glyzinien-Pergolen und Latte Machiato. - Weisheiten wie ?Edles verwöhnt das Auge, Harmonie erfreut das Herz' stehen an den Pavillonwänden. Die Penthouse-Villas seien alle verkauft, freut sich der sales-Manager in der lila Box: O-Ton Sale: Die Finanzkrise hat eine positive Auswirkung auf das Verkaufsgeschäft hier? - Ich denke, dass sich im Augenblick zeigt, dass die Leute doch sehr viel Eigenkapital haben und gerade die Leute sind heute interessierter denn je, ihr Geld gut und sicher in Steinen anzulegen, als ins Depot zu legen. Grundsätzlich kann man sagen, dass 80 Prozent der Kunden hier direkt aus dem Kiez kommen. Marthashof ist kein Luxusprojekt, es ist ein Projekt, wo individuelle Wohnträume realisiert werden können. Sprecher: Die schneeweiße Bulthaupt-Küche B1, der Tiefgaragen-Stellplatz, die Kältedecke zur Klimatisierung und ein Echtholz-Kamin seien im Preis des Classic-Penthouse mit 2 1/2 Bädern, 165 m2 plus 70 m2 Dachterasse ab 675.000 Euro inbegriffen. Die Qual der Wahl hat man dann noch mit den fünf Bäder-Varianten, ob mit fugenlosem Feinsteinzeug in Erdtönen und einer Duschterasse aus Naturkieseln oder türkisem Glasmosaik und einem minimalistischem Waschtisch aus Mineralguss mit ?wärmerer Haptik' beispielsweise. O-Ton Stoffel: Top-value heißt Werte, wir wollen Werte schaffen, und wir sagen, meine Frau hat's vorhin gesagt, intelligenten Luxus. Wir wollen in unseren Projekten eine Mischung haben von middle-class,upper-middle-class, von Menschen die einfach eine Atmosphäre, ein Gefühl suchen. Die Lebensqualität, das ist Wert, das ist top-value. Keiner der Kunden muss einen fertigen Zuschnitt kaufen, sondern es wird mit jedem Kunden an seiner Wohnung solang an den Grundrissen, an den Inneneinrichtungen, an den Materialien gearbeitet, bis er sagt 'ich mach jetzt keine Kompromisse mehr, ich hab das bekommen, was ich wollte. / Na ja nur muss man, um bei Ihnen einzusteigen zu können, als Mindestmarge etwas um die 2700, 2800 Euro pro Quadratmeter auf den Tisch legen./ und zu den Preisen werden sie in Berlin zukünftig nichts mehr kriegen. Atmo Türöffner Sprecher: Marmorintarsienwände im Treppenhaus, der mit Nussbaumwurzel-Furnier verkleidete Fahrstuhl gleitet lautlos in die Chefetage, in den 5.Stock des Firmensitzes der Stofanel-Investment AG Unter den Linden 78 im firmeneigenen Europahaus am Pariser Platz; von dort geht der Blick aufs Brandenburger Tor und das Adlon gegenüber. Ich besuche das Investoren-Paar Ludwig Stoffel, ein kleiner graumelierter älterer Herr, Unternehmer in der dritten Generation, und Giovanna Stefanel, seine deutlich jüngere Frau, aus Italien, im Aufsichtsrat und Anteilseignerin eines Modekonzerns, beide in elegantem grauen Flanell gekleidet. O-Ton Stoffel: Wenn ich vorhin gefragt habe,wieso denn nicht Müchen, sondern Berlin, dann sagen Sie: Berlin ist noch nicht fertig, die Preise liegen erst am Beginn einer Entwicklung, in fünf Jahren sieht das schon ganz anders aus. - Das ist einfach unglaublich, die Deutschen beginnen jetzt erst zu registrieren, dass sie eine Hauptstadt haben. Berlin war, bevor die Regierung umgezogen ist, Niemandsland und die Regierung ist jetzt hier und jetzt kommen die Lobbyisten, jetzt kommen die restlichen Ministerien, jetzt kommen die Headquarters der einzelnen Firmen, jetzt kommen die Künstler, die Galerien, das Leben beginnt jetzt erst, sich neu zu entfalten. Es ziehen ganz andere Menschen her, mit ganz anderen Ansprüchen. Und warum die Menschen hier so zufrieden sind, ist, weil die Stadt nicht fertig ist, weil die Stadt mitgestaltet werden kann; wir haben einen Charme, von etwas was entsteht. So wie wir als Immobiliendevelopper sagen, mein Gott, in welcher Stadt der Welt kann man eingreifen, diese Plätze zu bebauen, wie hier am Pariser Platz oder am Kurfürstendamm, die gibt's nur in Berlin. Und gerade der Prenzlauer Berg entwickelt sich zu einem, ja wie Schwabing früher München war oder wie Paris St.Germain vor 40 Jahren war. Sprecher: 'Berlin hat ein neues Power-Paar' titelte die Bild-Zeitung, als die Pläne für den Marthashof bekannt wurden. In den nächsten drei Jahren werde die Stofanel Investement AG 300 Millionen Euro in der Haupstadt investieren, davon 68 Millionen in den Marthashof. Zitator: Die Gewinne und Vermögenseinkommen stiegen im Aufschwungzyklus von Ende 2004 bis Anfang 2008 um 25 Prozent; die Nettoreallöhne sanken um 3,5 Prozent. Die Lohnquote, der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen, von etwa 71 Prozent im Zyklus von 1998 bis 2001 auf nunmehr 64 Prozent. Atmo Kastanienhöfe, Musik Sprecher: Auf dem Nachbargrundstück vom Marthashof unweit der Bernauer Straße erscheint im November letzten Jahres der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit zum Richtfest. O-Ton Wowereit: Ich weiß auch, dass nicht nur mit dem Projekt der Kastaniengärten, sondern auch mit dem benachbarten Projekt, wir haben es auch jüngst wieder bei der Mediaspree erlebt, Menschen, die in dieser Stadt sich wohlfühlen, sich bedroht fühlen, durch neue Entwicklungen. Das muss man einerseits verstehen; auf der anderen Seite muss man auch immer wieder deutlich machen, es gibt keine Alternative zu einer Veränderung, es sei denn, dass man schlechte Zustände zementieren will. Das wollen wir nicht. Wir glauben an die Zukunftsfähigkeit dieser internationalen Metropole. Und deshalb muss sich etwas verändern. Und etwas Neues ist eine Bereicherung und keine Gefährdung des Alten. Atmo Kastanienhöfe, Champagnerflasche zerschellt Sprecher: Der Regierende schwadroniert noch etwas über Zukunftsfähigkeit und die Notwendigkeit von Veränderung im Allgemeinen - und lässt die Champagnerflasche am Rohbau der Kastaniengärten zerschellen unterm Beifall einer teils von weit angereisten Schar von Investoren, Developern, Immobilienverkäufern und Käufern. O-Ton/Atmo Corona: Die Corona zieht ja weiter. Die fing in Mitte an, die ging nach Prenzelberg, die ist jetzt in Friedrichshain, jetzt fängt schon an der dörfliche Bereich von Kreuzberg, Friedrich-straße, Maybachufer, das fängt an sich zu entwickeln. Ich hab auch schon gehört, dass die ersten Kunstgalerien nach Wedding gehen. Also mittelfristig wird es sicher so sein, stand auch mal in der Financial Times, dass quasi alles was innerhalb des S-Bahn-Rings ist in Berlin, sich vernünftig entwickelt. Aber ich mein, das ist doch überall so. /Vielen Dank, eine schöne Feier. Und jetzt würde ich gerne die Erwerber bitten, nach vorne zu kommen und den Nagel einzuschlagen. Sprecher: Der Friedrichstraße steht die Karriere der Fifth Avenue in Manhattan bevor. Nur die Finanzkräftigen, Jungen, Fitten wohnen noch in der Innenstadt, die Finanzschwachen finden sich am Stadtrand wieder. Rap 6: Die Absicht, die Absicht, niemand, niemand eine Mauer, eine Mauer. Sprecher: Zwei Daten markieren die Wende in der Berliner Wohnungs- und Stadtbaupolitik, die nicht zuletzt die Bernauer Straße von heute zum sozialen Äquator, zur hierzulande vielleicht beispiellosen sozialen Trennlinie gemacht haben: der 25. November 2002; Bausenator Strieder, SPD, verkündet: 'öffentliches Geld für öffentliches Eigentum, privates Geld für privates Eigentum' und der 30. Januar 2004: ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin erklärt die Praxis von Berliner Bezirken, Mietobergrenzen in Sanierungsgebieten festzulegen, für unzulässig. Wohnen in Berlin ist von jetzt an dem sog. freien Spiel der Marktkräfte überlassen. - Kein Zufall, so der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm, dass der Regierende Bürgermeister zum Richtfest eines mit 18 Millionen Euro Investitionssumme eher unbedeutenden Immobilienprojektes kommt. O-Ton Andrej: Das Erscheinen des Regierenden Bürgermeisters beim Richtfest in den Kastanienhöfen ist ein ganz gutes Beispiel für diesen Wechsel der Politik, dass sich die Politik nicht mehr für soziale Mieten einsetzt, dass das Erreichen von sozialen Sanierungszielen nicht mehr im Vordergrund steht. Das ist eigentlich eine Regression des ursprünglich politischen Handelns in der Stadt, zu sagen, wir handeln nicht mehr selber, sondern wir begleiten, begrüßen, beglückwünschen private Investoren dafür, dass sie städtische Veränderungsprozesse in Gang setzen. Und das ist letztendlich eigentlich der Abschied von ner Stadtpolitik. Atmo Bernauer Straße Sprecher: Am östlichen Ende der Bernauer Straße stehen drei Schilder; eins wirbt für Marthashof, eins für Lofts in der nahen Schwedter Straße und eins kündigt Sanierungs- und Umbaumaßnahmen in der Eberswalder, der Fortsetzung der Bernauer Straße durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung an.. O-Ton Andrej: Wenn wir uns diese drei Ankündigungsschilder für städtebauliche Maßnahmen anschauen, dann sehen wir schon sehr deutlich diese Trennung, die typisch ist für die neue Berliner Wohnungs- und Baupolitik, dass sich nämlich die öffentliche Hand ausschließlich um den öffentlichen Raum, um die Gestaltung von Straßen, Plätzen, Spielplätzen, Gärten usw. kümmert, während die private Hand den Wohnungsbau fast komplett in die eigene Hand genommen hat und diese Neubauprojekte, von denen wir sprechen, oder Luxusumbauten, die richten sich ja ausschließlich an Eigentumsklientel, da werden keine sozialen Wohnungsbauten gebaut, da wird keine Wohnung gebaut, die den Angemessenheitskriterien von Hartz IV entspricht, sondern das ist wirklich wohnen für die bessere Hälfte, oder das bessere Drittel der Stadtbevölkerung. Und die Berliner Wohnungs- oder Stadtpolitik reduziert sich in ihren eigenen Aktivitäten auf eine Wohnumfeldgestaltung für eben dieses Klientel. Atmo Straße Sprecher: Und eben das sorgt nun für den Bauboom auf der Mauerbrache auf der südlichen Seite der Bernauer Straße. Zur Zeit entstehen die Häuser hier größtenteils ohne Bebauungsplan. Die Stadt zieht sich aus der Planung, u.a. durch anhaltenden Personalabbau in den städtischen Bauverwaltungen immer mehr zurück und überlässt die Stadtentwicklung den Investoren. O-Ton Andrej: Man könnte so etwas spöttisch sagen, dass jetzt mit den Mitteln der Postmoderne und des Neoliberalismus eigentlich die gründerzeitliche Struktur wiederhergestellt wird, indem eine ganz, ganz dichte Bebauung hier sttattfindet, was aus städtebaulicher Sicht eigentlich eine Katastrophe ist, weil hier díe Chance gewesen wäre, eine aufgelockerte Stadt sicherzustellen. Sprecher: Südlich der Bernauerstraße kann man die neue Berliner Gründerzeit besichtigen, - wie die alte gekennzeichnet durch Bodenspekulation und privaten Profit bis auf die letzten Brachen. Die öffentlichen Interessen an mehr Grün, mehr Freifächen, an einer Stadt für alle, bleiben auf der Strecke, die Mietpreisspirale dreht sich weiter nach oben und die Segregation verschärft sich. Was für die Bernauer Straße als sozialer Äquator, als Grenzlinie zwischen reich und arm, Arrivierten und Prekariat gilt, deutet auf eine gesamtberliner Entwicklung. Im jüngsten Bericht des 'Monitoring soziale Stadtentwicklung' des Berliner Senats heißt es am Schluss: Zitator: In den Quartieren, in denen bereits jetzt wenig soziale Probleme zu beobachten sind, verringern sich diese weiter - und bei denjenigen, wo bereits eine hohe Problemdichte gegeben ist, verschärft sich die Situation noch weiter. Damit deutet sich eine Polarisierung der Quartiersentwicklung an. O-Ton-Andacht: Wir vergessen die Teilung nicht. Aber dass es 28 Jahre dauerte, bis die Mauer fiel, ist eine Tragödie Sprecher: Pfarrer Fischer von der Versöhnungskapelle auf dem Mauerstreifen an der Bernauer Straße: O-Ton Fisher: So einfach wird man die Mauer nicht los. Dass man jetzt sagt, die haben wir jetzt abgerissen und da werden en paar neue Häuser gebaut und damit ist die Sache erledigt. Rap 7: Niemand, niemand, niemand hat die Absicht hat die Absicht eine Mauer zu errichten die Absicht eine Mauer niemand Atmo/O-Ton Corona: Und jetzt würde ich gerne die Erwerber bitten, nach vorne zu kommen und den Nagel einzuschlagen. Absage Brunnenviertel/Marthashof Der "soziale Äquator? als neue Grenze Ein Feature von Anselm Weidner Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2009. Es sprachen: Mark-Oliver Bögel, Roland Görschen und Nicole Engeln Ton und Technik: Karl-Heinz Stevens und Jürgen Hille Regie: Thomas Wolfertz Redaktion: Hermann Theißen Der Rapper war Malte Goßmann. 25