COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Die Reportage Silvester im Wohnwagen - Alltag der Dauercamper von Lohmar. Autor: Johannes Nichelmann Redaktion: Eberhard Schade Regie: Roswitha Graf Sendung: 01. Januar 2014, 13:05 M A N U S K R I P T 01. Atmo: Stromzähler ablesen (2,51) - darüber: 01. O-Ton: Stromzähler (0,15) (Filomena) Hab ich Dir heute schon gesagt, dass Du heute gut aussiehst, Sandra? (Alex lacht) (Sandra) Was willst Du denn jetzt? Meinst Du ich vergesse den Zähler jetzt? Na, super! Das sind hier Methoden. Autor Wie immer am letzten Tag des Monats muss Sandra Horn über den ganzen Campingplatz laufen und den Stromverbrauch der Bewohner ablesen. Auch heute an Silvester. Mit Klemmbrett und einem dicken Schlüsselbund steht sie vor einem der vielen Stromkästen und notiert sich lange Zahlenreihen. Filomena und Alex, bepackt mit Einkaufstüten und gerade auf den Weg in ihren Camper, wollen gleich wissen, was ihre Zahlen so sagen. 02. O-Ton: Verbrauch (0,22) (Sandra) Ja, Ihr habt mehr verbraucht. (Alex) Wie viel? (Sandra) Verrate ich nicht! (Alex) Sag! (Filomena) Viel oder wenig? (Sandra) Auf jeden Fall deutlich mehr, als beim letzten Mal! Ähm... also... soll ich jetzt Kopfrechnen? 115. (Alex, prustend) Ab sofort wird nicht mehr geföhnt! (alle lachen) (Filomena) Ich bin schuuuld. (Sandra) Dreißig Euro Abschlag - dann müsst Ihr was nachzahlen. Autor Filomena klappt ihre Unterlippe nach unten, schaut ihren Freund mit großen Augen an. Alex lächelt zu den beiden Frauen. Sandra Horn, gerade 27 Jahre alt geworden, ist die Chefin auf dem Campingplatz "Rhein-Sieg" in der Nähe der kleinen Stadt Lohmar in Nordrhein-Westfalen. Köln und Bonn sind nicht weit entfernt. Der Platz hier ist einer der wenigen in der Region, auf dem die Bewohner das ganze Jahr über bleiben können. Filomena, 25 und Alex, 36 Jahre alt, sind Dauercamper. Vor drei Monaten ist das Paar hier her gekommen. 03. O-Ton: Idee (0,22) (Alex) Ich hab mal eine Reportage darüber im Fernsehen gesehen. Das es halt hier die Möglichkeit gab, um halt auf Dauer zu mieten. Und joa.. einfach mal ausprobiert, angefragt. (Sandra) Na, ich war so sozial und hab seine Emails ertragen. (lacht) (Alex) Ja und wer die erträgt, der hat es auch verdient, dass ich länger bleibe. Autor Alex hat inzwischen seine Einkaufstüte auf den nassen Kies, zwischen die Beine, gestellt. Er stützt mit beiden Armen kurz seinen Rücken. Es ist mittags, kurz nach eins, langsam beginnen die Vorbereitungen für die Silvesternacht. 04. O-Ton: Silvesteressen (0,10) (Alex) Fondue! Klassisch, ne. (lacht) (Sandra, hauchend) Fleisch!!! (Alex) Richtig. (Sandra) Wir machen heute Raclette. Ihr könnt ja nach oben kommen. Schmeißen wir Fondue und Raclette zusammen. Passt doch. Autor Filomena und Alex wollen sich das mit dem Angebot von Sandra überlegen. Die drei sind inzwischen gute Freunde geworden. Sandra muss jetzt aber rasch weitermachen, hat gerade erst mit dem Ablesen des Stroms angefangen. Alex streicht sich über seine Glatze und sagt, dass er auch noch was zu erledigen hat - gibt seiner Freundin einen Kuss auf den Mund, läuft den Kieselsteinweg nach oben. Filomena bringt die Einkäufe in den Wohnwagen. Es sind nur ein paar Schritte zu dem Camper. 01. Atmo: Ende/ Blende 05. O-Ton: Wohnwagen (0,11) (Filomena) So, das ist schonmal der Eingang. (Füße abtreten, Reisverschluss öffnen) Hier einmal nur ganz kurz.. 02. Atmo: Wohnwagen mit Lüftung (2,15) - darüber: Autor In dem Vorzelt ist es bitterkalt. Darin befinden sich eine Herdplatte, ein Wäscheständer und ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen. 06. O-Ton: Zelt (0,15) (Filomena) Da ist auch eine Spüle, aber da funktioniert das halt nicht mit dem Wasser. Weil die ganzen Schläuche sind halt nicht dran. Das benutze ich dann halt zum Spülen. Da tue ich dann mein Geschirr dann immer rein und geh dann vorne eben halt hin und spüle. Kühlschrank... Kaffeemaschine. Autor Zur Zeit nutzen sie diesen Raum so gut wie gar nicht. Winter eben - meint Filomena. Da, wo wir vorher gewohnt haben, war das mit den Temperaturen kein Problem. Auf Sardinien ist es immer irgendwie kuschelig. Die beiden sind vor einigen Jahren nach Italien ausgewandert. Für Filomena eine Reise in das Heimatland ihrer Eltern. Dort findet das Paar eine Anstellung auf einem Campingplatz. Natürlich dürfen sie dort auch wohnen. Es war das Paradies, sagt sie. Bis auf einmal keine Touristen mehr kamen. Die Jobs waren weg. Mit zwei Koffern ging es zurück in die Heimat, nach NRW. 07. O-Ton: Krise (0,15) (Filomena) Ja, weil eben da halt auch die Krise anfängt, ne. Die deutschen Touristen sind nicht mehr gekommen. Weil alles zu teuer geworden ist. Und da haben die mir schon vor zwei Jahren gesagt. Wenn die Flüge eben noch mal so teuer werden, dann kommen sie nicht mehr. Ja und ruck-zuck war es dann auch. Autor Filomena öffnet die schmale Tür zu dem gut beheizten Wohnwagen. Wenn sie darin steht, hat sie noch ungefähr fünfzig Zentimeter Platz bis zur Decke. Direkt unter der Lampe, glänzt die rote Strähne in ihren langen schwarzen Haaren ein wenig. Viel verändern dürfen Alex und sie auf den gut 20 Quadratmetern nicht. Das hier ist ein Mietwohnwagen, sagt sie. Zeigt dann auf das Bett an dem einen und die Sitzecke am dem anderen Ende. Die Muster der Sitzpolster auf der Eckbank und die anderen fest eingebauten Holzschränkchen haben den Charme von Omas Wohnzimmer aus den 80ern. 08. O-Ton: Im Wohnwagen (0,15) (Filomena) Ja, ansonsten haben wir halt die Mikrowelle da. Der PC, mit dem Ghettoblaster. Also es ist genug Platz. Also für zwei Leute so ein Mietwohnwagen ist schon in Ordnung. Mit Kind, weiß nicht. Da müsste man schon zwei Mietwohnwagen nehmen. Nebeneinander oder so. Autor Vor ihrem Abenteuer in Italien hat Filomena eine Ausbildung zur Frisörin gemacht. Jetzt will sie wieder in dem Job anfangen. Seit Monaten schickt sie jede Woche mehrere Bewerbungen raus, schaut nach Anzeigen in Zeitungen und Aushängen in den umliegenden Orten. Filomena und Alex bekommen, wie viele hier auf dem Campingplatz, Hartz IV. 09. O-Ton: Hartz IV (0,18) (Filomena) Manche stellen sich Hartz IV total schön vor. Ähm... das reicht wirklich gerade knapp für den Monat und dann ist schon... Man kann sich nichts irgendwie... Ja, man kann nicht sagen: "Ja, heute gehe ich ins Kino, weil da gerade ein Film ist." oder "Heute gehen wir ins Theater oder so". Das geht nicht. Das reicht einfach nicht. Vorne und hinten. Autor Die kleinste Pacht in Lohmar kostet 150 Euro, der teuerste 350. Zuzüglich Nebenkosten. Und im Falle von Filomena und Alex noch die Miete für ihren Wohnwagen. Für 1.000 Euro werden sie bald ihren eigenen besitzen. Und sparen so laufende Kosten. Alex, dessen Knochen chronisch weh tun von jahrelanger schwerer körperlicher Arbeit, will im nächsten Jahr eine neue Ausbildung beginnen. Das Geld wird also auch im nächsten Jahr erst mal knapp bleiben. Da ist es gut, hier günstig Leben zu können. Nichts für Leute, die ein Problem damit haben nachts 400 Meter zur Toilette gehen zu müssen. Aber wir lieben Camping - sagt Filomena. 10. O-Ton: Flexibilität (0,24) (Filomena) Das ist so billig eben halt die Pacht, wenn man einen eigenen Wohnwagen eben halt kauft. Dann kann man sich das im Jahr eben halt leisten, dass man sagt. "Komm, nächstes Jahr gehen wir nach Berlin zum Beispiel. Übernächstes Jahr kommen wir wieder zurück eben halt nach Lohmar. Man ist flexibler. Ich weiß nicht, ob das mit älteren Leuten auch so funktioniert. Naja, weiß ich nicht. Aber wenn man noch jung ist, warum soll man das dann nicht machen. Ne!? Autor Nur vor einer Woche hat sie für eine Sekunde daran gedacht hinzuschmeißen. Da stand ein großer Teil des Campingplatzes unter Wasser. In Häusern hat man solche Probleme wohl seltener, meint Filomena. 02. Atmo: Ende/ Blende 03. Atmo: Draußen, Straße (3,25) - darüber: 11. O-Ton: In Gedanken am Zählerkasten (0,16) (Sandra) So, dann haben wir den Kasten auch schon wieder. (Klappern) Ja... mach mir noch die Jacke kaputt. Blöder Kasten. Hallo! (Klappern) - darüber: 03. Atmo: Ende/ Blende 04. Atmo: Draußen II (2,51) - darüber: Autor Mit regenfester Jacke und etwas dreckig gewordenen Turnschuhen, macht Sandra Horn das, was sie an ihrem Job gar nicht mag. Inzwischen ist sie am Stromkasten Nummer siebzehn angekommen. Sechs Stück muss die Chefin des Campingplatzes noch ablesen. Alle verstreut zwischen Wohnwagen mit und ohne Vordach. Bewohnt oder unbewohnt. Und wenn sie damit fertig ist, muss sie noch die Rechnungen für den Stromverbrauch der Bewohner schreiben. Erst dann kann Sandra wirklich an Silvester und die Party heute Abend denken. Manchmal gibt es mit den Rechnungen auch Stress. Nicht jeder kann sofort bezahlen. Alle hier haben ihre Geschichte, betont Sandra. Und darauf versucht die studierte Psychologin einzugehen. Das heißt auch, dass sie viele Forderungen stunden muss. Seit zwei Jahren ist die zweifache Mutter eben nicht nur die Chefin am Platz, sondern auch Sozialarbeiterin. Auch sie lebte kurze Zeit, bevor sie den Job hier bekam, von Hartz IV. Die Frau mit den langen dunkelblonden Haaren weiß, wie schnell es bergab gehen kann. 12. O-Ton: Ganz unten (0,25) (Sandra) Und dann sind die Leute ganz ganz schnell ganz unten. Also wir haben hier zum Teil auch wirklich Obdachlose, die hier ankommen und das erst mal wieder als Sprungbrett aufbauen, dass sie dann halt von hier aus alle Amtsgänge erledigen können. Von hier aus dann erst mal die Miete organisieren. Ich muss halt immer schauen und abwägen, ob ich die Leute annehme oder nicht. Kann natürlich auch nur vor den Kopf gucken. Bin aber immer froh, wenn sich dieser Vertrauensvorschuss lohnt und ich sehe, dass eine positive Tendenz reinkommt. Autor Touristen sind meist nur im Sommer da. Jetzt, im Dezember, wohnen achtzig Personen hier. Viele von ihnen bekommen Hartz IV oder andere Zuwendungen vom Staat. Sandras Blick wechselt zwischen Klemmbrett und Stromkasten Nummer siebzehn. Kurz ein paar Zahlen notiert, steckt sie den Kugelschreiber in ihre Jackentasche. Aus dem konzentrierten Blick wird ein sehr ernster, fast schon wütender. 13. O-Ton: rechtliche Situation (0,34) (Sandra) Das ist hier ist irgendwie ´ne rechtliche Grauzone. Dann werden die Leute hier radikal hingeschickt aus der Nachbarstadt hier, kommen die dann hier hin und sagen: "Ja, mir wurde das hier als Unterkunft empfohlen". Die Leute dürfen hier keinen Erstwohnsitz anmelden, dürfen hier keine Meldeadresse haben. Deswegen halt springt dann die Caritas ein und sagt: "Ihr könnt Euch hier beim Obdachlosenheim melden" Bis sie dann irgendwann wieder wegziehen können. Was manchmal ja auch Jahre lang dauert. 14. O-Ton: Gruß (0,09) (Sandra) Hi, Max! (Max) Tag, zusammen. (Sandra) Zwei, neun, null. Schreiben muss man auch noch können hier. (lacht) Autor Auf dem Weg zu Kasten Nummer achtzehn. Klemmbrett, Schlüsselbund und Kugelschreiber fest in Sandras linker Hand. Hinter der Wohnwagenreihe, rechts vom Weg, fließt ein kleiner Fluss. Die Agger. Auf der anderen Ufer-Seite, Sandra zeigt mit ihrer noch freien Hand rüber, stehen ebenfalls noch dutzende Campingwagen. Alle verlassen. Der Platz hat einen anderen Eigentümer und ist nur in den warmen Monaten geöffnet. So, wie es die Stadtobersten von Lohmar für angemessen halten, erzählt sie. Wirklich beliebt sind die Bewohner und der Campingplatz, auf Sandras Seite des Flusses, nämlich nicht. 15. O-Ton: Zoff mit der Stadt (0,41) (Sandra) Die Stadt Lohmar hat eine sehr sehr geringe Arbeitslosenquoten. Ich glaub, die liegt unter vier Prozent und das wollen die natürlich halten. Und wenn die Leute hier gemeldet sind, haben sie halt ein Problem damit. Andererseits ist das hier natürlich auch eine wirtschaftliche Kraft. Weil es sind ja irgendwie zwanzig, dreißig die ja wirklich Hartz IV'ler sind hier auf dem Platz. Die Meisten sind Aufstocker oder gehen halt nebenbei arbeiten, haben 400 Euro Job oder Ähnliches. Die sind ja alle bemüht. Also ich trete den Leuten ja auch selber in den Hintern. Ich hab da keinen Bock drauf, dass die hier herumsitzen und die ganze Zeit nur Däumchen drehen. Ich frag halt immer wieder nach. Ich sehe die Leute ja regelmäßig. 04. Atmo: Ende/ Blende 05. Atmo: Fluss (2,06) Autor Denn Sandra wohnt auch auf dem Campingplatz. Allerdings in einem Haus, etwas bergauf. Direkt am Eingang. Neben der Schranke. Und deswegen hatte sie auch Glück. An Heiligabend stand fast der ganze Platz unter Wasser. Die Agger, der Regen - so schlimm war es noch nie. Jetzt, eine Woche später, liegt an vielen Stellen immer noch der Schlamm. Der Fluss hat ganze Vorzelte weggerissen, Gartenzäune und Wohnwagen zerstört. Noch sind nicht alle Schäden beseitigt. Eine kaputte Brille liegt im Gras, eine zersprungene Waschschüssel auf einem Gebüsch. Ein paar herrenlose Hosen schauen unter einem Wohnwagen hervor. Überall Schlamm. Wir sind dran, hier wieder alles schick zu machen, meint Sandra. 16. O-Ton: Hochwasser (0,13) (Sandra) Die haben ja noch keine Entwarnung gegeben vom Hochwasser. Aber im Moment ist ja... sieht sie wieder lieb und harmlos aus, die kleine süße Agger. Kann so ein Biest sein. Ich gehe fest davon aus, dass es eine Frau ist! 06. Atmo: Musik aus dem Wohnwagen (2,15) (05. Atmo stehen lassen) - darüber: Autor Später Nachmittag auf dem Campingplatz im Bergischen Land. Die Neonröhren an den Masten der Telefonkabel springen an - bieten Orientierung in der Dunkelheit. Aus einem der Wohnwagen spielt Musik. Ein Mann in Jogginghose huscht mit einer Schüssel Kartoffelsalat über den Platz. Ein paar Frauen wandern hoch zu den Duschen, wollen sich für die Party heute Abend fertig machen. Während in einigen Campingwagen Licht brennt und hier und da ein paar Schatten hinter den Vorhängen zu erkennen sind, wirken andere wie Stillleben aus längst vergangenen Tagen. Zum Beispiel der, der vor zwei Jahren noch von einem Geschwisterpaar bewohnt wurde. Die Schwester starb, der Bruder kam in eine Pflegeanstalt. Seitdem steht auf dem Tisch der Terrasse seine Flasche Bier, daneben liegt ihre Zeitschrift. Überzogen mit einem feinen Film aus Staub, Dreck und unzähligen Anekdoten, die man sich hier so erzählt. Noch fehlt Sandra Horn das Geld auch diese alte Campingruine abreißen zu lassen. Davon gab und gibt es mehrere. Ihr Vorgänger, erzählt sie, habe alles verkommen lassen. Vor zwei Jahren herrschte hier eine Stimmung wie in alten amerikanischen White-Trash-Filmen, die vom Leben in Trailer-Parks erzählen, sagt Sandra. 05. Atmo: Ende/ Blende 06. Atmo: Ende/ Blende 07. Atmo: Schritte (0,56) - darüber: Autor 19 Uhr. Aus der Dunkelheit tauchen Filomena und Alex auf. Hand in Hand, mit Badetüchern unter den Armen. Sie waren gerade Duschen. Im Gemeinschaftswaschraum ging es natürlich darum, wie die meisten Camper heute Nacht in das neue Jahr kommen wollen. Die beiden überlegen noch, ob sie es sich alleine gemütlich machen. Oder ob sie mit Sandra Raclette essen gehen. Oder ob sie vielleicht im Kiosk feiern sollten. Die Hauptparty auf dem Campingplatz soll eigentlich dort steigen. 17. O-Ton: Heute Abend (0,28) (Filomena) Ja, wie es ausschaut mag heute keiner hoch kommen zum Kiosk. Ich denke mal an Silvester möchten die Camper lieber alleine bleiben. Da sind wir komisch. An Silvester müssen wir alleine bleiben. So jeder für sich. Einmal... (Alex) Kannst Du mir einen Gefallen tun? (Filomena) Ich muss mal eben bei uns in den Camper... Bis gleich! 07. Atmo: Ende/ Blende 08. Atmo: Am Gartenzaun (3,00) - darüber: Autor Rosi, 57 Jahre alt, und Dennis, 28, wollen in jedem Fall hoch zum Kiosk. 18. O-Ton: Was passiert heute noch? (0,20) (Dennis) Ich mach Party! (Rosi) Meinen Mann pflegen! Der ist krank. Der hat eine Magen- und Darmgrippe. Und ich muss jetzt deswegen hier bleiben. Nein, quatsch! Ich geh nachher auch ein bisschen hoch, mal gucken. (Dennis) Ja! Will ich auch hoffen! Sonst komme ich Dich gleich holen! (Rosi) Ja, aber nicht so früh denn. Nicht so früh. (Dennis) Ne! Wir gehen auch erst um zehn.(Rosi) Hatten wir ja vor gehabt! Autor Rosi steht hinter ihrem massiven Holzzaun, in ihrem aufgeräumten Garten. Um ihre Beine herum wirbeln drei kleine Hündchen. Dennis hat sich auf dem Weg zu seinem Wohnwagen mit ihr verquatscht. Das ist hier immer so, meint er. Viel besser als in der Stadt, wo man die Nachbarn gar nicht kennt. Dann kommt noch Barbara dazu. 19. O-Ton: hübsche Mama (0,07) (Rosi) Frisch! (Dennis) Voll geil siehst Du aus! (Rosi) Ja, gut! Gestylt. Richtig gut für die Feier heute Abend! (Dennis) Das ist meine Mama übrigens. Autor Barbara und Dennis teilen sich einen Wohnwagen. Erst seit vier Monaten sind sie hier. Vor einer Woche mussten Mutter und Sohn innerhalb des Platzes umziehen. Der alte Campingwagen steht direkt an dem Fluss. Das Hochwasser von Heiligabend hat alles zerstört. Kleidung, Schränke und die Waschmaschine. Barbara ist anzusehen, dass die letzten Tage hart gewesen sind. In der Silvesternacht muss sie sich um den Haushalt kümmern. 20. O-Ton: Wäsche waschen (0,19) (Barbara) Auf alle Fälle. Ich warte auf 18 Uhr. Dann kann ich nämlich oben wieder Wäsche rein schmeißen. Werd ich heute Nacht waschen. (Rosi) Ja, was willst Du machen..? (Barbara) Ich habe bis morgen Mittag, um vierzehn oder fünfzehn Uhr, hab ich die Maschine. Ich hoffe, dass ich bis dahin alles durchgewaschen hab. Autor Das letzte Jahr? Barbara lacht verlegen. Dennis sagt, dass alles scheiße war. Barbara stimmt zu. Erst stirbt der Vater, dann geht die Firma pleite, dann ist das Haus weg und die Schulden sind da. Noch immer sind beide arbeitslos und auf Hartz IV. Das letzte, was Dennis an seinen Vater erinnert ist dessen Hund. Ein Rottweiler. Mit dem lässt kein Vermieter die kleine Familie in eine Wohnung. Nach langer Suche stößt Dennis im Internet auf den Campingplatz in Lohmar. Und hier dürfen sie ja eigentlich von Amtswegen gar nicht wohnen. 21. O-Ton: Obdachlos (0,24) (Barbara) Wir sind obdachlos. (Dennis) Wir sind offiziell sind wir obdachlos. Da gibt es so ein SKM, was sich da nennt, da wo die Post hinkommt. (Rosi) Siegburg, ja. (Dennis) Und da haste dann halt auch eben deine Meldeadresse. (Barbara) Was heißt Meldeadresse? Die Postadresse. (Dennis) Postadresse, ja. (Rosi) Ja, was willst Du machen? Bei mir war das ja noch anders. 22. O-Ton: Rosi (0,24) (Rosi) Manche mussten halt durch Not hierhin. Und manchen mussten halt hierhin, weil es ihnen gefallen hat. Wie ich hier angefangen hab, habe ich mir meine Wohnung aufgegeben mit meinem Freund. Haben gesagt, wir ziehen hierhin. Wir haben hier alles umgebaut. Wir haben den alten Wagen gekriegt. Den haben wir total entkernt. Total die Küche rausgemacht. Haben gesagt, wir bleiben hier. Autor Es gibt viele Gründe, warum die Menschen nach Lohmar kommen, um hier dauerhaft in einem Campingwagen, ohne jeglichen Luxus, zu leben. Aus Not. Aus Leidenschaft. Einige aus einer Mischung von beidem. Gemeinsam wollen sie dafür kämpfen, dass der Platz hier erhalten bleibt. Immer mehr alte Hasen ziehen weg, sagt Rosi und stützt sich dabei auf ihren Gartenzaun. Auch die Frührentnerin sucht etwas Neues. Nächstes Jahr ist Schluss mit dem Dauercampen. Nach sieben langen Jahren. Für alle, die hier am Gartenzaun stehen, soll sich in der Zukunft etwas ändern. 23. O-Ton: Wünsche für 2013 (0,35) (Rosi) Was ich wünsche mir? Ich wünsch mir einfach nur eine schöne, kleine Wohnung. Weißte, so für meine Hunde und die von meinem Mann. Und hierhin kommen kann ich immer. Wenn ich mal Urlaub machen will, dann nehme ich mir von Sandra einen Wohnwagen und miete den. So ganz weg kriegste mich nicht hier! (Dennis) Für mich ist das hier... das einfach mal ein bisschen was besser wird. (Rosi) Ja! (Dennis) Mehr hab ich mir nicht vorgenommen. (Rosi) Und das es hier gut geht auf dem Platz. Das wünsche ich. Dass Sandra das schafft mit den Leuten hier. Autor Barbara nickt, legt für einen kurzen Moment den Arm um die Schulter ihres Sohnes. Eine junge Frau kommt den Weg entlang. Sie ist auf dem Weg zur Party im Kiosk. Vor ein paar Minuten hat die angefangen. 24. O-Ton: Liebe (0,19) (Barbara) Mein Gott, hast Du Dich aufgebrezelt! Ich hab Dich ja jetzt gar nicht erkannt! (junge Frau) Ja, muss ja auch mal sein! (Barbara) Du lieber Gott! (Dennis) Ich hab gedacht, ne neue Frau... (Barbara) Ne! (Dennis) ... hier aufm Platz. (Rosi) Das ist eine ganz fleißige! (Barbara ) Weiß ich. (Rosi) Das ist eine Liebe! Die hier viel macht. 25. O-Ton: Es ist kalt (0,27) (Barbara) Mir wird es langsam kalt! (Rosi) Ne!? (Barbara) Doch! Ich habe geduscht! (Rosi) Du hast geduscht! Willst einen Kaffee trinken bei mir? (Barbara) Ne, ich hab meinen Gulasch da stehen. (Rosi) Ohhhh, Dein Gulasch! (Dennis) Den musste mal probieren! Schöner ungarischer Gulasch. Leeeeecker! (Wind pfeift) (Rosi) Hoffentlich gibt es nicht so Wind heute. Mein Baum sieht nicht so gut aus... 08. Atmo: Ende/ Blende 09. Atmo: Wind und Schritte (0,56) Autor Rosi prüft mit einem Blick die windschiefe Tanne gegenüber. Dann scheucht sie ihre drei Hunde in den Wohnwagen. Barbara läuft den Weg hinunter. Und Dennis kann es kaum erwarten, dass endlich gefeiert wird. Eine Sache muss er allerdings vorher noch erledigen. 26. O-Ton: Vorglühen (0,15) (Dennis) Muss ich mich unbedingt noch rasieren. Weil das muss! Wenn man ein Neujahrsküsschen kriegt auch die Backe. Da muss man ja glatt sein! (lacht) Ja! 09. Atmo: Ende/ Blende 10. Atmo: Party, Schlagermusik (6,24) - darüber: Autor 20 Uhr 30. Im Kiosk "Z'm Kölner Land" läuft langsam die letzte Feier des Jahres an. Gelbe freundliche Wände, ein Regal mit Süßigkeiten und ein großer massiver Holztresen in der Mitte. Ein langer Tisch im Eingangsbereich und ein paar Sitzgelegenheiten hier und da. Schilder mit Trinksprüchen. Bernd hat die Kneipe heute erst übernommen. Auch er wohnt schon lange auf dem Platz. Neueröffnung und Silvester werden mit einem Fass Kölsch gefeiert. Dazu ein Buffett mit Kartoffelsalat, Buletten und Barbaras ungarischem Gulasch. Zehn Dauercamper sind schon hier. Dennis ist einer von ihnen. Er sitzt an der Bar, hat rote Wangen und hält in einer Hand sein Glas mit Kölsch. Er lächelt, quatscht und fühlt sich einfach wohl. So, findet er, könnte doch eigentlich jeder Tag sein. 27. O-Ton: Dennis auf der Party (0,10) (Dennis) Etwas trinken. Mit Leuten erzählen. Was lachen. Lachen ist die Medizin! 10. Atmo: Ende/ Blende 11. Atmo: Party im Wohnwagen, mit Musik (1,28) - darüber: Autor 21 Uhr. Ein paar hundert Meter entfernt. Filomena und Alex haben sich entschieden das neue Jahr zu zweit in ihrem Wohnwagen zu begrüßen. Es ist mollig warm. Nebeneinander sitzen sie auf der geblümten Eckbank. Auf dem Tisch ein Korb mit Baguette, daneben ein Fondue-Topf, Teller mit Gemüse und Fleisch. 28. O-Ton: Essen (0,15) (Filomena) Putenfleisch und äh... Rindergulasch. Dazu noch Soßen. Hier, wie Knoblauch... (Alex) Das ist schön, so wie es ist. Man hat alles da. Man sitzt zusammen. Freut sich, dass der Tag endlich rum ist. Autor Nächstes Jahr wollen sie endlich heiraten. Und sonst, sehen was so kommt. Das vergangene Jahr werden sie eher nicht vermissen. 29. O-Ton: Fazit 2012, Alex und Filomena (0,44) (Alex) Bisschen chaotisch. Mit Umzug von der Insel wieder hierher. Und das ganze Theater und aber... (Filomena) Du solltest ab und zu auch mal gucken, bitte. (Alex) Ja, es wird nämlich jetzt schon... (Filomena) ...braun! (lacht) Hähnchen ist tot. (Alex) Ich mag es ja halbgar, ne. (Filomena) Ja, deswegen immer schön aufpassen. Ja, ich find das auch. 2012 so. Saisonbeginn, wie wir dann nicht mehr gearbeitet haben kann man so eigentlich wegschmeißen und also so 2013 sehe ich eigentlich nur positiv. Wenn Leute eben halt anfangen so negativ zu sein, dann sagen wir auch immer: Kopf hoch! (Alex) Es kann immer schlimmer kommen, als es eigentlich ist. Man kann immer froh sein mit der Situation. 11. Atmo: Ende/ Blende 12. Atmo: Kneipe, außen (2,04) - darüber: Autor 22 Uhr. Der Kiosk füllt sich langsam. Auch Sandra Horn, die Chefin des Campingplatzes, schaut kurz vorbei. Eigentlich feiert sie mit ihrer Familie im Haus nebenan. Bernd, dem Betreiber reicht sie eine CD mit Popmusik. Das mit den Schlagern, sagt sie, darüber müssen wir beide nochmal reden ... Und dann ist sie auch schon wieder weg. 12. Atmo: Ende/ Blende 13. Atmo: Party, Popmusik (2,16) - darüber: Autor 23 Uhr. Rosi ist gekommen. Ihr von Grippe geplagter Mann schläft schon. Sie will mit ihren Freunden die letzte Stunde des Jahres verbringen. Mit etwas müden Augen sitzt sie an einem der Tische. Ihr Gesprächspartner steht auf, geht kurz zum Tresen. 30. O-Ton: Das Fazit von Rosi (0,08) (Rosi) Ich hab nichts mehr zu sagen. Guck mal da, der Bernd ist glücklich. Alles klappt gut. Ist doch schön, ne. Atmoblende 31. O-Ton: Rosi will nicht weg (0,13) (Rosi) Keine Ahnung. Mal sehen, wie ich die Wohnung kriege. Keine Ahnung. Meine, ich würde auch nicht gerne weg wollen. Aber ich tu es für meinen Mann. Ich bleib gern hier. 13. Atmo: Ende/ Blende 32. O-Ton: Countdown und Prost (0,35) (Fernsehreporterin) ...um das neue Jahr gebührend Willkommen zu heißen. Und natürlich auch, um das gigantische Höhenfeuerwerk zu erleben, dass hier um Mitternacht gezündet wird. (Hund bellt) ... hell erleuchten wird. Und jetzt wird es so langsam Zeit, sich ein Gläschen Sekt einzugießen. (Hund bellt, Knaller im Hintergrund) (Kneipe) Vier, drei, zwei... Prosit neues Jahr!!! 14. Atmo: Knaller und Popmusik (4,35) - darüber: Autor Da ist das neue Jahr. Die Reporterin im Fernsehen kommentiert, von allen unbeachtet, das Feuerwerk im fernen Berlin, als handle es sich um ein Fußballspiel. Eine Bewohnerin des Campingplatzes reicht Gläser mit Sekt und Orangensaft. Rosi, Barbara, Dennis und die Anderen gehen nach draußen, um das Feuerwerk zu sehen und selbst zu knallen. 33. O-Ton: Frohes Neues (0,05) (Filomena, Alex) Frohes Neues, Frohes Neues.... Autor Auch Filomena und Alex sind aus ihrem Wohnwagen nach oben zur Kneipe gekommen, haben eine Tüte mit Feuerwerk bei sich. Raketen steigen auf, Böller knallen und Wunderkerzen erhellen die Gesichter. Rauch zieht auf. Sandra steht mit ihrem Freund vor ihrem Haus, direkt gegenüber von der Kneipe - wird unzählige Male umarmt und geherzt. 34. O-Ton: Gemeinschaft (0,18) (Sandra) Also es ist halt enger als eine Dorfgemeinschaft. Also ich komme ja selber vom Dorf. Das ist hier mehr. Weil die Leute alle im gleichen Boot sitzen und die Wohnwagen sind hellhörig. Man kriegt mit, wenn irgendwo Zoff ist. Man hilft sich, man leiht sich Sachen aus und man trifft sich vorne am Kiosk und quatscht über irgendwas. Autor Wie alles wird im neuen Jahr, was es bringt? Langweilig jedenfalls, fügt Sandra hinzu, wird es hier auf unserem Campingplatz nie. Dann fällt sie in die Arme einer älteren Dame. Und nur noch ein leises "Lassen wir uns überraschen." ist zu hören. 14. Atmo: Ende/ Blende - Ende - DKultur: Die Reportage - Silvester im Wohnwagen DKultur: Die Reportage - Silvester im Wohnwagen 14/14 1/14