COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Hölle auf Abruf. Mohamoud Ahmed Nur ist Bürgermeister von Mogadischu. Deutschlandradio Kultur, Die Reportage Sendedatum: 17.11.2013 Produktion: 19. Oktober 2013 Autorin: Bettina Rühl Redaktion: Eberhard Schade Atmo vom Festplatz, Blaskapelle am Festplatz Autorin: Die Musiker tragen grüne und rote Uniformen, einige festliches Weiß. Ihre Blechblasinstrumente glitzern in der Sonne: Trompeten, Posaunen, Tubas und ein Saxophon. Somalia, Land im Osten Afrikas, feiert seine Unabhängigkeit, es ist deren 53. Jahrestag. Seit 22 Jahren ist Krieg. Musik noch mal frei Autorin: Gefeiert wird im Fußballstadion von Mogadischu, der Hauptstadt. Es liegt mitten in einer Ruinenlandschaft, aber das verbergen die hohen Umfassungsmauern. Die Militärkapelle spielt mit Blick auf die Ehrengäste. Die wiederum sitzen auf einer Tribüne, die mit Flaggen in den somalischen Farben blau-weiß, Luftballons und bunten Girlanden geschmückt ist. Und überall stehen Soldaten, die Gewehre im Anschlag. Sie stehen sogar auf dem Dach der Ehrenloge. Alle wichtigen Politiker sind hier: Der Präsident, der Premierminister, der Parlamentspräsident - und der Bürgermeister von Mogadischu. O Ton Bürgermeister I don't have freedom right now really. I compromise my freedom completely. I cannot go myself and have a cup of tea in the streets, you know, always there should be a bodyguard, and that's, I did not get used to that. I was free and this job compromised my freedom, that's it. Übersetzer 1: Ich bin nicht frei. Ich kann nicht einfach durch die Stadt gehen, mich irgendwo hinsetzen und einen Tee bestellen. Meine Leibwächter müssen immer dabei sein. Daran kann ich mich einfach nicht gewöhnen. Ich war frei und habe meine Freiheit verloren. Atmo Musik, Blaskapelle und Trommler Autorin: Bürgermeister Mohamoud Ahmed Nur alias "Tarzan" ist der kleinste Mann auf der Ehrentribüne. Er hat ein leuchtend weißes Hemd und eine ebensolche Hose an, während die Politiker neben ihm alle dezente, schwarze Anzüge tragen. Auch aus der Ferne ist sein grauer Kinnbart zu erkennen. Mit einer verspiegelten Sonnenbrille im Gesicht, winkt Mohamoud Nur hinter ein paar Luftballons hervor, und lächelt breit in die tausendköpfige Menge. "Tarzan" hat schon mehr als einen Mordanschlag überlebt und könnte problemlos auch heute zum Opfer werden - mit seinem weißen Hemd ist er leicht ins Visier zu nehmen. Atmo Autorin: Aber Tarzan wirkt entspannt. Vielleicht weil er so gut abgeschirmt wird, vielleicht weil ein Mann, der sich zum Bürgermeister Mogadischus ernennen lässt, sowieso furchtlos ist. Atmo Fußmarsch durch die Stadt, Autorin: Ein schweres Eisentor verschließt den Zugang zum Stadion, die Soldaten kontrollieren alle, die jetzt hinaus wollen. Auch mich, die deutsche Journalistin. Hinter mir und neben mir gehen sechs Bewaffnete: meine Leibwächter. Zum Auto müssen wir zu Fuß zurück: im Umfeld das Stadions sind Fahrzeuge heute verboten, um Sprengstoffattentate möglichst zu verhindern. Wir wandern durch Ruinen, kaum ein Gebäude hat den zwanzigjährigen Bürgerkrieg überstanden. An die Leibwächter habe ich mich im Laufe von vielen Reisen nach Mogadischu gewöhnt. Mir ist bewusst, dass sie einen Anschlag kaum verhindern können, aber es dürfte schwerer sein, mich zu entführen. Atmo Besuch beim Bürgermeister, Tor klappert Autorin: Morgens Besuch bei Tarzan, dem Bürgermeister. Wieder eine schwere Eisentür, diese schützt sein Haus. Es ist kurz nach acht am nächsten Morgen. Atmo Autorin: Mohamoud Ahmed Nur sitzt vor einem kleinen Tischchen auf seiner Veranda. Schon jetzt ist die Terrasse voller Besucher: alte Bekannte oder solche, die es gerne wären, entfernte Verwandte und Freunde von entfernten Verwandten machen ihm und seiner Frau mit dem ersten Tageslicht ihre Aufwartung. O-Ton Bürgermeister, In the morning it's like that, at night it's like that, and day time in office like that, so it's very difficult. Depression, it causes you depression. Because too much pressure, too much, and there is nothing I can do about all these issues, very simple thing. People think that you can solve all the problems of the world, I cannot solve all the problems of the world. Übersetzer 1: Es ist jeden Morgen das Gleiche, und abends auch. Im Büro ist es auch nicht anders. Es ist schwer, damit umzugehen. Das deprimiert mich zutiefst. Der Druck ist einfach zu groß, die Menschen haben zu viele Erwartungen, und ich kann bei den meisten Problemen gar nichts tun. Die Leute denken, dass ich alle Probleme der Welt lösen könnte, aber so ist das nicht. Atmo Veranda Autorin: Meist geht es um Geld. Geld, um etwas aufbauen zu können. Geld, weil jemand krank ist und ärztliche Hilfe braucht. Geld für eine Beerdigung. Tarzan ist aufgeschlossen und zugänglich, jemand, der den Leuten zuhört. Das macht es den Menschen einfach, zu ihm zu kommen. Und ihm das Leben oft schwer. Als der damalige somalische Übergangspräsident ihn vor drei Jahren in London anruft und ihm den Posten als Bürgermeister anbietet, ahnt er, was ihn in Mogadischu erwartet. Drei Mal lehnt er das Angebot ab. Dann stimmt er zu, gegen den erklärten Willen seiner Frau Shamis. Sie hat Angst, dass er dort keine zwei Tage überlebt. Er will zum Aufbau seines Landes etwas beitragen. Obwohl er weiß, dass seine Frau nicht übertreibt. O-Ton Bürgermeister, But you have to know that this is my country, this is my city. The reason that pushed me back is that when I saw the desperation and the destruction that happened to this city, then I felt that maybe I can do something about it. Maybe if I can contribute a little, may help. And that's why I prefer to work in Mogadishu rather than London. Übersetzer 1: Aber Sie müssen wissen, dass Somalia trotz allem meine Heimat ist, und Mogadischu ist meine Heimatstadt. Als ich die ganze Verzweiflung und Zerstörung in dieser Stadt sah, hatte ich das Gefühl, dass ich vielleicht doch etwas ausrichten kann, wenigstens ein bisschen. Das ist bis heute so, und deswegen arbeite ich hier lieber als in London. Autorin: In London gehört ihm ein Internetcafé, das schließt er, als er in seine Heimat zurückgeht. Damit schließt er auch ein langes Kapitel seines Lebens: Mehr als zwei Jahrzehnte lang hat er mit seiner Frau in London gewohnt, fünf von ihren sechs Kindern sind dort geboren. In Mogadischu hat Mohamoud Ahmed Nur mehr als 40 Leibwächter, wenn man diejenigen dazu zählt, die sein Haus und sein Büro bewachen. Aber was können sie schon wirklich verhindern? Zwei Mal hat Tarzan einen Mordanschlag nur knapp überlebt. O-Ton Mohamoud Ahmed Nur, Text message, they will send to you text messages Ok, "We know where you are going, we know the road that you are passing, we will explode your car. You will be dead in 2 days time. Your flesh will fly in the sky". Übersetzer 1: Sie schicken mir Textnachrichten aufs Handy. Zum Beispiel: "Wir wissen, wohin Du unterwegs sind. Wir kennen die Straßen, die Du passieren musst. Wir werden Dein Auto in die Luft jagen. Innerhalb der nächsten zwei Tage wirst Du tot sein. Dein Fleisch wird durch den Himmel fliegen." Autorin: Seine Frau kommt aus dem Haus, setzt sich zu ein paar festlich gekleideten Frauen, die schon seit geraumer Zeit auf die Hausherrin warten. Ebenso wie ihr Mann hat sich Shamis inzwischen darauf eingestellt, dass diese Art von Audienzen ständig auf sie warten. Die Bewaffneten am Eingangstor haben sie dabei immer in Sichtweite. O-Ton Mohamoud Ahmed Nur All these messages they will send to you. But if you are afraid, if there is a fear in your heart in any moment, then it will be very difficult for you to work. There was a time when I start work, I, only one road was open to my office, only one road. There was no other alternative road that I can use. And that road, 4 times they assassinated, through explosives, they assassinated 4 officials. And I have to pass that road, there is no other way I can go to my office. And I knew that in any time I may not come back because I, since I'm passing that and since they know that I will pass that road and since they already assassinated 4 officials, then I was waiting my time. But I did not say, Oh, I'll work in the house, I cannot go to my office. If I do, then I will discourage my staff, I will discourage the whole population. Übersetzer 1: Obwohl man ständig solche Drohungen kriegt, darf man keine Angst haben. Wenn man Angst hat, wenn man auch nur einen Augenblick lang Angst in seinem Herzen verspürt, kann man hier nicht arbeiten. Als ich vor drei Jahren den Posten als Bürgermeister übernommen habe, gab es zu meinem Büro nur eine Straße, die nicht durch das Gebiet der Rebellen führte. Ich musste also immer über diese Straße fahren, obwohl da vor mir schon vier Regierungsvertreter durch Sprengsätze getötet worden waren. Trotzdem habe ich nicht gesagt: "Ich fahre nicht ins Büro, ich arbeite von zu Hause aus." Wenn ich das getan hätte, hätte ich alle meine Mitarbeiter und die gesamte Bevölkerung entmutigt. Autorin: Eine deutsche Zeitung hat ihn vergangenes Jahr "den Bürgermeister der Hölle" genannt. Mohamoud Ahmed Nur kennt eine Kopie des Artikels. O-Ton Unterhaltung Autorin und Bürgermeister über Hölle und Himmel Bürgermeister: But I, yeah, but I'm not the Mayor of the Hell, I'm the mayor of the Heaven. [chuckles] Übersetzer 1: Ja, aber ich bin nicht der Bürgermeister der Hölle, sondern des Himmels. (kichert) O-Ton Bürgermeister If you compare for example, if you compare the death rates, any suicide bomb or any opposition actions in Baghdad and in Pakistan and in Kabul, the fatalities are much higher than any incident that takes place in Mogadishu. We're talking about hundreds, every suicide bomb in Baghdad or in Pakistan or in Kabul, are hundreds and fifties. Here is 2, maximum 10 in incident. Now a frequency of this kind of suicide, at Baghdad it's higher and Pakistan is higher. So the only reason Mogadishu makes 'Most Dangerous City' is that people are roaming around with weapons. But I think Mogadishu is ok compared to what's happening in Baghdad. Übersetzer 1: Schauen Sie, nach Selbstmordanschlägen in Bagdad oder Pakistan oder Kabul sind die Opferzahlen viel höher, als nach Attentaten bei uns. Dort sterben nach jedem Anschlag 100 oder mindestens 50 Menschen, bei uns sind es zwei, maximal zehn. Außerdem sind Selbstmordanschläge bei uns viel seltener. Es gibt eigentlich nur einen Grund, weshalb Mogadischu als die gefährlichste Stadt der Welt gilt: weil hier nämlich jeder mit einer Waffe herumläuft. Trotzdem glaube ich, dass Mogadischu ganz okay ist, verglichen mit Bagdad. Autorin: An eine Waffe zu kommen ist hier ganz leicht, nach zwanzig Jahren Krieg und ohne Regierung. In nur zwei Wochen im Juli verübte die islamistische Shabaab-Miliz an verschiedenen Orten Somalias insgesamt rund 100 Attentate. Dessen rühmt sich die Miliz, die zum Terrornetzwerk Al-Qaida gehört, zumindest in einem Tweet. Seit über einem Jahr gibt es zwar einen Präsidenten. Aber mehr als zwanzig Jahre lang hatte Somalia keinen international anerkannten Staatschef. Es herrschte das reine Chaos. O-Ton Bürgermeister It's very difficult for us. What do we have? We don't have professional police force, we don't have professional military, we don't have professional security, we don't have resource, they don't have something, communication materials, they don't have enough weapons, they don't have enough ammunitions to defend the country, even to defend themselves, they don't receive salaries. So what can you expect from them. Übersetzer 1: Es ist sehr schwierig für uns. Was können wir den Islamisten schon entgegen setzen? Wir haben keine professionelle Polizei, wir haben keine professionelle Armee, wir haben überhaupt keine professionellen Sicherheitskräfte. Polizei und Militär fehlen Geld und Kommunikationsgeräte, sie haben nicht genug Waffen, nicht genug Munition. Es reicht noch nicht mal, um sich selbst verteidigen zu können. Und bezahlt werden sie auch nicht. Was kann man da schon von ihnen erwarten? Autorin: Dann zieht sich Mohamoud Ahmed Nur ins Haus zurück und frühstückt, dazu ist er bisher noch gar nicht gekommen. Und jetzt ist es eigentlich längst Zeit zum Aufbruch: Der Bürgermeister wird im Rathaus schon erwartet, außerdem hat er etliche Termine in der Stadt. Man spürt, dass er wegen Hektik gerade fast schlechte Laune kriegt. Aber das sind bei ihm seltene Momente. Atmo auf dem Weg zum Bürgermeister ins Büro Trubel auf Parkplatz, Türen schlagen, Autorin: Soldaten der afrikanischen Eingreiftruppe AMISOM bewachen die Zufahrt, die zum Rathaus von Mogadischu und der Region Benadir führt. Nähert sich ein Auto, verlassen die Militärs ihre Deckung hinter den Sandsäcken, kontrollieren die Passagiere, heben den Schlagbaum. Atmo Sicherheitskontrolle Autorin: Am Haupteingang überprüfen Polizisten Personen und Taschen. "Rathaus" ist ein großes Wort für das in die Jahre gekommene Gebäude. Immerhin war es in dem langen Bürgerkrieg offenbar kein wichtiges Ziel, die Schäden durch Artillerieeinschläge sind jedenfalls überschaubar. Der lange Gang im Inneren liegt in schummrigem Dunkel. Atmo Wartezimmer Autorin: Das Wartezimmer des Bürgermeisters ist heller, aber voll. Aufgebretzelte Frauen und überwiegend ältere Männer, viele davon mit reich bestickten Mützen - einem Zeichen für die Würde der Ältesten. Tarzan ist offensichtlich ein sehr gefragter Mann. Atmo Zugang zum Empfangsraum des Bürgermeisters Autorin: Der lange Tisch in seinem Büro ist ebenfalls gut besetzt. Vor allem die Frauen sind mit teuren Stoffen gut gekleidet. Atmo Bürgermeister am Telefon Autorin: Mohamoud Ahmed Nur telefoniert ständig, während er mit den zahlreichen Bittstellern spricht. Atmo Unterhaltung des Bürgermeisters mit der Dänin Autorin: Gerade spricht er mit einer Dame mittleren Alters, die aus dem dänischen Exil nach Somalia zurückkehren will. Sie hat Geld und möchte investieren, zum Beispiel in ein Tourismusprojekt. Vor ihr war ein anderer Rückkehrer vorstellig, der will in Mogadischu Solarpanele produzieren. Eine nahe liegende Idee: Sonne gibt es im Überfluss, Strom dagegen bislang kaum. Wirtschaftsförderung ist eines von Tarzans Lieblingsthemen. O-Ton Bürgermeister I will facilitate two things. One, if it is industrial, if it is production, we will provide a free land. Service, we will not provide free land, but any support they need, they will get. Übersetzer 1: Ich werde zweierlei fördern. Industriebetriebe werden Land umsonst bekommen. Dienstleistungsunternehmen werden für die Grundstücke zahlen müssen, bekommen aber davon abgesehen von uns jede Unterstützung, die sie brauchen. Autorin: Er setzt vor allem auf private Investoren, in Deutschland würde er vermutlich FDP wählen. Als der sozialistische Militärdiktator Siad Barre noch an der Macht war, hatte Mohamoud Ahmed Nur wegen seiner politischen Überzeugungen ein Problem. O Ton Bürgermeister I came from a very poor family, but always I want to be rich, my own initiative, my own thing. So completely I rejected the socialism and all these notions, socialism. So I became reactionary, they call reactionary, the terms they use is that if you don't agree with them, you are not revolutionary, you are reactionary. Übersetzer 1: Ich stamme aus einer sehr armen Familie, aber ich wollte immer schon reich sein. Ich wollte mein eigenes Ding machen. Ich lehnte den Sozialismus und alles, was damit zusammen hängt, komplett ab. Sie haben mich deshalb als "reaktionär" - beschimpft - damals war man entweder "revolutionär" oder "reaktionär". Autorin: Für kurze Zeit saß er wegen seiner politischen Ansichten in Haft. Jetzt hat er endlich eine Position, in der er mit gestalten kann. Wenn auch in einem Umfeld von Ruinen. Trotzdem gibt es viele, die in Mogadischu investieren wollten. O-Ton Bürgermeister Almost 95 percent are Somalis, but there are also non-Somali companies. There are real estate companies, there are evolving real estates, industries, so many hotels have been build. The only weakness is: the businesses are not planned. It is ad hoc, and people start from services. We are encouraging very much production, but the weakness of production is lack of electricity. We have the most expensive electricity... Übersetzer 1: 95 Prozent davon sind Somalier, der Rest sind ausländische Investoren. Darunter gibt es viele Immobilienunternehmen, aber auch ein paar Produktionsbetriebe. In den letzten Jahren wurden sehr, sehr viele Hotels gebaut. Der einzige Schwachpunkt: die Investitionen finden völlig ungeregelt statt. Unser größtes Hindernis bei der Ansiedlung von Unternehmen ist der viel zu teure Strom. Wir gehören damit zu den teuersten Standorten der Welt. Autorin: Denn der Strom wird von Unternehmern produziert, die ihn mit riesigen Generatoren erzeugen und dann in lokale Netzwerke speisen - aber sich den Preis für den Diesel, der die Generatoren betreibt, gut bezahlen lassen. In Somalia starben zwischen Oktober 2010 und April 2012 fast 260.000 Menschen - auch, weil die Islamisten westlichen Helfern den Zugang verwehrten. Jetzt scheint der Alptraum vorbei zu sein. Die Medien berichten aus Mogadischu nur noch Gutes: Sie schreiben über solarbetriebene Straßenlaternen, das erste Taxiunternehmen und die Tatsache, dass die Jugend am Wochenende wieder zum "Lido" geht, zum Strand. O-Ton Bürgermeister I am very proud, I am very happy that people are coming back to their country, I am very happy that people are returning, I am very proud that some international companies show some interest and want to come back and invest, and we will encourage them and we will support them - yes! Übersetzer 1: Ich bin sehr stolz und glücklich darüber, dass die Menschen jetzt nach und nach aus dem Exil nach Hause kommen. Und ich bin stolz darauf, dass auch ein paar internationale Unternehmen hier investieren wollen. Wir werden ihnen Mut machen und sie unterstützen, so gut wir können. Autorin: Dann drängt der Bürgermeister zur Eile. O-Ton Bürgermeister Now there is a function, a function in a new hotel that has been built in Mogadishu. Since I am promoting the investment of the city, a Somali businessman invested in a big hotel, and he asked me if I can open it. So I am going to open it, and we will have a very good lunch there . Übersetzer 1: Gleich muss ich zu einer Feier, zu der mich ein somalischer Geschäftsmann eingeladen hat. Sein neues Hotel wird heute eröffnet, und weil ich immer für private Investitionen in Mogadischu werbe, soll ich die Eröffnungsrede halten. Danach gibt es da bestimmt ein gutes Mittagessen. Atmo Aufgang zum Saal im Treppenhaus Autorin: Ein mehrstöckiges Gebäude, tatsächlich recht schick, und eines von vielen neuen Hotels in der Stadt. Wer soll bloß diese Zimmer alle buchen? Die wenigen westlichen Helfer und Investoren verkriechen sich auch heute noch hinter Barrikaden aus Sandsäcken in einer so genannten Sicherheitszone in Flughafennähe. Atmo Gebet Autorin: Zum Auftakt wird gebetet. Fast alle Somalier sind gemäßigte Muslime. Aber der Einfluss der Extremisten ist gewachsen. Auf der Straße zeigen sich heute viel mehr Frauen als früher komplett verhüllt und in tiefem Schwarz gekleidet. Atmo Rede des Bürgermeisters Autorin: Als Mohamoud Ahmed Nur an der Reihe ist, hält er ein Plädoyer für private Investitionen. Atmo Mittagessen Autorin: Beim Mittagessen werden Unmengen an Essen aufgetischt: Suppe, Reis und Nudeln, mehrere Sorten Fleisch, Brot und Nachtisch - nicht als Büffet, sondern alles auf einmal. Es gibt in Somalia durchaus eine neue Elite, und Tarzan fühlt sich in deren Mitte spürbar wohl. Gleichzeitig leben allein in der somalischen Hauptstadt immer noch bis zu 360.000 Vertriebene in einfachsten Hütten. An ihnen geht der Aufschwung vorbei. Der Bürgermeister verteidigt sich: O-Ton Bürgermeister Imagine a country that are recovering from a 22 years conflict. There is a lot of things. I want to build schools, I want to build universities, I want to build good hospitals, all people are dying very simple disease. Why? Because there is no, you know, this big hospital, Medina, have you been in Medina Hospital? There's no single incubator. It's supposed to be, Medina Hospital and Banaadir Hospital is supposed, Banaadir Hospital particularly is supposed to be mother and child hospital, and there is no single incubator, imagine, one single incubator. So if your child born prematurely and needs some oxygen, he cannot get, he will die, that child will die. Übersetzer 1: Vergessen Sie nicht, dass dieses Land 22 Kriegsjahre hinter sich hat! Es gibt so viel zu tun. Ich würde gerne Schulen bauen, Universitäten und gute Krankenhäuser. Bei uns sterben die meisten Menschen an Krankheiten, die eigentlich sehr einfach zu behandeln wären. Warum sterben sie? Weil wir nicht mal das Nötigste haben. Noch nicht einmal in unserem größten Krankenhaus, dem Medina, gibt es auch nur einen Brutkasten. Auch nicht im Benadir-Krankenhaus, das auf Mütter und Kinder spezialisiert ist. Das führt dazu, dass bei uns Frühgeborene, die nur etwas Unterstützung bräuchten, einfach sterben. Atmo morgens beim Bürgermeister Autorin: Am nächsten Morgen um 8.00 Uhr ist die Veranda wieder voller Menschen, die dem Bürgermeister und seiner Frau Shamis ihre Aufwartung machen. Shamis gab ihren Widerstand gegen die Rückkehr nach Mogadischu erst vor zwei Jahren auf, da war ihr Mann schon ein Jahr lang Bürgermeister. O- Ton Frau des Bürgermeisters I always believe family. So I decide to resign my job and come and join my husband because I need my husband. That's why I joined him. Übersetzerin: Die Familie hat für mich einen großen Wert. Deshalb gab ich meinen Job schließlich auf und zog zu meinem Mann nach Mogadischu. Ich brauche meinen Mann. Autorin: Beim ersten Mal ist sie nur ein paar Monate lang geblieben, aber schließlich ist sie ganz zu ihm gezogen. Denn seit er weg war, fühlte sie sich in London allein. Und sie hatte jedes Mal Angst, wenn das Telefon klingelte. Jedes Mal dachte sie: Jetzt haben sie ihn wirklich umgebracht. O-Ton Unterhaltung Autorin / Frau des Bürgermeisters Still I am scared but I don't have choice [laughter]. I go out but not that much. I don't scared inside the house. I don't know if I'm in England or if I'm in Somali when I'm inside the house, yeah. You understand the fear does lots of things because you are not free in this country, I don't feel free. When I go for example go London I feel free I can go out by myself, I can go shops by myself, I can do whatever I want. But here when I'm going I have to have someone bodyguard, anyone accompanying me. So the worst thing and the bad, yeah, I don't feel happy that I am not alone and I don't have freedom, I don't have privacy, it gives me bad feeling. [laughter] Übersetzerin: Ich gehe selten aus dem Haus. Zu Hause habe ich nicht so viel Angst. Drinnen merke ich gar nicht, ob ich in London, oder in Mogadischu bin. Wissen Sie, die Angst macht komische Dinge mit einem. Ich fühle mich hier in diesem Land nicht frei. In London war ich immer frei, ich bin zum Beispiel alleine einkaufen gegangen. Hier habe ich immer Bodyguards dabei. Das ist für mich das Schwerste an dem Leben hier, aber es ist natürlich zugleich ein Geschenk, dass sie da sind, um mich zu beschützen. Aber glücklich bin ich nicht, und auch nicht frei. Ich habe keinerlei Privatsphäre. Autorin: Shamis hat feine Gesichtszüge, sie bewegt sich mit einer natürlichen Eleganz. In London hat sie als Krankenschwester und als Sozialarbeiterin gearbeitet. O-Ton Frau des Bürgermeisters, I really miss it because I used to wake up every morning and go and come back tired, so I don't have a lot to do here so I really feel bored. So I brought my grandchildren here. You saw my grandchildren? They are from London. So the school was closed so I brought them here to make me busy. Übersetzerin: Die Arbeit fehlt mir. Damals bin ich jeden morgen früh aufgestanden und abends müde nach Hause gekommen. Hier dagegen habe ich nicht viel zu tun, mir ist oft langweilig. Deshalb habe ich meine Enkelkinder hergeholt. Haben Sie die schon gesehen? Sie wohnen in London, sie sind während der Schulferien hier. Autorin: Die beiden Mädchen, Maya und Maliya, sind fünf und sieben Jahre alt. Außerdem ist der jüngste Sohn zu Besuch. Abdullahi Nur ist 23 Jahre alt, in London aufgewachsen und schon zum zweiten Mal in Mogadischu. An ihm ist alles britisch: seine Kleidung, seine Körperhaltung, sein Akzent. O-Ton Sohn des Bürgermeisters First i was apprehensive, because i didn't want to come because all i hear is like horror stories and stuff like that, but when i first came, i was actually shocked, i was really surprised. Übersetzer 2: Ich war am Anfang sehr besorgt, erst wollte ich gar nicht kommen, weil ich so viele Horrorgeschichten über Mogadischu gehört hatte. Aber als ich dann hier war, war ich so angenehm überrascht, dass es fast wie ein Schock war. Mogadischu ist einfach ganz anders, als ich dachte. Atmo Lido Autorin: Am Strand, dem Lido, mischt er sich unter die anderen Männer. Viele von ihnen sind wie er Besucher aus dem Ausland: aus Großbritannien, aus den USA, aus den arabischen Staaten. Abdullahi ist an den grauen Himmel in London gewöhnt, in Mogadischu genießt er die Sonne. O-Ton Sohn des Bürgermeisters So i swore to myself: as soon as i graduate from university which i did now, i come for at least six month or a year just to learn my language a bit more and hopefully be able to start working here eventually. Übersetzer 2: Ich habe mir geschworen, sofort nach meinem Hochschulabschluss für mindestens sechs Monate oder ein Jahr zurückzukommen. Und weil ich gerade meinen Abschluss gemacht habe, bin ich jetzt hier. Ich will meine Sprache ein bisschen besser lernen, und mir hier Arbeit suchen. Autorin: Seine Nichten Maya und Maliya lutschen ein Wassereis, tragen schicke rosane Kleidchen und lächeln kokett. Auf die Frage, ob sie das Eis hier gekauft haben, fangen alle an zu lachen. Atmo Thema Wassereis No no (lacht) we bought it from London, Mutter unterbricht lachend: From London! Sohn: because there are no snacks here, we bought a whole bag of snacks for the kids. (lacht) Autorin: Das Eis stammt aus London, die Familie hat eine ganze Tüte voll mitgebracht. Autorin: Währenddessen taucht auch der Bürgermeister selbst auf. Er genießt es offensichtlich auch, seine Familie um sich zu haben. Überhaupt ist er heute ziemlich aufgeräumter Stimmung. Mohamoud Ahmed Nur wird oft gelobt, weil er vieles anpackt und vieles möglich macht. Und niemand kann ihm nachsagen, dass er ein Feigling ist. Aber es gibt auch kritische Stimmen: Es heißt, dass er oft eigenmächtig handelt. Dass er viel zu sehr von sich überzeugt ist. Im Gespräch gibt er sich heute bescheidener. Vor allem eines hat er seiner Meinung nach geschafft: O-Ton Bürgermeister Right now, very large people of Mogadishu population believe that yes, something can be done, yes, we can go back to becoming human, yes, we can build a government, yes we can build the nation. A large number believe, when I was coming as a mayor, nobody believed that. Nobody believed that. Übersetzer 1: Inzwischen glauben viele Menschen in Mogadischu daran, dass wir etwas verändern können. Dass wir lernen können, menschlicher miteinander umzugehen. Dass wir eine Regierung bilden und eine Nation aufbauen können. Als ich hierher kam und meinen Posten antrat, hat daran noch niemand geglaubt. Autorin: Zum Abschluss der Reise will ich einen somalischen Freund und meinen Dolmetscher in ein Fischrestaurant einladen. Es gibt jetzt viele neue davon, und ein besonders schönes liegt am Lido, mit Blick über den Strand und das Meer. Der Tisch ist bestellt. Dann ein Anruf meines somalischen Freundes: Wir können doch nicht ausgehen, das Risiko ist viel zu hoch, es gibt in dem Stadtviertel neue Spannungen. Vielleicht wäre Tarzan trotzdem gegangen. Vielleicht hätte er sich jetzt erst Recht einen Hummer bestellt, um den Menschen in Mogadischu Mut zu machen. Wir vertagen uns aber auf bessere Zeiten. ** 16 1