DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 24.03.2015 Redaktion: Ulrike Bajohr 19.15 - 20.00 Uhr Zurawlów probt den Aufstand Ein polnisches Dorf im Streit mit der Fracking-Industrie Von Martin Sander Co-Produktion DLF/SWR Produktion: 16.- 20. März 2015, 16.20 Uhr - 23.50 Uhr, M2 Sprecher: Autor: Daniel Berger Älterer Bauer: Michael Altmann OV 1: Tom Jacobs OV 2: Axel Gottschick OV 3: Volker Risch OV 4: Stefko Hanushevsky Sprecherinnen: OV 1: Wieslawa Wesolowska OV 2: Claudia Mischke 01 O-Ton Passantin /Voiceover Das Schiefergas will seit Jahren keiner anrühren. Sogar Öl haben wir. Polen liegt zwischen zwei Mühlrädern. Im Osten mahlen die Russen, im Westen ...diese EU mit den Deutschen an der Spitze. 37c O-Ton Susiec-Bürger 1/Voiceover Eigentlich kämpfen Russland und die Ukraine doch nur dafür, dass wir kein Schiefergas fördern. Polen ist doch sowieso verkauft. 37a O-Ton Susiec-Bürger 1/Voiceover Arbeit wird es geben, Geld. 37d: Atmo Sirene, Frau /Malgosia: Jetzt machen sie sich ins Hemd! 02 Frau /Voiceover Da hat sich ja ein rechter Pole gefunden... verkauft sich einen Zehner, ein Patriot! 02a Mann/Voiceover ... ein amerikanischer! Handgemenge. 2bb: Frau /Malgosia: Wir haben das Recht uns zu wehren. Und das werden wir tun! 02b Polizist/ Voiceover Was ist der Sachverhalt? 02c Wieslaw Gyn/Voiceover Der hat mich getreten, nach vorne gefilmt, nach hinten getreten! O-Ton/Atmo: Protestschreie und Stimmen, im Mittelpunkt die schimpfende Malgorzata Jablonska, Erregung, Beschwichtigungen, Schreie, weiter unter folgendem) Ansage Zurawlów probt den Aufstand. Ein polnisches Dorf im Streit mit der Fracking- Industrie. Ein Feature von Martin Sander 02c Polizist/ Voiceover Schreien Sie doch nicht so! Wo hat sich der Vorfall ereignet? Atmo: Stille mit Mücke, Hahn, Vögel, Gebell, Storch, Stille usw. 03 O-Ton älterer Bauer Voiceover Wir haben eine lange Geschichte. Dieses kleine Dorf ist wirklich sehr alt. Über 600 Jahre. Fruchtbarer Boden, das Klima in Ordnung, das Wasser sauber. Aber davon mal abgesehen: So ein altes Dorf sollte man doch ernst nehmen, mit seiner Geschichte. Unsere Vorfahren haben die polnischen Teilungen erlebt, den Zweiten Weltkrieg überlebt, sie wurden umgesiedelt, kamen wieder zurück, haben das alles aufgebaut und wieder bewirtschaftet. Sprecher älterer Bauer weiter Ach so, die Rede ist von Zurawlów. Zurawlów ist ein Dorf in der Gemeinde Grabowiec. Zur Gemeinde gehören noch Rogów, Siedlisko, Szczelatyn, Cieszyn. Wir sind im Südosten Polen, rund fünfzig Kilometer vor der Grenze zur Ukraine. Und hier wollen sie nach Gas bohren. Fracken! Fortsetzung 03 O-Ton älterer Bauer Wenn Chevron kommt und alles vergiftet, dann gibt es hier kein Leben mehr. Musik/Atmo Autor Mitte Juni 2013. Das Protestzelt der Dorfbewohner thront auf einer Anhöhe. "Occupy Chevron" steht auf einem Transparent: Rundherum wehen die Fahnen vieler Länder, aus denen bereits Unterstützer in Zurawlów waren. Dazwischen immer wieder die polnische Flagge. Nebenan, nur durch einen Sandweg getrennt, liegt das Pachtgrundstück der Firma Chevron. Wachschützer haben sich dort auf Campingstühlen unter einem Vordach samt Plastik-Klo eingerichtet. Gemeinsam blicken sie auf sanfte Hügel, Felder und Wiesen. Dazwischen fließt ein schmaler Bach. Atmo: Vögel zwitschern, Storch klappert, eine Mücke surrt etc. Sprecher älterer Bauer Der Boden: beste Schwarzerde, 1. Qualität. Autor Und unter der Erde liegen große Trinkwasserreservoire. 4000 Meter tiefer, irgendwo im Gestein, vermutlich das Gas. 01 O-Ton Passantin /Voiceover Polen steckt doch voller Bodenschätze. Sogar Öl haben wir. Weiter Sprecherin/Passantin Im ganzen Osten und Norden Polens soll Gas unter der Erde lagern, mehr als in jedem anderen europäischen Land. Das sagen die Experten, das steht in jeder Zeitung. Chevron aus Kalifornien hat Erfahrung mit solchen Dingen und eine Lizenz. Atmo: Parole gegen Chevron Autor Zwei Wochen schon blockieren die Bauern aus dem Dorf mit Traktoren, Lastwagen und Anhängern das Chevron-Feld. Fahrzeuge oder Maschinen kommen da nicht durch. Bauern und Chevron-Bedienstete belauern einander. Sie filmen jede Bewegung der anderen Seite, zeigen sich gegenseitig bei der Polizei an. Manchmal steigert sich der Streit in ein Handgemenge. Dann herrscht wieder Friede - bis zum nächsten Ausbruch. 04 O-Ton Wieslaw Gryn/ Voiceover Mein Name ist Gryn. Ich bin Landwirt und wohne 700 Meter vom geplanten Bohrplatz entfernt. Gryn, also eigentlich Grün. Schon deshalb muss ich gegen Chevron sein. Die Landwirtschaft steht vor sehr großen Herausforderungen. Wir müssen immer mehr Lebensmittel erzeugen, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Wir wollen nicht nur Schutt und Asche hinterlassen, denn im Jahr 2050 wird es von uns neun Milliarden geben. Da kann man schon sagen: eine epochale Herausforderung. Atmo: Schritte durch das Feld, Stille 04f O-Ton Wieslaw Gryn/Voiceover Um Ihnen was zu zeigen, brauche ich den Spaten. Wenn wir hier hineinstechen, dann ist es sehr weich. Sehen Sie mal, die ganze Erde ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Es macht mir Spaß, so einen Klumpen zu zerteilen, die Erde zerfällt so schön, sie ist so mürbe. Autor Es dauert eine Weile, bis wir unter dem mannshohen Raps hervorgekraucht sind, um das Anwesen der Gryns in Augenschein zu nehmen. Hinter Bäumen ein stattliches Wohnhaus, ein Werkstattgebäude samt Gästezimmern. Ein 27 Meter hoher Wetterturm, aus Eisenteilen eigenhändig zusammengeschweißt. Sprecher älterer Bauer Wieszek Gryn ist hier geboren. In Rogów an der Grenze zu Zurawlów, 1957. Ende des 18. Jahrhunderts waren seine Vorfahren aus dem Elsass eingewandert, mit ein paar Dutzend weiteren Familien. Die hießen zum Beispiel Springer, Bernhard oder Weiland . Atmo: Hühner, Schweine, Hunde 05 O-Ton Wieslaw Tryniecki/Voiceover Ja, Herr Gryn, das ist ein dynamischer Landwirt, und ich bin so ein primitiver altpolnischer Bauer, komme gerade mal über die Runden. Autor Wieslaw Tryniecki gibt sich bescheiden. Dabei haben ihn die Menschen in Rogów nicht nur zum Chef der freiwilligen Feuerwehr gemacht, sondern auch als Dorfvorsteher gewählt. Tryniecki ist Ende fünfzig, er kennt Gryn von Kindesbeinen an. 05f O-Ton Wieslaw Tryniecki/Voiceover Gryn hat jetzt eine große Landwirtschaft, und je größer die Wirtschaft ist, desto mehr bleibt übrig. Er hat rechtzeitig damit angefangen. Aber ich beneide ihn nicht. Der Bursche muss auch hart arbeiten. Würde er da so als Verwalter mit Krawatte herumlaufen, dann würde ich ihn beneiden. Aber er ackert ja zusammen mit seinen Leuten. Alles, was er hat, diese 500 Hektar, mäht er selbst. Ein wenig resigniert läuft Tryniecki über seinen kleinen Hof. Dabei war er es, der als erster den Kampf mit Chevron aufnahm, dem es gelang, die Leute vom Konzern aus Rogów zu verjagen, viele Monate, bevor sie sich in Zurawlów festsetzten. 06 O-Ton Wieslaw Tryniecki/Voiceover Da gab es keine Ökologen, ich hab die Sache einfach selbst in die Hand genommen, mit den anderen im Dorf. Denn bei mir ging das Wasser kaputt, als sie mit den seismischen Untersuchungen anfingen. Aus meinem Wasserhahn lief auf einmal eine schmierige schwarze Brühe. Man hat mir einen neuen Brunnen gebohrt, dann noch einen, das Gesundheitsamt erschien, nahm Proben und erklärte, das Wasser sei ungenießbar. Dann kamen sie noch mal, machten wieder andere Untersuchungen. Diese Proben mit dem ungenießbaren Wasser nahm der Brunnenbauer mit, bis heute habe ich sie nicht zurückbekommen. Musik/ Atmo: Starker Regen, Debatten im Protestzelt Autor Sommer 2013. Regen trommelt auf das Protestzelt. Es ist gut besucht. Eine Frau steht vorn und hält eine Flasche hoch. Ausländische Journalisten, ein Filmemacher, Vertreter der polnischen Grünen sitzen unter den Bauern. 08 Barbara Siegienczuk/Voiceover Das hier ist Wasser aus Rogów, das bei einer der Bewohnerinnen aus dem Hahn kommt, dort wo man vor zwei Jahren seismische Untersuchungen durchgeführt hat. Das Wasser steht schon ein paar Tage bei uns. Und als die Bewohnerin es in einer Flasche gebracht hat, da konnte man deutlich solche schwarzen Kügelchen erkennen, die sich vom Wasser trennten. Jetzt zeigt sich so ein rötliches Granulat. Sprecher älterer Bauer Das ist Basia, eine Frau aus der Stadt, die bei uns ein altes Holzhaus gekauft hat. Für die Wochenenden und die Rente. Aber neuerdings ist sie meistens hier. Autor Barbara Siegienczuk besitzt eine kleine Werbeagentur mit ein paar Angestellten im dreißig Kilometer entfernten Zamosc. Sie organisiert im Protestzelt vor allem die Öffentlichkeitsarbeit. Es gibt viel zu tun, denn: Fast alle polnischen Politiker - von den Postkommunisten bis zu den Nationalkonservativen - begeistern sich für das Schiefergas. Im Fracking sehen sie den Schlüssel zur Energieunabhängigkeit Polens: Endlich kein Gas mehr zu überteuerten Preisen aus Putins Russland importieren! 09 O-Ton Andrzej Bak/Voiceover Was hier passiert, ist ein Fall fürs Oberste Gericht. Ich weiß, das sind starke Worte. Aber da gehört die Sache am Ende hin. Autor Andrzej Bak, von Beruf Elektroingenieur, Sprecher älterer Bauer Basias Lebensgefährte Autor ... beißt sich durch Aktenordner mit schwer nachzuvollziehenden Genehmigungsverfahren. Er sitzt an einem kleinen Tisch im Zelt, versucht die komplizierte Rechtslage zu durchschauen. 10 O-Ton Andrzej Bak/Voiceover Die Vorschriften sind so dehnbar, dass sie hier machen können was sie wollen. Kohle, Schiefergas, Erdöl, sie können alles aus der Erde holen - für sehr wenig Geld. Denn hier, für die Lizenz in der Gemeinde Grabowiec, für eine Fläche von 1200 Quadratkilometern, hat Chevron 240.000 Zloty bezahlt, 200 Zloty pro Quadratkilometer. Umgerechnet 60 Euro, nein, 50 Euro für einen Quadratkilometer, auf dem sie machen können, was sie wollen, auch die Menschen enteignen, die darauf wohnen. 11 Emil Jablonski/ Voiceover Wenn Chevron hier anfängt zu bohren und Gas findet, dann stellt sich die Alternative: Entweder es gibt das Gas - oder es gibt uns. Dann wird das hier ein Bergbaugebiet, und dann muss man etwas mit uns tun. Nur was? Sprecher älterer Bauer Emil Jablonski , Dorfvorsteher von Zurawlów, im Prinzip ein ruhiger Zeitgenosse. Von hier kommt er, von hier ist er nie weggegangen, ebenso wie seine Vorfahren - und seine sehr energische Frau Malgosia, übrigens eine geborene Bernhard. (O-Ton Malgosia schimpft) Autor Malgosia schimpft mal wieder, ihr dünner, ruhiger Ehemann steht neben dem Notstromaggregat beim Protestzelt und schaut versonnen in die Landschaft 11f Emil Jablonski/ Voiceover Es gefällt uns einfach nicht, wie unsere Regierung hier vorgeht, unsere Machthaber und diese Firmen. Wir zeigen hier unseren Zorn, denn wir fühlen uns bedroht. Die Generation unserer Eltern und Großeltern hat man zwangsumgesiedelt. Sie haben oft davon erzählt. So etwas steckt wie ein Stachel in unserem Herzen. Nach dem Krieg sind sie zurückgekehrt, haben ihre Dörfer aufgebaut. Atmo: Tierstimmen, Natur Zurawlów Autor "Wir wollen nicht ins Gas", steht auf einem Anti-Chevron-Transparent am Dorfeingang von Zurawlów. (Musik/ Rückblick) Sprecher älterer Bauer 1942 bis 1944 diente unsere Region Zamosc als Experimentierfeld für den Generalplan Ost. Diesen Plan zur ethnischen Neuordnung großer Teile Ostpolens und der Ukraine - die Deutschen sagten: Umvolkung - hatte das Reichssicherheitshauptamt mit Agrarwissenschaftlern der Berliner Universität ausgearbeitet. Teile des Plans wurden dann auch umgesetzt: In Zurawlów und vielen anderen Dörfern der Region vertrieben Polizei, SS und Wehrmacht die polnischen Bauern von ihren Höfen. Viele wurden getötet, kamen in Konzentrationslager, Kinder gab die SS zur Zwangsadoption. Die Höfe der Polen erhielten Ukrainer und Deutsche. die zuvor ihre Siedlungsgebiete, zum Beispiel in Bessarabien, verlassen hatten. Atmo: Sirene heult, Megaphon, turbulent Autor Warschau, Mitte Juli 2013. 14 O-Ton Ewa Sufin-Jaquemart/Voicover Heute haben sich hier die Bewohner von Zurawlów versammelt. Seit sieben Wochen wehren sie sich dagegen, dass drei der größten Trinkwasserreservoire Polens bei der Suche nach Schiefergas vergiftet werden. Sie verlangen, dass man in ganz Polen über sie redet, so wie man über sie in Frankreich spricht, in Bulgarien, Litauen, Finnland oder in Pennsylvania. Autor Vor dem polnischen Umweltministerium in der Wawelska-Strasse spricht Ewa Sufin-Jaquemart ins Megaphon. Die Ex-Diplomatin und Politikerin der polnischen Grünen ist mit den Leuten aus Zurawlów mittlerweile befreundet. Jetzt erteilt sie Barbara Siegienczuk das Wort. Sprecher älterer Bauer Basia! 15 O-Ton Barbara Siegienczuk/Voiceover Schon lange haben wir das Umweltministerium über das illegale Vorgehen von Chevron informiert, haben alle unsere Argumente vorgetragen. Und keine Antwort erhalten. Die Europäische Kommission hat sich der Sache angenommen; ein tschechischer EU-Abgeordneter hat sie an die Kommission weitergeleitet. Es wäre doch peinlich, wenn wir eher eine Antwort aus dem EU-Parlament bekämen als von unserem eigenen Umweltminister. Autor Während einige Leute aus Zurawlów ins Ministerium eingelassen werden, geht der polnische Umweltminister, Sprecher älterer Bauer Pan Marcin Korolec! Autor einer anderen Beschäftigung nach. Im Wasserpalast des Lazienki-Parks, ein paar Kilometer südlich, gibt sich Korolec die Ehre, mit den Kollegen Philippe Martin und Hans-Peter Altmaier über Umwelt und Klimapolitik zu plaudern. Das Format heißt Weimarer Dreieck. Nach einigen unverfänglichen Fragen von Pressevertretern verlässt Korolec den Palast durch den Vorderausgang und stößt auf eine zweite Gruppe von Öko-Aktivisten und Zurawlów-Leuten, die herbeigeeilt sind, um ihn abzupassen. 16 a Demonstrant/Voiceover Herr Minister, wir wollten Ihnen ein Flugblatt überreichen. 16 b Demonstrantin/Voiceover Wie Sie wissen, zerstört hydraulisches Fracking die Erde. Alle chemischen Elemente... 16c O-Ton Marcin Korolec/Voiceover ... aber gibt es dazu Untersuchungen? 16d Demonstrantin/Voiceover Ja, es gibt Untersuchungen, aber die wurden gestoppt, ich weiß nicht... 16e O-Ton Marcin Korolec/Voiceover Aber da bei Zurawlów ist doch wohl noch gar nichts passiert... Da gab es noch kein Fracking, oder? Man hat noch nicht gebohrt. 16f O-Ton Demonstrant/Voiceover Doch, hat man, seismisch. 16g O-Ton Marcin Korolec/Voiceover Aber eine seismische Untersuchung, das ist keine Bohrung. Da kommt ein Laster, man stellt sich aufs Feld und führt Untersuchungen durch. 16h O-Ton Demonstrant/Voiceover Eben, sie haben noch nicht richtig gebohrt, und das Wasser beim Dorfvorsteher von Rogów hat schon die Farbe geändert, der Brunnen ist kaputt gegangen. 16i O-Ton Marcin Korolec/Voiceover Und, was ist das Ergebnis? 16j O-Ton Demonstrant/Voiceover Das Wasser ist ungenießbar. 16m O-Ton Marcin Korolec/Voiceover Wenn Sie verfolgen, was in Polen vor sich geht, dann werden Sie sich an meinen Kollegen, Herrn Minister Budzanowski erinnern. Der hat vor Publikum ein Glas Frackingwasser getrunken. Sprecher älterer Bauer ... er ist auch kein Minister mehr. 16s O-Ton Demonstrantin/Voiceover Wurde denn etwas unterschrieben? Hat denn Chevron überhaupt eine gültige Lizenz? 16v O-Ton Marcin Korolec/Voiceover Ja, sie haben eine rechtswirksame Lizenz. Atmo: Bäderpark, ab und zu ein Pfauenschrei Autor Ein Minister kann ja nicht alles wissen. Für ihn besteht kein Grund zur Aufregung. An diesem Tag hat er auch schon eine Pro-Chevron-Petition erhalten, überreicht von Bürgern aus dem Dorf Ministrówka, zehn Kilometer südlich von Zurawlów. In Ministrówka hat Chevron auf eigene Kosten und ohne das aufwendige, gesetzlich vorgesehene Verfahren eine Straße anlegen lassen. Zwei Abgesandte aus Ministrówka sitzen jetzt auf einer schattigen Bank im Lazienki-Park. Einer will nicht mit Journalisten reden, der andere schon: 17 O-Ton Szymon Potocki-Gadomski/Voiceover Wir wollen den Lügen auf ihrem Transparent widersprechen, dass alle in der Gegend von Zamosc gegen das Fracking sind. Nein, es gibt nicht nur Gegner. Sprecher älterer Bauer Szymon Potocki-Gadomski , Dreher von Beruf. Er wohnt seit 10 Jahren in Ministrówka. 17f O-Ton Szymon Potocki-Gadomski/Voiceover Diese Leute hassen Chevron. Warum, weiß ich nicht. Ich glaube, der Nutzen ist größer als der Schaden. Gefrackt wird in vier Kilometern Tiefe. Das Grundwasser - ich habe hier Material dabei - liegt in 400 Metern Tiefe. Und dazwischen gibt es ganz dichtes Felsgestein. Ich sag mal: Wenn der Mensch nicht versagt und die Technik sich bewährt, sollte nichts Schlimmes passieren. 18 O-Ton Malgorzata Jablonska/Voiceover Das ist alles Quatsch. Ihr wolltet bloß die neue Straße. 18a O-Ton Basia Siegienczuk/ Voiceover Verstehst du nicht, dass sie das Recht brechen. 18b O-Ton Szymon Potocki-Gadomski/Voiceover Verstehe ich nicht, genauso so wie du nicht verstehst, dass wir irgendwie überleben wollen. 18c O-Ton Basia Siegienczuk/Voiceover Scharf. Was wollt ihr? 18d O-Ton Szymon Potocki-Gadomski/Voiceover Überleben. Sprecher älterer Bauer Überleben. Ja. 18e O-Ton Basia Siegienczuk/Voiceover Sarkastisch. Überleben. Mein Gott! 18f O-Ton Szymon Potocki-Gadomski/Voiceover Lassen Sie doch diese Banalität, dass ich gleich zugrunde gehe! 18g O-Ton Malgorzata Jablonska/Voiceover Wenn es zu irgendeiner Verseuchung des Grundwassers kommt.... 18h O-Ton Szymon Potocki-Gadomski/Voiceover Und wenn es nicht dazu kommt? 18i O-Ton Malgorzata Jablonska/Voiceover Szymon, wie kannst du das denn garantieren? Atmo aufblenden! Atmo: Regen, Holztür knarrt, Schläge an den Ofen, Stimmen Autor Zurawlów, September 2013. Sprecher älterer Bauer Das Getreide ist eingebracht. Jetzt sind bald die Rüben dran. Autor Kalter Dauerregen lässt die Anti-Chevron-Transparente durchhängen. Das Protestzelt ist leer. Davor steht jetzt ein alter Bauwagen mit Kanonenofen, den Wieslaw Gryn aus alten LKW-Felgen zusammengeschweißt hat. Man trifft sich abends, ansonsten ist rund um die Uhr mindestens einer da, um zu beobachten, was auf dem Pachtgelände von Chevron geschieht. Sprecher älterer Bauer Heute sitzt Malgosia im Bauwagen, die Frau des Dorfvorstehers. 20 O-Ton Malgorzata Jablonska/Voiceover Ich glaub, alle spüren schon Müdigkeit. Bei jeder Kleinigkeit werden wir nervös. Wir reagieren empfindlich. Der ganze Streit dauert schon zu lange. Heute haben wir bereits den einhundertfünfzehnten Tag. Wir schreien mehr als dass wir reden. Es dauert alles zu lange. Autor Am Tag zuvor hat es wieder mal einen Zusammenstoß gegeben. Die Chevron-Leute haben versucht, Maschinen auf das Feld zu bringen, Gerät für Probebohrungen? Keiner weiß Genaues. Der Aufpasser im Bauwagen hat im Dorf Alarm geschlagen und die Polizei gerufen. Chevron konnte keine Genehmigung vorweisen, musste das Gerät wieder zurücknehmen. 21 O-Ton Wieslaw Gryn/Voiceover Wir schaffen Unruhe, und das Geld liebt die Ruhe. Die Politik des Konzerns beruht darauf, niemand Unterlagen zeigen - weder den Lokalpolitikern noch uns. Nach dem Motto: Sollen sie doch glauben, dass wir alles haben. Dass wir alles mit euch machen können, weil unsere Fangarme so lang sind. Wir haben viele Jahre in einem Unrechtsstaat gelebt. Nach 1990 haben wir so viel vom Rechtsstaat gelesen, dass wir glaubten, es gibt ihn. Heute merken wir, der Sumpf ist noch tiefer als damals. Musik/Atmo: Hunde bellen Autor Mitte November 2013. Kosciaszyn, ein Dorf 60 Kilometer südöstlich von Zurawlów an der Grenze zur Ukraine. Der ukrainische Präsident Viktor Janukovytsch soll in wenigen Tagen ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterschreiben. In Kosciaszyn interessiert das niemand. Das Thema hier ist das Schiefergas. Wenige Tage zuvor hat der polnische Staatskonzern PGNiG, der mit Chevron kooperiert, in Kosciaszyn Probebohrungen aufgenommen. Aus der kargen einsamen Landschaft, auf die schon der erste Schnee gefallen ist, ragt das Metallskelett des Bohrturms. Die meisten Menschen im Ort finden das gut. Es könnten Arbeitsplätze entstehen. Polen könnte sich unabhängig machen - von den teueren und politisch unsicheren Gaslieferungen aus Russland, heißt es. Allerdings: Ein paar Dutzend energische Bauern aus Kosciaszyn Sprecher älterer Bauer ... wollen auch keine Schiefergasförderung in ihrem Dorf. Autor Bald ein halbes Jahr Widerstand in Zurawlów hat auf Kosciaszyn abgefärbt. Auch hier gibt es jetzt ein Protestcamp. Die protestierende Minderheit von Kosciaszyn ist informiert und vernetzt. Zudem erwartet sie an diesem Abend einen hohen Gast aus Brüssel. O-Ton /Atmo: Begrüßung, José Bové kurz Französisch, dann Englisch, dann Dolmetscher Autor José Bové, französischer Schafzüchter und Roquefortkäseerzeuger, derzeit Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament, ist dem Auto entstiegen. Unter seinem Schnauzbart dampft die Tabakspfeife - ein bisschen Asterix, Sprecher älterer Bauer ...ein bisschen Lech Walesa. Autor Die polnischen Bauern schauen respektvoll auf Bové, der genmanipulierte Pflanzen eigenhändig zerstörte und eine ganze McDonalds-Filiale zertrümmerte, bevor er publikumswirksam mit dem Traktor ins Gefängnis fuhr, um seine Haftstrafe abzusitzen. Bové ist persona non grata in den USA, wo man seinen Roquefort mit Strafzöllen belegt hat. 22 O-Ton José Bové - ohne Voiceover So, what is the next step in the mobilisation? Autor Bovè schlägt einen gemeinsamen Rundgang auf dem Bohrgelände vor, Bedenken seiner Gastgeber beiseite schiebend. Schließlich genießt er Immunität. 23 O-Ton José Bové - ohne Voiceover But if I do it? I am a European deputy. Frau: Okay, great! If everybody wants to stop me, it's not a problem. Frau lacht: Oh, I like it. Polnisch: On jest Eurodeputowany! Atmo: Wachschützer, mit Polizei telefonierend, Schreie von Aktivisten usw. Autor Als José Bové mit Bauern, Umweltschützern und Journalisten das umzäunte Bohrgelände von PGNiG betritt, kommt Panik unter den Wachschützern auf. 24 O-Ton José Bové - ohne Voiceover They are not very sure, what they are doing. No transparency! That's it... Autor Die Polizei ist in wenigen Minuten zur Stelle, merkt sich Gesichter, notiert Autonummern. Atmo: Sirene im Protestcamp von Zurawlów, Stimmen, Lachen Autor Fast alle, die am Vorabend in Kosciaszyn protestiert haben, sind heute nach Zurawlów gekommen. Nach einem Imbiss bricht man gen Warschau auf. Dort wollen die Fracking-Gegner aus dem polnischen Südosten nach Verbündeten Ausschau halten- auf der UN-Klimakonferenz, die im Warschauer Nationalstadion gastiert. Atmo Autor Eine Polizeieskorte begleitet den Autobus. Auslandskorrespondenten machen Bilder. Zurawlów ist inzwischen zu einem Sinnbild für Umweltprotest in einem Land geworden, in dem ökologische Themen ungleich geringere Aufmerksamkeit erfahren als etwa in Deutschland. Der Regierung und der Energielobby in Polen gilt Gas als verlockend sauberer Stoff. In den Augen vieler Polen sind die Fracking-Gegner Putin-Agenten, ihr Protest gilt als Landesverrat. Auch die Bauern aus Zurawlów fühlen sich verraten. Im Autobus nach Warschau kommt die Rede auf den Seitenwechsel ihres Kampfgefährten Wieslaw Tryniecki. 26a O-Ton Emil Jablonski/Voiceover Er arbeitet jetzt schon für Chevron. Als... 26b O-Ton Malgorzata Jablonska/Voiceover Wachschützer 26c O-Ton Emil Jablonski/Voiceover ... arbeitet der. Also der ist so etwas wie ein Verräter, muss man einfach so sagen: ein Verräter. Erst war er so ein Heißsporn. Jetzt steht er auf der anderen Seite. Sprecher älterer Bauer Überleben! Er hat Geldsorgen. 27 O-Ton Malgorzata Jablonska/Voiceover Der eine quält sich durch seine schlechte Lage hindurch, so wie sie ist. Der andere macht sich's leicht und wechselt die Seite, nicht wahr? Da hat man dann keine Skrupel. Das betrifft nicht nur Tryniecki. Musik/Atmo: Demonstrantengruppe Parolen Autor 21. November 2013. In Warschau geht die UN-Klimakonferenz ihrem Ende entgegen. Umweltgruppen aus aller Welt empören sich über die Gastgeber. Die polnische Regierung hat aus ihrer Vorliebe für Schiefergas- und Steinkohle nie einen Hehl gemacht. Sie hat die Erderwärmung als fragwürdiges Horrorszenario in Zweifel gezogen. Sie sieht in erneuerbaren Energien unliebsame Konkurrenz für fossile Energieträger, zumal der deutsche Staat mit Subventionen für die Erneuerbaren den Wettbewerb verzerre. Um keinen Zweifel am polnischen Sonderweg aufkommen zu lassen, hat man parallel zum UN-Klimagipfel gleich zu einem Welt-Kohlegipfel geladen. Trotz kontrollfreiem Reiseverkehr gemäß dem Schengen-Abkommen lässt die polnische Polizei einen Sonderzug mit Umweltaktivisten aus Brüssel stundenlang an der deutsch-polnischen Grenze stehen. Atmo: Demonstrantengruppe läuft sich warm: Change the system, not the climate, weitere Parolen Autor Irgendwann treffen sie dann doch ein. Siebenhundert meist junge Leute aus aller Herren Länder strömen unter den Augen der Polizei aus dem Warschauer Zentralbahnhof. Auf viel Verständnis stoßen sie nicht. 01 O-Ton Passantin/Voiceover Polen steckt doch voller Bodenschätze. Das Schiefergas will seit Jahren keiner anrühren. Sogar Öl haben wir. Polen liegt zwischen zwei Mühlrädern. Im Osten mahlen die Russen, im Westen diese EU mit den Deutschen an der Spitze. Sie mahlen sich ihr Mehl aus unserem Korn. Atmo: Demonstration, Musik, Afrikanischer Block Autor Es sind etliche Kilometer zu laufen, über die Weichsel, vorbei am Nationalstadion mit den Klimakonferenzboxen, zu einer kleinen Freilichtbühne im östlichen Stadtteil Praga, wo die polnischen Grünen einen Umwelt-Hyde-Park angekündigt haben. Ein paar Dutzend Leute aus Zurawlów und Umgebung halten zwischen einer trommelnden Gruppe aus Afrika und britischen Aktivisten ihre Anti-Chevron-Schilder hoch. Auch Rebecca Harms, inzwischen Vorsitzende der Grünen im EU-Parlament, demonstriert mit. Sie hat sich der polnischen Fracking-Gegner angenommen. 28 O-Ton Rebecca Harms Das sind in erster Linie Bauern, die überhaupt keinen Plan hatten, wie man sich gegen ein Unternehmen wie Chevron durchsetzen kann. Wie die sich organisiert haben, wie sie sich auch gegen das ganze Intransparente in Warschau, wie sie sich Informationen beschafft haben, wie sie sich getraut haben, dann auch Felder und Strassen zu blockieren, das ist wirklich toll. Und das muss von der Umweltbewegung in Europa insgesamt unterstützt werden. Atmo/O-Ton: Auf der Freiluftbühne, Ewa Sufin-Jaquemart skandiert: Solidarnosc globalna ... And now our Climate-Hyde-Park, Beifall, Jubel: Global climate justice... Musik/Atmo: Im leeren Zelt der Protestler von Zurawlów, das Gestänge ächzt im Sturm Autor März 2014. In Zurawlów schmilzt der Schnee. Sprecher älterer Bauer Der Bach ist vor dem Dorf über die Ufer getreten. Bald ist es Zeit für die Frühjahrsbestellung. Autor Entlang der Landstraße hat Chevron Kilometer von rotem Kabel verlegt - seismische Voruntersuchungen für das Schiefergasfracking. Im Protestzelt herrscht Leere, das Gestänge quietscht im Sturm. Der alte Bauwagen ist in den feuchten Boden gesackt. Nebenan, auf dem Pachtgrundstück sitzen die Wachschützer, mit ein paar Geräten, dem Plastik-Klo, einem mächtigen Flutscheinwerfer. 34 Fracking-Gegner aus Zurawlów stehen im 40 Kilometer entfernten Hrubieszów, an der ukrainischen Grenze, vor Gericht. Sprecher älterer Bauer Emil Jablonski, seine Frau Malgorzia, Basia, Andrzej, Wieszek Gryn...und die anderen... Autor Chevron hat sie verklagt - wegen Aufwiegelung zum Protest, Hausfriedensbruchs, Benutzung fremden Baumaterials. Atmo: Stimmen vor und im Verhandlungssaal Autor Die Vernehmungen zu Person und Sache ziehen sich den ganzen Tag hin. Ein monotoner, ritualisierter Wortwechsel, der sich um Bagatellen dreht. An der Wand hinter dem Richter der polnische Staatsadler, groß und golden. Das politische Spiel um das Nachbarland Ukraine wirft seine Schatten auf die Verhandlungen. In Kiew hat der Majdan gesiegt, Viktor Janukovytsch ist auf der Flucht. Und Vladimir Putin setzt seine Hebel in Bewegung. Sprecher älterer Bauer Krieg liegt in der Luft. Autor Und in diesen Tag, den 18.März 2014, platzt noch eine Nachricht: Der Essener Energiekonzern RWE, Inhaber mehrerer Lizenzen für die konventionelle Förderung von Erdgas im südpolnischen Karpatenvorland, verkauft eben diese Lizenzen an seinen Partner - Gazprom. Sprecher älterer Bauer Die Deutschen arbeiten mit Russland zusammen - auf Kosten Polens. 31 O-Ton Barbara Siegienczuk/Voiceover Das hält man doch im Kopf nicht aus. Und ausgerechnet uns wirft man vor, wir seien von Gazprom gesponsert. Autor ... lamentiert Basia am Küchentisch ihres Holzhauses in Zurawlów. Ihre Werbefirma hat sie inzwischen aufgegeben, um sich ganz dem Fracking- Protest des Dorfes zu widmen. 31 O-Ton Barbara Siegienczuk/Voiceover Bitteschön: Gazprom hat jetzt vier neue Lizenzen - sogar für konventionelles Erdgas, das gar nicht so schädlich ist und nicht so teuer in der Ausbeutung wie das Schiefergas. Unsere Reichtümer sind fort - einfach davongeflogen. Musik/ Atmo: Feier, Lachen, diverse Stimmen auf dem Protestgelände, Folkloregruppe Autor Ende Mai 2014. In Zurawlów wird der ganze Ärger weggefeiert: Ein Jahr Widerstand gegen Chevron. Das Zelt, der Bauwagen stehen unverändert dort. Auch bei Chevron auf dem Nachbarfeld scheint alles beim Alten: das Plastikklo, ein paar Geräte, ein Flutlicht - zum Ausleuchten der Landschaft oder der Gegenseite. Man weiß es nicht so genau. Die Wachleute wirken selten gut gelaunt. Nicht einmal zwei Euro pro Stunde bringt ihnen der Dienst bei Wind und Wetter für das amerikanische Großunternehmen ein. Sprecher älterer Bauer Sie sprechen von neuen Arbeitsplätzen! Was denn für welche, für wen denn? Wir haben doch unsere Arbeit, wir haben unser Land, das ist unser Arbeitsplatz. Das ist hier die beste Erde Polens - Als wir zurückkamen nach der Vertreibung im Krieg, ich war fünf Jahre alt - ...ich war 5 Jahre und wusste gar nicht, was das heißt - da sind meine Eltern niedergekniet und haben die Erde geküsst. Das war doch unsere Erde - seit Urgroßvaters Zeiten. Daran kann ich mich erinnern. Atmo: Tür knarrt am Bauwagen, Natur Autor Mitte Juli 2014: Malgorzata Jablonska und Basia sitzen auf dem Klappsofa im Bauwagen und sind guter Dinge. Auf dem Feld von Chevron: das vertraute Plastik-Klo. Aber sonst: eine weiße Fahne, Elektrokabel, etwas Eisenschrott, Betontrümmer, Holzscheite... Und: Die Wachschützer sind weg. 34a O-Ton Malgorzata Jablonska/Voiceover Das war schön. Um vier Uhr morgens, 34b O-Ton Basia Siegienczuk/Voiceover Aus dem Hintergrund Ins Wort fallend Um vier Uhr, da sind wir schon los... 34c O-Ton Malgorzata Jablonska/Voiceover Es war genau fünf vor vier. Ich höre die Hunde bellen - und Bewegung vor dem Haus, auf der Straße. Bin noch nicht ganz bei Bewusstsein und weiß gar nicht, durch welches Fenster ich gucken soll. Ich hör was - und weiß nicht was, schiebe die Jalousien hoch und traue meinen Augen nicht. Da steht ein Traktor mit ihren Sachen oben drauf. Und daneben ein Wagen, der hat ihr Stromaggregat und die Flutlichtlampe geladen. Dann kommt der vom Traktor auf den mit dem Auto zu, sie sprechen sich ab. Und los geht's: Ich sag: Emil, guck mal, Chevron fährt weg. Sprecher älterer Bauer Das war schön. 35 O-Ton Basia Siegienczuk/Voiceover Sie wollen es nicht, dass man offiziell bekannt gibt, Chevron hat sich zurückgezogen. Denn dann würde ihr Aktienkurs herunterpurzeln. Aber so? Sie sind einfach gegangen. "Andere operative Pläne", wie sie es nennen. Aber natürlich können sie jeden Augenblick zurückkommen. Autor Während Chevron sang- und klanglos aus Zurawlów verschwindet, beginnt der polnische Chevron-Partner PGNiG siebzig Kilometer südöstlich mit Vorarbeiten für Probebohrungen. Das Dorf Susiec lebt seit langem vom Tourismus, gehört zum wald- und wasserreichen Natur- sowie Vogelschutzgebiet der Roztocze. Dennoch hat Franciszek Kawa, der Gemeindevorsteher, die Konzerne mit offenen Armen empfangen. 36 O-Ton Franciszek Kawa/Voiceover Mit Rücksicht darauf, was gerade in der Ukraine passiert, sollten wir alles tun, um uns unabhängig zu machen vom Gas und Öl aus Russland, einem unglaubwürdigen und unberechenbaren Partner. Die Russen schöpfen 70 Prozent ihres Nationaleinkommens aus dem Verkauf von Öl und Gas, und mit dem Geld produzieren sie Waffen, die sie dann jeden Augenblick gegen uns einsetzen können. Es gibt keine wichtigeren Fragen als die der Sicherheit. Atmo: Atmo: Kundgebung vor Gemeindeamt Sprechchor "Gaz Lupkowy nie jest zdrowy. Chevron do domu, won" (Chevron, weg mit dir, für Fracking ist kein Platz hier) 37a O-Ton Susiec-Bürger 1/Voiceover Arbeit wird es geben, Geld. 37b O-Ton Susiec-Bürger 2/Voiceover Weiß nicht, was ich darüber denken soll. 37c O-Ton Susiec-Bürger 1/Voiceover Eigentlich kämpfen Russland und die Ukraine doch nur dafür, dass wir kein Schiefergas fördern. Die verschieben die Grenze an die Weichsel, von der Weichsel aus übernehmen uns die Deutschen. Polen ist doch sowieso verkauft. Atmo: Kundgebung vor Gemeindeamt/ Atmo: Sprechchor/ Voiceover "Gaz Lupkowy nie jest zdrowy. Chevron do domu, won" Autor Natürlich sind ein paar Leute aus Zurawlów, dazu Grünen-Politiker und Ökologen aus ganz Polen sofort nach Susiec gekommen. Sie demonstrieren vor dem Gemeindeamt. Sie nehmen im Saal oben an einem Bürgerforum teil. Das ist eigentlich für die Einwohner gedacht. Doch von denen lässt sich kaum jemand Saal blicken. Franciszek Kawa sitzt derweil seelenruhig in seinem Amtszimmer, als ob ihn das alles nichts anginge. 38 O-Ton Franciszek Kawa/Voiceover Der Eingriff in die Umwelt ist gering. Ein Rohr von 25 Zentimetern Durchmesser in die Erde zu legen, das ist minimal - wie bei einem Tiefbrunnen. Die Ökologen kommen gern mit dem Thema Wasserverschmutzung. Haben sie heute wieder so eine Wasserprobe mitgebracht? Atmo: Verkehr, Landstrasse, Protestrufe Autor Quer über die Landstraße hinter seinem Amtsgebäude hat der Gemeindevorsteher von Susiec ein grünes Spruchband spannen lassen: Sprecher älterer Bauer Putinologen, raus! 40 O-Ton Basia Siegienczuk/Voiceover Die Sache mit dem Transparent liegt jetzt beim Staatsanwalt. Wir haben eine Entschuldigung gefordert wegen der falschen Behauptung, wie seien von Gazprom finanziert. Aber kümmern wir uns nicht weiter um Kawa und seine Dummheiten. Inzwischen haben wir einen Verein gegründet. Wir wollen damit erreichen, dass wir am Verfahren zur Feststellung der Umweltverträglichkeit in Susiec teilnehmen können. Atmo: Musik vom Festival "Sloma" Autor 30. September 2014. In Zurawlów wird schon wieder gefeiert - der Sieg des Dorfes im Kampf gegen Chevron. Obwohl niemand wirklich weiß, ob es ein endgültiger Sieg ist. "Sloma", ein Folkfestival mit dem Motto "Weltfriedenstage", gastiert in diesem Jahr extra in Zurawlów, um dem Protest zu huldigen. Zelte stehen herum - in Iglu- oder Pyramidenform, nach Indianer- und nach Beduinenart. Alte Bauern mit Bierbecher in der Hand... Sprecher älterer Bauer Zdrówko! Autor ...mischen sich unter junge Öko-Freaks. Jemand hat riesige Holzzuber aufgebaut und bietet heißkalte Wechselbäder zum Nacktbaden im Freien an. Atmo: Musik, Moderation, Veranstaltung Autor Beglückt über den Triumph seines Dorfes und ein wenig angeheitert wandert Großbauer Wieslaw Gryn über die Festwiese. 40 O-Ton Wieslaw Gryn/Voiceover Auf diese Leute hier, das werfe ich mir jetzt vor, habe ich geschaut wie auf ein notwendiges Übel. Hippies - eigentlich Leute, die auf Kosten anderer leben. Heute sehe ich es anders, zumal man sich mit jedem von ihnen unterhalten kann, interessant unterhalten. Es ist spannend, wenn jemand begründen kann, warum er so ist, wie er ist. Sie sind ausgebildet, intelligent, was man über die andere Seite nicht sagen kann. Sie haben mehr Profil als der Durchschnittsmensch, der nichts darstellt. Musik Autor Februar 2015 Der große Traum vom Schiefergas ist in Polen fürs Erste ausgeträumt. Das Land birgt wohl doch nicht die größten Vorkommen in Europa, Fachleute sprechen nur noch von einem Zehntel der anfangs errechneten Kapazität. Die Konzerne sind unzufrieden: Man hat ihre Arbeit behindert, die Rechtslage ist unklar, es gibt Umweltproteste. Sprecher älterer Bauer Außerdem ist der Gaspreis auf dem Weltmarkt stark gefallen. Sprecherin Passantin 1 Aber es soll Unmengen an Schiefergas geben - direkt auf der anderen Seite der Grenze. Autor Im März ist Chevrons auch aus der West-Ukraine vorläufig abgezogen. Zur Zeit lässt die polnische Regierung ein Sondergesetz zur Förderung von Öl, Gas und Kohle zwischen den Ministerien kursieren. Es soll die Mitsprache der Gemeinden und Bezirke einschränken und die Enteignung von Grundstücken, unter denen fossile Energieträger lagern, drastisch vereinfachen. Absage Zurawlów probt den Aufstand. Ein polnisches Dorf im Streit mit der Fracking- Industrie. Sie hörten ein Feature von Martin Sander Es sprachen: Michael Altmann, Daniel Berger, Axel Gottschik, Stefko Hanushevski, Tom Jakobs, Claudia Mischke, Volker Risch und Wieslawa Wesolowska. Ton und Technik: Gunter Rose und Katrin Fidorra Regie: Claudia Kattanek Redaktion: Ulrike Bajohr Wir danken dem "Netzwerk Recherche" für die Unterstützung. Eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Südwestrundfunk 2015 (Atmo) Zurawlów (Shurawluff) sh-stimmhaft. Grabowiec (Grabowjetz) Rogów (Roguff), Siedlisko (Chiedlisko), ch wie in Ich Szczelatyn (Schtschelatyn), Cieszyn (Tchieschyn) ch wie in Ich Wieszek (Wjeszek) Gryn Grynn Wieslaw Tryniecki (Wieswaw Trynjetzki) Basia (Bachia) - ch immer wie in "ich" Barbara Siegienczuk (Barbara Chiegienjtschuk Zamosc (Samoschtch) - s- stimmhaft Andrzej Bak (Andrshej Bonk Zloty (Swoty) Emil Jablonski (Jabwonjski Malgosia (Maugochia), ch wie in Ich Ewa Sufin-Jaquemart (Sufin poln, am Ende kein Nasal, Jaquemart französisch) Pan Marcin Korolec! (Pann Martchin Koroletz) Lazienki-Park (Uachien-ki) Minister Budzanowski (Budsanowski Ministrówka (Ministruwka) Szymon Potocki-Gadomski (Schimon Pototzki-Gadomski) Mysliwiecki-Palast (Michliwjetzki) Kosciaszyn (Kochtchiaschyn) ch wie in ich PGNiG (Pegenik, e kurz, i lang) Lech Walesa. (Wawensa, n nasal) Janusz Rosolowski (Janusch Rosowowski).... Hrubieszów (Hrubjeschuw) Susiec (Suchijetz Roztocze (Rostotsche) Franciszek Kawa(Frantchischek Kawa), "Sloma"(Swoma), Zdrówko! (Struffko) 1 1