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Dann treffen sich die Ehemaligen der High School zum Ultimate Frisbee. Eine Frisbee-Scheibe kennt jeder. Aber hier wird sie nicht nur locker hin- und hergeworfen. Es geht um mehr. Die Bobbycar-Idee, die ist eigentlich aus einer Bierlaune entstanden. Das ist jetzt 17 Jahre her. Am Vatertag haben sich zwei Familien beim Grillen getroffen und die Bobbycars haben halt durch ihren Lärm irgendwo Aufmerksamkeit errungen und deswegen haben beide Väter sich gedacht, wir fahren selber mal runter. Mit einem Jux fing alles an - inzwischen werden sogar internationale Meisterschaften ausgetragen . Im heutigen Nachspiel werfen wir einen Blick auf ungewöhnliche und skurile Sportarten. "Es muss nicht immer Fußball sein", so der Titel der Sendung. Am Mikrofon Sabine Gerlach. Guten Tag. Kaum zu glauben, aber wahr: 20 Jahre lang stand das Tauziehen auf dem Olympischen Programm. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war das. Zwischen 1900 und 1920. Heute gehört Tauziehen zu den Disziplinen, die bei den World Games ausgetragen werden, den Weltspielen der nichtolympischen Sportarten. Es gibt Welt- und Europameisterschaften und eine Tauzieh-Bundesliga. Auch wenn es vergleichsweise nur wenigen Spaß macht, mit aller Kraft am Seil zu ziehen: Die kleine Tauziehgemeinde frönt ihrem Hobby voller Leidenschaft. Gerhard Willmann hat sich unter die starken Männer und Frauen gewagt: Frühjahr 2010 im badischen Goldscheuer, ein Ort direkt am Rhein, gegenüber von Straßburg: Saisonauftakt der Tauzieher, das erste Kräftemessen im Freien nach einem langen Winter. Doch bevor der eigentliche Wettkampf beginnen kann, müssen die Regularien geklärt werden. Dazu stellen sich die Aktiven nur mit einer Sporthose bekleidet an einer Waage an. Warum das sein muss, erläutert der Vorsitzende des Tauziehvereins Sportfreunde Goldscheuer, Johannes Fien: Ja, die Mannschaften werden vor dem Tauziehen gewogen, das heißt, die Mannschaft darf insgesamt nur das in der Ausschreibung festgelegte Gewicht haben. Es gibt verschiedene Gewichtsklassen, in der Bundesliga wird zum Beispiel in der Klasse bis 640 kg gezogen, das heißt, alle acht Tauzieher dürfen insgesamt in Sporthosen gewogen nur 640 kg haben und kein Gramm mehr. Wenn das Gewicht stimmt, dann geht es an's Seil. Auf einer Wiese hinter der Sporthalle des Ortes Goldscheuer stehen jeweils acht Sportler an beiden Seilenden bereit. Der Kampfrichter gibt seine Kommandos. Und dann wird gezogen, was die Muskeln hergeben. Wer am Ende als Sieger dasteht, weiß Peter Harter. Er ist offizieller Kampfrichter beim Deutschen Rasenkraftsport- und Tauzieh- Verband: Gewonnen hat die Mannschaft, die zuerst das Seil vier Meter über die Mittelmarkierung seiner Seite gebracht hat. Da gibt es dann am Seil verschiedene Markierungen, die weiße ist die entscheidende. Wenn die weiße Markierung des Gegners über die Mitte rausgeht hat die Mannschaft gewonnen. Und dann pfeift der Kampfrichter ab und gibt das Zeichen für den Punktgewinn. Aber er entscheidet nicht nur wer der Sieger ist. Vom Kampfrichter wird auch ein gutes Auge verlangt. Er muss darauf achtet, dass es fair zugeht und die Regeln eingehalten werden. Zuerst zum Start vom Turnier oder dem Kampf gibt er die Kommandos, das beide Mannschaften gleichzeitig starten. Und dann gibt es verschiedene Regelverstöße, die begangen werden können, um Beispiel Absitzen. Das bedeutet, wenn ein oder mehrere Tauzieher mit dem Hintern den Boden berühren. Dann gibt es Abstützen, das heißt, wenn ein oder mehrere Tauzieher mit dem Arm sich abstützen und dadurch mehr Stabilität haben. Es gibt ein sogenanntes rudern, wenn die Mannschaft den Boden berührt und sich nach hinten raushangelt, was einen unwahrscheinlichen Platzgewinn gibt. Es gibt noc eine falsche Haltung des Seiles, wenn sie also die Hände falsch halten. Das sind so die wesentlichen Verstöße, die der Kampfrichter ahndet. Jeder, der einmal an einem Seil gezogen hat, weiß, wie leicht die Hände daran abrutschen können. Wenn dann bei einem anstrengenden Wettkampf die Hände auch noch feucht sind, lässt sich das Seil nicht mehr richtig halten. Gibt man einem Tauzieher kurz vor dem Kampf die Hand, bleibt man daran kleben. Das muss so sein, sagt der Coach des Teams von Goldscheuer, Walter Freter. Aber was klebt da so? Das ist einfaches Harz. Baumwachs mit anderen Komponenten gemischt, gibt dann eine ziemlich klebrige, wie soll ich sagen, Emulsion oder eine Flüssigkeit. Das schmiert man sich an die Hände und das verbessert den Halt am Seil, dass man nicht am Seil durchrutscht. Und an den Füßen tragen die Tauzieher dicke Stiefel wie im Winter. Das sind Schlittschuhe, die haben einen Kunststoffkörper, die sind sehr stabil. Und da wird praktisch die Schlittschuhkufe gar nicht erst montiert und wird eine flache Sohle drangeklebt und am Absatz ist eine Eisenplatte. Man haut die Absätze in den Boden rein und verschafft sich somit einen Halt. In den letzten Jahrzehnten gehörte Tauziehen nicht gerade zu den Sportarten, die Massen anziehen. Was bringt junge Menschen dazu sich mit Teamkollegen und Gegnern jeweils an einem Ende eines 33,5 Meter langen Seils aufzustellen und dann feste mit aller Kraft daran zu ziehen? Mir gefällt am Tauziehen, dass es ein faires Kräftemessen ist. Am Tauziehen gefällt mir am Besten, dass man sich richtig auspowern kann und die Kameradschaft gut ist und dass es ein Mannschaftssport ist Ich finde Tauziehen ganz toll, weil es eine Sportart ist, die den kompletten Körper beansprucht. Teamgeist ist ganz wichtig. Wenn einer aus dem Team schon kein Bock hat, kann man das Turnier nicht gewinnen. Wenn du Einzelsportler bist, musst du Tennis machen, aber beim Tauziehen muss wirklich jedes Glied gefragt sein, dass ist gerade das Geile. Und wenn du dann Erfolg hast, kommt's von ganz alleine. Beim Tauziehen ist viel Taktik im Spiel. Was macht der Gegner, wartet er ab oder startet er einen Angriff? Wann soll man selbst versuchen, das andere Team zu überraschen? Diese Überlegungen stellt der Mannschafts-Coach an. Er ist der einzige, der im Wettkampf Anweisungen ans Team geben darf. Einer von ihnen ist Werner Dietrich, Tauziehwart vom Jungbauern-Club Balhorn. Er ist seit 1981 aktiver Tauzieher. Ein Leben ohne Tauziehen kann er sich nicht vorstellen. Ich bin 45 Jahre alt und finde es mit unseren 15-, 16-jährigen Tauziehkameradeneinfach nur Spitze, wenn man sieht, dass man mit den jungen Leuten noch fast mithalten kann und einfach nur Spaß hat. Im Wettkampf feuert er seine Mannschaft schon mal lautstark an, auch wenn es am Ende nicht ganz zum Sieg reicht. Sehr viele Zuschauer haben Tauziehwettbewerbe nicht. Zumeist sind es Familienmitglieder oder Freundinnen und Freunde der Aktiven. Wenn es dann aber im Finale um den Turniersieg geht, dann hält es niemanden mehr auf den Sitzen. Jeder feuert seine Mannschaft an: so laut wie möglich: Von den starken Männern und Frauen, die mit dem Seil ihre Kräfte messen nun zu einer leichten, ja luftigen Sportart. Das dazugehörige Sportgerät wird als Flugscheibe, Schwebedeckel, Segel - oder Wurfscheibe bezeichnet. Gemeint ist das Frisbee. Damit spielen kann man fast überall: am Strand, im Park oder auf der Straße. Mit ein bisschen Geschick wird die Plastikscheibe viele Male zwischen den Spielern hin und her geworfen. Bis sie zu Boden fällt. Dabei geht es eher gemütlich zu. Dass das Werfen mit dem Frisbee aber auch eine schweißtreibende Angelegenheit sein kann, hat Max Böhnel in den USA beobachtet: Eine Grünfläche hinter einer High School im Bundesstaat New Jersey: Im Frühsommer ist die Wiese dahinter jeden Mittwochnachmittag für zwei Stunden belegt. Dann treffen sich die Ehemaligen der High School zum Ultimate Frisbee. Zwei Mannschaften mit offiziell je sieben Spielern, manchmal sind es auch weniger, versuchen, sich die Plastikscheibe abzujagen, dann von Spieler zu Spieler zu passen und in der Endzone des Gegners zu fangen. Ultimate Frisbee heisst die wohl temporeichste Disziplin mit der schwebenden Plastikscheibe. Mit dem gemütlichen Hin- und Herwerfen eines Frisbees bei Sonnenuntergang am Strand hat "Ultimate Frisbee" nichts zu tun. Die Spieler triefen vor Schweiss. Unermüdlich rennen sie nach dem schwebenden Deckel, springen, ja: hechten nach ihm, um ihn vor dem Aufprall auf den Boden zu fangen. Nicht selten landet der Fänger schmerzhaft auf dem Bauch. Wer die Plastikscheibe ergattert und sich dann aufgerappelt hat, darf - wie im Basketball - nicht weglaufen, sondern nur einen Sternschritt machen. Der Gegner wiederum blockiert dabei, aber ohne Körperkontakt. Auf einen Schiedsrichter wird beim "Ultimate Frisbee" verzichtet, wie die Sportlehrerin Diane Moreno erläutert. Das ist ja der Kern des Ultimate Frisbee. Das Leitprinzip heisst: ohne Schiedsrichter oder gegenseitige Aggression. Es ist anders als beim Fussball oder Basketball. Bei "Ultimate" gibt es keine Strafen, weil keiner die Regeln mit Absicht bricht - ja, brechen kann. Regelübertretungen werden von den betroffenen Spielern selbst geklärt. Bei grösseren Turnieren gibt es in den USA inzwischen allerdings Beobachter, die bei Bedarf schlichtend auftreten - und das, wenn sich die Spieler in einer unübersichtlichen Situation nicht einigen konnten. Das spektakuläre "Ultimate Frisbee" wurde Ende der 60er Jahre von High School-Schülern im Bundestaat New Jersey erfunden und populär gemacht. "Ultimate Frisbee" gilt heute, 40 Jahre später, in den USA als ernstzunehmende Schulsportart. Aber die Geschichte der Segelscheibe ist älter. In den 50er Jahren gaben sich Studenten der Yale-Universität im Bundesstaat Connecticut einer merkwürdigen Aktivität hin. Sie warfen sich gegenseitig Kuchenbleche zu, wie der Namensforscher und Buchautor John Marciano herausfand. Da war eine Frau namens Mary Frisbee, die im Bundesstaat Connecticut von Berufs wegen Torten backte. Zu ihren Kunden gehörten Studenten der nahe gelegenen Yale-Universität, die, sich übermütig wie sie waren, in den Pausen draussen runde Kuchenbleche zuwarfen. Darauf stand Frisbie, der Name der Tortenbäckerin Frisbie. Schon damals, in den 50er Jahren, gab es Leute, die Trends ausfindig und daraus ein Geschäft zu machen versuchten. Einer war dieser Walter Morrison. Trendsetter waren damals Universitäten. Und der neueste Trend an der Yale-Universität bestand offenbar im Werfen von Kuchenblechen - was die offenbar gelangweilten Studenten Frisbie nannten. Walter Morrison, der Trendbeobachter, HATTE schon vorher mit Blechen und Metallringen sowie mit deren Flugeigenschaften experimentiert. Er nannte sein Produkt "Pluto-Platte", das Ende des Jahrzehnts von der Firma Wham- O hergestellt wurde. Die fliegende runde Scheibe hatte schon damals auf der Oberseite Riefen, um die Flugbahn zu stabilisieren. Eine Firma namens Wham-O kaufte die Namensrechte und liess den Schwebedeckel umbenennen. Er hiess jetzt nicht mehr "Pluto-Platte", sondern viel einprägsamer "Frisbee". Innerhalb weniger Tage begann die Vermarktung im Fernsehen. "This is the way to curve a frisbee..." Ein Verkaufsschlager war geboren. Familienfreundlich, extrem billig, einfach zu transportieren und als Spielzeug für alle Altersklassen eine Herausforderung. Keine zehn Jahre nach dem Auftauchen der Scheibe entdeckten Sportprofis den runden Plastikdeckel als Sportgerät. So wurde die Hippie-Generation damals Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre auf dem Höhepunkt der Frisbee-Werferei zum Kauf eines Schwebedeckels animiert. Rund 200 Millionen der Plastikteller sind seitdem verkauft worden. Eine besondere Form des Frisbee, bei der es viel gemächlicher als beim "Ultimate" zugeht, wird gern von älteren Herrschaften gespielt. Es findet in grösseren Parkanlagen statt, erinnert an Golf und heisst "Golf Disc". Gespielt wird allerdings nicht in 18 Löcher, sondern in Körbe, die an Stangen befestigt und über die Parkanlage verteilt sind. Der Mit-50er Mark Gempano kommt jedes Wochenende in den Golf-Disc-Park in Weston im Bundesstaat Florida. Im Rucksack trägt er über ein Dutzend der bunten Plastikscheiben, die in dieser Disziplin aber nicht "Frisbee" genannt werden dürfen, was Gempano so erklärt: Throwin´ a golf disc is not like a frisee. Eine Golfscheibe ist etwas ganz anderes als ein Frisbee. Da muss man schon ein wenig mehr können. Ein guter Spieler kann bis zu 100 yards weit werfen. Auf jeden Fall ist ein golf disc weitaus schwieriger zu kontrollieren als ein Frisbee. Keine Frisbee-Spieler also, sondern Golf-Disc-er. Trotzdem hat das Spiel mehr mit Frisbee als mit Golf zu tun. Anders als auf einem Golfplatz mit Sandhügeln und offenen Flächen gibt es im Park von Weston hoch aufragende Büsche und Bäume, die um- oder überspielt werden müssen. Gempano wendet sich dem Spiel zu und ist sichtlich angespannt. Sein Mitspieler Ralph Meyerson, ebenfalls ein Mit-50er erläutert, was Gempano vorhat. Er kniet sich hin. Solange er hinter dieser Markierung steht, kann er sich nach allen Seiten hin bewegen. Wenn er mit dem Disc einen der beiden Büsche berührt, fällt er zurück. And there it is... Aber nein - gut gekniet, gut angepeilt und perfekt geworfen, um den einen tropischen Busch herum. Die Plastikscheibe landete im Korb. Die Disziplin wurde in den späten 70er Jahren in Kalifornien erfunden. Angeblich versuchte damals eines Nachmittags jemand, einen Baum mit einem Frisbee zu treffen, und immer mehr Frisbee-Spieler stiessen dazu, bis jemand einen Abfallkorb an den Baum band, und daraus ein veritabler Wettkampf wurde. Heute gibt es in den USA mehr als 1500 solcher Disc-Golf-Plätze und sogar Disc-Golf-Turniere, in denen sich bis zu 100 Profis messen. Charles Nieber war einmal ein Golfprofi. Vor 15 Jahren wechselte er zum Disc-Golf über, das er mit Profi-Augen betrachtet und vergleicht. Es kostet nicht so viel. Und was die Kinethik angeht, ist es einfach angenehmer. Wenn man einen Golfball mit einem Golfschläger schlägt, ist man körperlich von der Flogbahn, die der Ball nehmen wird, irgendwie abgeschnitten und hat nichts mehr damit zu tun. Beim Disc Golf ist mehr Verbindugn da. Wenn einem dagegen beim Wurf so eine Scheibe aus der Hand gleitet, dann fühlt man sofort, ob es ein guter Wurf wird oder nicht. Beim Disc Golf sind ausserdem weniger Förmlichkeiten als beim Golf zu beachten. Die Spieler tragen keine steifen Hemden, sondern einfache T-Shirts und statt polierter Golfschuhe Turnschuhe. Mit der aristokratischen Kultur eines exklusiven Country Clubs hat das Spiel nichts zu tun, sagt ein ehemaliger Investmentbanker, dem das Golfen unter Reichen zu langweilig wurde. Früher war ich im Country-Club. Heute bin ich hier, es ist entspannter, man hat mehr Mittelschicht, da ist alles vertreten, vom Hippie und Arbeitslosen bis zum Super-Athleten und Leuten, die einfach nur ihren Spass haben wollen. Wenn es denn auch bei den Jungen so wäre, klagt die Sportlehrerin Diane Moreno. Spass mit dem Frisbee - dieses Motto klinge in den Ohren der meisten ihrer Schüler wie Spass mit dem Fussball, dem Tennisschläger oder dem Baseball, nämlich langweilig. Diane Moreno: Was ist schon eine Schwebescheibe in der Luft gegen ein Videospiel -nichts. Frisbee - igitt, da muss man sich ja bewegen und schwitzen, uncool! Moreno wird deshalb im kommenden Schuljahr versuchen, das bewegungsfaule Schulvolk mithilfe des Bildschirms auf die Frisbee-Wiese vor der Schule zu locken. Es handelt sich um die Videospiel-Konsole Wii, bei der die Spieler vor dem Bildschirm das Werfen eines Frisbees imitieren. Wer Kinder hat oder Kinder kennt , weiß, was ein Bobbycar ist. Das rote Rutscheauto aus Hartplastik gehört zur Grundausstattung aller Drei- bis Fünfjährigen, die damit ihre ersten Fahrerfahrungen machen. Kaum jemand käme auf den Gedanken, dass sich auch Jugendliche und Erwachsene aufs Bobbycar setzen und damit abschüssige Straßen herunterrasen. Dabei werden Geschwindigkeiten von bis zu 100 Stundenkilometern erreicht. Anfang Mai fanden in Silberg die NRW-Meisterschaften statt. Gerhard Willmann war als staunender Beobachter dabei: Die Bobbycar-Idee, die ist eigentlich aus einer Bierlaune entstanden. Das ist jetzt 17 Jahre her. Am Vatertag haben sich zwei Familien beim Grillen getroffen und die Bobbycars haben halt durch ihren Lärm irgendwo Aufmerksamkeit errungen und deswegen haben beide Väter sich gedacht, wir fahren selber mal runter. Erzählt Mike Knigge. Er ist Hauptgeschäftsführer vom Bobby-Car-Club Deutschland im sauerländischen Silberg. Dort fing alles an. In dem rund 500 Einwohner zählenden Ort gibt es genug abschüssige Nebenstraßen abseits der Landstraße, um dem ungewöhnlichen Hobby nachzugehen. Aus der Bierlaune zweier Väter wurden ganz schnell offizielle Wettkämpfe. Und im Laufe der Jahre gründeten sich bundesweit immer mehr Clubs. Inzwischen gibt es in fünf Bundesländer regionale Meisterschaften und als Höhepunkt des Jahres die Deutsche Meisterschaft. In jedem Frühjahr werden die besten Bobbycar-Fahrer Europas in wechselnden Austragungsorten ermittelt. Dass Jugendliche oder Erwachsene mit einem Gefährt aus Hartplastik das als Kinderspielzeug vorgesehen ist, eine mehr oder minder steile Straße hinunter rasen ohne sich dabei zu verletzen, ist kaum vorstellbar. Aus Sicherheitsgründen werden deshalb die Bobbycars getunt und die Fahrer tragen schützende Kleidung. Der Bobbycar-Korpus darf allerdings nicht verändert werden. Wir haben neue Reifen drauf, wir haben die Lenkung stabilisiert. Das hat einfach damit zu tun, dass bei hohen Geschwindigkeiten, je nach Strecke zwischen 60 und 100 Stundenkilometer gefahren werden. Und aufgrund der Gegebenheiten der Bobbycars müssen hier Spezifikationen vorgenommen werden, damit halt die Sicherheit gewährleistet ist. Heute ist Renntag. Es geht um die nordrhein-westfälischen Meisterschaften. Die kleinen und großen Fahrer mit Helm und Lederkombi warten auf den Start. In Silberg wird auf einer eigens gebauten Strecke neben dem Clubhaus gefahren. Sie ist 362 Meter lang und hat zwei Kurven im Zielbereich, die mit dicken Strohballen abgesichert werden. Immer zwei Fahrer gehen zeitgleich ins Rennen. Gestartet wird von einer erhöhten hölzernen Rampe. So bereit? Auf die Plätze, fertig, los. Tim Hoppmann sorgt dafür, dass die richtige Reihenfolge eingehalten wird und vor allem vergewissert er sich per Funk, dass die Strecke frei ist, denn sehen kann er das Ziel nicht. Ich muss abzählen, wann die Fahrer losfahren und dann das Seil fallen lassen für den Bremsmechanismus. So Robin wir starten jetzt. Bereit? Auf die Plätze, fertig, los. Und dann sausen sie die Rampe hinunter, weit auf dem Bobbycar zurückgelehnt. Das erinnert ein wenig an Rennrodler, wenn sie durch den Eiskanal flitzen. Sollte sich jemand verletzten, steht die Deutsche Lebensrettungs-Gesellschaft mit ihren Helfern bereit. Eine von ihnen ist Vanessa Raball. Die junge Frau rechnet aber nicht damit, dass es zu ernsthaften Blessuren kommt. Wir sind jetzt hier mit 13 Mann, werden an der Strecke permanent mit sechs bis acht sein und wechseln uns dann halt ab. Wenn dann doch mal Unfälle passieren, in den Kurven oder so, dann Hautabschürfungen oder diverse Dinge, die dann eben erstversorgt werden müsse. Etwa 160 Fahrer, eingeteilt in verschiedene Klassen, haben sich in Silberg eingefunden, um die Schnellsten Fahrer zu ermitteln. Sie kommen aus allen Teilen Deutschlands. Was bringt Erwachsene Menschen, wie Udo und Manfred, dazu, mit einem Kinderfahrzeug eine Straße hinunterzurasen? Beide sind Ende 40: Ich fahre Bobbycar, weil es Spaß macht und es einfach eine super Gemeinschaft ist, Zusammenhalt, tolle Familie. Und wie kommt man darauf, Bobbycar zu fahren? Vermutlich, weil man als Kind nie eins hatte, dafür bin ich zu alt. Fahre Bobbycar, weil ich ein bisschen verrückt bin. Man muss ein bisschen verrückt sei, um diesen Sport zu machen. Irgendwann kamen wir halt mal auf den Bobbycar-Club und haben uns das mal angeschaut. Ja, und dann haben wir halt ein größeres veranstaltet, die Bayerischen Meisterschaft. Und da hab ich gesagt, wenn wir so was veranstalten, fahr ich halt mal mit. Mittlerweile fährt die ganze Familie, Frau, drei Kinder. Jedes Bobbycar- Wochenende sind wir dann mit dem Wohnwagen unterwegs. Der 30-jährige Niedersachse Daniel sieht den Grund für seine Leidenschaft eher psychologisch, weil: Jeder Mann im Grunde, im Herzen irgendwie Kind geblieben ist und man die Spielzeuge irgendwie nie so wirklich los wird und abschütteln kann. Aber wer denkt, nur im Manne stecke ein Kind, der irrt. Den Beweis, dass Bobbycar-Rennen auch etwas für Mädchen und Frauen sind, tritt Annika an. Und zwar haben wir in unserem Ort einen Verein gegründet, da war mein Bruder federführend. Und ich habe zwei Jahre gebraucht, um mich endlich mal auf so nen Bobbycar zu setzen bei uns auf der Strecke. Und das hat so viel Spaß gemacht, dass ich mir jemanden gesucht hab, der mir das Bobbycar umbaut, weil ich selber es ja nicht kann. Und seit letzter Saison fahr ich diese Rennen gegen Männer mit. Gefahren werden die Rennen in Kinder-, Jugend- und Erwachsenenklassen. Die Jüngsten, also Kinder ab drei Jahren, benutzen die herkömmlichen Bobbycars. Erst später dürfen die kleinen Flitzer getunt und schneller gemacht werden, erläutert Uwe Wagener, Präsident des "Bobby-Car-Clubs Deutschland". Je älter die werden, desto mehr erlauben wir, dass man da mal schnelle Reifen drunter bauen kann oder das gewicht bisschen erhöhen kann. Also bis 12 Jahre können die Kinder dann immer ein bisschen mehr daran rumschrauben. Das gehört ja auch dazu. Sind die Fahrer dem Kinder- und Jugendalter entwachsen, werden sie Amateure oder Profis. Wobei Uwe Wagener klarstellt, dass Profi nicht bedeutet, dass man damit seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Die Profis sind eigentlich die fleißigeren Fahrer, die fahren zu jedem Rennen. Die Amateure, das sind so mehr Gelegenheitsfahrer, die fahren hier und da mal mit. Und um da eine Gerechtigkeit zu kriegen, haben wir dann die Klasse geteilt. Der Profi steckt viel mehr Geld in sein Bobbycar. Und er fährt beispielsweise Keramikkugellager, die mehrere hundert Euro kosten pro Stück. Während der Amateur einfach an der Mülltonne mal die Reifen abschraubt und dann damit den Berg runter fährt. Mehrere hundert Menschen haben sich bei den NRW-Meisterschaften in Silberg eingefunden, die meisten im Zielbereich. Dort in den zwei Kurven entscheidet sich in der Regel, wer am Ende Sieger ist. Besonders bei den Endläufen kommt am Rande der Strecke richtig Stimmung auf. Der 12-jährige Urs hat sich in mehreren Durchgängen auch gegen ältere Konkurrenten erfolgreich durchgesetzt und dann schließlich das Finale der Jugendklasse gewonnen. Am Bobbycarfahren finde ich es geil wegen der Kurven und wegen Geschwindigkeit. Im Nachbarort war mal so'n Spaßrennen. Hat mein Vater gesagt, komm, wir gehen da mal hin und dann sind wir dazugekommen. Nicht nur die Fahrer, auch die Zuschauer haben viel Spaß, denn außer den spannenden Rennen gibt es neben der Strecke Gegrilltes, kühle Getränke, diverse Spielmöglichkeiten für Kinder und am ersten Abend meistens eine zünftige Bobbycar-Racing-Party. Der Erfinder dieses Spielzeugs hätte sich wohl kaum träumen lassen, dass aus seinem Rutsche-Auto für Kleinkinder ein Rennfahrzeug werden würde.