Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. Deutschlandradio Kultur Länderreport Die Geschichte einer Straße - Vor 60 Jahren : Umbenennung in Stalinallee - Autor Wolf-Sören Treusch Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 21.12.2012 - 13.07 Uhr Länge 18.20 Minuten Moderation 60 Jahre ist es her, da wurden die ersten Wohnungen in der berliner Stalinallee bezogen. Die wurden in der zerbombten Stadt dringend gebraucht. 1961 dann wurden die Straßenschilder wieder ausgewechselt - Karl-Marx-Allee und Frankfurter Allee heißt der breite Straßenzug mit der ungewöhnlichen Architektur bis heute. Die Häuser sind ebenso einmalig in Berlin wie die Geschichte der Straße. Was gerne mal als Zuckerbäckerstil belächelt wird, ist als Wohnraum stark gefragt. Heute so wie damals. Wolf-Sören Treusch hat ein paar Geschichten eingesammelt. -folgt Script Beitrag Script Beitrag (Schneider/Kinder) Ihr wisst, wie die Straße heißt? - (Kinder unisono) Stalinallee. (vereinzelt) Stalinallee? - Ooohh. Wie heißt denn die Straße jetzt? - Karl-Marx-Straße? - Karl-Marx-Allee. ATMO 2 (Kinderführung) nur drunter AUTOR Artur Schneider klingt streng, im tiefsten Innern jedoch freut er sich. Schließlich haben die Viertklässler aus Joachimsthal in der Uckermark zielsicher den Namen genannt, unter dem die Allee berühmt wurde. (Kinderführung / Schneider) 0'12 frei, wieder drunter Diese Architektur, die Häuser, die ihr seht, das ist wirklich was ganz besonderes hier in Berlin. Wenn ihr durch Berlin lauft oder so, seht ihr nirgends solche Häuser, sondern nur auf dieser Straße. AUTOR Artur Schneider betreibt im 'Café Sibylle' eine Dauerausstellung über die Geschichte der Karl-Marx-, frühere Stalinallee. Immer wieder kommen Schulklassen vorbei und bestaunen DDR-Alltagskultur, aber auch kleine Kostbarkeiten wie zum Beispiel einen Kalender für das Jahr 1962, auf dessen Deckblatt der Name 'Stalinallee' prangt. (ATMO 2 weg, ATMO 3 drunter) Kurz nach Drucklegung fiel der Name Stalins in den Staaten des Ostblocks in Ungnade, die Straße wurde umbenannt. Der Kalender kam nie in den Handel. Und auch vom Denkmal Stalins hat Artur Schneider noch etwas in seiner Sammlung. (Kinderführung / Schneider) 0'07 frei, wieder drunter Und guckt mal, was wir hier noch haben: wir haben ein Stückchen Schnurrbart und das linke Ohr von dem Stalin hier. (Schneider) Hier stand das größte Stalindenkmal auf deutschem Boden, bis 1961, ja und als die Bauarbeiter das entfernt haben, zerkleinert zum Einschmelzen, haben natürlich einige Pfiffige sich en paar Souvenirs eingesteckt. Und der Schwiegersohn eines Brigadiers kam dann 2001 zu uns mit einem Stück Bart und dem linken Ohr. (ATMO 3 weg) (Kinderführung) 0'09 frei, zügig weg Und wir haben auch noch besondere Laternen. Guckt mal da raus, da habt ihr so ne Laterne mit zwei Leuchten oben drauf. Das nennt man Kandelaber. ATMO 5 (KMA draußen, Verkehr) nur drunter AUTOR Großzügig, weitläufig, international ist die Allee. Ausdruck des Aufbauwillens der DDR nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Bauweise inspiriert von sowjetischer Monumentalarchitektur und deutschem Klassizismus. Überall Säulen, Tempelmotive, Ornamentfriese, Gesimse, Balustraden und Emporen. Eben Zuckerbäckerstil. Seit den 90er Jahren steht das städtebauliche Ensemble unter Denkmalschutz. ATMO 5 (KMA draußen, lauter Verkehr) kurz frei, wieder drunter AUTOR Doch auch die schönste historische Straßenbeleuchtung ist machtlos, wenn sich der Berliner Schmuddelwinter über die Allee legt. An trüben, kalten Tagen bietet die sozialistische Prachtstraße wenig Erbauliches. Da ist sie nur laut, zugig, viel zu lang und unbelebt. Und man kramt in seiner Erinnerung und denkt an warme Sommerabende, an denen man auf ihr in die Stadt hinein fuhr und gegen den Abendhimmel dieses unglaubliche Großstadtpanorama genoss. (ATMO 5 weg) ATMO 6 (Türklingel, Tür geht quietschend auf) 0'01 frei, dann weg AUTOR Oder man besucht Isa Henselmann, dann bekommt man sofort gute Laune, egal, ob es stürmt oder schneit. Sie ist eines von acht Kindern des legendären Architekten Hermann Henselmann, der unter anderem die beiden Wohntürme am Strausberger Platz entwarf. (Henselmann) Wenn ich hier diese Pfeiler sehe, diese kleinen Arkaden da unten und das Haus sehe, dann sehe ich eigentlich Papa, der hatte immer kurze Beine. AUTOR Tochter Henselmann wohnt im fünften Stock des südlichen Turms, im ehemaligen 'Haus des Kindes'. Gern schaut sie durch das große Küchenfenster über die Allee hinweg auf den gegenüberliegenden Wohnturm, das frühere 'Haus Berlin'. (Henselmann) Ich hätte ihm nie sagen können, wie toll ich das Haus und die kurzen Beine dabei finde, dann hätte er gesagt: 'sage mal Isa, du spinnst wohl'. AUTOR Dem Herrn Papa war viel wichtiger, mit den beiden Turmhäusern ein repräsentatives Entree in die Stadt geschaffen zu haben. Und umgekehrt stadtauswärts den Blick freizugeben auf eine sozialistische Prachtstraße, deren beeindruckende Architektur der Bevölkerung den Sieg und die Überlegenheit des Kommunismus vor Augen führen sollte. (Henselmann) Da hieß es im Westen immer 'Zuckerbäckerei', hier war es Stalinallee, die erste sozialistische Straße, Paläste für die Arbeiter und Bauern, es war ein Stück Utopie, viele große Eingangshallen, Kunst am Bau, die großen Brunnen, das war nach dem Krieg ja Luxus, war ja hier wie ein Ufo, alles Ruinen rund herum, wir hatten ja Freundinnen, da floss das Wasser und Eis im Winter, die hatten ja Abbruchwände, die hatten keine Isolation, die hatten keine Badewanne, hier kam warmes Wasser aus der Wand. Das war das tollste, wenn die mich besuchen konnten und bei mir mal baden durften. Und damals war jeder stolz eigentlich, an diesem Versuch beteiligt zu sein. Und da war Stalin noch gar kein Schimpfwort. AUTOR Bis 1958 lebte Familie Henselmann in dem vom Vater entworfenen Haus. Dann zog sie raus ins Grüne, dem Vater war der Autoverkehr auf der Allee inzwischen zu laut. Erst 40 Jahre später, 1998, kehrte die Tochter zurück in den südlichen Wohnturm. Ihr Lebenspartner wollte es gern, sie nicht. Mittlerweile hat sie sich mit der neuen, alten Umgebung arrangiert. (Henselmann) [Jetzt freue ich mich eigentlich, dass der Alexanderplatz immer lebendiger wird, nicht unbedingt immer schöner, aber lebendiger, und ich freue mich über die vielen Galerien und Veranstaltungen hier, ich habe jetzt nicht das Gefühl, ich sitze jetzt im Ufo wie am Anfang, sondern ich habe jetzt doch mehr Kontakt.] Sehr viel nette und intelligente Leute im Haus, sehr viele Architekten und Künstler sind hier eingezogen, aber mir fehlt dann auch wieder die Mischung. Ich bin froh, dass noch ein paar alte da sind, die für diese Mischung sorgen. Jetzt sind die so trottelig und süß. ATMO 7 (Wohnungsführung) 0'03 frei, dann gaaaanz langsam weg ... (er zieht Vorhang weg) der lauteste, weil er an der Straße liegt, ... AUTOR Einer der neu Hinzugezogenen ist Thomas Flierl, von 2002 bis 2006 Berlins Wissenschafts- und Kultursenator. Wand an Wand wohnt er mit Isa Henselmann. Gut hundert Quadratmeter groß ist seine Wohnung, drei Zimmer, Küche, Kammer, Bad - und ein geräumiger, quadratischer Flur. (Flierl) Im Grunde ist es ein bürgerliches Wohnen für die Repräsentanten des Arbeiter- und Bauernstaates gewesen in den 50er Jahren. Und hat schon was sehr widersprüchliches an sich. Das ist vielleicht das, was die heutigen Eigentümer vielleicht auch wieder schätzen, und ich kann es auch ganz gut finden, aber als Familienwohnen oder als Wohngemeinschaft ist es gar nicht so einfach. AUTOR In den 90er Jahren wurden die Häuser in der Karl-Marx-Allee denkmalgerecht saniert und ein großer Teil der insgesamt knapp 3.000 Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Das hat nicht nur den ehemaligen Kultursenator, das hat auch viele Kapitalanleger angezogen. Sie vermieten ihre Einheiten nun als Ferienwohnungen an zahlungskräftige Berlin-Touristen. (Flierl) Es gibt dadurch natürlich relativ instabile Bewohnerschaft, viele Menschen mit Rollkoffern, deren Identifizierung oder Zuschreibung zu einer Wohnung gar nicht möglich ist, insofern ist es auch ein stärker anonymes Wohnen geworden, aber ich fühle mich hier sehr wohl, und man ist hier sehr zentral gelegen, das ist Stadt, und Stadt ist eben mehrere Schichten, mehrere Epochen. AUTOR Bestens an der Karl-Marx-Allee selbst abzulesen: sie ist nicht nur sowjetische Monumentalarchitektur und Zuckerbäckerstil, in ihrem zweiten Bauabschnitt zwischen Strausberger und Alexanderplatz bestimmen Großplattenbauten und Pavillons im Stil der Moderne mit viel Grün dazwischen das Erscheinungsbild. Eine Reaktion des Ostens in den 60er Jahren auf den Bau des Hansaviertels im Westteil der Stadt, das wiederum eine Antwort auf den ersten Bauabschnitt der Stalinallee war. (Flierl) Es war ein Wettstreit. Und was anfangs vielleicht als scharfe politische und ästhetische Konfrontation gemeint war, hat sich jetzt im Abstand eigentlich als Konkurrenz, vielleicht sogar als Ko-Evolution, als Parallelentwicklung, mit dem Blick aufeinander, trotz der Teilung der Stadt herausgestellt, das ist eigentlich ein Erbe, das so einmalig ist, weil es in der ganzen Welt das nicht gibt, dass Ost und West, dass unterschiedliche Baustile und kulturelle Haltung, die dann auch wechselten in Ost und West, dass die miteinander konkurrierten. AUTOR Deshalb hat Thomas Flierl zusammen mit anderen einen Antrag auf den Weg gebracht, die Karl- Marx-Allee gemeinsam mit dem Hansaviertel zum Weltkulturerbe der Menschheit erklären zu lassen. [Beide Orte seien herausragende Beispiele für die Architektur und den Städtebau in Ost und West zur Zeit des Kalten Krieges, heißt es in der Begründung.] (Flierl) Bin sehr begeistert, dass die große Koalition von CDU und SPD das sofort aufgegriffen hat im Sommer dieses Jahres und es also als den zweiten Vorschlag Berlins für die Weltkulturerbeliste nominiert hat neben der Rekonstruktion und dem jüdischen Friedhof in Weißensee.] (Kinderführung: Fernseher) kurz frei, dann weg Jaa! Jaaa! (Dubrau) Ich finde es klasse. (Kinderführung: Fernseher) 0'04 frei, wieder drunter Kernstück des 1951 beschlossenen nationalen Aufbauwerkes ... (Dubrau) Weil: es ist einfach was besonderes, das hat ein Stückchen was das Thema der alten Stadt, aber mit ganz vielem politischem Drumherum, und es ist im Wesentlichen noch ein Wohnen, das ist Wohnen für Trümmerfrauen. Als solches ist es ja ursprünglich konzipiert worden, Paläste fürs Volk, also ich würde mich freuen, wenn es klappt. ATMO 8 B (Kinderführung) nur drunter AUTOR Dorothee Dubrau ist begeistert von der Initiative. Während sich die Schulklasse aus der Uckermark im 'Café Sibylle' einen kurzen Dokumentarfilm über die Geschichte der Straße anschaut, trinkt sie eine Tasse heiße Schokolade. Wie früher zu DDR-Zeiten. (Dubrau) Natürlich war das meine Einkaufsstrecke. Einmal die Schönhauser Allee hoch und runter, einmal die Karl-Marx-Allee hoch und runter, und dann hatte man, was man für Weihnachten brauchte, so zusammen. Und es hat auch noch Spaß gemacht, und woanders brauchte man nicht mehr hingehen. AUTOR Dorothee Dubrau war nach der Wende lange in der Kommunalpolitik tätig, heute lehrt sie in Berlin und Darmstadt Architektur und Städtebau. Deshalb führt sie ihre Studenten regelmäßig an den Arbeiterpalästen vorbei. (Dubrau) Es ist eigentlich wie eine große barocke Anlage, die man für den König gebaut hat, nur dass sie fürs Volk gebaut worden ist. Ich habe in den 70er Jahren studiert, in dieser Zeit war die Stalinallee oder die Karl-Marx-Allee das letzte. Zuckerbäckerstil hieß es eigentlich nur, und wir fanden es ganz furchtbar. Weil: es passte natürlich nicht in die Zeit der Moderne. Andererseits: ich habe mal eine Wohnung hier renoviert. Eine Zwei-Zimmer-Wohnung, sie hatte, ich glaube, 78 Quadratmeter und eine 30 Quadratmeter große Terrasse. Ich wohnte damals mit Mann und Kind in einer Wohnung von 35 Quadratmetern mit Außenklo. Insofern: es war ein Traum. Es hatte ein Badezimmer, es hatte eine moderne Heizung, es war absolut toll, es war von der Ausstattung sehr bürgerlich, mit Schiebetür und Parkett, davon haben die meisten Leute natürlich nur geträumt, genau an dieser Stelle zu wohnen. AUTOR Die Ersten, die einzogen, waren vor allem Trümmerfrauen, Aufbauhelfer und Antifaschisten. Eine Wohnung in der Karl-Marx-Allee zu bekommen, war damals und ist heute noch wie ein Sechser im Lotto. Ganz anders sieht es mit den Gewerbeeinheiten aus. Die vermarkten sich nicht so gut. (Dubrau) Die Läden sind einfach sehr groß, das war nun mal halt zu DDR-Zeiten so, und sie haben relativ viel Personal und Lagerräume. Und sie sind an manchen Stellen ganz schwer teilbar. Sie hat des Weiteren die Schwierigkeit des Parkens, [es ist einfach so, dass eine ganze Menge Leute darauf abzielen: sie fahren nur dort einkaufen, wo sie irgendwo ne Chance haben zu parken, und die Anzahl der Parkplätze ist extrem minimiert,] und die Laufstrecken, die man hat, wenn man mit der U-Bahn fährt, um zu etwas hinzukommen, sind doch relativ lang. Es fährt nicht parallel ein Bus, der beispielsweise alle 200 Meter hält und solche Strecken verkürzt. (ATMO 8 B weg) ATMO 9 (Telefon klingelt) 0'03 frei, dann drunter Café Sibylle, Schneider. AUTOR Auch das 'Café Sibylle' hat es schwer, obwohl es in der kleinen Dauerausstellung reichlich Ostgeschichte bietet. 1953 wurde es als 'Milchtrinkhalle' eröffnet, der Gastraum hat noch eine Original-Stuckdecke aus den Anfängen, die Wandbemalung stammt aus den 60ern. Doch die Alten aus der Umgebung, sagt Artur Schneider, kommen nicht mehr, und die Neubewohner zieht es in den nahe gelegenen Kneipenkiez von Friedrichshain. Wenigstens die Touristen kommen, tröstet er sich. (ATMO 9 weg) (Schneider) In fast allen Führern der verschiedensten Länder stehen wir eben als 'Café Sibylle' drin. Vor zwei Tagen kommt hier eine kleine Japanerin rein, mit ihrem Heft, mit ihrem Führer und zeigt uns, sie möchte den Schweden-Eisbecher haben, der da beschrieben wird. Also was die Straße braucht, sind Menschen von außerhalb. Und jetzt beißt sich die Katze in den Schwanz: Menschen von außerhalb kommen nur, wenn man hier was Besonderes bekommt. Besondere Geschäfte kommen hier nur her, wenn richtig Kunden kommen. Man müsste hier Geschäfte ansiedeln, die ebenso einmalig sind wie die Straße, um das hinzukriegen, braucht man so ein bisschen eine Strategie. ATMO 10 (Apothekenklingel) kurz frei, dann drunter AUTOR Schräg gegenüber, wenige Meter von dem Ort entfernt, an dem am 7. Juni 1953 der berühmte Arbeiteraufstand begann, betreibt eine junge Frau eine Apotheke: Fräulein Beckers Lieblingsapotheke. (ATMO 10 weg) (Apotheke) 0'05 frei, wieder drunter (Auflachen) (Kundin lacht auch) Eine gut gelaunte Apothekerin. AUTOR 18 Seit 2007 führt Fräulein Becker die Apotheke, sie hat zwei Mitarbeiterinnen. (Fräulein Becker) Das war ja zu Ostzeiten ein ganz großes Ding hier. Riesengroß. 17 Angestellte. Das war die Bezirksapotheke hier. Hier sind die Apotheker hergekommen, um Nachtdienst zu machen. Aus anderen Apotheken, noch zu Ostzeiten, jetzt ist ja jeder für sich. Die haben Salben und Tropfen und Tabletten gemacht. Riesengroß. Das war alles im Keller, ist hochgefahren und so. Total geil. (Kundengespräch) 0'06 frei, wieder drunter Ich hätte gern ein Päckchen Talcid-Tabletten. - 20er, 50er oder 100er? - Äh, 50. AUTOR Jetzt ist die Apotheke eine unter vielen. Deshalb hat die Chefin den Verkaufsraum vollkommen umgestaltet, offener, luftiger gemacht. Aus dem Fundus der Komischen Oper hat sie lustige Einrichtungsaccessoires erworben, und sie hat einen separaten Bereich für Kosmetik-Behandlungen geschaffen. Sie will endlich neue Kunden anlocken, die alten kommen zu selten. (ATMO 11 weg) (Fräulein Becker) Die Karl-Marx-Allee ist das Seniorenheim Europas. Habe ich auch so gedacht. Der Haken war dann nur gewesen: die leisten sich nichts für die Gesundheit, außer sie gehen zum Arzt, dann lassen sie sich was verschreiben, dann kaschen die Pflegedienste alle, die Alten, die sind alle abgedeckt, ich kenne ganz viele überhaupt nicht, dann haben sie alle Datschen, also im Sommer sind sie praktisch gar nicht hier. Und nachdem ich die Apotheke einigermaßen hingekriegt hatte, kam ja die Baustelle. Das war ungefähr nach einem Jahr. Und die sollte ein Jahr dauern, hat dann drei gedauert. Und dauert noch weiter. Ach nein, das ist jetzt eine andere. (Kundengespräch 2) 0'03 frei, dann langsam weg (Kunde) Vielen Dank. - (Frl. Becker) Bitte schön. - Tschüß. -Tschüssi. (Lachen) (Frl. Becker) Keine Ahnung, woran das liegt, aber mittags ist hier kein Schwein auf der Straße.] ATMO 5 (KMA allgemein) nur drunter AUTOR Manchmal sieht man auf dem breiten Bürgersteig der Karl-Marx-Allee auf eine Entfernung von hundert Metern keinen Menschen. Und wenn doch, dann entweder Senioren mit Gehhilfe oder ausländische Touristen mit Reiseführer in der Hand. Auf dem kleinen Wochenmarkt an der Ecke warten wenige Einzelhändler auf Laufkundschaft. Fast vergebens. - Kinder? Mütter mit Kindern? Väter im Anzug? Selten bis gar nicht. Dazu die Baustellen. Seit gefühlt mittlerweile einem Jahrzehnt wird das Straßenpflaster an immer neuen Stellen aufgerissen, bis zu 75.000 Autos täglich fahren durch die Allee. (ATMO 5 weg) (Wronna) Wir würden uns etwas vormachen, wenn wir sagen: wir haben hier einen Flanier-Boulevard. AUTOR Martina Wronna ist Mitglied im Vorstand von "Die Allee e.V.". Einem Verein von Eigentümern und Gewerbetreibenden, die vor allem eines im Sinn haben: die Attraktivität der Allee zu erhöhen und ihren Markenkern herauszuarbeiten. Die städtebauliche Geschichte: das ist das Pfund, mit dem sich wuchern lässt. (ATMO 13 drunter) Zum besseren Verständnis präsentiert sie eine komplett entkernte Gewerbeeinheit, die bis vor kurzem von einer Galerie genutzt wurde. (Gewerbeführung) 0'17 frei, wieder drunter ... man sieht es jetzt auch an dem Rohbetonboden, das hat so eine Haptik, hier geht man durch und bemerkt: das ist die Historie. Und wir haben natürlich auch noch Gewerbeeinheiten, die haben die Original-Holzinneneinbauten, wie zum Beispiel die ehemalige Karl-Marx-Buchhandlung auf der gegenüberliegenden Seite, ... AUTOR Martina Wronna ist nicht nur im Vorstand des Vereins. Sie arbeitet auch für die Immobilien- Management-Gesellschaft, die einen Großteil der Gewerbeimmobilien auf der Allee makelt. (Wronna) Wir suchen Mieter, die die Allee beleben, die mit ihrer Idee und womit sie sich befassen, die Nebenmieter befruchten, [auch natürlich die Wohnungsmieter, die dann sagen: 'och, wir gehen auch gerne mal in die eine oder andere Galerie' oder eben auch essen, das heißt wenn Sie uns ein gutes Konzept vorstellen, sind wir immer gern bereit, an dem Konzept mitzuarbeiten und dann quasi auch so eine Art Anschubfinanzierung mitzuliefern.] Wir glauben nicht, und wir haben nicht den Anspruch, dass wir sagen: ganz viele kleine Geschäfte, kleine Gewerbeeinheiten, und die Menschen strömen durch die Allee. Das wird nicht sein. Aber: diese Synergien, das heißt ich habe eine Galerie, und dann die zweite, die dritte, und dazu habe ich dann eben die Kreativgeschäfte. Wie zum Beispiel: wir haben das Küchenstudio hier, dazu den Badausstatter und alles, was sich um den Wohnungseinrichtungsbereich rankt. AUTOR Während der denkmalgerechten Sanierung eroberten Billigläden das Terrain, einige sind immer noch da. Nun probiert man es mit mehr Schickimicki: mit Kunst und Möbeln. Was fehlt, ist ein Publikumsmagnet, ein Geschäft, für das es sich wirklich lohnt, hierher zu fahren, weil es nur hier existiert. (Frl. Becker) Wenn man hier in der Karl-Marx-Allee die zehnte Galerie eröffnet und dann die achte wieder schließt, muss man überlegen, ob da nicht ein kleiner Fehlgedanke dahinter ist. Die sollen, ja, auf alle Fälle die Dächer wieder freigeben. Da würden so viele hingehen und gucken einfach. Haben sie gesperrt. AUTOR Ob die Allee mehr Geschäfte braucht oder mehr Kultur, ob es besser ist, wenn sie endlich von so genannten Stadtraumpionieren entdeckt wird wie einst der Prenzlauer Berg, oder ob man ihr lieber wünschen sollte, dass die Szene fern bleibt? 22 Jahre nach der Wiedervereinigung ist noch immer offen, wohin die Reise geht mit der Karl-Marx-Allee, mit dem "letzten großen Boulevard Europas", als der sie der berühmte Architekt Aldo Rossi einmal bezeichnete. -ENDE Script- 1 1