COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Zeitreisen am 5. Mai 2010 Redaktion: Peter Kirsten Da haben wir gelernt, was Demokratie ist Wie das britische Kriegsgefangenenlager Featherstone die Aussöhnung förderte Von Ingrid Leifgen und Eduard Hoffmann Atmo: Tyne-Rauschen/Park unter O-Ton 01. O-Ton: Engelbert Hoppe Bis zum heutigen Tage zieht mich dieses Featherstone Castle und Featherstone Park Camp, das nur noch in ganz wenigen Relikten, aus einigen Mauerbrüchen besteht, und aus dem Eingangstor, magisch an, es ist Teil meines Lebens geworden, und wenn ich das alles zusammenfasse, dann könnte ich den Titel eines Romans von Graham Greene wählen, der da heißt "England made me". Sprecherin: Versonnen lässt Engelbert Hoppe seinen Blick durch den Park von Schloss Featherstone schweifen. Hier in Northumberland, im Nordosten Englands, hat er drei Jahre seines Lebens verbracht. Von Juni 1945 bis zum Sommer 1948 war er Insasse des Kriegsgefangenenlagers Camp 18, das die britische Regierung in der Nähe von Newcastle hatte errichten lassen, am idyllischen Ufer des Tyne. Seitdem hat es den heute 85jährigen aus dem rheinischen Eschweiler immer wieder dorthin gezogen, der Erinnerung wegen, und um alte Freundschaften mit Menschen aus der Umgebung zu pflegen. Diese Anhänglichkeit an das Land der ehemaligen Siegermacht teilt er mit vielen Männern seiner Generation, die in britische Gefangenschaft gerieten. Mit dem aus Lübeck stammenden Rolf-Werner Wentz zum Beispiel. Der ehemalige U-Boot-Kommandant saß ebenfalls in Featherstone Park ein. Gerne erinnert sich der heute 90jährige an das Lagerleben. 02. O-Ton: Rolf-Werner Wentz: Da war ja rundherum Stacheldraht und dann wurden die Tore, nicht wahr, geöffnet und dann durfte man, ne bestimmte Zeit zu Anfang, außerhalb auch rumlaufen. Dies Tyne-Tal ist ja sehr hübsch und malerisch und die Umgebung dort, wunderbare Spaziergänge möglich gewesen. Und denn hieß unser Camp 18 auf einmal Freedom-Camp, Freedom-Camp! Freiheitslager! Und ja, dann konnte man bis zum Roll-Call abends, wo alle da sein mussten, konnte man den ganzen Tag machen, was man wollte. Also in sofern war das schon ganz prima, ganz toll gehabt, nicht, diese Freizügigkeit. Sprecherin: Freizügigkeit im Gefangenenlager? Das klingt nach verkehrter Welt. Tatsächlich aber behandelten die Briten - anders als Amerikaner, Russen und Franzosen - ihre deutschen Kriegsgefangenen nach einem ausgefeilten Konzept. Während des Krieges bereits hatte man damit begonnen, ein sogenanntes Re- education Programm, ein Umerziehungsprogramm, zu entwickeln. Die Historikerin Renate Held hat sich in ihrer Doktorarbeit mit dessen Entstehung, seinen Zielen und seiner Umsetzung beschäftigt. 03. O-Ton: Renate Held Ich glaube es hat keine andere Gewahrsamsmacht des Zweiten Weltkrieges sich so lange und mit so viel Enthusiasmus überhaupt mit diesem Konzept beschäftigt, wie man Leute zu Demokraten umerziehen kann. In Großbritannien waren da ganz vielfältige Gremien beschäftigt, also insbesondere verschiedene Universitäten, Unterabteilungen, Ausschüsse des Auswärtigen Amtes, Diplomaten, Emigrantenkreise, also es war irgendwie ein großes Interesse einfach da, ja Ideen zu entwickeln, was tut man mit diesen Leuten, die anscheinend jetzt in dieser Diktatur leben und wahrscheinlich aus Überzeugung. Man hat dann erste Interviews geführt, als man die ersten deutschen Kriegsgefangenen in Großbritannien hatte, um mal zu sehen, wie ist denn überhaupt die Einstellung dieser jungen deutschen Männer und war dann ein wenig erschrocken, weil man festgestellt hat, dass die gar nicht so sehr vom Krieg an sich überzeugt waren, oder dieses überlegene arische Gedankengut verankert hatten, sondern dass es eigentlich ganz einfach deutsche Männer waren, die ein ganz bestimmtes Geschichtsbild hatten, dass diese Leute gar nicht unbedingt in den Krieg wollten, aber dass die einfach falsch informiert waren, diese jungen Leute. Sprecherin: Im nächsten Schritt ging man dazu über, die Gesinnung jedes einzelnen Internierten einzuschätzen, seine Nähe oder Ferne zum nationalsozialistischen Gedankengut. Screening hieß dieses Verfahren, bei dem die Deutschen in die Kategorien A, B und C oder Weiß, Grau und Schwarz eingeteilt wurden. Wer das Etikett A oder Weiß erhielt, galt als Anti-Nazi und offen für demokratische Ideen, C oder Schwarz stand für Anhänger des Faschismus. Man fasste die "Weißen" Gefangenen sodann in eigenen Lagern zusammen und führte mit ihnen als erste das Re-education- Programm durch. Schon 1943 verfolgte die britische Regierung mit diesen Maßnahmen ein klares Ziel: Die Wiedereingliederung Deutschlands in ein demokratisches Nachkriegseuropa. Im Handbuch für Kommandanten von Kriegsgefangenenlagern heißt es über Re-education: Zitator: Übersetzung: Ziel ist es, den Gefangenen ein richtiges Verständnis der Prinzipien demokratischer Regierungsformen nahe zu bringen. Im Besonderen geht es darum, die Anwendung demokratischer Prinzipien auf deutsche Verhältnisse als Voraussetzung für die friedliche Rückkehr Deutschlands in die Gemeinschaft der europäischen Staaten zu fördern. Dies ist ein lebenswichtiges Interesse Großbritanniens. Sprecherin: Als sich der Sieg der Alliierten über Hitlers Armee abzuzeichnen begann, war die britische Regierung bestrebt, bei der Nachkriegsregelung für Deutschland ein gewichtiges Wort mitzusprechen. Um den Prozess der Demokratisierung zum Erfolg zu führen, würde sie als Besatzungsmacht auf kooperationswillige Deutsche angewiesen sein. Die Historikerin Renate Held: 04. O-Ton: Renate Held Die Briten haben ja aus ihrer langjährigen Erfahrung als Kolonialmacht immer so ein System, was sie auf Englisch "Indirect Rule" nennen, also eine indirekte Herrschaft, also das heißt, das britische System sah ja nie so aus, dass man sozusagen Briten vor Ort hinschickt, also schon in Schlüsselpositionen, aber dass die ganze Verwaltung, Administration, wirtschaftliche Bereiche ja so funktionieren, dass es jeweils Leute aus diesen Ländern waren. Und nach diesem Modell wollten die Briten eben auch eine Besatzungszone in Deutschland regieren. Ihnen war aber klar, dass das natürlich nur funktioniert, wenn sie Leute dort hätten, die von dem britischen System, von den britischen Überzeugungen, von Demokratie überzeugt waren, weil sonst wären die Leute nicht kooperationsbereit und wahrscheinlich eben auch nicht in der Lage das entsprechend dann umzusetzen. Und deshalb kam man halt auf die Idee, dass man verschiedene Möglichkeiten finden müsste, gerade diesen jungen deutschen Leuten Demokratie beibringen zu müssen. Sprecherin: Dazu bedienten sich die "Umerzieher" vielfältiger Methoden: Sie boten den Gefangenen die Möglichkeit, eine Berufsausbildung oder ein Studium aufzunehmen, unterstützten jegliche Art kultureller Aktivitäten und eröffneten diverse Zugänge zu politischer Bildung. Dem Camp 18 in Featherstone Park galt dabei besonderes Augenmerk, weil hier hauptsächlich Offiziere interniert waren. Viele von ihnen waren Akademiker und in Deutschland im Kulturbetrieb, an Schulen und Universitäten oder in der Wirtschaft tätig gewesen. Würde man diese Leute für die Demokratie gewinnen, so könnten sie später an wichtigen Schaltstellen als zuverlässige Multiplikatoren wirken. Die Lagerleitung unterstützte deshalb den bereits in Eigeninitiative der Offiziere begonnen Aufbau einer Lageruniversität nach Kräften. Engelbert Hoppe: 05. O-Ton: Engelbert Hoppe Hier waren ja etliche hundert Studienräte, Studiendirektoren, Lehrer und so weiter und sofort, Dozenten Professoren, sodass sich auch in diesem Lager eine Lageruniversität entwickelte mit einer ganzen Reihe verschiedener Sparten. Sprecherin: Die Internierten konnten alles Mögliche belegen, Jura zum Beispiel, Bauwesen Wirtschaftswissenschaften oder Lehramtsstudiengänge, aber auch Sprachkurse in Englisch und Spanisch. Rolf-Werner Wentz, der bereits verheiratet war, stürzte sich energisch auf die Fächer, von denen er sich ein berufliches Fortkommen nach seiner Entlassung versprach. 06. O-Ton: Rolf-Werner Wentz Dann hab ich angefangen bei einem Architekten - oder war das n Baumeister? - nicht wahr, zu lernen, wie man Häuser baut, ja. Auf ganz einfache Art und Weise natürlich irgendwie. Und dann nachher hab ich mich besonnen "Du musst ja wieder doch einen neuen Beruf ergreifen." Und da lag mir das an sich, nicht wahr, Betriebswirtschaft, in der Richtung was zu machen. Und da hab ich sechs Semester Betriebswirtschaft gehört in Camp 18. Sprecherin: Vor allem seine Englisch-Studien kamen dem ehemaligen U-Boot-Kommandanten Wentz später zugute, als er in der jungen Bundesrepublik im Bonner Verteidigungsministerium tätig war. 07. O-Ton: Rolf-Werner Wentz So ein halbes Jahr bevor ich entlassen wurde, 1947, ja, konnten wir auf einmal, in eine Hütte ziehen, die hieß English Speaking Hut. Da durften denn nur Leute reingehen, die einmal schon n bisschen englische Vorkenntnisse hatten und sich verpflichteten, den ganzen Tag nur Englisch zu sprechen. Und morgens ging das los, denn ham wir BBC-Nachrichten gehört, alle rundherum, und dann wurde nachher, nicht wahr, über das, was da war, diskutiert, alles in Englisch, sodass wir uns also in der englischen Sprache ganz schön, nicht wahr, sattelfest gemacht haben. Das war eine Mordsgeschichte und die konnte ich natürlich, als ich nachher hier mit der Nato zu tun hatte, nicht wahr, im Ministerium und als U-Boots-Bekämpfungsmann bei der Nato in Paris, da musste ich natürlich immer Englisch sprechen, nicht. Sprecherin: Neben der Bildung setzten die Briten auf Kultur. Im Camp 18 gründeten sich ein großes Lager- und ein Streichorchester, ein Soldatenchor, ein Schauspiel-Theater, eine Operetten- und Kabarettbühne sowie ein Marionettentheater. Allesamt traten in anderen Kriegsgefangenenlagern auf und auch in vielen Dörfern und Städten Nordenglands. Die Zeitungen schrieben, das Camp 18 habe sich zu einem kulturellen Mittelpunkt in Nordengland entwickelt. Auch Engelbert Hoppe engagierte sich als Darsteller in verschiedenen Stücken und wirkte bei der Puppenbühne mit. Unvergessen bleibt ihm die außergewöhnliche Aufführung des "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal im Schlosshof des Featherstone Castle. 08. O-Ton: Engelbert Hoppe: Die Zuschauer saßen um den ganzen Schlosshof herum auf den Mauern. Man hatte auch kleine Tribünen hergestellt. Ich denke, bei jeder Vorstellung waren so um die 600 bis 800 Zuschauer, die alle natürlich auch sich eingebunden fühlten in dieses Geschehen, weil sie so nah daran waren. Es war ein Riesenerfolg und auch die englischen Zeitungen berichteten, Newcastle Journal, Hexham Courant and - Ich höre noch immer den Ruf "Jeeedermannn". Das ist mir ganz stark im Gedächtnis geblieben und alles, was sich darum rankt. Sprecherin: Eine weitere Säule des Umerziehungsprogramms schließlich bildete der Sport. Bereits Ende 1945 begannen die Gefangenen mit Erlaubnis des Schlossherrn von Featherstone Castle und der Kommandantur im Eingangsbereich des Lagers einen riesigen Sportplatz anzulegen. Alle möglichen Sportarten wurden hier ausgeübt: Leichtathletik, Handball, Rugby und natürlich - Fußball. 09. O-Ton: Engelbert Hoppe Da die Engländer ja große Fußballfans waren, fanden in der Hauptsache Fußballspiele statt, fast jede Woche, gegen umliegende Mannschaften, gegen englische Militärmannschaften, wir hatten etliche Nationalspieler hier, ich erinnere mich an Herbert Baumann, der nachher auch in Deutschland Trainer wurde. Sprecherin: Und der Fußballsport, so erinnert sich Engelbert Hoppe, bot vielfältige Begegnungsmöglichkeiten. 10. O-Ton: Engelbert Hoppe Das war also so, dass man die Engländer einlud, und die kamen dann mit großem Hallo an, über die Hügel und das war immer ein riesiges Hallo, und die Mannschaften wurden dann auch nach dem Spiel eingeladen, gemeinsam mit den Kriegsgefangenen, in Anführungsstrichen, zu speisen und diese Fußballspiele waren immer wieder eine schöne Art der Verbrüderung. Manchmal bedauerte ich, dass so Mannschaften aus dem hiesigen Bereich mit hohen Niederlagen abgefertigt wurden, aber das war nun halt so, und die Engländer nahmen es mit Humor. Sprecherin: Einen besonderen Führsprecher fanden die Kriegsgefangenen in dem Übersetzungsoffizier und Kulturbeauftragten Captain Herbert Sulzbach. Der jüdische Bankierssohn aus Frankfurt am Main war Anfang der dreißiger Jahre mit seiner Familie nach Großbritannien emigriert. Im deutschen Bildungsbürgertum aufgewachsen, konnte er die Denkweise und Bedürfnisse der ihm anvertrauten Männer nachvollziehen. Herbert Sulzbach setzte sich dafür ein, dass die für den Unterricht und die verschiedenen künstlerische Aktivitäten notwendigen Materialien vorhanden waren. Ganz besonders lag ihm die politische Bildung der Deutschen am Herzen. Ihnen wurde eine umfangreiche Bibliothek zur Verfügung gestellt, ebenso Zeitungen, Zeitschriften und Filme. Fachleute hielten Vorträge, darunter so bekannte wie der KZ-Häftling und spätere Friedensaktivist Pastor Martin Niemöller und der Staatsrechtler Professor Gerhard Leibholz. Unermüdlich regte Sulzbach an, dass im Anschluss an solche Referate oder auch in kleineren Zirkeln die Gefangenen ihre Meinung äußerten. 11. O-Ton: Renate Held Ich glaube das war auch das Kennzeichen der ganzen britischen "Re-education- Politik", das war sehr orientiert so an der Idee der britischen Uni. Also britische Universitäten leben ja auch zum großen Teil von Diskussionen und ja Reden halten und miteinander debattieren. Und einfach diese Debattenkultur haben die Briten halt auch in dieses "Re-education Programm" übertragen. Es war ein ganz wichtiger Punkt in der "Re-education", dass die Gefangenen selbst miteinander ins Gespräch gekommen sind. Also die Briten wollten ihre Umerziehung auf keinen Fall als Indoktrination verstehen, sondern mehr als, ja, ein Verfahren, wo man diesen Leuten Denkanstösse gibt, also Denkanstösse indem man ihnen die britische Lebensart näher bringt, indem man ihnen erklärt, wie Politik in Großbritannien gemacht wird, indem man ihnen aber auch ein objektives deutsches Geschichtsbild lehrt, indem man ihnen zum Beispiel erklärt, dass die Dolchstosslegende eine Legende nach dem ersten Weltkrieg war, also indem man mit so Geschichtslegenden aufräumt und dann aber in einem zweiten Teil wirklich schaut, wie reagiert ihr darauf, was diskutieren die miteinander. Sprecherin: Eine Methode, die offenbar Wirkung zeigte. Engelbert Hoppe: 12. O-Ton: Engelbert Hoppe Ich habe Demokratie in diesem Gefangenenlager gelernt. Ich hab zum Beispiel auch eine Prüfung im staatsbürgerkundlichen Sinne gemacht, sowohl in Englisch als auch auf Deutsch, und da hab ich auch die mehr oder weniger wissenschaftlichen Grundlagen des demokratischen Wesens und demokratischer Staaten erfahren und studiert. Sprecherin: Rolf-Werner Wentz sieht das ähnlich: 13. O-Ton: Rolf-Werner Wentz Dieser Freiheitsbegriff wurde uns erst in der Kriegsgefangenschaft nahe gebracht. Auch durch die Art, wie Captain Sulzbach uns behandelt hat, was überhaupt Demokratie ist. Wir haben doch im Kaiserreich und in der Systemzeit bis zu den zwölf Jahren der Naziherrschaft, wir haben doch nie irgendwie einen Unterricht gehabt über Demokratie. Wir sind immer - im Kaiserreich sowieso - autoritär irgendwie behandelt worden und in der sogenannten Systemzeit dort in den zwanziger Jahren, da ist ja so viel Kuddelmuddel gewesen mit den vielen Parteien, sodass man daraus gar nicht erkennen konnte, was überhaupt Demokratie im eigentlichen Sinne bedeutet. Und das haben wir doch eigentlich erst gelernt in der Kriegsgefangenschaft. Da haben wir das erst gelernt. Da haben wir erst uns erst überlegt, was das bedeutet, dass eine Regierung auf Grund von Wahlen, von freien Wahlen, tatsächlich für eine bestimmte Zeit am Ruder ist. Und dann kann sie nachher durch neue Wahlen wieder abgelöst werden. Sprecherin: Nicht jeder ehemalige Kriegsgefangene war von den Re-education - Maßnahmen restlos überzeugt, von einem aber zeigten sich alle sehr beeindruckt - von der Haltung der britischen Bevölkerung ihnen gegenüber. Im nordenglischen Featherstone kam es bereits im Herbst 1945 zu ersten Kontakten. Die Lagerleitung bot den deutschen Gefangenen an, bei der Ernte auf den umliegenden Bauernhöfen mitzuhelfen. Als Offiziere waren sie nach der Genfer Konvention nicht verpflichtet zu arbeiten. Viele nahmen das Angebot trotzdem an, auch Rolf-Werner Wentz. 14. O-Ton: Rolf-Werner Wentz Das erste Mal, hab ich mich in Hexham auf einer Schaf-Farm für diese Zeit verdungen. Und die Schaf-Farm, das waren ganz alte Leute. Die hatten also ne Menge Schafe. Das war oben in den Bergen, ziemlich garstig dort. Und das waren zwei alte Bauern, der eine war so 81, der andere vielleicht so 78 und die Schwester führte denen den Haushalt. Und ich hab dann mit denen zusammen gegessen, die hatten so weißes Brot und Butter soviel man haben wollte. Die waren reizend, die Leute. Sprecherin: Gemeinsame Mahlzeiten mit den Einheimischen waren zu dieser Zeit offiziell nicht erlaubt. Es gab ein sogenanntes Fraternisierungsverbot, enger Kontakt mit dem Kriegsfeind, eine Verbrüderung eben, war untersagt. Aber die englische Bevölkerung hielt sich nicht daran. Im Frühjahr 1946 bekamen die Camp-Insassen zu ihrem Erstaunen die Erlaubnis, das Lager zu verlassen, wenn sie sich auf Ehrenwort nicht weiter als fünf Meilen im Umkreis bewegten. Rolf-Werner Wentz nutze sie für ausgedehnte Spaziergänge und Engelbert Hoppe machte sogleich Bekanntschaften. 15. O-Ton: Engelbert Hoppe Und dann landete ich dann in Lambley Harpertown und habe Jim getroffen dann da oben, ein einsamer Miner, der mit seinem Fahrrad kam und im Rahmen einen Sack Kohle hatte. Er war so schmutzig wie er aus der Grube gekommen war, und dann meinte er dann in seinem schönen Gordian Slang: Come with me and come in and have a cup of tea. Nee, das ging aber nicht, weil wir abends Zählung hatten, und da wollte ich doch pünktlich zurück sein. Hab dann mit ihm vereinbart, dass ich sie am Wochenende samstags besuchen werde, ja, und dadurch entstand eine richtige Freundschaft, die führte dahin, dass ich im Bergarbeiter-Chor mitsang, und diese Freundschaft hielt ein Leben lang. Sprecherin: Von nun an gab es für Engelbert Hoppe kein Halten mehr. Nicht nur seinen Erkundungsradius dehnte er kontinuierlich aus, in rasendem Tempo gewann er auch neue Freunde. 16. O-Ton: Engelbert Hoppe Im Laufe der Zeit wurde dann die 5 Meilenzone erweitert auf 50 Meilen oder sogar mehr. Ich selbst war ja oft in Newcastle bei meinen Freunden oder in Lambley und Halten Lea Gate und Brampton. Du wurdest praktisch weitergegeben, der eine sagte dann, oh, ich muss auch mal einladen, komm am Sonntag, dann hast du supper bei uns, oder Dinner, oder was immer, und so lernte ich eine Reihe Familien und eine Reihe Häuser kennen, alles einfache aber herzliche Leute. Sprecherin: Die meisten der damaligen Freunde sind bereits verstorben, als Engelbert Hoppe im Sommer 2009 wieder einmal nach Northumberland reist. Mit Joyce Watson und ihrem Bruder Roland Todd aus Halton Lea Gate jedoch teilt der heute 85Jährige viele Erinnerungen an die alten Zeiten. Roland Todd denkt vergnügt an die fußballerischen Begegnungen mit den ehemaligen Kriegsgefangenen zurück. 17. O-Ton: Roland Todd I used to go for a walk down to the camp on Sunday afternoons, because there was always a football match between two German teams. And they got to know me and they used to let me in and let me out again after the game was over. And they did that for month after month when the weather was suitable. I played against them many a time at the field along there, a mile and a half or two miles along the road there. We had a field there where they used to play. I got friendly with one of the players, he was an international player for Germany, he played ouside left. And he was very friendly with me. He used to look for me when I went down - very obliging, very nice people. Übersetzung: Sonntagnachmittags ging ich oft runter zum Lager, weil´s da immer ein Fußballspiel zwischen zwei deutschen Mannschaften gab. Die kannten mich schon und ließen mich problemlos rein und raus. Ich hab auch oft gegen die Deutschen gespielt, hier auf dem Platz, anderthalb oder zwei Meilen die Straße runter. Mit einem Spieler hab ich mich angefreundet, er war deutscher Nationalspieler, hat links außen gespielt. Mit dem hab ich mich gut verstanden - das waren sehr nette Leute. Sprecherin: Joyce Watson verbindet ebenfalls angenehme Erinnerungen mit der Anwesenheit der Deutschen. 18. O-Ton: Joyce Watson They just used to wander around - but we never had any bother from them, did we? They were all very good, all good workers. They just used to come to the chapel to sing, and always very friendly. They used to make theese wooden things, like a tennis bat. They were very good, no trouble whatsoever from them. Übersetzung: Die spazierten hier durch die Gegend, aber es gab nie Scherereien mit denen. Das waren alles sehr gute Arbeiter. Die kamen hier zur Kapelle um mitzusingen und waren immer freundlich. Sie machten diese Holzsachen, Tischtennisschläger zum Beispiel. Die waren in Ordnung und haben uns nie belästigt. Sprecherin: Mit erstaunlicher Offenheit waren die Einheimischen bereit, in den ehemaligen Feinden einfach nur Menschen zu sehen. Im direkten Kontakt mit ihnen konnten sie feststellen, dass die wenigsten Deutschen überzeugte Nationalsozialisten waren. Es waren ganz normale junge Männer, die sich kaum von britischen jungen Männern unterschieden. Schon bald zeigte sich die zunehmende Sympathie der Bevölkerung für die Gefangenen auch in der Presse. Wodurch nicht zuletzt auch, so erklärt die Historikerin Renate Held, der Druck auf die britische Regierung wuchs. 19. O-Ton: Renate Held Weil die halt auch zunehmend Mitleid mit den Lebensumständen der deutschen Kriegsgefangenen hatten, die sie ja dann in ihrem alltäglichen Leben als Kollegen bei der Arbeit erlebt haben. Und dann gab es auch ein paar spektakuläre Fälle, die dann auch durch die Yellow Press in England gegangen sind, wo sich dann ein deutscher Kriegsgefangener in eine junge Engländerin verliebt hat, und das war natürlich strafbar, und der ist dann ins Gefängnis gewandert, und dann hat sich da halt eine Welle von Leserbriefen für den jungen Mann eingesetzt, und so ist dieses Thema Publik geworden eigentlich und peu a peu hat die Regierung dann weitere Zugeständnisse gemacht, auch deshalb, weil zum Beispiel andere Gewahrsamsmächte wie die USA ihre Kriegsgefangenen schon viel früher repatriiert haben. Sprecherin: Auch als um die Weihnachtszeit 1946 bekannt wurde, dass den deutschen Gefangenen angesichts der allgemeinen Lebensmittelknappheit keine Sonderrationen zum Christfest zugestanden werden sollten, erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Eine Flut von Protestbriefen der Einheimischen überschwemmte die Zeitungsredaktionen. Michael Yeoman etwa schrieb am 18. Dezember 1946 an die Times: Zitator: Übersetzung: In den gestrigen Abendzeitungen hieß es, dass die deutschen Kriegsgefangenen zu Weihnachten keine Extra-Ration erhalten sollen. Als ehemaliger Kriegsgefangener kann ich das nicht akzeptieren. Dass wir diese Männer immer noch unter Zwang hier behalten, ist schon zweifelhaft genug, ihnen gerade jetzt eine kleine Extra-Freude zu verwehren, ist unentschuldbar. Man mag ja sagen, es sei für uns schon nicht genug Essen da, aber ich bin sicher, jede britische Hausfrau wird es schaffen, einen reich gedeckten Tisch für die Feiertage zu organisieren. Die paar Lebensmittel, die gebraucht werden, um den Gefangenen ein kleines Extra zukommen zu lassen, das ist doch so gut wie nichts. Sprecherin: Ein Jahr später spielte dieses Thema keine Rolle mehr. Weihnachten 1947 durften die Einheimischen deutsche Gefangene zu sich nach Hause einladen. Viele Familien machten davon Gebrauch und so kam auch Rolf-Werner Wentz zu einem schönen Weihnachtsfest. 20. O-Ton: Rolf-Werner Wentz Und denn kriegte ich zu Weihnachten ne Anfrage vom Lagerkommandanten. Da wär ne Einladung gekommen von einem Mister und Missis Williams. Und da komm ich dahin zu Weihnachten in Uniform, und dann wurde ich empfangen und kriegte ein Zimmer dort. Und da war auf einmal so ne junge Dame dabei, die Tochter des Hauses, nicht, die Margaret Williams, und, ja, und denn hab ich da zwei Tage verbracht, also zwei Nächte praktisch. Und wie es in England so üblich ist, ich kriegte morgens Besuch in meiner Koje von der Missis Williams, nicht wahr, von der Mutter, die brachte mir nen Cup of Tea ans Bett. Das ist da so üblich bei Besuch. Und da hab ich mich sehr wohl gefühlt. Ich meine, das war ja nun so ne reizende Geste einem Kriegsgefangenen gegenüber. Sprecherin: Dankbar erinnerte sich Wentz stets an die Familie Williams und nahm Jahre später wieder Kontakt zur Tochter Margret auf. Es entwickelte sich eine Freundschaft, die bis heute besteht, und in die die Ehepartner und Kinder der beiden selbstverständlich einbezogen sind. Viele der ehemals in Featherstone und anderen britischen Lagern Internierten berichteten und berichten von solchen lebenslangen Freundschaften. Auch Engelbert Hoppe: 21. O-Ton: Engelbert Hoppe Also ich war grad, noch nicht einmal zwei Jahre zuhause, da kam schon Besuch aus New Castle, von meinen Freunden Phillis und Jack Bowran, die jedes Jahr, wenn sie in die Schweiz fuhren, eine Woche in Eschweiler oder 14 Tage Station machten, und es verging auch kaum ein Jahr, wo ich nicht drüben war. Und diese Freundschaft hat angehalten, selbst als meine Söhne schon 15 und 16 waren, bin ich mit ihnen noch einmal all die Pfade gegangen, die ihr Vater gegangen ist, über den Lake District, dann den ganzen Hadrians Wall vorbei, und dann sind wir wieder runter zu unseren Freunden und haben dort gewohnt. Sprecherin: Neben persönlichen Kontakten bewahrten sich viele frühere Kriegsgefangene eine allgemeine Liebe und Dankbarkeit gegenüber dem Vereinigten Königreich. So auch Engelbert Hoppe. Seit seiner Rückkehr nach Deutschland engagiert sich der Pädagoge in seiner Heimatstadt Eschweiler für Versöhnung und Völkerverständigung. Er initiierte deutsch-englische Austausch-Programme für Schüler und Jugendliche und bemühte sich um weitere Begegnungsmöglichkeiten wie etwa während der Internationalen Sportfeste, die bis in die 70er-Jahre in Eschweiler stattfanden. Aus Begeisterung für die Versöhnung der ehemaligen Kriegsgegner trat Hoppe auch der Featherstone Park Association bei. Ehemalige Camp 18-Insassen riefen die Vereinigung 1962 als deutsch-britische Freundschaftsgesellschaft ins Leben. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten bekannte Persönlichkeiten wie Yehudi Menuhin und Benjamin Britten. Für Engelbert Hoppe ist der "Geist von Featherstone" bis heute prägend geblieben. 22. O-Ton: Engelbert Hoppe Ich habe gewusst, dass eine deiner Aufgaben in diesem Deutschland sein wird, Versöhnung auf meine Fahne zu schreiben, Versöhnung insbesondere mit dem Land, das mich als Kriegsgefangener - nicht behandelt hat, sondern immer als einen Menschen, den sie achteten und den sie schätzten, so wie ich es mit meinen Freunden getan habe. Der Geist von Featherstone bestand zuerst einmal im freiheitlichem Denken, in einer demokratischen Grundhaltung, in dem Willen Versöhnung zu bewirken durch persönlichen Einsatz und durch Begegnung mit den Menschen. Und darüber hinaus denke ich, war der Geist von Featherstone ein Stück von tiefster Humanität und dem Versuch, den anderen und die anderen zu verstehen. Atmo: Tyne-Rauschen/Park 1