Deutschlandradio Kultur Länderreport Wie werde ich ein Nordrhein-Westfale? Eine kleine Handreichung in einer verzwickten Angelegenheit Autor Frank Überall Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 18.09.2012 - 13.07 Uhr Länge 18.15 Minuten Moderation Ein Nordrhein-Westfale - viele sind es ja schon. Fast 18 Millionen. Und so klebt der Untertitel "bevölkerungsreichstes Bundesland" an Nordrhein-Westfalen. Aber, wie wird man Nordrhein-Westfale? Durch Wohnsitz? Durch Geburt? Klar, irgendwie schon, vielleicht. Aber so ein richtiger Nordrhein-Westfale? Vielleicht durch eine eigene Erklärung, abgegeben beim Bier in der Eckkneipe? "Du, hör mal, ich bin jetzt ein Nordrhein-Westfale." Oder durch nachgewiesene Kenntnis von 567 der unzähligen Tünnes-und-Schäl-Witze? Oder indem man Köln und Düsseldorf zu seinen Lieblingsstädten erklärt? Oder wenn man die Kölner, die Düsseldorfer und die Essener Tageszeitung abonniert - ist man dann ein Nordrhein-Westfale? Wir wissen es nicht, die Frage deuten es schon an, es handelt sich um eine verzwickte Angelegenheit. Also baten wir Frank Überall um eine Antwort ohne wenn und Bindestrich. -folgt Script Beitrag- Script Beitrag- Nordrhein-Westfale werden! Wie sich das schon anhört! Nordrhein-Westfale. Ein Begriff, den ich als Rheinländer so noch nie gehört habe. In der Literatur vielleicht, aber nicht im richtigen Leben. Dieses bevölkerungsreichste Bundesland, das ist doch nur ein gemeinsames Nebeneinander von Rheinland und Westfalen. Man wird entweder Rheinländer oder Westfale! Aber als Journalist soll man sich ja nicht durch Vorurteile leiten lassen, sondern anständig recherchieren. Also treffe ich mich mit Georg Mölich. Er arbeitet beim Landschaftsverband Rheinland, einem behördenähnlichen Zusammenschluss von Kommunen. (Atmo Café) Als ich an unserem Treffpunkt - einem Kölner Café - ankomme, ist er gerade von seinem Fahrrad abgestiegen. Fröhlich winkt er mir zu, die rechte Hand zur Faust geballt, hält er sein wuchtiges Fahrradschloss fest und droht mir spielerisch. Keine Angst, sagt er, das sei kein Schlagring, und grinst dabei frech. Eine eigenwillige Begrüßung, die so wohl nur im Rheinland ihre Berechtigung hat. "Ja, weil das direkt in eine Grundsatzdiskussion über öffentliche Sicherheit geführt hätte (lacht), oder so in der Richtung. Also: Das glaube ich nicht, dass man das so gemacht hätte. Also zumindest, wenn man jemanden nicht kennt. Also wie in unserem Falle wir uns persönlich ja bisher nicht gekannt haben. Also von da aus ist das sicherlich (lacht) ´ne Sache, die man in `ner anderen Stadt nicht unbedingt machen würde." Georg Mölich muss es wissen, denn er beschäftigt sich beruflich mit den Rheinländern. Wissenschaftlich. Die Kultur der Region ist sein Forschungsgebiet. Dazu gehört offenbar auch sein eigenes Verhalten. "Also man hat ja mal so die These entwickelt, dass sich Rheinländer an den Augen erkennen. Andere eben nicht, hm? Ob das wirklich so stimmt, weiß ich nicht." So ist das mit den Emotionen. Der Rheinländer definiert sich nicht nur aus sich selbst heraus, sondern vor allem auch aus der Abgrenzung gegen andere, gegen die Westfalen. Nicht umsonst wirbt die Kölner Stadtverwaltung mit dem Spruch "Köln ist ein Gefühl". Das kann man nicht beweisen, schon gar nicht wissenschaftlich. Der emotionale Abstand zwischen Rheinländern und Westfalen ist Ansichtssache. Dabei weiß doch jeder, dass die Menschen im Rheinland viel lockerer sind als die anderen in NRW: "Ein Mythos ist sicherlich die Offenheit des Rheinländers. Der also im Prinzip offen ist gegenüber neuen Situationen und auch mit einem gewissen Opportunismus, man kann auch sagen, mit einer gewissen Spitzbübigkeit mit neuen Situationen umzugehen. Gelernt hat, in der Geschichte. Ob das wirklich ein hartes Kriterium ist, darf man sehr in Frage stellen." Die Rheinländer wissenschaftlich zu fassen, scheint so schwierig zu sein wie den sprichwörtlichen Pudding an die Wand zu nageln. Aber irgendwie ist schon was dran, an der Besonderheit dieses Menschenschlags. Das weiß auch Georg Mölich: "Aber ich würde schon sagen, eine gewisse Offenheit gegenüber Innovation, gegenüber Neuerung, gegenüber manchen Dingen, die noch nicht so hundertprozentig erprobt sind, das würde ich schon als Charakteristikum des Rheinländers - in Anführungszeichen - einsetzen wollen." Das will ich genauer wissen. Wer könnte mir das besser erklären als Jürgen Roters. Der gebürtige Westfale ist Oberbürgermeister von Köln. Also, was ist jetzt mit der Leichtfüßigkeit der Rheinländer? "So dieser Wagemut, den wir auch teilweise haben, auch die Bereitschaft auch Risiken einzugehen und dann nicht alles bis ins Letzte durchzudenken und zu sagen wir müssen auf der ganz, ganz sicheren Seite stehen um dann eine Entscheidung zu treffen, dieser Wagemut, der ist in den anderen westfälischen Bereichen nicht so ausgeprägt, das muss sagen." Jürgen Roters muss es wissen. Schließlich hat er früher als Regierungspräsident oft mit seinen Kollegen aus den anderen Teilen des Bundeslandes zusammen gesessen. Da hat er schon einige Unterschiede festgestellt. "Bei den Kölnern ist es schon häufig so, dass muss man sagen, erst verspricht man, dass man etwas tut. Macht man dadurch eine Freude. Dann macht eine zweite Freude, dass man das Versprechen auch einhält. Das ist eben in Westfalen ein bisschen anders." Diese - zweite - Freude machen die Kölner freilich nicht immer. Man redet schnell, aber auch eher unverbindlich. Das gefällt dem Chef der Millionenstadt Köln offenbar. "Ich habe 18 Jahre in Westfalen gelebt, bin dort groß geworden, sozialisiert praktisch, habe mitbekommen das doch etwas ruhigere Verhalten, die etwas konservativere Art, in sich gekehrtere Art. Die mir aber von meinem Naturell auf Dauer nicht so gefiel. Deswegen muss ich sagen, bin ich ganz glücklich, dass ich durch Zufall oder auch durch Schicksal den Weg ins Rheinland gefunden habe." Und was hat ihm hier am Rhein besonders gefallen? "Die Mentalität der Menschen, die Art aufeinander zuzugehen, miteinander auszukommen, dann mal ein stärkeres Maß an Optimismus und Lebensfreude auch, das entspricht mehr meinem Naturell als die etwas behäbigere Art der Westfalen." Da ist es wieder: Das wissenschaftlich kaum beweisbare Vorurteil des mundfaulen Westfalen. Im Gegensatz zum lockeren Rheinländer, der gerne mit anderen kommuniziert, der klüngelt, was das Zeug hält. Man kennt sich, man hilft sich, lautet eine der Definitionen dafür. Diverse Skandale haben auch im Kölner Rathaus gezeigt, dass das manchmal übertrieben wurde. Aus Klüngel wurde Korruption. Das kann passieren, muss aber nicht. "Es gibt überall Netzwerke, es gibt Beziehungen. Es wird auch zum Vor- und Nachteil bestimmter Gruppierungen auch Entscheidungen getroffen. In Köln ist der Klüngel auch deswegen - ich sage es mal in Anführungsstrichen - ein bisschen erkennbarer, ausgeprägter, weil er quer durch die Schichten geht. Hier ist der Klüngel offensichtlicher, in Westfalen ist er mehr heimlich." Offener Klüngel ist für Jürgen Roters typisch rheinisch - nahezu nicht vorstellbar in anderen Teilen von NRW. Eine emotionale Trennlinie. Genauso wie der Karneval. Der heutige Kölner Oberbürgermeister erinnert sich noch gut an den Besuch einer entsprechenden Unterhaltungssitzung in Westfalen. Die Karnevalsgesellschaft "Böse Geister" hatte nach Münster gebeten. Erinnerungen eines Rheinländers im westfälischen Karneval: "Es ist mehr so eine Gemeinschaftsfeier, die dort abläuft. Die könnte auch außerhalb des Karnevals sein. Man ist zusammen, ist fröhlich auch und genießt das Zusammensein. Aber dieses Ursprüngliche, dieses - ja auch - teilweise Widersprüchliche des Kölschen Fasteleer, den kann man nicht, weder nach Westfalen noch nach Hamburg, nach Berlin übertragen. Der ist hier im Rheinland verwurzelt. Und speziell auch in Köln, hier." Mangelnde Ernsthaftigkeit, dafür mehr Herzlichkeit - Rheinländer und Westfalen haben offenbar drastische kulturelle Unterschiede. Das stützt meine These: "Den" Nordrhein-Westfalen gibt es nicht! Oder ist das mit dem lockeren Rheinländer doch nur ein Klischee? Zurück zu Georg Mölich, dem rheinischen Heimatforscher. Er meint, dass die Rheinländer bei aller kommunikativen Offenheit oft ziemlich selbstbezogen sind. Der Wagemut, den der Oberbürgermeister beschrieben hat, entwickelt sich auch aus historischer Perspektive gerne gegen jede Form von Obrigkeit: "Den Rheinländern ist letztlich egal wer über ihnen steht, sie tun letztlich doch was sie wollen. Es wird natürlich sehr viel von den Preußen auf die Franzosenzeit geschoben. Nach dem Motto, diese 20 Jahre Schlendrian, das hat dem Volk nicht gut getan. Man kann sagen, vielleicht hat`s ihm gerade gut getan, aus unserer Perspektive heute." Und wie ist es heute? Grenzt sich das Rheinland wirklich noch so sehr gegen die Landesbrüder und - schwestern aus Westfalen ab? Ich frage nach in Köln bei Pascal Beucker, NRW-Korrepondent der bundesweiten Tageszeitung "taz". Manchmal muss er auch nach Westfalen. "Es ist einfach deutlich eine andere Mentalität. Wenn man auf einen CDU-Parteitag nach Münster fährt beispielsweise, und man fährt dann durch die westfälischen Dörfer, das ist schon ein etwas anderes Ambiente, als ich es hier aus dem Rheinland gewohnt bin." Seine Jugend- und Studienjahre freilich hat Pascal Beucker auch in Westfalen verbracht. Inzwischen fühlt er sich aber längst als Kölner, als Rheinländer. Und findet die Menschen im anderen Teil von NRW ganz klischeehaft befremdlich. "(lacht kurz) Die Leute dort sprechen anders, und man hat auch den Eindruck, dass sie etwas anders ticken, als man das hier so im Rheinland gewöhnt ist. Es wirkt alles etwas langsamer. Aber das sind natürlich Vorurteile, die der Rheinländer hat gegenüber dem Westfalen." Die Tageszeitung "taz", für die Beucker schreibt, hat genauso wie die "Süddeutsche" mal versucht, einen Regionalteil für Nordrhein-Westfalen zu machen. Beide Projekte wurden schnell wieder zu den Akten gelegt. "Wie werde ich Nordrhein-Westfale?" Diese Frage konnte man offenbar journalistisch- konzeptionell nicht beantworten. "Im Rheinland ist es so, dass sich alles um Köln quasi gruppiert. Das heißt, auch in Aachen interessiert man sich noch dafür, was hier in Köln - also quasi die Metropole des Rheinlandes - geschieht. Das ist in anderen Teilen Nordrhein-Westfalens dann schon wieder anders. Im Ruhrgebiet beispielsweise interessiert sich niemand, der in Duisburg lebt, dafür was in Essen geschieht oder was in Dortmund geschieht. Man hat also quasi überall seine kleinen Fürstentümer dort. Man weiß noch nicht mal, wer der Oberbürgermeister in der Nachbarstadt ist. Und man will es auch eigentlich gar nicht wissen." Dabei hätte es so einfach sein können, mit NRW als Kunstprodukt nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit Düsseldorf hatte man einen Regierungs- und Parlamentssitz gefunden, der durchaus verbindend war: "Die Landeshauptstadt Düsseldorf liegt irgendwie dazwischen. Von daher ist das gar keine schlechte Wahl gewesen. Sie zählt eigentlich noch zum Rheinland, ist aber sehr nah am Niederrhein dran, ist auch sehr nah am Ruhrgebiet dran. Es liegt halt irgendwo in der Mitte, quasi im Niemandsland." Letztlich hat das aber nicht viel genutzt. Rheinländer und Westfalen arbeiten im NRW-Landtag kaum aufrichtig zusammen, meint Pascal Beucker: "Auf jeden Fall gibt es Landsmannschaften im Landtag. Die jeweils versuchen, das Beste für sich rauszuholen. Man hat nicht unbedingt den Eindruck, dass es die Landesidentifikation dort gibt." Zuweilen stoßen rheinischer Wagemut und westfälische Zurückhaltung im Parlament heftig aufeinander. Den Rheinländern wird dabei gerne vorgeworfen, es mit den Regeln doch ein bisschen zu locker zu nehmen. "Der Umgang mit Affären war im Rheinland glaube ich nicht ganz so ernsthaft wie er sein sollte. Wenn man sich allein anguckt, was Adenauer hier als Oberbürgermeister in Köln gemacht hat, da schlägt man eigentlich die Hände heute über dem Kopf zusammen. Ich glaube aber schon, dass sich da inzwischen etwas langsam ändert." Sich für das Rheinland einzusetzen und nicht für irgendwelche anderen staatlichen Konstrukte, das hat in dieser Region Tradition. Das hat sie wirtschaftlich und politisch stark gemacht, weiß auch Historiker Georg Mölich. "Wir haben ja die Situation, dass gerade im Vormärz, also in der in der Zeit vor der Revolution 1848/49, hier im Rheinland eine sehr wirkmächtige Gruppe von Industriellen, von Bankers wie man sie heute nennen würde, politisch sehr aktiv war. Als rheinische Liberale. Und die haben als erste, wenn man so will, sehr stark mit einem Rheinlandbegriff politisch operiert, gegen Berlin, muss man dazu sagen." Und da ist der dann plötzlich: DER Nordrhein-Westfale. Der Mensch, der lebt in dem Bundesland, das besonders wirtschaftsstark ist, das das Verkehrskreuz im Westen ist, das zusammen steht gegen die da draußen in der Republik. "Man sagt das durchaus in einem positiven Sinne auch, wenn es um Verteilungskämpfe geht, die auf der politischen Ebene ausgetragen werden. Dann ist natürlich das mächtige Nordrhein-Westfalen innerhalb des Systems der Bundesrepublik ein Faktor, der durchaus ja auch von leitenden Politikern in der Vergangenheit aber auch in der Gegenwart immer stark ausgespielt wurde." Und in der Tat, gerade die Rheinländer legen großen Wert darauf, dass der frühere Regierungssitz Bonn immer noch Bundesstadt ist. So will man das provinzielle Denken überwinden, und nach Meinung von Georg Mölich könnte man da durchaus noch ein bisschen selbstbewusster auftreten. "Im allgemeinen politischen Diskurs spielt das an sich gar keine Rolle, welche Bedeutung dieses Land für die Erfolgsgeschichte, das darf man ja nun sagen, der Bundesrepublik Deutschland gespielt hat. Im politischen Sinne, im wirtschaftlichen Sinne, aber auch im mentalen Sinne. Die Bundesrepublik Deutschland war, das ist jetzt nicht nur meine Meinung, eine rheinische Republik." Und doch, Rheinländer und Westfalen, sie sind eben keine politische Einheit. Zuweilen wird hinter den Kulissen der Kampf gegen die Gemeinsamkeit, der Einsatz für die eigenen, regionalen Ziele, in einem gepflegten Gegeneinander ausgetragen. "Ich bin der Meinung, es wird manchmal sehr schnell überinterpretiert. Es gibt das immer, in Konfliktsituationen, oder in konkreten Konkurrenzsituationen. Es wär` ja auch nicht zu verstehen, wenn es nicht so wäre. Aber ich glaube nicht, dass das `ne mentale Disposition ist, diese Rivalitäten. Das kann ich mir so nicht, aus meinen Kenntnissen heraus ableiten. Das wird sehr stark pragmatisch eingesetzt, wenn`s nutzt. Aber es ist nicht sozusagen in den Hirnwindungen verankert." Die Rheinländer also als Separatisten - auch wenn Wissenschaftler Mölich meint, das solle man nicht überinterpretieren. Suchen wir also eine weitere Interpretation. In Düsseldorf, der Hauptstadt Nordrhein-Westfalens. Bei Landeshistoriker Guido Hitze. Also, wie ist das mit den Rheinländern? "Die Römer waren hier, die Franzosen waren hier, wir haben aus den Religionskriegen hier Exilanten aufgenommen, die sich dann angesiedelt haben. Wir haben eben Arbeitsmigration bis in die heutigen Tage. Wir haben die Heimatvertriebenen, Flüchtlinge aus dem Zweiten Weltkrieg. Das alles ist dann schon hier etwas zusammen geschmolzen. Ich denke, da hat das Rheinland auch einen gewissen Vorteil gegenüber den anderen Landesteilen gehabt, weil dort das gewisse Offene sehr hilfreich gewesen ist. Also, man hat nicht so gleich die Barrieren aufgebaut. Also, ich glaube in Westfalen dauerte das etwas länger, heimisch zu werden, wenn man von außen kommt." Und das Vorurteil vom lebenslustigen Rheinländer, die mangelnde Ernsthaftigkeit? Ist der Gefühlshaushalt der Rheinländer wirklich so anders als im Rest des Bundeslandes? Guido Hitze meint, ja: "Eben von Himmelhochjauchzend, Zutodebetrübt. Man sagt sehr schnell etwas zu, man ist sehr offen, lädt alle ein, umarmt alle, am nächsten Morgen kennt man keinen mehr. Das ist keine böse Absicht, es ist einfach nicht richtig verinnerlicht oder tief genug angesetzt. Diese Spontaneität und Lebensfreude ist sicher positiv. Diese daraus resultierende gewisse Unzuverlässigkeit kann eben auch einem negativ ausgelegt werden. Und da ist der Westfale schon zurück haltender, bodenständiger, aber ich denke auch ein bisschen berechenbarer." Es ist furchtbar, aber es geht, haben Kabarettisten über das Verhältnis zwischen Rheinländern und Westfalen gesagt. Da scheint einiges dran zu sein. Nordrhein-Westfalen, das künstliche Bindestrich- Land. "Es ist eine Vernunftehe geworden, ein Zweckbündnis. Nicht unbedingt eine Liebesheirat, bis heute nicht. Aber man ist doch rational genug, um das einzuordnen, dass man im Prinzip nur gemeinsam Erfolg haben kann." Die Rheinländer aber protzen gerne, stellen sich selbst in den Mittelpunkt, sehen sich als Nabel der Welt. DEM Nordrhein-Westfalen, zumindest dem politischen, ist das offenbar eher fremd. Das kann man schon am Beispiel der Staatskanzlei in Düsseldorf sehen. Untergebracht in einem schnöden Geschäftshaus. "Wenn man sich vorstellt, da kommt der bayerische Ministerpräsident oder ein anderer Repräsentant des Freistaates und steht hier erst mal vor einer Rolltreppe vor Zahnarztpraxen und Pizzerien, bevor man dann in die Bel Etage der Landespolitik gerät, das wäre in anderen Ländern völlig unvorstellbar. In Nordrhein-Westfalen meint man, oder meinte man vielleicht sogar, es gehört zum guten Ton, alles sehr nüchtern zu sehen, Understatement zu betreiben. Aber dadurch kann natürlich die eigene Wahrnehmbarkeit und das eigene Selbstbewusstsein ziemlich leiden." Aber trotzdem - gibt`s nicht wenigstens eine kleine Chance auf selbstbewusste Gemeinsamkeit? Also noch einmal die Frage an den Landeshistoriker Guido Hitze: Wie wird der Rheinländer zum echten Nordrhein-Westfalen? "Das Bewusstsein, es nur gemeinsam geschafft zu haben oder schaffen zu können, das wird das alles Entscheidende sein. Wer von außerhalb nach NRW kommt, in ein prosperierendes Land, in ein aufstrebendes, aufsteigendes Land, und nicht so sehr in diesem Kirchturmdenken verhaftet ist, das die Einheimischen noch sehr stark prägt, dann wird sich die Idee von Nordrhein-Westfalen als ein Erfolgsmodell irgendwann auch auf das Landesbewusstsein übertragen oder ein solches herausbilden." Bisher aber pflegen alle penibel ihre Eigenheiten. Der Rheinländer gefällt sich darin, anders zu sein als die Westfalen. Ich fahre in die Severinstraße in der Kölner Innenstadt, treffe mich mit dem Veedelsmanager Jörg Aue. Er hat in schon in allen Teilen der Republik gearbeitet. Hier im Vringsveedel, wie es die Einheimischen nennen, kommt seine rheinische Offenheit gut an. "Im urkölschesten Veedel dürfen und müssen Sie einfach hemdärmlig sein. Und müssen den Menschen zu verstehen geben, auch in gepflegtem Hochdeutsch, dass Sie hier ein Mensch "vun d`r Stroß" sind. Und wenn Ihnen das gelingt, dann haben Sie weder in Köln noch, glaube ich, in Westfalen ein Problem." Und wie ist das mit der Herzlichkeit, der Nähe, der spontanen Umarmung? Nur ein Klischee oder gelebte Realität? "Ich wusste, wie die eine oder andere Dame und Händlerin mich umarmte, am Armdruck. Also bevor ich mir ihren Namen merken konnte, wurde schon gebützt und umarmt. Also, ich muss sagen, die Herzlichkeit liegt den Menschen auf der Straße auf der Zunge, in den Armen. Sie müssen nur in der Lage sein, das zu erwidern. Im Prinzip heißt das, Sie müssen das über sich ergehen lassen, das ist gar nicht so schwer." (Atmo Café) Und so bleiben die Rheinländer eben Rheinländer und wollen nicht, dass sie zum Nordrhein- Westfalen werden. Klingt ja auch komisch. Das weiß auch Georg Mölich, beim Kaffee im Kölschen Eigelsteinviertel. Er ist glücklich, Rheinländer zu sein. "Wenn man auf einer großen Urlaubsinsel irgendwo im Mittelmeer sitzt, sagt man nicht, ich bin Nordrhein-Westfale. Man sagt dann im Schnitt, ich komme aus Köln, auch wenn man nicht aus Köln kommt. Das ist so der Ort, den man so drumherum mit eingemeindet dann. Oder man sagt eben vielleicht, ich bin Rheinländer. Nordrhein-Westfale, das wissen wir auch aus statistischen Erhebungen, sagt man nicht als Ich-Bezeichnung." Aha! Statistische Erhebungen! Ist also doch was Wissenschaftliches dran, am Selbstbewusstsein der Rheinländer, an der Abgrenzung gegenüber den Westfalen. Und im Alltag? Klappt`s da mit der nordrhein-westfälischen Landes-Integration? Ich frage Georg Mölich, ob er denn privat den Umgang mit Menschen aus dem anderen Teil von NRW pflegt. "Westfälische Freunde? (lacht) Ähm ... muss ich mal gerade überlegen. Ja, schon. Es sind einige dabei, die aus Westfalen stammen, klar. Doch, doch, doch ... Gibt es! Gibt es! Aber überschaubar." Naja, immerhin. Und wie geht das so, ganz privat, als Rheinländer mit Freunden aus Westfalen? "Prima. Die leben ja im Rheinland." MOD Wie werde ich Nordrhein-Westfale? Eine kleine Handreichung in einer verzwickten Angelegenheit, also in Sachen Selbstverständnis. Frank Überall verfasste sie, die Handreichung. Morgen dann im Länderreport ab 13.07 Uhr : Die Kunst, zu überleben. Der Erwerbslosenchor "La Bohème" in Leipzig. Am Mikrofon verabschiedet sich von Ihnen Claus Stephan Rehfeld. -ENDE Ablaufplan-