Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Die Scheinheiligen Macht, Privilegien und Ungleichheit in der katholischen Kirche Autorin: Gaby Mayr Regie: Claudia Kattanek Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk/SR 2022 Erstsendung: Dienstag, 01.11.2022, 19.15 Uhr Es sprachen: Hildegard Meier und Bernt Hahn Ton und Technik: Sascha John Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - TAKE 1 (KENNUNG RAHMEN) NICHT IM ZUSPIEL! TAKE 2 (O-TON TYRYCHTER) "Wir tun das, was sonst keiner tut. Das ist unser Bild." TAKE 4 (O-TON JÜSTEN) "Insbesondere aus dem Frauenbereich gab´s ja dann auch sehr viel Widerstand, und der war ja dann auch heftig und dann wurde ja auch mit Polemiken nicht gespart, also das sind wir eigentlich schon seitdem gewohnt." TAKE 6 (O-TON TYRYCHTER) "Wir legen keinen großen Wert auf irgendwelche kirchlichen Sonderrechte, wir können sie aber auch nicht abschaffen." TAKE 7 (O-TON LIESENFELD) "Wir haben ja gesagt, das habe ich Ihnen ja auch schriftlich schon ausgedrückt, dass wir Ihnen keine Zahlen präsentieren entsprechend." TAKE 8 (O-TON JÜSTEN) "Ich bin hier für absolute Transparenz." SPRECHER: Die Scheinheiligen Macht, Privilegien und Ungleichheit in der katholischen Kirche Ein Feature von Gaby Mayr TAKE 9 (KENNUNG BERLIN) NICHT IM ZUSPIEL! SPRECHERIN Berlin. Hauptstadt, Sitz von Parlament und Regierung, Arbeitsplatz von 6000 Interessenvertretern und Lobbyistinnen - von A wie Automobil- bis Z wie Zuckerindustrie. Mittendrin "K" wie "Kommissariat der Deutschen Bischöfe". TAKE 10 (O-TON JÜSTEN) "Ich leite das Kommissariat der Deutschen Bischöfe, das ist das Verbindungsbüro der Katholischen Kirche zu allen Organen des Bundes und zur Europäischen Union." SPRECHERIN Karl Jüsten empfängt mich in einem hellen Konferenzraum in den "Katholischen Höfen". Das Gebäueensemble mit Verwaltungssitz, Hotel und Kirche aus den 1990er Jahren liegt zentral im Ostteil der Stadt. Prälat Jüsten, Anfang 60, leitet das Katholische Büro mit 16 Beschäftigten seit mehr als 20 Jahren. Er erklärt mir seinen Titel - aus Vorsicht, wegen Corona, sitzen wir weit voneinander entfernt: TAKE 11 (O-TON JÜSTEN) "Ein Prälat ist ein päpstlicher Ehrentitel. Üblicherweise bekommt man diese Ehrung, wenn man herausragende Leistungen vollbracht hat, und bei mir ist es im Grunde genommen eine Ausstattung zum Büro geworden, so dass ich von der Rangordnung protokollarisch wie ein Staatssekretär behandelt werden kann." SPRECHERIN Interessenvertretung auf Staatssekretärsebene - das hebt Kirchenmann Jüsten deutlich heraus aus der Lobbyistenschar. Und er hat weitere, besondere Zugänge zu Abgeordneten. TAKE 12 (O-TON HIRTE) "Ich hab Prälat Jüsten zunächst im Wesentlichen als denjenigen wahrgenommen, der den katholischen Gottesdienst hält und der im Zweifel auch als Ansprechpartner zur Verfügung steht." SPRECHERIN Christian Hirte, seit 2008 CDU-Abgeordneter aus Thüringen und Sprecher des Kardinal-Höffner-Kreises, einer losen Vereinigung katholischer Abgeordneter der Fraktion. TAKE 13 (O-TON HIRTE) "Das wichtigste strukturelle Momentum des Kardinal Höffner-Kreises ist tatsächlich der wöchentliche Gottesdienst am Donnerstagmorgen um 7.30 Uhr, wo man gemeinsam Messe feiert, und es findet ja nach diesem katholischen Gottesdienst auch ein Frühstück statt, wo man locker ins Gespräch kommt und natürlich auch die großen und die ethischen Fragen mit in den Blick nimmt." <> SPRECHERIN Monika Grütters gehört ebenfalls zum Kardinal Höffner-Kreis. Die langjährige Staatsministerin für Kultur unter Angela Merkel ist Abgeordnete für den Wahlkreis Berlin-Reinickendorf. In ihrem Büro weist sie auf ein Kreuz: TAKE 15 (O-TON GRÜTTERS) "Mein Kreuz, das eine kleine Version des Kreuzes ist, das bei uns im Fraktionssitzungssaal der CDU-Fraktion hängt und von dem ich glücklicherweise mal eine kleine Ausgabe mir hab vom Künstler machen lassen können. <> <> SPRECHERIN Karl Jüsten kennt sie schon aus Jugend- und Studienzeiten. TAKE 16 (O-TON GRÜTTERS) "Der Karl Jüsten ist ein sehr nahbarer Mensch. Dann ist er natürlich auch Seelsorger für alle die Menschen, die der Seelsorge im politischen Betrieb bedürfen, und das darf man nicht unterschätzen, das sind viele. Und wir treffen uns auch in parteipolitisch sehr gemischten Kreisen mit ihm." SPRECHERIN Entwicklungspolitik, Umgang mit Geflüchteten, Rüstungskontrolle, Klimakrise - bei diesen Themen agiert Karl Jüsten oft gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen. Bekannter - und umstritten - ist das Katholische Büro für seine Arbeit zu ethischen Fragen, von Sterbehilfe bis Präimplantationsdiagnostik. Und immer wieder: Schwangerschaftsabbruch. <> TAKE 18 (O-TON HIRTE) "Prälat Jüsten, wie auch der Prälat der evangelischen Kirche, haben immer, wenn sie das wollen, Zugang zu der Fraktionsspitze der CDU/CSU gehabt und haben das auch künftig." SPRECHERIN Auch außerhalb der christlichen Fraktion findet der Prälat Zuspruch. TAKE 19 (O-TON BUBENDORFER) "Ich würde ihn sehr frei beschreiben. Kein konservativer Vertreter, eher ein Reformer. So sind seine Messen, seine Ansprachen, seine Predigten." SPRECHERIN Sandra Bubendorfer-Licht sitzt für die FDP im Bundestag und ist seit 2021 religionspolitische Sprecherin der Fraktion. TAKE 20 (O-TON BUBENDORFER) "<> Prälat Jüsten hat mich ja auch schon gefragt, ob ich nicht eine Lesung halte oder eine Fürbitte lese." SPRECHERIN Womöglich noch wichtiger als die Abgeordneten sind für Lobbyisten die Verantwortlichen in den Ministerien. Oft sind sie es, die Gesetzentwürfe formulieren. Nach dem Interview mit Prälat Jüsten erfahre ich, dass er ein paar Stunden vor unserem Gespräch bei Justizminister Buschmann war. Davon hat er nichts erzählt. Das musste er natürlich nicht. Auch im Lobbyregister, das seit Anfang 2022 eingerichtet ist, müssen Kirchen sich nicht eintragen. TAKE 21 (KENNUNG BREITBRUNN) - NICHT IM ZUSPIEL! TAKE 22 (ATMO AMMERSEE) - MEHRERE ATMOS ZUR VERWENDUNG SPRECHERIN Breitbrunn am Ammersee. Einst ein Fischerdorf, heute sind im Sommer Fährschiffe und Segelboote, Stehpaddlerinnen und Surfer auf dem See unterwegs. München ist nicht weit. Bei gutem Wetter sieht man die Alpen. TAKE 23 (ATMO VÖGEL) SPRECHERIN Das Dorf liegt zwischen zwei Hügeln, auf dem einen die alte katholische Kirche mit Friedhof. Mitten im Ort eine umzäunte, schwer einsehbare Grünanlage, die bis hinunter zum Uferweg reicht, darauf mehrere Gebäude. Ein Schild gibt Auskunft: Das Dominikus Ringeisen-Werk betreibt hier eine Einrichtung für Menschen mit Handicap. SPRECHER Das katholische Dominikus Ringeisen-Werk betreut an über 30 Standorten in Bayern mehr als 5000 behinderte Menschen und hat rund 4600 Beschäftigte. SPRECHERIN Ich besuche Breitbrunn seit Jahren. Meine Mutter hat dort lange gelebt. Menschen mit Handicap habe ich kaum gesehen. Leute aus Breitbrunn teilen meinen Eindruck. Ich beginne nachzufragen. Das Ergebnis: Eine Antwort - und viele neue Fragen. TAKE 24 (MUSIKAKZENT) NICHT IM ZUSPIEL! TAKE 25 (O-TON HERMANS) "Wir betreuen hier am Standort derzeit 77 Menschen, schwerpunktmäßig mit geistigen Behinderungen, mehrfach behinderte Menschen." SPRECHERIN Regina Hermans, beim Dominikus Ringeisen-Werk Leiterin der Region Oberbayern und zuständig für Breitbrunn. TAKE 26 (O-TON HERMANS) "Wir haben hier am Standort weiterhin eine Förderstätte mit 42 Plätzen, das heißt eine Tagesstruktur für Menschen mit Behinderungen, die nicht in eine Werkstätte gehen können." SPRECHERIN Wir sitzen in einem Saal mit Glasfront zur Straße. An der Wand hängt ein großes Kruzifix, der ausgemergelte Gekreuzigte blickt zu Boden. Das Dominikus Ringeisen-Werk erhält für seine Arbeit sogenannte Regelsätze, abgerechnet wird pro betreute Person. Die Sätze handelt das DRW, wie jedes Sozialunternehmen, mit den öffentlichen Geldgebern aus. Die Kirche zahlt nach Angaben der Regierung von Oberbayern keinen Cent. TAKE 27 (O-TON HERMANS) "Unsere Menschen können nicht auf der Straße ohne Begleitung hier in Breitbrunn sein und die können auch nicht an dem normalen Leben teilnehmen. <> und wir haben schon Menschen, die auch vollumfänglich gepflegt werden." SPRECHERIN <> Zwei qualifizierte Außenstehende mit Zugang zur Einrichtung und zu den Behinderten versichern mir, sie hätten einen guten Eindruck von der Betreuungsarbeit. Auf dem Schild am Eingang zum Gelände steht aber noch ein weiterer Name: SPRECHER "St. Josefskongregation Franziskanerinnen Ursberg". SPRECHERIN Die St. Josefskongregation ist ein katholischer Orden. Im Dorf ist immer vom "Kloster" die Rede. Warum steht der Name dort? Das Einfachste wäre, meine Fragen in einem Interview zu stellen: Zur Geschichte des Ordens, zum spirituellen Hintergrund und zur Verbindung zwischen Sozialunternehmen und Kongregation. Meine Bitte um ein Gespräch schicke ich per Mail an die Pressestelle des Ordens und nenne, wie das üblich ist, einige Stichworte. Die Antwort des Verantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit kommt per Brief: SPRECHER "Ihre Fragen, wieviel Grundsteuer die St. Josefskongregation bezahlt oder welche Grundstücke in unserem Eigentum sind, welche staatliche Unterstützung wir bekommen, will ich nicht beantworten, da es sich um interne Angelegenheiten handelt, die nicht für die Allgemeinheit bestimmt sind." TAKE 24 (MUSIKAKZENT) SPRECHERIN Über ein halbes Jahr später, nach zahlreichen Mails und Telefonaten, bekomme ich schließlich doch ein Interview - allerdings nicht mit einer Vertretung der Kongregation, sondern mit drei Verantwortlichen des Ringeisen-Werks. Darunter Regina Hermans. Alle drei DRW-Verantwortliche dürfen auch für den Orden sprechen. TAKE 28 (O-TON TYRYCHTER) "Die St. Josefskongregation wurde im Jahr 1897 von Dominikus Ringeisen gegründet, und er hat diese Schwesterngemeinschaft gegründet, weil er Arbeitskräfte für die Versorgung der vielen behinderten Menschen, dafür suchte er Arbeitskräfte. Er wollte übrigens eine Brüdergemeinschaft auch noch dazu gründen." SPRECHERIN Wolfgang Tyrychter ist Mitglied im vierköpfigen - übrigens ausschließlich männlich besetzten - DRW-Vorstand. Aus der Brüdergemeinschaft wurde nichts. Aber Schwestern traten in den Orden ein - ab 1897 waren es rund 1700. TAKE 29 (O-TON TYRYCHTER) "Das Gelübde, mit dem die Schwestern sich in den Dienst der Ordensgemeinschaft stellen, geloben sie die Armut, die Kinderlosigkeit und letztlich den Gehorsam gegenüber der Ordensgemeinschaft." SPRECHERIN Aufopferungsvoller Dienst an den Schwächsten - und das, jedenfalls heutzutage, nicht gerade für Gotteslohn, aber ohne eigenes materielles Interesse: So sieht sich die St. Josefskongregation. Die Schwesterngemeinschaft, die ihr Gründer nach einem Mann benannt hatte, bezog ein ehemaliges Kloster in Ursberg im Landkreis Günzburg, südlich der Donau. Dominikus Ringeisen hatte für die während der Säkularisation enteignete Anlage 20.000 Mark geboten. "Das Ministerium ging auf das etwas niedrig erscheinende Angebot ein", heißt es in einer Festschrift des Ordens. SPRECHER Die katholische Kirche beklagt bis heute die Enteignungen vor über 200 Jahren. Als Entschädigung erhält sie seitdem jedes Jahr sogenannte Staatsleistungen. Alle Bundesländer - außer Bremen und Hamburg - zahlen. Bayern hat 2021 eine "Staatsleistung" in Höhe von 76 Millionen Euro an die katholische Kirche überwiesen. Davon werden zum Beispiel "Beiträge zum Betrieb der bischöflichen Priester- und Knabenseminare" bezahlt sowie Renten für die Bischöfe. <> SPRECHERIN Ursberg, die Zentrale der St. Josefskongregation - das ist heute eine wuchtige Klosteranlage mit Rokokokirche, langgestrecktem, mehrstöckigem Wohngebäude für die Schwestern, mit einem großen Verwaltungstrakt und Klosterbräuhaus. Dazu ein Gymnasium, Kapelle und Reitstall, Werkstätten und Wohnhäuser. Die Bäckerei führt auch religiöse Artikel. <> Das Geschäftsmodell war einfach. Die Schwestern betreuten Menschen mit Handicap, Staat und Versicherungen zahlten: Miete für die Räumlichkeiten, Gehälter für die Pflegekräfte. Nach diesem Muster arbeiten alle Sozialunternehmen in Deutschland. Der Unterschied: Nur die Schwestern gelobten Armut. TAKE 30 (O-TON TYRYCHTER) "Im individuellen Sinne sind die Schwestern arm. Also die einzelne Schwester an sich. Die Ordensleute haben ja dieses Einkommen, das sie erwirtschaftet haben, nicht für sich verwendet, sondern sie haben es auf Grundlage ihres Armutsgelübdes natürlich in die Ordensgemeinschaft eingebracht. " SPRECHERIN Trotz des Armutsgelübdes leben die Schwestern - auch individuell - nicht schlecht. Zwar kann sich eine Schwester keine schicken Klamotten kaufen, kein eigenes Auto und keinen eigenen Laptop. Aber die Unwägbarkeiten des Lebens, die Menschen außerhalb der Klostermauern auch im wohlhabenden Deutschland umtreiben, kennen sie nicht: TAKE 31 (O-TON TYRYCHTER) "Mit dem Eintritt in den Orden übernimmt der Orden die Verantwortung auch für die Daseinsvorsorge des einzelnen Ordensmitglieds. Einerseits verzichten die Ordensmitglieder, andererseits aber ist für ihr Dasein gesorgt. Dach überm Kopf, Ernährung, Existenzsicherung." SPRECHERIN Außerdem Krankenversicherung und Betreuung im Alter. Andere Pflegebedürftige und ihre Familien müssen dafür mitunter viel Geld aufwenden. TAKE 32 (O-TON TYRYCHTER) "Da müssen die sich keine Sorgen machen." SPRECHERIN Ein lebenslanges Rundum-Sorglos-Paket für die Ordensmitglieder. <> Mit Armut hat das nichts zu tun. TAKE 9 (KENNUNG BERLIN) TAKE 33 (O-TON HIRTE) "Wenn man 1 zu 1 übersetzt, was Auffassung der katholischen Kirche ist, dann dürfte es gar keine Schwangerschaftsabbrüche geben." SPRECHERIN Der katholische CDU-Abgeordnete Christian Hirte bringt die Haltung seiner Kirche zu einem ihrer politischen Kernthemen auf den Punkt. SPRECHER Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland im Strafgesetzbuch geregelt - gleich hinter Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen. Abtreibung wird vor der 12. Woche nur dann nicht bestraft, wenn die Frau sich beraten lässt - auch wenn sie genau weiß, dass sie den Abbruch will. Anschließend muss sie drei Tage bis zum Abbruch warten. Jedes Jahr beenden in Deutschland rund 100.000 Frauen eine Schwangerschaft vorzeitig. TAKE 34 (O-TON BUBENDORFER) "Ich komme aus Ampfing, im Herzen von Oberbayern, in Altbayern, das ist im Landkreis Mühlendorf, im Wahlkreis Altötting. Die katholische Kirche ist da natürlich sehr, sehr stark, der Wallfahrtsort und so." SPRECHERIN Die katholische FDP-Bundestagsabgeordnete Sandra Bubendorfer hat den Widerstand ihrer Kirche gegen die Streichung von §219a, der "Werbung" für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellte, nicht gutgeheißen. Doch mit dieser Streichung ist das Thema Schwangerschaftsabbruch nicht erledigt. Ungewollt schwangere Frauen haben es in ihrem Wahlkreis besonders schwer. Es gibt nur eine Stelle für die gesetzlich zwingend vorgeschriebene Beratung vor einem Abbruch: Die katholische Einrichtung Donum Vitae. TAKE 35 (O-TON BUBENDORFER) "Der Weg da in die Donum Vitae, wenn dich jemand sieht, du gehst da hinten rein, die bieten natürlich auch andere Beratung. Aber jeder denkt wahrscheinlich sofort, ach, die junge Frau, die geht zur Konfliktberatung. Auch allein das ist schwierig." SPRECHERIN Nach der Beratung ist der Abbruch noch weit entfernt - im wahrsten Sinne des Wortes. TAKE 36 (O-TON BUBENDORFER) "Dann eine Einrichtung zu finden, einen Arzt zu finden, der das macht, auch das ist sehr schwierig. Wir haben sehr, sehr wenige. Der nächste ist in München, und es soll ja relativ im Verdeckten bleiben." SPRECHERIN Von Altötting nach München sind es rund 100 Kilometer. TAKE 24 (MUSIKAKZENT) SPRECHERIN Alicia Baier, Anfang 30, ist Ärztin und Mitbegründerin des Vereins Doctors for Choice Deutschland: Ärztinnen und Ärzte setzen sich dafür ein, dass ungewollt schwangere Frauen einen sicheren Abbruch bekommen und ihnen der Weg dorthin nicht erschwert wird. TAKE 37 (O-TON BAIER) "Der Schwangerschaftsabbruch ist weiterhin ein Straftatbestand, und das führt dazu, dass Ärzt_innen lieber die Finger von diesem Eingriff lassen und dass es immer weniger Ärzt_innen gibt, die Abbrüche durchführen und dass diejenigen, die noch Abbrüche durchführen, dann immer mehr Abbrüche machen müssen, also das auf den Schultern einiger weniger verteilt wird." <> SPRECHERIN Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen, sind obendrein - wie alle anderen Menschen - mit FakeNews konfrontiert. TAKE 39 (O-TON BAIER) "Ich hab Interviews geführt mit Medizinstudierenden in einer qualitativen Studie und war sehr überrascht, dass eigentlich alle die Pflichtberatung befürwortet haben, und zwar vor allem aus dem Grund, dass man die Frauen warnen müsse vor möglichen Folgen wie Reue, Traumatisierungen, Depressionen. Das war sehr erschreckend zu sehen, wie stark dieser Abtreibungsmythos, würde ich ihn nennen, bei den Mediziner_innen verankert ist. Wir wissen aus Studien, dass es in den wenigsten Fällen zu schwerwiegenden psychischen Folgen kommt, aber das ist sehr verankert." SPRECHERIN Tatsächlich gibt es Frauen, die unter ihrer Entscheidung für einen Abbruch leiden: Frauen, die gerne ein Kind gehabt hätten, sich aber außerstande sahen, es zu bekommen. Und gläubige Frauen, deren Kirche massiv gegen Abtreibung auftritt und ihnen ein schlechtes Gewissen macht. Auch beim Interview mit Prälat Jüsten geht es um eine mögliche Traumatisierung durch Schwangerschaftsabbruch. Die sei durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt, sagt der Geistliche. Hat er derartige Studien gelesen? TAKE 40 (O-TON JÜSTEN) "Ich selber habe sie nicht gelesen, ich habe nur von ihnen gehört, muss ich richtigerweise sagen." SPRECHERIN Mit Frauen, die einen Abbruch vornehmen ließen, hat Prälat Jüsten nicht gesprochen. TAKE 41 (O-TON JÜSTEN) "Also in dem Fall habe ich über diese Sachen gelesen, muss ich richtigerweise sagen. Und habe mit unseren eigenen Fachstellen gesprochen." SPRECHERIN Jüstens oberster Chef, der oft als liberal bezeichnete Papst Franziskus, hat Schwangerschaftsabbruch mit "Auftragsmord" verglichen. Prälat Jüsten beschränkt sich auf religiöse Kategorien: TAKE 42 (O-TON JÜSTEN) "Wir lehnen Schwangerschaftsabbrüche ab. F. Und ist es eine Sünde? Ja. F. Eine schwere Sünde? Auch ja. LACHT LEICHT F. Eine Todsünde? Auch ja." TAKE 43 (KENNUNG UNGLEICH) NICHT IM ZUSPIEL! TAKE 44 (O-TON MARTA) "Die Person hat eine Art Vorbildsrolle in einer Gemeinde, und ich denke, sie repräsentieren auch die Gemeinde in gewisser Weise." SPRECHERIN Marta über die Rolle des Priesters in der katholischen Kirche. Marta besucht die Oberstufe der katholischen St. Johannis Schule in Bremen. Ihre Religionslehrerin hat im Unterricht gefragt, wer zum Interview mit mir bereit wäre. Auch Felix und Emma haben sich gemeldet. TAKE 45 (O-TON FELIX) "Als Vorbildfunktion denke ich vor allem daran, dass ein Priester eine Beraterfunktion hat, das heißt, dass Gemeindemitglieder einen Priester um Rat fragen können." TAKE 46 (O-TON EMMA) "Also er leitet einen sozusagen auf dem ganzen Weg lang." SPRECHERIN Die Geistlichen spielen in der katholischen Kirche eine herausragende Rolle. Aber warum dürfen nur Männer geweiht und damit Priester, Bischof und Papst werden? Die Frage interessiert mich, denn ich möchte wissen, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass die katholische Kirche Kitas und Schulen betreiben darf, wo Kinder und Jugendliche prägende Erfahrungen machen - und das, obwohl die Religionsgemeinschaft gegen Artikel 3 des Grundgesetzes verstößt, der Gleichbehandlung fordert. Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz, soll meine Fragen beantworten - er wurde mir vom Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz genannt. TAKE 47 (O-TON KOHLGRAF) "Das sind eigentlich zwei traditionelle Begründungen. Das eine ist so eine Art Narrativ, was man entwickelt hat, bereits schon im ersten Jahrhundert, also Christus sendet die Apostel, Männer jetzt in dem Fall. Das Zweite ist, dass der Priester gerade in der Liturgie Christus repräsentiert, und im Epheserbrief im Neuen Testament steht ein Bild: Wie der Bräutigam gegenüber der Braut. Das ist sozusagen diese männliche Rolle." SPRECHERIN Eine Erzählung, bei der nur Männer Apostel sind - in der theologischen Forschung ist das durchaus umstritten. Und was das Bild von Braut und Bräutigam angeht - da ist die Autorschaft von Paulus ebenfalls umstritten. Außerdem: Paulus selber, wäre er denn der Autor, erntet mit der eindeutig von ihm stammenden Äußerung, Frauen sollten in der Gemeinde schweigen, viel Kritik. Die Weihe allein von Männern steht also theologisch auf tönernen Füßen. Das weiß auch der Mainzer Bischof: TAKE 48 (O-TON KOHLGRAF) "Mir ist völlig klar, und das erlebe ich ja auch als Bischof, dass das viele Menschen so nicht mehr überzeugt." SPRECHERIN Dennoch ist ein Ende der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern in der katholischen Kirche nicht absehbar. <> da ist die weltweite Riege der männlichen Bischöfe und Kardinäle mit dem Papst an der Spitze davor. Warum darf nun eine solche Religionsgemeinschaft in Deutschland Kitas und Schulen betreiben? Es ist nicht vorstellbar, dass ein anderer privater Schulträger, der in seinen Statuten Frauen von entscheidenden Posten seiner Organisation ausschließt, Einrichtungen für Kinder und Jugendliche führen dürfte - noch dazu ganz überwiegend finanziert aus öffentlichen Geldern. Das sogenannte "Selbstbestimmungsrecht" staatlich anerkannter Religionsgemeinschaften "mit Körperschaftsstatus", aus der Weimarer Verfassung übernommen, macht es möglich.... TAKE 49 (O-TON LEY) "... dass sie innerhalb ihres eigenen innerkirchlichen Bereichs, der in der Verfassungsrechtsprechung sehr weit gefasst wird und auch karitative Tätigkeiten, Bildungseinrichtungen usw. umfasst, auch ihr eigenes Recht setzen können und eben eine Freiheit genießen, die ihnen erlaubt, sich nach anderen Ordnungsvorstellungen zu organisieren als der Staat es für sich selbst für verbindlich hält." SPRECHERIN Erklärt Isabelle Ley. Die Juristin arbeitet am Max Planck-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht und schreibt an ihrer Habilitation. Sie ist Katholikin. Deshalb beschäftigt sie die Frage, wie ihre Kirche, die Männer und Frauen nicht gleichbehandelt, und das Grundgesetz zueinander stehen. Das Selbstbestimmungsrecht erlaubt der katholischen Kirche zum Beispiel, Angestellten in ihren Kitas, Krankenhäusern und Schulen Vorschriften zu ihrer persönlichen Lebensführung zu machen: <> Verfassungsmässige Rechte können demnach in kirchlichen Einrichtungen ausgehebelt werden. Eigentlich formuliert das Grundgesetz Verpflichtungen für den Staat. Es wirkt aber auch über den Staat hinaus. Und zwar zunehmend. TAKE 50 (O-TON LEY) "Da haben die Gerichte in der Tat, auch ausgelöst durch den Europäischen Gerichtshof, in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer stärker in diese Richtung gewirkt - dass nämlich auch unter Privaten das Gleichheitsgebot auch eine immer stärkere Rolle spielt." SPRECHERIN Deutsche Gerichte haben dazu in jüngster Zeit zwei wichtige Urteile gefällt: Eine Freimaurerloge, die nur Männer zu ihren zentralen Tempelritualen zulässt, verlor den Status der Gemeinnützigkeit und die daraus folgenden finanziellen Vorteile. Und eine Traditionsveranstaltung in Memmingen wurde nach der Klage einer Memmingerin verurteilt, zum sogenannten Ausfischen, also dem jährlichen Fangen von Forellen im städtischen Bach, Frauen zuzulassen. Wird dieser neue Tenor in der Rechtsprechung sich auch auf die katholische Kirche auswirken - in dem Sinne, dass sie die Grundrechte beachten muss? Jedenfalls dann, wenn sie öffentliche Gelder erhalten will? <> TAKE 52 (O-TON LEY) "Da sehen wir im Moment die Situation, dass der Druck von außen steigt, in der Tat, auch durch solche Urteile, und die Frage immer drängender wird: Darf das passieren mit den Mitteln des Staates? Ich denke, wenn der politische Wille da wäre, dass da sich eine breite politische Mehrheit finden würde, könnte man das natürlich auch durch Verfassungsänderung ändern." SPRECHERIN Also keine Sonderrolle mehr für eine Kirche, die diskriminiert? Das scheint, trotz rapide sinkender Mitgliederzahlen, eher weit entfernt. <> SPRECHERIN In seinem Arbeitszimmer im Bischofshaus, vor reich bestückter Bücherwand, erklärt Peter Kohlgraf mehrfach, dass er es versteht, wenn Gläubige nicht länger hinnehmen wollen, dass Frauen nicht Priesterin werden können. Dass es sich beim Ausschluss von Frauen durch Männer um eine Machtfrage handelt - wie überall in Politik und Wirtschaft bis zum Sport - bestreitet der Mittfünfziger dagegen vehement. Und so wichtig scheinen ihm gleiche Rechte für alle Gläubigen dann doch nicht zu sein. TAKE 54 (O-TON KOHLGRAF) "Es gab mal einen Offenen Brief der Gruppe Maria 2.0 und die haben argumentiert, viele der Bischöfe und Priester gerieren sich wie Sonnenkönige. Und da scheint´s mir zielführender zu sein, erstmal dieses Amt dieses Sonnenkönigs mal genauer anzuschauen als neben den Sonnenkönig eine Sonnenkönigin zu setzen." SPRECHERIN Das Grundgesetz äußert sich nicht zu Prunksucht und Protzgehabe. Wohl aber zum Verbot von Diskriminierung. Und zwar sehr klar. Emma, Felix und Marta aus der Oberstufe der katholischen St. Johannis Schule in Bremen haben ebenfalls eine klare Meinung: TAKE 55 (O-TON EMMA) "Wenn man die Hälfte der Menschheit ausschließt, wenn man zu den weiblichen Menschen auf dieser Welt sagt: Nee, ihr könnt das nicht, weil ihr bestimmte Defizite habt - meiner Meinung nach ist das total falsch." TAKE 56 (O-TON MARTA) "Das ist einfach sexistisch, dass die Hälfte der Menschheit dieses Amt nicht annehmen darf." TAKE 57 (O-TON FELIX) "Meiner Meinung nach können das beide einnehmen, beide Geschlechter. Also Mann und Frau. Oder halt auch andere Geschlechter, egal." TAKE 21 (KENNUNG BREITBRUNN) SPRECHERIN Die Schwestern der St. Josefskongregation mögen bescheiden leben - ihr Orden ist nicht arm. Das zeigt bereits ein flüchtiger Blick auf seine Immobilien in interessanter Lage - in Ursberg, auch in Breitbrunn. TAKE 58 (O-TON TYRYCHTER) "Die Schwestern haben dieses Vermögen angespart, durch ihre Arbeitsleistung, über viele Jahrzehnte, und einen nicht stattgefundenen Konsum." SPRECHERIN Ich bitte um Zahlen, um eine Größenordnung wenigstens: Wieviel haben die Schwestern zur Seite gelegt, um all die Gebäude erhalten, erweitern und modernisieren zu können? Wolfgang Tyrychter ist gelernter Diplompädagoge und im Vorstand des Ringeisen-Werks zuständig für "Teilhabe und Assistenz". <> Pressesprecher Manuel Liesenfeld, dritter Interviewteilnehmender unterm Kruzifix, springt seinem Chef zur Seite. TAKE 59 (O-TON LIESENFELD) " Wir haben ja gesagt, das habe ich Ihnen ja auch schriftlich schon ausgedrückt, dass wir Ihnen keine Zahlen präsentieren. Das hat uns bisher nicht beschäftigt, muss ich sagen. Uns bewegen ganz andere Sachen in unserer täglichen Arbeit. Das sind nicht in erster Linie die wirtschaftlichen Kennzahlen oder die Notwendigkeit, nach außen hin unsere wirtschaftlichen Kennzahlen irgendwie nachweisen oder herleiten zu müssen." <>" SPRECHERIN Wovon Wolfgang Tyrychter nicht spricht: Von den Pflegesätzen, die - jedenfalls seit den 1970er Jahren - die Betreuung von Menschen mit Handicap - gewährleisten sollen. Die öffentlichen Kassen zahlen - sowohl für die Betreuung der Pflegebedürftigen also auch für die Instandhaltung und Modernisierung der dafür nötigen Gebäude. Pflegesätze bekommt natürlich auch das Ringeisen-Werk - und zahlt davon zum Beispiel Miete an den Orden. Regina Hermans hält am Bild von Armut und Opferbereitschaft des Ordens fest: TAKE 62(O-TON HERMANS) "Ich kann nur sagen, dass die St. Josefskongregation von 96 bis 2008 alle Gebäude neu gebaut hat, ohne eine öffentliche Förderung. Sie hat hier investiert, und zwar für die Menschen mit Behinderung, weil sie das als Auftrag sieht." SPRECHERIN Auch 2022 ragt in Breitbrunn wieder ein Kran in den Himmel. Immer alles vom Orden finanziert? Oder Vielleicht doch auch aus öffentlichen Quellen? Auf Anfrage erklärt das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus: SPRECHER "Subventionen ... erhält die Kirche wie andere Träger auch, etwa in den Bereichen Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen.... Subventionen verfolgen einen vom Staat gewünschten ... Zweck.... Eine Aufstellung über die verschiedenen Subventionen existiert nicht." SPRECHERIN Und manchmal hat der bayerische Ministerpräsident obendrein Spendierhosen an. Kurz vor der Landtagswahl 2018 zum Beispiel, da lässt Markus Söder sein Kabinett im Kloster Ursberg tagen. In der Zentrale der St. Josefskongregation verkündet er ein 400 Millionen Euro schweres Investitionsprogramm zur Schaffung kleiner, flexibler Wohneinheiten für Menschen mit und ohne Behinderung. TAKE 63 (O-TON SÖDER) "Es gehört zum sozialen, zum ethischen, aber auch zum christlichen Anspruch dieser Regierung dazu, dass sie sich ganz besonders um die Menschen kümmert, die nicht allein von der Sonnenseite zunächst mal beschienen sind..." SPRECHERIN Von dem Geld hätten sie bisher nichts erhalten, sagt Wolfgang Tyrychter. Auf Nachfrage reagiert das zuständige Ministerium erstaunt. SPRECHER "Dem DRW waren bereits 2019 Fördergelder.... bewilligt worden. Diese Fördergelder wurden entsprechend dem Baufortschritt bereits weitestgehend ausbezahlt.... Abfinanzierungsausstände in Höhe von 1,4 Millionen Euro können nicht nachvollzogen werden." SPRECHERIN Auf Nachfrage korrigiert DRW-Pressesprecher Liesenfeld seinen Vorgesetzten und nennt sogar einen Betrag von über 2,2 Millionen Euro, die geflossen seien. TAKE 24 (MUSIKAKZENT) SPRECHERIN Professor Lars Hummel ist eine Rarität: Er ist Experte für Steuerrecht und für Kirchenrecht. In seinem kargen Ausweichbüro an der Universität Hamburg erklärt er, wie Steuerfragen behandelt werden, wenn es um Einrichtungen der Kirche geht: TAKE 64 (O-TON HUMMEL) "Die Kirche handelt im Rahmen ihrer eigenen Rechtsordnung. Staatliche Akteure reagieren darauf." SPRECHERIN Auch bei den Steuern wirkt das Selbstbestimmungsrecht also zum Wohle der Kirchen. Außerdem nutzen Kirchen für sie vorteilhafte Regeln der deutschen Wirtschaftsordnung gerne, erklärt Lars Hummel. TAKE 65 (O-TON HUMMEL) "In gewissem Rahmen dürfen alle Steuerpflichtigen gestalten. Natürlich dürfen auch Kirchen gestalten. <> und wählen die für sie günstigste steuerliche Alternative aus." SPRECHERIN <> Auch die St. Josefskongregation hat sich umorganisiert. Bis Mitte der 1990er Jahre war das Dominikus Ringeisen-Werk ihr - rechtlich unselbständiger - Arm zur Betreuung von Menschen mit Handicap. Weil die Zahl der Ordensschwestern immer weiter abnahm und die Zukunft des Ordens ungewiss war, wurde das Werk 1996 in eine "kirchliche Stiftung öffentlichen Rechts" umgewandelt. Die durch öffentliche Geldgeber finanzierte Betreuung von behinderten Menschen war nun unabhängig vom Orden. Und die beiden katholischen Einrichtungen besitzen seitdem einen Instrumentenkasten, mit dem sie hantieren können. TAKE 66 (O-TON HUMMEL) "Insbesondere die Übertragung von Vermögenswerten von der einen auf die andere Organisation kann erwogen werden. Der Umgang mit Kirchenvermögen unterliegt dabei der Aufsicht der zuständigen kirchlichen Autorität. Die wird wohl ein Wörtchen mitreden und gegebenenfalls Weisungen erteilen." SPRECHERIN Die zuständige kirchliche Autorität ist in dem Fall der Bischof von Augsburg. Seine "kirchliche Stiftungsaufsichtsbehörde" war auf Anfrage nicht zu sprechen. TAKE 9 (KENNUNG BERLIN) TAKE 67 (O-TON GRÜTTERS) "Gelegentlich rufe ich ihn an und sage: Sag mal, kannst du mir in der und der Fragestellung mal sagen, was denkt eigentlich unsere Kirche darüber. Ich bin etwas im Unklaren. Oder: Ich brauch hier mal eine Orientierung. <> Habt ihr euch darüber mal eine Meinung gebildet, in der Bischofskonferenz beispielsweise?" SPRECHERIN Die katholische CDU-Abgeordnete Monika Grütters holt sich ganz selbstverständlich Handlungsempfehlungen von Prälat Jüsten. Allerdings: Katholische Politikerinnen und Politiker, die sich wie Grütters auch beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken engagieren, werden weniger. Und vor allem: CDU und CSU, die für Karl Jüsten immer eine sichere Bank waren, regieren in Berlin nicht mehr. Schlechte Zeiten also für den katholischen Cheflobbyisten, wenn es um eine mögliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs geht? So klar ist das nicht. TAKE 68 (O-TON JÜSTEN) "Zunächst einmal war ich überrascht, dass der Koalitionsvertrag, nachdem ja in einigen Parteien der jetzigen Koalition schon eine Willensbekundung war, den 218er aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, dass der Koalitionsvertrag das nicht enthält." SPRECHER "Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches .... prüfen wird." Aus dem Vertrag der Ampel-Koalition. TAKE 69 (O-TON JÜSTEN) "Da glaube ich werden wir mehr Zustimmung für eine Position haben, die wir wahrscheinlich dann auch einnehmen werden, als man vielleicht so denken mag." SPRECHERIN Das klingt kryptisch. Will der Prälat andeuten, dass die Ampelparteien an der Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs festhalten? <> SPRECHERIN Prälat Jüsten zählt seine Truppen: TAKE 71 (O-TON JÜSTEN) "Bei den Grünen in der aktuellen Fraktion habe ich, glaube ich, jetzt keinen. Bei der SPD, also sprechen ja, aber dass sie die Position übernehmen, sehe ich jetzt erstmal nicht. Bei der FDP interessanterweise eher ja." SPRECHERIN Auch die FDP-Abgeordnete Sandra Bubendorfer beobachtet eine Sonderrolle ihrer Partei in der Koalition: TAKE 72 (O-TON BUBENDORFER) "Ich weiß, dass natürlich Grüne und SPD ein Stück weiter gegangen wären, in der gesamten Thematik. Auch in der §218 und der Konfliktberatung." <> SPRECHERIN Ist die FDP, nach dem Ausscheiden der christlichen Parteien aus der Regierung, der neue Andockpunkt für Karl Jüsten beim Thema Schwangerschaftsabbruch? Ausgerechnet die Partei, die traditionell im Ruf steht, kirchenfern zu sein? TAKE 74 (O-TON BUBENDORFER) "Ich weiß nur die Aussage von Marco Buschmann auch, dass §218 momentan nicht angetastet wird." SPRECHERIN Entscheidet Justizminister Buschmann so, weil er katholisch ist? Das ist womöglich zu kurz gedacht. Aber es gibt einen anderen Berührungspunkt zwischen FDP und Kirche. TAKE 75 (O-TON BUBENDORFER) "Die Frauenbewegungen bei den Grünen oder bei der SPD sind da in dieser Thematik sicher ein großes Stück weiter. Wir haben leider da zu wenige Frauen. Wir hatten immer zu wenige, aber daran arbeiten wir." SPRECHERIN Da passt auf einmal zusammen, was auf den ersten Blick gar nicht zusammenzupassen scheint: Katholische Kirche und FDP sind beides klar männlich geprägte Organisationen - die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ist nicht ihr Anliegen. Bizarr allerdings für eine Partei, die sich unentwegt als Partei der Freiheit präsentiert: Gegen Maskenpflicht, mitten in der Corona-Pandemie. Gegen Tempolimit auf Autobahnen - auch mitten im Kampf ums Ölembargo wegen Russlands Krieg gegen die Ukraine. Aber nicht: Für das Recht von Frauen, über ihren Körper selber zu entscheiden. TAKE 21 (KENNUNG BREITBRUNN) SPRECHERIN Die Gemarkung Breitbrunn am Ammersee hat eine Fläche von 550 Hektar. 61 davon gehören der St. Josefskongregation - das sind elf Prozent. Die Anlage im Dorfkern, wo Menschen mit Handicap betreut werden, ist eine Schenkung an den Orden aus den 1920er Jahren. Drei Häuser hat die Kongregation an das Ringeisen-Werk vermietet. Ein Gebäude wird vom Orden genutzt, dort verbringen die letzten drei Schwestern von Breitbrunn ihren Ruhestand. Außerdem vermietet die Kongregation Zimmer als Ferienbleibe an Ordensleute: In bester Lage, mit Vollpension, für 42 Euro. Da kann kein Hotel mithalten. TAKE 77 (O-TON TYRYCHTER) "Also ich denke, das ist einfach ein Solidarpreis unter Ordensgemeinschaften. Und die Schwestern haben für sich entschieden, in einer relativ schlichten Umgebung Ferienaufenthalte für Ordensleute oder Priester zu ermöglichen." SPRECHERIN Die Zimmer mögen schlicht sein - ich habe sie nicht gesehen. Die Lage ist hochpreisig. Der Bodenrichtwert - das ist der amtlich festgestellte, durchschnittlich gezahlte Preis pro Quadratmeter, unbebaut, bei vergleichbaren Grundstücken - beträgt 1800 Euro. Natürlich bedeutet Eigentum an einem Grundstück nicht Geld auf dem Konto. Aber Vermögen ist es schon. Zu seinen Grundstücken und ob dafür Grundsteuer bezahlt wird, will sich der Pressesprecher des Ordens, wie bereits erwähnt, nicht äußern. Nur so viel: SPRECHER "Zur Grundsteuer erlaube ich mir den Hinweis auf §3 Grundsteuergesetz, wonach Grundbesitz für gemeinnützige oder religiöse Zwecke von der Grundsteuer befreit ist." SPRECHERIN Steuerexperte Lars Hummel erläutert das Gesetz: TAKE 78 (O-TON HUMMEL) "Das Grundsteuergesetz sieht für Grundbesitz von Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, eine Steuerbefreiung vor, wenn der Grundbesitz Zwecken dient, die der Gesetzgeber als begünstigungswürdig erachtet. Dient der Grundbesitz anderen Zwecken, müssen Religionsgemeinschaften Grundsteuern zahlen." SPRECHERIN: Aber man könne "gestalten", zum Beispiel so: TAKE 79 (O-TON HUMMEL) "Auch offensichtlich nicht gemeinnützige Aktivitäten können von Steuervergünstigungen profitieren. Nämlich dann, wenn der dabei erzielte Gewinn gemeinnützigen Zwecken zufließt." SPRECHERIN Nur - großzügig gerechnet - zehn Prozent des Grundeigentums der Kongregation in Breitbrunn dienen der Betreuung von Menschen mit Handicap. Die übrigen 90 Prozent liegen zum Beispiel am Jaudesberg, werden landwirtschaftlich genutzt oder sind Wald. Außerdem gehört dem Orden ein besonders attraktives Gelände. TAKE 80 (O-TON SCHWENTER) "Es ist eine privilegierte Lage, das muss man einfach sagen, das ist wirklich wunderschön." SPRECHERIN Andreas Schwenter wohnt auf einem Hügel mit Blick auf den Ammersee. Seit gut zehn Jahren tobt in der Gemeinde eine heftige Diskussion, ob das Feld bebaut werden soll: 32.000 Quadratmeter, das sind viereinhalb Fußballfelder. Denn Wohnen in Breitbrunn ist knapp und teuer. Alteingesessene, normal verdienende Familien suchen verzweifelt bezahlbaren Wohnraum. Manche hoffen, dass das Kloster für seine Wiese einen "sozialeren" Quadratmeterpreis verlangen könnte. Andererseits: Die Anwohnenden wollen bei einer möglichen Bebauung gerne mitreden. Sie gründeten eine Initiative und versuchten, mit dem Orden Kontakt aufzunehmen. TAKE 81 (O-TON SCHWENTER) "Mein Ansinnen war immer, dass man mit denen spricht, um vielleicht eine verträgliche Lösung für alle zu bekommen. Und wir haben auch dorthin geschrieben, leider haben wir überhaupt keine Rückmeldung bekommen. Ich hab zufällig dann auch den Rechtsanwalt vom Kloster, den kenn ich persönlich, über unseren gemeinsamen Sport, und den habe ich dann auch mal angesprochen, ob denn dieser Brief nicht angekommen ist oder ob er den kennt. Der hat mir damals nur gesagt, er kennt diesen Brief, aber er möchte eigentlich nicht mit so einem inhomogenen Haufen - das war das Wörtliche, was er gesagt hat - wie dieser Verein "Lebenswertes Breitbrunn" ist, möchte er eigentlich nicht sprechen." SPRECHERIN Der Rechtsanwalt hat auf Nachfrage mitgeteilt: SPRECHER "Die mir zugeschriebene Äußerung kann ich nicht bestätigen. Für Ihre geplante Sendung erlaube ich mir den Hinweis, dass eine von Ihnen geschilderte private Unterhaltung in einem Sportverein nicht als offizielle Äußerung des Ordens zu werten ist." SPRECHERIN Ob jemals gebaut wird, ist unklar. Im Sommer 2022 läge der Quadratmeterpreis nach Auskunft von Bürgermeister Christian Schiller bei 1500 Euro. Die gesamte Fläche hätte demnach einen Wert von 48 Millionen Euro. Wird für dieses Gelände wenigstens die jedes Jahr anfallende Grundsteuer gezahlt? Die Antwort des Bürgermeisters per Mail: SPRECHER "Keine Antwort, da Steuergeheimnis!" SPRECHERIN An dieser Stelle endet die Recherche. Wegen Steuergeheimnis. Und weil der Orden Transparenz in Geschäftsdingen für sich nicht gelten lässt. TAKE 23 (MUSIKAKZENT) SPRECHERIN Nach zweieinhalb Stunden ist das Interview unterm Kruzifix vorbei. Viele Menschen in Deutschland folgen dem ans Kreuz genagelten Religionsgründer nicht. Oder sie folgen seiner Kirche nicht mehr. Dennoch nutzen Orden und Ringeisen-Werk die Betreuung von Menschen mit Handicap für ihre religiösen Zwecke. TAKE 82 (O-TON TYRYCHTER) "Wir versuchen natürlich schon, den Menschen mit Behinderung auch zum einen, wir nennen das ja so, die Frohbotschaft zu vermitteln, ein Glaubenserlebnis zu geben. Und wir versuchen es auch den Mitarbeitern, die das ja keineswegs mitbringen, auch denen das mitzugeben." <> Und die Macht der katholischen Kirche führt nicht zuletzt dazu, dass Frauen und ihre Ärztinnen und Ärzte weiterhin kriminalisiert werden, wenn sie eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen. Zugleich darf die Kirche Kitas und Schulen betreiben, obwohl sie fortwährend gegen Artikel 3 des Grundgesetzes und gegen die Allgemeinen Menschenrechte verstößt, indem sie Frauen und Männer ungleich behandelt.>> TAKE 1 (KENNUNG RAHMEN) SPRECHER Die Scheinheiligen - Macht, Privilegien und Ungleichheit in der katholischen Kirche Ein Feature von Gaby Mayr Es sprachen: Hildegard Meier und Bernt Hahn Ton und Technik: Sascha John Regie: Claudia Kattanek Redaktion: Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Saarländischen Rundfunk 2022 2