Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Another Earth, another Globe, invoked by another People Vom Diskurs der Rechte der Natur Autorin und Regie: Barbara Eisenmann Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2023 Erstsendung: Dienstag, 04.04.2023, 19.15 Uhr Es sprachen: Doga Gürer, Lorena Handschin, Merle Wasmuth, Bernd Moss Ton und Technik: Alexander Brenneke und Martin Eichberg Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - MUSIK 1 (Matthew Herbert, One Pig, August 2010, 00.00, 14 sec.) SPRECHER*INNEN (2 Frauen und 2 Männer, 1 2 3 4) 1 2 4 Alle neuneinhalb Minuten verschwindet eine Art von der Erde. MUSIK 2 (Dead & Gone, Vol. 2, Totenklage, 0.18, 14 sec.) MUSIK 3 (Matthew Herbert, Score, 10, 00.18) ATMO 1 (ploppt ein paar Mal auf in Musik 3, prozessiert IZotope) SPRECHER*INNEN (auf Musik 3 und Atmo 1) 1 Und wenn sie für sich sprechen würden? 2 Wer? / 4 / na die Bäume, Frösche, Landschaften / 1 / wenn sie eine eigene Stimme hätten? 2 Bitte? Eine eigene Stimme? Das ist Naturromantik. 4 Alle Akteure haben Interessen / 1 / Schweine ebenso wie Ölkonzerne. 4 Nur haben wir erstere stumm gestellt / 1 / wir könnten ihnen Rechte verleihen. 2 Ausgerechnet Juristinnen sollen sie zum Sprechen bringen? / 4 / indem sie sie zu Rechtspersonen erklären, genau. MUSIK 4 (Death Ambient, A Dead Staphylococcus Looks Like A Skull) SPRECHER*INNEN 1 2 4 Another Earth, another Globe, invoked by another People 1 Vom Diskurs der Rechte der Natur 4 Ein Feature von Barbara Eisenmann MUSIK 5 (Eduardo Polonio, 3, Diagonal) + MUSIK 6 (Compositores Actuales 6 als Folie) SPRECHER (Bruno Latour) (BL, KuG, 21) (auf Musiken 5/6 ) 3 Es hört nicht mehr auf, jeden Tag geht es von vorne los. ... In den Zeitungen heißt es: Wir leben in der Epoche einer "ökologischen Krise". Von "Krise" zu sprechen heißt aber leider, sich mit der Auskunft zu beruhigen, dass "sie vorübergeht", dass wir sie "bald hinter uns haben". SPRECHER*INNEN (auf Musiken 5/6) 1 Sagt Bruno Latour, Wissenschaftstheoretiker und Philosoph / 4 / den wir in unserem Stück zu den Rechten der Natur / 1 / einen Einblick in sein Denken geben lassen / 4 / gebaut aus Zitaten seines umfänglichen Werks. 2 Reden wir über Rechte der Natur oder über Bruno Latour? 1 Sowohl als auch / 4 / die Rechte der Natur-Leute haben ihren Latour gelesen / 1 / jedenfalls die hier / 4 / und einige von ihnen werden wir gleich hören. SPRECHER (BL, KuG, 22) (auf Musiken 5/6) 3 Bon alors. Wenn es doch nur eine Krise wäre. Wenn es doch nur eine Krise gewesen wäre! Den Experten zufolge handelt es sich aber um eine "Mutation" ..., eine tiefe Mutation unserer Beziehung zur Welt. MUSIK 7 (Death Ambient, Prophecy) MUSIK 8 (Matthew Herbert, Score, 10) MUSIK 9 (A Dead Staphylococcus Looks Like A Skull) SPRECHER*INNEN (auf Musik 8 und 9) 4 Das Anthropozän / 1 / der Mensch als Natur und Klima verändernde Kraft / 2 / nicht alle Menschen! 4 Das Kapitalozän / 1 / das Kapital als treibende Kraft / 2 / welches Kapital? 4 Das Chthuluzän / 2 / Chthuluzän? / 4 / ein Begriff von Donna Haraway / 1 / Biologin und Wissenschaftstheoretikerin, die wie Latour die Verhältnisse auf und mit der Erde neu betrachtet. 2 Was soll das bedeuten, Chthuluzän? / 1 / dass wir Verwandtschaften zwischen den Arten herstellen müssen. 4 Rettendes wird sich nur finden lassen, wenn wir unser Denken von Grund auf ändern. 1 Another Earth, another Globe, invoked by another People / 4 / heißt es bei Latour, also die Vorstellung einer gemeinsam bewohnten Welt / 1 / in der wir lediglich Mitwirkende sind in einem Netzwerk unterschiedlichster Akteure / 4 / sein Stichwort: Gaia / 2 / Gaia!? Ich sag´s doch: Naturromantik! MUSIK 10 (Death Ambient, A Dead Staphylococcus Looks Like A Skull) SPRECHER (http://www.bruno-latour.fr/sites/default/files/downloads/GIFFORD-ASSEMBLES.pdf) (auf Musik 10) 3 Gaia is most probably another Earth, another Globe, invoked by another People. SPRECHER*INNEN (auf Musik 10) 1 2 4 Gaia ist am ehesten eine andere Erde, ein anderer Globus, komponiert von anderen Leuten. O-TON 1 (Frank Adloff ) (auf Musik 10) Ich verstehe den Satz so, dass wir zu einem anderen Verständnis der Erde und des Planeten kommen müssten. Und "wir" ist jetzt auch nicht nur, dass wir Menschen ein anderes Verständnis dessen bräuchten, sondern wir das zusammen mit anderen Akteuren, mit nichtmenschlichen Akteuren entwickeln müssten. Also im Konzert mit nichtmenschlichen Akteuren schaffen wir Gaia. SPRECHER*INNEN (auf Musik 10) 4 Frank Adloff / 1 / Professor für Soziologie an der Universität Hamburg / 4 / forscht zu Zukünften der Nachhaltigkeit und ist ein Verfechter von Rechten der Natur. O-TON 2 (Frank Adloff) (auf Musik 10) Es geht jetzt also um das Herausarbeiten der Bindungen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebensformen, die im Grunde dann auch dazu führen, ein anderes Weltbild, ein anderes Bild dieses Planeten zu entwickeln, wo wir nicht mehr so klar zwischen Mensch und Natur trennen, sondern tatsächlich in Netzwerken denken. SPRECHER (BL, DtM, 55) (auf Musik 10) 3 Dass man sich nicht mehr dieselben Geschichten erzählen kann, steht jedenfalls fest. Voilà. MUSIK 11 (Eduardo Polonio, 3, Diagonal) O-TON 3 (Frank Adloff, 7.50) (auf Musik 11) Ich selber beziehe mich auf Latour in einem relativ grundsätzlichen Sinne, weil ich als Soziologe doch über diese neueren Debatten um Rechte der Natur und aber auch durch die Debatten um das Anthropozän, die ökologischen Krisen usw. herausgefordert bin, Gesellschaft anders zu denken. MUSIK 12 (Death Ambient, A Dead Staphylococcus Looks Like A Skull) SPRECHER*INNEN (auf Musik 12) 4 Another Earth / 1 / another Globe / 4 / invoked by another People. MUSIK 11(Eduardo Polonio, 3, Diagonal,) + MUSIK 13 (Compositores Actuales 6) SPRECHER (BL, KuG, 31) (auf Musiken 11/13, Musik 12 A Dead Staphylococcus Looks Like A Skull) 3 Doucement! Doucement! Wir stecken in einem Tunnel, aber an seinem Ende winkt uns kein Licht. In diesen Dingen ist die Hoffnung der schlechteste Ratgeber, denn wir befinden uns, wie gesagt, nicht in einer Krise. Das wird nicht "vorübergehen", daran werden wir uns gewöhnen müssen. Das ist definitiv. Was infolgedessen nottut, ist die Entdeckung eines Behandlungsplans - allerdings ohne den Anspruch auf allzu rasche Heilung. O-TON 4 (Jens Kersten) Also ich denke, dass Bruno Latour ein Vorreiter im Denken des Anthropozän ist, weil er jemand ist, der weggeht von diesen Subjekt-Objekt-Beziehungen und darauf besteht, dass wir die Rechtsordnung und die Gesellschaftsordnung weniger in Hierarchien als in Relationen denken, und dabei eben dann auch noch die Akteurinnen und Akteure ausweiten, und wir eben vor diesem Hintergrund die Möglichkeit haben, das, was wir entweder selbstverständlich genommen haben, was wir nicht beachtet haben, was eben auch zu negativen ökologischen, vor allem, Folgen geführt hat, dass wir dies nun rechtlich strukturieren und die Konflikte hier austragen können. Ich glaube, das ist der große Beitrag von Bruno Latour zu dieser ganzen Debatte, den man gar nicht überschätzen kann. MUSIK 14 (Compositores Actuales 6) SPRECHER*INNEN (auf Musik 14) 1 Jens Kersten / 4 / Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München / 1 / bringt so etwas wie einen juristischen Behandlungsplan ins Spiel / 4 / eine dritte Revolution unserer westlichen Verfassungsordnungen / 1 / nach der liberalen und der sozialen jetzt eine ökologische Revolution. O-TON 5 (Jens Kersten) (auf Musik 14) Prinzipiell ist es so, dass diese ganze Auseinandersetzung und Entfaltung der Rechtsordnung des Anthropozän und einer ökologischen Verfassungsordnung sehr stark vom interdisziplinären Dialog lebt, und entgegen so allgemeiner Vorurteile, die man gegenüber Juristinnen und Juristen hat, sind wir sehr fantasievoll, das auch aufzunehmen. MUSIK 15 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) SPRECHER (PdD, 109/110) (auf Musik 15) 3 Bravo! Sobald wir aufhören, die nicht-menschlichen Wesen für Objekte zu halten, wir ihnen also Zugang gewähren zum Kollektiv in Form neuer, noch nicht festumrissener Entitäten, die zögern, beben, perplex machen, können wir ihnen auch ohne weiteres die Bezeichnung Akteure zugestehen. MUSIK 15 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) O-TON 6 (Jens Kersten) Also ich glaube, der Grund, warum wir das im Augenblick so intensiv diskutieren, das liegt wirklich daran, dass wir mit Katastrophen konfrontiert sind, mit denen wir umgehen müssen. Und da reichen eben die überkommenen Instrumente nicht mehr aus, sondern man muss neue Wege gehen. Und die Rechte der Natur sind ein zentraler Baustein, eben eine ökologische Transformation unserer Verfassungsordnung herbeizuführen. MUSIK 16 (Jonathan Bepler, Cremaster 2, 3) SPRECHER (PdD, 107) (auf Musik 16) 3 Wenn wir die Verfassung ändern, werden wir entdecken, wie wir uns vom ermüdenden Widerstreit der Objekte und Subjekte befreien können. O-TON 7 (Jens Kersten) (auf Musik 16) Eine Verfassungsordnung im Anthropozän sollte sich orientieren an der Anerkennung von Personen, also eine Verfassungsordnung der Freundschaft sein. SPRECHER (BL, PdD, 83) (auf Musik 16) 3 Bravo! O-TON 8 (Jens Kersten) (auf Musik 16) Sie soll nicht harmonisierend sein. D.h. niemand hat versprochen, dass es nett wird, und das Antropozän wird auch nicht nett werden. MUSIK 17 (Jonathan Bepler, Cremaster 2, 3) SPRECHER (BL, PdD, 83) (auf Musik 17) 3 Die jetzt zu behandelnde Frage lautet also: Wie muss eine Verfassung beschaffen sein, mit der die gemeinsame Welt ... aufgebaut werden kann? MUSIK 1 (Matthew Herbert, One Pig, August 2010) SPRECHER*INNEN 1 2 4 Schon wieder ist eine Art von der Erde verschwunden. Oder ist kurz davor. MUSIK 18 (Dead & Gone, Vol. 2, Totenklage) (auf Musik) MUSIK 19 (Matthew Herbert, Score, 10) SPRECHER*INNEN (auf Musik 19) 4 Es geht hier nicht um die Lebewesen allein / 1 / sondern um das Beziehungsnetz / 4 / das uns alle miteinander verbindet. SPRECHER (BL, KuG, 34) (auf Musik 19) 3 Exactement. Versuchen Sie also nicht, lediglich die "Natur" zu definieren (der Mensch ist das Wesen, das sich der Natur entzieht - von Herzen, mit Schmerzen ...); und versuchen Sie auch nicht, lediglich die "Kultur" zu definieren, denn dann werden Sie sogleich auch das Wort "Natur" definieren" müssen (der Mensch ist ein Wesen, das sich den Zwängen der Natur nicht ganz entziehen kann). Was heißt, dass wir es nicht mit Bereichen zu tun haben, sondern mit ein und demselben Konzept - einem Konzept, das in zwei Teile zerfällt. SPRECHER*INNEN (auf Musik 19) 2 Aber haben wir unter Moderne nicht genau das Unterscheiden und Hierarchisieren verstanden? Die Gegensatzpaare: Kultur/Natur, Subjekt/Objekt, Menschen/Nichtmenschen? SPRECHER (BL, KuG, 34) (auf Musik 19) 3 Nun man kann so lange glauben, modern gewesen zu sein, wie man an die Möglichkeit zweier unterschiedlicher Bereiche glaubt, und ist es nicht mehr gewesen, wenn man spürt, dass es nur einen gibt. MUSIK 20 (Death Ambient, Ways Out) O-TON 9 (Doris Schweitzer) (auf Musik 20) Ich glaube, in den Debatten um die Rechte der Natur spielt Bruno Latour eine große Rolle, weniger vielleicht für die Rechtskonzeption als für die Frage des Verhältnisses von Natur/Kultur, Natur/Mensch, also hier ist seine Moderne-Diagnose zum Beispiel viel, viel rezipiert, und in dem Sinne ist er Stichwortgeber. SPRECHER*INNEN (auf Musik 20) 4 Doris Schweitzer / 1 / Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Soziologische Theorie und Theoriegeschichte an der Goethe Universität in Frankfurt am Main / 4 / hat eine Arbeitsgruppe zum Themenkomplex "Recht im Anthropozän" ins Leben gerufen. MUSIK 21 (Eduardo Polonio, Diagonal) + MUSIK 22 (Compositores Actuales 6) SPRECHER (auf Musiken 21/22) 3 Ich bitte Sie / SPRECHER*INNEN (auf Musiken 21/22) 4 / uns, die wir kapieren müssen, dass wir nicht autonom, sondern nur in Netzwerken funktionieren / 1 / mit anderen Lebensformen / 2 / aber auch mit der Technik / SPRECHER (auf Musiken 21/22) 3 / bien sûr, bien sûr! Ich bitte Sie / SPRECHER*INNEN (auf Musiken 21/22) 4 / uns, die wir kapieren müssen, dass wir nie modern gewesen sind / SPRECHER (BL, Wir sind nie modern gewesen) (auf Musiken 21/22) 3 / voilà! Wir sind nie modern gewesen / SPRECHER*INNEN (auf Musiken 21/22) 2 / nie modern gewesen? / SPRECHER (auf Musiken 21/22) 3 / Ich bitte Sie / SPRECHER*INNEN (auf Musiken 21/22, MUSIK 9 " A Dead Staphylococcus Looks Like A Skull) 4 / uns, die wir uns als people of Gaia denken müssen / 1 / als Erdverbundene. 2 Bitte? Erdverbundene? / 1 / na die anderen Leute, die andere Erde, der andere Globus. SPRECHER (BL, DtM, 14, 101) (auf Musiken 21/22) 3 Voilà. Entweder leugnen wir das Problem oder wir versuchen, uns zu erden. ... "Wir sind Erdverbundene inmitten von Erdverbundenen" ist nicht dieselbe politische Aussage wie "Wir sind Menschen in der Natur." ... Erdverbunden hat übrigens auch den Vorteil, dass es weder Geschlecht noch Gattung genauer angibt. (BL, KuG, 91) Aber um zurückzukommen, ich bitte Sie, von dem üblichen Interpretationsschema abzusehen, das dazu tendiert, menschliche und nichtmenschliche Akteure, oder sagen wir Subjekte und Objekte einander entgegenzusetzen, und schlage Ihnen vor, Ihre Aufmerksamkeit dem zu schenken, was sie verbindet. O-TON 10 (Jens Kersten) (auf Musiken 21/22) Also das Anthropozän ist vor allem deswegen ja auch ausgelöst worden, weil wir in der rechtlichen Konstruktion von Natur und Menschen diese Subjekt-Objekt-Spaltung haben. Die Menschen sind die Subjekte und die Natur sind die Objekte, und vor dem Hintergrund müssen wir eben schauen, dass wir hier ein neues relationales Verständnis hinbekommen. In dem Augenblick, wo ich sage, ich konstruiere das Verhältnis von Mensch und Natur nicht mehr in Subjekt-Objekt, sondern in Beziehungen, genau wie wir das in der Wirtschaft gemacht haben, entfalten wir ja ganz neue Beziehungen und letztlich eine ganz neue Welt der Interaktion, die wir auch rechtlich anerkennen. MUSIK 23 (Matthew Herbert, One Pig, January) SPRECHER (BL, Pragmatogonies, 798) (auf Musik 23) 3 Bravo. Bravo. Die politische Ökologie beschäftigt sich mit dem Schicksal der Nichtmenschen, die auf eine Art vergesellschaftet und uns nah sind, als ob sie unsere Geschwister wären. Man sollte ihnen Rechte geben. In der Tat. O-TON 11 (Jens Kersten) (auf Musik 23) Wir müssen rauskommen aus diesen Schützengräben, in denen wir uns juristisch verschanzen, nämlich anthropozentrisch versus ökozentrisch. Wir müssen ökologisch werden / MUSIK 24 (Matthew Herbert, One Pig, January) SPRECHER*INNEN (auf Musik 23) 4 / und den Nichtmenschen Rechte geben / 1 / damit sie sich wehren können / 4 / gegen ihre Aneignung / 1 / Vernutzung/ 4 / Ausbeutung / 1/ Zerstörung. MUSIK 25 (In Memoriam 2, 2) SPRECHER (BL, NS, Zur Entstehung einer ökologischen Klasse, 56) (auf Musik 24) 3 Um eine berühmte Wendung zu paraphrasieren: "Ein Gespenst geht um in Europa und dem Rest der Welt: der Ökologismus!" Ihm fehlt nur noch, dass er sich als die Mehrheit definiert. O-TON 12 (Jens Kersten) Das radikal Neue liegt darin, dass eigentlich juristische Waffengleichheit, wie wir das, Juristinnen und Juristen, nennen, geschaffen wird, im Ausgleich zwischen sozialen, ökonomischen und ökologischen Positionen. Bisher haben die sozialen und die ökonomischen Interessen immer überwogen, und zwar wurden sie von der Rechtsordnung privilegiert. Und wenn wir die Rechte der Natur anerkennen, dann machen wir nichts anderes, als auf Augenhöhe die rechtlichen Konflikte auszutragen, wenn es um diese Abwägung zwischen Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft geht. MUSIK 26 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) MUSIK 25b (In Memoriam 2, 2, 1.36, taucht auf bei "Rechten")) O-TON 13 (Frank Adloff, 12.50) Der Konflikt wird klarer, wenn er vor Gericht ausgetragen werden kann, wenn die Natur, mit subjektiven Rechten versehen, Teil unserer Rechtsordnung werden kann und menschliche Bedürfnisse nach Extraktion beispielsweise, unternehmerische Bedürfnisse nach Profitmaximierung in die Grenzen gewiesen werden. MUSIK 27 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) MUSIK 25 (In Memoriam 2, 2) O-TON 14 (Andreas Gutmann) Ja das Neuartige an den Rechten der Natur ist, dass Natur nicht wie im klassischen Umweltrecht als ein Objekt adressiert wird, das es zu schützen, aber auch zu regulieren gilt, sondern unmittelbar als Teilnehmerin am juristischen Diskurs wahrgenommen wird. Und das ist das Neue, dass die natürlichen Interessen unmittelbar im Recht und auch vor Gericht eine Rolle spielen und nicht erst vermittelt über menschliche Interessen. MUSIK 28 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) MUSIK 29 (Death Ambient, Ways Out) SPRECHER*INNEN (auf Musik 29) 1 Andreas Gutmann / 4 / wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Just Transitions an der Universität Kassel / 1 / ist dort an einem DFG-Projekt zur Natur als Rechtsperson beteiligt / 4 / hat seine Dissertation zu den ecuadorianischen Rechten der Natur geschrieben und dort zahlreiche neuartige Konzepte entdeckt. 1 Ecuador ist das einzige Land, in dessen Verfassung sie verankert sind. O-TON 15 (Andreas Gutmann) (auf Musik 29) Es ist sehr wichtig, von Naturen zu sprechen. Wörtlich sagt die Verfassung von Ecuador ja "die Natur oder Pacha Mama". Der Begriff der Natur ist auf ein westliches, naturwissenschaftliches Naturverständnis zurückzuführen. Gleichzeitig nimmt Pacha Mama Bezug auf indigene Vorstellungen, vor allem aus dem Anden- und Amazonasraum. Es ist dabei ganz wichtig zu sagen, dass es nicht dieses eine indigene Naturverständnis gibt, auch nicht bei allen indigenen Gemeinschaften in Ecuador spielt Pacha Mama eine Rolle. Deswegen ist dieses Subjekt, worauf sich die ecuadorianischen Rechte der Natur beziehen, erst mal denkbar weit. Und ganz wichtig ist auch, dass nicht die Natur als etwas vom Menschen Isoliertes gesehen wird, sondern dass die Vorstellung vorherrscht, der Mensch ist Teil der Natur und ist damit gleichzeitig auch von diesen Rechten der Natur geschützt. SPRECHER (BL, KuG, 66) (auf Musik 29) 3 Die schlechten Nachrichten über den Zustand des Planeten, die man uns Tag für Tag auftischt, führen offensichtlich dazu, ein Bewusstsein von der neuen Instabilität der Natur zu entwickeln. ... Und jetzt werden wir auch gewahr, dass es noch eine andere Instabilität gibt, und zwar im Naturbegriff selbst. O-TON 16 (Andreas Gutmann) (auf Musik 29) Hier im Westen ist ja die Vorstellung, es gibt ein autonomes Subjekt, es gibt den einen Mensch, und der verbindet sich dann mit anderen Menschen, und drumherum gibt's auch noch Nichtmenschen, die er, der Mensch, nutzt. Im indigenen Denken des Anden- und Amazonasraum scheint mir das oft gerade umgedreht. Also man stellt sich vor, es gibt ein Netz, es wird als kosmisches Netz bezeichnet, und das ist die ganze Welt, da ist auch das miteinbezogen, was wir hier Natur nennen würden. Das sind Tiere, Flüsse, Steine usw., aber natürlich auch Menschen, und die stehen alle in Verbindung. Wo aber alle miteinander verbunden sind, hat natürlich auch jede Veränderung Auswirkungen auf dieses ganze Netz. SPRECHER (BL, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, 450) (auf Musik 29) 3 Wir müssen uns vielleicht wirklich mit Kosmopolitik befassen. SPRECHER*INNEN (auf Musik 29) 2 Bitte? Kosmopolitik? MUSIK 29 (Death Ambient, Ways Out) MUSIK 1 (Matthew Herbert, One Pig, August 2010) SPRECHER*INNEN (auf Musik) 1 2 4 Schon wieder ist eine Art von der Erde verschwunden. Oder ist kurz davor. MUSIK 30 (Dead & Gone, Vol. 2, Totenklage) (auf Musik) MUSIK 31 (Jonathan Bepler, Cremaster 2, 3, 0.00 + MUSIK 9 A Dead Staphylococcus Looks Like A Skull) SPRECHER (BL, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, 450) (auf Musik 29) 3 Wir müssen uns ... mit Kosmopolitik befassen. SPRECHER*INNEN (auf Musik 31) 2 Was soll das sein? / 1 / na die anderen Leute, die andere Erde, der andere Globus! SPRECHER (auf Musik 31) 3 In einer Zeit, in der die Frage der Zugehörigkeit in eine Krise gerät, sollte die Aufgabe des Zusammenlebens nicht länger allzu sehr vereinfacht werden. Die Kandidaten, die an die Tür ... klopfen, sind inzwischen sehr zahlreich. Ist es absurd, unsere Disziplinen umzuarbeiten, damit sie wieder empfänglich werden für den Lärm, den die Neuankömmlinge machen? Ist es sinnlos, für diese einen legitimen Platz finden zu wollen? MUSIK 32 (Jonathan Bepler, Cremaster 2, 3) O-TON 17 (Jens Kersten) Der Einwand darauf lautet dann, dann haben wir ja lauter neue Prozesse. Na ja, das ist nichts, was mich als Jurist irgendwie schreckt, das ist, was wir tun. Und wenn man sich einfach mal anschaut, wie viele Prozesse wir mit Blick auf die Frage des Gebrauchtwagenkaufs, ein Klassiker in der juristischen Ausbildung, führen, oder wie viele VW-Klagen es gegeben hat, dann würde ich sagen, können wir auch sinnvolle Klagen durchaus im Rechtssystem akzeptieren, wenn sie eine so entscheidende zukunftspolitische Ausrichtung haben wie eben anthropozäne Klagen vor dem Hintergrund der katastrophischen Entwicklung, die wir ökologisch sehen. MUSIK 33 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) O-TON 18 (Jula Zenetti) (auf Musik 33) Rechte der Natur sieht die Natur nicht als Rechtsobjekt, über das verfügt werden kann von Menschen, grundsätzlich natürlich im Rahmen der rechtlichen Regelungen, sondern sieht die Natur als Rechtssubjekt, die eine Stimme im Recht hat, ebenso wie Menschen oder juristische Personen wie Kapitalgesellschaften. SPRECHER*INNEN (auf Musik 33) 4 Jula Zenetti / 1 / Umweltjuristin / 4 / promoviert am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig zu Eigenrechten der Natur. 2 Kann die Natur überhaupt einfach so zu einer Rechtsperson erklärt werden? MUSIK 34 (Eduardo Polonio, 3, 0.03, Ice Cream) O-TON 19 (Jula Zenetti) Der Gesetzgeber ist frei, Rechtspersönlichkeit zu konstruieren für die Entität, für die er sich entscheidet. Wir haben inzwischen Rechtspersönlichkeit für ungeborenes Leben. Wir haben Rechtspersönlichkeit für Gesellschaften von Menschen, für Kapitalgesellschaften. Also es ist wirklich sehr flexibel, wer Rechtsperson werden kann und wer nicht. MUSIK 35 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) ATMO 2 O-TON 20 (Jens Kersten) Ein weiterer Punkt ist die Frage, wie entfaltet man das, und hier kann man anknüpfen auch an eine klassische Formulierung von Bruno Latour, der ja in "Kampf um Gaia" gefragt hat, wer empfängt eigentlich die Delegation des Waldes im Parlament. MUSIK 36 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) O-TON 21 (Jens Kersten) (auf Musik 36) Und juristisch kann man es eigentlich so auf den Punkt bringen: Im Parlament, also ganz konkret im Deutschen Bundestag, wird der Wald nur vorkommen, wenn er am Schluss, wenn das Gesetz erlassen ist, auch klagen kann. D.h. wenn der Wald eine Position hat, die er dann als eine juristische Person später einklagen kann, indem er zunächst vor Verwaltungsgerichten oder dann auch vor dem Bundesverfassungsgericht gegen ein Gesetz vorgehen kann, dann wird seine Position im Gesetzgebungsverfahren sehr viel effektiver berücksichtigt, als das heute noch der Fall ist. MUSIK 37 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) MUSIK 3 (Matthew Herbert, Score, 10, MUSIK 9 Death Ambient, A Dead Staphylococcus Looks Like A Skull) SPRECHER*INNEN (auf Musik 3) 2 Wenn wir von Rechten der Natur sprechen / 4 / sollten wir nicht lieber von Rechten von Gaia oder wenigstens der Erde sprechen? / 1 / another Earth, another Globe, invoked by another People / 2 / wenn wir von Rechten der Natur sprechen / 1 / von Flüssen, Bergen, Arten / 4 / individuellen Tieren, Pflanzen, Ökosystemen / 1 / Luft, Klima, Wasser, Boden als Rechtspersonen / 2 / wenn wir also von Rechten der Natur sprechen, müssen wir dann nicht zuallererst einen kritischen Blick auf das Recht selber werfen? MUSIK 38 (David Grubbs, Nightfall in the Covered Cage) O-TON 22 (Doris Schweitzer) (auf Musik 38) Na ja letztendlich fragen wir ja danach, welche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen, die eben zu dieser Anthropozän-Konstellation geführt haben, durch das Recht stabilisiert wurden oder werden oder auch hervorgebracht wurden. MUSIK 39 (Dead & Gone, Vol. 2, Totenklage) (auf Musik 38) O-TON 23 (auf Musik 38) Also in den wissenschaftlichen Debatten wird sehr oft der Fokus dann auf Grundstrukturen des modernen, westlichen, eurozentristischen Rechts gelegt. Also sehr prominent ist natürlich die Kritik am Anthropozentrismus des Rechts, demzufolge eben nur Menschen als Rechtssubjekt anerkannt werden, und die Natur oder Naturobjekte werden eben zu Rechtsobjekten degradiert. MUSIK 40 (Dead & Gone, Vol. 2, Totenklage) (auf Musik 38) O-TON 24 (Andreas Gutmann) (auf Musik 38) Ja das Recht spielt eine große Rolle bei der Hervorbringung der Krise, weil das Recht unglaublich viele menschliche Verhaltensweisen regelt, und es regelt eben auch umweltschädigende menschliche Verhaltensweisen. Also das ganze Produktionssystem, das Wirtschaftssystem, das ist ja nicht naturwüchsig, sondern das ist auch rechtlich abgestützt. Und auch der Zugriff auf natürliche Ressourcen ist rechtlich abgestützt, sei es über Eigentumsrecht, sei es aber auch über irgendwelche umweltrechtlichen Genehmigungen, die natürlich einerseits die Umwelt schützen, aber andererseits gleichzeitig auch den Zugriff auf die Umwelt ermöglichen. / Die ganze Natur oder die Umwelt, wie wir sie haben, ist hochgradig durch das Recht hervorgebracht. O-TON 25 (Doris Schweitzer) (auf Musik 38) In diesem Kontext kann man aber auch auf einzelne Rechtsinstitute verweisen. Also was sehr oft diskutiert wird, ist das Rechtsinstitut des Eigentums, das dann eben gewährleistet, dass wir das, was wir als unser Eigentum haben, nutzen, benutzen bis hin zu ausnutzen und zerstören dürfen. Das gehört ja zum Eigentumsrecht dazu. MUSIK 41 (Dead & Gone, Vol. 2, Totenklage) MUSIK 3 (Matthew Herbert, Score, 10) SPRECHER*INNEN (auf Musik 3) 4 Als Rechtsobjekt ist die Natur benachteiligt / 2 / weil sie als Eigentum betrachtet wird / 1/ als Produktionsfaktor / 4 / als Rohstofflager / 1 / als Mülldeponie. 4 Vor allem im Globalen Süden wird im Namen der Natur geklagt. 1 Fälle gibt es dort inzwischen viele. 4 Beispiel / 1 / der ecuadorianische Fall von zwei Froscharten, die in erster Instanz ein Bergbauprojekt verhindern konnten / 2 / die zweite Instanz hat das Urteil zugunsten der Amphibien wieder einkassiert / 4 / sie kämpfen sich aber schon vor das nächsthöhere Gericht. O-TON 26 (Andreas Gutmann) (auf Musik 3) In diesem Llurimagua-Fall haben ja zwei Froscharten gegen ein Bergbauprojekt geklagt, und dieser Fall wurde öffentlich stark rezipiert. Die Schlagzeile war dann: Frösche gewinnen einen Rechtsstreit. Diese Frösche sind aber nicht als Individuen aufgetreten, sondern für ihr Ökosystem. Die Frösche haben also nicht gesagt, okay dieses Bergbauprojekt hat jetzt ganz direkten Einfluss auf uns individuelle Frösche, sondern dieses Bergbauprojekt führt dazu, dass dieses Ökosystem zerstört wird, und wir Frösche können nur in diesem Ökosystem leben. Da sieht man schon auf der Ebene der sogenannten Natur, dass das Verhältnisse sind und dass diese verschiedenen natürlichen Bestandteile voneinander abhängig sind und auch nur innerhalb dieser Abhängigkeiten, innerhalb dieser Beziehungen agieren können. Gleichzeitig sind ja nicht diese Frösche selber vor Gericht aufgetreten, sondern man hat da eine sehr, sehr lange Repräsentationskette. MUSIK 41 (Jonathan Bepler, Cremaster 3, 16, 2-6 Giants Epilogue) SPRECHER (BL, PdD, 97) (auf Musik 41) 3 Sprechen ist nicht mehr eine spezifisch menschliche Eigenschaft / SPRECHER*INNEN (auf Musik 41) 2 / bitte? / SPRECHER (auf Musik 41) 3 / jedenfalls besitzen die Menschen nicht mehr allein die Kompetenz. ... Manch einer hofft noch, bald werde der Tag kommen, an dem man so wissenschaftlich geworden ist, um in die süße Vergangenheit zurückkehren zu können, als die Natur stumm war, die Experten von unbestreitbaren Fakten sprechen konnten und jede politische Diskussion durch ihr Wissen beenden durften. O-TON 27 (Andreas Gutmann) (auf Musik 41) Die Frösche, die für ihr Ökosystem klagen, wurden von einer Biologin vertreten, die diese Frösche erforscht, und die Biologin wurde wiederum von einer Anwältin vertreten. Und in dieser Kette haben alle ihre Interessen. Klar die Frösche wollen weiter bestehen und wollen deswegen, dass das Ökosystem geschützt wird. / Die Biologin will sicher das Beste für die Frösche, aber wenn diese Frösche aussterben würden, dann hätte auch sie nichts mehr zu tun, weil die Frösche sind ihr Forschungsobjekt, und deswegen hat sie auch eigene Interessen am Fortbestand dieser Forschung. Und auch die Anwältin, die die Biologin vertreten hat, will vielleicht zu irgendeiner Rechtsfortbildung beitragen oder die will hier ihren ganz großen Fall machen, was ja auch alles legitime Interessen sind. Und das zeigt, dass es hier kein neutrales Sprechen für eine andere Entität gibt, sondern dass diese Interessen stets verwoben sind, und ich denke, das muss man anerkennen. MUSIK 42 (Matthew Herbert, One Pig, August 2010) SPRECHER*INNEN (auf Musik) 1 2 4 Schon wieder ist eine Art von der Erde verschwunden. Oder ist kurz davor. MUSIK 43 (Dead & Gone, Vol. 2, Totenklage) (auf Musik 42) MUSIK 44 (Eduardo Polonio, 3, Diagonal) + MUSIK 45 (Compositores Actuales 6) SPRECHER (BL, PdD, 97) (auf Musiken 44/45) 3 Immer noch kann eingewendet werden, dass es ... ausschließlich Menschen sind ..., die sprechen und diskutieren. Wie wollte man diese offenkundige Tatsache anzweifeln? Wie wollte man dem Menschen die einzigartige Gabe der Rede streitig machen? Diesem Einwand sollten wir nicht vorschnell beipflichten. Wie oft gesagt, geht in der politischen Ökologie nichts schnell, und der gesunde Menschenverstand ist hier als Ratgeber fast ebenso schlecht wie der Zorn. O-TON 28 (Andreas Gutmann) (auf Musiken 44/45) Was Latour schlussendlich sagt, ist, wir müssen anerkennen, dass es gesellschaftliche Prozesse gibt, dass wir über das Verhältnis von Menschen zu Nichtmenschen, von Nichtmenschen untereinander oder Menschen untereinander diskutieren. Wir dürfen das nicht ins Außerpolitische verbannen, und wir dürfen jetzt auch nicht irgendwelchen Wissenschaftler*innen die alleinige Definitionsmacht darüber geben, sondern wir müssen das ausdiskutieren. MUSIK 46 (Matthew Herbert, One Pig, 9 May 2011) SPRECHER*INNEN (auf 3 Musiken) 1 Beispiel / O-TON 29 (Doris Schweitzer) (auf 3 Musiken) / da gibt es ein viel diskutiertes Beispiel des Whanganui Rivers, der den Status eines Rechtssubjekts zuerkannt bekommen hat / SPRECHER*INNEN (auf 3 Musiken) 4 / ein neuseeländischer Fall / O-TON 30 (Doris Schweitzer) (auf 3 Musiken) / und hier ist es ja so, dass dezidiert, wie in der entsprechenden Bill festgestellt wurde, kolonialem Unrecht eine Wiedergutmachung geschehen soll, indem anerkannt wird, dass die Iwi / SPRECHER*INNEN (auf 3 Musiken) 1 / Angehörige der Maori / O-TON 31 (Doris Schweitzer) (auf 3 Musiken) / das Verhältnis zu ihrem Habitat nicht über das westliche Eigentum konzipieren, sondern den Fluss selber auch als Subjekt in irgendeiner Form anerkennen, und das wird jetzt institutionalisiert. SPRECHER*INNEN (auf 3 Musiken) 1 Der Fluss soll weder den Iwi noch dem Staat gehören / 4 / er ist jetzt eine eigene Entität, a legal person, die sich selber gehört. 2 Geht es bei den Rechten der Natur nicht eigentlich um eine neue Eigentumsordnung? Und wird die Eigentumsfrage, die oft eine koloniale oder postkoloniale Frage ist, in diesem Fall nicht einfach umgangen? O-TON 32 (Doris Schweitzer) (auf 3 Musiken) In den Verhandlungen vorab wurde schon gesagt, also Eigentum wäre eigentlich besser, weil dann haben wir unsere Souveränität wirklich. Jetzt ist es aber so, dass der Fluss das Rechtssubjekt ist und die Krone und Vertreter der Iwi zusammen das verwalten oder Stellvertreter*innen sind. Das ist unter Umständen weniger, als wir zur Wiedergutmachung des postkolonialen Unrechts eigentlich leisten müssten. MUSIK 47 (Death Ambient, Ways Out) SPRECHER*INNEN (auf Musik 47) 1 Die ecuadorianischen Frösche und der neuseeländische Fluss sind viel publizierte Fälle. 4 Jeder Fall ist eine eigene Welt, bestimmt von spezifischen Weltanschauungen / 1 / Naturverständnissen / 4 / Kulturen / 1 / Rechtstraditionen / 4 / Machtverhältnissen / 1 / sozialen Kämpfen. O-TON 33 (Jula Zenetti) (auf Musik 47) Grundsätzlich lässt sich eigentlich über Eigenrechte der Natur sagen, dass ohne den Einfluss indigener Bevölkerungsgruppen in Ländern, in Rechtsordnungen des Globalen Südens, wir wahrscheinlich oder mit Sicherheit heute nicht an dem Punkt in der Debatte wären, an dem wir sind. Gleichzeitig war es original keine indigene Idee sozusagen, sondern der Herr Stone, der Christopher Stone, war westlicher Rechtswissenschaftler ohne erkennbare indigene Einflüsse. Trotzdem haben indigene Bevölkerungsgruppen die Idee aufgefasst, um zumindest Teile ihrer Weltansicht in Verfassungen, in Rechtsordnungen einzubringen, und haben diese Eigenrechtsbewegung so stark gemacht, dass sie rübergeschwappt ist wieder zu uns. MUSIK 48 (Eduardo Polonio 5 5/5) SPRECHER*INNEN (auf Musiken 47/48) 4 Der Urtext der Bewegung der Rechte der Natur von 1972 ist von Christopher Stone / 1 / ein US-amerikanischer Jurist / 4 / und heißt: Should Trees have Standing? MUSIK 48 (Eduardo Polonio, 5 5/5) SPRECHER*INNEN (auf Musiken 47/48) 1 2 4 Sollen Bäume Rechte haben? SPRECHER*INNEN (auf Musiken 47/48) 4 Stone fragt auch, wie sich Vorstellungen von Eigentum im Lauf der Geschichte verändert haben / 1 / Menschen besaßen Menschen / 4 / Männer besaßen Frauen / 1 / Menschen besitzen Nichtmenschen. O-TON 34 (Jens Kersten) (auf Musik 47) Also prinzipiell ist es, glaube ich, wichtig zu sehen, dass eben heute dieser ökologische Diskurs oftmals begleitet wird von der Frage, wir brauchen eine postkapitalistische Ordnung. Ich glaube, der Haupteinwand dagegen ist, wir haben im Augenblick, wenn wir uns die Klimakatastrophe, das Artensterben anschauen, überhaupt gar keine Zeit, das Eigentum und die kapitalistische Ordnung abzuschaffen und etwas Neues da zu etablieren, sondern wir müssen sie aber dann doch auch radikal transformieren. In Deutschland ist es so, dass das Eigentum in Art. 14 des Grundgesetzes geregelt ist, und im Vergleich zu allen anderen Grundrechten ist es so, das Eigentum ist garantiert, aber es wird von vornherein gesagt, dass der Gesetzgeber nicht nur die Schranken, sondern auch den Inhalt des Eigentums bestimmt. Also der Gesetzgeber sagt, bestimmte Dinge können wir aus dem Eigentum rausnehmen, und das haben wir beispielsweise für das Grundwasser im Wasserhaushaltsgesetz gemacht. Und hier kann man sich vorstellen, dass wir bestimmte ökologische Medien, neben dem Wasser, beispielsweise Landschaften, auch aus dem Eigentum herausnehmen und es in anderen Formen verwalten. Es ist auch nicht unbedingt notwendig, dass man sagt, dass Tiere im Eigentum stehen müssen. Das ist auch nirgendwo geschrieben, sondern man kann zu anderen Verhältnissen zu Tieren kommen, die, eben vielleicht auch als ökologische Person anerkannt, eben nicht in diese Subjekt-Objekt-Beziehung reinrutschen können MUSIK 3 (Matthew Herbert, Score) SPRECHER*INNEN (auf Musik 3) 2 Wie kommt es eigentlich, trotz aller Unterschiede in Interpretation und Anwendung, zu diesem enthusiastischen Bezug auf die Rechte der Natur im liberalen, aber auch im kapitalismuskritischen Lager? O-TON 35 (Jula Zenetti) (auf Musik 3) Also wir sprechen von einem Age of Rights, wir befinden uns in einem Zeitalter der Rechte / SPRECHER*INNEN (auf Musik 3) 2 / in dem wir uns Emanzipation nur mehr als Erweiterung der liberalen Rechtsgemeinschaft vorstellen können. Auch sind Rechte haben und Recht bekommen nicht das Gleiche. Und warum sollte das ausgerechnet bei Rechten der Natur anders sein? O-TON 36 (Jula Zenetti) (auf Musik 3) Die Realität ist einfach, dass subjektive Rechte entscheidend sind und immer weiter an Bedeutung gewinnen. Und die Natur rauszulassen von diesem Rechtskonstrukt "subjektive Rechte", das so viel Macht eigentlich seinen Träger*innen gibt, würde bedeuten, die Wichtigkeit des Standing der Natur in unserer Welt eher immer weiter eigentlich zu vermindern. SPRECHER*INNEN (auf Musik 3) 2 Was sind subjektive Rechte überhaupt? O-TON 37 (Doris Schweitzer) (auf Musik 3) Also die Rechtsform "subjektives Recht" lässt uns eigentlich das Ich, also das Subjekt, immer nur als einzelnes Subjekt denken, und es geht dann immer um meine Freiheit gegenüber der Freiheit der anderen; also ich kann mich sozusagen immer nur in Konkurrenz zu anderen sehen. Und wenn man jetzt die Rechte der Natur sozusagen mit diesem Verständnis als Rechtssubjekt betrachtet, dann tritt eben die Natur in Konkurrenz zum Beispiel zu meinem Recht auf Nutzung dieses Bodens usw. usf. Und das ist in dem Kontext unter Umständen eben problematisch, wenn man das so reduziert auf diese westliche Rechtsform "subjektives Recht", weil dann in dem Moment, wenn ich die Natur adressierbar mache als Rechtssubjekt, ich sie auch bewertbar mache. Also ich muss ja in die Abwägung dann gehen, und dann kann ich sie natürlich auch abwerten. MUSIK 48 (Jonathan Bepler, Cremaster 2, 3) SPRECHER*INNEN (auf Musik 48) 1 Beispiel: der Cóndor Mirador-Fall / 4 / Ecuador 2013 / 1 / ein Bündnis indigener Gruppen und Umwelt-NGOs verklagte einen Bergbaukonzern und den Staat wegen Verletzung der Rechte der Natur in einem von indigenen Bevölkerungsgruppen bewohnten Biodiversitäts-Hotspot / 2 / und das Gericht urteilte zugunsten der Angeklagten, für die Wirtschaft gegen die Natur / 4 / es war die Zeit, als linke lateinamerikanische Regierungen auf Bergbau setzten. MUSIK 48 (Jonathan Bepler, Cremaster 2, 3) O-TON 38 (Andreas Gutmann) Ja man spricht ja von diesem Modell des Neoextraktivismus. Das ist die Idee, der Staat reguliert den Bergbau oder führt ihn zum Teil selbst durch und partizipiert dann sehr stark an den Einnahmen aus dem Bergbau und nutzt diese Einnahmen dann für Umverteilungsprojekte; diese Umverteilungsprojekte gehen aber häufig sehr stark zu Lasten der Umwelt. Es gab diesen Konflikt in Ecuador schon in der verfassungsgebenden Versammlung; da gab es auch verschiedene Strömungen, die zusammengeflossen sind. Einmal gab es diese stark extraktivismuskritische Strömung, die ganz aufhören wollte mit dem Bergbau, und auf der anderen Seite gab es die Strömung, die Sozialprogramme gefordert hat. Man könnte sagen, die Verfassung selbst ist deutlich extraktivismuskritischer, als es dann die Regierung war. MUSIK 25 (In Memoriam 2) MUSIK 49 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) MUSIK 25 (In Memoriam 2) O-TON 39 (Jula Zenetti) (auf Musik 25) Das Fallrecht in Ecuador zeigt, dass vor allem am Anfang die Gerichte große Schwierigkeiten hatten, gerade gegen die Regierung Urteile auszusprechen, die große staatliche Projekte verhindern würden. MUSIK 49b (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) SPRECHER*INNEN 2 Neue Rechtssubjekte schaffen ist eine Sache, Rechte durchsetzen eine andere; ist immer auch eine Frage von Macht. MUSIK 1 (Matthew Herbert, One Pig, August 2010) SPRECHER*INNEN (auf Musik) 1 2 4 Schon wieder ist eine Art von der Erde verschwunden. Oder ist kurz davor. MUSIK 51 (Dead & Gone, Vol. 2, Totenklage) (auf Musik 1) O-TON 40 (Jula Zenetti) Insgesamt werden Klagen im Namen der Natur erfolgreicher zahlenmäßig. Man muss Gerichten und Klagenden oder Vertreterinnen von Natur da schon einen Zeitraum einräumen, um da so ein bisschen zueinanderzufinden und auszuklamüsern, wie genau die Rechte ausgestaltet sind, was die beinhalten. Aber Ecuador zeigt, dass es möglich ist. MUSIK 53 (Compositores Actuales, 6) + MUSIK 54 (Eduardo Polonio, Diagonal) SPRECHER*INNEN (auf Musiken 53/54) 2 Obwohl Ecuador 2008 die Rechte der Natur in seiner neuen Verfassung verankert hat / 1 / jede beliebige Person / 4 / unabhängig von persönlicher Betroffenheit / 1 / kann sie einklagen / 4 / die so genannte Popularklage / 2 / haben die Regierungen mehr Bergbau- und Ölfördergenehmigungen erteilt als zuvor. MUSIK 51 (Dead & Gone, Vol. 2, Totenklage) SPRECHER*INNEN (auf Musiken 53/54) 4 Vor Kurzem hat das ecuadorianische Verfassungsgericht eingegriffen. 1 Es ließ prüfen, ob die Rechte der Natur eingehalten werden. 4 Diverse Gerichtsverfahren wurden neu aufgerollt. 1 Beispiel: ein großes Bergregenwaldgebiet nordwestlich von Quito / 4 / Los Cedros / 1 / ein biologisch außerordentlich vielfältiges Ökosystem / MUSIK 51 (Dead & Gone, Vol. 2, Totenklage) SPRECHER*INNEN (auf Musiken 53/54) 4 / bedrohte Arten / 1 / der Brillenbär / 4 / der Braunkopfaffe / 1 / Amphibien / 4 / usw. 1 Mehrere Klagen gegen dort geplante Minenvorhaben waren gewonnen worden / 2 / Urteile, die die Ministerien für Bergbau und Umwelt jedes Mal haben anfechten lassen. MUSIK 51 (Dead & Gone, Vol. 2, Totenklage) SPRECHER*INNEN (auf Musiken 53/54) 1 Ende 2021 hat das ecuadorianische Verfassungsgericht sein Urteil gefällt. Es bestätigt / 4 / die Verletzung der Rechte von Los Cedros. 1 Es bestätigt außerdem / 4 / die Rechte der Natur des Waldes, das Recht auf Wasser, das Recht auf eine gesunde Umwelt, das Recht auf Konsultation durch die Bevölkerung. 1 Alle bereits erteilten Abbaugenehmigungen sind damit aufgehoben / 4 / und das Umweltministerium zur Erhaltung des Waldes verpflichtet. 1 Mit dem Urteil ist ein Präzedenzfall geschaffen / 4 / der lokal, national, international Folgen haben wird / 2 / sagen ecuadorianische Aktivistinnen. MUSIK 55 (David Grubbs, Prismrose, 5, Nightfall in the Covered Cage) O-TON 41 (Andreas Gutmann) (auf Musik 55) Die ecuadorianische Verfassung von 2008 hat einen grundlegend transformatorischen Anspruch. Man wollte grundlegend etwas ändern an der Wirtschaftsweise, aber auch am Verhältnis von Mensch und Natur. Gleichzeitig wollte man aber auch indigenes Denken im Recht stärker verankern. Und man wollte weg von einem liberalen Rechtsverständnis. Es gibt in der ecuadorianischen Verfassung die ganzen liberalen Menschenrechte, aber es gibt eben viel mehr. Es gibt viele soziale Rechte, es gibt kollektive Rechte, es gibt viele verschiedene Rechte, die das Verhältnis von Mensch und Natur schützen. Es gibt z.B. das Recht auf saubere Umwelt. Und es gibt natürlich auch die Rechte der Natur. Und alle Rechte stehen erstmal auf einer Stufe. Es gibt keine Hierarchie. MUSIK 56 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) SPRECHER (BL, Wo bin ich?, 85) (auf Musik 55) 3 Seit Langem ist bekannt, dass der Homo oeconomicus nichts Urwüchsiges, Natürliches oder Autochthones hat. Er kommt buchstäblich von oben, top down, und geht in keiner Weise von der gewöhnlichen, praktischen Erfahrung aus, from the ground up, von den Beziehungen, die Lebensformen mit anderen Lebensformen unterhalten. MUSIK 57 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) O-TON 42 (Andreas Gutmann) (auf Musik 55) Also geht es darum, den Staat ganz grundlegend zu transformieren, auch über das Institut der Rechte. Das ist ja erst einmal vielleicht ein bisschen kontraintuitiv, weil gerade dieses Institut der Rechte oder der subjektiven Rechte ein westliches Konzept ist, das über den Kolonialismus nach Ecuador gekommen ist. Und gerade auch das will man sich nun aneignen und umarbeiten und damit eine Transformation des Rechts anstoßen. Man erfindet viele Rechte, und diese Rechte gehen deutlich über den Inhalt von liberalen Rechten hinaus und nehmen über das Konzept der Rechte etwas in das Recht hinein, was eigentlich dem Verständnis von subjektiven Rechten ganz gegenläufig ist. / Also dass man über das Prinzip der Rechte kollektive Prozesse und kollektive Autonomien ganz stark absichern will. MUSIK 58 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream)+ MUSIK 54 (Eduardo Polonio, Diagonal) O-TON 43 (Frank Adloff) (auf Musiken 58/54) Eine gewisse Gefahr der Verleihung von subjektiven Rechten an natürliche Entitäten besteht ja darin, dass man im Grunde nur eine weitere Kategorie von Subjekt kreiert, und dann stehen sich jetzt menschliche Akteure und nichtmenschliche Akteure als Subjekte mit ihren Autonomieansprüchen gegenüber, und einem relationalen Verständnis von Zusammenleben von Natur und Gesellschaft kommen wir vielleicht nicht näher. Das wäre so ein starker Einwand, der aber meines Erachtens nicht dazu führen sollte, dieses Projekt gleich abzulehnen, der Rechte der Natur. Ich denke, wenn man sehr langfristig auf diese Problematik, wie soll der Mensch auf diesem Planeten leben, blickt, dann ist vielleicht dieses Konstrukt der subjektiven Rechte der Natur auch wiederum eine Zwischenetappe zu einem relationalen Verständnis auch von Rechten oder von Zusammenleben, das wir aber noch gar nicht gut artikulieren können, wo wir auch noch gar keine Mittel an der Hand haben, juristische, politische, ökonomische Mittel, um das auszuformulieren. MUSIK 59 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) MUSIK 9 (A Dead Staphylococcus Looks Like A Skull) SPRECHER*INNEN (auf Musiken 59/54 + Musik 9) 2 Ist dieser ganze Diskurs der Rechte der Natur nicht naiv? / 1 / immerhin werden Begriffe wie Recht, Natur, Politik, Eigentum neu gedacht / 4 / und wenn überhaupt nur die Naivität, Dinge zu denken, die noch für unmöglich gehalten werden, uns weiterbringt? / 1 / die andere Erde, der andere Globus, die anderen Leute / 4 / wir sollten wieder utopiefähig werden, findet ihr nicht? / SPRECHER (auf Musiken 59/54) 3 / bravo. O-TON 44 (Frank Adloff) (auf Musiken 59/54) Ja ich glaube, diese Debatte um die Rechte der Natur hat so an Fahrt aufgenommen, weil diejenigen, die sich wirklich für eine Transformation einsetzen, die also diese planetaren Krisen ernst nehmen, bemerken, dass wir auf den normalen Wegen der Verfahren, das Gewinnen von neuen Mehrheiten in Demokratien, dass wir da in Sackgassen geraten sind und nicht abzusehen ist, dass hier die neuen Mehrheiten schnell genug entstehen. Deshalb erhofft man sich tatsächlich schnellere, massivere Schritte durch das Rechtssystem, dass tatsächlich durch den Schutz bestimmter Rechte angemahnt wird, dass Staaten genötigt sind oder auch Unternehmen genötigt sind, etwas zu tun oder nicht zu tun, etwas zu unterlassen. MUSIK 60 (Eduardo Polonio, 3, Ice Cream) MUSIK 61 (Matthew Herbert, One Pig, 1 August 2009) SPRECHER*INNEN (auf Musik 61) 1 Jens Kersten hat sich schon einmal an die Konkretisierung der Utopie gesetzt und eine ökologische Überarbeitung des Grundgesetzes publiziert / SPRECHER (auf Musik 61) 3 / bravo! O-TON 45 (Jens Kersten) (auf Musik 61) Genau. Also ich glaube, der zentrale Punkt ist, wenn man das einmal herunterbricht, wie man das umsetzen will, da gibt es im Augenblick zwei große Ansätze, die auch für das Grundgesetz diskutiert werden. Der eine Ansatz geht zurück auf die Verfassung von Ecuador aus dem Jahr 2008. Dort wird die Natur, vor allem große Ökosysteme, als juristische Person anerkannt, die dann auch Rechte haben kann, die auch von jedermann in Form der Popularklage einklagbar sind. MUSIK 61 (Matthew Herbert, One Pig, 1 August 2009) O-TON 46 (Jens Kersten) (auf Musik 61) Es wird nun vorgeschlagen, dass man das umsetzt, in dem man im Grundgesetz im Anschluss an die dortige Staatszielbestimmung Umweltschutz in den Artikeln 20 B einfach übernimmt, was die Verfassung Ecuador auch macht. Das ist ein durchaus sehr gut vertretbares Konzept. Aber es gibt hier auch noch Alternativen. MUSIK 61 SPRECHER*INNEN (auf Musik 61) Welche wären das? O-TON 47 (Jens Kersten) (auf Musik 61) Dieser andere Ansatz, der bezieht sich auf eine Regelung, die wir schon im Grundgesetz haben, nämlich den Art. 19 Abs. 3 des Grundgesetzes. Das ist eine ein bisschen versteckte, aber sehr wichtige Vorschrift, die besagt, dass sich prinzipiell ökonomische und soziale juristische Personen auch auf die Grundrechte berufen können, die ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. Das klingt abstrakt, ist aber konkret gar nicht schwer zu verstehen, nämlich GmbHs oder Aktiengesellschaften, also juristische Personen des Wirtschaftslebens, können sich auf die Grundrechte berufen, die ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind, also beispielsweise auf die Eigentumsgarantie oder auf die Wirtschaftsfreiheit. Und was mit totem Kapital funktioniert, das funktioniert natürlich auch mit lebenden Entitäten, also schlicht mit Akteurinnen, Akteuren der Natur. MUSIK 61 (Matthew Herbert, One Pig, 1 August 2009 + ATMO 3 SPRECHER (Atmo 3) 3 Bravo! Bravo! O-TON 48 (Jens Kersten) (Atmo 3) Man kann schlicht und ergreifend in diesen Art. 19 Abs. 3 auch anerkennen, dass ökologische Personen sich auf die Grundrechte berufen können, die ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. SPRECHER*INNEN (Atmo 3) 2 Das müssen Sie konkretisieren! O-Ton 49 (Jens Kersten) (auf Atmo 3) Dann wäre es eben genau wie im Gesellschaftsrecht, also im Wirtschaftsrecht, die Aufgabe des Gesetzgebers, das auszuformulieren, also auszugestalten. Also genauso wie wir ein ökonomisches Gesellschaftsrecht haben, können wir ein Umweltgesetzbuch schaffen, das längst überfällig ist, und dort ausdifferenzieren, welche ökologischen Entitäten welche Rechte haben. Der Gesetzgeber ist hier weitgehend frei, aber es würde sich anbieten, dass beispielsweise der Gesetzgeber sagt, dass Tiere als individuelle Personen anzuerkennen sind. MUSIK 1 (Matthew Herbert, One Pig, August 2010) SPRECHER*INNEN (auf Musik) 1 2 4 Schon wieder ist eine Art von der Erde verschwunden. Oder ist kurz davor. MUSIK 63(Dead & Gone, Vol. 2, Totenklage) MUSIK 3 (Matthew Herbert, Score, 10) SPRECHER*INNEN (auf Musik 3) 2 Auf welche Rechte könnten Tiere sich berufen? O-TON 50 (Jens Kersten) (auf Musik 3) Na ja auf die, die ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. Also das wäre die Bewegungsfreiheit, das Recht auf Leben und das Recht auf Gesundheit. Aber zum Beispiel mit Blick auf das Ökosystem auch das Recht auf Wohnung. SPRECHER (auf Musik 3) 3 Bravo! SPRECHER*INNEN (auf Musik 3) 2 Und was für Rechte hätten Pflanzen? O-TON 51 (Jens Kersten) (auf Musik 3) Bei Pflanzen könnte man differenzieren, indem man sagt charismatische Pflanzen, also Pflanzen, die besonders wertvoll sind, vom Aussterben bedroht sind, die erklären wir auch zur juristischen ökologischen Person. Aber Pflanzen, die eben nicht charismatisch sind, die rechnen wir in ihrem Schutz wiederum Ökosystemen zu, beispielsweise einem Fluss oder einer Landschaft, denen wir wiederum die ökologische Persönlichkeit zurechnen können. Und so entfaltet sich eine ökologische Gesellschaftsordnung, genau wie wir das beim ökonomischen Gesellschaftsrecht haben. SPRECHER*INNEN (auf Musik 3) 2 Und wer wäre berechtigt, für diese Naturpersonen zu sprechen, in ihrem Namen zu klagen? O-TON 52 (Jens Kersten) (auf Musik 3) Wenn man hingeht und übernimmt, was die Verfassung von Ecuador macht und das in etwa auch so ins Grundgesetz reinschreiben würde, dann würde es sich auch anbieten, die Popularklage zu übernehmen. SPRECHER*INNEN (auf Musik 3) 4 Jede beliebige Person könnte also klagen / 1 / unabhängig von persönlicher Betroffenheit / 2 / nicht jede hat das nötige ökonomische Kapital. O-TON 53 (Jens Kersten) (auf Musik 3) Wenn man den anderen Weg geht, wenn man sagt, wir schützen nicht die Natur als solche oder große Ökosysteme, sondern wir differenzieren das zwischen verschiedenen ökologischen Personen aus, dann wäre es so, dass der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, die Vertretung im Einzelfall zu regeln, genau wir er das auch bei ökonomischen Personen hat. SPRECHER*INNEN 2 Was heißt das? O-TON 54 (Jens Kersten) (auf Musik 3) Also er könnte hingehen und sagen, in bestimmten Fällen, beispielsweise bei Tieren, da kann klagen eine bestimmte individuelle Person. Er kann aber auch hingehen und sagen, in komplexeren Verhältnissen können klagen oder die Stellvertretung für eine ökologische Person ausüben Vereine oder Verbände, und bei großen ökologischen Personen, beispielsweise bei einem Fluss oder einer Landschaft, da kann er die Popularklage nehmen. MUSIK 64 (Matthew Herbert, One Pig, 7, February) SPRECHER*INNEN (auf Musik 64) 4 Viel wird davon abhängen, wie die Rechte der Natur ausgestaltet sind / 1 / und wie sie angewendet werden / SPRECHER (auf Musik 64) 3 / voilà / SPRECHER*INNEN (auf Musik 64) 2 / und wer die Macht hat, sie durchzusetzen. O-TON 55 (Frank Adloff) (auf Musik 64) Natürlich gibt es da Ängste, was die Rechte der Natur betrifft, dass tatsächlich zu massiv in die Art und Weise, wie wir wirtschaften, wie wir produzieren, eingegriffen wird. SPRECHER*INNEN (auf Musik 64) 2 Was könnte das z.B. für die Massentierhaltung bedeuten? O-TON 56 (Frank Adloff) (auf Musik 64) Es wird dann zu massiven Konflikten kommen um die Massentierhaltung und beispielsweise die Frage, ob so etwas überhaupt erlaubt ist. Und dann würde eine ganze Exportindustrie in Deutschland vielleicht auch lahmgelegt werden, was angesichts dieser Modernisierungshoffnung, die es immer noch gibt, nur zu verständlich ist, dass man das eigentlich nicht will und nicht angehen möchte. MUSIK 64 (Matthew Herbert, One Pig, February) MUSIK 65 (Eduardo Polonio, Ice Cream) MUSIK 66 (Compositores Actuales 6) MUSIK 16 (Jonathan Bepler, Cremaster 2, 3) MUSIK 67 (Eduardo Polonio, Ice Cream) SPRECHER (BL, PdD, 241/242) (auf Musiken 65/66/16/67) 3 "Morgen", riefen die Modernen aus, "werden wir noch losgelöster sein." "Morgen" murmeln die, die man Nicht-Moderne nennen muss, "werden wir noch verbundener sein." Wir erwarten von der Zukunft nicht länger, dass sie uns von unseren Verwicklungen emanzipiert, sondern uns mit noch festeren Knoten mit noch zahlreicheren Mengen von Aliens verknüpft, die zu vollgültigen Mitgliedern des sich bildenden Kollektivs geworden sind. Es gibt keinen Abschluss unserer Geschichte. Das Ende der Geschichte ist der Pfeil der Modernen, der dieses Ende voraussetzte. Denn nach und nach zu einem kosmos werden, kennt kein Ende. Au revoir. MUSIK 68 (Death Ambient, A Dead Staphylococcus Looks Like A Skull) SPRECHER*INNEN (auf Musik 67) Another Earth, another Globe, invoked by another People Vom Diskurs der Rechte der Natur Ein Feature von Barbara Eisenmann +Mit Zitaten aus "Kampf um Gaia" "Das terrestrische Manifest" "Das Parlament der Dinge" "Ein neue Soziologie für eine neue Gesellschaft" "Wo bin ich? Lektionen aus dem Lockdown" von Bruno Latour und "Zur Entstehung einer ökologischen Klasse" von Bruno Latour und Nikolaj Schultz erschienen im Suhrkamp Verlag Es sprachen: Doga Gürer, Lorena Handschin, Merle Wasmuth, Bernd Moss Ton und Technik: Alexander Brenneke und Martin Eichberg Regie: Barbara Eisenmann Redaktion: Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks, 2023 MUSIK 1 (Matthew Herbert, One Pig, August 2010) SPRECHER*INNEN (auf Musik 1) In einigen Minuten wird eine weitere Art von der Erde verschwunden sein. MUSIK 69 (Dead & Gone, Vol. 2, Totenklage) 31