Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Die Dirty Tricks der Demokratie Wahlmanipulation in den USA Autor: Tom Schimmeck Regie: Martin Zylka Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: WDR/Deutschlandfunk/SWR 2022 Erstsendung: Dienstag, 08.11.2022, 19.15 Uhr Es sprachen: Karin Johnson Caroline Schreiber Nelly Politt Bernd Reheuser Markus J Bachmann Hüseyin Michael Cirpici und der Autor Tom Schimmeck Technische Realisation: Hennig Schmitz Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Atmo/O-Ton Beifall / 002 LBJ "Mr. Speaker, Mr. President, Members of the Congress: I speak tonight for the dignity of man and the destiny of democracy. I urge every member of both parties, Americans of all religions and of all colors, from every section of this country, to join me in that cause." Sprecher 3 "Ich spreche heute Abend im Namen der Menschenwürde und des Schicksals der Demokratie. Ich fordere alle Mitglieder beider Parteien, Amerikaner aller Religionen und aller Hautfarben, aus allen Teilen dieses Landes auf, sich mir in dieser Sache anzuschließen." Erzähler 1965, Washington, DC. Präsident Lyndon B. Johnson präsentiert dem Kongress sein neues Wahlrecht "Voting rights act". Er soll vor allem der afroamerikanischen Bevölkerung, den "Negroes", wie er sagt, endlich echte Mitsprache bringen. O-Ton 004 LBJ "...Yet the harsh fact is that in many places in this country men and women are kept from voting simply because they are Negroes. Every device of which human ingenuity is capable has been used to deny this right. For the fact is that the only way to pass these barriers is to show a white skin." Sprecher 3 "Die harsche Realität ist, dass an vielen Orten in diesem Land Männer und Frauen vom Wählen abgehalten werden, nur weil sie Negroes sind. Jedes Mittel, zu dem der menschliche Einfallsreichtum fähig ist, wurde eingesetzt, um dieses Recht zu verweigern. Denn die einzige Möglichkeit, all diese Hürden zu überwinden, besteht darin, eine weiße Hautfarbe vorzuweisen." Collage1 008 CBS-Moderator "The Supreme Court has just issued a ruling challenging part of historic voting rights law." Moderatorin: "The law suit focuses on the federal government's power to review any change in voting procedures ..." 009 NBC-Moderator "...we've had a key ruling from the United States Supreme Court striking down a key provision of the 1965 voting rights act..." 010 CNN-Moderatorin "...Chief Justice John Roberts and four other Supreme Court justices struck down a key part of the voting rights act of 1965." Erzähler Doch im Sommer 2013 erklärte der Supreme Court, das höchste Gericht der USA, wichtige Teile des Gesetzes für ungültig. Mit 5:4 Stimmen. O-Ton 012 Texanerin "Democracy is threatened. Definitely. It teeters on the brink. " O-Ton 013 Lawler "Democracy is very fragile in this country right now, very fragile. " O-Ton 015 Moss "And now people are lying and spreading rumors and lies and attacking my mom..." Erzähler Viele US-Amerikaner sind sich heute sicher: Dabei wird es nicht bleiben. O-Ton 016 Ruby "There is nowhere I feel safe. Nowhere." O-Ton 017 Boog "These are frightening times." O-Ton 014 Trump "They found thousands and thousands of votes. They were out of whack, all against me. " alternativ: 014B Ansage Die Dirty Tricks der Demokratie Wahlmanipulation in den USA Feature von Tom Schimmeck Atmo 019 Autoradio leise Musik, Gouverneur mit Covid-Ansage2 alt: 020 Fahrgeräusch, Autoradio Country-Kitsch Erzähler Wählen - das ist in den USA eine komplizierte Angelegenheit, auch nach 235 Jahren Demokratie. Es beginnt schon beim Electoral College, jenem Gremium, das alle vier Jahre den Präsidenten wählt. Dessen 538 Wahlfrauen und -männer werden in den 50 Bundesstaaten und dem District of Columbia auf Basis des Wahlergebnisses bestimmt. Da sind Verzerrungen eingebaut: Zum einen, weil in den meisten Bundesstaaten eine Mehrheit dazu führt, dass der Sieger alle Stimmen bekommt. Zum anderen, weil die Regeln der Verfassung die kleinen Staaten bevorzugen. In Kalifornien und Texas steht eine Stimme im Electoral College derzeit für über 700 000 Menschen, in Wyoming für weniger als 200 000. Das kann dazu führen - und es passiert immer häufiger -, dass der Kandidat mit den meisten Wählerstimmen verliert. Musik Outer Rim -Sonoton Atmo 021 022 opt., leise zumischen: ABC / CBS News 2000 "An election in turmoil!" Erzähler Im Jahr 2000 wählte eine Mehrheit den Demokraten Al Gore. Doch George W. Bush wurde Präsident. 2016 errang Hillary Clinton einen Vorsprung von fast drei Millionen Wählerstimmen. Im Electoral College aber stand es 304 zu 227 für Donald Trump. Die Details immerhin sind präzise geregelt. Musik Sprecherin 3 Laut Verfassung gibt das Volk "am ersten Dienstag nach dem ersten Montag im November" seine Stimme ab. Sprecherin 2 Das Electoral College tagt am ersten Montag nach dem zweiten Dienstag im Dezember, um Präsident und Vizepräsident tatsächlich zu wählen. Erzähler Die Wahlfrauen und -männer tagen separat, in den Hauptstädten der Bundesstaaten. Um, wie es in den Federalist Papers von 1788 hieß, ... Sprecherin 1* "...Tumult und Aufruhr so wenig Gelegenheit wie möglich zu geben." Atmo 0233 Trump 6.1.2021 LEISE We're going to walk down and I'll be there with you. We're going to walk down we're going to walk down. Anyone you want, but I think right here, we're going to walk down to the Capitol Jubel a... Because you'll never take back our country with weakness. You have to show strength and you have to be strong." Erzähler Die Ergebnisse gehen dann auf die Reise nach Washington, DC - ins Kapitol. Wo sie am 6. Januar um ein Uhr mittags in Holzkisten aus Mahagoni in eine Sitzung von beiden Kammern des Kongresses getragen, dort gesichtet und gezählt werden. Der amtierende Vizepräsident leitet die Zeremonie. Atmo 024 Trump "...and we fight. We fight like hell, and if you don't fight like hell, you're not going to have a country anymore... So we are going to walk down Pennsylvania Avenue - I love Pennsylvania Avenue - and we are going to the Capitol..." 025 Trump "let's walk down Pennsylvania Avenue. I want to thank you all. God bless you and God bless America. Thank you all for being here. This is incredible..." 026 / 027 Riot am Kapitol Erzähler Diesen letzten Wahlakt hatte der Mob im Visier, der am 6. Januar 2021 Richtung Kapitol zog. Die zornerfüllte Menge riss Absperrungen nieder, überwältigte Polizisten, stürmte schließlich das Parlament, um den letzten Wahlakt zu stoppen. Anders als versprochen war Trump nicht mitmarschiert. Er feuerte Tweets aus dem Weißen Haus ab: Sprecher 1 "Mike Pence hatte nicht den Mut, zu tun, was getan werden musste." Atmo 028 Rioters "Bring him out! Hang Mike Pence!" 029 Mob im Kongress Erzähler "Hängt Mike Pence" riefen die Anführer. Einen Galgen hatten sie dabei. Trumps treuer Vizepräsident rannte um sein Leben. Musik Atmo 031 Im Autoradio, fahrend: ...seizing upon his invitation to fight they assembled their followers for an insurrectionary showdown against Congress and the Vice President. On January 6, Trump knew the crowd was angry, he knew the crowd was armed. He sent them to the capital anyway." Erzähler Juni 2022. Im Autoradio: eine Anhörung des Sonderausschusses zum Angriff aufs Kapitol. Wahlhelferinnen aus Georgia berichten. O-Ton 032 Ruby Freeman: "Do you know how it feels to have the President of the United States to target you? He targeted me, Lady Ruby, a small business owner, a mother, a proud American citizen who helped Fulton County run an election in the middle of the pandemic." Sprecherin 3 Wissen Sie, wie es sich anfühlt, wenn der Präsident der USA Sie zur Zielscheibe macht? Er nahm mich ins Visier, mich Lady Ruby, Kleinunternehmerin, Mutter, eine stolze amerikanische Bürgerin, die dabei half, dass in Fulton County, mitten in der Pandemie, eine Wahl stattfinden konnte." O-Ton 034 Trump Telefon "We had at least 18,000. That's on tape. We had them counted very painstakingly, 18,000 voters having to do with the Ruby Freeman. That's - she's a vote scammer, a professional vote scammer and hustler." Sprecher 1 "Wir hatten mindestens 18 000 Stimmen. Sie ist eine professionelle Stimmenfälscherin und eine Betrügerin." O-Ton 035 Shaye Moss "I felt horrible. I felt like it was all my fault..." 036 Autoradio NPR "Thank you for listening to All things considered..." Erzähler Ich hatte bei Wahlbehörden etlicher US-Bundesstaaten angefragt. Wochenlang schien es unmöglich, einen Wahlbeamten zu interviewen. Da meldet sich überraschend die oberste Wahlbehörde in Georgia. O-Ton 037 Autostimme "OK. I think I can set up you with Joseph Kirk, election superintendent of Bartow County. He is in Cartersville. Expect a call from him shortly." Erzähler Der Wahlleiter von Bartow County sei zum Interview bereit. O-Ton 040 "My name is Joseph Kirk, I am the election supervisor of Bartow County, Georgia. " 041 Atmoreserve Kirk läuft und erklärt4 042 Kirk "I train the employees, register the voters, count the votes...." Sprecher 2 "Ich schule die Mitarbeiter, registriere die Wähler, zähle die Stimmen..." Musik Erzähler In den USA bietet nicht nur jeder Supermarkt eine oft erdrückende Auswahl an. Auch auf den Wahlzetteln wird viel geboten. O-Ton 043 Kirk "Well, everything from Governor, Secretary of State, the statewide offices, federal legislative offices, of course president. And then State Legislature - State House, State Senate. Down to the county level: We have a Sole County commissioner, school board, coroner, sheriff, tax commissioner. And then depending on, where people live, if they live within a city, there are city offices they vote on -mayor and city council." Sprecher 2 "Vom Gouverneur, dem Secretary of State, den bundesstaatlichen Ämtern über die gesetzgebenden Instanzen auf nationaler Ebene bis zum Präsidenten. Dann die Legislative jedes Bundesstaates -Repräsentantenhaus und Senat. Bis hinunter auf die Bezirksebene: Wir haben einen Bezirkskommissar, einen Schulrat, einen Leichenbeschauer, einen Sheriff, einen Steuerkommissar. Wenn Leute in einer Stadt leben, gibt es auch städtische Ämter wie den Bürgermeister und die Stadträte." Erzähler Die Liste ist noch länger. In Bundesstaaten wird außerdem der Vize-Gouverneur gewählt, der Generalstaatsanwalt, der Schul-Superintendent, die Kommissare für Landwirtschaft, Arbeit und Versicherungen, Sicherheit und Feuer, sowie die Versorgungsunternehmen. Dazu Verfassungsrichter, Berufungsrichter, Bezirksstaatsanwälte, der Oberste Bezirksrichter, der Urkundsbeamte, ein Nachlassrichter und der Landvermesser. Manche Staaten vergeben sehr spezielle Jobs. Florida etwa wählt einen Moskito-Kontrollrat. Bei vielen Posten kommen noch Vorwahlen hinzu, die "Primaries". Hier werden die Kandidaten der Parteien bestimmt. Über 500 000 Ämter werden in den USA per Wahl besetzt. Da droht mitunter Ermüdung. Der Amtsleiter berichtet: Bei seinem letzten Wahlgang, einer Stichwahl der Demokraten, lag die Wahlbeteiligung bei genau 0,83 Prozent. O-Ton 044 Kirk "Folks have had a little bit of a shorter fuse, of a shorter temper." Erzähler Viel gefährlicher aber, meint Kirk, sei die wachsende Gereiztheit. Manch ein Bürger schnappe online die neuste Verschwörungstheorie auf und klopfe sogleich zornig bei ihm an. Seine Mitarbeiter seien nicht mehr sicher. ... "I have had one employee, a poll manager, who was returning from the polls with the results who was followed from the polling place and almost thrown off the road, had to get a police escort back. We have had issues with employees, that caused some mental health issues as a result." Sprecher 2 "Ich hatte einen Wahlleiter, der fuhr mit den Ergebnissen aus einem Wahllokal zurück. Er wurde von dort aus verfolgt und fast von der Straße abgedrängt; er musste von der Polizei begleitet werden. Wir hatten auch Vorfälle mit Mitarbeitern, die zu psychischen Problemen führten." Erzähler Kein Wunder, dass Wahlhelfer jetzt schwerer zu finden sind. Neutrale zumindest. Während Rechtsextremisten wie der Ex-Trump-Berater Steve Bannon ihre Anhänger schon länger dazu aufrufen, Schlüsselpositionen in möglichst vielen Wahlämtern zu besetzen. 044A Bannon : ... going to take this back village by village, precinct by precinct... Erzähler Zugleich haben Republikaner in den Vorwahlen 2022 von Alaska bis Florida nach Zählung der Brookings Institution über 300 Kandidaten aufgestellt, die Bidens Sieg für die "big lie", die "große Lüge" halten und geloben, bei künftigen Wahlen durchzugreifen. Erzähler Den harten Kern der Zweifler, sagt Joseph Kirk, erreiche er nicht mehr. O-Ton 045 Kirk "The ironic thing is: They don't want to call me, because I have the answers. They want to be angry. " 046 Kirk spricht im Raum Sprecher 2 "Das Ironische daran ist: Die wollen mich gar nicht anrufen - weil ich Antworten habe. Sie wollen lieber wütend sein." Musik Erzähler Dabei zeigt er jedem gerne, wie genau alles funktioniert. Eine Wahl muss transparent und fair sein, sagt Kirk. Das schaffe Vertrauen. Der Beamte hat sich sogar ein spezielles Outfit ausgedacht, um in Bartow County aufzufallen. Im Dienst trägt er stets eine Weste und einen schicken Hut. O-Ton 047 Kirk "Basically this my uniform..." Sprecher 2 "Das hier ist im Grunde meine Uniform. Man kennt mich als den Typen mit dem Hut. Die Leute wollen mit mir reden. Und das ist gut." Atmo 048 Geräusche "Sign in right here. This is our warehouse space." Erzähler Kirk knipst das Licht an, zeigt sein Lager. Lange Regale voll mit Scannern, Pads, Druckern und anderem Gerät, in Kisten und Koffern verpackt. Mobil. Für jedes Wahllokal eine Notstromversorgung. Nur bei einem Tornado, meint der Chef lächelnd, würden sie die Wahl vielleicht mal kurz unterbrechen. ... (1:06) "We have backup plans for about everything... if electricity goes out for a few hours, we're not gonna stop voting. Tornado? We'll probably stop that, at least temporarily" Musik Erzähler Das Brennan Center for Justice in New York beobachtet in fast allen Bundesstaaten "rigorose Maßnahmen zur Behinderung der Stimmabgabe", vor allem von republikanischer Seite. Allein 2021 zählten die Fachjuristen über 440 neue Gesetzentwürfe: Sprecherin 1* "Versuche, das Wahlrecht einzuschränken und zu untergraben, werden auch im Jahr 2022 eine ernsthafte Bedrohung darstellen." Erzähler Ziel der Republikaner, da sind sich die Wahlexperten einig, ist es, die hohe Wahlbeteiligung, die 2020 Joe Bidens Präsidentschaft besiegelte, zu drücken. O-Ton 049 Kirk "There are a myriad of laws. There is federal laws, there is state laws, they are constantly changing. (I am) trying to make sense of the end result. And then to educate my staff and the public about the procedures to match becomes very, very, very challenging." Sprecher 2 "Es gibt eine Unzahl von Bundes- und Landesgesetzen. Die ändern sich ständig. Ich versuche, alles möglichst sinnvoll umzusetzen, meine Mitarbeiter und die Öffentlichkeit aufzuklären. Aber das wird immer, immer schwieriger." Erzähler In Georgia gilt neuerdings "SB 202", ein 98 Seiten starkes Wahlgesetz, das in vielen Passagen wie ein "Anti-Wähler-Gesetz" daherkommt. O-Ton 050 Kirk "Our mail voting laws and are not the simplest anymore. In an effort to expand security, it is a little more of a confusing process. Sprecher 2 "Unsere Gesetze für die Briefwahl sind nicht mehr die einfachsten. Sie wollten die Sicherheit erhöhen und haben das Verfahren verwirrender gemacht." Erzähler Vorher reichten Datum und Unterschrift. O-Ton 051 Kirk "Before we required a signature and a date. " Erzähler Auch in Bartow County darf es jetzt nur noch eine Abgabebox-Box für Briefwähler geben - vorher waren es vier, gut verteilt über den Landkreis, länger geöffnet. War das nötig? Kirk verzieht das Gesicht. Vorher, sagt er, hat es auch funktioniert. In Abschnitt 33 des Gesetzes heißt es, niemand dürfe, Sprecherin 2 "einem Wähler Geld oder Geschenke, einschließlich... Speisen und Getränke, geben, anbieten oder sich daran beteiligen." Erzähler Wer Wählern in einer Warteschlange einen Schluck Wasser reicht, muss jetzt mit bis zu einem Jahr Gefängnis rechnen- auch Angehörige, Freunde, Wahlhelfer. Das Verbot gilt im Umkreis von etwa 45 Meter vom Wahllokal. Aber auch im Abstand von etwa siebeinhalb Meter rund um jeden einzelnen Wähler, der auf der Straße steht. Bei der letzten Präsidentschaftswahl mussten gerade in Georgia Wähler viele Stunden Schlange stehen. O-Ton 052 Kirk "The idea, that my employees, who are inherently nonpartisan when they are working, can't take care of this little old lady in line, who needs help, bothers me." Sprecher 2 "Die Vorstellung, dass meine Mitarbeiter, die bei ihrer Arbeit völlig unparteiisch sind, sich um die kleine alte Dame in der Schlange, die Hilfe braucht, nicht mehr kümmern können, bedrückt mich." Musik/Atmo 053 Willie Nelson - Vote 'Em Out Erzähler Lewisville, ein Vorort von Dallas, an einem Samstag im Juni 2022. Im Main Street Café lädt die Demokratische Partei zur Aktion "Fight back! Register 50!". Auf Gartenstühlen stehen schwarze Boxen, gefüllt mit gelben Umschlägen voller Listen und Wahlunterlagen. O-Ton 064 Antonella "Each envelope has a list of addresses with the name of voters, who are not registered to vote. They have been identified as Democrats. Maybe they voted in a primary, but then they moved and didn't have time to register - from out of state or within Texas. So we are targeting them, hoping, that, by bringing them the registration card with the form, they will register." Sprecherin 3 "In jedem Umschlag ist eine Liste mit Adressen von Wählern, die nicht registriert sind. Sie wurden als Demokraten identifiziert. Vielleicht haben sie an einer Vorwahl teilgenommen, sind dann aber umgezogen und hatten keine Zeit, sich neu zu registrieren. Wir sprechen sie also gezielt an, bringen ihnen die Unterlagen und hoffen, dass sie sich registrieren lassen." Erzähler Ein Ventilator versucht, die brüllende Hitze in Wallung zu bringen. O-Ton 065 "My name is Antonella Longo..." Erzähler Antonella ist Vorsitzende des Bezirks 3153 der Democratic Party in Denton County, eine gebürtige Italienerin. O-Ton 066 Antonella "Texas has a very low turnout for elections. And one of the reasons is: They make it hard." Sprecherin 3 "In Texas ist die Wahlbeteiligung sehr gering. Einer der Gründe: Sie machen es schwer." Atmo 067 Frauen: "You said that you knocked on these doors..." Später erneut hoch Erzähler Es gibt kein Meldesystem in den USA. Weshalb sich jeder Wähler aktiv registrieren lassen muss. Vorschriften und Fristen dafür variieren von Bundesstaat zu Bundesstaat. O-Ton 068 Antonella "interesting... about this form..." Erzähler Antonella zieht das Formular aus einer Kiste. Sprecherin 3 "Da steht: Wer falsche Angaben macht, muss 4000 Dollar Strafe zahlen." Musik Erzähler Texas hat die Strafe gerade verdoppelt. Offiziell, um die Wahlen sicherer zu machen. Absurder Nebeneffekt: Die Formulare, die Aktivisten vor jeder Wahl bergeweise durchs Land schleppen, um den Menschen die Ausübung ihres Wahlrechts zu ermöglichen, sind jetzt ungültig: Weil das falsche Strafmaß draufsteht. Alle Wahlbüros sind gehalten, jeden Antrag auf alten Formularen abzulehnen. Zudem erklärten die texanischen Behörden, sie hätten leider kein Geld für neue. Also haben die Demokraten sie gedruckt. Atmo 073 Tony "Historically our school board elections have been nonpartisan..." Erzähler Tony mischt sich ein. Sie hat gerade den Wahlkampf einer demokratischen Schulbeirätin gemanagt. Früher, sagt sie, war das kein umkämpfter Posten - oft fand sich kaum ein Kandidat. Heute aber tobe hier der Kulturkrieg. O-Ton 074 Tony "You would not believe how crazy. They would say, you know, because she is a black woman, that she's trying to push Critical Race Theory. We send text messages to voters and get nasty messages back, sometimes racist messages back. We would have people on the school board calling and trying to influence the candidate: 'Don't run!' 'You don't have enough money.' 'This person is connected with higher politics.' It's extremely aggressive. You got to a have thick skin." Sprecherin 2 "Die sagten, als schwarze Frau würde sie die ‚Kritische Rassentheorie' propagieren. Wir bekommen von Wählern böse, manchmal rassistische Kommentare. Leute aus dem Schulbeirat riefen an: ‚Kandidieren Sie nicht! Sie haben nicht genug Geld! Ihr Gegenkandidat ist mit der großen Politik vernetzt!' Es geht extrem aggressiv zu. Man braucht ein dickes Fell." Erzähler Die "Critical Race Theory", kurz CRT, ist der neue Aufreger am rechtskonservativen Rand, gleich nach Waffen, Abtreibung und Gender-Themen. Eigentlich eine akademische Theorie zum institutionellen Erbe des Rassismus. In den Augen der Rechtskonservativen aber ist CRT der perfide Versuch liberaler Pädagogen, wehrlosen weißen Kindern Schuldgefühle einzutrichtern und die glorreiche Geschichte der USA zu beschmutzen. O-Ton 075 Tony "...we're in the South, this is Texas after all..." Erzähler Wir sind halt in Texas, sagt Tony. Da geht es immer gleich ums Ganze. "... it used to be part of the fringe and now it's mainstream. " Sprecherin 2 "Was früher als extrem galt, ist heute Mainstream." O-Ton 076 Tony "Luckily... Erzähler Ist das nicht beängstigend? Sie lacht. ...Well, join the club. We also find it very frightening. " Sprecherin 2 "Willkommen im Club." O-Ton 078 Antonella "If you look where the candidates get the money... Erzähler Gucken Sie, woher das Geld kommt, meint Antonella. ... (0:06) "Even the local candidates have checks of $100,000 - from one person. " Sprecherin 3 "Selbst lokale Kandidaten bekommen hier inzwischen Schecks über 100 000 Dollar, von einer Person. In Texas gibt es eine Menge Fundamentalisten." Erzähler Vor vielen Jahren, erzählt Ex-Italienerin Antonella, sei sie vor Silvio Berlusconi und seinen Leuten hierher geflohen. O-Ton 079 Antonella "You know, when I moved to the US, I had this idea: In the US people are held accountable, the justice system works... and after so many years I realize: It's not true at all. Here it's worse!" (lacht verzweifelt)" Sprecherin 3 "Als ich in die USA zog, dachte ich: Hier werden Menschen zur Verantwortung gezogen, die Justiz funktioniert, die Leute zahlen Steuern, arbeiten auch für das Gemeinwohl. Und nach all den Jahren wird mir klar: Das stimmt überhaupt nicht. Hier ist es schlimmer." Atmo 081 Herzschlag aus Patriot-Propagandavideo O-Ton 082 Wambsganss "Welcome, beautiful ladies! It is such a blessing and an honor to be here. My name is Leigh Wambsganss and my pronouns are Bible believer (Jubel), Jesus lover, gun carrier (Jubel) and mama bear. I am the vice president of government and public affairs with Patriot Mobile. I'm also the Executive Director of Patriot Mobile Action. We love you too. " Sprecherin 1 "Willkommen, ihr schönen Ladies! Es ist ein Segen und eine Ehre, hier zu sein. Mein Name ist Leigh Wambsganss und meine Vornamen lauten Bibelgläubig, Jesusliebhaberin, Waffenträgerin und Mama-Bär. Ich bin Vizepräsidentin für Regierungs- und Öffentlichkeitsarbeit bei Patriot Mobile, außerdem Exekutivdirektorin von Patriot Mobile Action. Wir lieben Euch." Atmo 083 Turning point Erzähler Juli 2022. "Student Action Summit" in Tampa, Florida. Veranstaltet von Turning Point USA, einer Trump-ergebenen Jugendorganisation. Das Mobilfunkunternehmen Patriot mobile tritt als Sponsor auf, darf hier einen Stand aufstellen und Verträge abschließen. Das ist Teil des Geschäftsmodells. Das Unternehmen taucht bei republikanischen Parteitagen und vielen Events der Neuen Rechten auf. Wirbt dort um Kunden. Atmo 084 "We give a portion of every Dollar we make back to Christian-conservative causes..." Erzähler Und verspricht, einen Teil des Gewinns - Details bleiben vage - in "christlich-konservative Anliegen" zu stecken. Umso eindeutiger: das Feindbild. Atmo 085 Patriot-Propaganda, Spielmaterial: 085B, 085C Erzähler Ein Video von Patriot Mobile. In rasanter Folge: Menschen, die Scheiben zerschmettern, Autos anzünden, Protestposter, eine Drag Queen, Aktivistinnen, viele sind schwarz. Dann Demokraten: Nancy Pelosi, Joe Biden, Alexandria Ocasio-Cortez, und, als Klimax, ein Satz von Beto O'Rourke, der in Texas Gouverneur werden will. Sprecher 2 "Ja, zum Teufel, wir werden Ihnen Ihr AR-15 wegnehmen." Erzähler Das Schnellfeuergewehr, dass regelmäßig bei Amokläufen zum Einsatz kommt. Online findet sich bei Patriot Mobile viel Material gegen "Anti-Kapitalisten", "Anti-Zionisten" und "Geistesverschmutzer". Die kleine Firma versteht sich darauf, daheim in Dallas-Fort Worth großen Wirbel zu machen. O-Ton 086 Fox "Bringing god back into public schools..." 088 Senator Hughes "In our Texas public schools we teach the truth..." 089 Wambsganss "God bless you, guys! God bless Patriot Mobile! Come see us! Take care!" (Ekstase) Erzähler Patriot Mobile hat in elf Kandidaten und Kandidatinnen für Schulbeirats-Wahlen im Raum Dallas nach eigenen Angaben eine halbe Million Dollar investiert. Zehn waren im Mai 2022 erfolgreich. Nummer 11 muss heute in die Stichwahl. O-Ton 5 090 Atmo Wahllokal 091 Brenda "We are having a schoolboard election. Primary runoff." Erzähler Brenda, Wahlleiterin in einer Schule im Bezirk Mansfield, ist am frühen Nachmittag enttäuscht, wie wenige bislang kamen. 45 Leute. Seit sieben Uhr. O-Ton 092 Brenda "Thus far we probably had approximately 45 people to actually vote on the day of the election. This turnout is very low." Erzähler Eine Wählerin kommt heraus. O-Ton 093 "My name is Angelique. I'm a manager at GameStop. I voted for Craig Tipping." Erzähler Tipping ist der Kandidat der patriotischen Mobilfunker. Eigentlich, beteuert Filialleiterin Angelique, sei sie nicht politisch. O-Ton 096 Angelique "I just wanna make sure, that all of the people, that are in charge of things are doing the things that are right for our children. And I don't think it's right for them trying to convert boys into girls and girls into boys. God gave us our genders. Roll with it, whether you like it or not." Sprecherin 2 "Ich will nur sicherstellen, dass alle Verantwortlichen das Richtige für unsere Kinder tun. Ich denke nicht, dass es richtig ist, wenn sie versuchen, Jungen in Mädchen und Mädchen in Jungen zu verwandeln. Gott gab uns unsere Geschlechter. Finde dich damit ab - ob du es gut findest oder nicht!" Erzähler In ihrer Computerspiel-Filiale, sagt Angelique, arbeiteten jetzt nur noch Angestellte, die genauso denken wie sie. O-Ton 098 "Life was much better under Trump then it is currently under Biden." Sprecherin 2 "Das Leben war unter Trump viel besser als jetzt unter Biden." Atmo 101 "How we're doing? Do you happen to be the candidate? I am... Lachen Erzähler Ein paar Blocks weiter, vor einer Grundschule am Country Club Drive, sitzt tatsächlich Kandidat Craig Tipping unter einem Partyzelt, in Shorts und rotem T-Shirt. Interview-Anfragen hatte er ignoriert. Nun gibt es kein Entkommen. O-Ton 102 Tipping "I am invested in what happens not only with my own child but with children ... Erzähler Der Arzt gibt sich betont harmlos. Sein Sohn gehe hier zur Schule, sagt er. Es gehe ihm nur um die bestmögliche Bildung. Und dass die Kinder sicher seien. Er ist freundlich. Schwer zu greifen. O-Ton 103 Tipping "I mean ultimately my goal is to keep politics out of the classroom. And let the parents impart what those other beliefs are, you know, outside of the school walls. Because I think parents should play the biggest role in that, in their children's life, for those reasons." Sprecher 3 "Mein Ziel ist letztlich, die Politik aus dem Unterricht herauszuhalten. Überzeugungen sollten die Eltern vermitteln, außerhalb der Schulmauern. Weil die Eltern die größte Rolle im Leben ihrer Kinder spielen sollten." O-Ton 104 Tipping Erzähler Ist Schule denn nicht "politisch"? ... "I don't believe it should be." Erzähler Für ihn ist kritisches Denken eine Bedrohung des Kindeswohls O-Ton 105 Tipping "I feel like we should keep those things out of the schools. These kids, they need the basics before we should bombard them with too many of these outside ideologies and so forth." Sprecher 3 "Wir sollten diese Sachen aus der Schule heraushalten. Kinder brauchen Grundlagen, bevor wir sie mit allzu vielen Ideologien von außerhalb bombardieren." Musik Erzähler In Tippings Finanzbericht finden sich Spenden von weit über 30 000 Dollar. Dieser Kandidat hat Unterstützung vom Sheriff, von republikanischen Abgeordneten und Stars wie Ted Cruz, auch von rechtskonservativen Gruppen wie "Texas Value" oder einem "Projekt 1776": Sprecher 2 "Wir versuchen, Schulbeiräte von diesem ‚woken' Pöbel zu befreien, der den Verstand unserer Kinder mit marxistischer Indoktrination zerstören will." Erzähler Gott, schrieb Tipping auf Facebook, habe ihn auf diese Reise geschickt. Und Patriot Mobile? Er windet sich. O-Ton 106Tipping (0:08) "They... yes, they are a group that doesn't directly support me. I have no... control, no say, no contact with them actually. They are group that, what I've been told, look at candidates and what their ideals and beliefs are and then determine, which candidates they may want to support locally." Sprecher 3 "Diese Gruppierung unterstützt mich nicht direkt. Ich habe da keine Kontrolle, kein Mitspracherecht, eigentlich keinen Kontakt mit ihnen. Mir wurde gesagt, dass die sich die Kandidaten ansehen, deren Ideale und Überzeugungen prüfen und dann entscheiden, wen sie vor Ort unterstützen wollen." O-Ton 107Tipping nur Hintergrund "But, as far as direct contact: I don't have any of that." Erzähler Also nein, beteuert noch einmal: da gebe es keinen direkten Kontakt. Jeder könne ja unterstützen wen er wolle. Doch wie unterstützen sie ihn? O-Ton 108Tipping "Well, they've put out their own flyers, mailers and so forth. And it is how they've supported me. But again, I've had no knowledge of any of that prior to coming out." 109 "It's very time consuming..." Sprecher 3 "Naja, sie haben eben eigene Flugblätter, Postwurfsendungen und so weiter herausgegeben. So haben sie mir geholfen. Ich wusste davon vorher nichts." Erzähler So ein Wahlkampf, der koste halt viel Zeit und Geld. Ob er sich als Teil von etwas Größerem fühle? Tipping schaut, als habe er die Frage nicht verstanden. O-Ton 110Tipping "For me, this is it. People have asked: Do you want to take this on to other things? And for me personally, I don't. " Sprecher 3 "Leute haben mich gefragt: Willst du mehr daraus machen? Aber ich persönlich möchte das nicht." Erzähler Später lese ich auf seiner Webseite: Sprecher 3 "Nimm an etwas Großem teil!" Atmo 111 "Thank you... Erzähler Heute Abend will er bei Freunden eine "Watch-Party" veranstalten, die Ergebnisse verfolgen. Ganz privat. Atmo 112 "...yeah, it's a private, private watch party. " "No German radio?" "No! No German radio." lacht Erzähler Kein deutsches Radio? Sprecher 3 "Nein, kein deutsches Radio." Musik Erzähler Das Ergebnis am Abend: Craig Tipping gewinnt mit 53 Prozent. Patriot Mobile konnte alle elf Kandidaten platzieren. Tipping hatte zehnmal mehr Geld zur Verfügung als seine demokratische Gegenkandidatin. Die Wahlbeteiligung: 4,8 Prozent. Musik Erzähler Im Kern geht es auch hier um Regeln und Grenzen - und wer sie definiert. Der Supreme Court, das Oberste Gericht der Nation, öffnete im Jahre 2010 die Schleusen für das große Geld. Mit einem Urteil im Fall "Citizens United" befand die damals schon konservative Mehrheit des Gerichts: Jedes Limit für Spenden von Unternehmen an Politikerverstoße gegen den ersten Verfassungszusatz, die freie Rede. Bedeutet: Millionenspenden sind Meinungsfreiheit. Selbst konservative Juristen waren geschockt. Neue politische Aktionskomitees - "PACs" und "Super PACs" - entstanden, Spendensammelmaschinen, die Unsummen dunklen Geldes in die Politik schaufeln. Im Jahr 2020 wuchsen die Gesamtkosten aller Wahlen in den USA laut "Center for Responsive Politics" auf 14 403 966 687 Dollar. Gut zehnmal mehr als im Jahr 2000. Atmo 114 Warten auf Trump mit Musik Glory, Glory, Halleluja Erzähler Zwei Tage vor der Präsidentschaftswahl im November 2020 landete Amtsinhaber Donald Trump mit der Air Force One in Rome, Georgia. Atmo 114 Trump "What a crowd this is! Wow. Hallo Georgia! Two days!... Erzähler Trump gibt sich siegesgewiss. Nur Wochen später wird er seinen Parteifreund Brad Raffensperger, den Wahlleiter in Georgia, bald am Telefon bedrohen und anflehen, doch 11780 Stimmen für ihn zu "finden". 114a Trump "So look, all I wonna do is this: I just wonna find 11780 votes..." 115 Straße Musik Erzähler Der Norden von Georgia ist Trump-Territorium. Ländlich, eher unterentwickelt. Hier kommt er auf Zweidrittel-Mehrheiten. Am Straßenrand der Slogan: Sprecherin 2 "Rettet Amerika! Stoppt den Sozialismus!" O-Ton 116 Greene "So, I wonna tell you guys: The fake news media, the DC swamp, the political establishment wanted to take me out. But there's definitely more of us than there is of them... Sprecherin 2 "Ich sage euch, Leute: Die Fake-News-Medien, der Washingtoner Sumpf, das politische Establishment, sie alle wollten mich ausschalten. Aber es gibt definitiv mehr von uns als von denen." Erzähler Marjorie Taylor Greene vertritt diese Region im Repräsentantenhaus in Washington, DC. Sie geriert sich als Ultra, tritt gern mit Rassisten und Rechtsextremisten auf, mit QAnon-Verschwörern und Putin-Verehrern. Beleidigt routiniert Juden wie Muslime, verbreitet Covid-Desinformation und verniedlicht Waffengewalt. Ihre Strategie: Den Zorn schüren, immer und überall. O-Ton 117 Greene "We are the party of American nationalism and Christian nationalism... I think that's an identity we need to embrace. America first policies... Sprecherin 2 "Wir sind die Partei des amerikanischen Nationalismus und des christlichen Nationalismus. Ich denke, das ist die Identität, die wir verinnerlichen müssen." O-Ton 118 "It's pretty tough, I mean for a Democrat." 119 "I have been involved in two campaigns against representative Greene. So, I am very familiar with her." Sprecher 2 "Ich habe an zwei Wahlkämpfen gegen die Abgeordnete Greene teilgenommen. Ich bin also sehr vertraut mit ihr." Erzähler Vincent "Vinny" Olszewski arbeitet als freiberuflicher Politikberater in Rome, Georgia. O-Ton 120 "Most of her money is from all over the country. And the typical thing campaigns do nowadays, they buy lists and they will write inflammatory emails, that get people riled up: 'The Democrats are horrible, they are eating your babies!' And that is like: 'Gimme money!' And the people are like: 'oh my gosh! Yeah, here! Take it, take it!' And they send out crazy numbers of emails to huge lists. It Is not uncommon, (that) they spend three dollars to get four." Sprecher 2 "Das Geld für ihren Wahlkampf kommt aus dem ganzen Land. Kampagnen kaufen heutzutage typischerweise Email-Listen und schreiben E-Mails, die die Leute aufstacheln: 'Die Demokraten sind schrecklich, sie essen eure Babys! Gebt mir Geld!' Und die Leute sagen: 'Oh, mein Gott! Ja, hier! Nimm es, nimm es!' Wahnsinnige Mengen solcher Mails werden verschickt. Es ist gar nicht ungewöhnlich, dass man drei Dollar ausgibt, um vier zu bekommen." Erzähler Das heißt: Dreiviertel des Geldes gehen dafür drauf, noch mehr Spenden zu generieren. Das System füttert sich selbst. Um die Erregung am Kochen zu halten. O-Ton 121 "So you are spending so much money..." O-Ton 122 "And then things snowball." Erzähler Wer verdient? Die Berater, sagt Vinny, ein Lächeln unterdrückend, Werbeleute, Vermittler, Google, Facebook. Und wer gewinnt? Laut "Open Secrets" in aller Regel die größte Kasse. Eine Untersuchung der Wahlkämpfe für alle Mitglieder des Repräsentantenhauses von 2000 bis 2020 zeigt: Mit dem dicksten Konto lagen die Siegeschancen zwischen 85 und 97 Prozent. Doch die Wut- und Dollar-Wellen haben Nebeneffekte. Immer häufiger finden sich keine Gegenkandidaten mehr - weil der Wahlkampf zu teuer, zu hart, zu aussichtslos ist. Manchmal aber wird auch die Gegenseite plötzlich zum Geldmagneten. Der aktuelle Gegenspieler von Marjorie Tayler Greene in Rome, der Demokrat Marcus Flowers, ein Irak-Veteran mit Stetson, gepflegtem Bart und tiefer Stimme, konnte ebenfalls über zehn Millionen Dollar einsammeln. Über 600 000 Menschen aus dem ganzen Land schickten Geld. Obwohl Flowers Kandidatur nahezu aussichtslos ist. Nutzt Greene das? O-Ton 123 "Oh yeah, she just turns around and takes some of their arguments and uses them as her own fundraising. 'They are all attacking me! I am under siege! The Democrats are trying to defeat me! Give me more money!" Sprecher 2 "Klar, sie dreht sich um und nutzt das für ihre Spendensammlung: ‚Sie greifen mich alle an! Ich bin unter Beschuss! Die Demokraten versuchen, mich zu schlagen! Gebt mir mehr Geld!" Musik Erzähler Weil es kaum noch umkämpfte Wahlbezirke gibt, verlagert sich der Wahlkampf zunehmend in die Parteien. Die Primaries werden so zur eigentlichen Wahl. Marjorie Greene hatte bei den letzten Vorwahlen der Republikaner fünf Konkurrenten. Aber viele Millionen mehr als diese. O-Ton 124 "In Georgia you don't have any congressional districts that are truly competitive. The way the lines are drawn I could tell you which party is going to win, for every one of the 14 seats. " Sprecher 2 "So wie in Georgia die Wahlkreise für die Kongresswahl festgelegt sind, kann ich genau vorhersagen, wer gewinnen wird - für jeden der 14 Wahlkreise." Erzähler Das führt zur Radikalisierung. Immer lautstarker präsentieren sich die Republikaner als "echte Konservative" und "wahre Patrioten", als "100 Prozent" für Waffen und gegen Abtreibung. Als Trump-ergeben. Sie bedienen den neuen republikanischen Superlativ. Anfang Juni 2022 stellte Eric Greitens, Ex-Gouverneur von Missouri, ein Video online, dass ihm im Kampf um einem Senatssitz helfen sollte. O-Ton/Atmo 125 Greitens "I am Eric Greitens, Navy seal, and today we're going RINO hunting. "The RINO feeds on corruption and is marked by stripes of cowardice. Join the MAGA crew. Get a RINO hunting permit. There's no bagging limit. No tagging limit. And it doesn't expire until we save our country." Sprecher 1 "Heute gehen wir auf RINO-Jagd. Der RINO ernährt sich von Korruption und ist durch Streifen der Feigheit Markiert." Erzähler Zu sehen war, wie Greitens und Kumpane mit Pumpguns und Pistolen ein Haus erstürmen. Ihr Gegner: Der RINO, Kürzel für "Republican in name only" - ein Republikaner, der sich nur so nennt, (aber) nicht echt ist, nicht wirklich konservativ. Der wurde hier zum Abschuss freigegeben. Sprecher 1 "Schließen Sie sich der MAGA-Crew an. Holen Sie sich eine RINO-Jagd-Lizenz. Die läuft nicht ab, bevor wir unser Land gerettet haben." Erzähler Die gute Nachricht: Greitens scheiterte bei den Vorwahlen. Musik / Atmo Erzähler Elbridge Gerry, der es bis zum Vizepräsidenten der USA bringen sollte, unterzeichnete 1812 als Gouverneur von Massachusetts ein Gesetz, das den Wahlbezirk von Boston neu formte. Ein Karikaturist erkannte in den Konturen einen Salamander. Die Boston Gazette machte ein Wortspiel daraus: Gerry-mander. Bis heute beschreibt der Begriff den Versuch, durch geschickte Grenzziehung der Wahlbezirke einen politischen Vorteil herauszuschlagen. O-Ton 126 Lawler "Gerrymandering is basically cheating while you are redistricting. We have been in a constant state of gerrymandering as far back as you can study. It started in the early 1800s." Sprecher 3 "'Gerrymandern' ist im Grunde genommen eine Trickserei bei der Neueinteilung der Bezirke. In den USA wurde schon immer ‚gerrymandert', solange wir uns erinnern können. Seit dem frühen 19. Jahrhundert." Erzähler Ken Lawler steht an einer Kreuzung vor dem Kapitol von Atlanta, Georgia. Auch so ein Kuppelbau. Die Obdachlosen campieren direkt daneben. O-Ton 127 "I am Ken Lawler and I am the chair of Fair Districting Georgia. It's a nonprofit, nonpartisan group and our sole mission is reforming the redistricting process to make it fair." Erzähler Sein Verein, Fair Districting Georgia, hat Kontakte zu anderen Organisationen aufgebaut, etwa dem Princeton Gerrymandering Project, das mit der Mathematik hilft. Sie führten extensive Computersimulationen mit einer Million möglichen Wahlkreiszuschnitten durch. Und siehe da: Georgias aktuell geltende Karten sind eindeutig zum Vorteil der Republikaner. O-Ton 128 Lawler "Why? Because they have the power. So, they gerrymandered." Sprecher 3 "Warum? Weil sie die Macht haben. Also ‚gerrymandern' sie." Musik Erzähler Meist werden die Grenzen der Wahlkreise für alle Parlamente der USA alle zehn Jahre neu gezogen - auf Basis des nationalen Zensus. Dann debattieren und prozessieren Parlamente, Kommissionen, Beamte und Aktivisten. Man muss dazusagen: Auch Demokraten ‚gerrymandern', in Illinois etwa oder im Bundesstaat New York. Nur haben sie dazu viel weniger Gelegenheit. Andererseits brachten sie 2022 ein neues Bundeswahlgesetz in den US-Kongress ein, das Wahlen fairer machen sollte: den Freedom to vote act. Kernpunkte: Ein Verbot der Wahlkreisfestlegung durch Parteien und eine Obergrenze für Spenden an die Politik. Die Republikaner blockieren das Gesetz. In Georgia, sagt Lawler, sei ‚gerrymandern' ohnehin ein Dauerthema. O-Ton 129 Lawler "We can redistrict anytime we want. Since 20056 there have been 64 different what we call 'mid-cycle gerrymanders' - only done to gain a political advantage." Sprecher 3 "Wir dürfen hier die Bezirke sogar jederzeit neu verteilen. Seit 2005 gab es 64 sogenannte 'Mid-Cycle-Gerrymanders' - nur für den politischen Vorteil." Erzähler Im Jahr 2000 hatten die Demokraten in Georgia in beiden Parlamentskammern die Mehrheit. Beim Neuzuschnitt der Wahlkreise drückten damals auch sie, wie man hier so schön sagt, ihren Daumen auf die Waage. Mit Erfolg. O-Ton 130 Lawler "...and in the 2002 election the Democrats actually lost the statewide vote share. But they didn't lose a single seat in the state house, they kept the majority. And they kept the majority in the Senate. And the Republicans said: 'Wait, stop, foul!' They filed suit in federal court and the federal courts overturned those maps in 2004. So, in 2004 the election was run and it was the only time in the last two decades we've had a map that was not drawn by politicians. It was drawn by the courts and that came out pretty fair. The Republicans won a majority of the vote and they also won a majority of the seats. That makes sense to us. Right?" Sprecher 3 "Bei der Wahl 2002 verloren die Demokraten landesweit. Aber sie büßten keinen einzigen Sitz im Repräsentantenhaus ein, auch nicht im Senat. Da riefen die Republikaner: ‚Halt! Stopp! Foul!" Reichten Klage beim Bundesgericht ein. Das hob den Zuschnitt der Wahlbezirke 2004 auf. Bei der Wahl 2004 hatten wir dann das einzige Mal in den letzten zwei Jahrzehnten eine Wahlkarte, die nicht von Politikern, sondern von Gerichten erstellt worden war. Das Ergebnis erschien uns ziemlich fair. Die Republikaner gewannen die Mehrheit der Stimmen und die Mehrheit der Sitze. So macht es eigentlich Sinn, oder?" Erzähler Das Problem: Nun hatten die Republikaner die Karten in der Hand. Veränderten sie zu ihrem Vorteil. Ihr Stimmenanteil ging bald wieder zurück. O-Ton 131 Lawler "But they were able to engineer the maps in 2011 and 2012. So when they ran the election, they actually achieved a super-majority in the House and a near-super-majority the Senate. So their vote share went down, and their seat chair went up. And there you go. Bingo. That's gerrymandering, right? Sprecher 3 "2011 und 2012 gelang es ihnen, die Karten zu frisieren. Als dann die Wahlen kamen, hatten sie eine Super-Mehrheit im Repräsentantenhaus und eine Beinahe-Super-Mehrheit im Senat. Ihr Stimmenanteil ging zurück, aber ihr Sitzanteil stieg. Das ist Gerrymandering." Atmo 133 Capitol-Flur, Sicherheitskontrolle, Mitarbeiter reden Erzähler In vielen Staaten ist das Ganze fast schon eine Industrie. Das Geschäft, berichtet Lawler, werde immer professioneller - und zugleich skrupelloser. O-Ton 132 Lawler "There are a few different packages which are out there." "And then there are lawyers that you can call and there are specialists who can really go deep into the math." Erzähler Es gibt mächtige Spezialsoftware, die die Datenberge bewältigt und komplexe Berechnungen erledigt. Sprecher 3 "Und natürlich Anwälte, die man anrufen kann. Und clevere Spezialisten, die wirklich tief in die Mathematik einsteigen." Atmo 134 Verkehr, Motorrad, Sirenen. Musik Erzähler Ein Projekt, in das ab 2010 Millionen flossen, nannte sich "redmap". Rote Karte. Rot - das verwirrt Europäer immer wieder - ist die Farbe der Republikaner, Blau die der Demokraten. Das Ziel von "Redmap", dem "Redistricting Majority Project", war es, die Wahlkreise im Land mit Hilfe von Datenbanken und Rechenpower so zu formen, dass Republikaner selbst dann siegen können, wenn die Stimmenzahl das nicht hergibt. Im Januar 2013 zogen die Strategen von "redmap" stolz Bilanz: Sprecher 2 "Die demokratischen Kandidaten für das US-Repräsentantenhaus gewannen 1,1 Millionen Stimmen mehr als ihre republikanischen Gegner. Aber der Sprecher des US-Repräsentantenhauses ist ein Republikaner und steht im 113. Kongress einer republikanischen Mehrheit von 33 Sitzen vor." Musik Erzähler Barack Obama konnte seine Wiederwahl 2012 mit Leichtigkeit gewinnen. Bei den gleichzeitigen Kongresswahlen kamen die Republikaner auf nur 49 Prozent. Und hatten trotzdem die Mehrheit. Warum? Weil die "Operation redmap" gelungen war. Sprecher 13 In Pennsylvania erkämpften die Demokraten bei der Wahl zum Repräsentantenhaus einen Vorsprung von 83 000 Stimmen. Sprecherin 3 Doch in Washington saßen danach 13 Republikaner und nur fünf Demokraten aus Pennsylvania. Sprecher 2 In Michigan bekamen die Demokraten 240 000 Stimmen mehr. Sprecherin 2 Im Kongress aber war Michigan mit neun Republikanern und fünf Demokraten vertreten. Erzähler Von Alabama bis Wisconsin eroberten die Republikaner neue Mehrheiten, landesweit etwa 700 Sitze. Sie waren nun befugt, die Wahlkreisgrenzen für große Teile der Nation neu zu zeichnen. Und diese Mehrheiten zu betonieren. Musik/Sound O-Ton 135 Gang, Schritte Tom? Hello Marc...Did you find...? Come in... Erzähler In Kansas wird der Kampf um Wahlbezirke und -gesetze besonders hart geführt. Ortstermin in Kansas City. Dr. Micah Kubic, Direktor der American Civil Liberties Union, löst sich zur Begrüßung von seinem Computer. O-Ton 136 "My name is Micah Kubic and I am the Executive Director of the ACLU of Kansas." Erzähler ?Die ACLU kämpft seit über 100 Jahren dafür, dass die Freiheitsrechte der USA für alle gelten. O-Ton 137 Kubic "I think Kansas is very much like what we're seeing around the country, where democracy is absolutely under attack here, the idea of democracy, the institutions of democracy are under attack. And that's something that we're having to face in redistricting but also in lots of other ways - around access to the polls, how late they're open, whether they're in communities that match up with where people live." Sprecher 2 "Ich denke, in Kansas geschieht etwas, das wir derzeit im ganzen Land erleben: Dass die Demokratie unter Beschuss gerät, die Idee der Demokratie, ihre Institutionen. Damit haben wir es auch hier zu tun - bei der Neueinteilung der Wahlbezirke etwa, aber auch beim Zugang zu den Wahllokalen, bei der Frage, wie lange sie geöffnet sind, ob sie sich dort befinden, wo die Menschen wohnen." Erzähler Eigentlich sei Kansas ein guter Ort zum Wählen, findet Kubic. Die Beteiligung sei besser als anderswo, das Vertrauen recht groß. Doch auch hier kämen manche Politiker auf immer neue Ideen, die Wahl zur Qual zu machen. O-Ton 138 Kubic "The folks, who are not interested in democracy or who think, that only people who look, act, talk, sound, behave like them should be the ones to vote, they are relentlessly creative. They come up with something new every day. While some of us spend our time trying to make it easier for folks to vote, they spent their time trying to make it harder." Sprecher 2 "Die Leute, die kein Interesse an der Demokratie haben oder meinen, dass nur Menschen wählen sollten, die so aussehen, agieren, reden, so klingen und sich so verhalten wie sie, sind unermüdlich kreativ. Sie lassen sich jeden Tag etwas Neues einfallen. Während einige von uns ihre Zeit darauf verwenden, den Leuten das Wählen zu erleichtern, verbringen sie ihre Zeit damit, es schwerer zu machen." Musik Erzähler Man spürt, dass er sich seit Jahren den Dirty Tricks der Mächtigen entgegenstellt. O-Ton 139 nur Atmo "And there's a number of things they can do there and have... Erzähler Der ACLU-Direktor hat viele Beispiele dafür parat. Alles "Kleinigkeiten", aber in Summe abschreckend. Erzähler Kansas stellt im US-Kongress vier Abgeordnete. Aktuell ist ein Sitz in demokratischer Hand. Beim Neuzuschnitt der Wahlkreise 2021 machten die Republikaner keinen Hehl aus ihrem Wunsch, in Washington künftig unter sich zu sein. Also zerteilten sie Wyandotte County - eine urbane, demokratische Hochburg. O-Ton 141 Kubic "They drew a map, that very clearly targeted Democrats, that targeted African-American voters, that targeted Hispanic voters in order to really reduce the power of all of those groups. And it did it by spreading them more thinly." Sprecher 2 "Sie zeichneten eine Karte, die ganz klar auf die Demokraten zielte - auf afroamerikanische Wähler, auf hispanische Wähler, um den Einfluss dieser Gruppen zu schmälern. Sie erreichten das, indem sie sie stärker verstreuten." Atmo 142 Lift raus Musik Erzähler "Cracking" heißt die Technik. Die Aufspaltung relevanter Wählergruppen auf mehrere Bezirke, in denen sie so zur Minderheit werden und keine Rolle mehr spielen. Das liberale Universitätsstädtchen Lawrence etwa, 30 Meilen westlich von Kansas City, fand sich plötzlich in einem Wahlkreis mit riesigen Farmgebieten, über fünf Stunden Fahrzeit entfernt. Die von den Republikanern durchgesetzte Wahlkreiskarte mit dem schönen Namen "Ad Astra 2" - "Zu den Sternen 2" - wurde vor Gericht angefochten. Nach viertägiger Expertenanhörung urteilte Bezirksrichter Bill Klapper, die Karte sei rechtswidrig. Sein Urteil, 200 Seiten stark, klang geradezu lyrisch. Klapper zitierte Kindheitserinnerungen, Liedtexte, Montesquieu und fragte: Sprecher 2 "Die Bürger von Kansas können sich für eine Demokratie entscheiden, die einbezieht oder ausgrenzt, zuhört oder verstummen lässt, beratend oder dogmatisch ist. Was werden sie wählen?" Erzähler Sie wurden nicht gefragt. Der Supreme Court von Kansas hob das Urteil zügig auf, machte freie Bahn für "Ad Astra 2". Die Republikaner haben im November 2022 nun gute Chancen, alle vier Kongresssitze von Kansas zu ergattern. O-Ton 143 "My name is Dennis 'Boog' Highberger. I am a State Representative for the 46th Kansas House district." Erzähler Boog, Abgeordneter im Parlament von Kansas, ist Bürger des liberalen Lawrence. Er war einmal ein Hippie. O-Ton 144 Boog "As a citizen I am frustrated. You know, in New York the Democrats did the same thing. And that map has been thrown out. I think that's good. Because I don't like it when Democrats do it. I don't like it, when Republicans do it. I think, the process ought to be fair." Sprecher 1 Als Bürger bin ich frustriert. In New York haben die Demokraten dasselbe getan. Ihre Karte wurde für ungültige erklärt. Ich denke, das ist gut so. Ich mag es nicht, wenn Demokraten das machen. Ich mag es nicht, wenn Republikaner es tun. Der ganze Vorgang sollte fair bleiben. Erzähler Kansas sei stets konservativ gewesen, sagt er... O-Ton 145 Boog "...but didn't used to be mean... and... ignorant." Sprecher 1 "...aber es war früher nicht boshaft, und ignorant." Erzähler Dem freundlichen Boog macht die Radikalisierung der Konservativen Angst. Neuerdings, erzählt er, sei es im Parlament erlaubt, Waffen zu tragen. O-Ton 146 Boog "So, on any given day 15 or 20 of my colleagues have handguns on the floor of the house representatives. / And the visitors are also allowed? / Yes....Isn't that a great idea? Sprecher 1 An jedem beliebigen Tag haben 15 oder 20 Kollegen Handfeuerwaffen dabei. Erzähler Die Besucher auch? Sprecher 1 Ja. Erzähler Der Ton, beobachtet er, würde schon seit einem Vierteljahrhundert stetig aggressiver, die Leute immer aufgewühlter. Das war schon zu Zeiten der Tea Party spürbar. Dann kam Trump. O-Ton 147 Boog "These are frightening times. I am afraid, that 2024 might be our 1933." / "That bad?" / "Yeah, I think so. I think we just had our Beer Hall Putsch. I am frightened by what I see. I mean, there's a real disrespect for democracy out there now." Sprecher 1 "Es ist beängstigend. Ich fürchte, das Jahr 2024 könnte unser 1933 werden." Erzähler "So schlimm?" Sprecher 1 "Ja, ich glaube, wir haben hier gerade unseren Hitler - Bierhallenputsch erlebt. Ich bin erschrocken über das, was ich sehe. Es gibt hier heute viel Verachtung für die Demokratie." Musik Erzähler Der Graben, der das US-amerikanische Zweiparteien-System durchzieht, frisst sich immer tiefer. In einer Umfrage im August 2022 erklärten fast 70 Prozent der Demokraten wie der Republikaner in seltener Eintracht: Die Demokratie sei vom Kollaps bedroht. Nur sagen sie das aus sehr verschiedenen Gründen. Nie zuvor bin ich als Journalist aus Deutschland in den USA auf das Thema Faschismus angesprochen worden. Jetzt geschieht es andauernd. In Büros, an Küchentischen, auf der Straße. Boog empfiehlt mir It can't happen here, Sinclair Lewis dystopischen Roman von 1935. Hauptfigur ist der windige Buzz Windrip - ein Angst schürender Demagoge, der verspricht, die Benachteiligten zu retten und die "wahren" Werte zurückzuholen. Windrip wird zum Präsidenten gewählt und reißt bald alle Macht an sich. Selbst der nüchterne Micah Kubic von der ACLU spricht über Faschismus. O-Ton 148 "(3x) It's on people's minds. It's on people's minds. It's on people's minds. There is ab environment of fear and harassment and intimidation, that that makes people ask those questions." Sprecher 2 "Das beschäftigt die Leute. Es ist dieses Klima der Angst, der Schikane und Einschüchterung, das die Menschen zu solchen Fragen treibt." Musik Atmo 149 Szene Parlament Florida "We're making trouble, we're occupying the floor!" Erzähler Im Kapitol von Tallahassee, der Hauptstadt von Florida, gab es im April 2022 lauten Protest. Abgeordnete der Demokraten hielten Schilder hoch: Sprecherin 2 "Politiker! Dient dem Volke, nicht Eurer Partei!" Erzähler Als sich die republikanische Mehrheit anschickte, durch geschickte Grenzziehung einen weiteren schwarzen Wahlkreis zu zerlegen, machten zwei Abgeordnete ein Sit-In auf dem Teppich des Parlaments. Die Debatte wurde daraufhin unterbrochen. Atmo 150 151 Besuch Nixon/Telekonferenz ) Erzähler Ein ?hübsches, kleines Wohnhaus in Jacksonville, Florida. ?Auf der Veranda stapeln sich alte Wahlplakate. Im Rasen steckt ein neues: Sprecherin 2 "Wählt wieder Angie Nixon!" O-Ton 152 "Hi, I am State Representative Angie Nixon, House District 14. I am based out of Jacksonville, Florida. " Erzähler Die Abgeordnete zeigt auf einen Küchenhocker. Setzen. O-Ton 153 Nixon "I was nervous when we made that protest, when we sat on the chamber floor. I didn't know what would be going to happen. I didn't know whether I would be kicked out. We have to be willing to make noise, good trouble, necessary trouble." Sprecherin 2 "Ich war nervös, als wir da auf dem Boden des Plenarsaals saßen. Ich wusste ja nicht, was kommen würde, ob ich rausgeschmissen werden würde. Aber wir müssen eben auch bereit sein Lärm zu machen - guten Ärger, notwendigen Ärger." Erzähler Was bliebe ihr auch sonst? Es war eine Verzweiflungstat. Sie konnte die Republikaner nicht stoppen. Nixon lächelt ein wenig hilflos. Seit 2020 ist sie Abgeordnete in Tallahassee. Man erwartete von ihr vor allem, dass sie die Klappe halte, sagt sie. Und hin und wieder dankbar ein paar Krümel für ihren Wahlkreis entgegennehme. O-Ton 154 Nixon "Just so, that they can give us scraps out of a billion dollar budgets." O-Ton 155 "One second... Natalie! Natalie! Turn it down!" "OK!" Erzähler Sie ruft ihrer Teenager-Tochter zu, ihr Smartphone leiser zu stellen. O-Ton 156 Nixon "These past few years here in the state of Florida we have been returning to the wrong side of history. There is a group of folks, particularly white men in power, that are fearful of losing that power. They realize, that black and brown people are forming the new majority. And they are fearful that black and brown people will do to them, what they've done to us." Sprecherin 2 "Wir sind in Florida in den letzten Jahren auf der falschen Seite der Geschichte gelandet. Bestimmte Leute, vor allem weiße Männer an der Macht, haben Angst, diese Macht zu verlieren. Sie sehen, dass Menschen mit schwarzer und brauner Hautfarbe die neue Mehrheit bilden. Und fürchten nun, dass diese Menschen ihnen antun werden, was sie uns angetan haben." Erzähler Vorneweg Floridas Gouverneur Ron DeSantis, der sich als neuer Trump warmlaufe. Auch hier, sagt Nixon, wird die Stimmung wird immer rabiater. O-Ton 157 Nixon "90% of the time is like a fight. It is so ridiculous. Because there are these culture wars. My very existence being up there in Tallahassee as a black woman speaking in support of my majority black district about the issues that are impacting us, is looked down upon. It's questioned." Sprecherin 2 90 Prozent der Zeit ist es ein Kampf. Das ist so lächerlich. Diese Kulturkriege. Meine bloße Existenz als schwarze Frau, die sich im Parlament in Tallahassee für die Probleme unseres mehrheitlich schwarzen Bezirks einsetzt, wird verachtet und in Frage gestellt." Erzähler Als Politikerin gibt sie sich kämpferisch, als Mensch wirkt sie eher resigniert. O-Ton 158 Nixon "I'm a black woman with black babies and a black husband. And every day I send them outside or I go outside, I'm fearful. Especially if we were pulled over, we just don't know, right? Sprecherin 2 "Ich bin eine schwarze Frau mit schwarzen Kindern und einem schwarzen Ehemann. Wenn ich sie rausschicke oder selbst vor die Tür gehe, habe ich Angst. Jeden Tag. Besonders wenn die Polizei uns anhält - da wissen wir einfach nie, was passiert." O-Ton/Atmo 159 "Natalie, you can turn it back up..." Drinnen/draußen Musik Erzähler Ein Grund: Die konservative Mehrheit im Supreme Court, durch Donald Trump auf 6 zu 3 angewachsen, vertritt heute die Ansicht, Bundesgerichte seien für parteipolitischen Manipulationen eigentlich gar nicht zuständig. Einige Richter wollen den Staaten alle Macht über den Wahlprozess geben. So entsteht ein juristisches Vakuum. In Alabama, Georgia, Louisiana und Ohio waren 2022 Klagen gegen Gerrymandering erfolgreich. Doch diese Urteile wurden von höheren Instanzen für nichtig erklärt. Ein Freibrief für die Dreistesten, sich alles zu nehmen. Schon schicken sich republikanisch kontrollierte Staaten wie Alabama an, vor dem Supreme Court die letzten Bastionen des Voting Rights Act zu schleifen. Sprecher 2 "Der Oberste Gerichtshof stellt das amerikanische System der Selbstbestimmung tiefgreifender in Frage, als es ein gewalttätiger Mob je vermochte." Erzähler Schreibt der Historiker Jeff Shesol im September 2022 in der New York Times. Sprecher 2 "Die konservativen Richter des Gerichts haben eine Serie von Urteilen erlassen, die es vielen Amerikanern, insbesondere farbigen Bürgern, erschweren zu wählen; die es Parteileuten erleichtern, die Macht an sich zu reißen, indem sie die Form der Wahlkreise deformieren; und die es nahezu unmöglich machen, dem korrumpierenden Einfluss des Geldes in der Politik entgegenzutreten." Erzähler Der Rechtsweg scheint ausgeschlossen. Bessere Wahlgesetze sind derzeit in Washington zum Scheitern verurteilt, von einer Verfassungsänderung ganz zu schweigen. Musik 164 0:02 / 8:50 Charles Mingus - It was a lonely day in Selma, Alabama / Freedom - 1965 Start bei 0:12 Mingus: "I wonder about this freedom" Atmo 165 Selma Bridge 1965 "This is an unlawful assembly, you are ordered to disperse. Go home or go to your church. This march will not continue!" O-Ton 7 166 Atmo Klingel Tür "Sorry 'bout that. Come on in, come on in. Have a seat..." Musik Erzähler Letzte Station: Russelville, Alabama. Reverend Charles Dale öffnet mir die Tür. ein Veteran der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. opt. O-Ton 167 Dale "Those are my daughters and these are my grandkids." Erzähler An der Wohnzimmerwand Bilder der Kinder und der Kampfgefährten. O-Ton 168 Dale "That's me! That's me in my younger days. And there's just a Jackson over there. " Erzähler Martin Luther King, Jesse Jackson und viele mehr. O-Ton 8 169 Dale "We marched three times. Two times we would turn around. But the third time, when we marched, we I started across the bridge, got up to the peak of the bridge, that's when we met the sheriffs and all of these state troopers. And they were running over us with horses and putting dogs on us. But we kept on. And there was a lot of injuries done." Erzähler Er war damals dabei, im März 1965. Auf der Brücke von Selma, Alabama. Sprecher 3 "Zweimal mussten wir umkehren. Beim dritten Mal trafen wir auf dem höchsten Punkt der Brücke auf die Sheriffs und die State Troopers. Sie überrannten uns mit Pferden, hetzten Hunde auf uns. Aber wir gingen weiter. Es gab jede Menge Verletzte." O-Ton 171 Dale "Sometimes I think, one of them horses must have hit my head, 'cause I am still crazy and I am still doing what I'm doing." Sprecher 3 "Manchmal denke ich, eines dieser Pferde muss mich am Kopf getroffen haben. Weil ich immer noch verrückt bin und tue, was ich tue." Erzähler Der Blutsonntag von Selma war 1965 Auslöser für das neue Wahlrecht von Lyndon B. Johnson. Ohnmacht und Angst, sagt Dale, war damals enorm. Erzähler Es herrschten Korruption, Verrat, Gewalt. Im Wahllokal sagt Dale, wurden wir beschimpft und angebrüllt. Die Hälfte der schwarzen Stimmen warfen die weißen Wahlleiter gleich in den Müll. O-Ton 172 Dale "They proclaimed that it was done wrong. So, they had to throw them out. Oh, they are experts at throwing votes out. Oh Lord, they're good at that." Sprecher 3 "Sie sagten, die seien falsch ausgefüllt und erklärten sie sofort für ungültig. Darin sind sie Experten. Darin sind sie richtig gut." Erzähler Charles Dale glaubt an Gott und das Gute im Menschen. Die vielen neuen Wahlgesetze sind in seinen Augen das alte Spiel, mit neuen Tricks. O-Ton 173 Dale "Because if they made you mad enough and treated you bad enough, then they know: You wouldn't come in to vote. It just like the situation that they're doing now in Georgia." Sprecher 3 Sie wissen: Wenn sie dich nur wütend genug machen, nur schlecht genug behandeln, wirst du nicht zur Wahl gehen. So wie jetzt wieder in Georgia." O-Ton 174 Dale" The white man still thinks he's supreme over everybody, over everybody. / More than ever? / "It is! It is! More now than ever. With your friend Donald Trump doing what he's doing and talking his crazy talking and thinking he can get away with it." lacht Sprecher 3 "Der weiße Mann glaubt immer noch, dass er über alle erhaben ist. Wie Dein Freund Donald Trump, der verrückt daherredet und denkt, dass er damit davonkommt." Erzähler Es sei noch immer dieselben Reise. Der alte Reverend lächelt. O-Ton 175 Dale "I am still on a journey." Atmo 176 Dale Abschied Nice meeting you, safe travels... Absage Die Dirty Tricks der Demokratie - Wahlmanipulation in den USA Feature von Tom Schimmeck O-Ton 177 Johnson (1965) "...but really it's all of us who must overcome the crippling legacy of bigotry and injustice. And we shall overcome. " Applaus Musik Absage Es sprachen: Karin Johnson Caroline Schreiber Nelly Politt Bernd Reheuser Markus J Bachmann Hüseyin Michael Cirpici und der Autor Tom Schimmeck Technische Realisation: Hennig Schmitz Regieassistenz: Peter Simon Regie: Martin Zylka Redaktion: Leslie Rosin. Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks mit dem Deutschlandfunk und dem Südwestrundfunk 2022 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 1 Die Dirty Tricks der Demokratie