Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Die Wollenbergers Jüdische Remigranten in der DDR Autorin: Charlotte Misselwitz Regie: Dörte Fiedler Redaktion: Christiane Habermalz Produktion: Deutschlandfunk 2022 Erstsendung: 14.06.2022, 19.15 Uhr Es sprachen: Kay Bartholomäus Schulze und die Autorin Ton: Jean Szymczak Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - O-Ton 1 Judith: Soo letzte Hanns Eisler. Charlotte: Was meinst du, was Albert am meisten mochte? Judith: Mhh wahrscheinlich alle, weil da die grundlinken Werte auf verschiedene Weise getextet wurden. Sprecher: Die Wollenbergers. Jüdische Remigranten in der DDR. Ein Feature von Charlotte Misselwitz Autorin Albert, das ist Judiths Großvater. Albert Wollenberger. Die Platte von Hanns Eislers Liedern hat Judith in der Kommode in der Eingangshalle gefunden. Judith betätigt den Plattenspieler in der Ecke neben der Verandatür. Das Wohnzimmer der Villa ihrer Großeltern in Berlin-Buch hat sie mittlerweile in ihren Familienbereich umfunktioniert. Aber nachdem sie, ihre zwei Kinder und ihr Mann, sich im unteren Teil langsam eingelebt haben, gibt es überall noch Platten, Bücher, Bilder und andere Dinge von Albert und seiner Frau Gertrud, die einsortiert, archiviert oder wegsortiert gehören. Judith Gleichzeitig, wenn ich in die Kiste in der Garage gucke, da liegt das Buch der Partisanen oben auf. Na das ist nicht in dem Sinne überraschend... Aber es gab auch autogenes Training-Platten, eine Gymnastikplatte... Autorin Die sozialistische DDR-Musik wäre fast auf dem Müll gelandet. Aber dann doch nicht: Judith weiß, dass ihr Großvater Albert Wollenberger Eisler auch deswegen so geschätzt hat, weil er wie er als Kommunist und Jude ab 1938 im amerikanischen Exil gewesen war. Die Plattensammlung sagt also viel aus über ihren Großvater. Es gibt auch Hunderte von Seiten autobiografischer Notizen, auf Schreibmaschine getippt. Sie sind heute, digital abfotografiert, im Umlauf bei den Familien seiner sieben Kinder. Sprecher Albert Es versteht sich, dass ich auch in den USA politisch tätig war. Auf Veranstaltungen von Vereinen, Kirchengemeinden und Schulen hielt ich dann Vorträge über die Entwicklung in Deutschland und den Widerstandskampf. ... Die Leiter der Delegationen, darunter auch unserer kleinen deutschen, empfing Präsident Roosevelt 1942 herzlich im Weißen Haus. So lernte ich das Oval Office kennen. Autorin Judith Wollenberger ist Anfang der 80er Jahre geboren, ihre Mutter Ulla ist Albert Wollenbergers drittes Kind. Ich bin nur ein paar Jahre älter und ebenfalls in Ost-Berlin geboren. Nachdem Judith fast zwei Jahre im Haus ihrer Großeltern wohnte, vollgestopft mit Erinnerungen und Objekten der Vergangenheit, wollten wir zusammen der Geschichte ihres Großvaters nachgehen, des gefeierten Wissenschaftlers und Widerstandskämpfers, der nach dem Krieg in die DDR zurückkehrte. Ins richtige Deutschland. Dass Albert Wollenberger als Nazi-Flüchtling nach Amerika kam und dort Medizin studiert hatte, wusste ich. Aber nicht, dass er dem US-Präsident Roosevelt sogar die Hand gedrückt hatte. In einem Zeitungsinterview aus dem Neuen Deutschland, säuberlich abgeheftet in einem Ordner, erzählt er von dieser Begegnung: Sprecher Albert Als ich mitteilte, dass ich aus Deutschland stammte, schaute er verdutzt, so dass ich schnell hinzufügte, "antinazi". Autorin In meinem Kopf rumort eine andere Platte aus seinem amerikanischen Exil. Judith Da muss man schon nen USA-Bezug haben, das ist ja auch capitol records Atmo 3 Lied Old Mc Donalds had a farm.... Autorin Old Mc Donalds, Mc Donald... Donald... das war auch der Stasi-Deckname von Knud Wollenberger, Alberts ältestem und einzigem Sohn. Judith und hat mich daran erinnert, dass er gesteppt hat. Autorin Die Familie Wollenberger spricht nicht gern darüber. Die Geschichte von dem Stasi-Informanten, der mit der Oppositionellen Vera Lengsfeld verheiratet war, wurde in den 90er Jahre immens ausgeschlachtet. In den Medien war es die Stasigeschichte überhaupt, nach der Art: Atmo 3 Mc Donald Lied ausfaden RBB ... Donald hat bienenfleißig gespitzelt, ebenso aufopferungsvoll seine Familie versorgt... in politischen Notzeiten als Imker, der liebende Vater mit der Tarnkappe des Stasi-Spions... Autorin Auch ich kenne Knud. Meine Eltern haben den Friedenskreis in Pankow gegründet, über den Knud berichtet hat. Ich erinnere ihn aus meiner Kindheit tatsächlich als den ‚aufopferungsvollen Vater' gegenüber seinen Söhnen. Ich mochte ihn. Und meine Eltern waren, nachdem seine Stasi-Tätigkeit bekannt wurde, ihm gegenüber erstaunlich milde. Auch Judith ist zurückhaltend: Judith Also, ich will nicht über Knud reden, weil ich erstmal das Gefühl hab, dass ich aus meiner eigenen Erfahrung nichts zu berichten habe. Und weil das familiär so ein sensibles Thema ist, weil ich glaub da Sachen nicht aufgearbeitet sind... und außerdem hab ich nicht viel dazu zu sagen. Autorin ... und ich merke, dieses Abwiegeln, die Beschwichtigungen meiner Eltern, wenn es um Knuds Stasi-Tätigkeit ging, hab ich als Teenager akzeptiert, ohne wirklich zu verstehen, warum. War es der penetrante Medienrummel, der alles zum Schweigen gebracht hat? Oder war es der jüdische Hintergrund der Familie Wollenberger, weshalb meine Eltern eher beschützend auftraten? Sprecher Albert Am 28.2.33 war ich gerade mit einem Packen Flugblätter unterwegs. Die Polizei hatte unter meinem Bett einen Abziehapparat entdeckt und eine Bande von Braunhemden der SA wartete auf mich in meiner Wohnung. Aber ein Genosse fing mich auf meinem Heimweg ab. So war ich gewarnt worden, steckte noch schnell die Flugblätter in die Briefkästen der umliegenden Häuser und tauchte unter... Mehrere Mitglieder der Zelle waren verhaftet worden, einer von SA-Leuten totgeschlagen. Judith Wenn ich an meinen Großvater denke, dieser Pathos, der in diesem Lied so ist, diese Kampfesstimmung, das krieg ich gar nicht zusammen. Das krieg ich erst zusammen, wenn ich über sein Leben lese. Aber die Person, die ich im Privaten als älterer Herr kennengelernt hab, da gabs diese Seite gar nicht. Sprecher Albert Albert Wollenberger, 1912 in Breisgau geboren, studierte in Berlin Medizin, als die Nazis 1933 an die Macht kamen - KPD-Mitglied, setzte mich nach Paris ab, von wo aus ich weiter im Untergrund gegen die Nazis kämpfte - 1937 Flucht nach Amerika - dort Promotion in Harvard bei dem Nobelpreisträger Fritz Lipmann - Anfang der 50er Jahre wegen Mc Carthy Weggang aus den USA, Gastprofessur in Kopenhagen. 1954: Remigration in die DDR, Professor an der Humboldt-Universität in Berlin, ab 1962 Leiter des Zentrums für Herz-Kreislaufforschung in Berlin-Buch. Seit 1974 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Präsident der "International Society of Heart Research". Nationalpreis der DDR. Vaterländischen Verdienstorden in Silber und Gold. Autorin Judith landet jedoch gedanklich immer wieder in den Jahren nach den großen Zeiten ihres Großvaters: In den 90ern, in denen sie ihn selbst erlebte. Das war, als das politische System, an das er glaubte, zusammengebrochen war. Als das Zentrum für Herz-Kreislaufforschung in das heutige Max-Dellbrück-Center umgewandelt wurde und von bis dahin 1720 Stellen am gesamten Wissenschaftsstandort Buch nur 385 Stellen blieben... Charlotte: Die Zeiten, die 90er Jahre, wo du ihn gesehen hast, waren ja auch nicht mehr die Zeiten der Emphase mit dem Kommunismus, sondern höchstens das leise Verteidigen... Judith: Auch das sozialistische Ideal, das Experiment hat nicht funktioniert. Als Ideal glaub ich nicht... Charlotte: Aber wir wissen, er hat sozusagen auch die Scherben von seinem Institut zusammengekehrt - oder auch nicht mal zusammenkehren können. Judith Ich glaub, der hat da keine Scherben zusammengekehrt. Er war ja selber ne Scherbe. Die wurde dann in den Müll gekehrt und dann genau.... Autorin Das Wollenberger-Haus, in dem Judith nun wohnt, ist eine mondäne Villa. Es wurde 1912 gebaut - im gleichen Jahr, in dem Albert Wollenberger geboren wurde. Am Hoftor stehen mehrere Wollenbergerklingeln mit unterschiedlichen Anfangsbuchstaben. Das "L" steht für Judiths Cousin Leo, der mit seiner Mutter Hannah, der sechsten Tochter von Albert, schon in den 90er Jahren hier einzog und aufwuchs. Autorin Leo ist ein wenig jünger als Judith. Leo: Meine Oma hatte mir erzählt, ick weeß nicht genau, aber irgendein jüdischer Mensch hat das hier erbaut. Judith Aber so viel Zeit war nicht dazwischen, ist ja 1912 gebaut. Leo Ein Krieg war dazwischen. Judith Dann im Zweiten Weltkrieg war halt irgendwie Nazi-Mediziner, die Euthanasiegeschichten hier betrieben in Buch. Und dann gings an die DDR das Gebäude. Autorin Und dann, 1954, kamen die Wollenbergers. Judith läuft los, vorbei an den Erkerfenstern ihres Studios, wo sie als Künstlerin arbeitet. Sie will den Garten und das Haus von hinten zeigen. Autorin Alte Bäume, grüne Wiese, Büsche, Teich. Wir stehen vor den geschwungenen Treppen der Veranda mit Judiths Wohnzimmer. Die Veranda stützt im zweiten Stock die Mansarde, den Riesenbalkon von Leos Küche. Judith Wir müssen eh das ganze Haus ein bisschen neu überlegen. Das muss sich ja auch tragen und finanzieren und belebt sein und so... Genau. Meine, Leo und wir mussten uns ja auch erstmal aneinander gewöhnen... Autorin Judith und Leo vermieten heute ein paar der vielen Zimmer an weitere Leute oder Freunde. So ähnlich war das schon zu DDR-Zeiten. Albert schreibt: Sprecher Albert In der anderen Wohnung in diesem Haus wohnte Professor Martens (...). Für Mansardenwohnung nutzte er noch zusätzlich ein Mansardenzimmer (...). Für meine Wohnungszuweisung war der Ausschuss (...) unter Leitung von Präsident Wilhelm Pieck zuständig. Professor Martens versuchte seinen Anspruch auf Nutzung des Zimmers mit Hilfe seiner Beziehung zu einem Ausschuss unter Otto Grothewohl durchzusetzen. So kam es, dass wegen dieses Mansardenzimmers zwei Kommissionen unter der Leitung der beiden führenden Männer des Staates aktiv wurden. Die jüdischen Rückkehrer waren gut vernetzt in der Partei. Oft kannte man sich noch als alte Genossen aus dem Widerstand. Wolfgang Herzberg ist selbst Kind von jüdischen DDR-Remigranten. Jüdische Rückkehrer im Osten, meint er, wären weitaus zahlreicher und einflussreicher gewesen als in Westdeutschland. Herzberg So dass man sagen kann, der Kern der Partei-Intelligenz nach 1945 waren jüdische Remigranten und KZ-Überlebende. ... Die Präsidenten der Künstlerverbände waren... Anna Seghers im Schriftstellerverband, ...im Theaterverband Wolfgang Heinz, bei der Bildenden Kunst Lea Grundig und bei den Komponisten Eisler, Paul Dessau spielte ne wichtige Rolle Auch in der Kulturpolitik, Abusch, später Klaus Gysi, im Politbüro Albert Norden.. und natürlich Herrmann Axen... Autorin Doch: Sie definierten sich weniger als Juden denn als Kommunisten - ihre jüdische Herkunft war oft kaum bekannt. Vielleicht lag es daran, dass nach der Wende, 1990, die Antisemitismuswerte in Ostdeutschland nur ein Viertel so hoch waren wie in Westdeutschland. Erst 15 Jahre später, Mitte der 2000er Jahre, waren sie denen in Westdeutschland gleich. Doch die Juden in der DDR waren nicht nur staatstragend, aus ihren Reihen kamen laut Herzberg auch die prominentesten Systemkritiker. Es sei bezeichnend, sagt er, dass Herzberg ...In der zweiten Generation besonders scharfe Kritiker hervorgegangen sind, wie Wolf Biermann etwa. Es kam also nicht von ungefähr, dass auf der Demonstration auf dem Alexanderplatz Stefan Heym, Steffi Spira und Gregor Gysi gesprochen haben. Autorin Mein Vater: Ich erinnere bei ihm immer eine Art Respekt vor dieser Aufbaugeneration, woher sie kamen und wofür sie standen - auch wenn sie davon selten redeten. Mein Vater, Hans Misselwitz, war als Biochemiker aus einem anderen Fachbereich vier Jahre lang Doktorand bei Albert am Institut für Herz-Kreislaufforschung in Berlin-Buch. Autorin Es wird kalt draußen, wir gehen langsam ins Haus. 10 Jahre nach seinem Einzug in die Villa, erhielt Albert 1964 den hochdotierten Deutschen Nationalpreis für Wissenschaft und Technik, wovon er das Haus kaufte. So ist es bis heute im Wollenberger-Besitz. Meine und Judiths Familien sind sich über die Generationen immer wieder begegnet. Als mein Vater bei Albert arbeitete, gab es den Friedenskreis noch nicht. Aber schon bald nach der Station bei ihm, 1980 an der Humboldt-Universität, bekam er sein Entlassungsschreiben. Er hatte eine Mobilmachung für einen möglichen Armeeeinsatz gegen die Solidarnocz-Bewegung in Polen verweigert. Atmo 11 Treppen, Reingehen, Tür, Schuhe, ist bei uns ein bisschen Fusskalt... Autorin Irgendwie bin ich überzeugt: Unter Albert wäre das nicht passiert. Er hätte seinen Job nicht verloren. Hat mein Vater sich deswegen in den 90er Jahren vor dessen Sohn Knud gestellt? Charlotte Alles wie vor 50 Jahren Judith Ja, also an der Grundstruktur haben wir nichts geändert... Das sind auf jeden Fall Bücher aus dem Bücherregal, Charlotte Lenin... lustig, vieles auf Englisch, Josef in Egypt Judith na hat ja über 10 Jahre in Amerika gelebt ... Autorin Leo, mit dem ich die Treppe hochgehe, stand eigentlich seiner Oma näher. Leo Na die war im gleichen Haus und immer Abendbrot gegessen, öfters, ja viele schöne Erinnerungen. Autorin Die Oma Gertrud lebte nach Alberts Tod im Jahr 2000 noch fast 15 weitere Jahre in dem Haus. Und nachdem Leos Mutter gestorben war, hat er mit ihr meist unten in ihrer Küche gespeist. Albert und Gertrud, eine Dänin, haben sich 1950 am wissenschaftlichen Institut in Kopenhagen getroffen. Leo Als sie gesagt hat, sie hat jemand kennengelernt, haben die geguckt: jiddisch, staatenlos, watt is dit denn für einer? War ihnen suspekt... Charlotte Musste sie kämpfen? Leo Ick glob dit war ihr wurscht. Sie war da etwas unabhängiger. Autorin In der Küche von Leo, direkt über Judiths Wohnzimmer, steht neben der modernen Anrichte ein Bottich, in dem der eigentliche Restaurator für technisches Kulturgut Misokulturen züchtet. Er bewohnt drei der oberen Zimmer und schläft über Alberts ehemaligem Arbeitszimmer, zur Straße hin. Leo Das ham se dann später alles überlackiert mit diesem typischen DDR-Ochsenblut Leo Wart ihr schon oben auf dem Dachboden? Dachboden Autorin Es ist kalt und zugig, die Balken stützen nackt und verstaubt das schräge Dach. An einer Wand und in einer weiteren Ecke stehen Unmengen von Kisten. Judith ... vorsicht Leo, da ist noch eine drauf, Rascheln, Biografisches... Judith liest: BZ-Gespräch mit Professor Wollenberger, ordentliches Mitglied der Akademie....in seinem kleinen sachlichen, aber wohnlich eingerichteten Zimmer im Institut... Molekularbiologie, Wollenberger, meldet er sich am Telefon Autorin Judith kramt in einer Mappe mit Zeitungen und Zeitungsauschnitten. Es gibt auch welche über Alberts Lauf-Dich-Gesund-Bewegung. Leo Werter Sportfreund Warnke... Ihnen eine unserer Anstecknadeln für Ihre Sammlung.... (Lachen) Atmo 20 Kramen Judith Hier, die Wollenbergerzange, Rascheln Autorin Albert steht in dem heftgroßen Foto in weißem Kittel und hält ein metallenes dunkles Etwas in der Hand. Das Instrument zur Beobachtung von chemischen Prozessen in Herzzellen wurde weltberühmt. Judith ...er hat ja nicht Herzen aus Körpern rausgenommen, sondern nur Zellen... dass er die Zellen im Bruchteil einer Sekunde einfriert. Leo Je nachdem zu welchem Zeitpunkt du einfrierst, ist es dann wie so ein kleiner Comik, weißte, wie so ne Fotostory, 2.1., 2.2, 2.3, drei Zellen eingefroren. Charlotte Das sieht so groß und martialisch aus, wie als ob er damit ein ganzes Herz hätte rausreißen können, oder? - Judith Lacht laut..., Judith Ah hier, Kongress der International Heart Society ...in Tokio abzuhalten Autorin Albert konnte als Wissenschaftler viel reisen. Aber es gibt auch viele Fotos von privaten Reisen nach Israel, sein Bruder und seine Eltern wohnten dort. Meist durften Juden, die loyal und als Opfer des Faschismus unverdächtig waren, mehr reisen als andere DDR-Bürger. Atmo 21 Leo niest, Judith: Gesundheit. Leo wieder niesen. Judith: Staub wa? Leo Eine Auszeichnung der Akademie der Wissenschaften hier. Autorin Leo zieht lauter Preise aus einer Kiste. 29 / Gespräch Leo Oh, Vaterländischer Verdienstorden in Gold, mh.., der Vorsitzende des Staatsrats der DDR verleiht Prof Dr... Berlin 1982 ... Unterschrift, ich kanns nicht lesen, --- Verdienstmedaille der DDR, und vaterländischer Verdienstorden in Silber, Banner der Arbeit, Deutscher Nationalpreis... 30b Leo Und dann ist da noch ne Medaille Kämpfer gegen den Faschismus... Leo Hier die beiden Wörterbücher Judith Das musst du erzählen, Leo Die Wörterbücher, die hat Opa benutzt, um irgendwelche Informationen als er im Widerstand gearbeitet hat,... hat er immer zwischen Frankreich und Deutschland, ... hat er Botschaften übermittelt, und die hat er auf bestimmten Seiten des deutsch-französischen Wörterbuchs mit Nadel gepiekt, wenn du die gegens Licht hälst, siehst du die Punkte, die Botschaften... Autorin Ich frage mich: Wie hat es sich gelebt mit einem Übervater, der nicht nur strahlender Wissenschaftler, sondern auch noch Held des Kommunismus und Widerstandskämpfer war? Wollte Knud ihm gefallen? Sah er in seinem Doppelleben als Stasi-Informant die Fortsetzung der konspirativen Untergrundarbeit seines Vaters? Knud selber rechtfertigte sich einmal mit seiner jüdischen Herkunft. Er habe für einen Staat gearbeitet, in dem Juden vor faschistischer Verfolgung sicher seien, sagte er in einem Interview. Musik 80er Jahre Sendung Autorin Judith hat ein Video von 1985 gefunden, DDR-Fernsehen, die Sendung "Portrait per Telefon", wo Albert als Wissenschaftler und Experte zu einem Gespräch eingeladen war. Atmo 22B Ja ich kanne Albert Einstein schon aus seiner Zeit in berlin her. Das kam daher, dass meine Tante Helen Dukas 1928 seine Sekretärin wurde. Als ich dann in den USA lebte war ich sehr oft in Princeton Einstein und habe dort Einstein kennengelernt , war sehr beeindruckt von ihm, von seiner Schlichtheit, seiner Einfachheit, seiner absoluten Informalität in der er mit Menschen umgegangen ist, ganz gleich ob das nun ein Präsident eines Staates war oder Schüler, der ihn auf der Strasse angesprochen hat und ihn gebeten hat ihm bei seinen Mathematik Hausaufgaben zu helfen... Autorin Alberts Tante, Helen Dukas, war die berühmte Sekretärin von Einstein gewesen. Judith betont gern die Frauen in der Dukas-Familie von Alberts Mutter. Letztere hatte in Genf Kontakt zu den Exilbolschewisten, traf wohl auch Lenin, eine andere Schwester schrieb über jüdische Emanzipation ihre Doktorarbeit. Und eben jene Helen Dukas, die als Sekretärin von Einstein Albert Wollenberger die Flucht in die USA ermöglicht hatte. Autorin All die Preise, Reisen in aller Welt und lustigen Kinderfotos. Dabei auch ein Foto von Alberts Mercedes. Ein Auto, das seine in Israel lebenden Eltern ihm zu DDR-Zeiten aus Westberlin mitgebracht hatten: Judith Den hat er nach der Wende sofort verkauft. Charlotte Warum das? Judith: Na, dann sehen ja alle, oh Gott, ich hatte einen Sonderstatus. Charlotte: Wie bitte? Aber das hatten doch alle sich gekauft. Judith: Ja, das war auch nicht unbedingt logisch. Eher ne affektive.. Charlotte: Und du meinst wirklich aus einer Angst heraus? Judith: Na er hat sich kein anderes Auto direkt gekauft. Autorin Wovor hatte Albert Wollenberger Angst? Dass er als Teil der DDR-Elite gebrandmarkt würde? Oder dass das alte Zerrbild vom geldliebenden Juden wieder hochkommen würde? Autorin Der israelische Historiker Moshe Zuckermann, dessen Eltern in Westdeutschland lebten, betonte einst die großen Ambivalenzen westdeutscher Juden, die vor sich selbst und anderen rechtfertigen mussten, dass sie nach dem Holocaust im Land der Täter weiterlebten. In seinem Buch "Zwischen Politik und Kultur. Juden in der DDR" bemerkte er, dass es diese Gefühle auf der anderen Seite kaum gab. Die DDR war für die ostdeutschen Juden der ersten Generation, zumeist überzeugte Kommunisten, vielmehr die Antwort auf Auschwitz. Sprecher Albert Beschäftigung fand ich als Lieferwagenchauffeur bei einer Likörfabrik. Da passierte einmal ein gefährlicher Zwischenfall. Ich stieß mit einem Motorradfahrer zusammen, der aber nicht verletzt wurde, sich nur die Hose zerriss. Zu allem Unglück war es auch noch ein Feldjäger. Trotz meines Schreckens gelang es mir, dem Feldjäger mit einer Flasche Kognak aus der Ladung vom Erstatten einer Anzeige abzuhalten. Solche Zufälle konnten für einen Illegalen zum Verhängnis werden. Autorin Von Paris aus hatten die Kommunisten Albert nach Nazi-Deutschland zurückgeschickt, dort sollte er im Untergrund gegen das NS-Regime arbeiten. Für ihn als Juden bedeutete das ein enormes Risiko. Wie oft ging es für ihn damals um das nackte Leben? Autorin Albert in Paris: Da arbeitete er bald wieder für die KPD, als Gewerkschafter in einem Metallarbeiterverein, auch zusammen mit Hans Beimler, ehemaliger Reichstagsabgeordneter der KPD, mit dem er Solidaritätsveranstaltungen für den in Deutschland inhaftierten Ernst Thälmann organisierte. Judiths Großeltern väterlicherseits erging es ganz anders. 37 Judith Ich glaub das war traumatisch, sind fast alle umgebracht worden. Also bei der Familie von meinem Vater, das Jüdische gabs eigentlich gar nicht mehr. Sowas wie Matzeklöße, übriggeblieben als Essen. Aber sonst wurde gar nicht mehr drüber gesprochen überhaupt diese jüdische Vergangenheit. Und die Geschwister meiner Urgroßmutter sind bis auf einen alle umgebracht worden. Also da ist fast die ganze Familie deportiert worden. Und darüber wurde gar nicht gesprochen. Autorin Während Judith von Kind an die heroischen, antifaschistischen Geschichten ihres Großvaters Albert kannte, erfuhr sie erst als junge Erwachsene vom Schicksal der anderen Familienseite, die sozusagen "nur" Holocaustüberlebende gewesen waren. Im Gegensatz zu den antifaschistischen Widerstandskämpfern waren sie in der DDR Opfer zweiter Klasse. Sie bekamen auch eine kleinere Opferrente - allerdings ohne dafür kämpfen zu müssen wie in Westdeutschland. Auch Judiths Oma väterlicherseits identifizierte sich mit der DDR. 38 Judith Also meine Oma hat beim Zoll gearbeitet, sie war blühende Kommunistin, also das war die neue Identität. Aber ... das passt total auf die Familie, ... die mussten sich was Neues zusammensammeln. 40 Tom Der muss ja wenigstens 3 Sprachen gesprochen haben. Also französisch musste er, in Genf als Baby mitgekriegt...dann Deutsch, dann Englisch, sprach er ja wirklich akzentfrei, besser als meine Eltern... Autorin Tom Rapoport, selbst Sohn jüdischer Remigranten in der DDR, nun Professor für Molekularbiologie an der Harvard Universität. Auch er war einst am Institut in Berlin-Buch. Er unterhält sich mit meinem Vater. 40 Hans M Und Jiddisch Tom Ach ja? Hans Ja, da bin ich überhaupt erst aufmerksam geworden. Ich hab vorher gar nicht nachgedacht, Wollenberger jüdisch oder so, das war kein Thema für mich, also wir wurden da ja in der DDR auch nicht fokussiert auf dieses Merkmal. Und wenn dann ein Telefonanruf kam, hab ich ein oder zweimal erlebt, meistens waren das Leute aus Amerika, dann ging er in Jiddisch über. Autorin Tom erinnert sich noch gut an das Institut. 41 Tom Hat mir sehr imponiert. Da wurde gute Forschung gemacht, Grundlagenforschung, Wollenberger schirmte alles ab. Hat ein kleines aber feines Institut gehabt. Autorin Die beiden sind überzeugt: Albert ist nur knapp am Nobelpreis vorbeigeschrappt. Hans Er schreibt ja, dass er fast drangewesen wäre, die Natrium-Kalium-Atepease. (...) Dass er die fast entdeckt hätte! ... Das waren damals ganz wichtige Schritte hin zum Verständnis wie die Physiologie auf molekularer Ebene ist. Tom Und derjenige, der die entdeckt hat, hat den Nobelpreis gekriegt.... Also Wollenberger war sicher kurz dran. Tom Ich finde es bedauernswert, wenn man jetzt Wollenberger hört, denkt man als erstes an Knud. Damit hat der Name Albert sofort eine negative Konnotation, die er nicht verdient hat. Tom zu Hans: Hast du nen Einblick, wie die das genommen haben, nachdem Knud der Buhmann wurde der Nation sozusagen? Hans Na ich hab nur zu Ulla Kontakt gehabt. Noch in den 90ern... Autorin Durch Ulla, Judiths Mutter, erfuhr mein Vater von Knuds Immunkrankheit, die er 1998, nach all dem Trubel bekam und an der er 2012 starb. O-Ton 44 Judith Ja, darüber wurde aber halt nicht gesprochen. Ich denke es hat ihn beschäftigt. Nur wenn Journalisten kamen oder so, das war für ihn der Horror... Es gab da, glaub ich, schon ne ziemliche Erschütterung. Auch, dass die ganze Utopie nicht funktioniert hat. Autorin Wir Misselwitzens wohnen nur ein paar Stationen von Buch entfernt, in Pankow. Wir sitzen im Wohnzimmer meiner Eltern, mein Vater erzählt. Er hätte erst ab 1992, mit dem Moment der Akteneinsicht die Bestätigung gehabt, dass die Gerüchte um Knud stimmten. Zuvor hatte sich Vera Wollenberger irgendwie Zugang zu den Akten meiner Eltern verschafft. Sie hatte kein eigenes Stasi-Dossier gehabt, wollte aber ein Buch über die Ehe mit Knud schreiben - was meine Eltern eher gegen sie als gegen Knud einnahm. O-Ton 45 Charlotte Und mit dem Moment wo das klar war, hattet ihr weiter diese Position gehabt, dass ihr das nicht skandalisieren wolltet. Hans Ja, das hat damit zu tun, ...diese Berichte waren im Grunde nicht denunzierend. ...Und insofern war die Frage für uns nicht, dass Knud ein Hauptagent der Stasi gewesen ist. Und vor allem war nicht erkennbar, dass er in zentralen Angelegenheiten die Arbeit des Friedenskreises geschädigt hat oder unmöglich gemacht hat. Autorin Mein Vater hat jede Menge Details. Er zählt verschiedene Akten, Vorgänge oder Papiere auf, aus denen seiner Meinung nach hervorging, dass Knud 1973 nicht von der Stasi, sondern vom Auslandsnachrichtendienst unter Markus Wolff - übrigens auch jüdisch - angeworben wurde. Und er wurde erst 1983 auf die Kirche von unten und den Friedenskreis Pankow angesetzt, zwei Jahre, nachdem er sich mit seiner Frau Vera diesem Kreis angeschlossen hatte. In den Augen meines Vaters ein Beleg dafür, dass er nicht eingeschleust wurde, sondern sein Engagement in der Opposition ehrlich war. O-Ton 46 Hans Ich meine, es gibt eine Erfahrung für mich persönlich, das ist vielleicht wichtig. Es gab 83 im Vorfeld des Nato-Doppelbeschlusses Versuche, dass die DDR Friedensbewegung sich in einer Aktion gemeinsam mit den Grünen verständigt, sich gegen diesen Doppelbeschluss zu positionieren. Und dazu gab es Kontakte mit den Grünen, die offiziell Anfang November in die DDR, nach Berlin kamen. Einer dieser Kontakte fand bei Wollenbergers statt. Knud war quasi Gastgeber und Vera. Und ich hatte es übernommen, eine Stellungnahme des Aufrufes gegen den Nato-Doppelbeschluss zu machen. Und der wurde abgestimmt an dem Abend im kleinen Kreis bei Wollenbergers. Paar Tage später wurde ich festgenommen und wurde der Polizei zugeführt... Autorin Ich erinnere den Tag. Morgens um 6 Uhr klingelten sie an der Tür. Im Flur standen wir alle im Schlafanzug zwei streng uniformierten Beamten gegenüber. Mein Vater musste sich anziehen, sie nahmen ihn mit... O-Ton 47 Hans Und zwar ging es um eine Frage, was meine Rolle betraf, in Bezug auf diese Erklärung. Interessanterweise war bestimmtes Wissen nicht da, und zwar über, das was jemand haben konnte, der direkt dabei war. ...Die waren nur oberflächlich informiert. Das hieß für mich, dass über Knud keine genaue Information gelaufen sein kann. Eine typische Situation war das, in der man mich hätte festnageln können. Also von daher ist die Milde für mich angezeigt, er war jedenfalls nicht über die Maßen eifrig, um andere Leute sozusagen zu belasten. Autorin Das Stasi-Auto stand ohnehin vor der Wollenberger-Wohnung, sie wussten genau, wer alles dabei war. Aber der Insider und Spitzel, Knud, hat keine relevanten Informationen zur Festnahme gegeben. Also hat auch Knud hat sich mal schützend vor meinen Vater gestellt? Das ist mir neu. Muss ich ihm jetzt dankbar sein, dass mein Vater am Abend desselben Tages schon wieder nach Hause kam - und nicht erst Jahre später? Ich denke an Albert am Ende seines Lebens. Als Vater verwundet, als Kommunist gescheitert, als Wissenschaftler ausgemustert. Atmos 29 Dachboden Leo Tür kannst du offenlassen, falls der Postmann kommt. Atmo 30 Stille, räumen Autorin Leo ist auf dem Dachboden, in dem Zimmer, wo noch immer ein paar ungesichtete Kisten stehen. Ich blättere beiläufig in einem alten Ordner, der aussortiert werden soll. O-TON 49 Charlotte Sehr geehrte Frau Richterin, 1993, gestatte ich mir mich zu äußern Rückkehr aus der Emigration von der damaligen Akademie der Wissenschaften... Autorin Der Ordner enthält an die 100 Papiere, Briefe zwei bis fünfseitig, in denen Albert ausführlich all die Stationen seines Lebens auflistet. O-Ton 50 Charlotte 4. Senat des Bundessozialgericht, 1993... wie folgt die genannten Streitsachen entschieden die Revisionen wurden zurückgewiesen ... Autorin Die Briefe sind bis 1998 datiert. Während westdeutschen Professoren eine Beamtenrente erhielten, wurden ostdeutsche Professoren nach der Wiedervereinigung, auf eine Angestelltenrente reduziert. Die Leopoldina, ein Verein von Wissenschaftlern, stieg allerdings als Ratgeber in etlichen Klagen von ostdeutschen Professoren ein, deren Renten wegen angeblicher Systemnähe gekürzt wurden. Oft wurden die DDR-Intelligenzrente oder Sonderverträge von Wissenschaftlern mit den ostdeutschen Instituten oder Universitäten nicht anerkannt. O-Ton 51 Charlotte - Blättern - Wow, da musste er hier alles ... Sohn jüdischer Eltern, Freiburg usw. mit dem Nobelpreisträger Lipmann, Wald --- Autorin Was für eine Erniedrigung... Albert, der sich ungern hervorhob, zog all diese Register am Ende seines Lebens, selbst die jüdische Herkunft. Und bekam dann noch ein "zurückgewiesen". O-Ton 52 Judith Ich hab mir das vorgestellt, dass da auch Ängste hochgekommen sind. Jetzt hab ich wieder zu ner Gruppe gehört, die wieder als die Schlechten dastehen. Autorin Die 90er Jahre, das war auch: rassistische Hetzjagden in Ostdeutschland. Und wieder zunehmender Antisemitismus. 53 Judith Also was ich bewusst noch weiß, ist, dass er so Angstzustände bekam kurz bevor er gestorben ist, dass er da so psychotische Sachen hatte. Ne. Also da gabs einmal so ne Situation, dass er sich auf dem Fußvorleger vor der Treppe so zusammengekauert hat. Und immer darum gebeten hat, dass man ihm nichts antut.... Autorin Es ist spät. Vor dem Haus ist es dunkel, ich laufe nach Hause. Mir fällt ein, was mein Vater sagte: O-Ton Hans 54 Und im Übrigen mit dem Fall Wollenberger suchte die Öffentlichkeit anschauliche Bilder um das perfide des Stasiaktenstaates bildhaft zu untermauern. Wie geht man mit dieser Hinterlassenschaft um? Autorin Ich blicke auf das Haus, das stumm zurückbleibt. O-Ton 55 Hans In dieser Zeit nach 92, als die Kampagnen liefen, hatte man den Eindruck, dass sich die Situation umgekehrte. Man dachte, ..., wir hatten was in die Gesellschaft einzubringen, wir wurden plötzlich zu Opfern. Und da gab es ne Abwehr. Autorin Das alte wellenvergitterte Tor vom Vorgarten öffnet sich. Wir wohnten schon damals sinnbildlich im selben Haus, meine Eltern, Albert, alle wollten die DDR verbessern. Und auf seine Weise auch Knud. Wolfgang Herzberg erinnert sich: O-Ton 56 Herzberg Die Oppositionsströme in der Bürgerbewegung und in den Kirchen waren nicht auf Abschaffung von der DDR ausgerichtet, sondern auf Demokratisierung. Wir alle litten unter der mangelnden politischen Teilhabe ... die Medienpolitik war furchtbar, die Schönfärberei und mangelnde Diskussionsfreudigkeit ... Autorin Nicht nur Albert war eine Scherbe. In einem Gespräch, das Knud nach all dem mit meinem Vater suchte, sagte er angeblich, er hätte die Berichte und die Sache der Opposition nicht irgendwelchen anderen Denunzianten überlassen wollen. Die Begegnungen unserer Familien beruhten auf gemeinsamen Hoffnungen und Idealen. Und dass meine Eltern später als Helden gefeiert wurden, die die DDR-Regierung zum Zusammenbruch brachten, machte es nicht besser, im Gegenteil. Der von ihnen ersehnte dritte Weg, ein unabhängiges, demokratisiertes, sozialistisches Ostdeutschland, war versperrt. Atmo 35 Cafe Matti und Judith Judith Ich wusste nicht mal davon, meine Mutter hatte mir erzählt, bei Familie Steinitz, da gibt es doch gleiche Themen... Charlotte Nee, was?! Matti War vorher nie Thema. Nicht ein einziges Mal. Obwohl wir uns tatsächlich seit über 20 Jahren kennen. Lachen. Autorin Matti Steinitz ist ein alter Freund von Judith, ähnliches Alter, ebenfalls aus Pankow und ebenfalls Enkel jüdischer Remigranten in der DDR. Ich hab mich bei ihrem Treffen in Berlin eingeklinkt. Matti erinnert sich nur an ein einziges Mal zu DDR-Zeiten, dass die jüdische Identität in seiner Familie doch eine Rolle spielte. O-Ton 58 Matti Das war ein Erlebnis, was meine Cousine hatte. Die hat irgendwann mal im Hort, in der Schule war das die Nachmittagsbetreuung, mal ein Davidstern auf ein Blatt Papier gemalt. ... Und dann hat sie einen Eintrag bekommen von der Erzieherin an ihre Mutter. Darin stand, Ihre Tochter hat einen Davidstern gemalt. Ich wollte sie nur informieren. Denn: wehret den Anfängen! (Wir alle lachen) Autorin Links, sozialistisch, jüdisch? Was ist noch geblieben von den Idealen und Traumata der Eltern und Großeltern? Was davon spielt für ihre Identität heute noch eine Rolle? Matti meint, das Jüdischsein wurde für ihn wieder wichtig mit seiner Beschäftigung mit Rassismus und Antisemitismus in den 90er Jahren. Mittlerweile beschäftigt sich am Center for Inter-American Studies an der Uni Bielefeld. Judith, Leo, Matthi - keiner von ihnen ist aktiv in einer jüdischen Gemeinde oder lebt die Religion. Stattdessen geht man auf Demos gegen Mietenwahnsinn und setzt sich für soziale Gerechtigkeit ein. O-Ton 60 Matti Es reflektiert übrigens was, was ich auch bei meinem Großvater gemerkt hab. Dass er immer gesagt hat, jüdisch sein, Jude, das war für ihn von vorgestern. ..und für seinen Vater der Kommunist geworden ist, war das ein Akt der Befreiung, sozusagen sich davon loszusagen. Ich bin Kommunist, das ist das was mich definiert. Und nicht meine Herkunft. Das galt eher als was Rückschrittliches. O-Ton 61 Judith Ich glaube nicht, dass ich mich über meinen jüdischen Großvater definiere. .... Trotzdem ist es mir bewusst und ich schätze das auch, aber ich schreibs nicht auf meine Fahne. O-Ton 62 Leo Also ist ein Hintergrund, da komm ich her, ein Teil von meinen Hintergründen. Is ja nur ein Teil, gibt noch drei andere Großeltern. Da steht alles gleichbedeutend nebeneinander. Charlotte Und die jüdische Geschichte ist jetzt nicht vielleicht ne besonders interessante oder so? Leo Nö. Autorin Und dann, in dem Cafe mit Judith und Matti, beim Lachen über die großen, schweren Themen der Großeltern und Eltern, merke ich auf einmal, der Blues, den ich immer wieder im Wollenbergerhaus hatte, diese unbestimmte Trauer um deren verlorene Kämpfe, geht weg. Ich erinnere plötzlich: Uns, unsere Generation, gibt es ja auch noch. O-Ton 63 Matti Natürlich treibt uns das um. Mich treibt aktuell um, wie wichtig es wäre, dass man ein paar Lehren aus dem was schiefging in DDR zieht. Gerade aus linker Perspektive, dass man die sieht und nicht immer wieder von null anfängt. Autorin Ich gehe noch einmal in das Wollenberger-Haus. Atmo 37 Klopfen, eintreten Autorin: Judith kramt noch immer in Kisten. O-Ton 64 Judith Die stand bei meiner Tante drüben, hab die mitgenommen, weil ich die abformen will - rascheln Autorin Auf einmal hält Judith einen Kopf in den Händen. Eine Büste ihres Großvaters Albert. Plötzlich ist er präsent im Raum. O-Ton 65 Judith Bisschen überlebensgroß, wahrscheinlich beim Modellieren bisschen zu groß geworden als beim Original, also weißer Gips, ...würde denken, Mitte sechzig Jahre alt, genau. Autorin Das ist also Albert. Das schmale Gesicht, der große Hinterkopf, die Augen, leicht gesenkt, schauen schon damals auf ein ereignisreiches Leben zurück. O-Ton 66 Judith Von Harald Isenstein, ein jüdischer deutscher Bildhauer. Der hat ...hat berühmte Persönlichkeiten portraitiert wie Albert Enstein, die Büste, die aus dem Einsteinturm geworfen wurde von den Nazis. Autorin Der Albert-Kopf sieht aus als ob er zuhört. O-Ton 67 Judith Jetzt, wo ich diesen Kopf gefunden habe, hab ich gedacht, wäre vielleicht schön, wenn ich eine Arbeit damit machen könnte. Also, was ihm in der Wende widerfahren ist, diese Abwertung seiner ganzen Biografie... Autorin Ich möchte ihm die Hand schütteln, kann ihm aber nur über den Kopf streichen. Auch ein "Guten Tag" geht nicht. Stattdessen sage ich zu ihm in Gedanken: Sie sind keine Scherbe mehr. Es war nicht umsonst. Sie bleiben uns in Erinnerung, Herr Albert Wollenberger. Absage: Die Wollenbergers. Jüdische Remigranten in der DDR. Ein Feature von Charlotte Misselwitz Es sprachen: Kay Bartholomäus Schulze und die Autorin Regie: Dörte Fiedler Ton: Jean Szymczak Redaktion: Christiane Habermalz Unterstützt durch die Stiftung Schloss Wiepersdorf Eine Produktion des Deutschlandfunk 2022. 25