Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Merkel-Jahre Der unwahrscheinliche Weg der Angela M. Feature-Serie in sechs Teilen von Stephan Detjen und Tom Schimmeck (4/6) - Ein ganzer Kerl? Regie: Tom Schimmeck Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2021 Erstsendung: Dienstag, 27.07.2021, 19.15 Uhr Es sprachen: Annette Burchard und die Autoren Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Merkel "Ich glaube, dass es Männer gibt, die sehr viel schwatzhafter sind, als ich mir das vielleicht mal erträumt habe; dass es Frauen gibt, die sehr viel verschwiegener sind, als man denkt. Also, dass die Klischees im Grunde nicht klappen." Brok "Sie kann sich ja über Männer lustig machen. Es war so diese Zeit wo man diese bunten Westen trug, die Männer, vor 15 Jahren oder wann das war. Hat sie sich eine halbe Stunde drüber amüsiert, die Männer als Gockel, die so rumlaufen. Da konnte sie sich drüber amüsieren." Merkel "Es kann nicht sein, dass Frauen unsere Gesellschaften maßgeblich tragen und gleichzeitig nicht gleichberechtigt an wichtigen Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beteiligt sind." Kommentar Barbara Kostolnik / ARD "In Deutschland geben nach wie vor überwiegend alte weiße Männer den Ton an, vor allem in der Politik. Auch wenn die Bundeskanzlerin seit 16 Jahren an der Spitze dieses Landes steht..." Merkel "Der geschäftsführende Bundesvorstand der Jungen Union, schön männlich. Aber 50 Prozent des Volkes fehlen. Und ich sag ihnen: Frauen sind bereichern das Leben. Nicht nur im Privaten, auch im Politischen." Müntefering "Ich nehme an, dass die alle eine Granatenwut gehabt haben auf die, also die Kochs und Wulfs und der Merz natürlich auch dazu, alle. Das war ja 'ne ganze Bagage, das waren ja sechs, sieben, acht Leute, die sich das Land aufteilen wollten und nun kommt ihnen diese Frau dazwischen. Ich fand das immer ganz charmant. Aber die hat denen ihre Strategie völlig versaut. Merkel "Alle Verhaltensmuster werden erstmal aus dem Blickwinkel des Mannes betrachtet. Und dass Männer ab und dazu jetzt auch darüber debattieren müssen, wie eine Frau in der Politik ist, ist ja kein Fehler. Es ist eine Bereicherung der gesellschaftlichen Diskussion." Bannas "Das ist mir das erste Mal aufgefallen, wenn sie erzählte aus dem CDU-Präsidium, wie sich dann die männlichen Freunde vom Andenpakt, also Christian Wulf, Roland Koch und die anderen, wie die sich dann gegenseitig aufgeplustert haben, um da irgendwie zu Wort zu kommen. Und dass sie der Schönste und der Größte sind. Das konnte sie auch herrlich darstellen." Merkel "Ich bin guter Stimmung." Singer "Wichtig ist jetzt noch, dass die Evolution ein extrem konservativer Prozess ist. D/S Ansage Merkeljahre Feature- / Podcast-Serie von Stephan Detjen und Tom Schimmeck Folge 4: Ein ganzer Kerl D Die erste Frau, die Angela Merkel bewundern konnte, ohne sich klein zu fühlen, war die Physikerin Marie Curie. Merkel "Und da fand ich so spannend daran, dass, wenn man an eine Idee glaubt, auch wenn man alleine ist, dass man ihr nachgehen kann, dass man sich durch lange Berge hindurchfrisst. Und irgendwann, wenn die Idee eine richtige war, kommt man an." S An der Akademie der Wissenschaften der DDR brütete sie sieben Jahre darüber, wie schnell Moleküle zerfallen, wenn sich ein Wasserstoffatom von einem Methylradikal CH3 abspaltet. Schon die Tatsache, dass Angela Merkel Doktorin der Physik ist, hat früh zu ihrem Nimbus beigetragen, auch das Kanzlerinnenhandwerk sehr analytisch, systematisch und präzise zu betreiben. Merkel "Für mich ist immer wichtig, dass ich mir alle möglichen Entscheidungsoptionen, wie man's machen könnte, durchspiele. Und zwar nicht nur wie so'n theoretisches Experiment, also einmal im Kopf, sondern auch versuche, damit zu leben." D Die Sehnsucht nach politischer Führung war in der Union nach dem doppelten Ende der Ära Kohl - erst durch die Wahlniederlage gegen Rotgrün 1998, dann durch die Parteispendenaffäre, enorm. S Doch Angela Merkel lernte früh, dass Visionen auch ein Wagnis, dass große Zukunftsentwürfe im Zweifel tückisch sein können. Spätestens mit dem lausigen Wahlergebnis, dass sie 2005 als neoliberale Prophetin einfuhr. Merkel "Unerreichbare Ziel setzen? Das ist nicht unsere Art. Viele kleine Schritte gehen!" D Dass es mitunter besser ist, die Erwartungen zu dämpfen. S Auf Sicht zu fahren. Und dabei die politische Vernunft und die Mitte für sich zu reklamieren. Merkel "Eine Politik des Maßes, der Mitte und der praktischen Vernunft." D Zunächst aber hatte sie ein viel handfesteres Problem. Die Bonner Bundesrepublik war männlich. S Ihr politischer Ziehvater, der Patriarch Helmut Kohl, wahrlich nicht der einzige Hirsch auf der Lichtung. D Vor dem Mauerfall sitzt der Kanzler mit 18 Männern und zwei Frauen am Kabinettstisch. In der Bundespressekonferenz, der Vereinigung der Parlamentsjournalisten, sind 78 Prozent der Mitglieder Männer. Süssmuth "Das war ja ein Schock für den Westler. Was soll die denn da? Kann die das denn überhaupt? Also das war ja ‚das Mädchen'. Kann das das?" S Rita Süssmuth. Stoiber "Und das war eigentlich dann die Frage, die ich damals an Wolfgang Schäuble stellte: Kann die das?" D Edmund Stoiber NDR-Moderatorin "Die promovierte Physikerin wirkt irritierend im medienversessenen Bonn. Sie strotzt vor Energie, hat aber wenig Ausstrahlung. Sie trägt gerne dunkle Kostüme, fast nie Makeup und seit Jahren einen strengen Pagenkopf. Merkel "Und ein bisschen amüsiert mich das auch. Weil ich wirklich nicht denke, dass sich der politische oder sonstige Wert eines Menschen daran misst, welche Sorte des Lippenstifts er benutzt." Mushaben "Ich fand, dass die sehr scharf mit Merkel umgegangen sind, auf typische Art und Weise: Wie sie sich angezogen hat, wie ihre Haare ausgesehen haben. Sogar Lothar de Maizière hat vor der Moskau-Reise, September 1990, darauf hingewiesen, sie solle ihre Jesus-Sandalen loswerden und hat die Frau von irgendeinem Assistenten rausgeschickt, um mit Merkel einkaufen zu gehen." D Nichts stimmte, sagt die US-Politologin Joyce Mushaben: Die Kleidung, die ganze Erscheinung. Nichts war richtig. S Rainer Eppelmann, der Vertraute aus den Tagen des Demokratischen Aufbruchs. Eppelmann "Ich kann mich an ein Gespräch erinnern, in dem ich sie auch etwas sehr Privates angesprochen habe, also auf Aussehen. Weil ich gedacht habe, ich kann ihr das sagen. Und da sagt sie: ‚Ja das weiß ich, das es eine Fülle von Leuten gibt, die mich nur nach meinem Äußeren beurteilen. Ich brauche aber was, um mir selber treu zu bleiben.'" Merkel "Weil ich diese Verkaufsmentalität, dass man sich gut verkaufen muss auf dem Markt der gut Gestylten, die liegt mir auch nicht so besonders. Weil ich denke, es kommt in Wesentlichen auf die fachliche Arbeit an." De Maizière "Das waren die Haare, aber das war auch die Garderobe." D Thomas de Maizière De Maizière "Und diese Blazer waren im Grunde Ausdruck einer ganz praktischen Überlegung, so wie sie eben ist. Nämlich: sie war immer eifersüchtig, dass die Männer sich nicht umziehen müssen den ganzen Tag. Egal was für Termine sind. Offizielle, große Auftritte. Und bei Frauen wurde erwartet, dass die sich dann umziehen. Und das wollte sie nicht. Und dann kam irgend jemand auf die Idee zu sagen: Du hör mal, die dunkle Hose und dann die dazu passenden Blazer, das geht den ganzen Tag. Und wenn sie mal ihre politische Biografie nehmen, da gibt es ganz, ganz wenige Anlässe, vielleicht kann man die an zwei Händen abzählen, wo sie sich im Laufe eines Tages umgezogen hat. Und aus dieser pragmatischen Überlegung - Ich will halt mich nicht umziehen - ist ein Kult geworden." Merkel "Viele kleine Schritte gehen." Mushaben "Aber ich fand schon diese Vorstellung, sie sei nicht charismatisch, sehr typisch männlich. Weil sie nicht auf den Tisch gehauen hat, so wie Gerhard Schröder zum Beispiel. Weil sie eine einfache Sprache hat und nie den Versuch gemacht hat, dass was sie sagt, irgendwie zu verschlüsseln, damit es entweder so oder so ausgelegt werden kann. Ich glaube: What you see is what you get." S Rita Süssmuth, Jahrgang 1937, prominente CDU-Vorkämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen, ist geprägt von der alten Bundesrepublik. Merkel, meint sie, galt den CDU-Frauen nicht unbedingt als Kampfgefährtin. Süssmuth "Natürlich gab's für mich auch die Enttäuschung, wenn ich sehen musste: Nein, mit uns Frauen hat sie nicht gestimmt. Aber das ist auch ihr Recht." D Angela Merkel war gegen Frauen-Quoten. Beim Paragraph 218 blieb sie ambivalent. Süssmuth "Aber ich habe mich auch immer gefreut, wenn Sie dieses Thema aufgriff - nicht als ein Frauenthema, sondern als ein gesellschaftliches Thema. Als ein wichtiges Thema für die Demokratie. Wie halten wir es mit den Geschlechtern? Wie halten wir es mit Minderheiten? Denn es geht ja nicht nur dabei um die Frauen. Es geht um Fähigkeitszuschreibung, Beteiligung, Mitverantwortung und Mitentscheidung." S Doch auch dieser Fortschritt ist eine Schnecke. D Die CDU hat in den Merkel-Jahren viele weibliche Wähler hinzugewonnen. Doch nach wie vor sind nur gut ein Viertel der Parteimitglieder Frauen. S Am Ende der Ära Merkel war die Unionsfraktion im Bundestag zu gerade mal einem Fünftel weiblich. Ein Rückschritt. Süssmuth "Wenn wir mehr Gleichberechtigung wollen - mit 20 Prozent Frauen aus CDU und CSU zu erscheinen, da schäme ich mich!" Kramp-Karrenbauer "Ich werde mich nicht um eine Kanzlerkandidatur bewerben D Annegret Kramp-Karrenbauer, Merkels Wunschnachfolgerin an der Parteispitze, hat sich binnen zwei Jahren aufgerieben. Collage Merz Röttgen Laschet aus CDU-TV. S Alle Kandidaten, die am Ende für ihre Nachfolge antreten - Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen - sind männlich, katholisch, Juristen und aus NRW. Collage Merz Röttgen Laschet aus CDU-TV. D Jeder von ihnen kam 1994 in den Bundestag, ist Mitglied der Atlantik-Brücke. Und hat drei Kinder. S Alle drei sind im dunkelblauen Jackett auf CDU-TV zu bestaunen. Nur die Schlipse changieren in der Farbe. D Hat die CDU ihre Abenteuerlust mit Angela Merkel fürs erste aufgebraucht? Laumann "Du musst sehen: Du hast die CDU-Katholiken am Bodensee. Und du hast auf der anderen Seite eine Stadt wie Hamburg, die fast säkularisiert ist. In Hamburg werden mehr Kinder nicht getauft wie getauft. Eine westdeutsche Stadt! Also bin ich der Meinung, dass man das auch sehen muss, dass Angela Merkel doch sehr geschickt die CDU durch diese Zeit geführt hat." D Karl-Josef Laumann, auch aus NRW, Chef der Christlichen Arbeitnehmer und Arbeitsminister in Düsseldorf, meint: Die Modernisierung dieser Partei ist ein Drahtseilakt. Laumann "Meine Kinder haben von diesen Fragen eine andere Vorstellung wie meine Generation. Und das ist auch völlig in Ordnung. Ich sehe das bei mir zuhause immer. Ich hab' das große Glück, dass meine Mutter noch lebt, die ist 92 Jahre alt. War Bäuerin. Wir waren damals im Elternhaus nur Jungs. Dann gibt es meine Generation, heute alles Frauen zwischen Mitte 50 und Mitte 60. Und dann unsere Kinder, wo viele junge Mädchen sind. Wenn diese drei Generationen Laumänner sich unterhalten über Familienpolitik, dann gibt es so eine Mama die sagt: ‚Die sind alle verrückt. Eine Frau gehört nach Hause und soll auf die Kinder aufpassen. Und so eine von der Leyen mit sieben Kindern, wenn die da in der Politik rumturnt, was soll dat alles?' Und dann gibt es die Frauen aus meiner Generation die sagen: ‚Ja, aber ist ja ganz gut, dass wir nach den Kindern wieder in den Beruf gehen konnten. Aber es war klar: Bei mehreren Kindern war man zehn Jahre aus dem Beruf raus.' Und dann gibt es die Generation meiner Töchter oder die Töchter meiner Geschwister, die das eben heute anders sehen: Dass auch die Männer zu Hause bleiben und all diese Dinge. Und jetzt haben diese drei Generationen Laumänner-Frauen eine Gemeinsamkeit: Sie wählen alle die CDU. Und jetzt ist doch das spannende, finde ich, wie kriegst du das in einer Partei hin, dass meine Mutter sagt: Ich kann die CDU wählen, aber meine Töchter auch sagen: ‚Die CDU ist für mich eine Partei.' Merkel Ach wissen Sie, viele Männer haben Töchter... D Der Aufstieg der Newcomerin aus dem Osten durchkreuzte die Karrierepläne vieler Nachwuchskräfte aus der der Jungen Union, die sich schon ewig warmgelaufen hatten. S Die auf ihren Moment warteten. Das dauerte in der schier endlosen Ära Kohl mitunter so lange, dass einige schon ganz erschöpft waren. D Die Ehrgeizigsten trafen sich schon 1978 in der sogenannten "TankstellenConnection" - benannt nach dem ersten Treffpunkt, der Autobahnraststätte Wetterau. S Jungs aus der Hessen-Union, die sich als "Blutsbrüder" fühlten, darunter der künftige Ministerpräsident Roland Koch, der spätere Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Und Gangleader "Buffi". D Volker Bouffier, heute Regierungschef der schwarz-grünen Koalition in Hessen . Laumann "Ja, und dann ist sie es halt geworden. Und wenn man dann weiß, dass es damals ja noch ein Bündnis gab, ich weiß jetzt gar nicht mehr, wie das hieß, aber das waren ja der Koch, und das war Rüttgers und das war Christian Wulf (Schimmeck: Der Andenpakt) Der Anden Pakt..." S Der "Anden-Pakt", eine mit Whisky besiegelte Schwurgemeinschaft. Brok "Das war kein geplantes Bündnis." D Elmar Brok. Mitglied der Männerbundes. D "Stimmt es, dass Sie da auch dann Mitglied waren?" Brok: "Ich war nicht auf dieser Reise, aber dann sofort dabei. Denn ich war damals Stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Union." Brok "Die Sache ist entstanden auf einem Flug über den Anden." S Juli 1979. Eine Bildungsreise der Konrad-Adenauer-Stiftung. D In einer Douglas DC-8 auf dem Nachtflug von Caracas nach Santiago de Chile. S Nach mehreren Gläsern Whisky wurde auf dem Briefpapier der venezolanischen Fluggesellschaft VIASA ein Manifest notiert: Sprecherin "In Sorge um die hochkarätig besetzte Delegation und zum Schutze der Gesundheit schließen wir uns hiermit zum Pacto Andino Segundo zusammen." Brok "Matthias Wissmann hatte viele Tagesordnungspunkte gemacht. Da waren die anderen sauer darüber, dass es nicht ein bisschen free time auch gab. Und das war der Hauptpunkt, dass man auf einer Serviette das aufgeschrieben hat, um den Vorsitzenden Wissmann zu zwingen, jetzt weniger Programm zu machen bei der nächsten Station. Es war also leisure zum Teil auch dabei. Was es heute immer noch ist." D Man versprach, einander politisch nach Kräften zu helfen und sich niemals im Wege zu stehen S Wieder waren die drei Hessen Koch, Jung und Bouffier mit von der Partie. D Dazu Hans-Gert Pöttering, später EU-Parlamentspräsident, Günther Oettinger, später Ministerpräsident und EU-Kommissar, Christian Wulff, später Ministerpräsident und Bundespräsident. S Der ambitionierte Matthias Wissmann, den sie damals über den Anden den "Kanzler von Legoland" nannten, brachte es unter Kohl zum Verkehrsminister. Bevor er als oberster Lobbyist zur deutschen Automobilindustrie wechselte. Deren Wünsche er dann zuweilen per Brief der "Lieben Angela" mitteilte. Brok "Da waren damals in der Tat wenig Frauen dabei. Das war halt in den 70er und 80er Jahren so." Stoiber "Ich kannte den Anden-Pakt nur so aus dem Geraune." D Edmund Stoiber war 1979 schon Generalsekretär der CSU unter Franz-Josef Strauß. Stoiber "Der Anden-Pakt war ja zwischen den Spitzen der Jungen Union damals aus der CDU. Ich kenne das auch, dass man sich viel versprochen hat... sich immer zu unterstützen und nie gegeneinander zu kandidieren. Und im Großen und Ganzen hat sich das ja auch bewährt." S Angela Merkel allerdings, meint er, machten solche Herrenrunden eher nervös. Stoiber "Ich wusste nur, dass Angela Merkel, wenn vom Anden-Pakt die Rede war, dass sie da immer sehr sensibel darauf reagiert hat." Junge Frau "Ich denke, dass sie auch für viele junge Leute und Frauen ein Vorbild sind, da sie es geschafft haben, besonders als Frau und so jung Beifall eine derart hohe Position zu bekleiden. Und ich hätte gern gewusst, wie sie es geschafft haben, so weit... hoch zu kommen?" Gelächter Beifall S Kirchentag 1995 Merkel "Bei mir war es so, dass das die deutsche Einheit sehr befördert hat. Und der durchschnittliche Weg durch die Parteiinstanzen entfallen ist..." Moderatorin: "Die Ochsentour nennen das die Parteileute..." Merkel: Ich hab' grad überlegt, wie man das bei Frauen nennen würde... Gelächter und Beifall Mushaben ...what Germans call the ‚Ochsentour'" Sprecherin Die Deutschen nennen das die "Ochsentour". Du musst früh in deiner politischen Karriere viele Wahlplakate aufhängen, von Tür zu Tür gehen, Flugblätter verteilen und für die Partei auf Marktplätzen herumstehen. Allerdings entpuppte sich die mächtige CDU-Frau, die diese ‚Ochsentour' (tatsächlich) absolviert hat - Annegret Kramp-Karrenbauer - als die am wenigsten erfolgreiche. Polenz "Mein Eindruck war schon, sie würde die auch gerne integriert haben." D Ruprecht Polenz. Polenz "Wenn Friedrich Merz seine Niederlage um den Fraktionsvorsitz so weggesteckt hätte wie sich nachher Wolfgang Schäuble eingereiht hat, dann wäre er in den ganzen Kabinetten von Merkel irgendwo vertreten gewesen. Und Ähnliches gilt wahrscheinlich auch für Leute wie Roland Koch oder so. Also, es war wohl eher so dass diese Männer sich nicht so gut vorstellen konnten - in Anführungszeichen - unter ihr zu arbeiten." Koch "Ich hab' mir gut überlegt, aus der Politik auszuscheiden. Und ich werde diese Entscheidung nicht korrigieren." S Seither gilt es in einem eher rechtskonservativen Biotop männlicher Christdemokraten - und den ihnen gewogenen Medien - als geradezu schick, sich als Merkel-Opfer zu gerieren. D Als Beute der "Schwarzen Witwe". D Der erste, der sich dieses Verwundetenabzeichen anheftete, war Günther Krause, Anfang der 90er Bundesverkehrsminister... S ...und, vor Merkel, Kopf der CDU Mecklenburg-Vorpommern. Seine vorerst letzte Station war im Jahr 2020 ein Kurzauftritt im Dschungelcamp des Privatkanals RTL. D Es kursieren ein paar bitterböse Zitate von ihm, mit Formulierungen wie "Finalschuss" und "Tritt in den Arsch". S So tauchen immer wieder Listen und Fotostrecken von Männern auf, die Merkel angeblich gemeuchelt hat. D Kohl, Schäuble, Volker Rühe, Friedrich Merz, Norbert Röttgen. S Womöglich gar den CSU-Star Karl Theodor zu Guttenberg. Merkel "Also ich stehe zu der Arbeit von Karl Theodor zu Guttenberg und zu ihm natürlich auch als Persönlichkeit." S Und den halben Andenpakt. D/S GESPRÄCH Mediengeraume / Putschpläne / überschlichte Erzählungen. Der Ton der "alten" CDU. Die Rivalitäten. Parodieeinlagen. S Schon in Bonn, erinnert sich FAZ-Veteran Günther Bannas, dominierte eine zutiefst männliche Erzählung. Bannas "Diejenigen, die damals für die CDU zuständig waren oder für die Bundesregierung oder das Kanzleramt, waren ja alles etwas ältere Kollegen." S Schon in Bonn, erinnert sich FAZ-Veteran Günter Bannas, dominiserte eien zutiefst männliche Erzählung. Bannas "Die schon sehr viele Jahre erlebt haben und Minister haben kommen und gehen sehen. Und Helmut Kohl war der Maßstab aller Dinge. Und vor denen hat natürlich Frau Merkel nicht bestanden. Da hatte sie also die Frau Christiansen und die Frau Baumann in Ihrem Büro oder in ihrem Umfeld und das hieß dann ‚Girls Camp'. ‚Drei-Mädel-Haus' war auch so ein Ausdruck damals. Also Roland Koch ist selber aus der Politik ausgestiegen..." S Wir gehen mit Kollege Bannas die Liste gescheiterter CDU-Aspiranten durch. Bannas "...oder Jürgen Rütgers. Aber Rüttgers hat seine Wahl verloren. Wulff wurde Bundespräsident und hat sich auf seine Weise erledigt. Sodass von denjenigen, von denen man sagen kann: Die hat sie beiseite geräumt - da bleibt eigentlich nur Friedrich Merz." D Alle anderen schieden nach verlorenen Wahlen - oder Skandalen aus. S Oder, weil ein Job in der Industrie lockte. Merkel "Als ich Umweltministerin war, waren die gefürchtetsten Anrufe die des Bundeskanzlers persönlich. Wenn wieder die chemische Industrie oder die Automobilindustrie vorstellig geworden war. Jaa, ich musste bei Herrn Gabriel in solcher Sache noch gar nicht anrufen. Irgendwas... Ich weiß nicht, an wem's... Gelächter, Beifall Das heißt allerdings nicht, dass es nicht noch so kommen könnte. Also: Keine Absolution für die Zukunft." S Sie kann durchaus durchsetzungsstark sein. Elmar Brok hat das spätestens 2003 erlebt. CDU-Chefin Merkel setzte auf Unterstützung des Irak-Krieges von George W Bush. Brok widersprach öffentlich. Brok "Tja, sie hatte meine unterschiedliche Auffassung in der Tagesschau gesehen." Kichert. Detjen: "Und um 20:15 kommt die SMS an, oder wie?" "Nein, es kam da der Anruf. Ich saß gerade da am Gendarmenmarkt vor einer Kneipe. Kichert mehr. Bumm! Kichert noch mehr. Das kann ich auch verstehen." Korrespondentin CDU-Chefin Angela-Merkel fordert, dass Deutschland in der Irak-Frage keinen Sonderweg gehen dürfe. Korrespondent Auch wenn das amerikanische Medieninteresse eher gering... Demonstrant Insanity Take Cheney with you Sprecherin "Merkel, eine Männerfantasie" D Die Journalistin Andrea Dernbach seziert 2013 im Tagesspiegel die männlichen Klischees. Sprecherin "Wesentlicher als Dolchstoßlegenden ist, dass eine patriarchal imprägnierte politische Klasse beim Blick auf die Kanzlerin einen Knick in der Optik hat. S In einem Absatz arbeitet sie sich durch zehn Jahre Standard-Deutungen aus Berlin-Mitte, durch "die stillen Tage im Klischee": Sprecherin "Was will Merkel? Wofür steht sie? Steht sie überhaupt für etwas, hat sie eine Vision, ein Programm? Wen wird die Königsboa in ihrer Umarmung ersticken - wieder die SPD oder diesmal die Grünen? Wen frisst die Schwarze Witwe jetzt, die Gottesanbeterin, nachdem sie sämtliche innerparteiliche Konkurrenz verputzt und gar eine ganze Partei geschluckt hat, die FDP?" D Mit den Jahren ist ein zweiter Erzählstrang hinzugekommen: Angela Merkel betreibe die Entkernung der Konservativen. Merkel "Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial." S Weil sie eigentlich für nichts stehe. Und im Bündnis mit der artigen SPD die CDU. und das Land immer mehr "sozialdemokratisiere". Merkel "Diejenigen, die sich in der CDU der konservativen Wurzel verpflichtet fühlen, brauchen nicht mit gesenktem Haupt und schlechter Laune durch die Welt zu gehen." D Franz Müntefering erzählte uns von den ersten Treffen mit Merkel. Im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestages, im Flügel der Fraktionsvorsitzenden Müntefering "Sie war ganz oben, ich war da drunter. Vorne die Journalisten, die haben alle gewartet, ob wir uns mal sehen. Hinten war eine Treppe, die kannte aber keiner, das ist so ein kleines Wendeltreppchen. Und da, da konnten wir uns besuchen. Das haben wir aber nicht oft gemacht." D Inzwischen gibt es ein Regal voller Bücher, die in allen denkbaren Varianten den Verdacht formulieren, sie sei keine "wahre" Konservative S Nicht echt, nicht schwarz. Keine von uns. Merkel "Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn die SPD als Erste mal eine gute Idee hatte, dann bin ich doch die Letzte, die das nicht unter dem Etikett Verbraucherschutz / Patentierung nun wirklich auch festschreibt: Ja, es war eine SPD-Idee!" Sprecherin "Es geht darum, ob sie während der Wende tatsächlich als ‚verschärfte Seiteneinsteigerin' agierte, wie sie von sich sagt, oder ob ihr politisches Engagement nicht doch folgerichtig war aus ihrer Tätigkeit als Propagandistin der Betriebsgewerkschaftsleitung und als Funktionärin der FDJ-Grundorganisation an der Akademie der Wissenschaften der DDR." D Schreibt etwa 2013 das Autorenduo Georg Reuth und Günther Lachmann in seiner Biografie "Das erste Leben der Angela M." S Das Buch der beiden Journalisten aus dem Hause Springer wirkt wie ein fassungsloses Raunen über die als dubios empfundene Herkunft der Angela Merkel. Sprecherin "Und schließlich ist da der kometenhafte Aufstieg der unauffälligen Frau im Faltenrock zur Bundesministerin innerhalb nur eines einzigen Jahres. Wie war dieser überhaupt möglich gewesen? Ist es der Zufall, der in Zeiten des Umbruchs solche Karrieren hervorbringt? Oder sind andere Faktoren ausschlaggebend, wie etwa die Spezifik ihrer Persönlichkeit, jenes Zusammenspiel von äußerlicher Unscheinbarkeit, messerscharfer Intelligenz und konsequenter Härte - einer Persönlichkeit, die so überlegen war, weil sie völlig unterschätzt wurde?" Merkel "Ich hab ja eigentlich nichts zu verbergen und insofern spreche ich schon gerne auch über mein Leben..." "Ich war kein Held. Und ich finde, es ist auch wichtig, deshalb sage ich auch überall, auch in den bundesdeutschen Medien, dass ich Pionier war, dass ich in der FDJ war, was dann immer wieder auf Entsetzen stößt. Weil wir einfach nicht so tun können, als hätte es diesen Sozialismus und diese 40 Jahre nicht gegeben." D Angela Merkel spricht von Anbeginn ihrer politischen Karriere im vereinigten Deutschland offen über ihr Leben in der DDR - auch über die Widersprüche, die dieses Leben mit sich brachte. Merkel "Und ich denke: Ohne Grautöne kommen wir nicht aus, wenn wir unsere Vergangenheit beschreiben wollen. Auch wenn es einfacher wäre, alles mit schwarz und weiß abzuwickeln..." S Doch viele, die sich als konservativ betrachten, hören das nicht gern. Sie haben diese Merkel immer skeptisch beäugt. Eine Frau. Aus dem Osten. Die fließend Russisch spricht. Unheimlich! Merkel "Und das hat sie uns noch nicht erzählt, und das hat sie noch nicht erzählt. Ich weiß gar nicht: Vielleicht hab' ich auch andere Sachen nicht erzählt. Weil mich auch noch nie einer danach gefragt hat. Also jetzt kommt das mit der Gewerkschaft, zum Beispiel. Ja, ist eben Gewerkschaft. Ich war beim FDGB. Und ich kann gleich noch bekennen, da hat mich, glaub ich, auch noch nie einer nach gefragt: Ich war auch Mitglied in der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft. So!" Seyfried "Aber wissen Sie, die Spätgeborenen oder die das selber in der Situation nicht erlebt haben - (da fällt es einem leichter) D Im Waldhof in Templin, dem Ort, wo Angela Merkel aufwuchs, haben wir mit dem Diakon Wolfgang Seyfried gesprochen. D "Manchmal spricht Merkel ja über ihr Leben in der DDR. Ich glaube, manchmal setzt sie da auch ganz gezielt ein. Wie nehmen sie sie wahr, wenn sie über DDR-Vergangenheit spricht?" Seyfried "Also, sie hat eine Rolle übernommen. Und da kann sie sich nicht nur um ihre Vergangenheit kümmern. Das ist einfach Alltagsgeschehen." S "Haben Sie das Gefühl, dass sie damit redlich umgeht, aus ihrer Wahrnehmung?" Seyfried "Mein Eindruck ist: Ja." S Es war schlicht eine völlig andere Welt, meint Seyfried. Seyfried "Natürlich bin ich bei den Pionieren gewesen, natürlich habe ich bei der FDJ mitgemacht. Erst, als ich dann den Militärdienst verweigert habe und mir gesagt wurde: ‚Du, das passt aber nicht zu FDJ'. Da habe ich gesagt: ‚O.k., Ihr habt Recht. Ich trete aus.' Und damit ging die Kariere schlagartig in eine ganz andere Richtung." D Und schon sagen die einen: "Toll, was der sich traut". S Und die anderen: "Muss das denn sein?" D Er spricht von Überlebensstrategien. Und das manchmal vorschnelle Urteil derer, die das alles nicht erlebt haben. S Jeder müsse wissen, wie weit er geht, sagt Seyfried. Was sie oder er schafft. Seyfried "Sie versuchen doch in einer aktuellen Situation das Bestmögliche für sich und Ihre Familie - so einigermaßen durchzukommen. Sie müssen nicht alles mitmachen. Also, es musste keiner SED-Funktionär werden, oder musste sich keiner zwingend dem Staatssicherheitsdienst unterordnen. Aber bestimmte Spielregeln (einhalten). Und wenn ich überlege: in meiner Schulzeit, wir waren in vier Parallelklassen 160 Schüler. Davon waren vier, die bei der Kirche waren. Wir waren außen vor." D Die Ambivalenzen hörten mit der friedlichen Revolution nicht auf. S Als Mann des Neuen Forums sprach Seyfried mit Leuten aus allen Parteien... Seyfried "...bis mir von der CDU plötzlich gesagt wurde: ‚Also mit dir kann man ja gar nicht mehr reden...!' Wo ich gesagt habe: ‚Ey, Du. CDU! Ihr habt euerm Statut die führende Rolle der SED anerkannt' Das haben sie dann im Dezember '89 schnell noch rausgeschmissen. ‚Ihr habt doch mitgemacht!' Und er, Geräusch, der war nicht nur Vorsitzender, der war Ratsherr beim Rat des Kreises. Und plötzlich erzählt er mir, er sei Verfolgter des Regimes und könne mit mir nun nicht mehr reden, weil ich viel zu links sei." Boysen "Es gibt immer diese zwei Seiten. Einerseits das zugewandte, lebenslustige, wahnsinnig wache und aufnahmebereite." D Jaqueline Boysen, Merkel-Biografin Boysen "Und dann das, was sie verborgen hält. Das war in der DDR in hohe Qualität, Dinge eben zu sortieren, zwischen dem was man offen nach außen tragen kann und dem, was man tunlichst für sich behält. Und damit hat sie von früher Kindheit an zu jonglieren gelernt. Sie lebte immer in mehreren Welten gleichzeitig. Sie war konfirmiert und war bei den Pionieren. Sie hat immer Widersprüche ausgehalten. Wirklich schon in einer Lebensphase, die andere nie erlebt haben. Sie war daran gewöhnt und es macht auch einen Teil ihrer Stärke aus." Collage Grautöne / kleine Schritte S Ihr engster Zirkel ist weiblich. De Maizière "Die Bundeskanzlerin hat eben Frau Baumann. Ganz zurückhaltend. Ich kenne aber niemanden und es würde mich wundern. wenn sich das in den letzten 3,4 Jahren geändert hat, der so hart die Bundeskanzlerin kritisiert, wie Frau Baumann. Maaß "Und Wulf hatte in Osnabrück Frau Baumann so. Und sie brauchte da fürs Büro jemand. Und dann ist Frau Baumann damit hin. Und das ist die bis heute. So - warum das so gut läuft, weiß ich auch nicht. Aber es muss irgendwelche Dinge geben. Auch mit der Frau Christiansen. Da ist ein tiefes Loyalitätsverhältnis da, ein tiefes Vertrauen. Und das ist das Entscheidende, was bei ihr zählt." Polenz "Ich glaube, es ist ihre ganz enge Vertrauensperson. Und das bedeutet, dass eben auch Frau Baumann und Frau Merkel viel unter viel Augen besprechen und man deshalb die Einzelheiten von außen nicht beurteilen kann. Das sollte man auch nicht drüber spekulieren. Ich habe Frau Baumann als eine sehr effizient arbeitende Büroleiterin - das war ja damals ihre Position im Adenauer Haus - erlebt. Sehr umsichtig, sehr natürlich auch mit dem - wenn man das überhaupt kann - Kopf von Frau Merkel denkend." De Maizière "Macht führt zu Abstand und Einsamkeit. Und das muss man irgendwie versuchen zu überbrücken. Dazu helfen Familie, dazu helfen Freunde und einige ganz wenige Mitarbeiter. Die einen dann von Grund auf kennen. Und Frau Baumann ist so eine." S Doch im Kosmos der Kanzlerin Merkel finden sich auch jede Menge Männer. D Männer, die sich nicht in den Vordergrund spielen: loyal, verschwiegen, ganz bei der Sache. Ruprecht Polenz, Hermann Gröhe, Thomas De Maizière Peter Altmaier. Der langjährige Fraktionschef Volker Kauder. Merkel "Schweigen kann auch Stärke in der Politik sein." S In Zeiten des rasanten Durchstechens, in der jede Petitesse in Echtzeit weitergesimst und "gewhatsappt" wird, ist Dichthalten kostbarer denn je. Mushaben "Als Ostdeutsche hat sie gelernt, dass es manchmal weise ist, nichts zu sagen. Schweigen kann sehr wertvoll sein. Schweigen hat sie gelernt." Merkel "Ich werde Guido Westerwelle nicht nur als überzeugten Anwalt des Liberalismus vermissen, einen der besten Redner, den der Deutsche Bundestag jemals erlebt hat. Ich werde Guido Westerwelle nicht nur als deutschen Patrioten und überzeugten Europäer vermissen, der mit Herz und Leidenschaft für Frieden und Menschenrechte gekämpft hat." D Angela Merkel in ihrer Trauerrede für Guido Westerwelle 2016. Merkel "Lieber Guido, ich persönlich werde Dich als Menschen und Vertrauten vermissen. Nicht ein einziges Mal ist aus unseren Gesprächen etwas an die Öffentlichkeit gedrungen, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Wir konnten uns immer aufeinander verlassen. Du warst streitbar, empfindsam, nachdenklich, verlässlich, treu. Du wirst sehr fehlen." D Doch eine wachsende Schar von Kritikern findet: Die "Methode Merkel" erstickt die politische Debatte. S Raubt der Demokratie den Dampf, D Kleistert alle Widersprüche zu. S "Asymmetrische Demobilisierung" - eine Wahlkampfstrategie, die jedes Statement zu kontroversen Themen vermeidet, wurde ihr schon im Wahlkampf 2009 vorgeworfen. D Die Technik, stark vereinfacht: Anhänger fühlen sich wohl. Gegner gehen nicht zur Wahl. S Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen, schrieb damals: Merkelspot "Unsere Kinder verdienen die beste Zukunft. Wir müssen Deutschland zu einer Bildungsrepublik machen. Und wir müssen die Schöpfung bewahren. Das Wichtigste aber ist der Zusammenhalt im Land. Gemeinsam können wir viel erreichen. Wir alle zuzsammen." S Andere sprachen von einem "restringierten Wahlkampfstil", von der Minimierung aller Unterschiede. Ohne Reize, ohne Festlegungen. Von einer Entmündigung der Bürger. Vom "bleiernen Lauf der Geschichte" - Zitat Jürgen Habermas. D Der Publizist Roger Willemsen verfolgte 2013 ein Jahr lang alle Bundestagsdebatten und schrieb darüber sein letztes Buch: "Das Hohe Haus". S Merkel, befand er, sei wohl intelligenter ist als fast jeder Satz, den sie sage D Sie produziere Reibungslosigkeit, entziehe vielen Themen die "Befragbarkeit", indem sie diese bewusst veröde. Willemsen "Ich sage, sie chloroformiert das Land. Das macht sie unter anderem dadurch, dass sie zu NSU, NSA, zu Lampedusa, zu Syrien nichts, lange Zeit nichts sagt. Weil sie weiß: Das würde Reibung erzeugen." Frager: "Und wie erklären wir uns dann die Zustimmung, die sie in der Bevölkerung bekommt?" Willemsen: "Weil Angela Merkel die Transposition von Helene Fischer auf die Politik ist. Das heißt: Sehr geringe Reibungsfähigkeit, hoher Konsensanteil, niemals einen Standpunkt haben, niemals Schärfe zeigen, niemals irgend etwas, was irgendwo Friktion erzeugen könnte, ausstellen. Und mit diesem riesigen Konsens haben wir das Gefühl: Die tut nicht weh." Collage Putin/Bolsonaro/Duterte/Trump/Erdogan/Orban S Der reizarme Merkel-Stil steht in wachsendem Kontrast zum anschwellenden Lärm der neuen Autokraten, der in Ungarn, der Türkei und den USA, in Russland, Brasilien, auf den Philippinen und anderswo laut wird. D Männer wie Orban, Bolsonaro oder Trump werden inhaltlich wie stilistisch zu Antipoden Angela Merkels. Merkel "Wir habe ein strategisches Interesse daran, gute Beziehungen zu Russland... / russischer Bericht S Was sie mitunter genüsslich inszenieren. Wie etwa Wladimir Putin, der Angela Merkel, die seit einem Biss Angst vor Hunden hat, bei ihrem ersten Besuch einen Plüsch-Hund schenkt. russischsprachige Medien zu Koni und Frau Bundeskanzler D Und 2007 in Sotchi seinen schwarzen Labrador Koni an ihr schnüffeln lässt. S Ein Foto zeigt ihn grinsend, die Beine lässig ausgestreckt. Süssmuth "Angelas Denken ist weiter als das, was wir immer im Kopf haben." D Solche Rituale und Denkmuster seien letztlich archaisch, findet Rita Süssmuth, und sicher überaus männlich. Süssmuth "Dazu hat sie auch gar keine Lust und keine Zeit. Sie hat andere Gedanken. Die Schmerzgrenze ist bei jeden unterschiedlich. Nur wenige halten die hohe Schmerzgrenze durch." Moderatorin "Do you consider yourself a feminist?" Klatschen, Jubel Merkel: "Ehrlich gesagt... möchte ich..." S Ob sie sich als Feministin betrachte, wird Angela Merkel 2017 beim "Women 20 Summit" in Berlin gefragt. D Merkel zögert. Andere Frauen, meint sie, seien da vorangegangen. Merkel "Alice Schwarzer und andere, die haben ganz schwere Kämpfe gekämpft. Und jetzt komm ich und setzte mich auf die Erfolge und sage: ‚Aaah, ich bin jetzt eine Feministin, das ist aber toll.' Also, ich habe keine Angst. Wenn sie finden, dass ich eine bin, stimmen sie ab. OK. Aber ich möchte mich nicht mit der Feder schmücken. So." Absage Merkeljahre Podcast-Serie von Stephan Detjen und Tom Schimmeck Folge 4: Ein ganzer Kerl. Es sprachen Annette Burchard und die Autoren Ton und Regie: Tom Schimmeck Redaktion: Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks 2021. Trailer Podcast 5 HIER TITEL Seite 12 / 18 MERKELJAHRE Folge 4 Seite 2