Hörspiel Feature Radiokunst Das Feature Die Katar-Story Mit Gas und Visionen zum Global Player Autor: Marc Thörner Regie: Matthias Kapohl Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: Deutschlandfunk 2022 Erstsendung: Dienstag, 15.11.2022, 19.15 Uhr Es sprachen: Daniel Berger, Judith Jakob, David Vormweg, Daniel Werner, Bruno Winzen und der Autor Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Lukas Fehling Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Zitator 1 Mohammed al-Ajami: Wer bin ich? Fragt die Tage nicht nach mir - Nichts bin ich, nur Gefangener in Einzelhaft In meinem Land herrscht Unterdrückung statt Recht. Und Ignoranz bestimmt, Was wir zu unserer Überzeugung machen sollen. O-Ton Hassan al Thawadi: We're talking about.. Übersetzer 1: Wir sprechen über Katar. Wir sprechen über eine Region. Es ist sehr leicht, Stereotype zu präsentieren, wenn sie eine Gegend gar nicht erst besuchen. Autor: Hassan al Thawadi, Generalsekretär des Hohen Katarischen Komitees der Fußballweltmeisterschaft Zitator 1 Mohammed al-Ajami: Hab' ich nun Kopf oder Verstand verloren? Wenn du dem Kopf Gesetze bötest und Vernunft Und unseren Meinungen Respekt Dann würdest mit Verstand und Kopf Du auch mein Herz gewinnen Übersetzerin Die Katar-Story - Mit Gas und Visionen zum Global Player von Marc Thörner Zitator 2: To His Excellency Dr. Khaled al Khater, Director Policy and Planning Dpt. Qatar Ministry of Foreign Affairs. Your Excellency, German Ambassador, Dr. Claudius Fischbach, kindly referred us to you... As part of our programme on the FIFA-World Coup 2022, we want to shed light on the country in this respect as well as an important ally to Germany. Zitator 2: An Seine Exzellenz Dr. Khaled al Khater, Direktor der Abt. Politik und Planung, Außenministerium Katar. Eure Exzellenz, Deutschlands Botschafter in Katar, Dr. Claudius Fischbach, hat uns empfohlen, uns an Sie zu wenden. Im Rahmen unserer Berichterstattung über den FIFA-Weltcup 2022 möchten wir den Blick auf den Staat Katar richten und dabei sowohl über die Weltmeisterschaft berichten wie über Katars Rolle als eines wichtigen Verbündeten der Bundesrepublik Deutschland. O-Ton Botschafter Abdullah Bin Mohammed al Thani Come to Qatar... Übersetzer: Kommen Sie nach Katar, freuen Sie sich am Fußball. Lassen Sie sich auf die andere Kultur ein, lassen Sie sich einfach mal auf andere Menschen ein. Autor: Abdullah Bin Mohammed al Thani, katarischer Botschafter in Deutschland auf einem Panel des DFB. O-Ton Botschafter Abdullah Bin Mohammed al Thani Übersetzer 2: In Katar heißen wir immer jeden gern willkommen. Aus jeder Nichtregierungsorganisation! Aus der FIFA! Von den Menschenrechtsorganisationen! Aus der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation! Zitator 2: To Her Highness, Ms. Sheikha Najwa Al Thani, Head of International Relations, Department, Supreme Committee . Deutschlandfunk/Deutschandradio as Germany's most important national information radio wants to shed light on Qata'r's achievements in infrastructure and organization prior to the tournament. Zitator 2: An Ihre Hoheit Scheicha Najwa Al Thani, Leiterin der Abteilung Internationale Beziehungen der obersten Weltmeisterschaftsbehörde. Im Vorfeld der Weltmeisterschaft würde der Deutschlandfunk, als Deutschlands wichtigstes nationales Informationsradio, gern einen Blick auf das werfen, was Katar bisher in Sachen Infrastruktur und Organisation erreicht hat. O-Ton Botschafter al Thani: Übersetzer 2: Allein aus Deutschland werden 70.000 Menschen nach Katar einreisen, das sind die letzten Zahlen, die mir vorliegen. O-Ton al Thani I heard that... the last number Übersetzer 2: Ich hoffe, wenn diese 70.000 kommen, dann begegnen sie den Kataris und den Nichtkataris. Also: Treffen Sie die Menschen in den Hotels, in Restaurants. Sprechen Sie mit ihnen, stellen Sie ihnen Fragen! Zitator 2: We would be very thankful, your Excellency, if you could kindly receive (our colleague) and are looking forward to your response. Zitator 2: Wir wären dankbar, Eure Exzellenz, wenn Sie unseren Kollegen freundlicherweise empfangen könnten und freuen uns auf Ihre Antwort. Zitator 2: We would be very thankful, your Highness, if you could kindly receive (our colleague) and help him organizing a guided visit of the sites mentioned above and are looking forward to your response. Zitator 2: Wir wären Ihnen dankbar, Eure Hoheit, wenn Sie unseren Kollegen freundlicherweise empfangen könnten und ihm helfen könnten, einen geführten Besuch über die erwähnten Sportstätten zu organisieren. Wir freuen uns auf Ihre Antwort. Autor: Seit 13 Jahren bereitet man sich in der Hauptstadt Doha auf den FIFA-WeltCup vor. Unter dem Namen "Supreme Comittee" gibt es ein Organisationskomitee bei dem alle Stränge zusammenlaufen: Akkeditierung, Informationen, Vermittlung von Gesprächspartnern. Seit Monaten frage ich dort genau das an: Akkeditierung, Informationen, Vermittlung von Gesprächspartnern. Ohne Antwort zu erhalten. Und ähnlich geht es offenbar auch anderen. Ein Team der ZEIT und der ARD hat sich im Vorfeld der Weltmeisterschaft um Termine bemüht. Mit mehr als magerer Ausbeute, berichtet ein Reporter des Rechercheverbunds. O-Ton Reporter: Man kann anrufen, man kann E-Mails schicken, man kriegt aber keine Antwort. Bis sich jemand gnädig erweist und einen anruft, Man kriegt dann auch Einladungen; aber man kriegt dann aber nicht das gezeigt, was man gerne sehen möchte, nämlich: Große Gastanker und Anlagen oder Leute, die in Büros sitzen und Strategien für milliardenschwere Anlagen entwickeln, sondern man fährt dann knapp eine Stunde nördlich von Doha zu einer Milchfarm, wo Kühe in Ställen sitzen oder liegen oder stehen, die auf 24 Grad runtergekühlt wurden und jeden Tag 38 Liter Milch geben. Zitator 1 Mohammed al-Ajami: In diesem Land hat niemand mehr Noch eine Stimme Um einen Vorwurf zu erheben Autor: Der letzte bekannte katarische Staatsbürger, der öffentlich die Machtverhältnisse in Katar kritisiert hat, ja sogar den Emir selbst, ist der Dichter Mohammed al-Ajami. Das war 2012. Und es ging nicht um den derzeitigen Herrscher, sondern dessen Vorgänger. Der Poet wurde umgehend verhaftet und angeklagt. Dann 2016 begnadigt. Seitdem ist seine Stimme verstummt und seine Verse schwirren nur noch durch das Internet. Durch jene kaum geklickten Sphären, die dem Vergessen nahekommen. Zitator 1 Mohammed al-Ajami: Sagt euren Kindern, in Ost und West, - und hört damit nicht auf, bis selbst die Vögel das aus ihren Bäumen zwitschern - Sagt ihnen, dass ein Volk, das ohne Meinung ist Nichts ist, als eine Herde, die ewig durstig, aber ewig blind vor der Oase steht und auf das Wasser wartet Autor: Im Herbst 2022, kurz vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft sitze ich am Arbeitstisch, umgeben von Fotos, Quellen, Audioschnipseln - die Ernte von 20 Jahren Beschäftigung mit Katar. Mosaiksteine, aus denen ich ein Bild zusammensetzen möchte. Aber: nicht alles passt zusammen. Eigentlich das meiste nicht. So viele Quellen, so viele Widersprüche. Es fängt schon mit den Begriffen "Katar" und "Land" an. Ist Katar ein Land? Oder eher ein Großgrundbesitz mit Fahne? Atmo Autofahrt Autor Die Frage habe ich mir schon vor einigen Jahren gestellt, als ich in Begleitung von Abdullah durch die Hauptstadt Doha fuhr - und dann weiter, einmal rund um die Halbinsel, die vor Saudi Arabiens Küste liegt. O-Ton Abdullah: You can go from north to south... Übersetzer 1: Wenn Sie Katar von Nord nach Süd durchqueren wollen, brauchen Sie nicht mal eine volle Stunde, von Ost nach West dauert es eine Dreiviertelstunde. Dann haben Sie ganz Katar gesehen. Das Land ist winzig. Autor: Abdullah stammt ursprünglich aus dem Sudan und wohnte seit vielen Jahren hier. Er arbeitete als Sachbearbeiter in einer staatlichen Behörde. Ein Katari sei er deshalb noch lange nicht. Und das treffe auch auf die Mehrheit der in Katar ansässigen Menschen zu. O-Ton Abdullah: But of the population here... Übersetzer 1: Von der Bevölkerung hier sind gut und gerne zwei Drittel Ausländer aus unterschiedlichen Ländern. Die Inder oder, sagen wir, die Menschen vom indischen Subkontinent stehen an erster Stelle. Allerdings haben wir kaum Statistiken. Es gab mal eine Volkszählung, aber die Ergebnisse wurden geheim gehalten. Wenn Sie das genau runterbrechen wollen, dann bilden die Inder, die Pakistanis und die Bangla Deshis die größte Gruppe. Und dann die Araber, arabische Migranten aus allen Himmelsrichtungen. Sie alle bleiben Ausländer. Sie kriegen keine katarische Nationalität, da gibt es keine Konzessionen. Autor: Das Schicksal der Arbeitsimmigranten auf Katars Baustellen beschäftigt die Weltöffentlichkeit seit Jahren - besonders deshalb, weil hier seit der Vergabe der FIFA-Weltmeisterschaft mehr Baustellen entstanden sind, als anderswo am Golf. Aber noch typischer für Katar, sagte Abdullah, sei eine andere, ungleich größere gesellschaftliche Gruppe. O-Ton Abdullah: There are foreigners... Übersetzer 1: Ausländer arbeiten oft als Hausangestellte. In jedem katarischen Haushalt gibt es drei oder vier von ihnen. Ein eigener Fahrer ist ein Muss. Und ein philippinisches Hausmädchen - oder eins aus Indien oder Sri Lanka. Manchmal auch aus Thailand oder Indonesien. In größeren und wohlhabenderen Familien finden Sie gleich drei oder vier Hausmädchen. Autor: Das Los dieser vor allem weiblichen Hausangestellten, meinte Abdullah, werde oft übersehen. Sie hätten so gut wie keine Lobby. O-Ton Guido Steinberg: Die leiden unter ähnlichen Problemen wie die Arbeiter am Bau, also zu langen Arbeitszeiten, ungesunden Tätigkeiten. Autor: Guido Steinberg, Islamwissenschaftler und Spezialist für die Region. O-Ton Guido Steinberg: Dazu die Rechtlosigkeit im Verhältnis zu ihren Arbeitgebern. Hinzu kommt aber dann noch die Diskriminierung als Frauen mit teilweise ganz, ganz katastrophalen Verhältnissen, mit sexueller Belästigung, mit Vergewaltigung und solchen Dingen. Autor: Guido Steinberg geht es ähnlich wie mir. Kurz vor Beginn der FIFA-Weltmeisterschaft soll er ein Bild des Emirats Katar skizzieren im Auftrag der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, die das Bundeskanzleramt berät. Die SWP möchte eine Art Leitfaden erstellen - inklusive Handlungsempfehlungen für Deutschlands Politik. Auch Steinberg sieht sich dabei mit vielen widersprüchlichen Entwicklungen konfrontiert. Und einige der Widersprüche, meint er, liegen nicht nur in Katar, sondern auch in der Art und Weise, wie wir, beeinflusst von der Fußballweltmeisterschaft, das Land betrachten. O-Ton Guido Steinberg: Ich finde es etwas etwas traurig, dass vor dem Hintergrund der Debatte über die Fußball-Weltmeisterschaft und die Situation derjenigen, die am Bau der gesamten Infrastruktur beteiligt waren, das andere - aus meiner Sicht noch viel größere Problem, weil es eben auch weit über die Golfstaaten hinausgeht - da überhaupt keine Rolle spielt, Autor: Wie also lässt sich die Katar-Story erzählen - ? Atmo Trommelwirbel mit Tusch und kurzer Marschsequenz Autor Wollte man das "Mosaik" Katar von einem historischen Zentrum aus und dann weiter in konzentrischen Kreisen legen, könnte man vielleicht mit der britischen Zeit anfangen. Autor Eine Epoche, die sich heute - außer in der Geschäftssprache - vor allem noch in den Uniformen und den Dudelsäcken bei der Emir-Garde wiederfindet. Atmo Katarische Militärmusik mit Dudelsäcken Autor Mitte des 19. Jahrhunderts benötigte das Empire einen Flankenschutz für seine Schifffahrt Richtung Indien. Mit den hier ansässigen Emiren wurden Protektoratsabkommen unterzeichnet - weshalb die Küste der Arabischen Halbinsel als "Vertragsküste" bekannt wurde. Autor 1971 entließen die Briten den von ihnen abhängigen Lokalherrscher Katars in die Unabhängigkeit. Just in dem Jahr, als vor der Küste die drittgrößten Gasreserven der Welt entdeckt wurden. Und alles weitere folgte daraus. Denn mit dem Gas begann Katars neue Geschichte. Genau gesagt: Am North Field, wo unter dem Meer das lagert, was Katar seinen kometenhaften Aufstieg erst ermöglicht hat. Im Frühjahr 2001 stehe ich hier zwischen einem schier unübersehbaren Gewusel dicker Rohre, Tanks, Gestängen, die so verwoben und verknotet scheinen, als hätte ein sie ein verrückt gewordener Klempner im Delirium zusammengeschweißt. Mitten auf einer Art von Lichtung, einem betonierten Platz, von dem aus sich ein weiter Blick aufs Meer bietet. Unter dem Wasser also liegen Katars schier unerschöpfliche Gasreserven. O-Ton Abdullah bin Hamad al Attiya: Russia is number one and Iran number two. But: they have all their reserves collectively from different fields. Übersetzer 2: Russland ist die Nummer eins, Iran die Nummer zwei. Aber: Beide beziehen ihre Gasreserven aus mehreren unterschiedlichen Feldern. Autor: Dem Gasfeld gegenüber hat sich auch Energieminister Abdullah bin Hamad al Attiya aufgestellt. Mit einer weit ausladenden Geste weist er in Richtung Meer, auf die iranischen Gestade. O-Ton Abdullah bin Hamad al Attiya: All our reserves are coming from one single field. So it is considered the largest ever been discovered in the whole world. Übersetzer 2: Unsere Reserven schöpfen wir aus einem einzigen Feld. Und dieses Feld gilt als das größte zusammenhängende Gasfeld der gesamten Welt. Autor: Die, denen al Attiya das erklärt, stehen dicht gedrängt um ihn herum: Eine Delegation aus Deutschland. Wirtschaftsvertreter, Diplomaten, Journalisten. Angeführt vom deutschen Bundespräsidenten, damals Johannes Rau. An ihn direkt wendet sich der Energieminister, um für eine deutsch-katarische Gaspartnerschaft zu werben. O-Ton Abdullah bin Hamad al Attiya: Our proven reserves is over 500 Trillion Cubic Feet. We're assuming, your excellency, if the whole world only will use gas from Qatar, it will serve the whole world seven years. Stimme Rau: Unbelivable. Übersetzer 2: Unsere nachgewiesenen Gasreserven betragen über 500 Billionen Kubikmeter. Wir nehmen an, dass die ganze Welt, wenn sie aus schließlich Gas aus Katar bezöge, sich sieben Jahre lang damit versorgen könnte. Autor: Viele vorausblickende Regierungen, sagt der Energieminister, hätten beim katarischen Gasangebot schon zugegriffen. O-Ton Abdullah bin Hamad al Attiya: So, now, your excellency... Übersetzer 2: Deshalb, Eure Exzellenz, sind wir dabei, in nie dagewesener Art, dramatisch zu expandieren. Wir exportieren Flüssiggas nach Japan, nach Südkorea. Gerade haben wir einen Riesenvertrag mit Indien abgeschlossen. Taiwan kommt hoffentlich dazu. Und Spanien ebenfalls. Dann Italien. Wir führen gerade Verhandlungen mit Frankreich... Stimme Rau: Not with Germany? Autor: Nicht mit Deutschland? erkundigt sich der damalige Bundespräsident Johannes Rau. Stimme Abdullah bin Hamad al Attiya: Übersetzer 2: Haben wir bereits getan, Eure Exzellenz, haben wir durchaus. In zahlreichen Gesprächen mit ‚Ruhrgas'. Und die setzen wir auch fort. Wir versuchen, Deutschland zu überzeugen: Machen Sie sich nicht von nur einem einzigen Lieferanten abhängig. Tun Sie das nicht, Ihrer eigenen Sicherheit zuliebe! Atmo Emir-Garde spielt die deutsche Nationalhymne Autor: 2022 haben die Rollen sich umgekehrt: Nicht mehr Katar umwirbt zahlungskräftige Exzellenzen aus Deutschland. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck ist im Frühjahr als Bittsteller nach Doha gereist, um wenigstens etwas von dem zu bekommen, was man damals, dank scheinbar ewig strömendem Russland-Gas mit einem Achselzucken in den Wind schlug. Habeck besuchte das Emirat zu einer Zeit, als deutsche Medien sich auf Katars Defizite einzuschießen begannen - etwa in Sachen von Frauen- Arbeiter und Homosexuellenrechten. O-Ton Joe Kaeser: Ich glaube, man sollte niemanden verprellen, weder im Politischen noch im Wirtschafts-, noch im Privatleben, wenn man das vermeiden kann. Autor: Der frühere Siemes-Chef Joe Kaeser. O-Ton Joe Kaeser: Ich glaube, dass die Kataris sicherlich überrascht und irritiert sind darüber, dass man zu einem sehr späten Zeitpunkt jetzt die Weltmeisterschaft, die Fußballweltmeisterschaft, auf die sich ja immer viele Fußballfans freuen, so sehr attackiert. Autor: Der 65-Jährige konzipiert inzwischen im Aufsichtsrat von Siemens Energy Problemlösungen für Deutschlands Energienachfrage. Immer wieder auch bei Verhandlungen mit Katar. O-Ton Joe Kaeser: Ich meine, wenn wir dann nach Katar fahren und Energie Partnerschaften wünschen, wenn wir aus höchster Not heraus uns Lieferungen Gaslieferungen erhoffen, um die Not des Landes und seiner Bevölkerung hier zu lindern, andererseits dann aber im Handumdrehen das Land an den Pranger stellen für die Weltmeisterschaften und für Dinge, die, zugegeben noch nicht so weit entwickelt sind, wie wir uns das vorstellen - dann haben die natürlich damit ein Problem und sagen Ja, also wenn wir uns braucht, dann seid ihr gut zu uns. Und wenn wir selbst unter Druck medialen Druck kommt, dann kommen diese Anschuldigungen. Autor Der zur Beratung des Kanzleramts bestellte Nahost-Spezialist Guido Steinberg fragt sich, ob es der Bundesregierung vielleicht heute ebenso an Weitblick mangelt wie 2001, als man die Flüssiggas-Offerte nicht annahm. O-Ton Guido Steinberg: Einer der wichtigsten Punkte ist die Laufzeit. Und das war wohl einer der Gründe, weshalb es da zu Verstimmungen schon beim Besuch von Wirtschaftsminister Habeck in Katar kam die Bundesregierung oder zumindest Teile der Bundesregierung möchten eine kurze Laufzeit. Es ist immer mal wieder von fünf Jahren die Rede. Katar hingegen besteht auf 15 Jahren und mehr. Und mein Eindruck ist, dass hier vor allem ideologische Aspekte auf deutscher Seite ein Problem darstellen. Es gibt ja die verbreitete Auffassung vor allem bei den Grünen, dass dieses Gas in einigen Jahren nicht mehr benötigt wird. Das halte ich für grundfalsch und deswegen auch für einen Fehler. Auch eine Laufzeit von 15 Jahren ist absolut okay, wenn wir damit dann endlich katarisches Gas bekommen. Autor: Joe Kaeser hingegen hält langfristige Laufzeiten im Augenblick aus deutscher Sicht für gar nicht angebracht. O-Ton Joe Kaeser: Ich würde mal so sagen, je weniger man einen langfristigen Plan selber hat, desto kurzfristiger sollte man sich orientieren und je mehr (man) einen eigenen Energie Plan hat, desto langfristiger kann man dann diese Pläne auch absichern. Und ich glaube wir wissen alle, dass im Augenblick unser Land keine langfristigen Energie Plan hat Dann geht es darum, wie stark wollen wir den Fremdbedarf diversifizieren, zum Beispiel mit mittleren Osten, Europa, USA, eventuell auch Afrika? Und wenn man diese Fragen beantwortet hat und auch weiß, wie viel Bedarf man ungefähr hat in den nächsten 10 bis 15 Jahren, dann sollte man über langfristige Vereinbarungen reden. Vorher kann, könnte das eine fatale Fehlentwicklung unterstützen, wenn man eben nicht weiß, wie lange man wo was kaufen will. Ich glaube nicht, dass der Bedarf sich massiv reduzieren wird, aber bevor man das nicht weiß, sollte man keine längerfristigen Verpflichtungen eingehen. Atmo: Chor der Muezzine Doha Autor: Das Nord-Gas-Feld und seine Erschließung, überhaupt: Katar als aufstrebender weltweiter Akteur wäre undenkbar ohne einen Mann, der - wenn man von Katar ein Mosaik zu legen versucht - wahrscheinlich der größte und der schillerndste Stein wäre: Emir Hamad Bin Khalifa al Thani. O-Ton Guido Steinberg: Emir Hamad Bin Khalifa ist eine ganz, ganz entscheidende Figur in der katarischen Zeitgeschichte. Und als er dann die Macht übernommen hat im Jahr 1995, da hat sich Katar tatsächlich innerhalb von wenigen Jahren ganz grundsätzlich verändert. Die vielleicht wichtigste Maßnahme, die Hamad bin Khalifa angestoßen hat, war der Export des Erdgases und vor allem der Export via Verflüssigung. Autor: Möglich wurde diese ambitionierte Politik erst, nachdem der damalige Kronprinz 1995 durch einen unblutigen Putsch seinen Vater von der Macht entfernt hatte. O-Ton Guido Steinberg: Vor Hamad Bin Khalifa war Katar faktisch ein saudi-arabisches Protektorat. In der Innenpolitik gab es so gut wie keine Bewegung. Das Land war autoritär, und wie alle Nachbarstaaten und in der Außenpolitik hat sich Katar immer daran orientiert, was Saudi-Arabien, was Riad entschieden haben. Und Hamad Bin Khalifa setzte seit seinem Machtantritt alles daran, Katar zu einem unabhängigen Staat zu machen. Autor: Wie aber tickt Hamad Bin Khalifa, der oberste Gasförderer und Neubegründer Katars genau? Was motiviert ihn, von seiner kleinen Halbinsel aus, einen anderen Kurs zu fahren als der schier übermächtige Nachbar Saudi Arabien? Und wenn der Kurs des Landes vorher, an Saudi Arabien orientiert, autoritär war - ist er nun antiautoritär? Atmo: Flugfeld - Katarische Hymne Autor Die Gelegenheit, mit dem Neubegründer Katars zu sprechen, ergibt sich für mich am Ende des Staatsbesuchs des deutschen Bundespräsidenten, auf dem Flughafen von Doha. Der ebenso hochgewachsene wie korpulente Fünfziger trägt ein bodenlanges golddurchwirktes Dishdasha-Gewand und um den Kopf geschlungen ein Keffieh-Tuch. Mit seinem dicken Schnurrbart kontrastiert die kleine Nickelbrille, die ihm eine entfernte Ähnlichkeit mit dem russischen Revoluzzer Leo Trotzki verleiht. Auf dem roten Teppich kommt er schnurstracks in meine Richtung und lässt sich überraschenderweise von mir anhalten. - Geht seine Offenheit für alles Westliche auch mit der Offenheit zu politischen Reformen einher? - Er wolle Katar zu einer Demokratie machen, sagt der Emir,. O-Ton Emir Hamad Bin Khalifa al Thani: Yes, yes. I mean... that's mean: I will not enjoy to be so power. Übersetzer 2: Jaja. Das heißt: Mir würde es auch gar nicht gefallen, so mächtig zu sein. So einfach ist das. Also, ich meine: Das wäre gut für unser Land und unsere kommenden Generationen. Wir sollten das machen, was auch die anderen Länder praktizieren, zum Nutzen ihrer eigenen Bevölkerungen. Autor: Und dann, ausgerechnet in dem Gespräch mit mir, macht er eine Ansage, die so unerwartet ist, dass sowohl sein Gefolge, wie auch die umstehenden katarischen Medienvertreter sich ungläubig anschauen. O-Ton Emir Hamad Bin Khalifa al Thani: Well actually, we are heading for a full parliament within a year and a half... Übersetzer 2: Wir streben im Augenblick auch ein vollgültiges Parlament an. Wir haben den Weg dazu bereits mit der Wahl eines Stadtrats von Doha begonnen. Das lief sehr gut. Und nun bereiten wir ein Parlament vor. Autor: Ein Parlament in Katar? In einer Gegend, in der es nur Autokratien gibt? Die Überraschung ist so groß, dass sämtliche lokalen Zeitungen die Ankündigung als Schlagzeile bringen, und ich mich, abgelichtet im Gespräch mit dem Emir, tagelang auf den Titelseiten der Golfpresse wiederfinde. Aber handelt es sich dabei lediglich um PR - gegenüber dem Vertreter eines Landes wie Deutschland, das man damals in Sachen außenpolitischer Unterstützung genauso umwerben will wie in Sachen Gas? - Katar als Leuchtturm der Demokratie in einer Hemisphäre von Autokratien? - Immerhin, etwas spricht dafür. Und dieses Etwas lässt sich auf einen Begriff bringen: Al Jazeera. Atmo: Jingle al Jazeera Autor Al Jazeera, übersetzt: "die Insel" - dies ist der nächste große Mosaikstein, der seit Emir Hamads Machtübernahme untrennbar zum Bild Katars gehört. Atmo: Newsroom al Jazeera Autor 1998 hatte der neue, unkonventionelle Emir einigen arbeitssuchenden Ex-Journalisten des britischen Dienstes der BBC die Möglichkeit gegeben, ihre Vision von professionell gemachtem Fernsehen in seiner Hauptstadt Doha zu verwirklichen. Und nicht genug damit: Er hatte ihnen auch noch einen umfangreichen Startkredit gegeben. Atmo: Newsroom al Jazeera Autor: In den al Jazeera-Studio in einem Außenbezirk von Doha war technisch gesehen alles vom Feinsten. Gegründet, als der einzige unabhängige und kritisch berichtende Fernsehsender der arabischen Welt, fand sich hier die Crème des arabischen Journalismus ein. Viele der al Jazeera-Mitarbeiter stammten beispielsweise aus dem Libanon, einst Leuchtturm der arabischen Pressefreiheit. Kurz nach Beginn des Sendebetriebs konnte ich in den soeben bezogenen Studios in Doha mit einem Fernsehjournalisten sprechen, dessen Lingua Franca jahrelang das Französische war. Nun, sagte er, könne er sein journalistisches Handwerk endlich auch auf Arabisch ausüben. O-Ton Journalist: L'expériance... Übersetzer 1: Das Neue an diesem Fernsehen besteht kurz und gut aus einem einzigen Aspekt: Der freien Berichterstattung. Das Ganze hat weder was mit der Technik, noch mit den Journalisten hier zu tun. Die Journalisten sind nicht besser als die in anderen arabischen Sendern. Die Technik auch nicht. Der Newsroom, das alles... - es gibt arabische TV-Sender, die da viel besser ausgestattet sind als wir und die auch bessere Journalisten haben. Nur: Sie haben nicht den Grad an Freiheit, über den wir hier verfügen. Und noch etwas anderes kommt bei uns hinzu: Wir verstehen es, mit den Zuständen in der arabischen Welt - nun ja: regelrecht zu spielen. Und wir wissen, wie wir das tun können, ohne dass es uns schadet. Die anderen arabischen Fernsehsender schaffen so etwas nicht. Hier haben wir diese Freiheit. Das ist alles. Aber sonst sind wir nicht besser als die anderen. Atmo: Diskussion auf al Jazeera Autor: Die Sendung ‚Opposite Direction' - entgegengesetzte Standpunkte - gilt den Diktatoren der umliegenden Länder als eine besondere Provokation. Atmo: Diskussion auf al Jazeera Autor Arabische Oppositionelle werden hier zusammen mit Regierungsvertretern eingeladen und erhalten genau dieselbe Redezeit wie die ordenbehangenen Würdenträger. Und in der Regel gewinnt der Kritiker die Oberhand, während der Verteidiger der Diktatur sich mit seinen lahmen Schutzbehauptungen nur allzu oft der Lächerlichkeit preisgibt. Atmo: Diskussion auf al Jazeera Autor: Drei Jahre nach seiner Gründung ist al Jazeera auf dem Höhepunkt seiner Medienwirksamkeit und hat auf unabhängige und kritische Berichterstattung quasi das Monopol. Als ich im al Jazeera-Studio die Redeschlacht verfolge, die sich der Regimekritiker Mohammed Mouâdda mit Feycal Trikki liefert, einem Lobredner des tunesischen Langzeitpräsidenten Ben Ali - da ahnt keiner, dass diese Art Öffentlichkeit eine Art Trigger, ein Auslöser für das sein wird, was ein paar Jahre später in Tunesien beginnen und sich über die ganze arabische Welt ausbreiten wird: Die Arabellion. Atmo: Laufen... Schuss, Schreie, Schüsse Autor: Dank al Jazeera scheint der Bann gebrochen, die Schockstarre ein für allemal gelöst. Die Macht des Widerspruchs übertrifft die schlimmsten Albträume der arabischen Diktatoren - und diese Macht erreicht ein paar Jahre später auch die Straßen. Atmo: Schleifen, Hacken, Demo Autor Um den Jahreswechsel 2010/2011 beginnt nach der medialen nun auch die politische Revolution In Tunis schleifen Demonstranten die Absperrung vor Amtsgebäuden fort und funktionieren sie zu einer Barrikade gegen die Polizei um. Demonstranten hacken das Straßenpflaster auf, um sich mit Steinen zu bewaffnen. Erboste junge Männer schlagen die Überwachungskameras kurz und klein. O-Ton mehrere Demonstranten: On est des révolutionnistes... Übersetzer 1 Wir sind Revolutionäre! Wir geben nicht auf! Übersetzer 2 Das alte Regime denkt, dass wir uns nach ein paar Tagen beruhigen, dass wir die Revolution vergessen werden. Sie versuchen alles, um Zeit zu gewinnen. Aber wir geben nicht auf, wir kämpfen weiter bis zum Ende. O-Ton Passant: Nous sommes pour la démocratie... Übersetzer 1: Wir sind für die Demokratie. Für alles, was es in den anderen Ländern auch gibt. Wieso soll es das nicht auch für uns geben? Autor: Dass mit al Jazeera der Türöffner für die Arabellion aus Katar stammt, darin sind sich die meisten Analysten einig. Doch: Demokratie, Freiheit, alles wie im Westen? Gibt es jetzt nachhaltigen Aufwind dafür? Kaum hat der arabische Aufstand ein paar der morschen säkularen Diktatoren hinweggefegt, hält al Jazeeras großer Sponsor die nächste Überraschung bereit. Atmo: Prediger auf al Jazeera Autor Es ist, als wäre unvermittelt ein großer Schalter umgelegt worden. Statt Diskussionen über Freiheit und Unfreiheit, dominieren bei al Jazeera auf einmal Sendungen über Religion. Das Sendezentum in Doha lässt islamische Prediger als Ratgeber für Politik auftreten und stellt die Führerfiguren der tunesischen und ägyptischen Islamisten heraus. Und parallel dazu bekommen Tunesiens Demokraten es auf einmal mit einer immer stärkeren Konkurrenz zu tun. Radhia Nasraoui, Anwältin, Oppositionsaktivistin und Revolutionärin der ersten Stunde, fragt sich, was da plötzlich los ist: O-Ton Radhia Nasraoui: Beaucoup de gens... Übersetzerin: Viele Tunesier können nur konstatieren, was für enorme Geldreserven den Salafisten zur Verfügung stehen. Und laut vielen Quellen stammt dieses Geld vor allem aus Katar und anderen Golfstaaten. Es ist unglaublich, welche Unsummen Staaten wie Katar in die Hand nehmen, um jede positive Entwicklung in Tunesien zu verhindern. Und die Kataris haben ja auch allen Grund dazu. Denn sie wollen auf keinen Fall, dass die jungen Leute bei ihnen zu Hause auch den Aufstand proben. Autor: Was ist passiert? Die freiheitliche Revolution auf einmal ausgebremst von der Kraft, die sie noch vor kurzem antrieb? Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik: O-Ton Guido Steinberg: Ab 2011 macht die katarische Politik eine ganz, ganz große Wende durch. Die nächsten zwei Jahre 2011 bis 2013 setzt Katar auf die großen Veränderungen in der Region. Katar wird zu einer revisionistischen Macht. Es will selbst Regionalpolitik bestimmen, und zwar im Bündnis mit den Protestbewegungen und dann auch mit den islamistischen Gruppierungen in der arabischen Welt, mit der Muslimbruderschaft in Ägypten, mit der Muslimbruderschaft in Syrien, mit der Nahda-Partei in Tunesien. Und in dem Moment wird dann sehr deutlich, dass Al Jazeera immer schon ein Instrument des katarischen Staates war. Atmo-Collage: "RCD, dégage!" - "La-ilAhaill-Allah..." O-Ton Guido Steinberg: Also in den Jahren 2011 bis 2013 verkommt Al Jazeera in gewisser Weise zu einem Propagandainstrument erstens des katarischen Staates und seiner Regionalpolitik und zweitens der Muslimbruderschaft. Und die Ursache ist, dass der Emir Hamad Bin Khalifa in den Erschütterungen der arabischen Welt die große Chance gesehen hat, sich an die Spitze der Region zu stellen und sich an die Spitze einer Bewegung zu stellen, bei der er darauf gehofft hat, dass die die Regionalpolitik der nächsten Jahrzehnte dominieren würde. Autor: Die Regionalpolitik dominieren. In der Region, in der Katar sich findet, scheint das dem Herrscher vor allem erfolgversprechend, wenn man auf das setzt, was dort vor allem populär ist: Den Islam. Und auf die ideologische folgt nun eine völlig überraschende personelle Volte: 2013 dankt Hamid Bin Khalifa, der Neubegründer Katars ab - zugunsten seines Sohnes Tamim. O-Ton Oliver Borszik: Anders als sein Vater, der die Internationalisierung Katars sehr stark vorantrieb, gilt aber Tamim eher als konservativer Bewahrer traditioneller Werte. Autor: Der Islamwissenschaftler Oliver Borszik. Am Hamburger GIGA Institut für globale und regionale Studien geht er zu dieser Zeit den Gründen für den erneuten Umbruch in Katar nach. O-Ton Oliver Borszik: Sein Politikstil könnte sich dadurch von dem seines Vaters abgrenzen. Er könnte also hier die Herausforderungen, vor denen Katar jetzt innenpolitisch steht und regionalpolitisch auf der Arabischen Halbinsel - könnte diese Herausforderungen jetzt in Angriff nehmen Autor: Aus Katar - dem Leuchtturm der Demokratie - soll nach der Ablösung vieler der wurmstichigen säkularen Diktaturen in der Region ein anderes Modell werden: Katar - der Leuchtturm des politischen Islam. Das Potenzial dazu war stets latent vorhanden. Denn schließlich teilt Katar - bei aller Feindschaft - mit seinem großen Nachbarn Saudi Arabien die Staatsreligion, den Wahabismus. Dank seinem Gasreichtum kann Katar auch in durchaus vergleichbarem Maßstab weltweit islamistische Organisationen finanzieren: O-Ton Oliver Borszik, Giga-Institut: Das Geld fließt in erster Linie durch die Regierung Katars. Das heißt, dass der Emir veranlassen kann, dass Gelder in diese Länder fließen. Es sind aber auch einflussreiche Personen, einflussreiche geistliche Personen auch, die im sunnitischen Islam angesiedelt sind, die in Katar leben, sehr wohlhabende Einzelpersonen und die können das tun autonom tun, aber können sich auch mit der Monarchie absprechen, wie diese Gelder fließen. Das ist uns aber nicht bekannt, wir können das nicht nachvollziehen, wie genau diese Prozesse laufen, denn dieses System der Unterstützung ist ein System, das von außen nicht durchschaubar ist. Autor: Den nächsten Mosaikstein zu Katar habe ich überraschenderweise Anfang des Jahres 2020 in Berlin gesammelt beziehungsweise in die Hand gedrückt bekommen. Atmo: Berlin, Friedrichstraße. Autor Am Bahnhof Friedrichstraße treffe ich einen Mann, der sich als Jason G. ausgibt. Der Mitt-Dreißiger in Jeans, sportlichem Sakko und mit roter Baseballkappe hat, so sagt er, lange Jahre als Geheimagent am Golf recherchiert, unter anderem auch in Katar. Für welchen Staat genau, verschweigt er, macht aber kein Geheimnis daraus, dass er die Interessen Israels, der USA und Saudi-Arabiens vertritt. Jason G. will sein Material in die Presse bringen. Deshalb tourt er durch Westeuropa und auch Deutschland und bietet Journalisten dort Dossiers und Interviews zu Katar an - unter der Voraussetzung, dass seine Stimme nicht erkennbar ist. Die Erkenntnisse, die er gewonnen habe, so sagt er, seien alarmierend; sie tangierten alle westlichen Staaten und insbesondere Deutschland. O-Ton Jason G. Yes, General Dhalan al Hamad during the course of my clandestine operation in Doha... Übersetzer 1: Während meiner verdeckten Operation in Doha war ein katarischer General namens Dhalan al Hamad eigens dazu abgestellt, den wichtigsten katarischen Fundraiser für die Hisbollah zu beschützen. Der Hisbollah-Finanzier stellte mir den General vor, im Februar 2017, auf seiner Yacht im Hafen der Perleninsel vor Doha. Er ist der Verbindungsmann zum Katar Finanz-Center, zu Kontakten in Afrika und einer Anwaltsfirma in Zypern. Diese Kontakte dienen dazu, das Geld von katarischen Wohlfahrtsorganisationen, Baufirmen und Nahrungsmittelkonzernen zu waschen. Anschließend wandert es dann versteckt als Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten an die Muslimbrüder und ebenfalls an die Hisbollah. Ich kenne viele katarische Scheichs im Umfeld des Katar-Finanz-Centers, die damit beschäftigt sind, Geld für die Hisbollah zu beschaffen. Autor: Katar - ein Förderer der Hisbollah? Also jener iranische Stellvertreterorganisation, die sich die möglichst baldige Vernichtung Israels auf ihre Fahnen schreibt? Aus Sicht des Nahost-Spezialisten Guido Steinberg eine Verschwörungstheorie über ein Paar, das nicht zusammenpasst. Schließlich repräsentierten der Hisbollah-Sponsor und Russland-Verbündete Iran und Katar weltweit genau entgegengesetzte Strömungen des politischen Islam - spätestens seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien. O-Ton Guido Steinberg: ...und ich kann mir tatsächlich auch nicht vorstellen, dass es da eine Unterstützung nach 2011 gegeben hat. Man muss sich allerdings immer vor Augen führen, dass wir da ja in den letzten Jahren einen Konflikt erlebt haben, der mit fast allen Mitteln geführt wurde. Und das war der Konflikt zwischen Katar und seinen Nachbarn, also zwischen Katar einerseits, Saudi-Arabien, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten andererseits. Dieser Konflikt wurde auch begleitet von einem Propagandakrieg. Und da wurden alle möglichen Dinge behauptet, die durchaus einen wahren Kern haben, nämlich die Unterstützung der Muslimbruderschaft, die zeitweilige Unterstützung von Dschihadisten in Syrien. und eines der wichtigsten Argumente gegen Katar war immer die Unterstützung von Terroristen. Atmo: Muezzinchöre Autor: Seit Ende der 2010er Jahre gibt es einen neuen starken Mann in Riad: Den saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman. Und aus dessen Sicht hat Katar eine unverzeihliche Sünde begangen. Selbst ein steinreicher Familienbesitz mit winziger und homogener Bevölkerung, hat es bei anderen den politischen Islam als Alternative zur Monarchie gefördert. Für die Machthaber in Doha keine Bedrohung, sehr wohl aber für Saudi Arabien, Kuwait, Bahrain oder Ägypten. Sie alle bangen um ihre Autokratien und beginnen eine mediale und geheimdienstliche Offensive, angeführt von Saudi-Arabien. Katar geht sofort in die Gegenoffensive und tut alles, um sich vom Image der Terrorunterstützung zu befreien. Es ist der nächste Image-Wandel, den die Herrscherfamilie vollzieht. - Die Halbinsel soll noch einmal in ganz neuem Licht erscheinen: Diesmal als Welt zwischen den Welten. Als Drehscheibe, auf der sich Ost und West begegnen. O-Ton Guido Steinberg: Das reicht aber dem neuen saudi-arabischen Herrscher nicht. Er will eine vollständige Politik-Änderung und letzten Endes will er zurück zum Zustand der frühen Neunzigerjahre. Er will Katar wieder zu einem saudi-arabischen Protektorat machen. Das kann die katarische Führung nicht akzeptieren, und deswegen kommt es 2017 zum großen Konflikt und zur Katar-Blockade, die dann fast vier Jahre andauert. Autor: Katar wehrt sich verzweifelt dagegen, noch einmal von den Saudis fremdbestimmt zu werden, es bangt vor einem "Anschluss" an den großen Nachbarn. Die Herrscher über Doha wollen jetzt vor allem eins vermitteln: Dass ihre Insel für die Welt unverzichtbar sei. Atmo: Clip Katar-Promotion Autor: Gerade in Deutschland, so der deutsche Wirtschaftskapitän Joe Kaeser, erhofften die Kataris sich da eine positive Resonanz. O-Ton Joe Kaeser: Katar ist ein Land, das immer wieder auch gefragt wird oder auch um Hilfe gebeten wird, wenn man in der Mitte mit der Kultur des Mittleren Ostens nicht mehr weiter weiß. Ich denke da zum Beispiel an die Rolle der Kataris, als man überstürzt auch aus Afghanistan abziehen musste und die Bundeswehr nicht mehr in der Lage war, Menschen, die zu uns gehörten, zu retten, wie es Katar zum Beispiel auch immer wieder bei Vermittlungsversuchen zwischen den Kulturen Sunniten, Schiiten, den Taliban hat Katar wertvolle Dienste erwiesen. Autor: Unverzichtbar möchte Katar aber auch auf vielen anderen Feldern sein. Als Sponsor von Sport, von Kunst, durch seine weltweiten Aktien- und Unternehmensbeteiligungen. Alles, was Prestige bringt, wird gemacht. Was kein Prestige bringt, was dem Prestige auch nur bedrohlich scheint, wird konsequent blockiert. Und das trifft vor allem Medienvertreter. Kurz vor dem Anpfiff der Fußballweltmeisterschaft 2022 erhalte ich als Reporter im Auftrag des Deutschlandfunks keine Presseakkreditierung. Anfragen zu möglichen Gesprächspartnern und Besichtigungsterminen bleiben unbeantwortet. Autor Alle Medien, die sich um eine Drehgenehmigung vor und während der WM bemühen, müssen weitreichende Einschränkungen unterschreiben. Verboten sind u.a. auch das Fotografieren und Filmen in den Privaträumen von Einheimischen oder in den Unterkünften von Gastarbeitern. Auch in Regierungsgebäuden, Universitäten, Kirchen, Krankenhäusern, Privatunternehmen. Offensichtlich sind nur solche Berichterstatter erwünscht, bei denen man sicher sein kann, dass sie das vorgezeichnete Bild auch wiedergeben: Zitator 1 Mohammed al-Ajami Du hast die Wahrheit angeschossen Und meine einst so stolze Treue Liegt bleich und blutleer und in schwarz gehüllt Sag: Du willst Gehorsam Und gibst Ungerechtigkeit dafür? Autor: Vom politischen Islam ist in Katar heute kaum noch öffentlich die Rede. - Von Demokratie allerdings auch nicht. Das 2001 von Emir Hamad binnen 18 Monaten angekündigte Parlament, wurde mehr als 18 Jahre später noch immer nicht gewählt. Stattdessen genehmigte der neue Emir eine so genannte Schura-Versammlung, die ihm lediglich beratend zu Seite steht und in der der Herrscher ein Drittel der Abgeordneten selbst ernennt. Zitator 2: Am 10. Mai 2022 verurteilte das katarische Strafgericht erster Instanz die Brüder Hazza und Rashed bin Ali Abu Shurayda al-Marri zu lebenslanger Haft. Autor: meldet im Frühjahr 2022 Amnesty International. Zitator 2: Die beiden Rechtsanwälte wurden für schuldig erklärt, vom Emir ratifizierte Gesetze kritisiert und unerlaubte öffentliche Versammlungen organisiert zu haben. Neben ihnen wurden zwei weitere Männer in Abwesenheit zu lebenslanger bzw. zu 15 Jahren Haft verurteilt. Autor: Anfang 2022 erneuern die katarischen Behörden gegen eine Reihe kritischer Persönlichkeiten Ausreiseverbote. Unter anderem auch gegen den Juristen und ehemaligen katarischen Justizminister, al Nuaimi. Er hatte 2012 den seitdem verstummten Poeten Mohammed al-Ajami vor Gericht vertreten. Zitator 1 Mohammed al-Ajami: Steht ein für eure Überzeugung So führt ihr heute eure Rösser in die Schlacht Gegen den Herrscher, der euch machtlos sehen will Dem euer Schweigen Anlass ist Die Ungerechtigkeit zu feiern Autor: Das Thema Demokratie ruft bei den katarischen Offiziellen heute gereizte Reaktionen hervor. Auf einer Veranstaltung des DFB meldete sich Katars Botschafter in Deutschland Abdullah Bin Mohammed al Thani zu Wort, ein Verwandter des Emirs. O-Ton Botschafter Abdullah Bin Mohammed al Thani: Yes, we're not perfect Übersetzer 2: Ja: Wir sind nicht perfekt. Wir werden nicht behaupten, wir wären perfekt. Wir haben uns auf eine lange Reise begeben, Erwarten Sie nicht, dass wir, nur, weil alle einen derartigen Lärm um diese Dinge machen, in fünf, sechs Jahren, eine Strecke zurücklegen können, für die Sie Jahrzehnte gebraucht haben. Autor: Geht es um anderes als Demokratie, dann heben die Offiziellen allerdings gerne hervor, mit welch atemberaubender Geschwindigkeit Katar die Vergangenheit abstreift: Wirtschaft, Architektur, Bildung, Infrastruktur. Dort wo die Macht der Mächtigen tangiert ist, herrscht Stagnation; eine Zweiklassengesellschaft, in der die Minderheit die Mehrheit marginalisiert und ausschließt. Das hatte ich schon mitbekommen, als ich mit Abdullah durch Doha gefahren war. Die Grenzen zwischen den Herren und den Dienern, so hatte er gesagt, seien hier ganz genau gezogen. O-Ton Abdullah: Ninety percent... Übersetzer 1: In diesem Viertel stellen Kataris neunzig Prozent der Bewohner. Sehen Sie: alles schön dekoriert, die Häuser selber voller schöner Möbel. Ganz anders als die anderen Viertel, wo die Ausländer wohnen. Sagen Sie selbst: gibt es irgendetwas, was die Viertel der einen und die Viertel der anderen gemeinsam haben? Allein solch einen kleinen Palast tagtäglich zu unterhalten, kostet viel Geld. Aber Strom und Wasser sind gratis. Gratis für Kataris. Sie müssen nichts bezahlen. Aber wir müssen bezahlen. Die Ausländer. Das ist doch verrückt. Die Kataris können so viel Wasser verbrauchen, wie sie wollen und zahlen nichts. Wir bekommen die Rechnungen, wir zahlen. Autor: Aber, so Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik: die Mühlen mahlen langsam, doch sie mahlen. O-Ton Guido Steinberg: Insgesamt glaube ich, dass sich die Situation der Arbeitsmigranten etwas verbessert hat, immer noch nicht so gut ist wie das vielleicht wünschenswert wäre das aber vor allem das Verhältnis der Kataris zu den Europäern deutlich abgekühlt ist, weil sie sich ungerecht behandelt vorkommen. Sie sagen immer wieder: Wir haben doch reagiert auf eure Wünsche und seht, was jetzt passiert. Die Kritik nicht nimmt nicht ab. Die Kritik nimmt er auch tatsächlich teils hysterische Züge an. Und unser großes Ziel, nämlich unser Bild in der Welt zu verbessern. Das ist dadurch gefährdet, dass die Reaktion auf all unsere Bemühungen so negativ ist. Autor: Westeuropa, das wird oft vergessen, braucht zwar Katar, wo es um Gas und Investitionen geht. Doch ungleich mehr und ungleich langfristiger braucht Katar Westeuropa. O-Ton Joe Kaeser: ...weil alle der Überzeugung sind, dass die Stärke, die fossile Zeit des fossilen Zeitalter, einmal auch zu Ende gehen wirdDas heißt also, dort ist man auch besorgt, in Abhängigkeiten zu geraten. Und wenn diese Abhängigkeit Quellen dann versiegen, hätte man keine Alternative. Das heißt also, die meisten Dinge, die wir sehen, an Expansionsbestrebungen, wie zum Beispiel auch die strategischen Investitionen des Emirats in deutschen Unternehmen oder auch in der Welt sind vielfach darauf ausgerichtet, genau diesen Technologietransfer für die Zeit nach dem Öl zu sichern, indem man sich dort auch aktiv engagiert. Autor: Da hilft es ebenfalls, die Zusammenarbeit mit den westlichen Schlüssel-Staaten möglichst breit zu streuen. Insofern ist nicht nur auf einer Seite - sondern auf beiden Seiten Selbstbewusstsein angesagt. Übersetzerin Die Katar-Story Mit Gas und Visionen zum Global Player Es sprachen: Daniel Berger, Judith Jakob, David Vormweg, Daniel Werner, Bruno Winzen und der Autor Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Lukas Fehling Regie: Matthias Kapohl Redaktion Wolfgang Schiller Eine Produktion des Deutschlandfunks 2022 2